Das Standardmodell der Teilchenphysik

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Das Standardmodell der Teilchenphysik
André S. Indenhuck (228823)
im Februar 2004
Inhaltsverzeichnis
1
Einleitung
2
2
Beschleuniger
2
3
Fundamentale Teilchen
6
3.1 Fundamentale Fermionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
3.2
4
Symmetrien und Kopplungen
12
4.1 Higgsfeld, Vakuumerwartungswert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12
4.2
4.3
4.4
5
Fundamentale Wechselwirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
3.2.1 Die Gravitation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
3.2.2 Die elektromagnetische Wechselwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
3.2.3 Die schwache Wechselwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
3.2.4 Die starke Wechselwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10
Die elektroschwache Vereinigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16
Vorwärts-Rückwärts-Asymmetrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
CKM-Matrix, Neutrino-Mischungsmatrix . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23
Alternativen zum Standardmodell
25
5.1 Grand Unification Theory . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
5.2 Supersymmetrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27
1
1 Einleitung
Das Standardmodell der Teilchenphysik befaßt sich mit Phänomenen in den Energiebereichen bis 102 GeV . Im Standardmodell werden die elementaren Bausteine der Materie und ihre Wechselwirkungen untersucht. Es zeigt sich, daß Materie aus fundamentalen Fermionen aufgebaut ist und Kräfte von fundamentalen Bosonen vermittelt werden. Die Wechselwirkungen sind dabei durch lokale Eichsymmetrien darstellbar. Im
Laufe dieses Artikels wird gezeigt, wie zwei der ursprünglich drei Wechselwirkungen
vereinheitlicht werden können und warum man das Konzept des Higgsfeldes benötigt.
Die Notwendigkeit, verschiedene Eigenzustände der Teilchen zu betrachten, wird ebenfalls erklärt.
Schon hier ist zu betonen, daß das Standardmodell keinesfalls eine endgültige Theorie sein kann, sondern ein niederenergetischer Grenzfall einer Theorie, die auf anderen
Energieskalen und insbesondere auch auf der Planck-Skala (1019 GeV) operiert, sein
muß. Mögliche Ansätze hierfür sind die Konzepte der Grand Unification Theory und
der Supersymmetrie.
2 Beschleuniger
In der Elementarteilchenphysik werden Experimente hauptsächlich durch Kollisionen
an Teilchenbeschleunigern durchgeführt. Die in den folgenden Kapiteln erläuterten
physikalischen Gesetze wurden an solchen experimentell überprüft; daher soll zur Einführung kurz ihre grundsätzliche Funktionsweise [1] angesprochen werden.
Es wird unterschieden zwischen Ring- und Linearbeschleunigern. Während bei
Linearbeschleunigern die Beschleunigungsstrecke vor der Kollision nur einmal durchlaufen werden kann, ist es in einem Ringbeschleuniger möglich, das Teilchen über
viele Umläufe hinweg zu speichern. Man spricht daher auch von einem Speicherring. Die Energie des umlaufenden Teilchens ist aber begrenzt: Bei Elektron-PositronSpeicherringen geht bei hohen Energien viel Energie durch Synchrotronstrahlung verloren, so daß weitere Beschleunigung über eine gewisse Energieschwelle technisch
nicht mehr möglich ist. Bei Proton-(Anti-)Proton-Beschleunigern spielt die Synchrotronstrahlung keine Rolle, da sie mit der vierten Potenz der Masse des beschleunigten
Teilchens abnimmt; da aber nun recht schwere Teilchen zu beschleunigen sind, müssen
die magnetischen Feldstärken der Ablenkmagnete sehr hoch sein, so daß die erreichbare
Feldstärke die technische Grenze bestimmt.
Die Strahlführung wird im wesentlichen durch die oben angesprochenen Ablenkmagnete sowie durch Multipolmagnete zur Fokussierung des Strahls bestimmt. Hier2
bei ist zu beachten, daß die hierfür in aller Regel verwendeten Quadrupolmagnete den
Strahl immer nur in einer Ebene fokussieren können, während sie in der anderen Ebene
defokussierend wirken. Geschickte Anordnung von mindestens zwei solchen Magneten
erlaubt aber eine resultierende Fokussierung in allen Ebenen.
Abbildung 1 zeigt das Prinzip eines Fixed-Target-Experimentes, bei dem eines der
beiden Teilchen in Ruhe getroffen wird. Eine Weiterentwicklung, bei der die Schwerpunktsenergie der Kollision deutlich erhöht werden kann, ist in Speicherringen realisiert. Hierbei prallen die beiden Teilchen entgegengesetzt beschleunigt aufeinander.
Abbildung 2 zeigt den schematischen Aufbau eines Speicherrings.
Um die Ergebnisse der Kollisionen auszulesen, benötigt man geeignete Detektoren,
die möglichst viel über die Endprodukte der Reaktion verraten sollen. Interessant sind
im wesentlichen Ladung, Entstehungsort, Anzahl, Impuls, Energie und natürlich die Art
des Teilchens. Zu diesem Zwecke baut man komplizierte Gebilde in zwiebelschalenartiger Anordnung, wobei die einzelnen Schichten ganz verschiedene Aufgaben erfüllen.
Zentral und direkt um das Strahlrohr herum findet man die massearmen Bereiche
des Vertexdetektors, einer spurempfindlichen Kammer hoher Ortsauflösung, die besonders gut zum Aufspüren von Sekundärvertices geeignet ist, sowie der zentralen Spurenkammer, in der die Trajektorien geladener Teilchen vermessen und dadurch Impulsbestimmungen durchgeführt werden können. Zu diesem Zwecke muß der innere Teil
des Detektors in einem Magnetfeld liegen, um eine Krümmung der Trajektorien der
geladenen Teilchen zu verursachen. Im äußeren Teil findet man zunächst das elektromagnetische Kalorimeter, in dem Elektronen, Positronen und Photonen einen elektromagnetischen Schauer ausbilden, also eine Kaskade von Photonen und ElektronPositron-Paaren. Dies ermöglicht eine Energiemessung für diese Teilchen. Analoges
geschieht im darauf folgenden Hadron-Kalorimeter für Hadronen. Ganz außen befinden
sich in aller Regel Myon-Kammern, großflächige Vieldraht-Proportional-Kammern, die
die Myonen identifizieren, die wegen ihrer Eigenschaft, minimalionisierend zu sein, nur
wenig Energieverlust in den Kalorimetern erleiden [4].
Heutige Großbeschleuniger sind das Tevatron (Proton-Antiproton-Beschleuniger)
am Fermilab bei Chicago (Abb. 3), das einen Umfang von 6.28 km besitzt und eine
Schwerpunktsenergie von 1.96 TeV erreicht, und der im Bau befindliche Proton-ProtonBeschleuniger LHC am CERN bei Genf (Abb. 4) mit einem Umfang von 26.66 km und
einer Schwerpunktsenergie von 14 TeV.
3
Abb. 1: Schema eines Fixed-Target-Experiments [2]
Abb. 2: Schematischer Aufbau eines Speicherrings [3]
4
Abb. 3: Tevatron [5]
Abb. 4: LHC [5]
5
3 Fundamentale Teilchen
Im folgenden werden die fundamentalen Teilchen, die Protagonisten der Teilchenphysik
kurz vorgestellt.
3.1
Fundamentale Fermionen
Die fundamentalen Fermionen sind die Bausteine der Materie. Wir unterscheiden zwischen den Leptonen, die auch alleine auftreten können, und den Quarks, die immer
in Bindungszuständen existieren. Jede dieser beiden Teilchensorten ist in Dubletts
(Neutrino, geladenes Lepton bzw. up-type-Quark, down-type-Quark) und drei Generationen angeordnet. Die gewöhnliche, auf der Erde beobachtbare Materie besteht jedoch nur aus Bausteinen der ersten Generation. Die zugehörigen Teilchen aus den
verschiedenen Generationen unterscheiden sich durch nichts als ihre Masse, ihre Quantenzahlen sind gleich. Einen Überblick über die Teilchen, aus denen die Materie aufgebaut ist, verschafft uns Tabelle 1, in der auch die verschiedenen Ladungen der jeweiligen Teilchen bezüglich der unterschiedlichen Wechselwirkungen aufgeführt werden.
Deutlich zeigt sich, daß Leptonen keine Farbladung tragen und Neutrinos auch keine
elektrische Ladung. Teilchen nehmen nicht an Wechselwirkungen teil, bezüglich derer
sie keine Ladung tragen.
Zu jedem Teilchen existiert auch ein Antiteilchen mit entgegengesetzten Quantenzahlen. Quarks treten nur in farbneutralen Bindungszuständen als Meson (QuarkAntiquark-Bindung) oder Baryon (Drei-Quark-Bindung) auf (wenn wir von exotischen
Teilchen wie den seit kurzem diskutierten Pentaquarks einmal absehen).
3.2
Fundamentale Wechselwirkungen
Nun wenden wir uns auf elementarer und qualitativer Ebene den Wechselwirkungen zu,
die zwischen den gerade vorgestellten Fermionen vermitteln.
3.2.1 Die Gravitation
Die Gravitation ist eine Wechselwirkung, die noch nicht mit dem Standardmodell verbunden werden konnte. Daher werden hier nur kurz ihre wichtigsten Eigenschaften
genannt.
Bei Energien unterhalb der Planck-Skala von 1019 GeV ist die Gravitation sehr
schwach gegenüber den anderen Wechselwirkungen und kann daher vernachlässigt
werden. Da sie aber stets anziehend ist und infolgedessen nicht abgeschirmt werden
kann, ist sie kosmologisch dominant und regelt etwa die Planetenbahnen. Ihr Austauschteilchen, das Graviton, das ein Spin-2-Teilchen sein muß, konnte noch nicht entdeckt werden.
6
Tabelle 1: Liste der fundamentalen Fermionen [4]
3.2.2 Die elektromagnetische Wechselwirkung
Die elektromagnetische Wechselwirkung wird in der Quantenelektrodynamik (QED)
behandelt. Sie basiert auf der abelschen Symmetriegruppe U(1), die mit einem Generator auskommt. Dieser Generator ist die elektrische Ladung. Das Austauschboson der
QED ist das virtuelle Photon, ein Spin-1-Teilchen, das als masseloses reelles Teilchen
wohlbekannt ist. Es ist ladungslos und koppelt daher nicht an sich selbst, so daß es
keine Vertices mit drei Photonen in der QED geben kann. Ein Beispiel für einen Feynmangraphen in der QED ist in Abb. 5 gegeben. Bei der Møller-Streuung tauschen zwei
Elektronen ein virtuelles√Photon aus. Die Kopplung an den Vertices ist proportional
der Kopplungskonstante α, die, wie wir später sehen werden, nur für feste Energien
wirklich konstant ist. Da α für kleine Energieüberträge einen sehr kleinen Wert hat
1
( 137
), ist es möglich, die QED in Störungsrechnung mit Entwicklung nach Potenzen
von α zu berechnen. In den meisten Fällen lassen sich gute Näherungen der Ordnung
O(α2 ) angeben.
7
Abb. 5: Die Møller-Streuung [4]
3.2.3 Die schwache Wechselwirkung
Für die schwache Wechselwirkung, die gelegentlich auch als Quantenflavourdynamik
(QFD) bezeichnet wird, zeigt sich die nichtabelsche Symmetriegruppe SU(2) verantwortlich. Zu dieser Symmetriegruppe gehören drei Generatoren; eine Darstellung dieser
Generatoren sind die jeweils mit einem Faktor 12 multiplizierten Pauli-Matrizen Ji ,
i = 1, 2, 3. Drei Generatoren bedeuten auch drei Eichbosonen, die zur Vermittlung
dieser Wechselwirkung beitragen; tatsächlich konnten alle drei Eichbosonen, das elektrisch neutrale Z-Boson der Masse 91.2 GeV sowie die einfach elektrisch geladenen
W-Bosonen (W + und W − ), die die Masse 80.4 GeV besitzen, gefunden werden. Da
diese Eichbosonen eine große Masse haben und sie als virtuelle Teilchen an der Wechselwirkung teilnehmen, ist die Reichweite der schwachen Wechselwirkung bei niedrigen Schwerpunktsenergien durch die Heisenbergsche Unschärferelation beschränkt, so
daß ihre Prozesse in diesem Fall stark unterdrückt sind. Dies wird einsichtig, wenn man
bedenkt, daß das Produkt von aus dem Vakuum entzogener Energie ∆E und maximaler
Haltedauer ∆t dieser Energie eine Konstante ist. Auch die Eichbosonen können sich
natürlich nicht mit Überlichtgeschwindigkeit fortbewegen, weswegen durch l = c · ∆t
eine Reichweitengrenze abgeschätzt werden kann.
Die Eichbosonen koppeln an die schwache Ladung, also die dritte Komponente T3
des schwachen Isospins. Für rechtschirale Teilchen und linkschirale Antiteilchen gilt
T3 = 0, so daß solche Teilchen nicht an den Prozessen der schwachen Wechselwirkung
teilnehmen können. Die Chiralität ist dabei eine verallgemeinerte und lorentzinvariante Händigkeit der Teilchen. Die Händigkeit oder Helizität gibt das Verhältnis von
Flug- und Spin-Richtung eines Teilchens an, ist aber bei massiven Teilchen wegen der
möglichen Änderung durch einen Lorentz-Boost nicht lorentzinvariant.
8
Abb. 6: Wirkungsquerschnitt von e+ e− −→ µ+ µ− in Abhängigkeit von der
Schwerpunktsenergie [6]
In Abb. 6 ist der Wirkungsquerschnitt von e+ e− → µ+ µ− in Abhängigkeit von der
Schwerpunktsenergie dargestellt. Dieser Prozeß kann sowohl elektromagnetisch über
Photonaustausch als auch schwach über Z-Austausch (neutraler Strom, um Ladungserhaltung an den Vertices zu gewährleisten) stattfinden. Es zeigt sich deutlich die Resonanz an der Z-Masse. Da die Bosonen bei Schwerpunktsenergien im Bereich ihrer
Masse besonders leicht erzeugt werden können, findet man dort diese resonanzhafte
√
Überhöhung des Wirkungsquerschnittes vor. Bei Schwerpunktsenergien s deutlich
unterhalb der Z-Resonanz findet fast ausschließlich elektromagnetische Wechselwirkung statt, deren Wirkungsquerschnitt mit 1s abfällt; deutlich oberhalb der Z-Resonanz
fallen beide Wechselwirkungsarten mit 1s ab, allerdings auf höherem Niveau, als wenn
nur einer der beiden Prozesse beitrüge.
Ein weiterer Unterschied zur elektromagnetischen Wechselwirkung ist die aus der
nichtabelschen Struktur der SU(2) resultierende Möglichkeit, Vertices mit drei oder vier
Eichbosonen zu erhalten. Z- und W-Bosonen sind Spin-1-Teilchen.
9
3.2.4 Die starke Wechselwirkung
Zum Abschluß dieses Kapitels wenden wir uns nun der starken Wechselwirkung zu,
die ausschließlich auf Quarks und nicht auf Leptonen wirkt. Die zugehörige Theorie
wird als Quantenchromodynamik (QCD) bezeichnet. Die Ladung der starken Wechselwirkung ist die Farbladung, die in den Farben rot, grün und blau sowie bei Antiteilchen
in den zugehörigen Antifarben auftritt. Die zur starken Wechselwirkung gehörige Symmetriegruppe ist die SU(3), eine nichtabelsche Gruppe. Zu ihr gehören acht Generatoren; dies sind die Lambda-Matrizen. Daher gibt es auch acht Eichbosonen, nämlich
acht verschiedene Gluonen, die masselos sind und jeweils eine Farbladung und eine
Antifarbladung tragen. Aufgrund der nichtabelschen Struktur der Gruppe können auch
hier Drei- oder Vier-Gluonen-Vertices auftreten, was auch dadurch verständlich wird,
daß die Gluonen ja Farbladung tragen; Gluonen sind wie die anderen zum Standardmodell gehörigen Eichbosonen Spin-1-Teilchen. Es bleibt zu bemerken, daß die in der
Natur beobachteten Hadronen immer farbneutral sind. Für Mesonen bedeutet dies, daß
das Antiquark die zugehörige Antifarbe zur Farbe des Quarks hat (z. B. grün-antigrün);
bei Baryonen tragen die drei Quarks jeweils unterschiedliche Farbe, die Kombination
aller drei Farben aber ist ebenfalls farbneutral (das gilt auch für die Kombination der
drei Antifarben im Falle von Antibaryonen).
Im Gegensatz zur analogen Größe der elektromagnetischen Wechselwirkung ist die
Kopplungskonstante der starken Wechselwirkung αs im allgemeinen nicht sehr klein
gegen 1, nur für hohe Impulsüberträge kann man die starke Wechselwirkung sinnvoll
mit Störungsrechnung und Entwicklung nach Potenzen von αs berechnen, andernfalls
sind die Beiträge höherer Ordnungen viel zu groß. Da αs bei sehr hohen Impulsüberträgen immer kleiner wird, spricht man hier von ”asymptotischer Freiheit”, da die Kopplung asymptotisch gegen Null geht und hier die Störungsrechnung gute Ergebnisse
liefern kann. Der in der Literatur üblicherweise angegebene Wert von αs = 0.12
bezieht sich auf Impulsüberträge der Größe der Z-Masse. Mit dieser Entwicklung der
Kopplung eng verbunden ist die Feststellung, daß das Potential der starken Wechselwirkung mit steigendem Abstand ansteigt; als direkte Folge daraus folgt das Confinement (Abb. 7). Wenn man zwei Quarks weit auseinanderziehen will, steigt die dazu
benötigte Energie mit dem Abstand an, bis genügend Energie vorhanden ist, um ein
Quark-Antiquark-Paar aus dem Vakuum zu erzeugen. Diese Quarks verbinden sich
sofort mit den anderen Quarks und bilden Hadronen. An Hochenergiebeschleunigern
erzeugte Quarks bilden daher im Zuge der Hadronisierung ganze Jets aus Hadronen.
Zwischen den Bausteinen der Hadronen ausgetauschte Quarks sorgen für ihre Bindung
und dafür, daß die einzelnen Quarks laufend ihre Farbe wechseln können. Ein Beispiel
für eine solche Bindung ist in Abb. 8 dargestellt, wo ein π + ein Gluon austauscht,
wobei das Gluon an die Quarks stark koppelt.
10
Abb. 7: Beispiel zum Confinement [4]
Abb. 8: Bindung des Pions [4]
11
4 Symmetrien und Kopplungen
Im nun folgenden Hauptteil sollen einige wichtige Einzelheiten des Standardmodells
genauer und mit mehr quantitativem Zugang diskutiert werden.
4.1
Higgsfeld, Vakuumerwartungswert
Ein Ausgangspunkt unserer nun folgenden Betrachtungen ist das Noether-Theorem,
das besagt, daß jeder kontinuierlichen Symmetrie ein Erhaltungssatz zugeordnet werden kann. Aus der Mechanik ist dies bekannt für die Zusammenhänge zwischen räumlicher Translationsinvarianz und Impulserhaltung, zeitlicher Translationsinvarianz und
Energieerhaltung sowie Rotationsinvarianz und Drehimpulserhaltung.
Hier betrachten wir zunächst eine globale Eichtransformation. Wir wissen, daß eine
Phasenrotation um den Winkel α in der Wellenfunktion ihr Betragsquadrat und damit
die Aufenthaltswahrscheinlichkeit eines Teilchens nicht beeinflußt. Wir erhalten also
eine gleichwertige Wellenfunktion
2
α
Ψ0 = Ψe−i ~ q −→ |Ψ0 | = |Ψ|2 .
Es läßt sich zeigen, daß diese Rotationsinvarianz mit dem Ladungserhaltungssatz verbunden ist.
Soll die Phase α von Ort und Zeit, also vom Vierervektor x, abhängen dürfen,
wobei die Bewegungsgleichungen durch solche lokale Eichtransformationen unverändert bleiben, so verändern sich infolge der Kettenregel die Differentiationen. Am leichtesten sieht man dies am Beispiel des Impulsoperators pµ −→ i~∂ µ , der nun auch auf
die Phase α(x) wirkt. Die hierbei auftretenden Zusatzterme müssen durch geeignete
Felder ausgeglichen werden, die von den zwölf oben genannten Eichbosonen vermittelt
werden. Im Falle der masselosen Gluonen und des ebenfalls masselosen +Photons ist
dies ohne weiteres möglich, bei den massiven Eichbosonen, also Z und W − , tritt aber
ein bekanntes Problem auf. Da die Eichtransformation für alle Zeiten an allen, also auch
sehr weit entfernten Orten möglich ist, muß das Kompensationsfeld eine unendliche
Reichweite haben, was für massive Teilchen nach Heisenberg natürlich nicht erfüllt ist.
Eine mögliche Rettung aus diesem Dilemma ist das Konzept des Higgsfeldes und der
spontanen Symmetriebrechung. Das Higgsfeld soll die
Massen der W- und Z-Bosonen
τi
erzeugen, indem die lokale Eichsymmetrie e−αi (x) 2 spontan gebrochen wird. Dazu
benötigt man ein Isospin-Dublett, so daß das Higgsfeld allgemein geschrieben werden
kann als
µ
¶
Φ1 + iΦ2
Φ=
Φ3 + iΦ4
mit dem zugehörigen Potential
2
4
V (Φ) = µ2 |Φ| + λ |Φ| ,
12
das in Abb. 9 für den physikalisch relevanten Fall q
µ2 < 0, λ > 0 skizziert ist [6].
2
Die Minima liegen auf einem Kreis des Radius v = − µλ ' 247 GeV . Wir müssen
ein Minimum wählen, bei dem schließlich das Photon masselos bleibt; dies ist eine
experimentelle Vorgabe der Natur. Es zeigt sich, daß die Setzung Φ1 = Φ2 = Φ4 = 0
eine gute Wahl des Minimums ist, so daß man um einen stabilen Wert von Φ3 herum
Störungsrechnung betreiben kann. Das Higgsfeld ergibt sich so zu
1
Φ= √
2
µ
0
v + η(x)
¶
mit dem Störparameter η(x). Da hier nur in eine Richtung physikalisch bedeutsam
gestört werden kann und damit ein Freiheitsgrad vorherrscht, ist klar, daß diesem Feld
genau ein Teilchen zugeordnet werden muß. Dies ist das Higgs-Boson. Hierbei muß
noch einmal betont werden, daß die Störung hier eben nicht um Φ = 0 stattfindet, sondern um einen endlichen Wert herum. Die drei scheinbar verlorenen Freiheitsgrade aus
den anderen Komponenten des Higgsfeldes geben jeweils einem der schweren Eichbosonen den zusätzlichen Freiheitsgrad der longitudinalen Polarisation; man spricht
in diesem Zusammenhang auch von Goldstone-Bosonen. Aus der Störungsrechnung
ergibt sich die Masse des Higgs-Bosons zu
mH =
√
2λv.
q
2
Da aber λ unbekannt bleibt und nur das Verhältnis v = − µλ bekannt ist, kann auch
die Higgsmasse nicht numerisch angegeben werden.
Für die Bosonmassen ergeben sich folgende Relationen:
mW
mZ
mγ
1
gv,
2
1p 2
=
g + g 02 v,
2
= 0,
=
wobei g und g’ Kopplungskonstanten der elektroschwachen Wechselwirkung, die im
nächsten Abschnitt diskutiert wird, sind. Dort wird dieses Resultat noch einmal wichtig.
Daß das Photon masselos bleibt, ist natürlich notwendig für den physikalischen Sinn
dieser Betrachtungen.
13
Abb. 9: Das Potential des Higgs-Felds [6]
In Abb. 10 werden verschiedene experimentelle Einschränkungen der Higgsmasse
gezeigt, in Abb. 11 findet man am Elektron-Positron-Beschleuniger LEP gemessene
Werte der W-Masse.
Abb. 10: Verschiedene Messungen der Higgs-Masse [8]
14
Abb. 11: Messungen der W-Masse am LEP [9]
Eine Einschränkung der Higgsmasse ist möglich, wenn wir die Streuung ZZ −→
W + W − betrachten. Werden nur die Feynmangraphen aus Abb. 12a,b betrachtet, so
ergibt sich ein mit hohen Schwerpunktsenergien divergierender Wirkungsquerschnitt
σ ∝ s, was natürlich unmöglich ist. Der Wirkungsquerschnitt ist eine Größe der
Art Wahrscheinlichkeit mal Fläche; bei hohen Energien ist die Reaktionsfläche eines
Teilchens seine de-Broglie-Wellenlänge zum Quadrat, so daß gelten muß:
σ∝
1
1
1
' 2 = .
p2
E
s
Abb. 12a: ZZ −→ W + W − , t-Kanal [6]
15
Abb. 12b: ZZ → W + W − , Vier-Boson-Vertex [6]
Diese Proportionalität kann hergestellt werden durch die Interferenz mit einem weiteren Feynmangraphen, nämlich einem Higgsaustausch im s-Kanal (Abb. 12c).
Abb. 12c: ZZ-Streuung mit Higgsaustausch [6]
Um unsere Physik konsistent zu halten, wäre es spätestens an dieser Stelle also
notwendig gewesen, ein neues Teilchen zu postulieren. Aus Unitaritätsgründen, also
damit die Reaktionswahrscheinlichkeit auf der von der de-Broglie-Wellenlänge festgelegten Fläche wie erforderlich nicht über 1 steigt, muß das Higgs-Boson eine Masse
unter 1 TeV besitzen, eine wichtige Grenze für die Planung von Experimenten zur
Suche nach dem Higgs-Boson. Da das Higgs-Boson ja für die Masse der schweren
Eichbosonen verantwortlich sein muß, Massen aber ausrichtungsunabhängig sind, ist
klar, daß das Higgs-Boson ein Spin-0-Teilchen ist. Weil Photonen nicht an es koppeln
(sie haben ja keine Masse), muß es ebenfalls ungeladen sein.
4.2
Die elektroschwache Vereinigung
In diesem Abschnitt beschäftigen wir uns mit der elektroschwachen Vereinigung [7].
Für die neutralen schwachen Ströme versagt das naive Bild der Symmetriegruppe SU(2),
da so nicht erklärbar ist, daß die schwache Wechselwirkung nur auf linkschirale Teilchen
wirkt. Dies ist nur möglich, wenn der neutrale schwache Strom und der elektromagnetische Strom gemischt werden. Daher wird ein Übergang zur fundamentalen und aus
rotiertem Isospin sowie Hyperladung zusammengesetzten Symmetriegruppe
16
SU (2)L × U (1)Y nötig.
Die Hyperladung Y ist definiert über Q = T3 + Y2 . Der aus der QED ermittelte
Term, der die elektromagnetische Wechselwirkung beschreibt, ist −ie(j em )µ Aµ , wobei
e die elektromagnetische Kopplung, (j em )µ den elektomagnetischen Strom und Aµ das
Photonfeld bezeichnen. Im Standardmodell betrachtet man zur Vereinigung der elektromagnetischen mit der schwachen Wechselwirkung nun ein Isotriplett von Vektorfeldern
Wµi , das mit der Kopplungsstärke g an den schwachen Isospinstrom Jµi koppelt, sowie
0
ein Isosinglett, das Vektorfeld Bµ , das mit der Kopplungsstärke g2 an den schwachen
Hyperladungsstrom jµY koppelt. Für die elementare Darstellung der elektroschwachen
Wechselwirkung ergibt sich damit
−ig(J i )µ Wµi − i
Die Felder
g0 Y µ
(j ) Bµ .
2
r
1
(W 1 ∓ Wµ2 )
2 µ
beschreiben dabei gerade die von den geladenen schweren Eichbosonen hervorgerufenen Wechselwirkungen, während Wµ3 und Bµ neutrale Felder sind. Nach der Separation
der geladenen Felder bleibt für den elektrisch neutralen Anteil der elektroschwachen
Wechselwirkung der Ausdruck
W
±
=
g0 Y µ
(j ) Bµ
2
über. Nun müssen diese beiden Felder so mischen, daß das Photonfeld das Feld eines
masselosen Teilchens und das Z-Feld das Feld eines massiven Teilchens bleiben. Dies
gelingt mit einer Rotation um den schwachen Mischungswinkel θW , der manchmal
auch Weinbergwinkel genannt wird, und es folgt:
−ig(J 3 )µ Wµ3 − i
Aµ
= Bµ cos θW + Wµ3 sin θW ,
Zµ
= −Bµ sin θW + Wµ3 cos θW .
Vergleich mit dem vorherigen Ausdruck ergibt:
g0 Y µ
(j ) Bµ
2
jµY µ
jµY µ
)A − i(g cos θW Jµ3 − g 0 sin θW
)Z .
= −i(g sin θW Jµ3 + g 0 cos θW
2
2
−ig(J 3 )µ Wµ3 − i
Der erste Term repräsentiert die elektromagnetische Wechselwirkung, so daß Vergleich
mit −ie(j em )µ Aµ mittels dem aus Q = T3 + Y2 folgenden
1
ejµem ≡ e(Jµ3 + jµY )
2
17
das wichtige Ergebnis
g sin θW = g 0 cos θW = e
liefert. Diese Beziehung ist dem Experiment zugänglich, indem man etwa g beim WZerfall und e bei der Compton-Streuung mißt und daraus den schwachen Mischungswinkel errechnet.
Im letzten Abschnitt erhielten wir für die Massen der schweren Eichbosonen:
mW
=
mZ
=
1
gv,
2
1p 2
g + g 02 v.
2
Einfache Umformungen führen zu einer von den Betrachtungen dieses Abschnitts unabhängig gewonnenen Bedingung für den schwachen Mischungswinkel:
mW
= cos θW .
mZ
Wenn man nun W- und Z-Masse mißt, was experimentell möglich ist, hat man also eine
weitere Möglichkeit gewonnen, um den schwachen Mischungswinkel zu errechnen.
Die auf beide Weisen gewonnenen Werte für θW müssen selbstverständlich im Rahmen
der Fehlergrenzen übereinstimmen; man kann durch den Vergleich beider Werte also
einen wichtigen Konsistenzcheck für das Standardmodell durchführen.
In Abb. 13 sind Meßergebnisse von verschiedenen Meßverfahren für den schwachen
Mischungswinkel dargestellt. Während unsere oben abgeleiteten Ergebnisse vernachlässigen, daß es Beiträge höherer Ordnungen gibt und die Kopplungskonstanten nur
bezüglich fester Energien konstant sind, verrät die Bezeichnung als effektiver
Mischungswinkel im Diagramm, daß diese Umstände hierbei bedacht wurden. In
Abb. 14 und 15 werden Beispieldiagramme für Beiträge höherer Ordnung in der QED
gezeigt (Bremsstrahlung, Vakuumpolarisation).
18
f
Abb. 13: Messungen von sin θef
W [10]
Abb. 14: Beitrag niedrigster Ordnung und Bremsstrahlung [6]
19
Bei der Vakuumpolarisation ist es offensichtlich, daß ihr Beitrag energieabhängig
ist; je nach Energie des Elektron-Positron-Paars muß ein größerer oder ein kleinerer
Energieanteil aus dem Vakuum gezogen werden, um kurzfristig das virtuelle FermionAntifermion-Paar zu erzeugen. Dies ist natürlich nach Heisenberg möglich, aber leichter, wenn nur wenig zusätzliche Energie benötigt wird, so daß der Beitrag dieses Diagramms (der Ordnung α4 ) mit steigender Schwerpunktsenergie zunimmt. Damit ist
auch die effektive Kopplung energieabhängig. Die ”gesehene”, also effektive elektrische Ladung steigt mit sinkendem Abstand von ihr. Als Renormierung√
bezeichnet
man die Definition der Elementarladung (und damit von α wegen e = 4πα) bei
hohen Abständen, also im Grenzfall kleiner Impulsüberträge.
Abb. 15: Vakuumpolarisation [6]
Eine analoge Argumentation ist für die starke Wechselwirkung nicht möglich. Die
”gesehene” Farbladung sinkt mit sinkendem Abstand und Störungsrechnung versagt
hier wegen der großen Beiträge höherer Ordnung.
Abschließend sei noch bemerkt, daß es sich mathematisch anbietet, bei sehr hohen
Energien in den fundamentalen W- und B-Feldern und nicht in A-, W± - und Z-Feld zu
rechnen.
4.3
Vorwärts-Rückwärts-Asymmetrie
Die Vorwärts-Rückwärts-Asymmetrie beschreibt das Ungleichgewicht zwischen in die
vordere und in die hintere Hemisphäre gestreuten Teilchen bei der elektroschwachen
Wechselwirkung.
Im Grenzfall masseloser Fermionen koppeln nur linkshändige Fermionen an die
W-Bosonen [11]. Infolgedessen können geladene Ströme in zwei gleichstarke Teile
zerlegt werden, von denen sich einer wie ein Vektor und der andere wie ein Axialvektor
transformiert. Dies bezeichnet man als die V-A-Kopplung der schwachen Wechselwirkung. Für neutrale Ströme ist diese Betrachtung nicht möglich, da hier wie oben
erläutert eine Beimischung durch die Hyperladungsgruppe U (1)Y stattfindet, die auch
auf rechtshändige Zustände wirkt. Daher sind die Vektor- und Axialvektoranteile von
20
Z-Bosonen nicht gleich, sondern es gilt für die Kopplungsanteile:
gV
gA
= T3f − 2Qf sin2 θW ,
= T3f .
Hierbei wurde benutzt, daß das Photon ein reines Vektorteilchen ist, für das
γ
γ
= gL
gR
gilt. Wegen der Leptonuniversalität, einem Grundpfeiler des Standardmodells, sind
diese Formeln für alle Generationen gültig. Die Kopplung des neutralen Stromes an
links- bzw. rechtshändige Fermionen ergibt sich daraus zu:
f
gL
f
gR
f
= gVf + gA
= 2T3f − 2Qf sin2 θW ,
f
= gVf − gA
= −2Qf sin2 θW .
Man sieht, daß wie erforderlich nur die elektrische Ladung, aber nicht die schwache
Ladung an rechtshändige Fermionen koppelt.
Bei reinen Vektor- bzw. Axialvektorteilchen gibt es keine Vorwärts-RückwärtsAsymmetrie bei der Berechnung des Wirkungsquerschnittes, wir erhalten einen Term
der Form
dσ
∝ 1 + cos2 θ.
dcosθ
Betrachten wir nun aber Mischungen, so gibt es eine lineare Superposition der Form
8
dσ
∝ 1 + A cos θ + cos2 θ,
dcosθ
3
−B
wobei A ≡ F
F +B die Asymmetrie zwischen der Anzahl in die vordere Hemisphäre
gestreuter (F) und der Anzahl in die hintere Hemisphäre gestreuter (B) Fermionen
beschreibt. Für reinen Photonaustausch erwartet man also A = 0, ein Wert A 6= 0
ist ein sicheres Indiz für eine Beimischung von Z-Austausch. Messungen der VorwärtsRückwärts-Asymmetrie erlauben einen Nachweis der Partizipation des Z an der e+ e− Streuung schon bei deutlich niedrigeren Schwerpunktsenergien als dies durch die Suche
nach einer Erhöhung des Wirkungsquerschnitts möglich wäre. In Abb. 16 erkennt man,
daß der Beitrag
√ des Z-Boson-Austauschs zum Wirkungsquerschnitt bei Schwerpunktsenergien von s = 30 GeV noch sehr klein ist (in der Tat liegt er unter einem Promille),
während schon eine signifikant von Null verschiedene Vorwärts-Rückwärts-Asymmetrie
vorliegt (Abb. 17) und die Interferenz von Photon und Z-Boson klar erkennbar ist.
21
Abb. 16: Wirkungsquerschnitt e+ e− −→ Hadronen [11]
Abb. 17: AF B bei e+ e− −→ µ+ µ− [11]
22
4.4
CKM-Matrix, Neutrino-Mischungsmatrix
An der schwachen Wechselwirkung nehmen, wie schon erläutert, nur linkschirale Fermionen und rechtschirale Antifermionen teil. Im Falle verschwindender Neutrinomassen
gäbe es daher keine rechtshändigen Neutrinos. Bei unseren Ausführungen zur schwachen Wechselwirkung wurde bisher ein wichtiger Punkt vernachlässigt: Quarks nehmen
an der schwachen Wechselwirkung nicht mit ihren Masseneigenzuständen teil. Falls
die Neutrinomassen, wie wir inzwischen vermuten, ungleich Null sind, gilt dies auch
für Leptonen. Wir betrachten zunächst den Quark-Sektor. Eine wichtige Evidenz für
diesen Sachverhalt ist, daß die QED und die QCD, die jeweils an die Masseneigenzustände der Teilchen koppeln, die Flavour-Quantenzahlen (Strangeness etc.) erhalten,
aber der schwache Zerfall K + −→ µ+ ν µ existiert. Der Quarkinhalt des K + ist us, die
Strangenessquantenzahl wird in diesem Prozeß also um 1 vermindert. Dieser Zerfall ist
nur möglich, weil an der schwachen Wechselwirkung Eigenzustände teilnehmen, die
im Vergleich zu den Masseneigenzuständen rotiert sind. Konvention ist es, die downtype-Quarks als rotiert zu betrachten. Vereinfachend betrachten wir zunächst den Fall
nur zweier Generationen. Wir betrachten natürlich nur linkschirale Teilchen, geben dies
im folgenden aber nicht mehr explizit an. Die Eigenzustände der schwachen Wechselwirkung erhält man dann durch
µ 0¶ µ
d
cos θC
=
− sin θC
s0
sin θC
cos θC
¶µ ¶
d
,
s
also durch die Transformationen
d0
s0
= d cos θC + s sin θC ,
= −d sin θC + s cos θC .
θC bezeichnet hierbei den Cabibbo-Winkel, der von Nicola Cabibbo (Abb. 18) eingeführt wurde. Für die schwache Wechselwirkung verantwortlich sind dann also die
Dubletts
µ ¶ µ ¶
u
c
, 0 ,
0
d
s
innerhalb derer die Wechselwirkung stattfindet.
23
Abb. 18: Nicola Cabibbo [12]
Damit ist offenbar, daß die Zerfallsbreite der Zerfälle mit Änderung der Strangenessquantenzahl um ∆S = 1 proportional zu sin2 θC ist, während Prozesse mit ∆S =
0 den Proportionalitätsfaktor cos2 θC besitzen. Unter Vernachlässigung von anderen
Einflüssen, z. B. Masseneffekten, auf die Zerfallsbreiten, können wir eine Bestimmungsgleichung für den Cabibbo-Winkel angeben, die durch Berechnung der Korrekturterme noch verbessert werden kann:
sin2 θC
Γ(K + −→ µ+ ν µ )
= tan2 θC .
∝
Γ(π + −→ µ+ ν µ )
cos2 θC
Somit ist θC experimentell beobachtbar und muß natürlich für alle Prozesse gleich sein,
was wir als Test des Standardmodells verwenden können. Experimente liefern den Wert
θC ' 12.7◦ , wir befinden uns also fast noch im Bereich der Kleinwinkelnäherung, so
daß die qualitative Aussage, daß wenig Mischung stattfindet, möglich ist.
Verallgemeinern wir diese Betrachtungen nun auf alle drei Generationen, so erhalten
wir die Cabbibo-Kobayashi-Maskawa-Matrix (CKM-Matrix):
⎞
⎞ ⎛
⎞⎛
Uud Uus Uub
d
d0
⎝ s0 ⎠ = ⎝ Ucd Ucs Ucb ⎠ ⎝ s ⎠ .
b
b0
Utd Uts Utb
Auch hier sind die Diagonaleinträge wesentlich größer als die Nebeneinträge, Wechselwirkungen innerhalb einer Familie also deutlich wahrscheinlicher als solche mit Verletzung einer Flavourquantenzahl. Letztere werden daher auch als CKM-unterdrückt
bezeichnet.
Es bleibt noch die Anzahl der freien Parameter im Vier-Quark- bzw. Sechs-QuarkSystem zu diskutieren. Die Tranformationsmatrizen müssen in jedem Fall unitär sein,
⎛
24
so daß sie von vier bzw. neun reellen Parametern abhängen können. Phasentransformationen an den Eigenzuständen sind nicht beobachtbar und können in der Transformationsmatrix absorbiert werden. Da es drei bzw. fünf unabhängige solche relative Phasentransformationen zwischen den Wellenfunktionen der verschiedenen Quarks
gibt, bleiben nur ein (Vier-Quark-System) bzw. vier (Sechs-Quark-System) freie Parameter übrig. Im ersten Fall ist dieser Parameter gerade der Cabibbo-Winkel. Im letzteren Fall ist damit klar, daß die Matrix keine reine Rotationsmatrix sein kann, die
ja durch drei freie Parameter, die Euler-Winkel, schon vollständig beschrieben wäre.
Der verbleibende vierte Parameter macht zumindest einige Elemente der CKM-Matrix
komplex und sorgt so schließlich für die CP-Verletzung, die an dieser Stelle nicht besprochen werden soll, aber im Quark-Sektor schon experimentell beobachtet werden
konnte.
Bei nichtverschwindenden Neutrinomassen können solche Überlegungen ganz analog für den Leptonsektor angestrengt werden; man erhält schließlich
µ ¶ µ
¶µ ¶
νe
ν1
sin θm
cos θm
=
− sin θm cos θm
νµ
ν2
für zwei Generationen, wobei ν i , i = 1, 2, die Masseneigenzustände bezeichnen, und
⎞
⎛
⎞
⎛
ν1
νe
⎝ ν µ ⎠ = UMNS ⎝ ν 2 ⎠
ντ
ν3
für drei Generationen. UMNS wird nach ihren Erfindern Maki-Nakagawa-Saki-Matrix
(MNS-Matrix) genannt. Wie auch im Quark-Sektor ist eine weitere Bedingung für
die Mischung im Lepton-Sektor das Nichtverschwinden des Rotationswinkels θm bzw.
der Nebeneinträge der MNS-Matrix. Leptonische CP-Verletzung konnte bisher nicht
beobachtet werden.
5 Alternativen zum Standardmodell
Ein großes Problem des Standardmodells ist, daß es von einer großen Anzahl freier,
theoretisch nicht zugänglicher, sondern ausschließlich experimentell zu bestimmender
Parameter abhängt. Jeweils vier Parameter in CKM- und MNS-Matrix, die zwölf
Fermion-Massen sowie die Higgsmasse und drei Kopplungskonstanten sind mehr Freiheitsgrade als zulässig, damit wir das Standardmodell für ein Letztmodell halten würden. Weitere Probleme wie die unerklärliche Zahl der Generationen (drei) oder die Unvereinbarkeit der Gravitation mit dem Standardmodell führen dazu, nach Erweiterungen des Modells zu suchen. Hierbei hofft man, die drei Kopplungen zu einer gemeinsamen Kopplung vereinheitlichen zu können. Zwei Ansätze sollen hier diskutiert wer25
den, nämlich das Konzept der Grand Unification Theory (GUT) sowie das Konzept der
Supersymmetrie (SUSY).
5.1
Grand Unification Theory
Bei der Grand Unification Theory wird nach einem Energiewert gesucht, oberhalb
dessen die Symmetrie nicht mehr gebrochen ist, also eine einheitliche, universelle
Kopplungskonstante vorherrscht und somit die starke mit der elektroschwachen Wechselwirkung vereinheitlicht ist. Wenn wir die Kopplungen, was sich als physikalisch
sinnvoll erweist, parametrisieren zu α1 = 53 cos2αθW , α2 = sin2αθW , α3 = αs , so zeigt
sich, daß die drei Kopplungen ihre Symmetriebrechung nicht an der gleichen Stelle
erfahren (Abb. 19). Dies ist ein Grund, warum dieses Konzept oft sehr skeptisch gesehen wird. Nichtsdestoweniger müßte eine solche vereinheitlichte Theorie von einer
Symmetriegruppe repräsentiert werden, die die Gruppen der elektroschwachen und der
starken Wechselwirkung als Untergruppen enthält. Die einfachste Gruppe, die dies leistet, ist die SU(5); es gilt also
SU (3)C × SU (2)L × U (1)Y ⊂ SU (5).
Ein wichtiger Vorteil dieser Theorie ist, daß so der Ladungsoperator als Gruppenoperator wirkt und die exakte Gleichheit der Ladungsbeträge von Proton und Elektron
zwanglos erklären kann. Allerdings ist dann auch Protonzerfall möglich, der bisher
nicht beobachtet werden konnte. Aus den experimentellen Grenzen für die Lebensdauer von Protonen ist es möglich, die Vereinheitlichungsgrenze abzuschätzen. Sie
liegt im Bereich von 1015 GeV .
Abb. 19: Energieabhängigkeit der Kopplungskonstanten im Standardmodell [6]
26
5.2
Supersymmetrie
Die Supersymmetrie ist eine innere Symmetrie, deren Generatoren Fermionen und
Bosonen ineinander umwandeln:
Q |F ermioni = |Bosoni , Q |Bosoni = |F ermioni .
Da Fermionen durch vierkomponentige Spinoren dargestellt werden, muß Q auch vierkomponentig sein. Eine Evidenz für die Richtigkeit des grundsätzlichen Konzepts der
Supersymmetrie (es gibt eine große Anzahl von Varianten dieser Theorie) ist, daß es
tatsächlich einen gemeinsamen Vereinheitlichungspunkt aller drei Kopplungskonstanten gibt, der auch mit den Bedingungen durch den Protonzerfall konsistent ist. In
Abb. 20 ist der Verlauf der Kopplungskonstanten für den Fall einer einheitlichen Masse
aller supersymmetrischen Teilchen von 1 TeV skizziert. Diese Massenwahl ist zwar
sehr speziell, der Verlauf der Kurven aber nicht besonders sensitiv auf Änderungen von
Teilchenmassen.
Abb. 20: Energieabhängigkeit der Kopplungskonstanten bei SUSY [6]
Das supersymmetrische Modell erfordert die Existenz von mindestens fünf verschiedenen Higgs-Bosonen, da sonst Divergenzen in Dreiecksschleifen auftreten würden. Um allen Fermionen und ihren skalaren Partnern Masse zu geben, benötigt man
zwei Higgs-Dubletts. Diese besitzen zusammen acht Freiheitsgrade, von denen wiederum drei für die Freiheitsgrade der longitudinalen Polarisation der schweren Eichbosonen benötigt werden. Zu den fünf verbleibenden Freiheitsgraden gehört dann also jeweils ein Higgs-Boson.
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Bibliographie
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C. Berger (2002): Elementarteilchenphysik, Springer, Berlin
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G. Otter, R. Honecker (1996): Atome - Moleküle - Kerne, Bd. 2. Molekül- und
Kernphysik, Teubner, Stuttgart
[3]
Physikdidaktik Erlangen, Web-Kurs ”Grundlagen der Teilchenphysik”,
http://www.didaktik.physik.uni-erlangen.de/grundl_d_tph/exp_besch/exp_besch_06.html
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J. Mnich: Skript zur Vorlesung ”Elementarteilchenphysik”, SS 2003 und WS 2003/04,
RWTH Aachen, http://www.physik.rwth-aachen.de/~roth/eteilchen
[5]
T. Hebbeker: Skript zur Vorlesung ”Proton-(Anti-)Proton-Collider-Physik”, WS 2003/04,
RWTH Aachen, http://www.physik.rwth-aachen.de/~hebbeker/lectures/pp_0304.html
[6]
J. Mnich: Vortrag ”Einführung in das Standardmodell”, 20. April 2001, RWTH Aachen,
http://www.physik.rwth-aachen.de/~fluegge/Vorlesung/Seminare/sem03vortr/vortrag.ps
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F. Halzen, A. Martin (1984): Quarks and Leptons, John Wiley & Sons, New York
[8]
Electroweak Working Group am CERN,
http://lepewwg.web.cern.ch/LEPEWWG/lepww/mw/Winter03/mw_lep.ps
[9]
Electroweak Working Group am CERN,
http://lepewwg.web.cern.ch/LEPEWWG/plots/Winter2003/w03_show_higgs.eps
[10] SLD Collaboration am Stanford Linear Collider,
http://www-sldnt.slac.stanford.edu/alr/weakangle.htm
[11] J. Mnich: Experimental Tests of the Standard Model,
Habilitation an der RWTH Aachen, Phys. Rep. 271 (1996) 181
[12] http://galileo.imss.firenze.it/milleanni/cronologia/biografie/cabibbo%20.html
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