Das Zusammenspiel zwischen menschlichem Handeln und ökologischer Antwort aus wissenschaftlicher Sicht Klement Tockner Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) www.igb-berlin.de Binnengewässer: Einzigartige Ökosysteme (Loire Fluss, Frankreich, Foto: J. Roché) Binnengewässer: Einzigartige Ökosysteme Struktur Lage Dynamik Vernetzung Funktion Service Schutz mosaikartige & lineare Landschaftselemente topographisch tiefsten Stelle der Landschaft Expansion/Kontraktion, rasche Sukzession zu terrestrischen & unterirdischen Systemen Zentren der biologischen Vielfalt vielfältige Ökosystemleistungen stärker gefährdet, als die meisten anderen Ökosysteme www.verlustdernacht.de Alta Integrator/ Akkumulator Loire „Hot spot“ (Biodiversität) Adige Korridor (Fotos : Tockner et al. 2009. Rivers of Europe, and webaviaton) Rhein menschlicher Nutzen Domestizierung von Ökosystemen naturnah reguliert kanalisiert (Fotos : Tockner et al. 2009. Rivers of Europe, and webaviaton) künstlich Domestizierte Ökosysteme Domestizierung bedeutet das „Herauszüchten“ weniger Ökosystemleistungen, die für den Menschen von vorrangigem Nutzen sind, meist zulasten anderer Ökosystemleistungen (nach Tockner et al. 2011. Ecohydrology & Hydrobiology) Große Flüsse als domestizierte Ökosysteme Tagliamento Rhein Dichte (%) Neuartige Lebensgemeinschaften Obere Donau Mittlere Donau Untere Donau (Data: Graf et al. Zitiert in: Sommerwerk et al. 2010. Managing the world s most international river basin: The Danube. Marine and Freshwater Research) Nichteinheimische Fischarten Anzahl exotischer Arten # Einzugsgebiete % exotisch 5 > 50.1 14 > 40.1 36 > 30.1 37 > 20.1 67 > 10.1 92 > 2.8 (N. Sommerwerk et al. In rev.) Schifffahrtskanäle und schiffbare Flüsse schaffen ein biologisches Großeinzugsgebiet Mitteleuropa: 28,000 km schiffbare Flüsse und Kanäle Domestizierte Ökosysteme – neuartige Lebensgemeinschaften Wie formen sich neuartige Lebensgemeinschaften? Was sind die ökologischen, evolutionären und ökonomischen Konsequenzen? Was bedeutet dies für das zukünftige Management unserer Gewässer? Neuartige Stressoren Neuartige Stressoren: Ökologische Konsequenzen der künstlichen Beleuchtung Crash-barrier effect Vacuum-cleaner effect Eisenbeis 2005, Perkin et al. 2011 EU-Wasserrahmenrichtlinie Ökologischer Status HOCH GUT MODERAT GERING SCHLECHT EU-Wasserrahmenrichtlinie Ökologischer Status HOCH GUT MODERAT GERING SCHLECHT EU-Wasserrahmenrichtlinie Ökologischer Status HOCH GUT MODERAT GERING SCHLECHT Stärken und Schwächen der EU-WRRL • Ökologischer Zustand im Zentrum • Einzugsgebiet als Managementeinheit, partizipatorischer Ansatz • Etablierung eines Beobachtungsnetzwerkes (Datenbasis) • Struktur-basiertes Konzept (Arten, chemischer Zustand, nur das Gerinne) • Definition eines Referenzzustandes – als Zielvorgabe für zukünftiges Management wenig geeignet • Konkurrenz zu anderen Richtlinien (Energie, Landwirtschaft, Hochwasserschutz, Klimaschutz) Große Flüsse in Deutschland Wahrscheinlichkeit, einen guten ökologischen Zustand bis 2015 zu erreichen Quelle: Umweltbundesamt Zusammenhang zwischen Biodiversität und Ökosystemfunktion Hooper et al. Science (2012) Schlüssellandschaftselemente entlang von Flussläufen Oder, Reitwein Verteilung an Inseln entlang von Flussläufen (Ricaurte et al. 2012. Freshwater Biology) Inselfläche (ha) Donau Abstand zur Quelle (km) (Ricaurte et al. In Revision) Verteilung an Inseln entlang von Flussläufen Inselfläche (ha) Rhein Abstand zur Quelle (km) Verteilung an Inseln entlang von Flussläufen Rhein Inselfläche (ha) 1809: 170 Inseln Heute: 19 Inseln Abstand zur Quelle (km) Schlüssellandschaftselemente entlang von Flussläufen Inseln stellen Ressourcen, Lebensräume und Refugialbereiche für artenreiche aquatische und terrestrische Lebensgemeinschaften zur Verfügung. Sie erhöhen damit die Elastizität von Flusslandschaften gegenüber anthropogenen Einflussfaktoren. Inseln sind zentrale Orte der Produktion, des Umbaus und des Rückhalts an organischem Material und an Nährstoffen. Als “islands of fertility” (sensu Schade & Hobbie 2005) kontrollieren sie zugleich die Funktion angrenzender Lebensräume. Inseln integrieren hydrologische, geomorphologische und ökologische Prozesse. Sie können als Landschaftsindikatoren von Flussläufen verwendet werden. Inseln in Schifffahrtsstraßen Donau Oder-Spree-Kanal Managementoptionen Schutz Revitalisierung Anpassung (Fotos : Tockner et al. 2009. Rivers of Europe, and webaviaton) Gestaltung Schlussbemerkungen Die meisten europäischen Flüsse stellen domestizierte Ökosysteme dar – geformt durch den Menschen und abhängig von kontinuierlichen Erhaltungsmaßnahmen. Domestizierte Ökosysteme sind durch neuartige Stressoren geprägt und von Lebensgemeinschaften besiedelt, die keine gemeinsame Entwicklung aufweisen. Eine Herausforderung ist es, die zukünftige Zusammensetzung von Lebensgemeinschaften zu prognostizieren sowie die evolutionären, ökologischen und ökonomischen Konsequenzen abzuschätzen. Wir müssen sorgfältig die bestehenden Schutz- und Managementstrategien überdenken und laufend anpassen (z.B. Referenz-basierte Strategien, Mensch als integraler Teil der Ökosysteme, funktionsbasiertes Management). Traditionelle Naturschutzansätze müssen durch Interventionsmaßnahmen komplementiert und vermehrt sogar ersetzt werden. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit www.igb-berlin.de www.freshwaterbiodiversity.eu www.riverscience.eu www.verlustdernacht.de (Tagliamento Fluss, Friaul, Italien Ein IGB-Freilandexploratorium von europäischer Bedeutung)