musik & bildung Praxis Georg Biegholdt Claude Debussy: La Mer Aneignung eines Musikstücks mit Hilfe musikbezogener Aktionen: Recherche, Parakomposition, Bewegung, Vergleich, Hören, Malen Die SchülerInnen erhalten den Auftrag, sich vorbereitend auf die nächste Musikstunde Gedanken darüber zu machen, welche Bewegungen sich im Meer bzw. auf der Meeresoberfläche ereignen können (Strömung, Wellen, Spritzer, Strudel …). Darüber hinaus sollen sie sich per Lexikon, Internet, CD-Cover usw. über Claude Debussy informieren. Entsprechend vorbereitet sollten sie zur nächsten Musikstunde erscheinen und vielleicht sogar schon eine Verbindung zwischen den beiden Aufgaben gefunden haben: Debussys Komposition La Mer. 14 Einstieg A – Parakomposition zum ganzen Stück Es werden kleine Gruppen gebildet (maximal je fünf SchülerInnen). Diese Gruppen erhalten das Arbeitsblatt M 2 und folgende Aufgabe: „Entwickelt mit OrffInstrumenten (je nach Vorkenntnissen der SchülerInnen auch mit anderen Instrumenten oder der Stimme) ein Musikstück zu diesem Ablauf. Notiert es mit Zeichen (gegebenenfalls auch Noten für ein ausgedachtes Motiv) und übt es so, dass ihr es vorführen könnt.“ Für die Be- arbeitung dieser Aufgabe werden wenigstens dreißig Minuten Zeit benötigt. Getrennte Räumlichkeiten sind gut, aber nicht notwendig. (Erfahrungsgemäß hören die SchülerInnen nur noch, was in ihrer Gruppe passiert, sobald sie sich in die Erfüllung der Aufgabe vertieft haben.) Anschließend führen die Gruppen ihre Musikstücke vor. Es werden unterschiedliche Kompositionen sein, die aber durchaus auch Ähnlichkeiten haben. Während der Arbeit können die SchülerInnen Erfahrungen sammeln in Bezug musik & bildung Praxis auf die Umsetzung (nicht nur) klanglicher Phänomene in eigenen musikalischen Ausdruck. Einstieg B – Parakomposition zu einzelnen Teilen Es wird anhand einer Overhead-Folie (M 2) die Gesamtaufgabenstellung erläutert. Anschließend bilden die SchülerInnen sieben annähernd gleich große Gruppen. Sollten in einer besonders klei- nen Klasse weniger Gruppen gebildet werden, bleiben Gestaltungsaufgaben unbesetzt; das ist nicht weiter problematisch. Jede Gruppe erhält einen Einzelkasten aus M 2 (ausschneiden). Das Materialblatt M 2 sollte dazu vergrößert werden. Um die Aufgabe zu realisieren, benötigen die SchülerInnen höchstens zehn Minuten Zeit. Im Anschluss führen die Gruppen in loser Reihenfolge ihre Teile kommentarlos auf. Variante: Reflektion Erst bei einem zweiten Durchlauf geben die jeweils anderen vier Gruppen ihren Tipp ab, welcher Abschnitt von der jeweiligen Gruppe gerade musiziert wird. Die Auflösung kann unmittelbar erfolgen, oder die Gruppen notieren ihre Vermutungen, und erst in einer dritten Runde wird bekannt gegeben, welche Gruppe welchen Teil musiziert hat. Dabei sollte auch darüber reflektiert werden, wie und mit welchen Mitteln es der Gruppe gelungen ist, den gewünschten Effekt zu erreichen. ren still auf ihren Platz zurück. So entsteht der Eindruck eines sich beruhigenden Meeres und gleichzeitig ist alles wieder da, wo es hingehört. Variante: Bewegung Eine andere Möglichkeit besteht darin, zum Musizieren der Schülergruppen jeweils eine andere Schülergruppe mit Tüchern eine Wellenbewegung ausführen zu lassen. Gruppe 2 bewegt sich zur Musik von Gruppe 1, Gruppe 3 zu Gruppe 2 usw. Dies ist besonders reizvoll, wenn Mit Debussys „Spiel der Wellen“ bekannt machen die tanzende Gruppe zwar die möglichen Gestaltungsaufträge der musizierenden Gruppe kennt, jedoch nicht weiß, welchen konkret sie nun umsetzt. So lässt sich durch die Bewegung der tanzenden SchülerInnen doch recht deutlich erkennen, inwieweit der Musizierauftrag erfüllt ist. Abschließend werden die Teile zu einer von den SchülerInnen zu bestimmenden Reihenfolge zusammengefügt, wobei bruchlose Übergänge sicherlich zunächst geübt werden müssen, ehe ein geschlossenes Musikstück entsteht. Ein ganz praktischer Schlusspunkt dieses Teils könnte es sein, ein sich immer mehr beruhigendes Meer mit den Orffoder auch anderen Instrumenten zu imitieren. In Abständen nacheinander (ohne Absprache der Reihenfolge) bringen die SchülerInnen ihr Instrument in den Schrank oder das Regal zurück und keh- könnte. Diese Vorstellung können sie jetzt anwenden, wenn es darum geht, die einzelnen Teile des Stücks „Spiel der Wellen“ aus Debussys La Mer zuzuordnen. Dazu wird das gesamte Musikstück (mit Ansagen zur Gliederung oder in Einzelhörbeispiele zergliedert) kommentarlos angehört. Erst in einer zweiten Runde soll eine Zuordnung erfolgen. Die Aufgabe kann an die Gruppen gehen („Welcher Ausschnitt stellt euren Teil der Musik dar?“) oder an jeden einzelnen („Ordne die Ausschnitte zu!“ – M 3). Ein drittes Hören wird nach jedem Ausschnitt unterbrochen durch die Auflösung und die gemeinsame Suche nach den Mitteln, die uns veranlassen, die jeweilige Bewegung zu unterstellen. (Eine andere Zuordnung als die von der Lehrkraft vorausgedachte bzw. hier vorgeschlagene ist selbstverständlich auch möglich.) Die SchülerInnen haben nun eine Vorstellung davon, wie ein Musikstück, das die möglichen Bewegungen an der Meeresoberfläche umsetzen soll, klingen 15 musik & bildung Praxis Umsetzung in Bewegung Malen zur Musik Abschluss Verschiedene Umsetzungen mit Bewegung über die Bewegungsvariante (siehe Einstieg) hinaus sind denkbar. Ob ältere SchülerInnen jedoch bereit zur Bewegung sind, ist bei dieser Art Musik nicht unbedingt als gegeben vorauszusetzen. Bei jüngeren SchülerInnen sollte es jedoch möglich sein, sich mit (möglichst blauen) Tüchern ins Verhältnis zur Musik zu setzen. Hier kann jede Gruppe „ihr Stück“ von Debussys „Spiel der Wellen“ tänzerisch begleiten mit dem Effekt, dass sie sich in ihren Teil der Musik noch besser hineinversetzen können und die übrigen Teile mittels der Bewegung ihrer MitschülerInnen gezielter wahrnehmen. Ein anderer Gedanke ist, von Anfang an jeder Gruppe den Auftrag zu geben zu musizieren (ein kleinerer Teil der Gruppe) und sich zu bewegen (der übrige Teil der Gruppe). Man sollte in diesem Fall jedoch größere Gruppen bilden (mit ca. sechs oder sieben SchülerInnen). Es bleiben dann einige Gestaltungsaufgaben übrig. Die Zuteilung kann auf Wunsch oder auch per Los erfolgen. Eine weitere Möglichkeit ist der umgekehrte Weg: In der beschriebenen Weise stellt eine Schülergruppe die verschiedenen Zustände laut Arbeitsblatt mit Tüchern dar. Die übrigen SchülerInnen musizieren mit Orffinstrumenten nach dieser Vorgabe, das Tempo und die Kraft der sich bewegenden Gruppe aufnehmend. Diese Variante könnte man nach dem eigenen Musizieren in den Gruppen einschieben, sie könnte aber auch nach dem Hören des Stücks von Debussy erfolgen. Eine Tapetenbahn liegt diagonal im Musikraum (oder auf dem mehr Platz bietenden Gang). Sie ist eingeteilt in so viele Abschnitte, wie SchülerInnen anwesend sind. Auf den Abschnitten liegen verschiedene Fettkreiden oder dicke Filzstifte bereit. Die SchülerInnen stehen oder sitzen auf einer Seite der Bahn. Der erste Schüler kniet am ersten Abschnitt. Während er zur Musik, deren Bewegung aufnehmend, malt, kommt der zweite Schüler an den zweiten Abschnitt. Die „Übergabe“ der Bewegung erfolgt, wenn die auf der anderen Seite stehende Lehrkraft einen Schritt zum nächsten Abschnitt macht. (Dazu hat er vorher die knapp sechseinhalb Minuten durch die Anzahl der SchülerInnen geteilt und weiß deshalb, dass bei 20 Schülern jeder von ihnen 19 Sekunden Zeit zum Malen hat; dies verfolgt er auf einer Uhr mit Sekundenzeiger.) Nach der Übergabe nimmt der erste Schüler wieder seinen Platz in der Gruppe ein und der nächste begibt sich zu seinem Abschnitt. Wichtig ist, dass immer alle eine gute Sicht haben – es ist unheimlich spannend zu beobachten, was der Mitschüler da gerade macht, und seine eigenen Gedanken dazu in Beziehung zu setzen. Auch wenn bei dieser Umsetzung von Musik der Prozess das eigentlich Entscheidende ist, kann sich das Ergebnis oft sehen lassen: Es entsteht eine grafische Partitur zu dem Stück „Spiel der Wellen“. (Nach dieser könnte man nun wieder musizieren …) Nach dem Bewusstmachen der vielfältigen Möglichkeiten, Bewegung (hier die Bewegung der Wellen) darzustellen, wird das Debussy-Stück ein weiteres Mal im Ganzen gehört. Durch die intensive Beschäftigung sollte für die SchülerInnen noch einmal ein neues Hörerlebnis entstehen, da nach der intensiven Auseinandersetzung mit dem Gegenstand das intensive und zielgerichtete Hören besonders angeregt ist. Audio-Teil Claude Debussy: La Mer – „Spiel der Wellen“ HB 1: Brett tanzt auf den Wellen HB 2: Sonne, Wolken, kleine Wellen HB 3: Strudel HB 4: Wasser glättet sich HB 5: Große Welle kommt HB 6: Sturm zieht auf HB 7: Meer im Mondlicht Die einzelnen Tracks hintereinander gespielt ergeben das ganze Stück. musikpaedagogik-online.de • Arbeitsblätter als PDF-Datei Warum ist es empfehlenswert, die Teile bzw. Ausschnitte zunächst kommentarlos zu hören? Die verschiedenen Klangqualitäten (langsam oder schnell, langsamer oder schneller werden, laut oder leise, lauter oder leiser werden, Ruhe oder Bewegung usw.) werden im Vergleich viel besser deutlich. So ist zum Beispiel erst nach vergleichendem Hören möglich, über schnell oder langsam zu entscheiden. Ein einzel- 16 ner Ausschnitt kann unterschiedlich wahrgenommen werden – als langsam, aber auch als schnell. Erst durch den Vergleich ist für alle eindeutig, was schnell und was langsam ist. Darüber hinaus gibt es noch die Möglichkeit, nach dem Prinzip „Wenn dies A ist, dann kann jenes nur noch B sein …“ zu verfahren. musik & bildung Praxis M1 Claude Debussy Der 1862 in Saint-Germain-en-Laye geborene Debussy begann als Achtjähriger Klavier zu spielen. Nach einer intensiven Ausbildung entschloss er sich im Alter von 18 Jahren, Komponist zu werden. In Nadeshda von Meck fand er eine Mäzenin, die zuvor bereits Peter Tschaikowsky gefördert hatte. Zahlreiche erfolgreiche Kompositionen (darunter der berühmte Nachmittag eines Fauns) machten Debussy weltbekannt. Er starb im Alter von 55 Jahren an Krebs. La Mer Bild: Katsushika Hokusai 1823-1829 Das 1905 uraufgeführte Werk La Mer fand zunächst nicht die ungeteilte Zustimmung des Publikums. Es zeichnet sich unter anderem durch freie Tonalität und einen unkonventionellen Umgang mit der Harmonik aus. Als Tonmaterial verwendet Debussy einfache Dur- und Molltonleitern, Kirchentonarten, Ganztonleitern und die Pentatonik, um eine ganz eigene Klangpolyfonie zu erschaffen. Dissonanzen werden oft nicht aufgelöst oder gar durch Bitonalitäten verstärkt. Dies alles macht das Stück auch heute noch zu etwas zunächst ziemlich „Sperrigem“. Debussy selbst wollte keine naturalistische klangliche Darstellung des Meers erschaffen, sondern hat dessen Klänge musikalisch nachgeahmt, sie sozusagen in seine eigene musikalische Sprache übersetzt. Sein abstraktes Ziel war die Darstellung der Unfasslichkeit und des leidenschaftlichen Charakters des Meers. Dies schließt jedoch nicht aus, Deutungen zu finden, die sich an den drei Satzbezeichnungen „Von der Morgendämmerung bis zum Mittag auf dem Meer“, „Spiel der Wellen“ und „Zwiesprache von Wind und Meer“ orientieren können. Es heißt, dass das Meer Debussy seit seiner Kindheit faszinierte und er als Junge Matrose werden wollte. Zu seinem Werk inspiriert wurde er aber wahrscheinlich auch von den Bildern des englischen Malers Turner und des japanischen Grafikers Hokusai, dessen Bild Hinter der großen Woge von Kanagawa auf dem Einband der Erstausgabe von La Mer wiedergegeben war. 17 musik & bildung Praxis M2 Unsere Musik: Wellen unter dunklem Himmel, die Sonne blitzt manchmal hindurch und färbt für einen kurzen Moment die Wellen golden. Aus den sanften Wellen wird ein Strudel, der sich wieder beruhigt und wieder stärker wird und sich wieder beruhigt und noch einmal stärker wird. Unsere Musik: Unsere Musik: Nach unruhigen kleinen Wellen glättet sich die Oberfläche, dann kräuselt sie sich, das Wasser bäumt sich auf und eine große Woge rollt heran. Unsere Musik: Eine große Welle rollt heran, bricht sich, das Wasser strömt ruhig zurück, um sich zu neuen Wellen aufzutürmen. Unsere Musik: Ein Sturm zieht herauf, das Meer wird immer bewegter, große Wellen rollen heran, die Gischt spritzt. Unsere Musik: 18 Das Meer liegt still im Mondlicht, nur ab und zu kräuselt eine Windböe die Wasseroberfläche. Unsere Musik: Alle Fotos: Friedrich Neumann ! Erfindet mit Orffinstrumenten euren Teil des Musikstücks. Notiert eure Musik mit Zeichen oder auch Noten und übt sie so, dass ihr sie vorführen könnt. Ein Brett tanzt auf den Wellen hin und her und wird schließlich gegen einen Felsen geschleudert. musik & bildung Praxis M3 ! Nummeriere, in welcher Reihenfolge du die Teile zuordnen würdest. Ein Brett tanzt auf den Wellen hin und her und wird schließlich gegen einen Felsen geschleudert. Wellen unter dunklem Himmel, die Sonne blitzt manchmal hindurch und färbt für einen kurzen Moment die Wellen golden. Aus den sanften Wellen wird ein Strudel, der sich wieder beruhigt und wieder stärker wird und sich wieder beruhigt und noch einmal stärker wird. Nach unruhigen kleinen Wellen glättet sich die Oberfläche, dann kräuselt sie sich, das Wasser bäumt sich auf, und eine große Woge rollt heran. Eine große Welle rollt heran, bricht sich, das Wasser strömt ruhig zurück, um sich zu neuen Wellen aufzutürmen. Ein Sturm zieht herauf, das Meer wird immer bewegter, große Wellen rollen heran, die Gischt spritzt. Das Meer liegt still im Mondlicht, nur ab und zu kräuselt eine Windböe die Wasseroberfläche. La Mer – Ausschnitte und Deutungsvorschläge 0:00 - 0:44 0:44 - 1:19 1:19 - 2:15 2:15 - 3:02 3:02 - 4:15 4:15 - 5:30 5:30 - 6:26 Ein Brett tanzt auf den Wellen hin und her und wird schließlich gegen einen Felsen geschleudert. Wellen unter dunklem Himmel, die Sonne blitzt manchmal hindurch und färbt für einen kurzen Moment die Wellen golden. Aus den sanften Wellen wird ein Strudel, der sich wieder beruhigt, wieder stärker wird und sich wieder beruhigt, dann noch einmal stärker wird. Nach unruhigen kleinen Wellen glättet sich die Oberfläche, dann kräuselt sie sich, das Wasser bäumt sich auf, und eine große Woge rollt heran. Eine große Welle rollt heran, bricht sich, das Wasser strömt ruhig zurück, um sich zu neuen Wellen aufzutürmen. Ein Sturm zieht herauf, das Meer wird immer bewegter, große Wellen rollen heran, die Gischt spritzt. Das Meer liegt still im Mondlicht, nur ab und zu kräuselt eine Windböe die Wasseroberfläche. (Bezogen auf eine Aufführungsdauer von 6:26 min, z. B. in Die Klassiksammlung von DeAGOSTINI Nr. 11 von 1993; kann bei anderen Aufnahmen leicht abweichen.) 19