Das Standardmodell der Teilchenphsik (Eine Einführung) Abstract Dieser Vortrag ist eine phänomenologische Annäherung an das Standardmodell der fundamentalen Wechselwirkungen. Aufbauend auf den zugrundeliegenden Gruppensymmetrien sollen die elegante mathematische Formulierung des Standardmodells und einige Experimente zur Verifizierung der Theorie vorgestellt werden. Abschließend wird ein Ausblick auf weiterfürende Theorien gegeben, die das heutige Bild der Teilchenphysik abrunden. Moderne Methoden/Experimente der Teilchen- und Astroteilchenphysik Wintersemester 01/02 Lars Finke Physikalische Institute RWTH Aachen I. Einleitung Aus heutiger Sicht wird die Teilchenphysik sehr genau im Standardmodell der Elementarteilchen und der fundamentalen Wechselwirkungen beschrieben. Das Standardmodell liefert ein sehr elegantes theoretisches Modell, welches hochpräzise Tests bis zu einem Niveau < 0.1% besteht. Unter Elementarteilchen versteht man die punktförmigen, d.h. elementaren Bausteine der Materie ohne Unterstruktur (Radius < 10-18 - 10-19 m). Es existieren 2 Typen, die Materieteilchen selbst und die Austauschteilchen. Erstere sind die Fermionen, d.h. Spin-1/2 Teilchen, die man in Leptonen und Quarks unterteilt. Innerhalb der Leptonen unterscheidet man die masselosen Neutrinos1 mit Ladung Null und das Elektron, Myon und Tauon mit Ladung -1, die sich wiederum in ihrer Masse unterscheiden. Die Neutrinos nehmen ausschließlich an der schwachen Wechselwirkung teil, während die geladenen Leptonen sowohl schwach, als auch elektromagnetisch wechselwirken können. Die Quarks sind dadurch ausgezeichnet, dass sie zusätzlich stark wechselwirken können. Entsprechend den Leptonen gibt es 6 unterschiedliche Quarks oder flavors. Die Quarks haben drittelzahlige Ladung. Der zweite Typ Elementarteilchen sind die sogenannten Austauschteilchen oder Bosonen. Läßt man die Gravitation außeracht, werden alle relevanten Wechselwirkungen durch den Austausch von Bosonen mit Spin 1 beschrieben. Das Photon ist das Austauschteilchen der elektromagnetischen Wechselwirkung, die starke Wechselwirkung wird durch 8 Gluonen vermittelt und die drei schwachen Bosonen W+, W- und Z sind die entsprechenden Austauschteilchen der schwachen Wechselwirkung. Die elektromagnetische Wechselwirkung wird extrem genau durch die QED beschrieben. Als älteste Quantenfeldtheorie ist sie bis heute gut verstanden und überaus erfolgreich. Mit ihr lassen sich elektromagnetische Prozesse störungstheoretisch in allen Ordnungen von α berechnen. Zwei wesentliche Eigenschaften der QED sind die Eichinvarianz und Renormalisierbarkeit. Erstere bedingt die Möglichkeit, die Phase eines Fermionfeldes frei zu wählen, während die Renormalisierbarkeit dazu führt, divergente Terme aufgrund von Selbst-Energie-Anteilen aufzuheben und somit präzise Berechnungen zu gestatten. Der große Erfolg der QED lässt vermuten, dass alle fundamentalen Feldtheorien eichinvariant und renormalisierbar sein sollten. Vergleicht man die Reichweiten und Stärken der drei Wechselwirkungen, beobachtet man ein sehr unterschiedliches Verhalten, entsprechend den Eigenschaften der Austauschbosonen. Das masselose Photon bedingt die unendliche Reichweite der elektromagnetischen Wechselwirkung, die sehr kurze Reichweite der schwachen Wechselwirkung (~10-18 m) korrespondiert mit dem Austausch massiver Bosonen. Die starke Wechselwirkung hat keine unendliche Reichweite, wie der Austausch masseloser Bosonen zunächst impliziert. Die zusätzliche Eigenschaft des ,confinement' führt hier zu einer endlichen Reichweite in der Größenordnung ~10-15 m. Die Stärke der elektromagnetischen Wechselwirkung wird durch die Kopplungskonstante e oder äquivalent α beschrieben, wobei α bei niedrigen Energien durch die Feinstrukturkonstante gegeben ist, α = e 2 / 4πε 0 !c = 1 / 137 . Die schwache Wechselwirkung hat, ebenfalls bei niedrigen Energien, eine Stärke gegeben durch die Fermikonstante GF=1.167 10-5 GeV-2. Der Name der starken Wechselwirkung rührt von der vergleichsweise stärkeren Kopplung, gegeben durch die Kopplungskonstante αs, die bei kleinen Energien etwa den Wert 1 annimmt und für sehr hohe Energien verschwindet. Das letzte Limit bedeutet, dass Quarks sich wie frei Teilchen verhalten, wenn man sie bei sehr hohen Energien, gleichbedeutend mit sehr kurzen Distanzen, beobachtet (asymptotische Freiheit). 1 Im minimalen Standardmodell wird die Neutrinomasse Null gesetzt. 2 II. Symmetrien Aus theoretischer Sicht ist das Standardmodell eine Quantenfeldtheorie, die auf der SU(3)C × SU(2)L × U(1)Y Eichsymmetrie basiert. Diese Eichgruppe enthält die Symmetriegruppe der starken Wechselwirkung, SU(3)C und die Symmetriegruppe der elektroschwachen Wechselwirkung, SU(2)L × U(1)Y. Die Symmetriegruppe der elektromagnetischen Wechselwirkung, U(1)em, erscheint im Standardmodell als eine Untergruppe der SU(2)L × U(1)Y. In diesem Sinn sind die schwache und elektromagnetische Wechselwirkung zur elektroschwachen Wechselwirkung vereint. Die Existenz von Symmetrien spielt eine bedeutende Rolle in der Teilchenphysik. Eine Symmetrie U liegt vor, wenn das betrachtete physikalische System invariant unter der Transformaton U bleibt, d.h. wenn der Hamiltonoperator invariant ist: UHU+ = H. Die unabhängigen Erzeugenden einer Symmetrie bilden die algebraische Struktur einer Gruppe. Man spricht dann von Symmetriegruppen. Die im Standardmodell enthaltenen Symmetriegruppen gehören zu den kontinuierlichen Symmetrien, d.h. die Parameter nehmen im Gegensatz zu diskreten Symmetrien (z.B. Parität, Ladungskonjugation, Zeitumkehr) kontinuierliche Werte an. Weiter beziehen sich diese Symmetrien auf die inneren Quantenzahlen und nicht etwa auf die Raum-Zeit-Koordinaten wie z.B. bei Rotationen. Innere Symmetrien transformieren also ein Teilchen in ein anderes mit unterschiedlichen inneren Quantenzahlen aber derselben Masse2. Ein bekanntes Beispiel ist die SU(2) Isospin Symmetrie der Kernkräfte. Das Proton und das Neutron sind in erster Näherung ununterscheidbar bezüglich der Kernkraft. Man ordnet ihnen eine zusätzliche innere Quantenzahl, den Isospin zu. Die Invarianz unter einer Isospintransformation U impliziert nun die Existenz eines entarteten Isospinmultipletts. Die Transformation U kann man schreiben: Gl. (1) [ 3 U ( Θ ) = exp i ∑a =1 Θ aTa ] Wobei die Ta (a=1..3) die 3 Generatoren der SU(2) und Θa die kontinuierlichen Parameter der Transformation sind. Die SU(2) Gruppe enthält den Satz unitärer 2 × 2 Matrizen mit Determinante 1. Bekanntlich ist die SU(2) Isospin Symmetrie keine exakte Symmetrie, weil die Massen von Proton und Neutron nicht exakt gleich sind. So ist die Massendifferenz innerhalb des Multipletts ein Indikator für die Symmetriebrechung. Zurück zum Standardmodell: Die zugrundeliegenden Symmetriegruppen SU(2)L, U(1)Y und SU(3)C unterscheiden sich noch durch ein wichtiges Merkmal von oben vorgestellter SU(2) Isospin: Sie alle sind lokale Eich-Symmetrien. Im Gegensatz zu den globalen Symmetrien (SU(2) Isospin) hängen hier die kontinuierlichen Parameter der Transformation explizit von den Raum-Zeit-Koordinaten ab. Darauf beruht das wichtige Eichprinzip lokaler (Eich-) Symmetrien: ψ sei ein physikalisches System, dessen Dynamik durch die Lagrangedichte L beschrieben wird und invariant unter einer globalen Symmetrie G ist. Soll nun diese globale Symmetrie auch lokal gelten, transformiert die zunächst freie Theorie in eine selbstwechselwirkende Theorie. Um nun Invarianz unter lokaler Transformation zu gewährleisten, führt man sogenannte Vektorbosonfelder oder auch Eichfelder ein, die mit dem Feld ψ in eichinvarianter Weise wechselwirken. Die Anzahl der Eichfelder und die spezielle Form dieser eichinvarianten Wechselwirkungen hängen von den Eigenschaften der Symmetriegruppe G ab. So ist die Anzahl der assoziierten Eichbosonenfelder gleich der Anzahl der Generatoren der Symmetriegruppe G. 2 gilt nur bei ungebrochenen Symmetrien 3 III. Die Eichtheorien Als Paradebeispiel einer Eichtheorie schauen wir uns die QED genauer an: Man startet mit einem freien Dirac-Feld ψ mit Spin s=1/2, Masse m und Ladung Qe. Die zugehörige Lagrangedichte lautet: Gl.(2) ( ) L = Ψ ( x ) i∂/ − m Ψ ( x ) Führt man nun eine lokale Eichtransformation U(1) durch, d.h. lässt man den Parameter Θ explizit vom Raum-Zeit Punkt x abhängen, transformiert das Feld folgendermaßen: Gl.(3) Ψ [ → ] exp iQΘ ( x ) Ψ Die Lagrangedichte L ist jetzt nur invariant gegen diese Transformation, wenn man ein zusätzliches Eichfeld, in diesem Fall das Photonenfeld Aµ einführt, welches selbst unter der U(1) transformiert und den Extraterm, verursacht durch ∂µ Θ ≠ 0, kompensiert: Gl.(4) Aµ → Aµ − 1e ∂ µ Θ ( x ) Der einfachste Weg, um eine eichinvariante Lagrangedichte zu konstruieren, geschieht durch die Ersetzung der normalen Ableitung ∂µ durch die sogenannte kovariante Ableitung Dµ: Gl.(5) ∂µ Ψ → ( ) Dµ Ψ ≡ ∂ µ − ieQAµ Ψ Die neue, eichinvariante Lagrangedichte der QED lautet dann: Gl.(6) ( ) µν ( x) L = Ψ ( x ) iD / − m Ψ ( x ) − 14 Fµν ( x ) F QED mit Fµν = ∂ µ Aν − ∂ν Aµ wobei zusätzlich noch der kinetische Photonenterm Fµν Fµν enthalten ist, der seinerseits eichinvariant ist. Die Forderung nach Invarianz unter lokaler Eichtransformation führt hier zu einer Kopplung des Feldes ψ (z.B. Elektronen) und dem Eichfeld Aµ (Photonen) - oder anders: Die Existenz und Wechselwirkung des Photons folgt in der QED aus der geforderten Eichsymmetrie. Darin liegt die grosse Bedeutung der Eichthorien, die, wie wir weiter unten sehen werden, auch bei der starken und elektroschwachen Wechselwirkung die Austauschbosonen, ihre Wechselwirkungen und deren Selbstwechselwirkung vorhersagen. QCD - die starke Wechselwirkung Die QCD basiert auf der Eichsymmetrie der starken Wechselwirkung, genauer der lokalen Transformation im Farbraum (3 Dimensionen), welche die Lagrangedichte invariant lassen. Die Eichgruppe, die durch diese Farbtransformationen erzeugt wird, ist die nicht-abelsche Lie-Gruppe SU(3)C. C steht für „color“ und die 3 für die 3 möglichen Farbzustände der Quarks. Die Gluonen sind die Eichbosonen dieser Symmetrie; es gibt 8 verschiedene, entsprechend der Anzahl der SU(3) Generatoren. Die Konstruktion der invarianten Lagrangedichte für die QCD läuft nun analog zu der Vorgehensweise der QED, zusätzlich müssen nur noch die Eigenschaften der nicht-abelschen Gruppe SU(3) berücksichtigt werden. 4 Die lokale Eichtransformation lautet hier: Gl. (7) [ ] λ q ( x ) → exp iΘα ( x ) 2α q ( x ) Dabei sind die λα/2 die Generatoren der SU(3), α = 1,2,...,8. In der üblichen Darstellung sind die λα die Gell-Mann Matrizen. Einführung der kovarianten Ableitung mit Kopplung des Gluonfeldes Aµα an die Quarkfelder q: Gl.(8) ( ) λ α Dµ q ≡ ∂ µ − ig s 2α Aµ q q1 , q = q 2 q 3 wobei die Transformation des Gluonfeldes die lokale Eichinvarianz gewährleistet. Gl.(9) αβγ α α α Aµ → Aµ − g1s ∂ µ Θ + f Θ Aµγ β Im Unterschied zum Photonfeld enthält Gl.(9) wegen der nicht verschwindenen Strukturkonstanten fαβγ einen Selbstkopplungsterm des Gluonfeldes. Die Lagrangedichte lautet jetzt: Gl.(10) ( ) α µν L = ∑ q ( x ) iD / − mq q ( x ) − 14 G µν Gα QCD q αβγ α α α G µν ≡ ∂ µ Aν − ∂ µ Aµ + g s f A Aνγ µβ Der kinetische Term des Gluonfeldes enthält einen bilinearen Term, wie er einer nicht-abelschen Gruppe eigen ist. Dies führt dazu, dass alle Teilchen, die Farbe tragen, miteinander wechselwirken können, die Gluonen also auch mit sich selbst. Die Gluonen sind zugleich Träger und Teil des Farbfeldes, im Unterschied zu den Photonen, die das Photonenfeld zwar erzeugen aber nicht direkt selbstwechselwirken können. Abb. (1) Selbstwechselwirkungs-Vertices bei der QCD (rechts) im Vergleich zur QED (links). Die Eichtheorie der elektroschwachen Wechselwirkung Zur Beschreibung der elektroschwachen Wechselwirkung wird die Symmetriegruppe SU(2)L × U(1)Y benutzt, die eine lokale Symmetrie der elektroschwachen Lagrangedichte sein muss. SU(2)L ist die schwache Isospingruppe, die nur auf linkshändige (L) Fermionen wirkt; U(1)Y ist die schwache Hyperladung-Gruppe (Y). Die SU(2)L × U(1)Y Gruppe hat vier Generatoren, drei sind die SU(2)L Generatoren, Ti=σi/2 (σi sind die Pauli-Matrizen; i=1,2,3) und der vierte ist der U(1)Y 5 Generator, Y/2. Zur Beschreibung der Fermionen werden also neben der Ladung Q, der schwache Isospin T3 sowie die schwache Hyperladung Y benutzt. Tabelle 1 gibt Aufschluss über die FermionQuantenzahlen. Den Zusammenhang zwischen diesen drei „Ladungen“ liefert die Gell-Mann Nishijima Relation: Gl.(11) Q=T + 3 Lepton νL eL eR Y 2 T 1/2 1/2 0 T3 1/2 -1/2 0 Q 0 -1 -1 Y -1 -1 -2 Quark T 1/2 uL 1/2 dL 0 uR 0 dR T3 1/2 -1/2 0 0 Q 2/3 -1/3 2/3 -1/3 Y 1/3 1/3 4/3 -2/3 Tab. (1) Fermion-Quantenzahlen der ersten Familie. Die Fermionen der 2. und 3. Familie haben dieselben Quantenzahlen wie die entsprechenden der 1. Familie. Die den Generatoren zugehörigen Eichbosonen heißen Wµi, i=1,2,3 (SU(2)L) und Bµ (U(1)Y). Eine Besonderheit der schwachen Wechselwirkung ist, dass sie nur auf linkshändige Fermionen wirkt, deswegen transformieren diese als Dubletts unter SU(2)L, während rechtshändige Fermionen als Singletts transformieren: f Gl.(12) f L ν L u L = , d ,... e L L R = e , u , d ,... R R R Die lokale Eichtransformation der Fermionfelder lautet damit: f f Gl.(13) f f [ ] [ ] [ ] L → && exp iTΘ ( x ) f R → f → exp i Y2 α ( x ) f → exp i Y2 α ( x ) f L R R L L R bzgl. SU(2)L bzgl. U(1)Y Die Lagrangedichte konstruiert man sich nun auf dieselbe Art und Weise wie schon zuvor bei der QCD und QED. Die kovariante Ableitung wird eingeführt, wobei wieder links- und rechtshändig unterschieden werden muss: Gl.(14) ( ( ) & & = ∂ µ − ig σ2 Wµ + ig ′ Y2 Bµ f L L Dµ f = ∂ µ + ig ′ Y2 Bµ f R R Dµ f ) Hier treten nun zwei Kopplungskonstanten auf, g und g', wobei g die Kopplungskonstante der SU(2)L 6 ist und g' entsprechend der U(1)Y zugehörig ist. Die Eichfelder trnasformieren selbst, um die lokale Eichinvarianz zu gewährleisten. Ähnlich dem Gluonfeld enthält die Transformation des W-Feldes nicht verschwindene Strukturkonstanten und somit eine Selbstkopplung. Ursache hierfür ist wieder in der nicht-vertauschenden Symmetriegruppe, hier der SU(2)L zu suchen. Gl.(15) ijk j k i i i Wµ → Wµ − 1g ∂ µ Θ ( x ) + ε Θ Wµ Bµ → Bµ − g1′ ∂ µ α ( x ) In der so konstruierten Lagrangedichte der elektroschwachen Wechselwirkung sind die Selbstwechselwirkungs-Vertices wieder in den kinetischen Termen der Eichfelder enthalten. µν 1 µν i L = ∑ f iD / f − 14 Wµν W − 4 Bµν B i elektroweak f =l ,q Gl.(16) ijk j k i i i Wµν ≡ ∂ µ Wν − ∂ν Wµ + g ε Wµ Wν Bµν ≡ ∂ µ Bν − ∂ν Bµ Abb. (2) SelbstwechselwirkungsVertices der elektroschwachen Wechselwirkung. Die physikalisch beobachtbaren Eichbosonen Wµ±, Zµ, Aµ (Photon), d.h. die Masseneigenzustände, erhält man aus den elektroschwachen Eigenzuständen durch Rotation um den schwachen Winkel ΘW: ( Gl.(17) 1 2 ± Wµ = 1 Wµ # iWµ 2 ) Aµ cos Θ w Z = sin µ − Θw ⋅ Bµ 3 cos Θ w Wµ sin Θ w Auch die Kopplungen g und g' sind durch diesen Winkel bestimmt: Gl.(18) g = e sin Θ w ; g′ = e cos Θ w IV. Die Lagrangedichte des Standardmodells Nun sind wir in der Lage, die Lagrangedichte des Standardmodells anzugeben. Nach den bisherigen Überlegungen sollte sie die Dynamik der Fermionen, d.h. ihre kinetische Energie und Wechselwirkung mit den Austauschbosonen enthalten, sowie als zweiten Anteil einen Term, der die 7 freie Propagation der Eichfelder inklusive Selbstwechselwirkung beinhaltet. Nicht betrachtet bis hierhin sind jedoch die Massenterme für Fermionen und Bosonen, die nicht „von Hand“ eingeführt werden können, weil die Massenterme für Fermionen die Form mΨΨ haben, was kein SU(2)L Singlett ist und deshalb die Invarianz von L verletzt. Für Bosonen sind die Massenterme proportional m2AµAµ, was nicht invariant unter der Eichtransformation des Feldes A ist. Abhilfe schaffen zwei zusätzliche Terme in der Lagrangedichte, nämlich der Yukawa-Anteil und der Higgs-Term. Der Yukawa-Anteil erzeugt die Massenterme der Fermionen durch eine Kopplung des Higgs-Feldes an die Fermionen, während dem Higgs-Mechanismus zur Erzeugung der Bosonmassen das Konzept der spontanen Symmetriebrechung zugrunde liegt. Die Lösung des Massenproblems führt also auf zwei zusätzliche invariante Terme in der Lagrangedichte, ein zusätzliches SU(2)L Dublett, das Spin-0 Higgs Feld wird eingeführt: LSM = Lfermion + Lgauge + Lhiggs + Lyukawa = ∑ Ψ iD / Ψ + ∑ Ψ iD / Ψ ΨL L µ L ΨR R µ R µν 1 µν 1 α µν i L gauge = − 14 Wµν W − 4 Bµν B − 4 G µν Gα i L Gl.(19) fermion Auf das Konzept der spontanen Symmetriebrechung und dem darauf basierenden HiggsMechanismus soll im folgenden kurz eingegangen werden. Ein physikalisches System hat eine Symmetrie, die spontan gebrochen ist, wenn L invariant unter der Symmetrietransformation ist, der Vakuumzustand (= Grundzustand) der Theorie aber nicht. Als illustratives Beispiel wird oft ein unendlich ausgedehnter Ferromagnet mit einer Temperatur nahe der Curie-Temperatur TC herangezogen. Ein solches System wird durch unendlich viele elementare Spins beschrieben, deren Wechselwirkungen rotationsinvariant sind. Der Grundzustand enthält aber zwei unterschiedliche Situationen in Abhängigkeit von der Temperatur T. Für T>TC ist die Spinausrichtung zufällig, die mittlere Magnetisierung damit gleich Null; der Grundzustand ist hier rotationsinvariant. Wird nun die Temperatur abgesenkt auf T<TC, so sind die Spins plötzlich ausgerichtet, sie haben eine bestimmte, aber willkürliche Richtung. Das System wählt einen aus unendlich vielen möglichen Grundzuständen aus (spontane Magnetisierung). Keiner dieser Grundzustände ist rotationsinvariant, da es eine ausgezeichnete Richtung gibt. Man spricht von spontaner Symmetriebrechung. Abb.(3) illustriert dies nocheinmal anhand eines Potentialmodells. In Bild b) sieht man unendlich viele Minima, die den unendlich vielen entarteten Grundzuständen entsprechen. Es ist die Wahl des bestimmten Grundzustandes, der die Symmetriebrechung der Rotationssymmetrie erzeugt. Abb. (3) Potentialmodell zur Veranschaulichung der spontanen Symmetriebrechung. Bild (a) entspricht der Situation T>TC. Das Potential hat hier eine symmetrische Struktur und ein einziges Minimum. Bild (b), T<TC hat die „maxican hat“ Form mit unendlich vielen entarteten Minima. Anwendung auf den Fall des Standardmodells führt zu folgender Symmetriebrechung: Gl. (20) SU(2)L × U(1)Y → U(1)em Die U(1)em muss erhalten bleiben, weil es eine Symmetrie des physikalischen Spektrums ist. Sie 8 muss also auch eine Symmetrie des Vakuums bleiben. Man hat verschieden Möglichkeiten Gl. (20) zu erfüllen. Der sogenannte minimale Higgs-Sektor umfasst ein Potential, welches analog zum Fall des Ferromagneten konstruiert wird. Die Lagrangedichte des Higgs-Sektors lautet: L Gl. (21) higgs φ + iφ 2 ,Φ = 1 φ + iφ 3 4 ( ) (D Φ ) − V (Φ ) + = Dµ Φ µ 2 + + 2 V (Φ ) = − µ Φ Φ + λ Φ Φ ( ) ,λ > 0 Minimalisierung des Potentials, Wahl eines speziellen Minimums (spontane Symmetriebrechung) und Ausnutzung der SU(2)L - Invarianz führt schließlich zu dem zusätzlichen SU(2)L Dublett, welches das Higgs-Boson φ(x) enthält: Gl. (22) Φ( x) = 1 [v + φ ( x ) ] 2 0 mit v = µ 2 λ Setzt man dies nun in Lhiggs ein, bekommt man die Massenterme der Bosonen. Gl.(23) M Mγ = 0 M H = 2µ = 2λv M W = 12 vg 2 2 = 12 v g + g ′ Z Alle Massen sind nur von einem einzigen Massenparameter ν und den Kopplungen g, g' abhängig. Mit Gl.(18) folgt: Gl.(24) 2 W sin Θ = 1 − 2 M Z M 2 Diese Beziehung wird zum Test des Standardmodells genutzt. Eine kurze Bemerkung zum Higgs-Boson: Die Postulierung des Higgs-Feldes erlaubt zwar eine Zuordnung der Massen zu den Teilchen, das Higgs-Boson selbst bleibt aber im Standardmodell völlig unbestimmt. Seine Masse MH und die Selbstkopplung λ sind wieder über den Parameter ν verknüpft: 2 H λ = 2 2v M Gl. (25) 9 V. Experimentelle Tests des Standardmodells Experimenteller Test der QCD Die Feldtheorie der starken Wechselwirkung basiert auf der SU(3)C, also auf der Symmetriegruppe im 3-dimensionalen Farbraum. Eine experimentelle Bestätigung des Farbfreiheitsgrades kann man in einem Vergleich zweier Reaktionen suchen, in denen zum einen Leptonen entstehen (kein Freiheitsgrad Farbe) und im Vergleichsfall ein Quark-Antiquark Paar (deren zusätzlicher Farbfreiheitsgrad postuliert wird). Man betrachtet z.B. folgendes Verhältnis: + − σ ( e e → qq → Hadronen ) R = + − + − σ (e e → µ µ ) Gl.(26) Können die Quarks drei unterschiedliche Farbzustände (Rot, Grün, Blau) annehmen, muss man im Feynmandiagramm über die möglichen Kobinationen rr , bb , gg summieren und der + − Wirkungsquerschnitt σ ( e e → qq → Hadronen ) erhöht sich um den Faktor 3. Abb. (4) Feynmangraph zur Reaktion e+e- → Hadronen Für das Verhältnis R bedeutet dies: 2 ∑e i R = 2 ⋅N C eµ Gl.(27) wobei im Zähler eine Summation über die Ladung der unterschiedlichen Quarkflavors erfolgt und im Nenner ist eµ2 = 1. NC ist der hypothetische Color-Faktor, der im Vergleich mit dem Experiment die Anzahl der möglichen Farbzustände angibt. Im einzelnen ergibt sich für Rth bei einer Schwerpunktsenergie größer 10 GeV (u, d, s, c, b Quarks sind beteiligt): Gl.(28) R th ( s > 10GeV ) = [(23 )2 + (23 )2 + (13 )2 + (13 )2 + (13 )2 ]⋅ NC = 11 ⋅ N 9 C Abbildung (5) zeigt das experimentelle Ergebnis, das für NC den Faktor 3 bestätigt. Die Konstanz der Größe R ist zusätzlich ein Beweis für die punktförmige Natur der Quarks. 10 Abb. (5) Das Verhältnis R in Abhängigkeit der Schwerpunkstenergie. PETRA, DESY. Eine weitere wichtige Bestätigung der Quantentheorie der starken Wechselwirkung war die direkte Beobachtung der Gluonen. Abbildung (6) zeigt zwei Multijet-Ereignisse in der e+e- Annihilation. Abb. (6) Zwei mögliche Multijet Ereignisse in der e+e- Annihilation Der elementare Prozess ist der in (a). Das Elektron und das Positron annihilieren zu einem QuarkAntiquark Paar, gefolgt von der Fragmentation der Quarks zu Hadronen. Bei Schwerpunkstenergien von ca. 30 GeV werden typischerweise 10 Hadronen, meist Pionen, produziert. Abb. (7) Entsprechend Abbildung (6) ist links das 2-Jet und rechts das 3-Jet Ereignis zu sehen, wobei der dritte Jet durch ein abgestrahltes Gluon verursacht wird. JADE Experiment, DESY. Ähnlich wie bei der QED die Abstrahlung virtueller Photonen zu Vertexkorrekturen oder Vakuumpolarisation führt, kann ein Quark, bevor es fragmentiert, ein „hartes“ Gluon abstrahlen. Trägt dieses Gluon einen hohen Anteil der Quarkenergie und hat es einen großen Transversalimpuls, so strahlt es unter einem großen Winkel ab, fragmentiert später selbst zu einem Hadronjet und man beobachtet drei Jets. In Abbildung (7) sind diese beiden Konkurrenzereignisse gut zu unterscheiden. 11 Test der elektroschwachen Theorie Betrachtet man z.B. die Winkelverteilung der Reaktion e+e- → µ+µ- , so beobachtet man eine Interferenz zweier möglicher Austauschprozesse. Abbildung (8) zeigt die führenden Feynmangraphen dieser Reaktion. Neben dem dominanten Photonaustausch, trägt die im Vergleich zum γ-Austausch bei niedrigen Energien ( s << m ) unterdrückte Reaktion über einen Austausch eines Z0 Teilchens auch wesentlich zur Winkelverteilung bei. Z Abb. (8) Führende Feynman-Graphen der Reaktion e+e- → µ+µ- Der differentielle Wirkungsquerschnitt besteht also aus einem dominanten Anteil einer elektromagnetischen Reaktion, einem kleinen Anteil der schwachen Wechselwirkung und zusätzlich Interferenzen zwischen diesen beiden. Dabei hat dσ/dΩ (QED) die einfache Form: Gl.(29) dσ dΩ ( (QED ) ∝ 1 + cos 2 Θ ) Θ ist der Emissionswinkel der Myonen. Die Winkelverteilung in Abb.(9) hat die generelle (1+cos2Θ) Struktur, ist aber ein wenig in Vorwärtsrichtung verschoben und nicht mehr symmetrisch wie im Fall der rein elektromagnetischen Reaktion. dσ d cos Θ Abb. (9) Vorwärts-Rückwärts Asymmetrie, verursacht durch die elektroschwache Interferenz in der Reaktion e+e- → µ+µ- . PETRA, DESY. Diese Abweichungen werden durch die Interferenz der Z0 Amplitude mit der γ Amplitude verursacht. Man spricht von einer Vorwärts-Rückwärts-Asymmetrie A. Auf den totalen Wirkungsquerschnitt wirkt sich diese Asymmetrie nicht aus, das Integral über beide Kurven ist nämlich gleich. Abbildung (10) zeigt den Verlauf der Asymmetrie in Abhängigkeit von der Energie. Bei Energien 12 0 s << m und s >> m kommt die beobachtete Asymmetrie A durch die γ/Z Interferenz zustande. Bei Energien s = m wird A im wesentlichen durch die Z0 Amplitude bestimmt. Der Austausch des ungeladenen Z0 Teilchens, man spricht auch von „neutral current“ (NC), hat eine sogenannte V-A Struktur. Er besteht also aus einem Vektor- und einem Axialvektoranteil. Die Kopplungen des NC an Fermionen sind für beide Anteile unterschiedlich. Tabelle (2) gibt die entsprechenden Kopplungen wieder. Z Z Z gV gA νe , νµ , ντ 1/4 1/4 e, µ, τ -1/4+sin2ΘW -1/4 Tab. (2) Die zwei Kopplungskonstanten gV und gA bei Kopplung eines neutralen Stroms NC. NC hat ungleiche Amplituden für V und A. Als Konsequenz ist der NC paritätsverletzend, was zu der Asymmetrie führt. In Abbildung (10) ist diese Asymmetrie bei s = m nicht sichtbar, aber Reaktionen geladener Leptonen unter Beteiligung des Z0 Austausches, bei denen die Kopplungskonstanten gV und gA aus der Asymmetrie bestimmt werden können, werden als sehr sensitiver Tests des Standardmodells genutzt. Z Abb. (10) Verlauf der Asymmetrie in Abhängigkeit der Energie bei Reaktionen geladener Leptonen. DELPHI, LEP. Es ergibt sich eine experimentelle Bestimmungsgleichung für sin2ΘW, die für geladene Leptonen nur von den Kopplungskonstanten gV und gA abhängt (vergleiche Gl.(24)): Gl.(30) 2 sin Θ = W 1 1 − 4 l g V l g A In Abb.(11) ist cA gegen cV aufgetragen (cA/V = 2 gA/V). Diese werden aus Asymmetriemessungen bestimmt und liefern so einen experimentellen Wert für sin2ΘW, der dann mit dem Wert aus den Massenmessungen (Gl.(24)) verglichen werden kann. 13 Abb. (11) Die erlaubten Bereiche für cV und cA aus zwei verschiedenen Experimenten, einmal aus der ElektronNeutrino Streuung (links) und der e+e- Annihilation (oben). Die gefundenen Werte liefern einen Wert für sin2ΘW, der konsistent mit dem Standardmodell ist. Z-Resonanz Neben den wichtigen Massenbestimmungen der Z0 -, W± - Bosonen, kann man aus Messung der Resonanzen, beispielsweise der Z0 -Resonanz, weitere wichtige Merkmale des Standardmodells prüfen. So ist beispielsweise die Anzahl der Fermionfamilien aus Messung der Partialbreiten auf 3 beschränkt. Betrachtet wird wieder die e+e- Annihilation, jetzt in der Nähe der Z-Resonanz, d.h. bei Energien s=mZ². Dabei ist der dominante Beitrag e+e- → Z0 → X. Der Wirkungsquerschnitt lässt sich mit Hilfe der Breit-Wigner Formel angeben: Gl.(31) σ total ( ) + − e e → X = 4π ( 2 J z + 1) Γ Γ Z →e+e− Z → X 2 2 2 2 (s − m ) + m Γ Z Z Z Abbildung (12) zeigt die Z-Resonanz bei Fragmentation in geladene Leptonen bzw. Hadronen. Entsprechend Gl.(31) hat die Kurve ein Maximum bei (s)1/2 = mZ mit Breite mZΓZ. Abb. (12) Die Z-Resonanz bei e+e- Vernichtung in Hadronen und geladene Leptonen. Aktuelle experimentelle Werte (2001): MZ = 91.1875 ± 0.0021 GeV ΓZ = 2.4952 ± 0.0023 GeV LEP, CERN. 14 Die Höhe ist proportional zu den Partialbreiten Γ(Z → e+e-) und Γ(Z → X). Für X=Hadronen lassen sich aus den Partialbreiten neben den Kopplungen gV und gA zusätzlich noch der Color-Faktor NC ablesen. Gl.(32) ( ) 2 2 Γ ∝ g +g N V A C X = Hadronen Betrachtet man die Partialbreiten für den Zerfall in Hadronen und geladene Leptonen genauer, so machen diese Zerfalskanäle gerade 80% der totalen Zerfallsprodukte des Z0 aus. Die einzigen anderen möglichen Zerfälle (in niedrigster störungstheoretischer Ordnung) sind Zerfälle in NeutrinoAntineutrino Paare. Damit hat man insgesamt für die totale Zerfallsbreite: Gl.(33) ( 0 → Hadronen ) + 3Γ(Z 0 → l +l − ) + Nν Γ(Z 0 → ν lν l ) Γ =Γ Z Z Der Faktor 3 vor dem Zerfallskanal in geladene Leptonen kommt dadurch zustande, dass man nur 3 unterschiedliche Leptonen beobachtet. Neutrinos sind viel schwieriger direkt nachzuweisen, der Faktor Nν steht also für die Anzahl möglicher Neutrinoflavors. Den Anteil Z0→ Neutrinos kann man theoretisch im Standardmodell berechnen und Gl.(33) liefert dann mit den experimentellen Daten für die anderen Zerfallsbreiten: Nν = 2.9841 ± 0.0083. Das steht in guter Übereinstimmung mit den 3 bekannten Neutrinos und entsprechend 3 Fermionfamilien. Eine Einführung weiterer Familien mit identischen Eigenschaften stellt formal kein Problem dar. Jedoch müsste ein 4. Neutrino (mit mν < 1/2mZ) eine entsprechende Zerfallsrate des Z0 produzieren. Abb.(13) zeigt nocheinmal die Z0 Resonanz in der e+e- Paarvernichtung in Hadronen. Die Kurven entsprechen Vorhersagen des Standardmodells für 2, 3, 4 Neutrinogenerationen. Abb. (13) Z-Resonanz mit Vorhersage für 2, 3, 4 Fermiongenerationen im Vergleich mit experimentellen Daten. Radiative Korrekturen Das Standardmodell macht eine Vielzahl von Vorhersagen in Abhängigkeit des einen Parameters sin²ΘW. Quantitativ erhält man aus den Massen der Z-, W-Bosonen sin²ΘW = 0.22162 ± 0.00064 und aus den Kopplungskonstanten gV und gA: sin²ΘW = 0.23152 ± 0.00017. Beide Werte, entnommen aus völlig unterschiedlichen Experimenten, stimmen qualitativ überein, haben jedoch eine relative Abweichung von über 15 sigma. Der Grund dafür liegt in der Vernachlässigung radiativer Korrekturen. Abbildung (14) zeigt zwei Beispiele solcher radiativer Korrekturen ∆. Im linken Bild ist die Korrektur proportional ln(MH), im rechten proportional Mt². 15 Abb. (14) Beispiele für radiative Korrekturen, die einen erheblichen Einfluss auf Messergebnisse haben können. Abbildung (15) zeigt nun die erlaubte Region für die Kopplungen gV und gA im Rahmen des Standardmodells unter Berücksichtigung der radiativen Korrekturen. Die Fläche innerhalb der schwarzen Ellipse gibt den aus Präzisionsmessungen für alle geladenen Leptonen am LEP begründeten erlaubten Wert innerhalb einer Standardabweichung an. Die schraffierte Fläche rührt von Messungen der Top-Quark Masse für ein Intervall möglicher Higgsmassen. Der Punkt weit außerhalb der erlaubten Region markiert den erwarteten Wert ohne Berücksichtigung radiativer Korrekturen. Abb. (15) Erlaubte Regionen der Kopplungskonstanten gV und gA. Aus Präzisionsmessungen am LEP, CERN (Sommer 2001) Ebenfalls aufgrund von Strahlungskorrekturen sind die Kopplungskonstanten der fundamentalen Wechselwirkungen nicht konstant, sondern hängen von den Impulsüberträgen der beteiligten virtuellen Prozesse ab. Im Rahmen der QED emittiert und reabsorbiert eine Testladung im Vakuum ständig virtuelle Photonen, die e+e- Paare erzeugen können (Vakuumpolarisation). Im Fall der starken Wechselwirkung entstehen analog virtuelle Quark-Antiquark Paare, zusätzlich können wegen der nicht-abelschen Symmetrie aber auch Gluon-Gluon Paare gebildet werden. Deswegen ist der Verlauf der Kopplungskonstanten in beiden Fällen völlig verschieden. Abbildung (16) zeigt den Vergleich der experimentellen Daten mit den Vorhersagen des Standardmodells für die Kopplungskonstante der starken Wechselwirkung αS. Zusätzlich zur starken Abhängigkeit αS = αS(q²), sieht man, dass αS für sehr große Impulsüberträge gegen Null läuft, was im Einklang damit steht, dass sich Quarks bei sehr kleinen Distanzen wie freie Teilchen verhalten (asymptotische Freiheit). Umgekehrt wird αS für kleine Impulsüberträge, d.h. große Distanzen, sehr groß. Dies entspricht dem „confinement“. 16 Abb. (16) Der Verlauf der Kopplungskonstanten αS der starken Wechselwirkung. Die horizontale Linie steht für ein konstantes αS, was im Widerspruch zum Experiment steht. VI. Grenzen des Standardmodells - Ausblick Wie wir gesehen haben, ist das Standardmodell der Teilchenphysik in der Lage, die beobachtbaren Fermionen, Eichbosonen und die 3 fundamentalen Wechselwirkungen (abgesehen von der Gravitation) in eine physikalisch-mathematische Theorie zu verpacken, die hochpräzise Tests überaus erfolgreich besteht. Trotzdem bleiben noch viele Fragen offen. So kann man zwar zeigen, dass es nur 3 Generationen von Quarks und Leptonen gibt, die Frage nach dem „warum?“ stellt sich aber umgehend und bleibt ungeklärt. Genauso kann man fragen, ob es eine Beziehung zwischen Quarks und Leptonen gibt, beispielsweise warum haben das Elektron und das Proton genau entgegengesetzte Ladungen aber sonst so unterschiedliche Eigenschaften? Weiter ist das Higgsboson unumgänglich, um die Richtigkeit des Standardmodells zu bestätigen, es ist aber experimentell noch nicht nachgewiesen worden. GUT – Grand unified theories Ein Hauptproblem beim Verständnis der fundamentalen Wechselwirkungen liegt in deren Zahl und der verschiedenen Kopplungen. Die elektroschwache Theorie postuliert eine einzige Wechselwirkung zur Beschreibung elektromagnetischer und schwacher Prozesse und die spontane Symmetriebrechung, um die unterschiedlichen scheinbaren Stärken in den Energiebereichen unterhalb der Massen der Austauschbosonen zu berücksichtigen. GUT postuliert nun weitere Symmetriebrechungsprozesse, um die relativ große Stärke der starken Wechselwirkung bei niedrigen Energien mit einer einzigen intrinsischen Kopplung für alle drei Wechselwirkungen an der Vereinigungsschwelle zu vertragen. In Abbildung (17) ist der Verlauf der Kopplungen in Abhängigkeit der Energie gezeigt. Extrapolation? Abb. (17) Verlauf der Kopplungen bis zu extrem hohen Energien. In dieser Extrapolation steckt implizit drin, daß die Physik unverändert bleibt bis zu Energien in der Größenordnung 1015 GeV. 17 Führt man die Extrapolation bis zum Schnitt der drei Graphen durch, erreicht man Energien in der Größenordnung 1014 – 1015 GeV, an denen nur eine Kopplung, deshalb auch nur eine fundamentale Wechselwirkung existieren soll. Der GUT sollte also eine sehr hohe Symmetrie zugrunde liegen, die bei niedrigen Energien gebrochen ist und das derzeitige Teilchenmodell enthält. Im einfachsten Fall liefert die Gruppe SU(5) diese Symmetrie, die entsprechend der 24 Generatoren auch 24 Eichbosonen verlangt. 12 davon sind die bereits bekannten 8 Gluonen, W+, W-, Z und das Photon. In dieser Theorie kommen zusätzlich noch die sogenannten Leptoquarks hinzu YR, YG, YB mit Q = -1/3 und XR, XG, XB mit Q = - 4/3 plus Antiteilchen. Das besondere an den Leptoquarks ist, dass sie Quarks und Leptonen ineinander umwandeln können, was die Frage verwirft, warum es eigentlich diese zwei verschiedenen Arten von Materieteilchen in der Natur gibt. Abb. (18) Die Leptoquarks X, Y können Quarks und Leptonen ineinander umwandeln. Diese relativ einfache und elegante Vereinigungstheorie wird jedoch durch ein einfaches Experiment inkonsistent. So hätte die Umwandlung der Quarks in Leptonen den Zerfall des Protons als Konsequenz. Das Proton könnte unter Berücksichtigung der Erhaltungssätze in ein Meson und ein Lepton zerfallen, beispielsweise in ein Pion und ein Positron: Abb. (19) Der Zerfall des Protons nach p → e+π0 ist im Rahmen der SU(5) Vereinigungstheorie erlaubt. Berechnet man die Protonlebensdauer in diesem Modell (die Kopplung und die Massen der Leptoquarks werden am Vereinigungspunkt angenommen: MX,Y ∝ 1014 GeV), so ergibt sich τp ≈ 2⋅1028 – 6⋅1030 Jahre, während aktuelle Messungen (z.B. Kamiokande) eine untere Grenze von 5⋅1032 Jahren nahelegen. Supersymmetrie - SUSY Diese einfachste Version einer Vereinigungstheorie führt also nicht zum Ziel; eine genauere Betrachtung der Extrapolation der 3 Kopplungen bis zur Vereinigungsenergie zeigt zudem, daß sich die drei Kurven gar nicht in einem Punkt schneiden, wenn man den Teilcheninhalt des Standardmodells zugrunde legt. Einen grossen Schritt zur Lösung dieses Problems macht die Theorie der Supersymmetrie (SUSY). Hier werden neue Teilchen postuliert, die Teilchenanzahl wird verdoppelt. Im einzelnen erhält jedes Fermion einen supersymmetrischen Bosonpartner und jedes Boson einen supersymmetrischen Fermionpartner. Die Namen dieser Partner werden dadurch konstruiert, daß man ein „s“ vor die Namen der Fermionen setzt und ein „ino“ hinter die Bosonnamen. Tabelle (2) zeigt einen Überblick über die so gebildeten neuen Teilchen. 18 Tab. (2) Die supersymmetrischen Teilchen und ihre Partner. In Abbildung (20) ist nun der Verlauf der Kopplungen im Standardmodell mit dem im SUSY-Modell verglichen. Da in dem theoretisch berechneten Verhalten der Kopplungen die Anzahl der LoopTeilchen, also der beteiligten Bosonen (s. Abschnitt „radiative Korrekturen“) eingeht, ändert sich der Verlauf der Kopplungen im SUSY-Modell und man erreicht einen Schnitt aller drei Kurven tatsächlich in einem Punkt. SUSY SM Abb. (20) Extrapolation der Kopplungskonstanten von der Z-Masse bis zur GUT-Skala. α1 entspricht g’ , α2 steht für g und α3 ist gS, wobei die Doppellinie die Unsicherheit in gS berücksichtigt. Im Rahmen der Supersymmetrie wird eine neue Quantenzahl, die R-Parität eingeführt. Die alten Teilchen haben R = +1, die neuen supersymmetrischen Teilchen R = -1. Das Produkt der R-Paritäten bleibt erhalten. Daraus folgt eine wichtige Konsequenz, die beim Auffinden der bislang rein hypothetischen SUSY-Teilchen behilflich ist. So kann ein schweres supersymmetrisches Teilchen A in ein leichteres B und seinen „normalen“ Partner A zerfallen gemäß: A → B + A. Dabei wird die RParität nicht verletzt (beide Seiten –1). Das leichteste supersymmetrische Teilchen B kann nicht in ein anderes supersymmetrisches Teilchen zerfallen, kann aber wegen der R-Paritätserhaltung auch nicht in normale Teilchen zerfallen (B → A + B führt wegen R(B) = -1 ungleich R(A+B) = 1 zum Widerspruch). Das bedeutet, daß das leichteste supersymmetrische Teilchen stabil sein muss. Theoretisch ist es schwer zu entscheiden, welches das leichteste SUSY-Teilchen ist, man nimmt aber an, daß das ganze Universum nach dem Urknall davon erfüllt ist. Es müsste neutral und schwach wechselwirkend sein, sonst hätte man es schon entdeckt. Ein möglicher Kandidat ist das Photino, welches einmal entstanden nicht mehr zerstört werden kann. Einen möglichen Entstehungsweg zeigt Abbildung (21). Bislang ist aber ein solches Ereignis noch nicht beobachtet worden. 19 Abb. (21) Ein möglicher experimenteller Test zur Beobachtung des möglicherweise leichtesten supersymmetrischen Teilchens, des Photinos. Das SUSY – Modell ist tatsächlich ein aussichtsreicher Kandidat, um hinter die Grenzen des Standardmodells zu blicken. Man erreicht eine Vereinigung der drei Wechselwirkungen, sogar die Gravitation kann mit eingebunden werden. Ebenso werden Fermionen und Bosonen miteinander verbunden. Leider fehlt aber aktuell noch jeglicher experimentelle Beweis. VII. Abschließende Bemerkungen Das Standardmodell ist eine der erfolgreichsten Theorien in der Physik. Basierend auf einer Eichtheorie hat es viele neue und entscheidende Vorhersagen gemacht. Als Beispiel seien nocheinmal die Existenz der Austauschbosonen, deren Kopplungen und Massen genannt, die präzise vorausgesagt werden und in aüßerst präzisen wie aufwendigen Experimenten bis zu einer Genauigkeit von ca. 0,1 % bestätigt werden konnten. Einzig die Existenz des Higgsbosons, hervorgegangen aus der spontanen Symmetriebrechung, konnte bislang nicht verifiziert werden. Allerdings gibt es bereits wichtige Hinweise darauf, dass es nur eine Frage der Zeit sein wird, das Higgsboson zu entdecken. So ist das Intervall möglicher Higgsmassen (extrahiert aus einer globalen Zusammenfassung aller theoretischen Vorhersagen und bereits vorhandener experimenteller Ober- und Untergrenzen) schon so stark eingeschränkt, dass man damit rechnet, spätestens mit Inbetriebnahme des LHC Beschleunigers am CERN (im Jahr 2006), diesen letzten Baustein des Standardmodells zu finden. Abgesehen vom experimentellen Nachweis des Higgsteilchens kann man von theoretischer Seite anmerken, dass dem Standardmodell zwar eine äußerst elegante mathematische Theorie zugrunde liegt, aber vor allem die noch relativ grosse Zahl der freien Parameter und ungelöste Fragen wie z.B. Anzahl der Fermionfamilien und Wechselwirkungen insgesamt ein noch unbefriedigendes Bild liefern. Es sind bereits eine Reihe von Alternativen formuliert worden, wie die beiden vorgestellten weiterführenden Theorien GUT und Supersymmetrie oder auch die Stringtheorie. Jede für sich kann im Standardmodell ungeklärte Fragen teilweise beantworten, keine liefert bislang ein absolut konsistentes Bild und vor allem fehlt für jede dieser alternativen Theorien jeglicher experimentelle Beweis. 20