Wer war Varus? - Arminiusforschung

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Wer war Varus?
Im Jahre 7 n. Chr. erhielt Publius (?) Quinctilius Varus, der zuvor Legat in Syrien gewesen war, vom
Kaiser Augustus das Kommando über Germanien. Er löste damit Tiberius, den späteren Kaiser, als
Oberbefehlshaber in Germanien ab. Er hatte den Auftrag den Eingliederungsprozess abzukürzen, eine römische
Verwaltung aufzubauen und den Germanen trotz der bestehenden Verträge römisches Recht aufzuzwingen.
Das Gebiet zwischen Rhein und Elbe galt offenbar bereits als so sicher,
dass Augustus glaubte, es der Leitung des militärisch unerfahrenen Mannes
anvertrauen zu können. Doch der friedliche Schein trog. Der Cheruskerfürst
Arminius bereitete einen Aufstand der germanischen Provinzbewohner vor.
Im Herbst des Jahres 9 griff Arminius Varus und seine Truppen an und
vernichtete drei römische Legionen. Varus konnte seinem Auftrag nicht im
geringsten erfüllen. Vielmehr war in seiner Person die Niederlage gegen
Arminius begründet, die dazu führte, dass sich Rom aus Germanien
zurückziehen musste.
Welche Gründe gab es für sein Scheitern? War es sein Unvermögen oder
war es die Fehleinschätzung des Kaisers Augustus? Oder war er der
falsche Mann zum falschen Zeitpunkt am Falschen Ort?
Hier geben uns die antiken Geschichtsschreiber und Historiker Antworten,
deren Glaubwürdigkeit vorab untersucht werden soll.
Cassius Dio (griechischer Historiker, geb. um 155, gest. 235 n. Chr.) schöpfte sein Wissen wohl aus den
(gefärbten?) Senatsberichten und war selbst von deren Wahrheitsgehalt nicht überzeugt (s. Dio Buch 53, Kapitel 19
und Buch 54, Kapitel 15). Warum sollten auch die Senatsberichte den tatsächliche Sachverhalt unverfälscht
wiedergeben, wenn gleichzeitig die Überlebenden der Varusschlacht aus Rom ins lebenslange Exil verbannt wurden
und es alle Autoren zu Lebzeiten des Augustus verboten war über dieses Ereignis zu berichten.
Velleius Paterculus (röm. Geschichtsschreiber, geb. 20 v. Chr., gest. 30 n. Chr., einziger Zeitzeuge) neigte,
abgesehen von seinem ganz besonderen Mitteilungsstil, zu einer positiven Beurteilung des Tiberius unter dem er als
Reiteroberst, Stabsoffizier und Legat in Syrien und Germanien gedient hatte. Vielfach wird er als Lobredner und
Schmeichler des Tiberius abgetan.
Cornelius Tacitus (röm. Geschichtsschreiber, geb. 55, gest. 116 n. Chr.) schreibt, er plane, alles ohne Zorn und
Vorliebe (sine ira et studio, s. Ann. I/1) zu überliefern, weil ihm dazu jeder Grund fehle und er wolle der schlichten
und unentstellten Wahrheit den Vorzug geben (s. Ann. IV/11). Trotzdem erkennt man hin und wieder seine
Voreingenommenheit, zeichnet er doch hier und da ein
tiberiusfeindliches Bild.
Über die anderen zitierten antiken Geschichtsschreiber sind mir
solche einordnenden Gesichtspunkte nicht bekannt, obwohl es
auch sie geben wird.
Falls im Folgenden der Eindruck entstehen sollte, einige
Aussagen zum Charakterbild des Varus, zu seinem militärischen
und verwaltungsmäßigen Handeln, seien von den Darstellungen
der genannten historischen Geschichtsschreiber vorbelastet,
sollte dies bei der Lektüre berücksichtigt werden.
Varus hatte die nach über einjähriger Ehe noch „unberührte“
Ehefrau des Augustus, Claudia Pulchra, geheiratet und den
Triumvirn Oktavian dadurch aus einer peinlichen Situation erlöst.
Claudia Pulchra war die Tochter des Publius Clodius Pulcher und der Fulvia, der späteren Ehefrau des Antonius.
Augustus hatte sie geheiratet, um den mit Antonius in Bononia geschlossenen Vertrag auch durch eine familiäre
Bindung zu festigen.
Als sich die Beziehungen zu Fulvia und Antonius nach kurzer Zeit jedoch zunehmend verschlechterten, schickte
Augustus sie mit der Bemerkung, sie sei noch unberührt, in das Haus der Fulvia zurück. Publius Clodius, ihr Vater,
stammte aus dem vornehmen Haus der claudii pulchri, er hatte sich, allerdings um Tribun in Rom zu werden, von
einem Plebejer adoptieren lassen.
Unabhängig davon stammte auch Livia, die spätere Ehefrau des Augustus, väterlicherseits aus dem
Haus des Appius Claudius Pulcher, denn ihr Vater wechselte durch Adoption in das Geschlecht der
Livier über. Er nannte sich nach der Adoption Livia Marcus Livius Drusus Claudianus. Varus selbst
gehörte dazu noch mit großer Wahrscheinlichkeit zur römischen Nobilität, denn einer seiner Vorfahren
bekleidete nach Livius bereits 405 v. Chr. das Amt des Militärtribunen.
Nach Paterculus stammte Varus aus einer angesehenen (vornehmen) , wenn auch nicht hochadeligen Familie
[Historia romana, Buch II, 117(2)].
Das Varus alles andere als vornehm war, wie Paterculus ausführt, zeigen uns die Praktiken des Varus um das
römische Besatzungs- und Kriegsrecht. Varus war es, der den "Syrischen Aufstand" niederschlug und in Jerusalem
unter anderem 2000 Aufständische ans Kreuz schlagen ließ (die schärfste Hinrichtungsform).
Dazu: Flavius Josephus (17. Buch 10): „Varus befahl, die oberhalb von Ptolemais wohnenden Galiläer mit Krieg zu
überziehen". ... (Die Befohlenen) "äscherten die Stadt Sepphoris ein und verkauften ihre Einwohner in die Sklaverei."
....Varus Hilfstruppen legten "Arus (Dorf)... in Asche."
Sie zogen weiter und "plünderten und verbrannten einen anderen sehr befestigten Ort mit Namen Sampho. Auch
was ihnen sonst auf dem Marsch in die Quere kam, verheerten sie durch Feuer und Schwert." Varus verbrannte
Emmaus (jüd. Stadt) und wandte sich gegen Jerusalem.
Alsdann ließ er das ganze Land nach Aufständischen durchsuchen. Er hätte auch viele begnadigt (was nicht:
freigesprochen heißt)! " Im ganzen wurden 2000 um dieser Ursache willen ans Kreuz geschlagen".
Paterculus schreibt:....“Er war von milder Gemütsart, ruhigem Temperament, etwas unbeweglich an Körper und
Geist, mehr an müßiges Lagerleben als an Felddienst gewöhnt und .... kein Verächter des Geldes....“[Historia
romana, Buch II, 117(2)].
Hören wir auch Aemilius Lucius Florus dazu (II 30, 29):
"Sie (die Germanen) begannen den Hochmut und die Willkür des Quinctilius Varus ebenso zu hassen wie sein
grausames Regiment."
Und Tacitus (Ann.. I, 59) lässt Arminius ausrufen:
"... die Germanen werden nie sich damit abfinden, dass sie zwischen Elbe und Rhein Rutenbündel
Henkersbeile und die Toga gesehen haben. Andere Völkerschaften, die keine Bekanntschaft mit dem
römischen Reich gemacht haben, wissen nichts von Blutgerichten und kennen keine Steuern."
Ich erkenne in den von Josephus berichteten Vorkommnissen im heutigen Palästina und in den von Florus
berichteten Gegebenheiten in Germanien nichts von „milder Gemütsart“, sondern höre nur von schlimmsten
Grausamkeiten.
Aber auch Paterculus drückt in einem Nebensatz [Buch II, Kapitel 119(2)] die Grausamkeit der Varuslegionen aus:
...“und zwar von demselben Feind, den sie (die Varuslegionen) ihrerseits stets wie Vieh abgeschlachtet hatten. ...“
Im Weiteren beschreibt Paterculus [Kapitel 117(3)] den Hochmut und die Überheblichkeit des Varus und beleuchtet
sein menschenverachtendes Germanenbild. Wörtlich heißt es: ...“bildete sich ein, die Menschen dort hätten außer
der Stimme und den Gliedmaßen nichts menschenähnliches an sich, und die man durch das Schwert nicht hätte
zähmen können, die könne man durch das römische Recht lammfromm machen.
In Absatz 4 des vorgenannten Kapitels berichtet er von dem „Spleen“ der Rechtsprechung des Varus. ...“brachte er
die Zeit des Sommerfeldzuges damit zu, von einem Richterstuhl aus Recht zu sprechen und Prozessformalitäten
abzuhandeln.
Seine Gleichgültigkeit [Kapitel 118 (4)], andere nennen es Gutgläubigkeit, kommt hier zum Ausdruck. ...“Dies (Der
Plan des Arminius) wurde dem Varus von Segestes hinterbracht, einem loyalen Mann jenes Volkes mit
angesehenem Namen. Er forderte Varus auf, die
Verschwörer in Ketten zu legen“. Aber Varus
wollte nicht hören; Schicksal verwandelt sich in
Schuld konstatiert Paterculus.
Abschließend wirft Paterculus dem Varus
Feigheit vor: „Der Führer hatte mehr Mut zum
Sterben als zum Kämpfen. Nach dem Beispiel
seines Vaters und Großvaters durchbohrte Varus
sich selbst mit dem Schwert.“
Die militärischen Fehler und das Versagen des
Varus schildert am ausführlichsten Cassius Dio.
Soweit er auch die menschlichen Schwächen des
Varus aufzeigt, sollen diese nicht noch einmal
abgehandelt werden. Das erfolgte unten den
anderen antiken Autoren.
Dio schreibt , (Band IV, Buch 56, Kapitel19 ff):
19(1) Varus behielt daher seine Legionen, wie es
in einem Feindesland richtig gewesen wäre, nicht
beisammen, sondern verteilte viele seiner
Soldaten an schwache Gemeinwesen, die ihn
darum baten, angeblich zu dem Zweck, entweder
verschiedene Punkte zu bewachen oder Räuber
festzunehmen
oder
gewisse
Lebensmitteltransporte zu geleiten.
19(3) So fühlte sich der römische Feldherr sicher
und rechnete mit nichts Schlimmem; all denen
aber, welche die Vorgänge argwöhnisch
verfolgten und ihn zur Vorsicht mahnten,
schenkte er keinen Glauben, ja machte ihnen
sogar Vorwürfe, als seien sie ohne Grund beunruhigt und wollten seine Freunde nur verleumden. Dann kam es
zu einer ersten Aufstandsbewegung, und zwar bei den Völkerschaften, die von ihm entfernt wohnten, ein
wohlüberlegter Plan:
19(4) Varus sollte gegen diese Unruhestifter zu Felde ziehen und auf dem Marsch durch angeblich
befreundetes Gebiet mit geringerer Mühe überwältigt werden, anstatt dass er sich, wie bei einem
allgemeinen plötzlichen Ausbruch von Feindseligkeiten gegen ihn zu erwarten war, besonders in
Acht nahm. ...
20(2) Wie mitten im Frieden führten sie viele Wagen und auch Lasttiere mit sich; dazu begleiteten sie zahlreiche
Kinder und Frauen und noch ein stattlicher Sklaventross, die sie ebenfalls zu einer gelockerten Marschform
zwangen.
20(5) Die Römer marschierten ja in keiner festen Ordnung, sondern im Durcheinander mit Wagen und
Unbewaffneten; ...
21(1) Aus diesem Grunde schlugen sie an Ort und
Stelle ein Lager, nachdem sie, soweit dies auf
einem bewaldeten Berge möglich war, einen
passenden Platz gefunden hatten. Hierauf
verbrannten sie die meisten Wagen und was ihnen
sonst nicht dringend nötig schien oder ließen sie
zurück. ...
22(1) Als sich die Kunde davon verbreitete, leistete
vom Rest der Leute, selbst wenn er noch bei
Kräften war, auch nicht einer mehr Widerstand,
vielmehr ahmten die einen das Beispiel ihres
Feldherren nach, während die anderen selbst ihre
Waffen wegwarfen und sich vom Nächstbesten, der
da wollte, niedermachen ließen; denn Flucht war unmöglich, wie sehr sie einer auch ergreifen wollte.
Folgende eklatanten Fehler ergeben sich aus diesem Bericht und
sind Varus anzulasten:
1. Varus verteilte im Feindesland seine Legionen auf kleine
Gemeinwesen oder an andere Punkte und hatte so sein
Heer geschwächt.
2. Er missachtete jede Warnung.
3. Er marschierte fernab der gesicherten Heerstraßen.
4. Er zog, wie mitten im Frieden, mit Kindern, Frauen,
Wagen und einem stattlichen Sklaventross gegen die
Germanen.
5. Als Feldherr entwickelte er während des Marsches, als er
angegriffen wurde, keine Aktivitäten.
6. Er rief nicht zum Widerstand gegen die Angreifer auf.
7. Er schloss nicht seine Reihen.
8. Nach dem ersten Tag der Schlacht zog er sich nicht
wieder in sein Sommerlager zurück.
9. Statt dessen erteilte er nur unsinnige Befehle, wie das
Verbrennen der regennassen Wagen, wo doch sicher
diese Beute die Germanen zumindest eine Zeitlang
abgelenkt und den Römern so Zeit gegeben hätte, sich
zu sammeln.
Das ungünstige Wetter will ich gar nicht erwähnen, weil beide
Kriegsparteien gleichermaßen davon betroffen waren. Auch dass
alle Götter und das Schicksal gegen Varus waren, mag den Römern die Niederlage verständlich gemacht haben.
Wir, die aufgeklärten Menschen des 21. Jahrhunderts wissen, dass es eine solche Vorsehung nicht gibt.
Lemgo, den 13. Februar 2006
www.arminiusforschung.de
Gerhard Kroos
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