MANAGEMENT rt O r vo Interview mit dem Technologieberater Martin Nägelin „Im Vordergrund steht der Mensch“ Die Herstellung medizintechnischer Produkte stellt Kunststoffverarbeiter vor neue Herausforderungen. Eines der zentralen Themen ist die Pflicht, ein Qualitätsmanagementsystem aufzubauen, zu dokumentieren, aufrecht zu erhalten und kontinuierlich zu verbessern. Welche Fehler werden beim Aufbau von QS-Systemen gemacht? In welchen Fällen sollten Unternehmen externe Berater hinzuziehen? Fragen an Martin Nägelin, Leiter der Abteilung GMP und Prokurist bei der Chemgineering AG, einem Unternehmen für Technologieberatung mit Sitz in Muttenz/Schweiz. Martin Nägelin, Chemgineering AG: „Qualität kann bei der Herstellung von Medizinprodukten nicht ‚hineingeprüft’ werden, sie ist Bestandteil des gesamten Fertigungsprozesses – von der Entwicklung bis zum Vertrieb.“ Plastverarbeiter: Der Ein- beziehungsweise Umstieg in die Herstellung von Medizinprodukten stellt viele Kunststoffverarbeiter vor Probleme. Was macht den Schritt im Hinblick auf den Aufbau eines QS-Systems so schwer? Martin Nägelin: Kunststoffverarbeiter verfügen oft über ein eingeführtes Qualitätssicherungssystem, das auf ein begrenztes Produktumfeld ausgelegt ist und nur die Grundbedürfnisse abdeckt. Solche QS-Systeme reichen nicht aus, um darauf die Anforderungen der Zulassungsbehörden im Bereich Medizinprodukte aufsetzen zu können. Der Umstieg erfordert eine Denkweise, die den Begriff Qualitätssicherung durch Qualitätsmanagement ersetzt. Im Vordergrund stehen nicht das Produkt und – bei Qualitätsmängeln – ein vielleicht entgangener Umsatz beziehungsweise Gewinn, sondern die Produktsicherheit und damit die möglichen Auswirkungen auf den Patienten. Hersteller, die ihre Qualitätssicherungsabteilung in Richtung Qualitätsmanagement ausbauen, können diese nicht mehr quasi als Selbstläufer neben dem „Daily Business“ her pflegen. Sie schaffen damit einen neuen, zentralen Schwerpunktbereich. Plastverarbeiter: Welche weiteren Fehler werden gemacht? 18 Martin Nägelin: Es wird davon ausgegangen, dass das vorhandene Fachwissen für die Herstellung von Kunststoffprodukten ausreicht. Der Aufwand für die systematische Vorbereitung der Mitarbeiter auf Prozeduren wie die Handhabung von Abweichungen bezüglich der Produktqualität und Schulungsaufwände wird unterschätzt. Ein höherer Umsatz lässt sich jedoch nicht ohne Berücksichtigung der Zusatzinvestitionen in das Qualitätsmanagement erzielen. Qualität kann hier nicht „hineingeprüft“ werden, sie ist Bestandteil des gesamten Fertigungsprozesses – von der Entwicklung bis zum Vertrieb. Plastverarbeiter: Was sollten Einoder Umsteiger in den Markt der medizintechnischen Produkte beachten, um sich einen möglichst „weichen“ Übergang zu verschaffen? Martin Nägelin: Eine Analyse der internen Prozesse, insbesondere der Qualitätssicherungsabläufe, ist im Voraus einzuplanen. Die frühzeitige Kontaktaufnahme mit einem Zertifizierer (Notified Body) und Absprachen zum weiteren Vorgehen sind zu treffen. Gute Ansätze zur Verbesserung ergeben sich auch durch das unbefangene Audit eines Beraters aus der Branche. Plastverarbeiter: Was ist bei der Herstellung von medizintechnischen Produkten für den internationalen, insbesondere den amerikanischen Markt zu beachten? Martin Nägelin: Die Produkte werden dort wie „pharmazeutische Produkte“ eingestuft. Dies zeigt sich vor allem in der klaren Definition des Code of Federal Regulations (CFR), Bereich 820. Bei den Qualitätssicherungsfragen Qualifizierung/Validierung wird hier auf die Parts 210/211 verwiesen, welche die Anforderungen an die Qualifizierung und Validierung vorgeben. MedPLAST 2005 (SH PLASTVERARBEITER) Plastverarbeiter: In welchen Fällen sollten Hersteller externe Berater hinzuziehen, in welchen eher nicht? Martin Nägelin: Hersteller können praktisch bei allen Fragen im Zusammenhang mit Compliance-Themen externe Berater hinzuziehen. Bei Fragestellungen im Zusammenhang mit der Zulassung auf verschiedenen Märkten ist die externe Unterstützung sicher hilfreich. Bei der Einbindung externer Dienstleister für die Etablierung, Erstellung und Einführung im Bereich von Qualitätsmanagement/Qualifizierung/ Validierung ist vor allem darauf zu achten, dass bis zum Abschluss der Umsetzung inklusive Schulung genügend interne Unterstützung sichergestellt ist. Plastverarbeiter: Wie sieht die Kooperation zwischen Hersteller und Berater konkret aus? Wo beginnen und enden die jeweiligen Zuständigkeiten? Martin Nägelin: Externe Dienstleister sollen beraten und soweit wie möglich MedPLAST 2005 (SH PLASTVERARBEITER) in der Umsetzung unterstützen. Die Verantwortung für das Produkt (und die Markteinführung) bleibt beim Hersteller beziehungsweise Inverkehrbringer, sie kann nicht delegiert werden. Plastverarbeiter: Wo liegen die wirtschaftlichen Vorteile beim Einsatz von externen Dienstleistern? Martin Nägelin: Der Dienstleister wird nur für die erbrachte Leistung honoriert. Ein seriöser Berater wird nach Abklärung der Sachverhalte ein Angebot mit Leistungsumfang und Kostenrahmen erstellen. Daraus entsteht eine transparente Kostenstruktur. Im Gegensatz zum fest angestellten Mitarbeiter entstehen keine weiteren laufenden Gehalts- und Nebenkosten. Externe werden bevorzugt für den Start-up eingesetzt. Sie unterstützen bei fachlichen und regulatorischen Fragen, decken den erforderlichen Ressourcenbedarf ab, bringen neue, unbefangene Ansätze ein und können festgefahrene Struk- turen beziehungsweise Abläufe hinterfragen und aufbrechen. Plastverarbeiter: Gibt es Bereiche, die sich sinnvoll auslagern lassen? Martin Nägelin: Im Bereich Qualifizierung/Validierung ist in der Startphase ein enormer Personalbedarf erforderlich. Es ist hier sinnvoll und fast unumgänglich, einen straffen Terminplan einzuhalten, obwohl dazu oft die notwendigen internen Ressourcen fehlen. Zur Koordination aller Tätigkeiten wie Erstellung von Anweisungen, Risikoanalysen, Durchführung von Qualifizierungen/Validierungen und Dokumentationserstellung ist ein Outsourcing sinnvoll. Im „Daily Business“ dagegen müssen die firmeneigenen Fachleute die Herstellung und das Qualitätsmanagement komplett betreuen. Bei Änderungen etwa bezüglich der regulatorischen Anforderungen kann situativ Outsourcing betrieben werden. pbu 19