Die Wiederaufführbarkeit von Performance-Kunst am

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Geisteswissenschaft
Lisa Wossal
Die Wiederaufführbarkeit von
Performance-Kunst am Beispiel von Marina
Abramovic
Studienarbeit
1. „Performances only life is in the present“
- Peggy Phelan1 (J Westcott, s 287)
Wie hier mit den Worten der Performance-Theoretikerin Peggy Phelan wird oft das Wesen,
das Hauptmerkmal der Performance Kunst beschrieben. Die Definitionen erklären sie als
situationsbezogene, mit
Schwerpunkt auf Handlung und Aktion gelegte, vergängliche
Darstellung. Das würde bedeuten, dass die Darbietung tatsächlich nur zu dem Zeitpunkt der
Aufführung besteht, und auch nur für Publikum, das direkt anwesend ist. Um diese zeitliche
und örtliche Begrenzung aufzuheben, wird immer wieder versucht Wege zu finden, um die
Performance „weiterleben“ zu lassen, sie zu transportieren zu einem anderen Ort, einem
späteren
Zeitpunkt,
vor
ein
anderes
Publikum.2
Eine
Möglichkeit
dafür
ist
die
Wiederausstellung durch Dokumentationen. Das bedeutet aber bei den meisten Werken eine
Überführung in andere Medien, die Überführung der momentanen Aktionen eines Menschen
in Video, Fotografien, Sound oder ähnlichem. Damit vollzieht sich eine grundlegende
Veränderung, die sich auch auf die Bedeutung des Stückes und auf den Eindruck des
Betrachters ausweiten kann. Für James Westcott ist diese Art der Dokumentation für eine
Wiederausstellung durchaus möglich, jedoch sollte dabei auf das Missverhältnis und auf die
Unterschiedlichkeit zwischen der ursprünglichen Performance und dem später ausgestelltem
Medium hingewiesen werden.3 Mit einem anderen Medium wird das Kunstwerk nicht wieder
ausgestellt, wie ein Gemälde, welches in Italien gemalt wurde und später in einem
französischen Museum hängt (obwohl sich hierbei natürlich auch ein Bedeutungswandel
vollziehen kann), sondern lediglich die Dokumentation eines Kunstwerks wird gezeigt. Dabei
kann es sich bei dem dokumentarischen Medium natürlich auch wieder um ein Kunstwerk
handeln, zum Beispiel können Fotografien über ein Stück als eigenständiges Werk betrachtet
werden, doch kommt man damit noch weiter von der Frage ab, wie die Kurzlebigkeit einer
Performance überwunden werden kann.
1)
Zitiert nach: James Westcott: When Marina Abramovic dies. Massachusetts 2010.
Seite 287
2)
Dabei bleibt zu beachten, dass einige Performance-Künstler die Dokumentationen
schon in ihre Werke mit einbauen: sie filmen währenddessen, lassen fotografieren, etc.
um diese Medien dann ausstellen zu können. Andere aber setzen gerade auf die
Vergänglichkeit des Augenblicks, darauf, dass sie und das Publikum etwas erleben, was
als Erinnerung in den einzelnen Köpfen gespeichert, aber nicht dokumentarisch
wiederausgestellt oder generell so wiederholt werden kann.
3)
James Westcott: When Marina Abramovic dies. Massachusetts 2010.
1
Eine zweite Möglichkeit bietet dann die Wiederaufführung, die Reperformance, wobei man
diese noch einmal aufspalten kann in die Wiederaufführung durch den ursprünglichen
Künstler und in die Wiederholung durch andere Künstler. Da die Bedeutung einer
Performance oft aus der Situation heraus entsteht und auch stark von der Person des
Künstlers abhängig ist, muss bei der Reperformance jede Änderung dieser Aspekte in der
Erfassung des Stückes mit betrachtet werden. Auch die Frage nach Original oder Kopie
kommt dabei schnell auf. Gilt nur die erste Performance, quasi die Uraufführung, als Original?
Wäre damit schon eine zweite Aufführung vom selben Künstler am nächsten Tag eine Kopie?
Und kann man die Worte Original und Kopie bei diesem Thema überhaupt anwenden oder
sind sie in der Debatte unwichtig?
Als eine große Verfechterin der Reperformance gilt Marina Abramović, an deren Beispiel ich
mich in dieser Arbeit dem Thema nähern möchte.
2. Marina Abramović und die Reperformance
Abramović beschäftigt sich praktisch, wie theoretisch mit den Möglichkeiten der
Reperformance. Sie selbst führte ihre Stücke Jahre später wieder auf, zum Beispiel „Lips of
Thomas“: Erstaufführung 1975, Wiederaufführung 2003; sie ließ ihre eigenen Stücke von
anderen aufführen, wie von ihren Studenten der Performance-Klasse, und wandte sich der
Reperformance von Stücken anderer Künstler zu, wobei die Reihe „Seven Easy Pieces“ das
bislang größte Projekt darstellt. Die Künstlerin ist der Meinung, dass Performance Kunst, wie
jede andere Kunstrichtung auch, erhalten werden muss und im Gedächtnis, nicht nur des
ersten Publikums, sondern im Gedächtnis über mehrere Generationen bleiben sollte.4 Dieses
Bewahren und Fortbestehen der Werke ging ihrer Meinung nach am besten über die
Reperformance. Bei der Wiederaufführung von Stücken anderer Künstler war es Abramović
wichtig, sich vorher mit dem Originalkünstler abzusprechen und dessen Erlaubnis
einzuholen.5 In der Performance „Seven Easy Pieces“ führte sie daraufhin fünf Stücke von
Performance-Künstlern aus den 1960er und 1970er Jahren auf, dazu ein älteres Stück von
ihr selbst und als Abschluss ein neues. Die wiederaufgeführten Werke von Bruce Nauman,
Vito Acconci, Gina Pane, Valie Export und Joseph Beuys sah Abramović als den
4)
Thomas McEvilley: Art, Love, Friendship. Marina Abramovic and Ulay. Together and
apart. New York 2010
5)
Westcott 2010
2
Ursprung der Performance-Kunst an und sah daher die Notwendigkeit diese in einer Reperformance
wieder auferleben zu lassen, sie in die Erinnerung zurückzuholen oder sie den jüngeren Generationen
überhaupt erst nahe zu bringen. Dafür zeigte sie die Werke im November 2005 im Guggenheim
Museumin New York an sieben aufeinander folgenden Tagen jeweils sieben Stunden lang.6 Natürlich
durchlief jedes Stück dabei große Veränderungen vom Original. Diese fangen schon bei der
Umgebung an: ein großes, internationales Museum, das der bekannten und anerkannten Künstlerin
Marina Abramović eine ganze Ausstellung widmet und ihr die große Rotunde für die Performances zur
Verfügung stellt muss eine andere Atmosphäre, Bedeutung und Interpretierbarkeit vermitteln als zum
Beispiel das Sexkino in München, in dem Valie Export ihre Performance „Aktionshose:
Genitalpanik“ stattfinden ließ. Andere Stücke kriegen schon durch ihr weibliches Geschlecht einen
ganz anderen Inhalt als dieser beim originalen, männlichen Künstler vorlag. Das Werk von Bruce
Nauman, „Body Pressure“ übernahm Abramović auch in ihre Reihe. Bei diesem Stück war der
Künstler jedoch ursprünglich gar nicht anwesend. Lediglich eine Wand, die im Original undurchsichtig
und massiv war, in der Neuaufführung aber durch eine Glaswand ersetzt wurde, und ein pinkes Papier
mit „Anweisungen“ an das Publikum neben besagter Wand bildeten die Installation. Die eigentliche
Performance erfolgte dann durch die Besucher, die sich, den Anweisungen entsprechend, an die Wand
drücken sollten um „ein Bild ihrer selbst entstehen zu lassen“. In der Reperformance, die Abramović
2005 zeigte, wurde das Publikum jedoch nicht involviert. Dabei stand die Künstlerin alleine auf einer
runden Bühne, auf deren Mitte die Glasplatte installiert war, sodass die Besucher die sich nach den
Anweisungen an die Platte drückende Abramović von allen Seiten sehen konnten. Dadurch entstand
meiner Meinung nach ein immenser Unterschied zu der Originalperformance, bei der durch das ineine-Ebene-drücken Bilder entstanden, die nur von kurzer Dauer und für niemanden sichtbar waren;
bei Abramović wurden genau diese Bilder durch die Durchsichtigkeit des Glases aber sichtbar und
wurden auf vielen Videos und Fotografien der Besucher festgehalten. So entstand eine ganz eigene
und neue Bedeutung des Werkes und eine von der Uraufführung ganz abweichende Erfahrung für das
Publikum. In diesem Fall wurde die Erfahrung des Publikums von den Künstlern schon in
unterschiedliche Richtungen, durch die
6)
Shinya Watanabe: Marina Abramovic „Seven Easy Pieces“ at the Guggenheim Museum
. 2011, aus: http://www.shinyawatanabe.net/en/writings/content57.html
3
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