Statement Prof. Dr. sc. med. Doris Bardehle

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STATEMENT (SPERRFRIST 3. Mai 2017, 12.00 Uhr)
Prof. Dr. sc. med. Doris Bardehle
„Für die sexuelle Gesundheit und sexuelle Bildung wird noch nicht ausreichend Sorge
getragen.“
Der vorliegende dritte Männergesundheitsbericht der Stiftung Männergesundheit ist der erste
Europäische Gesundheitsbericht, der sich umfassend dem Thema „Sexualität von Männern“ widmet.
Bisher blendeten die in Deutschland und international publizierten Männergesundheitsberichte dieses
Themenfeld fast völlig aus. Der Bericht entstand in Zusammenarbeit mit dem Institut für Angewandte
Sexualwissenschaft der Hochschule Merseburg und versucht, diese Lücke etwas zu schließen.
Unter Beteiligung von 40 Autorinnen und Autoren konnten erstmals sozialwissenschaftliche und
medizinische Perspektiven zum männlichen Sexualleben in 31 Beiträgen und fünf Kapiteln
zusammengefasst werden. Für die Betrachtung der Sexualität von Männern ist diese Verzahnung
erforderlich und soll Vorbild für die weitere Gesundheitsberichterstattung und die Sexualwissenschaft
sein.
Die Abhandlung schließt die gesamte Lebensspanne, Männer aller Sexualitäten und auch
Randbereiche, Wohlbefinden und Krankheit sowie historische Gesichtspunkte ein. Die Analyse der
geschichtlichen Entwicklung betrachtet die Zeit von 1933 bis zur männlichen Sexualität im
gegenwärtigen Digitalzeitalter und steht dem Bericht voran. Die Verhältnisse werden in fünf
Zeitabschnitten charakterisiert, um zu zeigen, wie sie die noch heute lebenden Personen, insbesondere
die Männer, geprägt haben. Diese Phasen sind charakterisiert durch die zunehmende
selbstbestimmte
Sexualität,
aber
auch
durch
negative
Aspekte
wie
sexuelle
Funktionsstörungen, sexuell übertragbare Krankheiten und sexuelle Gewalt, die bis heute Einfluss
auf die sexuelle Gesundheit von Männern haben.
Wichtig ist, dass der Männergesundheitsbericht Sexualität als einen wichtigen Bestandteil von
Gesundheit betrachtet. Laut Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO) „ist die Gesundheit ein
Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens, nicht nur das Fehlen
von Krankheit oder Gebrechen“. Sexuelle Gesundheit bezieht demzufolge nicht nur, wie oft
missverstanden, die Abwesenheit von krankheitsbedingten sexuellen Störungen oder sexuell
übertragbaren Infektionskrankheiten ein. Sie umfasst auch das Wohlbefinden, das durch ein körperlich
und emotional befriedigendes Sexualleben gefördert wird.
Die Definition der WHO aus dem Jahr 2015 lautet: „Sexuelle Gesundheit ist untrennbar mit Gesundheit
insgesamt, mit Wohlbefinden und Lebensqualität verbunden. Sie ist ein Zustand des körperlichen,
emotionalen, mentalen und sozialen Wohlbefindens in Bezug auf die Sexualität und nicht nur das
Fehlen von Krankheit, Funktionsstörungen oder Gebrechen. Sexuelle Gesundheit setzt eine positive
und respektvolle Haltung zu Sexualität und sexuellen Beziehungen voraus sowie die Möglichkeit,
angenehme und sichere sexuelle Erfahrungen zu machen, und zwar frei von Zwang, Diskriminierung
und Gewalt. Sexuelle Gesundheit lässt sich nur erlangen und erhalten, wenn die sexuellen Rechte aller
Menschen geachtet, geschützt und erfüllt werden. Es bleibt noch viel zu tun um sicherzustellen, dass
Gesundheitspolitik und -praxis dies anerkennen und widerspiegeln.“
Sexuelle Gesundheit ist ein Menschenrecht, das durch Gesetzgebung, Bildung, Aufklärung und
Gesundheitsversorgung gesichert wird. Für Deutschland gilt die WHO-Definition: Sexualität ist
ein Grundbedürfnis des Menschen und ein zentraler Bestandteil seiner Identität und
Persönlichkeitsentwicklung.
Das Potential zur Gewährleistung von sexueller Bildung und sexueller Gesundheit tragen in
Deutschland Einrichtungen und Fachverbände wie die Bundeszentrale für gesundheitliche
Aufklärung, Wissenschaftliche Fachgesellschaften und Hochschulen sowie Sexualpädagogen.
Die gegenwärtige Situation von Forschung, Lehre und Vernetzung wird jedoch als unzureichend
bewertet.
Die sexualwissenschaftliche und sexualpädagogische Verbandslandschaft in Deutschland ist vielfältig
und
sehr
differenziert.
Das
bezieht
sich
auf
eine
Vielzahl
von
medizinischen
und
sozialwissenschaftlichen Fachgesellschaften. Nachholbedarf zeigt sich bei einer einheitlichen
Ausrichtung von Studiengängen. Die bislang nur punktuell vorhandenen Lehrangebote zu Fragen
sexueller Bildung und sexueller Gesundheit sowie die nur gering ausgeprägte Forschungslandschaft
sollte auf eine qualitativ neue Ebene gehoben werden. Das erscheint notwendig, da gut ausgebildete
Sexologen für alle ratsuchenden Personen in Hinblick auf Sexualität erforderlich sind. So können
Grenzverletzungen und sexualisierter Gewalt vorgebeugt, geschlechtlich-sexuelle Selbstbestimmung
unterstützt
und
sexuelle
Gesundheit
gefördert
werden.
Entsprechend
sollten
mehrere
sexualwissenschaftliche Forschungszentren sowie sexualwissenschaftliche Fächer und Institute in den
Lehr- und Forschungsbereichen der Universitäten und Fachhochschulen entstehen, so zum Beispiel
auf medizinischem und psychologischem Gebiet, im Lehramt und der Sozialpädagogik. Zusätzlich wird
angeraten, an den Zentren eigene akkreditierte sexualwissenschaftliche Studiengänge zu etablieren.
Die Hochschule Merseburg ist in Deutschland derzeit die einzige, die einen konsekutiven
sexualwissenschaftlichen Studiengang anbietet.
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