Psychiatrie, Suizidalität, schwierige Kommunikation AMTS Sursee 1.04.2017 Dr. med. Christine Calabrese Leitende Ärztin Klinik Sonnenhalde AG Psychiatrie und Psychotherapie Riehen GLIEDERUNG Erkennen und Behandlung psychiatrischer Notfälle Beispiele/Fälle Schwierige Kommunikation/Gesprächsführung 01.04.2017 Klinik Sonnenhalde AG 2 Psychiatrischer Patient = schwieriger Patient? Sehr zeitaufwendig-sehr viel Ruhe gefragt Unterschiedliche Akzeptanz bei Betroffenen und Umgebung Oft fehlt Behandlung-Krankheitseinsicht, Hilfe wird abgelehnt Manchmal Handeln gegen Willen des Patienten erforderlich Im Gegensatz zum somatischen Fall kann auch Gefährdung anderer Personen bestehen Die Diagnose ist oft nur auf Syndromebene möglich 01.04.2017 Klinik Sonnenhalde AG 3 Notfall? Krise? Psychiatrischer Notfall Psychiatrische Krise Erfordert unmittelbaren Handlungszwang zur Abwendung von Lebensgefahr oder anderen schwerwiegenden Folgen. selten durch direkte vitale Bedrohung gekennzeichnet An der akuten Symptomatik orientierte Therapie. Fehlen/Zusammenbrechen individueller u./o. sozialer Bewältigungsstrategien im Rahmen belastender KrankheitsUmgebungsbedingungen Meist auf den Boden einer Psychiatrischen Erkrankung. 01.04.2017 Klinik Sonnenhalde AG 4 Psychiatrische Notfalluntersuchung Bewusstsein Denkfähigkeit Motorik Stimmung Suizidalität Fremdgefährdung Krankheitseinsicht Produktive Symptome 01.04.2017 Klinik Sonnenhalde AG 5 Psychiatrische Notfälle Je nach Studie 9-16% aller Notfälle im Notfalldienst Häufigkeit: Alkoholintoxikation Erregungszustände Suizidversuche (ca. 20-30%) (ca. 15-25%) (ca. 15-25%) (Pajonk & Moecke, 2005) 01.04.2017 Klinik Sonnenhalde AG 6 Typische Krankheitsbilder Benommener, verwirrter Patient (Delir) Unruhiger, wahnhafter Patient Aggressiver, konfliktbereiter Patient (Erregungszustand) Suizidaler Patient 01.04.2017 Klinik Sonnenhalde AG 7 Merke Solange eine organische (Mit-)verursachung nicht ausgeschlossen/geklärt ist, sollte eine psychiatrische Erkrankung nur unter Vorbehalt diagnostiziert werden. 01.04.2017 Klinik Sonnenhalde AG 8 Erregungszustand/psychiatrische Ursachen Intoxikationen und Entzugssyndrome Affektive Störungen: manische Zustände, agitierte Depression Schizophrene Psychosen Akute und chronische Psychosyndrome Psychogene Reaktionen Persönlichkeitsstörung 01.04.2017 Klinik Sonnenhalde AG 9 Fremdgefährdungsmerkmale Psychomotorische Erregung, Anspannung Misstrauen Reizbarkeit, Stimmungsschwankungen Aggressives Verhalten, Unkooperativität Subjektives Angstempfinden 01.04.2017 Klinik Sonnenhalde AG 10 Verhaltensmassnahmen medikamentöse Behandlung typische Fehler 01.04.2017 Klinik Sonnenhalde AG 11 Psychomotorischer Erregungszustand Ruhiges, sicheres Auftreten, ruhig bleiben Absolute Priorität: Selbstschutz, bzw. Schutz Dritter Echtheit, positive Wertschätzung, Transparenz Zuhören, Patient sprechen lassen Ermutigen über Kränkungen zu sprechen Nicht alleine ins Gespräch gehen, rechtzeitig Hilfe holen (Personal, Polizei) Abstand halten Geschützten Rahmen schaffen Fluchtweg bereithalten Ruhig, klar und verständlich sprechen Sich nicht provozieren lassen Orale Medikation anbieten weiteres Vorgehen erklären 01.04.2017 Klinik Sonnenhalde AG 12 Deeskalierende Wirkung Nonverbale Kommunikation Gesenkte Arme und offenen Handflächen Lautstärke, Tonhöhe Selbstwertgefühl und das Vertrauen der anderen Person fördern Nutzung offener Fragen Vermeidung «Kommunikationskiller»: Moralisierung, Zurechtweisung, Beschuldigen 01.04.2017 Klinik Sonnenhalde AG 13 Medikamentöse Behandlung allgemein Typische Notfallmedikamente: Benzodiazepine, Antipsychotika Syndromgerichtet Ziel: «rasche Wirksamkeit bei gleichzeitig geringer Beeinträchtigung von vitalen und vegetativen Funktionen»(Pajonk, 2003) Wenn möglich Monitoring Anpassung der Dosis bei Älteren, Leber-Niereninsuffizienz Nebenwirkungen beachten(Atemdepression, Blutdruckabfall, paradoxe Wirkung, extrapyramidale Wirkung, QT-Verlängerung), verfügbare Gegenmittel vorhanden? (Anexate, Biperidin) 01.04.2017 Klinik Sonnenhalde AG 14 Medikamente Lorazepam p.o. /s.l. (1-2,5mg), Diazepam p.o.,i.m.,i.v. cave: nicht bei Sedativa-Alkoholintoxikation! Mit produktiver/psychotischer Symptomatik: Risperidon 2-4mg p.o.,Schmelztbl. (Quicklet) bei Älteren 0,5mg Olanzapin 5-10mg p.o.,i.m., Schmelztbl.(Zyprexavelotab 5,10,15mg), bei Älteren 2,5mg. Haloperidol 2-10mg p.o., i.m. ,bei Älteren 1-3mg 01.04.2017 Klinik Sonnenhalde AG 15 Fehler im Umgang mit erregten, angespannten Patienten Zögerliches Auftreten und unklare Entscheidungen Missachten essentieller Sicherheitsvorkehrungen Zu lange, fruchtlose Diskussionen Keine ausreichende Überwachung Übersehen «berechtigter» Erregung des Patienten Unterlassen der somatischen und Fremdanamnese Bagatellisierung von Krisen, vorwurfsvolles Verhalten 01.04.2017 Klinik Sonnenhalde AG 16 Suizidalität Nach WHO-Statistik sterben pro Jahr 1 Million Menschen an Suizid. Weltweite Suizidrate: 16/100000. Hohe Dunkelziffer an SV. Suizide häufiger als alle durch Verkehrsunfälle, AIDS und Drogen bedingten Todesfälle zusammen. 01.04.2017 Klinik Sonnenhalde AG 17 Risikogruppen für Suizidalität Vorangegangene SV Vorangegangene psychiatrische Behandlungen Suchterkrankungen Persönlichkeitsstörung Ältere Männer: für Suizide Jüngere Frauen: für SV Soziale Isolation Körperliche chronische Erkrankungen 01.04.2017 Klinik Sonnenhalde AG 18 Indikatoren für eine akute Suizidalität Indikatoren für eine akute Suizidalität 01.04.2017 Klinik Sonnenhalde AG | 19 Fehlende Distanzierung von Suizidideen, Suizidversuch Erleben von drängenden Suizidgedanken Ausgesprochene Hoffnungslosigkeit, Fehlen von Zukunftsperspektiven Schwere depressive Verstimmung, depressive Wahnideen Akute psychotische Symptomatik Hinweise auf mangelnde Impulskontrolle Fehlen eines tragfähigen Gesprächsrapport 01.04.2017 Klinik Sonnenhalde AG 20 Suizidalität/suizidaler Patient Gehören zu den eher «unbeliebten» Patienten. Delegation oft an Konsiliararzt/ Psychologen. Suizidpatienten lösen beim Gegenüber Ängste aus: vor Aggression, Überforderung und Versagen, vor eigener Instabilität, vor eigenem Tod. Emotionaler Rückzug. 01.04.2017 Klinik Sonnenhalde AG 21 Verhaltensmassnahmen medikamentöse Behandlung typische Fehler 01.04.2017 Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 9. November 2014 | 22 Der suizidale Patient «die wirksamste Hilfe bei Suizidgefährdeten ist das Gespräch..» (Wedler, 2004). Empathie, Wertschätzung, Authentizität danach fragen, geduldiges Zuhören, Erkennen Behandeln 01.04.2017 Klinik Sonnenhalde AG 23 Indikationen zur stationären Behandlung Ausgeprägte depressive Störung mit deutlicher Angst, Agitiertheit, Wahnideen, Selbstvorwürfen. Psychotische Symptomatik paranoide Ideen, Halluzinationen, Erregung. Chronischer Alkohol-, Medikamenten-, Drogenmissbrauch mit depressiver Verstimmung und suizidalen Äusserungen. Einengung des Denkens auf suizidale Inhalte Mangelhafte/fehlende Einbindung in soziale Strukturen 01.04.2017 Klinik Sonnenhalde AG 24 Medikamente Bei akuter Suizidalität zur Sedierung Benzodiazepine (z.B. Lorazepam 1-2,5mg p.o.) 01.04.2017 Klinik Sonnenhalde AG 25 Fehler beim Umgang mit Suizidalen Nichtansprechen Hinweis auf Zeitmangel Belehrungen Bagatellisierung suizidalen Verhaltens Negative Gegenübertragung (gereizte Atmosphäre) Fehlinterpretation, Unterschätzung von Suizidalität, Nichterkennen von Dissimulation Fehlende Überwachung 01.04.2017 Klinik Sonnenhalde AG 26 Rechtliche Aspekte Jede ärztliche Handlung bedarf der Rechtfertigung Liegt Gefahr im Verzug vor, ist jeder zur Berufsausübung zugelassene Arzt zuständig. Einweisung gegen den Willen muss immer ultima ratio bleiben, da massive Einschränkung der persönlichen Rechte und ggf. Beeinträchtigung der späteren Therapie. Voraussetzung ist, dass auf Grund diagnostizierter psychischer Störung eine erhebliche Gefährdung für die eigenen Person oder Dritte besteht und eine Gefahr nicht anders abgewendet werden kann. Schweiz: Fürsorgliche Unterbringung (FU) kantonal geregelt. Grundsätzlich zuständig: Kinder-Erwachsenenschutzbehörde (KESB) 01.04.2017 Klinik Sonnenhalde AG 27 Fall 1 51-jähriger Patient, Handverletzung mit Fraktur. Fremdanamnese durch Ehefrau: zunehmende Aggressivität in den letzten Tagen. Er schlafe kaum noch und sei nächtelang ausser Haus, Konto überzogen, mehrere Autos gekauft. «Tobsuchtsanfall» nachdem Ehefrau vorgeschlagen habe zu seinem Psychiater zu gehen. Dabei Geschirr und Möbel zertrümmert. Zudem ist ihr aufgefallen, dass Schlüssel zum Waffenschrank fehle. 01.04.2017 Klinik Sonnenhalde AG 28 Fall 2 Vorstellung 43- jährige Verkäuferin auf Drängen und in Begleitung des Ehemannes mit diffusen somatischen Beschwerden. Seit Wochen Freud-Antriebslosigkeit, zudem Schlafstörungen. Probleme am Arbeitsplatz, vor einigen Tagen Kündigung. Äusserung suizidaler Gedanken. Ablehnende, bagatellisierende Patientin. 01.04.2017 Klinik Sonnenhalde AG 29 Fall 3 45-jähriger LKW-Fahrer, einige Stunden zuvor mit seinem LKW Passanten überfahren. Patient ist ängstlich getrieben, weinerlich, beschäftigt sich ununterbrochen mit seiner Schuld am Tode des Passanten. Berichtet über sich aufdrängende Erinnerungen. 01.04.2017 Klinik Sonnenhalde AG 30 Traumata Ruhige Atmosphäre, emotionale Präsenz («ich bleibe bei Ihnen») Sprechen, aktives Zuhören Abschirmen von Unbeteiligten Soziale Hilfe (jdm. benachrichtigen) Psychoedukation über mögliche posttraumatische Symptome und Hilfen. 01.04.2017 Klinik Sonnenhalde AG 31 Fall 4 Sehr beeinträchtigte 60-jährige Patientin in Begleitung der Tochter. Tochter berichtet, dass ihre Mutter seit Wochen über starke Schmerzen in den Gelenken klage. Daher regelmässige Einnahme von Diclofenac. Seit Jahren wiederkehrende depressive Phasen, weswegen sie Medikamente bekomme. Seit 5 Tagen Schwindel, Übelkeit, Durchfall. Seit Morgen sei ihre Mutter durcheinander und spreche verwaschen, Zittern der Hände. 01.04.2017 Klinik Sonnenhalde AG 32 Allgemeine Ansätze aktiver Gesprächsführung EWE-Prinzip: Empathie, Wertschätzung und Echtheit im Verhalten. 1.Ebene: wohlwollendes und wertschätzendes Interesse zeigen: «Erzählen Sie mal…» 2.Ebene: Inhaltliches Verständnis herstellen (aktives Zuhören) : »ich fasse mal zusammen..» 3.Ebene: emotionales Verständnis signalisieren: »das war bestimmt sehr unangenehm». 01.04.2017 Klinik Sonnenhalde AG 33 CALM-Modell C-Contact: ruhig, sachlich bleiben, respektieren dass sich Pat. in einer schwierigen Situation befindet, freundlich zugewandtes Verhalten. A-Appoint: die vom Pat. gezeigte Emotion direkt benennen («Sie sind wütend/enttäuscht»). L-Look ahead :(falls Patient noch nicht beruhigt werden konnte) klären,wie beide gemeinsam weitermachen können (Angebot machen), ggf. Grenzen/Spielregeln benennen, keine Drohungen! M-Make a decision: einen «Vertrag» anbieten, den der Patient akzeptieren kann oder nicht. Alternative Angebote machen (sofern möglich). 01.04.2017 Klinik Sonnenhalde AG 34 Vermittlung schlechter Nachrichten Das Gespräch vorbereiten Ungestörte Atmosphäre sicherstellen Den Zweck des Gespräches erklären und Zeitrahmen deklarieren schlechte Nachrichten ankündigen Patient zu Verständnisfragen einladen. 01.04.2017 Klinik Sonnenhalde AG 35 N.U.R.S.E. - Schema (Back et al. Arch Intern Med 2007) Naming: Emotionen ansprechen: «Geschockt…» Understanding: »das kann ich verstehen, dass..» Respecting: «Ich finde, Sie gehen gut damit um...» Supporting: »ich kann Ihnen anbieten, dass ich...» Exploring: »was beschäftigt Sie jetzt am meisten/noch?» 01.04.2017 Klinik Sonnenhalde AG 36 DANKE FÜR IHRE AUFMERKSAMKEIT Dr.med.Christine Calabrese Leitende Ärztin Klinik Sonnenhalde AG, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie www.sonnenhalde.ch 01.04.2017 Klinik Sonnenhalde AG 37