Interview lesen

Werbung
INTERVIEW aktuell
Über die Liebe – Ein Gespräch unter
Männern
Liedermacher Konstantin Wecker meets
Zen-Meister Bernie Glassman
© Christa Spannbauer
Die beiden Männer verbindet viel: ihre nicht nachlassende und
geradezu ungebändigte Kraft, sich für soziale und gesellschaftspolitische Projekte zu engagieren, eine durch Krisen gereifte
Lebenserfahrung sowie die Erkenntnis, dass wir einzig durch
liebevolles Handeln und tätiges Mitgefühl die Welt verändern
können. Kein einfacher Weg, wie der 72-jährige Zen-Meister und
der 63-jährige Liedermacher in ihrem Gespräch mit Christa
Spannbauer bekennen.
20 BUDDHISMUS
aktuell 2 | 11
Konstantin Wecker: Was ich an dir, Bernie, so großartig finde und was mich
von Anfang an beeindruckte, ist, dass du
mir nie das Gefühl gibst, dass du der
bessere oder der weisere Mensch bist.
Ich kenne viele Menschen auf dem spirituellen Weg, die den Eindruck erwecken, sie hätten den einzigen Weg
zur Glückseligkeit gefunden, und die irgendwo schon auch glauben, dass sie
die besseren Menschen sind, weil sie
INTERVIEW aktuell
„Es gibt kaum ein Wort,
das so missbraucht
© Sven Schramm
wurde wie die Liebe.“
meditieren. Viele spirituelle Traditionen
betonen ja, dass du auf deinem Weg gar
nicht weiterkommen kannst ohne die
Berührung und Unterweisung eines
Meisters. Und ich selbst glaube schon
auch, dass es spirituelle Meister
braucht, um an ihnen zu sehen, was uns
als Mensch möglich ist. Wenn es sie
nicht gäbe, gäbe es auch keinen Antrieb,
auf dem spirituellen Weg weiterzugehen. Mich persönlich interessiert jedoch
nur ein Liebender als Meister, einer,
dem das Mitgefühl förmlich aus allen
Poren quillt. Von einem spirituellen
Lehrer, bei dem das nicht der Fall ist,
würde ich mir vielleicht eine Meditationstechnik erklären lassen, doch sicherlich würde ich mich ihm weder anvertrauen noch ihn als Meister akzeptieren.
Dafür habe ich einfach schon zu viele
großartige Menschen in meinem Leben
kennengelernt, die von Mitgefühl und
großer Liebe erfüllt waren, ohne dass sie
einen spirituellen Weg gegangen waren.
Die sind mir weit mehr Meister als einer, der mir eine gute Meditationstechnik beibringen kann.
Bernie Glassman: In den ersten Jahren
meiner Zen-Praxis war auch ich ein
ziemlicher Hardliner. Im japanischen
Zen gibt es den Kyosaku (Stock), den ich
anfangs sehr viel benutzte, um die Leute damit zum Erwachen anzutreiben.
Ich schrie die Leute an und schlug sie
damit, bis sie wirklich Angst vor mir
bekamen. Heute vergleiche ich diese
Art von Zen mit chemischer Landwirtschaft. Man zwingt die Natur dazu,
Konstantin Wecker
schneller zu wachsen, doch mit Mitteln,
die sie schädigen.
Was mich wirklich von innen heraus
verändert hat, ist das tiefe Gefühl der
Liebe, das ich in den vergangenen Jahren bei meinen Auschwitz-Retreats erfahren durfte. Bei meinen ersten Retreats fühlte ich wie alle Menschen, die
dorthin kommen, großen Schmerz und
sehr viel Wut. Doch mit jedem weiteren
Retreat veränderten sich diese Gefühle.
Auschwitz ist mein großer Lehrmeister.
Dieser Ort lehrte mich Liebe. Als ich im
vergangenen Jahr von Auschwitz nach
Berlin kam und wir beide uns erstmals
trafen, sprachen wir sehr viel über die
Liebe. Früher war ich beileibe kein
Mensch, der über die Liebe gesprochen
hätte. Doch durch die Veränderungen,
die in meinem Leben stattgefunden haben, ist es mir zwischenzeitlich wichtig
geworden.
unserer Gesellschaft wird die Liebe wie
ein Besitz gehandelt, als etwas, das wir
haben wollen, an dem wir festhalten
und das wir keinesfalls verlieren möchten. Liebe ist aber immer schon da. Wir
können sie weder bekommen noch verlieren. Und „niemand kann die Liebe
binden“, wie ich in einem meiner Lieder
geschrieben habe. Ich weiß nicht, wie es
dir geht, ich aber habe das Gefühl, dass
wir Männer uns in dieser Gesellschaft
weit schwerer tun mit dem Lieben als
die Frauen. Wir sind sehr gut im Geliebtwerden. Und das verwechseln wir
dann oft mit Liebe. Wir glauben, bei der
Liebe ginge es vor allem darum, geliebt
zu werden. Ich selbst habe lange gebraucht zu verstehen, dass Liebe ein aktives Geschehen ist. Und ich glaube,
dass wir Männer in Bezug auf das Lieben noch einiges lernen müssen und einen großen Nachholbedarf haben.
K. W.: Als ich vor einiger Zeit ein
Tourneeprogramm über die Liebe zusammenstellte, wurde mir bewusst,
dass etwa 80 Prozent meiner 600 Lieder von der Liebe handeln. Das wusste
ich bis dahin gar nicht. Ich sprach bis
dahin auch nicht öffentlich über die Liebe. Doch seit einem Jahr ist es plötzlich
das bestimmende Thema für mich. Dabei gibt es kaum ein Wort, das so missbraucht wurde wie die Liebe. Hollywoodfilme, Popsongs und Schlager
haben sich ihrer bemächtigt und zeigen
eine dramatisch eingeschränkte Vorstellung von der Liebe auf. Es gibt doch aber
ganz andere Dimensionen der Liebe. In
B. G.: Das trifft ganz bestimmt auch auf
mein Leben zu. Ich hatte einen Vater,
der keine Liebe zeigen konnte. Meine
Mutter war ein liebevoller Mensch, doch
sie starb, als ich acht Jahre alt war. Ich
hatte also kein Vorbild für Liebe. Als
meine zweite Frau vor einigen Jahren
starb, erlebte ich dies als einen schweren Verlust, der zugleich einen grundlegenden Transformationsprozess einleitete. Erstmals verstand und erlebte ich,
was Liebe wirklich ist. Doch das alles geschah, als ich bereits 60 Jahre alt war.
Die Prägungen meiner Kindheit haben
also sehr lange nachgewirkt. Ich stimme
dir daher völlig zu: Die meisten Männer
BUDDHISMUS
aktuell 2 | 11
21
INTERVIEW aktuell
finden nur schwer Zugang zur Liebe.
Und es ist immer noch schwierig für
Männer, Liebe zu zeigen. Wo ich aufgewachsen bin, galt das als ein Zeichen
von Schwäche. Das führt zu einem
schmerzlichen Mangel im Leben vieler
Männer. Auch ich litt lange darunter.
en. Sie konnten dadurch das hörbar machen, was mit Worten eigentlich nicht
auszudrücken ist. Jedes gute Gedicht ist
letztlich ein Liebesgedicht. Die großen
Dichter wissen, dass es die Liebe ist, die
die Welt im Innersten zusammenhält.
Würdest du sagen, Bernie, dass die
sozialen Projekte, die du gegründet
hast, auf Liebe basieren?
© Sven Schramm
K. W.: Ich musste mir das Wort „Liebe“
erst mal „entkitschen“, um es wieder
verwenden zu können. Das war ein langer Prozess. Gerade die Dichter sind ja
dazu aufgerufen, sich die Worte wieder
zurückzuerobern. Und dafür muss man
sich erst einmal von ihnen befreien.
Worte sind Symbole. Dieser Aussage
hätte ich zwar schon im Alter von 20
Jahren zugestimmt, doch sie hätte für
mich innerlich eine ganz andere Bedeutung gehabt. So geht es mir mit vielen
Begriffen. Sie verändern sich unablässig. Ich habe auch den Tod schon sehr
früh thematisiert, er kommt in vielen
meiner Lieder vor. Oft handeln sie davon, sich dem Tod entgegenzustellen
und sich ihm zu widersetzen. Seit einigen Jahren spüre ich nun, dass der Tod
für mich weit mehr ist als ein gedanklicher Prozess und dass es nichts gibt,
was wir ihm entgegensetzen könnten.
Die Bedeutung des Wortes Tod ist bei
und vor allem in mir angekommen. Sicherlich hat das auch mit dem Tod meiner Eltern zu tun. Ich bin plötzlich nicht
mehr nur theoretisch sterblich, sondern
habe begriffen, dass ich wirklich sterblich bin. Spätestens in meinem Alter
sollte man auch dahin kommen, dies zu
kapieren.
So geht es mir mit vielen Dingen und
so ging es mir auch mit Gott. Es brauchte lange und schwere Auseinandersetzungen mit Gott, doch schließlich gelang es mir, ihn von all dem Ballast zu
befreien, den das Wort „Gott“ mit sich
herumträgt. Ich habe Gott entdinglicht
und entmenschlicht. Ich erkannte, dass
Gott dieser unfassbare Bereich des
Ganz-Anderen ist. Das ist es, was ich
unter Mystik verstehe. Alles das, was wir
mit unserem Denken nicht begreifen
und mit Worten nicht ausdrücken können. Und das ist ungeheuer groß. Dieses Namenlose ist es auch, was Melodien und Gedichte schenkt. Die großen
Dichter haben es geschafft, allein durch
die Zusammenstellung der Worte diese
von ihrer üblichen Bedeutung zu befrei-
22 BUDDHISMUS
aktuell 2 | 11
B. G.: Ganz sicher. Meiner Erfahrung
nach bringt sozial engagiertes Handeln
die Liebe in uns hervor. Es geht für mich
immer um Menschlichkeit. Die Essenz
des Buddhismus ist es, die Einheit des
Lebens zu erfahren. Und wir erfahren
diese am eindrücklichsten, indem wir
anderen dienen. „Du kannst die Tiefe
der Erleuchtung eines Menschen daran
erkennen, wie er anderen Menschen
dient“, sagte Kobo Daishi, der Begründer des Shingon-Buddhismus. Wenn du
dich um einen anderen Menschen kümmerst, dann ist dies Ausdruck von Liebe. Die Praxis des sozial engagierten
Buddhismus, so wie ich sie vermittle, ist
das Handeln aus der nicht dualistischen
Erfahrung. Das unterscheidet sich
grundlegend von landläufigen Vorstellungen des Helfens. Denn es beruht auf
den drei Grundlagen der Zen-Peacemaker vom Nichtwissen, Zeugnisablegen
und liebevollen Handeln. Wir gehen in
jede Situation nicht wissend und mit
völliger Offenheit hinein, wir hören
sehr genau auf die Menschen, denen
wir dienen wollen, und legen Zeugnis
ab von dem, was sie fühlen und was sie
brauchen. Wenn wir aus einer nicht
dualistischen Sichtweise heraus handeln, dann kümmern wir uns nicht nur
um die anderen, sondern sorgen zugleich auch für den Teil in uns, der
hungrig ist, sich verletzt und ungeliebt
fühlt. Wir dienen also immer auch uns
selbst, indem wir anderen dienen. Dies
öffnet uns für die Erfahrung der wechselseitigen Verbundenheit des Lebens.
Wir strecken bewusst die Hand nach
dem anderen aus, wissend, dass es ei-
INTERVIEW aktuell
„Die meisten Männer finden nur
schwer Zugang zur Liebe.
Und es ist immer noch schwierig
für Männer, Liebe zu zeigen.“
© Christa Spannbauer
Bernie Glassman
nen anderen gar nicht gibt, da wir alle
eins sind. Doch viele Menschen erleben
sich als getrennt von den anderen. Das
Dienen wird für sie zu einer Erfahrung
der Verbundenheit.
Meine erste entscheidende Veränderung begann mit meinen Straßen-Retreats. Wenn wir für eine Woche auf die
Straße gingen, dann hatten wir nichts
bei uns, kein Geld, keine Nahrung, nur
die Kleidung, die wir am Leibe trugen.
Wir waren obdachlos. Und so wurden
wir auch von den Menschen behandelt,
die entweder wegblickten oder uns mit
Abscheu anschauten. Ich musste feststellen, dass selbst die Helfer in den
Suppenküchen mitleidig auf uns herabblickten. Damals entschloss ich mich,
meine eigene Arbeit mit Obdachlosen
anders zu gestalten – ohne Trennung
und frei von Überlegenheit.
Um sich wirklich effektiv engagieren
zu können, muss man erst herausfinden, was Sache ist. Das ist die Zen-Basis
unseres sozialen Engagements: Nichtwissen und Zeugnis ablegen, von dem,
was wir vorfinden. Wir haben eine Suppenküche eröffnet, die wir jedoch bewusst nicht Suppenküche nennen, sondern einfach nur Café. Jeder, der hereinkommt, wird bedient und wir servieren
gutes Essen an gedeckten Tischen.
Wenn du das Café betrittst, kannst du
erst mal nicht unterscheiden, wer arm
und wer reich ist, wer obdachlos ist und
wer nicht. In das Café können Menschen aller Gesellschaftsschichten kommen. Diejenigen, die Geld haben, bezahlen für das Essen und diejenigen, die
keines haben, kriegen es umsonst. Das
Ausschlaggebende dabei ist, dass keiner
sich als Mensch zweiter Klasse fühlt.
Unser Motto lautet: Dienen mit Würde,
dienen mit Liebe. Das ist eine Arbeit, die
von Liebe getragen ist und in der sich
Liebe gleichsam auf natürliche Weise
entwickelt.
Hinweis: Erstmals trafen sich die beiden
Männer im vergangenen Jahr zu einer gemeinsamen Veranstaltung in Berlin. Aus
der Begegnung erwuchs ihnen nicht nur eine tiefe Sympathie füreinander. Es entstand
auch die Idee zu einem gemeinsamen Buch,
das im August beim Kösel Verlag mit dem
Titel „Es geht ums Tun und nicht ums Siegen“ erscheinen wird und für das sie sich
vor Kurzem zu gemeinsamen Gesprächen
mit der Herausgeberin Christa Spannbauer
in München trafen (www.christa-spannbauer.de). Bernie Glassman wird auf dem Buddhistischen Kongress in Mainz vom 11.-13.
Juni zu diesem Thema einen Vortrag halten.
Infos unter: www.buddhismus-und-ethik.de
K. W.: Was für eine großartige Idee – ein
gemeinnütziges Café, in dem einfach alle Menschen ohne Unterschied beieinandersitzen! Darüber müssen wir beide
noch genauer reden, denn das sollte
man unbedingt mit engagierten Leuten
auch hier in München in die Tat umsetzen. Das ist ein wunderbares Beispiel
für tätiges Mitgefühl. Für mich persönlich sind Liebe und Mitgefühl weit wichtiger als die sogenannte Erleuchtung.
Ich weiß sowieso nicht, was Erleuchtung letztlich ist und deshalb bemühe
ich mich auch nicht darum. Was ich mir
jedoch wünsche, ist, eines Tages zu einem wahrhaft Liebenden zu werden.
Konstantin Wecker, geboren in München, ist
ein erfolgreicher deutscher Musiker, Liedermacher, Komponist, Schauspieler und Autor.
Er war stets gesellschaftspolitisch engagiert,
ob in der Friedensbewegung oder gegen den
Rechtsextremismus, gehörte jedoch nie einer
Partei an.
Weitere Infos unter: www.wecker.de
Bernie Glassman Roshi ist Dharma-Nachfolger von Taizan Maezumi Roshi. Er gründete die
Zen Community of New York und wurde als
einer der Gründer des sozial engagierten
Buddhismus bekannt.
Weitere Infos unter: www.peacemakers.org
BUDDHISMUS
aktuell 2 | 11
23
INTERVIEW aktuell
Weibliche Spiritualität fördern
© www.buddhachannel.tv | Gabriela Frey
Neues Frauen-Netzwerk für Europa
Gabriela Frey vertritt die Interessen
von Frauen in der Deutschen
Buddhistischen Union und der
Europäischen Buddhistischen
Union. Gemeinsam mit Gleichgesinnten hat sie jetzt ein FrauenNetzwerk für Europa gegründet.
Bettina Geitner sprach mit ihr.
Gabriela Frey mit Nonnen
Buddhismus aktuell: Wozu dient das
neue Frauen-Netzwerk im Internet?
Gabriela Frey: Unsere Lehrer betonen,
dass in jedem Wesen die „Buddhanatur“ bereits vollkommen vorhanden ist.
Doch 1996 sah ich in Indien die Diskrepanz zwischen dem, was gelehrt
wurde, und der tatsächlichen Lebenssituation der Nonnen. Ihre Notlage hat
mich tief berührt, und zurück in
Deutschland wollte ich mithelfen, das
Gleichgewicht zwischen Mönchen und
Männern einerseits sowie Nonnen und
Frauen andererseits wiederherzustellen. Da dies alleine zu schwierig geworden wäre, habe ich mich der Frauenorganisation Sakyadhita International angeschlossen und Sakyadhita France
gegründet. Damit erreichen wir viele
Menschen in unterschiedlichen Spra-
24 BUDDHISMUS
aktuell 2 | 11
chen und können mehr Spenden sammeln. Für Europa war noch ein zusätzliches Netzwerk mit europäischen
Schwerpunkten nötig. So entstand mit
großer Hilfe von Gabriele Kuestermann
das Frauen-Netzwerk www.buddhistwoman.eu.
Welche Zielgruppe wollt ihr ansprechen?
Wir richten uns an alle Frauen und
Männer, Buddhisten und Nichtbuddhisten. Was wir nicht sind, ist ein Club für
frustrierte Frauen. Die Hälfte der Gründungsmitglieder von Sakyadhita France
waren Männer, die begriffen haben, wie
wichtig es ist, das weibliche Potenzial zu
unterstützen. Das Sprichwort sagt: „Bildung für Frauen fördert die Bildung der
gesamten Familie.“ Wenn Frauen unzureichender Zugang zu Bildung gewährt
wird, wirkt sich das auf ihre Kinder aus
und dadurch auf Familie und Gesellschaft.
Wieso setzt du dich ausgerechnet für
Frauen ein?
Ich habe selbst erfahren, dass es wichtig
ist, in der Bildung unterstützt zu werden. Leider konnte ich nicht studieren
und weiß deshalb wie nötig es ist, in einem Umfeld zu leben, in dem jeder Zugang zu Bildung hat. Ich vertrete keinen
feministischen Ansatz, sondern möchte
darauf aufmerksam machen, was der
Buddha gelehrt hat. Mein starker
Wunsch nach Gerechtigkeit treibt mich
an, so vielen Menschen wie möglich das
Ungleichgewicht im Zugang zur Bildung von Frauen und Männern bewusst zu machen. Manche patriarchalische
INTERVIEW aktuell
„Wir Frauen sollten uns nicht
als Konkurrenz sehen,
sondern solidarisch handeln.“
Strukturen innerhalb des Buddhismus
sind kulturell bedingt leider frauenfeindlich. Das widerspricht der Buddhalehre.
Nenn bitte ein konkretes Beispiel für das
Ungleichgewicht zwischen Nonnen und
Mönchen.
In der tibetischen Sakya-Tradition, in
der ich praktiziere, besitzen die Mönche
Klöster und ein College, wohingegen die
Nonnen anfangs nur in einem Haus lebten. Ihr Speisesaal war zugleich Tempel
und Aufenthaltsraum, die Klassenzimmer waren Schlafsäle. Sie wurden notdürftig ausgebildet. Um dies zu ändern
fehlte es nicht an gutem Willen, aber an
Geld. Wir bildeten deshalb ein weltweites Netzwerk und sammelten rund 300
000 Euro. Damit unterstützten wir den
Bau des weltweit ersten Sakya-Tempels
für Nonnen im Exil. Als ihn S. H. Sayka-Trizin einweihte, waren die Menschen auf ihre Nonnen sehr stolz. Ich
brachte auch eine Delegation des Europäischen Parlaments dorthin, die
Computer spendeten. An Losar (tibetisch: Neujahr) sitzen die Nonnen jetzt
nicht mehr wie früher unten am Tempel
an der Treppe neben dem Schuhregal,
sondern oben in einer Reihe mit den
Mönchen. Wir halfen auch 2009 bei der
Gründung eines Instituts für die höhere
Bildung von Nonnen.
Wie sieht die Situation für Frauen in anderen Traditionen aus?
Die weltbekannte Nonne Jetsünma Tenzin Palmo baute in Indien ebenfalls ein
Nonnenkloster, um die Tongdenma-Tradition zu erhalten, und Carola Roloff
(Ven. Jampa Tsedroen) hat viel für das
Nonnenkloster ihrer Gelupga-Tradition
in Südindien erreicht. Sie organisierte
2007 den Hamburger Nonnenkongress
mit dem Dalai Lama, in dem es um die
Rolle der Frauen in der Sangha und
die Nonnenordination ging (www.congress-on-buddhist-women.org). Dieser
war bahnbrechend und erreichte das öffentliche Bewusstsein weltweit. Die Arbeit des Committee of Western Bhikshunis, dem Carola Roloff vorsteht, half
dabei, dass im Department for religious
affaires in Dharamsala ein Umdenken
begonnen hat. Aber wenn Jahrhunderte
hindurch die halbe Menschheit vernachlässigt wird, kann das nicht in ein
paar Jahren aufgeholt werden.
Gibt es aus deiner Sicht einen Unterschied zwischen weiblichen und männlichen Dharma-Lehrerinnen?
Frauen haben eine wesentlich pragmatischere und effizientere Art, den Dharma zu lehren. Pema Chödrön und Tenzin Palmo geben Menschen sehr lebensnahe Tipps wie man die Lehre im
täglichen Leben umsetzt. Aber natürlich
gibt es auch gute Lehrer wie S. H. den
Dalai Lama oder S. H. Sakya Trizin.
Wichtig ist, die eigene spirituelle Erfahrung anderen so zu vermitteln, dass sie
sie nachvollziehen können und selbst
erlangen möchten.
Wer ist eine besonders wichtige Lehrerin
für dich?
Jetsünma Tenzin Palmo und I. E. Sakya
Jetsün Chimey Luding (die Schwester
von S. H. Sakya-Trizin). Diese Lehrerinnen lehren und berühren mich durch
ihre große Erfahrung und ihr Sein. Als
Schirmherrin wacht Sakya Jetsün Chimey Luding gemeinsam mit S. H. Sakya
Trizin über das Frankfurter Zentrum
Sakya Kalden Ling. Sie ist eine der wenigen Frauen, die eine Ausbildung erhielt,
um große Einweihungen (Kalachakra
oder den Lamdre) geben zu dürfen.
Wie können wir deine Arbeit unterstützen?
Mit Beiträgen und Spenden an das Frauen-Netwerk buddhistwomen.eu, an die
DBU oder mit praktischer Hilfe. Jeder,
der auf buddhistwomen.eu ein Projekt
entdeckt hat, das er unterstützen möchte, kann mir eine E-Mail senden. Wer
an unserem Projekt Arche Noah aktiv
mitarbeiten möchte, kann uns qualifizierte Texte über den weiblichen Buddhismus zur Veröffentlichung auf unserem Internetportal buddhistwomen.eu
zuschicken. Wir brauchen Tipps und
Unterstützung beim Schreiben der
Biografien buddhistischer Lehrerinnen
und vor allem beim Übersetzen.
Was ist deine Vision für das europäische
Frauen-Netzwerk buddhistwomen.eu?
Frauen und Männer haben ein Recht
auf gleiche Entwicklungsmöglichkeiten. Wir Frauen sollten uns nicht als
Konkurrenz sehen, sondern solidarisch
handeln. In Europa denken Frauen oft,
dass wir ein befriedigendes Maß an
Gleichberechtigung erlangt haben. Angesichts der Zahl von jährlich 1 500 Todesfällen häuslicher Gewalt allein in
Europa bleibt jedoch aus meiner Sicht
noch sehr viel zu tun.
Gabriela Frey praktiziert in der tibetischen
Sakya-Tradition. Sie repräsentiert die Europäische Buddhistische Union (EBU) im Europarat
und ist Präsidentin von Sakhyadita-France.
Infos: www.buddhistwomen.eu
Gabriela Frey, Telefon 0033 609 77 29 85
E-Mail: [email protected]
Dies ist eine Informationsplattform, um Interessenten in Europa Nachrichten und Informationen zum Thema „Frauen und Buddhismus“
zu vermitteln.
Bettina Geitner hat Politikwissenschaften studiert und lebt in München. Sie praktiziert in
der Theravada-Tradition nach Ayya Khema.
BUDDHISMUS
aktuell 2 | 11
25
ZEN-BUDDHISMUS
Thay Phap An
Das intime Zwiegespräch mit uns selbst
ist die Basis für die Kommunikation
mit dem anderen. Denn wie können wir
einen anderen Menschen verstehen,
wenn wir uns selbst nicht verstehen
und keine gute Kommunikation
mit uns selbst pflegen?
© Christiane Hackethal
Liebe und Verstehen
sprechen lassen
I
n der buddhistischen Praxis gibt es
die Übung der Erdberührungen. Sie
ist eine Form tiefer Kommunikation,
ähnlich wie ein Gebet ein intimes Gespräch mit Gott ist. Dabei kommen wir
tief in Berührung mit uns selbst. Wir
kontemplieren den Buddha auf dem Altar, bevor wir die Erde berühren. Das
äußere Bild des Buddhas reflektiert das
Bild des Buddhas in unserem Inneren.
Wenn wir uns vor dem äußeren Buddha
verneigen, verneigen wir uns auch vor
dem Buddha in uns.
Es gibt eine Gatha1, die uns in diesem Prozess der Kommunikation mit
uns selbst unterstützt. Bevor wir die Erde berühren, sagen wir im Geiste:
26 BUDDHISMUS
aktuell 2 | 11
Derjenige, der sich verneigt,
und derjenige,
der die Verneigung empfängt,
sind von ihrer Natur her leer.
Deshalb kann eine tiefe
Kommunikation stattfinden.
Wir sind leer von einem getrennten
Selbst und auch der Buddha ist leer von
einem getrennten Selbst. Weil beide leer
von einem getrennten Selbst sind, ist
Kommunikation möglich.
Trang Tu, ein chinesischer Philosoph, hat denselben Gedanken anders
ausgedrückt; er sagt: „Wenn jemand mit
uns übereinstimmt, dann lernen wir
nichts Neues, denn er stimmt ja nur zu.
Wenn jemand überhaupt nicht mit uns
übereinstimmt, dann ist auch keine
Kommunikation möglich, denn dann
nimmt er/sie eine Position ein und wir
nehmen eine andere Position ein und
jede/r verteidigt seine Position – deshalb können wir auch in diesem Fall
nichts voneinander lernen. Wir können
nur voneinander lernen, wenn wir gar
keine Position haben. Das ist die Leerheit von einem getrennten, identifizierbaren Selbst.“
Normalerweise identifizieren wir
uns mit unseren Emotionen und Ansichten. Wir halten diese für unser
ZEN-BUDDHISMUS
Selbst. Wir sind nicht fähig, mit dem anderen zu kommunizieren, dem anderen
zuzuhören, wenn wir tief in unseren eigenen Gefühlen gefangen sind.
Kommunizieren bedeutet, von einem gemeinsamen Grund her zu sprechen (die lateinische Vorsilbe „com“ bedeutet „zusammen“). Wir müssen zusammenkommen. Die meiste Zeit aber
kommunizieren wir nicht: Wir kommen
nicht zusammen, sondern erwarten,
dass die anderen unsere Bedürfnisse erfüllen, dass sie unseren Gefühlen und
Emotionen entsprechen, dass sie mit
unseren Ansichten übereinstimmen.
© Billy & Hells | www.billyundhells.de
Tief schauen:
Warum wollen wir reden?
In unseren normalen Interaktionen versuchen wir meist, unsere subjektiven
Bedürfnisse auszudrücken. Wir sprechen, ohne uns darum zu kümmern, ob
der andere dies wirklich braucht oder
will. Wir sagen etwas, um ein Bedürfnis
zum Ausdruck zu bringen, ohne dabei
auf die Bedürfnisse des anderen zu achten.
In der buddhistischen Praxis lernen
wir, Nähe zu uns selbst zu entwickeln.
Wir lernen, unsere Bedürfnisse und die
tiefe Motivation in unserem Innersten
zu verstehen. In dieser Praxis lernen
wir, uns selbst tief zuzuhören ohne zu
urteilen, so wie die Bodhisattva Avalokiteshvara2, die die Fähigkeit hat, dem Leiden der Menschen zuzuhören. Diese
Bodhisattva ist ebenfalls nicht nur
außerhalb von uns, sondern auch in
uns.
Um liebevoll zuzuhören, konzentrieren wir uns auf unseren Atem und weiten dann unsere Achtsamkeit auf unseren Körper und Geist aus. Das hilft uns,
die Signale unseres Körpers und Geistes
zu bemerken. Und dann sehen und verstehen wir auch, aus welcher Motivation
heraus wir sprechen.
Manchmal möchte unser Körper uns
etwas sagen, gibt uns Signale, aber wir
„In mir ist Raum und ich erlaube dem anderen, in
diesem Raum zu sein, ohne zu urteilen oder zu kritisieren.“
sind nicht fähig, sie zu hören und zu
verstehen. Dann werden wir immer verwirrter, wir werden wütend und es entsteht ein Kreislauf des Leidens. Das Leiden unseres Körpers irritiert und frustriert unseren Geist.
Manchmal kommen unsere Schwierigkeiten von unserem psychischen
Leid. Wenn wir unser Leiden nicht verstehen, haben wir oft die Tendenz, anderen die Schuld dafür zu geben. Wenn
wir uns z. B. verlassen fühlen, liegt das
unter Umständen an Ereignissen in unserer Kindheit, aber wir lasten die
Schuld für unsere Einsamkeit unserem
Partner an. Wir haben die Tendenz, dieses Leiden in den gegenwärtigen Augenblick zu projizieren.
Innehalten:
Den offenen Raum in uns berühren
Wir müssen uns darin üben, zu unseren
Gefühlen und Emotionen, zu uns selbst
zurückzukommen. Achtsamkeit ist die
Energie, die uns hilft, in jedem Augen-
blick unseres Lebens da zu sein. Die
Wurzeln unseres Leidens manifestieren
sich in jedem Moment unseres Lebens.
Mithilfe der Achtsamkeit sind wir fähig,
sie zu erkennen. Die Art, wie wir schauen, sprechen, reagieren und unseren
Körper bewegen, kommt aus tiefen
Schichten unseres Inneren.
Ohne Achtsamkeit ist es schwierig,
unsere Gewohnheitsenergie zu spüren.
Normalerweise reagieren wir sofort,
wenn der andere etwas sagt, was uns
nicht gefällt, um unsere Gefühle auszudrücken. Stattdessen üben wir uns nun
im Innehalten. Wir lernen, einen Moment zu entspannen, bevor wir auf das
Gesagte reagieren.
Besonders in schwierigen Situationen ist es sehr wichtig, sich ganz auf das
Ein- und Ausatmen zu konzentrieren,
während man dem anderen zuhört, und
nicht gleich zu antworten, sondern einen Moment Schweigen zuzulassen.
Damit erlaube ich dem, was ich gehört
oder gesehen habe, tief in mich einzusinken, ohne zu reagieren.
BUDDHISMUS
aktuell 2 | 11
27
ZEN-BUDDHISMUS
In mir ist Raum und ich erlaube dem
anderen, in diesem Raum zu sein, ohne
zu urteilen oder zu kritisieren. Ich lerne
dabei, einfach nur tief zuzuhören und
ihn/sie zu verstehen. Ich beobachte
meine Emotionen und das, was ich sagen möchte, bevor ich spreche.
Wenn ich dann spreche, kommen
meine Worte aus dem Raum der Liebe,
des Verständnisses und der Akzeptanz.
Das braucht Übung. Aber solange wir
das nicht tun, ist keine Kommunikation
möglich und der andere bleibt von uns
getrennt.
Kommunizieren:
den gemeinsamen Grund erkennen
Wenn wir diesen leeren Raum in uns
zulassen, dann spüren wir zumeist,
dass der andere etwas sagt oder ein Gefühl ausdrückt, das in dem Moment von
unseren eigenen Gefühlen verschieden
ist. Aber dank dieses Raums in uns bemerken wir auch, dass der andere etwas
spürt, fühlt und ausdrückt, was wir auch
kennen, was wir nach-spüren können,
was wir selbst schon empfunden haben.
Was ist dieses „Selbe“, das wir gemeinsam haben als Menschen?
Wir alle wollen Glück, wir alle wollen
nicht leiden.
28 BUDDHISMUS
aktuell 2 | 11
Wir sprechen so, wie wir sprechen,
weil wir glücklich sein wollen, ohne zu
leiden. Auch der andere spricht aus dem
Bedürfnis heraus, glücklich zu sein und
nicht leiden zu wollen.
Mit diesem gemeinsamen Grund ist
plötzlich alles möglich. Es gibt dann immer eine Lösung, einen Kompromiss.
Aber wenn wir nicht fähig sind, dieses
Bedürfnis und unser Leiden daran zu
sehen, in uns wie in anderen, können
kein gemeinsamer Grund und auch keine wirkliche Kommunikation entstehen.
Liebe und Mitgefühl sind die Basis
der wahren Kommunikation. Wir können diesen gemeinsamen Grund durch
die Praxis des tiefen Schauens und des
Innehaltens erreichen. Und diesen Weg
gibt es in jeder spirituellen Tradition.
Fragen an den Autor:
Wenn eine Beziehung schon zerbrochen
ist und wenn der andere schon ein Vorurteil darüber hat, was ich sage oder denke:
Was können wir tun, um wieder eine gute
Kommunikation herzustellen?
Thay Phap An: In uns gibt es eine intuitive Weisheit, es ist die Energie der Liebe. Unsere Hindernisse sind unsere Ge-
fühle und Emotionen, sie blockieren unsere intuitive Weisheit. Deshalb kann
die Energie der Liebe nicht manifestiert
werden. Leben und Liebe entfalten sich
von Augenblick zu Augenblick.
Wenn wir noch der Vorstellung verhaftet sind, dass sie oder er so und so ist,
können wir den anderen Menschen
nicht von diesem intuitivem Wissen her
umfangen, sondern wir sehen ihn noch
durch die Brille unseres Leidens.
Wenn wir aber fähig sind, ruhig und
friedlich zu bleiben in unseren Interaktionen, auch wenn der andere plötzlich
etwas Unfreundliches sagt, dann wissen
wir von innen her, ob wir etwas sagen
oder besser schweigen sollen. Wir wissen intuitiv, wann und wie wir handeln
und sprechen sollen, und es beginnt etwas Neues – auch im anderen entsteht
etwas Neues.
Wenn du erfolgreich übst, wird der
andere eine andere Vorstellung von dir
entwickeln. Dadurch ändern wir unsere
Beziehungen. Das ist ein lebendiger
Prozess. Wenn du also die Situation
wirklich ändern willst, musst du dein
Leben von Augenblick zu Augenblick
bewusst leben. Wenn wir das nicht tun,
dann geschieht nichts.
In jedem Moment unseres Lebens
sind wir Energie. Diese Energie kann in
zwei verschiedene Richtungen gehen.
Die erste Möglichkeit ist, dass wir sie
transformieren, indem wir sie liebevoll umarmen. Die zweite Möglichkeit
ist, dass wir diese Energie unseren
Gewohnheitsmustern überlassen. Meistens reagieren wir auf die zweite Art.
Wenn wir sehr achtsam sind und uns
um unsere Energie kümmern, gehen
wir in die erste Richtung, die der liebevollen Umarmung. Wenn wir aber ohne
Bewusstheit reagieren, bleibt uns nur
die zweite Möglichkeit des automatischen Gewohnheitsmusters.
Wenn wir fähig sind, in Richtung
von Transformation und allumfassender Liebe zu gehen, können wir auch akzeptieren, dass der andere sich nicht än-
ZEN-BUDDHISMUS
dert. In der Vergangenheit hat er/sie dir
Schwierigkeiten bereitet, dich verletzt.
Aber wenn du praktizierst, änderst du
deine Vorstellung von ihm/ihr. Du
fühlst Liebe für ihn/sie. Diese Liebe hat
nichts damit zu tun, dass er/sie dein Bedürfnis stillt, sondern sie kommt daher,
dass du verstehst, dass er/sie leidet. Er
braucht Hilfe, du kannst ihn so annehmen, wie er ist. Wenn du nur oberflächlich hinschaust, reagierst du verletzt.
Aber wenn du übst, kannst du tiefer sehen und musst nicht urteilen, sondern
kannst ihn annehmen.
Diese Energie der Liebe beschützt
dich vor allem selbst, mehr noch als die
andere Person. Der andere sagt etwas
Verletzendes, aber du bleibst trotzdem
ruhig und friedlich, dein Mitgefühl
transformiert deinen Schmerz. Du bist
nicht mehr das Opfer des anderen, du
bist nicht in der Situation gefangen,
sondern frei.
Diese geistige Orientierung müssen
wir kultivieren. Es dauert eine Weile, bis
wir das wirklich verstehen und annehmen. Aber das Erstaunliche ist, dass du,
wenn du die spirituelle Dimension
berührst, merkst, dass du total zufrieden
und erfüllt bist. Dann merkst du, dass es
dein Partner ist, der Hilfe braucht. Du
selbst bist innerlich zufrieden.
„Wirkliche Kommunikation beruht darauf,
dass wir das Leid der anderen Person sehen.“
Und nachdem du dich verändert
hast, wird sich auch dein Gegenüber ändern. Denn du reagierst nicht mehr gewohnheitsmäßig und schaffst so weniger Leiden. Aber kümmere dich nicht so
sehr darum, ob der andere sich ändert
oder nicht. Du kannst vertrauen: In dem
Moment, in dem wir den tiefen Frieden
in uns berühren, wird auch die Welt um
uns herum sich ändern.
Ist es nicht auch wichtig, dem anderen
unsere Bedürfnisse zu erklären und zu erwarten, dass er versucht, uns zu verstehen?
Es gibt viele Modelle und Theorien der
Kommunikation. Was ich heute dargestellt habe, ist die Kommunikation, die
auf spiritueller Basis beruht. Wirkliche
Kommunikation beruht darauf, dass wir
das Leid der anderen Person sehen. In
der buddhistischen Praxis ist die Befreiung von unserem Leid die grundlegende Praxis. Auf diesem Weg brauchen wir
manchmal auch, dass die andere Person
uns versteht. Aber wenn du noch einen
Schritt weiter gehst und vom anderen
erwartest, dass er oder sie ihr Verhalten
ändert, dann ist das ein Hindernis.
Stattdessen versuchen wir, unser eigenes Verhalten zu transformieren, sodass wir helfen können, die Situation zu
ändern. Wenn es dem anderen möglich
ist, sein Verhalten zu ändern, dann ist es
schön, aber wenn der andere sein Verhalten nicht ändert, weil seine Gewohnheitsenergie so stark ist, dann können
wir immer noch im Frieden damit sein
– weil wir wissen, wie schwierig es ist,
Gewohnheitsenergien zu ändern. Wir
selbst haben ja auch Schwierigkeiten,
unser Verhalten zu transformieren. Es
ist nicht leicht und es braucht Zeit.
Wenn unser Partner allerdings seinerseits nicht auch übt, dann wird es sehr
schwer für ihn sein, sein Verhalten zu
ändern.
Quelle: Gekürzte Version eines Vortrags,
den der Ehrwürdige Thay Phap An im Rahmen eines Retreats Ende 2010 im Europäischen Institut für Angewandten Buddhismus (EIAB) in Waldbröl gehalten hat.
Bearbeitung: Christiane Hackethal
Anmerkungen:
1 In der Tradition von Thich Nhat Hanh versteht
man unter einer Gatha einen kurzen Vers, der
rezitiert wird, um sich in Achtsamkeit auszurichten.
2 Avalokiteshvara ist in Vietnam als Bodhisattva
des universellen Mitgefühls vom Geschlecht
her weiblich.
Thay Phap An ist Direktor und Studienleiter
des Europäischen Instituts für Angewandten
Buddhismus (EIAB) in Waldbröl bei Köln.
Er ist in Vietnam geboren. 1988 schloss er in
den USA sein Studium zum Diplom-Chemiker
ab und promovierte 1990 in angewandter
Mathematik. 1992 wurde er von Thich Nhat
Hanh ordiniert. Seit 2008 leitet er zusammen
mit Sr. Annabel das von Thich Nhat Hanh und
seiner Sangha gegründete EIAB.
Weitere Infos: www.eiab.eu.
BUDDHISMUS
aktuell 2 | 11
29
Herunterladen