Presseinformation: BARON MÜNCHHAUSEN Comic-Opera für Bariton, vier Sänger, Percussion, Kontrabass und Elektronik. Komposition: Wolfgang Mitterer. Libretto: Ferdinand Schmatz. Oper ist vor allem dann lebendig, wenn wir immer wieder neue Zugänge zu ihr suchen. Nicht zuletzt deshalb experimentiert die Wiener Taschenoper im Grenzbereich zwischen Elektronik, Multimedia und zeitgenössischem Tanz. Die Uraufführung von „Baron Münchhausen“ ist in dieser Hinsicht nur konsequent: DER Superheld des 19. Jahrhunderts als „Comic-Strip-Oper“, musikalisch gewandet von Wolfgang Mitterer in bekanntprovokantem Sample-Mix aus Klassik, Wolfsgeheul, Kriegslärm, ächzende Schiffsmasten, u.v.m. und in Szene gesetzt von Franc Aleu, Videokünstler aus Barcelona, der mit seinen Videoarbeiten u.a. an „Ring“ (Valencia) und „Tannhäuser“ (La Scala) international für Furore sorgte. WAS IST WAHRHEIT? WAS LÜGE? Was ist Wahrheit? Was Lüge? Was Wirklichkeit? Was Fiktion? Wer spricht: Einer? Nachdem Gerhard Dienstbier und Wolfgang Mitterer mit der Idee einer Münchhausen-Oper an mich herantraten, war da sofort ein Verlangen, diese Fragen wörtlich wie bildlich wie klanglich anders ins Spiel zu bringen. Inhalt und Form in ein sich gegenseitig generierendes Verhältnis zu setzen. Nichts entsteht aus nichts. Also bildete Gottfried Bürgers satirischer Münchhausen-Text den Bezug. Eine Kritik am sozial, ökonomisch und ästhetisch Bestehenden, an dessen ritualisierter Blödartigkeit in allerdings erzählerisch konventioneller Form. Diese aufzubrechen und mit anderen Medien zu verbinden, war das Ziel. Nicht zufällig spricht Münchhausen in der Comic-Oper oft von Avantgarde. Ein Wort, das er bei Bürger im militärischen Sinn verwendet (wie es in der Begriffsgeschichte der Avantgarde auch erklärt wird und deren Theoretiker Peter Bürger heißt!). Ich fand es amüsant und wegweisend, es hier zum ersten Mal in einem poetischen Text aufzufinden, und griff es auf, auch um eine Art Ironie des avantgardistischen Experiments anzudeuten, das der historische Münchhausen als schwarzes Schaf seiner Linie wohl repräsentierte. Münchhausen ist eine Überfigur. Ein Einzelheld. Ein Gesamtkunstwerk. Als geschichtliche Figur genauso wie als literarische. Dieses zu verstärken und damit zum Einsturz zu bringen, war die Versuchung. Bei ihm wird viel gelacht. Aber es ist ein Lachen an der Grenze, am himmlischen Abgrund zwischen Selbsterhöhung und Selbstverlorenheit, die durch die Lüge als kreative Kraft aufgezeigt und ausgeglichen werden soll. Wir lachen, wo wir sprachlich nicht verstehen können – also dachten wir an eine Form, die Hören, Schauen und Sprechen in eins versammeln sollte: Die Comic-Oper drängte sich vor und in unsere Augen, Ohren, und so in die Stimme des Verstands. Was das Comic, und ich studierte es heiter wie verzweifelt von Fritz the Cat bis zu den japanischen Mangas, auszeichnet, versuchte ich in das Libretto zu transformieren: Ihre lautmalerischen Elemente drängen als Geräusch und als Klang zur Musik, sind kurz und lautarchetypisch anschaulich. Der hart konturierte Strich der Oberfläche, der sehr tief reichen kann, der krass den Moment hervorhebt, der das Narrative sequenzartig zusammen- oder auseinanderschneidet in kurzen, starken Bildern. Die, meistens, von einem Helden oder einer Heldin dominiert werden – über das herkömmlich Narrative hinaus, in der Setzung zwischen Wirklichkeit und Phantasma, das in ihrer Weise die Erzeugung der Welt in tiefster Schönheit ermöglicht, am Mond, im Bauch des Wals. Dieses tritt in Münchhausen im Gewand des Realen auf und erhebt die Lüge und ihre Unwahrscheinlichkeit zur Tatsache und Wahrscheinlichkeit. Niemals aber zur einzigen Wahrheit! Im Gegenteil: Sie stellt diese, einzige, in Frage – durch ein Handeln aus Unter-, Hinter- und Übertreiben der von oben aus sanktionierten Wahrheit, was ihn von Superman und Batman unterscheidet. Die Sprache der Comic-Oper veräußert dieses richtige Leben im Falschen anders. Bekannte Geschichten – wie das Pferd auf der Kirchturm spitze, der Ritt auf der Kanonenkugel, die Reise zum Mond, wurden jedoch in einen Kontext gesetzt, der zeigen soll, dass dieses Handeln nie allein vonstattengehen kann, dass dabei immer wieder andere beteiligt sind, und nicht selten zum Handkuss kommen. Den Kuss aber strebt Münchhausen an, in sehnsüchtiger Suche nach einer Prinzessin, die wir eingeführt haben, um ein Gegengewicht, geschlechtlich wie sozial, zu schaffen. Die Form, in der sie mit den anderen Protagonisten, einem weiblich-männlichem Chor agiert, ist jene des Changierens der Identitäten, das in der Comics-Ästhetik schlummert. Die Musik von Wolfgang Mitterer entstand nach der Erarbeitung des Librettos, das er jedoch in Hinsicht auf gesangliche und dramaturgische Kriterien mehr als mitlas. Es war ein Dialog, heftig, fragend, erkennend, lustbestimmt. Ferdinand Schmatz BARON MÜNCHHAUSEN (INHALT) M. (Baron Münchhausen), auf dem Weg ins ferne Russland. Er verschenkt seinen Mantel an einen fast Erfrorenen. Enten steigen hoch, M. zielt und schießt und trifft sein Pferd, das am winterlich verschneiten Kirchturm am Dorfplatz hängt. Die Dorfbewohner bewundern den edlen Fremden. M. reist weiter nach Petersburg. Ein Wolf stellt sich ihm in den Weg. Der Wolf frisst das Pferd und M. reitet auf diesem in St. Petersburg ein. Im Haus der Madame Bonton. Die feine Gesellschaft philosophiert t über Kunst und Leben. Auftritt M. Wirbel, Krach, Gelage mit Wein, Schnaps, Tanz und Gesang. Ein General mit künstlichem Schädel, lüftet diesen, um den konsumierten Alkohol verdunsten zu lassen. Das reizt M. zu einem kühnen Experiment. Er zündet das entweichende Gas zur Begeisterung aller Gäste an. Bravo. Applaus. Der General und M. auf der Jagd. Im Wald treffen sie auf einen Bären, flüchten auf einen Baum, können ihn aber schließlich in die Flucht schlagen. M. und der General beschließen mit dem Kapitän in den Krieg zu ziehen, um Gibraltar zu befreien. Mitten im Kriegsgetümmel tauchen ein Wolf und ein tollwütiger Mantel auf. Heftiges Feuer und der berühmte Ritt auf der Kanonenkugel. Als Priester verkleidet, schleicht sich M. ins feindliche Lager und setzt dort sämtliche Waffen in Brand. M. fällt in tiefen Schlaf, träumt von einer Prinzessin vom Mond und seiner Mutter. Er reitet auf einem Seepferdchen durch die Unterwasserwelt, er wacht aus dem Traum und findet sich in der Schlacht wieder. Jubel für den Helden. M. zieht weiter nach Konstantinopel. Im Haremsgarten des Sultans. M. schießt eine Ballonfahrerin vom Himmel. Sie erinnert ihn an die Prinzessin vom Mond und er bietet ihr den Honig des Sultans an. Die Sultanin ist eifersüchtig und beginnt einen Werbetanz für den Baron. Es kommt zur Wette um eine Flasche Wein aus Wien. Der Sultan verliert die Wette und seinen gesamten Hofschatz. Flucht nach Norden. Auf hoher See. Das Schiff schlägt leck und M. dichtet dieses mit seinem Hintern ab. Der Mast bricht und das Schiff schwebt in eine Traumwelt ein, in eine Welt aus Milch und Wein. Plötzlich taucht ein riesiger Wal auf und verschluckt das Schiff. M. und seinen Getreuen gelingt es, sich daraus zu befreien, und die Reise geht weiter zum Mond, wo M. die Prinzessin wieder trifft, die ihn in eine magische Welt einführt. Das Erwachen folgt auf dem Fuß. M. fällt aus allen Wolken auf die Erde zurück: „Avantgarde, Avantgarde! Ich ist Ich! Nie geht mir die Luft, die Lust, der Weinbrand aus! Besuchen Sie mich alsdann, an Unterhaltung soll es nicht fehlen.“ Ferdinand Schmatz