May 23, 2014 , Michaela Senn IFFI had some music: David Hebenstreit beim IFFI Campus 2014 Vom 27. Mai bis zum 1. Juni 2014 findet wieder das IFFI Internationale Film Festival Innsbruck statt. Zeitgleich erfolgt die zweite Auflage des IFFI-Campus, ein Workshop für junge Talente, die ihr filmisches Wissen durch ExpertInnen vertiefen werden. Neben den Workshops im Bereich Film werden auch Vorlesungen und Übungen im Bereich Musik abgehalten: Einer der Experten des IFFI Campus Music ist der aufmerksamen franz-Lesern bekannte David Hebenstreit alias Sir Tralala. Gastkorrespondentin Michaela Senn hat mit dem Musiker, Produzenten, DJ und Uploadsounds-Jurymitglied ein ausführliches Gespräch über Film, Filmmusik und seinen Workshop bei IFFI Campus geführt. David, wie bist du zum Film und zur Filmmusik gekommen? Bei meinem ersten richtigen Kinobesuch war ich vielleicht 4 Jahre alt, mein Vater hatte mich mitgenommen. Entweder war’s eine Verfilmung von Robinson Crusoe oder Walt Disneys Song of The South. Mein erstes traumatisches Filmerlebnis hatte ich auch in dem Alter. Ich war bei Bekannten meiner Eltern eingeschlafen und in einem kleinen Schwarz-weiss-Fernseher lief Polanskis Tanz der Vampire. Ich bin irgendwann aufgewacht und habe zum Fernseher hingesehen und gerade noch die Endszene mitbekommen, in der die Vampirfrau dem Vampirjägergehilfen ihre Zähne in den Hals rein fetzt und der Sprecher sagt, dass das Böse sich nun immer weiter in die Welt ausbreiten würde. Meine ersten bewussten Filmmusikerlebnisse hatte ich kurze Zeit später. Meine Oma sah sich oft Derrick an und die Titelmelodie löste schon damals eine tiefe Melancholie in mir aus – jedoch nicht ganz so negativ wie die Schlussmelodie der Lindenstrasse. Im Ferienlager, wo ich den Sommer immer verbrachte, gab es oft einen Erwachsenen, der mit einem 8mm-Projektor Filme zeigte. Ich kann mich an Aristocats, Robin Hood, Asterix und Ronja, die Räubertochter erinnern. Auch The Wizard of Oz hat mich lange mitgenommen – der lief oft bei meiner anderen Grossmutter. Wo ich wohnte, gab’s ums Eck ein Kino, wo kommerzielle Sachen gezeigt wurden, und in der Nähe vom Bahnhof ein alternatives Kino, wo auch Produktionen liefen, die nicht aus Hollywood waren. Bis heute mag ich beides. Manchmal brauche ich einen teuren Blockbuster mit 1000 SFX, bei denen mir die Surround-Anlage um die Ohren donnert, und manchmal schaue ich gerne Filme, die man nie in einem Cineplexx zeigen könnte. Später, als ich einen eigenen kleinen Fernseher hatte, habe ich mir dann sowieso jeden Schrott angesehen. Dann kam der erste Videorecorder und ich war infiziert vom Film. Es gab Zeiten, da hab ich mir wochenlang täglich zwei bis drei Filme aus der Videothek geholt. Als ich nach Wien kam, wohnte ich mit einem Freund im Zimmer eines Studentenheimes. Er versuchte gerade die Aufnahmeprüfung für die Filmakademie und ich hab ihm damals das Video für diese Prüfung vertont – mit einem Mehrspur-Recorder, einer Stromgitarre, einem alten Drumcomputer und einer Videokassette mit einem Film von Jim Jarmusch. Von diesem Film habe ich Soundeffekte herausgeschnitten und verwendet. Das Ergebnis habe ich dann auf seine Videokassette raufgespielt und, als er vor die Kommission musste, ist er draufgekommen, dass Sound beim Video eigentlich gar nicht erlaubt war. Die Prüfung hat er aber trotzdem geschafft. So bin ich zum Film gekommen. Später habe ich auch in einem seiner Filme mitgespielt, Stillleben heisst der Film – ich habe mich bis heute nicht überwinden können, mir den Film anzuschauen. Welche Rolle kann/darf/muss Musik im Film spielen? Es gibt ja auch die Möglichkeit, den Film mit bereits bestehenden Songs zu untermalen und somit im Rezipienten einen Wiedererkennungseffekt auszulösen. Aber worin besteht das Reizvolle an einer speziell für DIESEN Film komponierten Musik? Und was hältst du von Filmen, die ganz auf Musik verzichten, wie beispielsweise Dogma 95? Diese Fragen sind eigentlich viel zu komplex, um sie knapp und ausreichend beantworten zu können. Es gibt viele verschiedene Möglichkeiten, Musik für ein und denselben Film zu verwenden. Wenn man vor einem Berg steht, gibt es auch verschiedene Möglichkeiten, um auf die andere Seite zu kommen. Man kann drüber klettern, kann eine Seilbahn bauen, kann mit einem Hubschrauber drüber fliegen, kann einen Tunnel graben oder ein Schiff bauen und sich in diesem Schiff über den Berg ziehen lassen. Es ist jedoch üblich, dass sich der Regisseur oder die Produktion beispielsweise überlegt haben, dass du einen Tunnel gräbst, weil die finden, das ist am elegantesten. Ein anderer Regisseur findet Seilbahnen besser. Es kommt auch vor, dass Regisseure sagen, sie möchten, dass du einen Tunnel gräbst, und dann gräbst du einen Tunnel in den Berg und wenn du in der Mitte vom Berg angelangt bist, dann fragen sie dich, warum du eine Seilbahn gebaut hast, obwohl die einen Tunnel wollten. Einen Film zu schaffen ist ein kreativer Prozess, der bei keinem Film gleich ist, und man kann nicht pauschal darauf antworten, was Musik im Film soll. – Das ist unter anderem auch das Reizvolle daran. Toll ist es, wenn man die Möglichkeit hat, als Komponist über die Musik einen Teil seiner eigenen Interpretation des visuellen Materials einfließen zu lassen. Film ohne Musik kann natürlich auch funktionieren. Das Manifest von Dogma 95 mag ich in diesem Zusammenhang jetzt nicht bewerten; und wer sein Schaffen mit einem ideologischen Überbau auf diese Art und Weise beschränken mag oder nicht die Möglichkeit hat, sich ein gescheites Kamerastativ zu besorgen, der soll das halt so machen. Ein absolut großartiges Beispiel für einen Film, für den es zwar einen Komponisten gab, der aber bewusst so gut wie keine Musik eingesetzt hat, ist No Country for Old Men von den Cohen Brüdern. Nachdem es ja auch so etwas wie eine sozialisierte filmmusikalische Erwartungshaltung gibt, die man – zumindest in einem bestimmten Rahmen – bedienen muss, oder besser: auf die man zweckbestimmt psychologisch Einfluss nehmen kann – fällt da auch das Weglassen von Musik in die kompositorische Tätigkeit mit rein. Aber das sind Dinge, die jetzt schon sehr in die Tiefe gehen und über die man viel diskutieren kann. Welche Rolle spielt der Gesang beim Film-Soundtrack? Beim Filmsoundtrack Farinelli – Il Castrato, beispielsweise, da spielt der Gesang eine übergeordnete Rolle; er ist ja auch zentrales Thema des Filmstory selbst. Bei der Verfilmung von Das Parfum geht es dann wiederum eher ums riechen, obwohl im Soundtrack auch gesungen wird. Wie sieht die Musikproduktion für einen Film in der Praxis aus? Werden dir bereits produzierte Filmszenen vorgespielt, die du dann vertonst oder komponierst du frei nach Thema? Das ist verschieden. Vor allem, wenn man im Independent-Bereich – und Österreich ist nicht Hollywood – arbeitet, gibt es keine wirklichen Rezepte. Wichtig ist vor allem, dass Regisseur und Komponist eine gemeinsame Sprache finden. Es kommt darauf an, in welchem Stadium des filmischen Schaffensprozesses die Musik miteinbezogen wird. Es gibt Filmemacher, die haben bereits beim Verfassen des Drehbuchs bestehende Songs im Kopf, die sie für den Film lizensiert haben möchten; andere wiederum haben überhaupt keine Vorstellung vom Sound und beziehen den Komponisten erst ein, wenn der Film grob geschnitten ist, und lassen sich Layouts erklären.Bei der Musik zu Die Vaterlosen war es so, dass die Regisseurin mir zuerst das Drehbuch zum Lesen gab, und mir eine CD mit Songs vorgespielt hat, die sie während der Drehbuchschreiberei gerne gehört hat. Dann kam der Auftrag von ihr, dass ich einen Titelsong für’s Ende produzieren solle und eventuell ein bisschen Gebrauchsmusik. Als wir über den Stoff geredet haben und ich ihr Ideen für einen Score zeigte, haben wir viel diskutiert und sind dann zum Schluss gekommen, dass es keinen durchkomponierten Score geben soll. Interessant bei diesem Film war, dass ich viel Musik für eine direkte Erzählebene gemacht habe. So bauten wir beispielsweise ein Kinderlied ein und ich schrieb dafür einen metaphorischen Text mit Bezug zur Handlung, den der Hauptdarsteller im Film selbst singen sollte. Dafür hat die Regisseurin sogar die Filmdramaturgie soweit geändert, dass sich das Lied mit der Story verweben ließ. Es ist toll wenn man so arbeiten kann, dass es eine künstlerische Wechselwirkung gibt – was jedoch bei klassischen Filmprojekten eher selten der Fall ist. Vor allem dann, wenn die Dreharbeiten bereits abgeschlossen sind. Außerdem ist eine richtige Filmproduktion ein Werk, wo alles sehr gut koordiniert sein muss. Da arbeiten unzählige Leute mit und wenn sich der Film in einer bestimmten Phase befindet, muss nach Plan abgearbeitet werden. Anders kann man den Haufen kaum zusammenhalten. Bei einer anderen Stelle in Die Vaterlosen kommt ein lizensierter Song von Ton Steine Scherben vor und später im Film spielt eine der Darstellerinnen dieses Lied am Akkordeon – obwohl sie nicht Akkordeon spielen kann. Das heißt, meine Aufgabe bestand darin, das Lied für Akkordeon so umzuschreiben, dass ich es finger- und blasebalgsynchron zu der bereits geschnittenen Szene nachsynchronisieren konnte, es aber trotzdem nicht holprig und inszeniert klingt und einen der emotionalen Situation entsprechenden Flow hat. Für eine weitere Stelle brauchte die Regisseurin einen Deutschen Schlager und meine Vorgabe bestand darin, einen schlechten Schlagersong mit deutschem Text zu produzieren, wobei das Lied aber nicht ironisch rüberkommen sollte. Zudem habe ich eine Art Tango-Musik für eine Tanzszene bearbeitetet, weil die Musikaufnahme künstlich gealtert klingen sollte. Und im Film sieht’s so aus, als würde das von einer Schallplatte kommen. Das sind alles Beispiele dafür, wie Musik im Film vorkommen kann. Ein guter Tipp fürs Filmmusik machen ist ein ständiger Austausch mit den RegisseurInnen, weil es sonst passieren kann, dass man autark in seiner Kammer arbeitet und sich manisch über die Fortschritte freut, ein fertiges Stück präsentiert, mit dem man zusammengewachsen ist, und dann aber alles neu machen muss, weil sich die Regie mit dem musikalischen Zugang nicht anfreunden kann. Außerdem ist es ungemein wichtig, sich darum zu kümmern, dass man die entsprechenden Deadline-Termine rechtzeitig bekommt. Was erwartet die jungen Talente in deinem Workshop IFFI had some music? Zuerst werden wir uns theoretischen Dingen widmen, uns ein bisschen Geschichte anschauen, konkrete Beispiele durchgehen, uns anschauen wie Musik im Film verwendet wird. Weiters werden wir auch die Themen zu den Fragen, die du gestellt hast, näher beleuchten. Dann werden wir einige abstrakte Übungen machen, die helfen sollen, Bilder mit musikalischer Sprache auszudrücken sowie Musik bildhaft zu beschreiben. Im Prinzip zielen die Übungen auf die Sensibilisierung einer bewussten Verbindung von Visuellem und Akustischem ab. Nachdem an diesen Übungen sowohl MusikerInnen als auch FilmemacherInnen teilnehmen, fördern wir so die Kommunikation zwischen den Schaffenden beider Disziplinen. Wenn das funktioniert, dann geht es an die Vertonung von Filmmaterial. Wie sehen deine Zukunftspläne in Bezug auf das filmische Schaffen aus? Dieses Jahr arbeite ich an meinem sinfonischen Werk weiter, übe Geige für die neue Bluegrassband und arbeite am Material für ein Sir-Tralala-Album. Wir haben voriges Jahr auch einen Filmteaser gedreht, für den wir gutes Feedback von einigen Produktionsfirmen bekommen haben. Ich spiele in dem Film mit und teile mir mit dem Regisseur – der auch Musiker ist – die Filmmusikarbeit. Aber wer weiss, was sonst noch an Arbeit reinkommt…