EphB 1 48651 / p. 1 /26.5.2014 VERLAG KARL ALBER A EphB 1 48651 / p. 2 /26.5.2014 In diesem Buch wird Fichtes späte politische Philosophie (nach 1800) in ihrer Struktur erfasst und als ein Teil seines philosophischen Systems dargestellt. Grundbegriffe der politischen Philosophie, wie Staat, Recht, Freiheit, Bildung, Sittlichkeit, werden untersucht und ihr Verhältnis zur Wissenschaftslehre, zur Moralphilosophie, zur Religion und zur Geschichte kritisch beleuchtet. So wird offenbar, dass die politischen Gedanken in enger Verbindung zu seinen theoretischen Werken stehen. Insbesondere der Bild-Begriff spielt in Fichtes Spätwerk eine bedeutende Rolle: Er erweist sich als ein Schlüsselbegriff für das Verständnis seines philosophischen Systems und dient – durch das Begriffspaar Bild / Bildung – als Verbindungsglied zu seinen politischen Werken. Der Autor: Konstantinos Masmanidis, geboren 1977 in Thessaloniki, ist wiss. Mitarbeiter am Lehrstuhl für Bildungsphilosophie/Systematische Pädagogik der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. EphB 1 48651 / p. 3 /26.5.2014 Konstantinos Masmanidis Fichtes Begriff der politischen Philosophie EphB 1 48651 / p. 4 /26.5.2014 P EICHSTÄTTER philosophische Beiträge 1 Herausgegeben von Walter Schweidler EphB 1 48651 / p. 5 /26.5.2014 Konstantinos Masmanidis Fichtes Begriff der politischen Philosophie Eine Untersuchung der späten politischen Werke im Lichte des Begriffspaares Bild – Bildung Verlag Karl Alber Freiburg / München EphB 1 48651 / p. 6 /26.5.2014 Originalausgabe © VERLAG KARL ALBER in der Verlag Herder GmbH, Freiburg / München 2014 Alle Rechte vorbehalten www.verlag-alber.de Satz: SatzWeise, Föhren Herstellung: CPI buch bücher.de GmbH, Birkach Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier (säurefrei) Printed on acid-free paper Printed in Germany ISBN 978-3-495-48651-1 EphB 1 48651 / p. 7 /26.5.2014 Inhaltsverzeichnis Vorbemerkung und Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Einleitung . . . . . . . . . . Zur Methode . . . . . . . . Zum Bild-Begriff . . . . . . Politische Philosophie . . . . . . . 15 15 16 17 Darstellung der theoretischen Philosophie Fichtes als Grundlage zum Verständnis seiner politischen Schriften . . . 23 Vom absoluten Ich zum absoluten Sein . . . . . . . . . . . Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Einheit in Fichtes Werken . . . . . . . . . . . . . . . Die Problematik der Gliederung in Fichtes Werk . . . . . Die Wissenschaftslehren . . . . . . . . . . . . . . . . . Einheitstheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ›Transzendentalismus‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fichtes ›Transzendentalismus‹ in seinen Frühwerken . . . Die Unendlichkeitsproblematik . . . . . . . . . . . . . . Fichtes Mittlere Periode. Die Wissenschaftslehre von 1804 . Fichtes Späte Periode. Das Absolute und seine Erscheinung 23 23 23 26 28 30 33 35 38 41 45 . . 51 . . 51 . . . . . . 59 61 66 I 1 §1 §2 §3 §4 §5 §6 §7 §8 §9 § 10 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Die Funktion des Bild-Begriffes in der Philosophie Fichtes § 11 Der Bild-Begriff in den frühen Werken Fichtes. Bestimmung der Wirklichkeit . . . . . . . . . . . . . § 12 Die Lehre vom Bild in der zweiten Periode der Wissenschaftslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 13 Wirklichkeit – Verstand – Vernunft . . . . . . . . . . § 14 Da-sein des absoluten Seins – Bild und sich-bilden . . . . . . 7 EphB 1 48651 / p. 8 /26.5.2014 Inhaltsverzeichnis § 15 Der Bild-Begriff in den späten Werken Fichtes – Sein und Reflexion . . . . . . . . . . . . . . . . . § 16 Das Sein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 17 Bild – Wissen – Reflexion . . . . . . . . . . . . . . § 18 Sicherscheinung des Absoluten . . . . . . . . . . . § 19 Bewusstsein und Wissen als Da-seinde des Absoluten § 20 Das Bild des Absoluten . . . . . . . . . . . . . . . § 21 Sein und Bild in der späten Philosophie Fichtes . . . § 22 Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 23 Gesetz und Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 68 71 73 74 77 78 81 82 II Politische Philosophie Fichtes im Spätwerk . . . . . . . . . 87 1 § 24 § 25 § 26 Der Absolute Staat. Recht – Sittlichkeit – Religion . . . . . Theoretische Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . Die Bedeutung des Begriffs der Geschichte . . . . . . . . Die politische Philosophie Fichtes in der mittleren Periode – Der Begriff der Gattung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die »neue« Dimension des Politischen – Die Rolle des absoluten Staates . . . . . . . . . . . . . . Grundformen des Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . Politische Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grundformen der Staatsverfassung . . . . . . . . . . . . Regierungsverfassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . Sittlichkeit und Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gattung, Staat und Religion . . . . . . . . . . . . . . . . Gleichheit im Staat – Gute Sitte . . . . . . . . . . . . . . Inhalt der wahren Religion . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 87 89 § 27 § 28 § 29 § 30 § 31 § 32 § 33 § 34 § 35 § 39 2 § 37 § 38 § 39 § 40 8 Geschlossener Handelsstaat – Rechtslehre – Freiheit – Eigentumslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vom Wirklichen Staat zum Vernunftstaat. Die Rolle der Politik . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtslehre – Vertragstheorie – Staat . . . . . . . . Eigentumstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 96 102 104 107 110 111 112 115 116 120 . . . 122 . . . 122 . . . 124 . . . 127 . . . 130 EphB 1 48651 / p. 9 /26.5.2014 Inhaltsverzeichnis § 41 Pflichten der Regierung vor der Schließung des Handelsstaates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 42 Unterteilung in drei Stände . . . . . . . . . . . . . . . § 43 Exkurs – Theorie des Geldes . . . . . . . . . . . . . . § 44 Schließung des Auslandsverkehrs – Natürliche Grenzen, Krieg (Wirtschaftskrieg) und Autarkie . . . . . . . . . § 45 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Fichtes realpolitische Einschätzungen . . . . . . . . . . . § 46 »Inwiefern Fichtes Politik auch noch auf unsere Zeiten Anwendung habe« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 47 ›Bösartigkeit‹ der Menschen. Die unumschränkte Gewalt eines einzigen Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 48 Rechtsverhältnis zwischen Staaten . . . . . . . . . . . . 133 . 135 . 141 . 146 . 150 . 153 . 153 . 154 . 156 4 § 49 § 50 § 51 § 52 § 53 § 54 § 55 § 56 § 57 Zum Begriff der Freiheit in der Rechtslehre von 1812 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Selbstbewusstsein . . . . . . . . . . . . . . Übergang zur politisch-rechtlichen Freiheit . . . . Rechtslehre, Vertrag und Freiheit . . . . . . . . . Trennung von Recht und Sittlichkeit . . . . . . . Realisation des Rechtes – Die Rolle des Staates . . Freiheit im Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . Bildung zur Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 161 162 164 167 170 173 175 178 179 5 § 58 § 59 § 60 § 61 § 62 § 63 Die »neue« Erziehung – Fichtes politische Pädagogik Bildung zum vollkommenen Menschen . . . . . . Inhalt der neuen Erziehung – Der Begriff des Bildes Staat und Bildung . . . . . . . . . . . . . . . . . Neue Erziehung, Sittlichkeit und Religion . . . . . Erziehung zur Nation . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 181 185 187 190 192 194 6 Sittenlehre 1812 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 64 Einführung – Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 65 »Da-Sein« des Begriffs. Notwendigkeit der Existenz des Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 195 200 9 EphB 1 48651 / p. 10 /26.5.2014 Inhaltsverzeichnis § 66 § 67 § 68 § 69 § 70 § 71 § 72 § 73 § 74 § 75 § 76 7 Freiheit als Vorbild und »Grundsein« . . . . . . . . . . Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sittenlehre als Seinslehre . . . . . . . . . . . . . . . . »Das Wort wird Fleisch« – Die Pflichten der Sittenlehre . Erscheinungslehre und Scheinlehre. Wahrheit und Erscheinung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Ich als Leben des Begriffs und der zeitliche Aspekt . Gott und die »Wiedergeburt« des Menschen – Das System der Bildlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . Sittlichkeit, Empirie und die ›Notwendigkeit‹ des Ich und der Gemeinschaft von Individuen . . . . . . . . . . . . Das Wesen des Menschen – Die Gemeinde der Individuen Grundzüge der Sittlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 204 206 208 . 210 . 212 . 216 . . . . 218 219 223 225 § 83 § 84 § 85 § 86 § 87 § 88 § 89 Fichtes politische Philosophie im Spätwerk. Die Staatslehre von 1813. Leben – Staat – Krieg . . . . . Was ist Philosophie? Praktischer Aspekt der Philosophie Fichtes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Freiheit betrachtet in der Beziehung Wille – Natur – Rechtsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . »Ueber den Begriff des wahrhaften Krieges« . . . . . . Leben als Bild Gottes. Freiheit und Gleichheit . . . . . . Grund des eigentlichen Krieges . . . . . . . . . . . . . Einrichtung des Vernunftreiches. Praktische Anwendung des Sittengesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Freiheit und Zwang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Recht und seine Entwicklung in der Geschichte . . . . . »Gibt es eine göttliche Weltregierung?« . . . . . . . . . Geschichte als Glaube und Verstand . . . . . . . . . . . Fichtes zweites Geschichtskonzept . . . . . . . . . . . . Christentum und Himmelreich . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 243 247 255 257 258 263 265 III Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 § 77 § 78 § 79 § 80 § 81 § 82 10 . 227 . 227 . . . . 229 234 236 239 EphB 1 48651 / p. 11 /26.5.2014 Inhaltsverzeichnis IV A. B. Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fichtes Werke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sonstige Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 271 272 V A. B. Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 285 293 11 EphB 1 48651 / p. 12 /26.5.2014 EphB 1 48651 / p. 13 /26.5.2014 Vorbemerkung und Danksagung Die vorliegende Arbeit wurde im Dezember 2012 von der Philosophisch-Pädagogischen Fakultät der Katholischen Universität EichstättIngolstadt unter dem Titel »Die Struktur und Entwicklung von Fichtes Begriff der politischen Philosophie, insbesondere im Spätwerk« als Inauguraldissertation im Fach Philosophie angenommen. Gefördert wurde die Dissertation von der Hanns Seidel Stiftung, die es mir über einen Zeitraum von zweieinhalb Jahren ermöglicht hat, mich vollkommen auf mein Projekt zu konzentrieren. Hiermit möchte ich mich herzlich dafür bedanken. Mein besonderer Dank geht erstens an meinen Doktorvater Prof. Dr. Walter Schweidler für seine kontinuierliche Unterstützung und seine wertvollen Anregungen und Ratschläge. Besonders bedanken will ich mich auch für die Freiheit, die er mir während des gesamten Forschungsprojektes gewährte. Zweitens schulde ich meinem Zweitgutachter Prof. Dr. Thomas Sören Hoffmann meinen Dank für die wertvollen Gespräche, die ich im Rahmen seiner Kolloquien in Bonn und Hagen führen dürfte. Besonders möchte ich mich bei Dr. Annika Schlitte für das gründliche Korrekturlesen, aber auch für alle ihre hilfreichen Hinweise bedanken. Prof. Dr. Theodoros Penolidis, der mich zu der Wahl des Dissertationsthemas ermuntert hat, gilt auch ein großes Dankeschön. Mein Dank geht ebenso an meine Mitdoktoranden in Bochum und Eichstätt für die gute Zusammenarbeit. Den Herausgebern danke ich für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe Eichstätter philosophische Beiträge. Des Weiteren möchte ich mich von Herzen bei meinen Eltern für ihre Unterstützung und ihr vorbehaltloses Vertrauen bedanken. Schließlich gilt mein besonderer Dank meiner Frau Aikaterini Maimonoudi für die unermüdliche Unterstützung, ihre Geduld und ihr Verständnis. 13 EphB 1 48651 / p. 14 /26.5.2014 EphB 1 48651 / p. 15 /26.5.2014 Einleitung Zur Methode Ziel dieser Arbeit ist es, Fichtes politische Philosophie 1, wie sie sich in seinen späten Werken präsentiert, in ihrer Struktur zu erfassen und sie systematisch darzustellen. Der Untersuchung liegt die Auffassung zugrunde, dass ein angemessenes Verständnis von Fichtes politischer Philosophie nur dann möglich ist, wenn man sie als einen Teil seines philosophischen Systems betrachtet. Im Hauptteil der Arbeit (II,1 bis II,7) sollen die Grundbegriffe der politischen Philosophie, die im Kontext von Fichtes philosophischem System betrachtet werden – wie Staat, Recht, Freiheit, Bildung und – Sittlichkeit untersucht und ihr Verhältnis zur Wissenschaftslehre, zur Moralphilosophie, zur Religion und zur Geschichte kritisch dargestellt werden. Des Weiteren sollen, um ein vollständiges Bild der politischen Philosophie Fichtes im Spätwerk zu erhalten, die realpolitischen Interventionen des Philosophen (nach 1800) diskutiert werden. Bei der Untersuchung der späten Werke Fichtes soll gezeigt werden, dass die politisch-philosophischen Begriffe, die der Philosoph verwendet und in denen er denkt, in enger Verbindung zu seinen theoretischen Werken stehen. Insbesondere soll der Bild-Begriff (folglich auch der Bildungs-Begriff) hervorgehoben werden, den wir im ersten Teil der Arbeit (I,2) ausführlich untersuchen. Der Bild-Begriff wird als Zur Definition der politischen Philosophie vgl. Figal Günter, Freiheit, Repräsentation, Gerechtigkeit. Zu drei Grundbegriffen der politischen Philosophie, in: Fischer, Peter (Hrsg.), Freiheit oder Gerechtigkeit, Perspektiven Politischer Philosophie, Reclam Verlag, Leipzig 1995, S. 70–86, hier S. 70: »Jede politische Philosophie hat es mit dieser Konvergenz von Einzelnem und Gemeinschaft zu tun. Politische Philosophie ist der Versuch, den Einzelnen im Hinblick auf die politische Gemeinschaft, die politische Gemeinschaft im Hinblick auf den Einzelnen zu verstehen und derart das politische Wesen beider zu klären.« 1 15 EphB 1 48651 / p. 16 /26.5.2014 Einleitung Schüsselbegriff verwendet und soll das Verständnis vieler Begrifflichkeiten, die Fichte in seinem Spätwerk einführt und gebraucht, erhellen. Zuvor (I,1) soll Fichtes Philosophie als eine organische Einheit dargestellt werden. Es wird das Problem der ›veränderten Lehre‹ untersucht und auf die sehr instruktive Stellungnahme von Georg Gurwitsch eingegangen. 2 Dabei ist der Transzendentalismus-Begriff von großer Bedeutung (I,2, §11). Es wird Gurwitschs These untersucht, dass Fichtes Philosophie vom Anfang bis zum Ende Transzendentalphilosophie bleibt. Von noch größerer Bedeutung ist die Erarbeitung und Analyse des Bild-Begriffs. Untersucht wird die Entwicklung des Begriffes in allen drei Schaffensperioden Fichtes, der Schwerpunkt aber liegt auf den Jahren nach 1800, in welchen der Begriff an Bedeutung gewinnt und relevant für den Hauptteil der Arbeit wird. Die Erarbeitung des BildBegriffes ist notwendig für das Verständnis von Fichtes politischer Philosophie. Dabei wird ein Bezug zu einer bedeutsamen Arbeit hergestellt werden, die zwar bereits in den 1950er-Jahren entstanden ist, aber dennoch einen tiefen Einblick in die Fichtesche Philosophie verschafft; dies ist die Arbeit von Julius Drechsler; sein Vorhaben war es, die theoretische Philosophie Fichtes durch den Bild-Begriff zu rekonstruieren. 3 Seine Untersuchung ist zwar von vielen Fichte-Interpreten zitiert worden, hat aber trotzdem nicht die angemessene Anerkennung erhalten. Zum Bild-Begriff Der Bild-Begriff gewinnt an Bedeutung erst nach der Einführung des Begriffs des Absoluten (Seins) – dies erfolgt mit der Wissenschaftslehre von 1801. Fichtes Grundthese lautet: Nur das Absolute ist, alles außer ihm kann nicht sein bzw. kann nur als Bild des Absoluten gedacht werden. Dadurch erlangt das Bild die wesentliche Funktion der Bestimmung der Wirklichkeit, denn in diesem Kontext ist für Fichte alle Wirklichkeit Bildwirklichkeit, da sie nur im Bild und durch das Bild erfasst werden kann. Das Ich verliert im Vergleich zu den frühen Schriften des Philosophen an Absolutheit, spielt jedoch eine bedeutende Rolle in der Gurwitsch, Georg, Fichtes System der konkreten Ethik, J. C. B. Mohr Verlag, Tübingen 1924. 3 Drechsler, Julius, Fichtes Lehre vom Bild, W. Kohlhammer Verlag, Stuttgart 1955. 2 16 EphB 1 48651 / p. 17 /26.5.2014 Politische Philosophie Wissenschaftslehre; jetzt allerdings als vermittelnder Begriff, denn nur durch das Ich kann das Absolute erfasst werden bzw. nur durch das Ich kann das Absolute erscheinen. Es soll noch gezeigt werden, dass das Absolute an sich nicht erfasst werden kann. Was erfasst werden kann, ist seine Erscheinung (sein Bild). Das umfassendste Bild unseres ›geistigen‹ Seins ist das Wissen, das besagt, dass wir nur durch das Wissen das höchste für uns erreichbare Bild des Absoluten erfassen können. Letzteres kann wiederum nur durch reflexives Denken erreicht werden: Man erkennt sich als das, was man ist, nämlich Bild des Absoluten. Anders formuliert, das Dasein des Absoluten versteht Fichte als Wissen oder, aus der Perspektive des Ich betrachtet: Das Ich ist das Sich-bewusst-Werden seines Selbst als Bild des Absoluten. Das Bild ist also nicht – es ist, indem es sich zu dem macht, was es ist. Politische Philosophie Im zweiten Teil, der dem Hauptteil dieser Arbeit entspricht, sollen die Texte Fichtes erarbeitet werden, in denen die politischen Gedanken des Philosophen offenbar werden. 4 Anfangs soll im Kapitel II,1 die zentrale Rolle des Gattungs-Begriffs erläutert werden. Fichte bezeichnet als Ziel der Menschheit ihre Bildung zum »vollendeten Abdruck des ewigen Urbildes« der Vernunft. 5 Dies kann nur durch die Erscheinung der Freiheit in dem Gesamtbewusstsein der Gattung erreicht werden. Die Bildung der Gattung zum Bewusstsein ihrer selbst ist Aufgabe des Staates, was bedeutet, dass der Staat (als »künstliche Anstalt«) dafür zu sorgen hat, dass jeder Einzelne die ›Idee‹ (Bild) in sich erkennt und sich auf den gemeinschaftlichen Zweck hin ausrichtet. Von Bedeutung ist auch die Darstellung des Verhältnisses zwischen Staat und Religion. Der Staat hat die Aufgabe, die Voraussetzungen (Freiheit und Gleichheit) für die Verwirklichung der Religion zu schaf»Der geschloßne Handelsstaat. Ein philosophischer Entwurf als Anhang zur Rechtslehre und Probe einer künftig zu liefernden Politik (1800)«, »Die Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters (1804)«, »Ueber Macchiavell als Schriftsteller, und Stellen aus seinen Schriften (1807)«, »Die Reden an die deutsche Nation (1808)«, »Rechtslehre [18]12«, »Sittenlehre [18]12«, »Die Staatslehre, oder über das Verhältnis des Urstaates zum Vernunftreiche (1813)«. 5 Vgl. Grundzüge, GA I/8, S. 200. 4 17 EphB 1 48651 / p. 18 /26.5.2014 Einleitung fen. Im Rahmen der Untersuchung der Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters soll gezeigt werden, dass nicht die Gattung, sondern die Religion als das Medium betrachtet wird, wodurch alles »Große und Edle« in den Menschen erscheint. Denn nur in der ›wahren‹ Religion kann sich die Menschheit als das lebendige Bild Gottes wahrnehmen. Der Staat soll die Verantwortung dafür tragen, dass die Menschen den Zustand der Religiosität erreichen; anders formuliert, dass sie sich als Bild des Einen erkennen. Die Rolle des Staates ist einerseits zentral, da er den wichtigsten Aspekt (das Mittel) zur Realisierung des Schemas Recht-Sittlichkeit-Religion ausmacht – nur durch ihn können RechtSittlichkeit-Religion realisiert werden –, andererseits gibt es nach der Realisierung keinen Existenzgrund mehr für ihn und er muss sich auflösen. Innerhalb von Fichtes teleologischer Geschichtsauffassung (er unterteilt die Geschichte in fünf Epochen) fungiert die Religion als das letzte Ziel. Im Kapitel II,2 steht Fichtes Versuch, das konkrete Freisein zu bestimmen, im Zentrum. Es wird untersucht, ob in Fichtes Geschlossenem Handelsstaat (Fichtes Staats- und Wirtschaftsmodell) Freiheit überhaupt möglich ist und wie Freiheit und Zwang in einem so konzipierten Staat funktionieren können. Der Geschlossene Handelsstaat soll nach Fichte in der Lage sein, den Wohlstand seiner Bürger zu garantieren. Dies ist nur dann möglich, wenn alle drei Stände (s. II,2, §42) im Verhältnis zueinander bestimmt werden und die Proportion gefunden wird, durch welche die Produktivität maximiert werden kann. Zusätzlich hat der Staat seine Grenzen zu schließen und den Handel mit anderen Staaten einzustellen. Das Wirtschaftsmodell Fichtes ist zwar nicht aktuell (im Sinne der Anwendbarkeit), aber gerade aus diesem Grund von Interesse, da es den Versuch der Realisierung eines Vernunftideals darstellt. Denn es ist unserer Auffassung nach ein Vernunftideal, was Fichte hier zu realisieren beabsichtigt, weil es im Geschlossenen Handelsstaat eigentlich darum geht, das Recht zu realisieren, wie er selbst betont: Ziel jedes real existierenden Staates sollte sein, sich dem Vernunftstaate anzunähern; dies ist nur möglich, wenn ein Rechtszustand vorher eingerichtet ist. 6 Das ist die Aufgabe, die Fichte der Politik zuschreibt: Sie soll aus dem existierenden Staat einen Vernunftstaat bilden. Sie trägt die Verantwortung 6 Vgl. Der geschloßne Handelsstaat, GA I/7, S. 51. 18 EphB 1 48651 / p. 19 /26.5.2014 Politische Philosophie für die Umbildung (hier ist das Bild bzw. die Bildung erneut als Schlüsselbegriff zu betrachten) zu einem Vernunftstaat. Die Realisierung des Rechts setzt seine Bestimmung voraus, welche wir im Kapitel II,4 ausführlich zu analysieren versuchen. Der Rechtsbegriff spielt eine zentrale Rolle im politischen Denken Fichtes. Unabhängig davon, was ein Mensch oder eine Gesellschaft sich als Ziel setzt (Vernunftstaat, Sittlichkeit, Religion), wird Recht (sowie auch der Staat) als eine Stufe betrachtet, die zum Erreichen dieses Zieles notwendig zu durchlaufen ist. Doch ist es nicht nur als Medium zu betrachten. Fichte ist sich der Tatsache bewusst, dass die höheren Ziele nicht mühelos zu erreichen sind. Deshalb soll das Rechtsgesetz zunächst dafür sorgen, dass die Freiheit jedes Einzelnen gesichert ist, und das soll um des Rechts willen geschehen. Die höheren Ziele sollen sich dann darauf gründen. Die enge Verbindung von Recht und Staat wird deutlich, wenn Fichte betont, dass es keinen rechtlichen Zustand außerhalb des Staates gibt. Das allerdings bedeutet für den Philosophen, dass es Freiheit nur im rechtlichen Zustand (der vertraglich abgesichert ist), bzw. nur im Staat geben kann. Die Funktion des Staates wiederum ist es, diese Freiheit zu garantieren und auf die höhere Freiheit (im Kontext der Rechtslehre 1812) der Sittlichkeit vorzubereiten. Diese Vorbereitung realisiert der Staat dadurch, dass er die Individuen auf die Sittlichkeit hin-bildet. Die Bildung als ›Erziehung‹ wird im Kapitel II,5 untersucht. Dabei wird Fichtes Forderung nach einer Bildung zur Freiheit bzw. einer ›neuen‹ Bildung deutlich, die zum ›vollkommenen Menschen‹ führen soll. Die Aufgabe der ›neuen‹ Bildung besteht darin, jeden Einzelnen dazu zu befähigen, selbsttätig Bilder zu entwerfen. Das höchste Ziel der ›neuen‹ Erziehung soll das Sich-Bilden zum Bild des Absoluten sein. Zöller unterstreicht, dass die Erziehung zur theoretischen Erkenntnis einen konstitutiven Teil der Fichteschen Konzeption von politischer Bildung ausmacht. 7 Durch diese Erziehung beabsichtigt Fichte, den Staat in eine Nation umzubilden. Durch diese Umbildung wiederum erhofft sich der Philosoph, dass die ›höhere‹ Freiheit, die er in der Rechtslehre von 1812 in der Sittlichkeit verortet hatte, im ›Diesseits‹ realisiert werden kann. Es soll gezeigt werden, dass das Verhältnis von Mensch und Vgl. Zöller, Günter, Menschenbildung. Staatspolitische Erziehung beim späten Fichte, in: Hutter, Axel/Kartheinigger, Markus (Hrsg.), Bildung als Mittel und Selbstzweck, Karl Alber Verlag, München 2009, S. 42–62, hier S. 55. 7 19 EphB 1 48651 / p. 20 /26.5.2014 Einleitung Nation in Analogie zum Verhältnis von Bild und Absolutem betrachtet werden kann. Im Kapitel II,6 wird zunächst die Sittenlehre von 1812 als ein Glied im Schema Recht-Staat-Sittlichkeit-Wissenschaft-Religion betrachtet; speziell wird dann die Freiheit des Einzelnen untersucht. Die späte Sittenlehre stellt im Vergleich zur frühen ein neues Konzept dar; sie geht vom ›Begriff‹ als einem ›Faktum‹ aus. Fichte setzt hier den Begriff (Bild) als Absolutes (Grund alles Seins), obwohl er in seinen späten Wissenschaftslehren mit Klarheit gezeigt hatte, dass der Begriff nur als Erscheinung (Bild) des Absoluten zu betrachten ist. Es soll gezeigt werden, dass das Ziel jedes Einzelnen das Sicherkennen als Bild des Begriffs ist. Freiheit versteht Fichte als Vor-Bild im reinen Begriff, der vom Ich in sich erkannt werden soll. Das Ich soll demzufolge als das Leben des absoluten Begriffs erfasst werden (Ivaldo spricht von einer »Inkarnation« 8 des Begriffs), das nicht an sich ist, sondern erst durch den Begriff zu dem wird, was es ist. Dies ist die sittliche Aufforderung: Jeder Mensch soll sich als Da-sein des Begriffs wahrnehmen und erscheinen. Es soll gezeigt werden, dass dies nur durch das Selbstbewusstsein möglich ist, nämlich im reflexiven Erkennen seiner selbst als Erscheinung des Begriffs. Es wird gefragt, wo und wie dieses Selbstbewusstsein realisiert werden kann. Dies ist nach Fichte nur in einer »Gemeinde von Ichen« möglich, denn letztere stellt das einzig wahre Bild Gottes dar. Sie hat die politisch-pädagogische Aufgabe, das ›Individuelle‹ in jedem Einzelnen zu ›vernichten‹, damit der Begriff in jedem freigelegt werden kann. Im letzten Kapitel des Hauptteils (II,7) soll das letzte politische Werk des Philosophen (die Staatslehre von 1813) untersucht werden. Dabei wird das Schema Leben-Staat-Krieg beleuchtet. Fichtes These diesbezüglich lautet: Ehe der »wahrhafte« Krieg (den Krieg gibt Fichte als Grundthema in diesem Text an) bestimmt werden kann, muss vorher das Leben bzw. das ›wahre‹ Leben definiert werden. Das ›wahre‹ Leben ist nach Fichte dasjenige, was sich hinsichtlich der sittlichen Aufgabe, Bild Gottes zu werden, als Mittel betrachtet. Es ist, wie oben dargestellt wurde, ein Sich-Bilden zum Bild Gottes, welches Fichte in diesem Kontext als Freiheit bezeichnet. Freiheit ist also das Sich-Bilden Ivaldo, Marco, »Das Wort wird Fleisch«. Sittliche Inkarnation in Fichtes später Sittenlehre, in: Manz, H. G./Zöller, Günter (Hrsg.), Fichtes Praktische Philosophie, Georg Olms Verlag, Hildesheim- Zürich-New York 2006, S. 175–198, hier S. 175. 8 20 EphB 1 48651 / p. 21 /26.5.2014 Politische Philosophie zum Bild Gottes und wenn dies in einer Gemeinschaft (im Kollektiv) erreicht wird, führt es zur Bildung eines Reiches (eines Staates, der die Sittlichkeit auf Erden verwirklicht). Die Unterbrechung dieser Entwicklung zur Freiheit sieht Fichte als den einzigen Grund an, der zu einem Krieg führen könnte. Des Weiteren wird untersucht, wie dieses Reich praktisch erreicht werden kann. Dieser Gedanke führt alle von uns untersuchten politischen Begriffe zusammen: Die Verwirklichung des Reiches setzt die Bildung aller seiner Mitglieder voraus. Diese Bildung setzt sich zum Ziel, die Anerkennung des Rechtsgesetzes als das Höchste in der Gesellschaft zu ermöglichen. Darüber hinaus soll noch gezeigt werden, dass Fichte die Bildung und seine Vertreter (Lehrer) als wesentliche Faktoren der Regierung eines Staates betrachtet. Diese letzten Gedanken werden von ihm in einen geschichtlichen Kontext eingebettet, in welchem das Christentum als Prinzip der ›neuen‹ Geschichte der »neuen Welt« untersucht wird. Fichte betrachtet das Christentum als ›Evangelium‹ der Freiheit, die jeder Einzelne sich selbst zuschreiben kann, ohne auf die Vermittlung des Staates angewiesen zu sein (»alte Welt«). Mit der Untersuchung der Staatslehre von 1813 schließt sich ein Kreis, denn wie beim ersten Kapitel des zweiten Teils, so wird auch im letzten die Verbindung seiner politischen Philosophie zur Religion hervorgehoben werden. 21