Esprit, Schalk und viel Schönheit

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Walliser Bote
Montag, 16. November 2015
WALLIS
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Musik | Die Musikgesellschaft «Vispe» brachte Johan de Meijs Saxofonkonzert «Fellini» zur Uraufführung
Esprit, Schalk und viel Schönheit
VISP | Die Uraufführung des 24minütigen Saxofonkonzerts
«Fellini» im Theater La Poste
hinterlässt einen bleibenden
Eindruck.
ANDREAS ZURBRIGGEN
Richtig in Fahrt wollte die Aufführung
der von Johan de Meij 1988 komponierten Symphonie Nr. 1 «The Lord of the
Rings» in der ersten Konzerthälfte nicht
kommen. Das fünfsätzige Werk, das die
von J.R.R. Tolkien erschaffene Fantasiewelt in über 40 Minuten meisterhaft in
Musik einzufangen weiss, gilt als Klassiker der Blasmusikliteratur. Kein anderes Werk veränderte das Selbstverständnis für ambitionierte Originalkompositionen in der Blasmusikwelt mehr als
de Meijs Symphonie Nr. 1. So einflussreich und viel gespielt die Komposition
auch ist, so delikat bleibt eine Aufführung davon. Viele solistisch und kammermusikalisch besetzte Passagen fordern den Musikanten einiges ab. Die
Tutti-Stellen wiederum verlangen Brillanz und orchestrale Qualitäten.
Das Saxofonkonzert
«Fellini» hat
Ohrwurmqualität
Die Verwandlung
Wie zu hören war, wurde bei der Musikgesellschaft «Vispe» die Energie in
der Probenarbeit wie auch im Konzert
eindeutig in das Programm des zweiten Konzertteils gesteckt. Eine richtige
Entscheidung. Bei der vom Komponisten Johan de Meij selbst dirigierten Uraufführung des Saxofonkonzerts «Fellini» fand nämlich eine erstaunliche
Verwandlung der Musikgesellschaft
statt. Der Kokon wurde zum Schmetterling. Und zu was für einem! Plötzlich spielte das mit etlichen Zuzügern
besetzte Blasorchester mit Spielfreude, einem klangschönen kompakten
Sound und energetischem Überschwang, den man bei der Interpretation der «The Lord of the Rings»-Symphonie kläglich vermisste.
Um bei zoologischen Metaphern
zu bleiben: Das für die Musikgesellschaft «Vispe» und den Saxofonisten
Hans de Jong komponierte Konzert
«Fellini» entpuppte sich als ein Werk
voller Esprit, Schalk und viel Schönheit. Der Solist Hans de Jong schlüpfte
dabei nicht nur in die Rolle des virtuosen Solisten, der neben dem Dirigenten sein Können unter Beweis stellt;
meisterlich spielte er auch – im wahrsten Sinne – den Clown. In Andeutungen erzählt de Meijs Komposition
nämlich die Geschichte eines nach
aussen hin fröhlichen und lustigen,
nach innen hin jedoch melancholischen Clowns. Die heitere Zirkuswelt
wurde durch eine im Foyer des La
Poste spielende Zirkusband symbolisiert; die romantische, zuweilen auch
traurige Realität hingegen vom Blasorchester. Das in sich zerrissene Wesen kam mit stimmig ins Stück verwobenen theatralen Elementen, die Saxofonist de Jong mit schauspielerischem
Talent meisterte, bestens zur Geltung.
Subtil angedeutet wurde die Zerrissenheit schon zu Beginn des Stücks, als
sich de Jong nur auf einer Gesichtshälfte zu einem Clown schminkte.
Verschiedene Anklänge
Die im Foyer erklingende Zirkusmusik
und die an einigen Stellen mit Bombast
angereicherten, an anderen jedoch zerbrechlich getragenen Klänge auf der
Bühne vermischten sich bei der Aufführung trotz der Gegensätzlichkeit der
Klangwelten zu einem runden Ganzen.
Das Saxofonkonzert «Fellini» hat Ohrwurmqualität und zugleich das Potenzial, sich international im Blasmusikrepertoire zu etablieren. Das 24-minüti-
Maestro. Starkomponist Johan de Meij dirigiert die Uraufführung seines für die Musikgesellschaft «Vispe» komponierten Werks «Fellini» selbst.
FoToS cHRiSTian PFaMMaTTER
ge Werk – dessen Inspirationsquelle das
Leben und Schaffen des italienischen
Filmemachers Federico Fellini ist, der
«Kino, Zirkus, Sex und Spaghetti» zu seinen wesentlichen Einflussfaktoren
zählte – beginnt mit orchestral aufgebauten Akkorden. Im Kern tragen diese
schon das elegische Thema in sich, das
sich wie ein roter Faden durch die
Komposition schlängelt. Es ist ein sehnsüchtiges, an Solopassagen in de Meijs
«T-Bone Concerto» gemahnendes Thema, das sich durch seine melodische
Aufwärtsbewegung den Weg ins Offene
bahnt. Auch ein weiteres Werk von de
Meij klingt in «Fellini» immer wieder
an: sein Cellokonzert «Casanova». Dieses ist – wie auch sein Saxofonkonzert
«Fellini» – mit einer gehörigen Portion
Italianità ausgestattet, die sich im Einfluss der Musiksprache Giacomo Puccinis sowie Nino Rotas offenbart. Gut
möglich, dass de Meij nuanciert in seinem Werk den Zusammenhang zwischen Fellini und Casanova andeuten
will, verfilmte Fellini doch die Vita des
intellektuellen Lebenskünstlers und
Frauenhelden Giacomo Casanova für
sein Meisterwerk «Il Casanova di Federico Fellini» bunt und geistreich wie
kein Zweiter.
Zwei Niederländer. Johan de Meij (rechts) komponierte sein Saxofonkonzert «Fellini» dem niederländischen Saxofonisten Hans de Jong, der den Solopart bei der Uraufführung übernahm, auf den Leib.
Neapolitanische Klänge
Die Italianità bildete auch in der zweiten von der Musikgesellschaft «Vispe»
zur Uraufführung gebrachten Komposition das zentrale Element: Der Niederländer Anthony Fiumara nimmt in
seinem Werk «Fantasia Napoletana»
den Zuhörer mit auf eine Reise durch
neapolitanische Volkslieder (wobei eine Prise Musik von Rossini nicht fehlen
durfte). Temperamentvoll interpretierten die über 70 Musiker das farbig orchestrierte und lustvoll zwischen Wehmut und Ausgelassenheit hin- und herpendelnde Stück des 46-jährigen Fiumara. Die in der zweiten Hälfte des
Konzertes von der Musikgesellschaft
«Vispe» aktivierte Dosis Energie war erstaunlich hoch und reichte sogar für eine technisch anspruchsvolle Komposition von Gustav Holst als Zugabe. Das
Publikum zeigte sich begeistert.
Verwandelt. Es war ein Konzertabend der Verwandlungen, der am vergangenen Samstagabend vor vollen Rängen im
Theater La Poste über die Bühne ging. Die Musikgesellschaft «Vispe» mit Gastdirigent Johan de Meij.
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