IT-MANAGEMENT Digitalisierung und Ethik Reputationsverlust vermeiden Meist schleichend entsteht das Risiko eines Reputationsverlusts durch die Einführung oder den Ausbau eines digitalen Geschäftsmodells – und die Rufschädigung trifft das Unternehmen dann oft unerwartet. ielleicht das bekannteste Beispiel ist der Fall der Target Corporation [Forbes2012], dem zweitgrößten Discount-Einzelhändler der USA. Um schwangere Frauen mit ihren veränderten Bedürfnissen als Kunden zu binden, schickte man ihnen auf Basis ihres veränderten Kaufverhaltens spezielle Produktinformationen. In einem Fall war die betroffene Frau noch minderjährig und die Eltern erfuhren erst aus postalischen Werbemaßnahmen von der Schwangerschaft ihrer Tochter. Für die Presse ein gefundenes Fressen und für Target ein erheblicher Reputationsverlust! Die eher theoretischen Vorschläge aus Philosophie, Ökonomie oder Politologie beschäftigen sich entweder it einer normativen, an einer Ethik ° m ausgerichteten, gesellschaftlichen Ordnung, it der nachhaltigen Implementie° m rung von Governance-Strukturen mit verbindlichen Compliance-Regelwerken für das wirtschaftliche Handeln der mit eher werteorientierten An° osätzen der Unternehmensethik als Korrektiv im Spannungsfeld von gesellschaftlicher Moral und wirtschaftlichem Gewinnprinzip. putationsverlusts mit dem daraus resultierenden Umsatzverlust zu verringern. Spezifische wissenschaftliche Ansätze zur ethischen Bewertung multinationaler digitaler Geschäftsmodelle fehlen. Ein um ethische Prinzipien erweitertes Risikomanagement bietet sich als das passende Instrument für Unternehmen mit digitalen Geschäftsmodellen an, um die Eintrittswahrscheinlichkeit eines Re- Entwicklung innovativer digitaler Angebote nicht Schritt halten.“ V WEB-TIPP: www.opitz-consulting.com 2 Ansätze zur ethischen Bewertung Die Beachtung von ethischen Grundsätzen in Unternehmen ist nicht neu. Seit der Wirtschaftskrise 2008 haben ethische Fragen im wirtschaftlichen Bereich deutlich an Bedeutung gewonnen. Ethische Ansätze sollen die Handlungsweisen des unternehmerischen Wirtschaftens mit den ethischen Leitlinien der Gesellschaft in Übereinstimmung bringen. Themen wie „Corporate Social Responsibility“ (CSR) oder das Konzept der „Corporate Citizenship“, die ihren Ursprung im angelsächsischen Raum haben, finden mittlerweile auch in Deutschland großen Anklang. Die Implementierung setzt häufig auf eine Verbindung der Unternehmensleitbilder mit branchenspezifischen normativen Ansätzen für das wirtschaftliche Handeln wie „Code of Ethics“, „Code of Conduct“ oder Compliance-Richtlinien. Kultur-/Prinzipien-zentrierte Ansätze zielen ebenso wie Ethik-Management- NOVEMBER 2015 „Die ethische Bewertung digitaler Geschäftsmodelle kann mit der rasanten Rolf Scheuch, Chief Strategy Officer, Opitz Consulting orientierte auf die umfassende Implementierung und das nachhaltige Verfolgen ethischer Leitbilder und Grundsätze der Unternehmenskultur. Über einen gemeinsamen, prinzipienbasierenden Ansatz verspricht man sich ein ethisches Handeln der beteiligten Personen im täglichen Geschäft. Schwierig wird es, wenn wirtschaftliche oder persönliche Interessen diesen Prinzipien entgegenstehen. Hat die handelnde Person die ethischen Grundprinzipien so inhärent verankert, dass sie auch dann noch entsprechend handeln wird? Ein anderes Wirkungsmuster haben die standardisierungsorientierten Ansätze, die über konkrete Standards und Normen ein ethisches Handeln sichern wollen. Hier ist die Handlungsoption deutlich konkreter, aber es besteht auch die Gefahr, dass „alles erlaubt ist, was nicht geregelt wurde“. Beide Ansätze haben aus meiner Sicht deutliche Schwächen für die operative Bewertung von digitalen Geschäftsmodellen. Generell hinken Vorgaben und Regelwerke der aktuellen digitalen Realität hinterher und haben Schwierigkeiten, ihre ethischen Sichtweisen auf die innovativen, oft disruptiven, neuen digitalen Geschäftsmodelle anzuwenden. Die bestehenden Ansätze eines „ethischen Risikomanagements“ lassen sich W W W . I T - D A I L Y. N E T relevant Ethische Risken irrelevant etrug/Untreue ° BR eputationsrisiko ° P ersönlichkeitsrechte ° „ Cultural Misfit“ ° Diskriminierung ° ... ° THEMA: IT-MANAGEMENT Ökonomische Risken relevant irrelevant ompliance ° C„ Code of Conduct“ ° U mweltschutz ° „ Social Responsibility“ ° ... ° ° QW ualität ettbewerb ° H andelsrisiken ° ... ° Bild 1: Risikobewertung eines digitalen Geschäftsmodells mittels Risiko-Relevanz-Matrix. (Quelle [Wieland2002]) auf die Problemstellungen der Digitalisierung übertragen. Diese Sichtweise mag dem ein oder anderen fast schon wieder „unethisch“ vorkommen, doch könnte genau hier der Schlüssel dafür liegen, dass Unternehmen ethische Grundsätze beim wirtschaftlichen Handeln in der Praxis tatsächlich berücksichtigen. Somit ist es an den Unternehmen, an geeigneter Stelle die ethischen Implikationen eines neuen oder veränderten Geschäftsmodells zu hinterfragen und diese im Rahmen eines Risikomanagements zu bewerten. ie Werte in einem Organisationssys° wtem geschaffen werden, ie die geschaffenen Werte dem Kun° wden kommuniziert und übertragen Ethisches Risikomanagement werden, ie die geschaffenen Werte in Form ° wvon Erträgen durch das Unternehmen „eingefangen“ werden, ie die Werte in der Organisation ° wund an Anspruchsgruppen verteilt werden nd wie die Grundlogik der Schaf° ufung von Wert weiterentwickelt wird, um die Nachhaltigkeit des Geschäftsmodells in der Zukunft sicherzustellen.“ [Bieger2011] Bevor es darum gehen kann, wie ein spezielles Risikomanagement für digitale Geschäftsmodelle aussehen könnte, steht die Frage: Was ist eigentlich ein digitales Geschäftsmodell? In der Wirtschaftsinformatik gibt es derzeit keine verbindliche Definition dafür. Die Betriebswirtschaftler Bieger und Reinhold bieten diese Definition an: „Ein digitales Geschäftsmodell beschreibt die Grundlogik, wie eine Organisation mit Hilfe der Informationstechnologie und digitaler Produkte Werte schafft. Dabei bestimmt das digitale Geschäftsmodell, ein Organisation anbietet, ° wwas as von Wert für die Kunden ist, Ein digitales Geschäftsmodell stellt also nur die Ausprägung eines „klassischen“ Geschäftsmodells dar. Seine Besonderheit liegt in der absoluten Abhängigkeit der Leistungserbringung vom Einsatz der Informationstechnologie sowie im Mehrwert des digitalen, virtuellen Produkts für den Kunden. Bei der Planung und Bewertung neuer Geschäftsmodelle erfolgt in den Unternehmen normalerweise immer auch eine Risikobewertung. Diese soll helfen, einen potenziellen Kapitalverlust zu vermeiden und die Eintrittswahrscheinlichkeit mit einem definierten Schadensmaß zu reduzieren, wenn nicht gar zu verhin- ° W W W . I T - D A I L Y. N E T dern. Das Risikomanagement ist bei Unternehmen bereits etabliert und somit ein äußerst geeigneter Ansatzpunkt, um eine ethische Bewertung als weiteres Kriterium bei der Risikoanalyse einzubeziehen. Die etablierten Kriterien betreffen die Einhaltung von Gesetzen oder Compliance-Richtlinien oder sind auf die finanziellen Auswirkungen erkannter Risiken ausgerichtet. Bislang werden ethische Fragestellungen auf das Vorliegen einer Compliance reduziert. Mögliche Reputationsverluste durch ein ethisches „Unwohlsein“ der Kunden/Konsumenten werden in diesem Kontext nicht betrachtet. Einige bekannte Ansätze zur Einführung eines „werteorientierten Risikomanagements“ [Wieland2002] beachten diese Problemstellung und sehen als Anforderung „im Kern diejenigen Risiken, die für die beiden Entscheidungslogiken Moral und Ökonomie in Kombination in lokalen Entscheidungssituationen signifikante Relevanz besitzen.“ [Wieland2002]. Diese Aussage beschreibt sehr gut das Spannungsfeld eines Risikomanagements, das sowohl ökonomische als auch ethische Risiken betrachtet. Um die relevanten Risiken auch hinsichtlich ihres ethischen und ökonomischen Einflusses transparent darzustellen, bietet sich die Portfolio-Methode der Risiko-Relevanz-Matrix an (siehe Bild 1). Das Kernproblem bei der ethischen Bewertung liegt in der Subjektivität der Beteiligten, die alle über unterschiedliche ethischen Grundvorstel- NOVEMBER 2015 3 IT-MANAGEMENT eine Schadenbegrenzung frühzeitig vorzunehmen. Klassisches Plan-Buil-Run-Verfahren Design Idee Bewertung Fazit ImplemenRoll-Out tierung Bewertung Bewertung Plan-Buil-Run-Verfahren mit einer Pilotphase Design Idee Bewertung ImplemenRoll-Out tierung Bewertung Bewertung Design Idee Bewertung ImplemenRoll-Out tierung Bewertung Bewertung Bewertung Iterativer Lean-Start-Ansatz Mögliches Reputationsrisiko Design Implementierung Idee Bewertung Roll-Out Hoch, unbekannt, überraschend Mittel, aber eher vorhersehbar Überschaubar und überwacht Bild 2: Partizipative Einführung von digitalen Geschäftsmodellen. lungen verfügen. Hier haben Kultur-/ Prinzipienzentrierte-, Ethik-Management-orientierte- und standardisierungsorientierte Ansätze ihre Vorteile, da diese Top-Down von grundlegenden ethischen Wertevorstellungen ausgehen. Sind diese Ansätze im Unternehmen etabliert, so ist die Implementierung keine große Herausforderung. Sind sie jedoch nicht etabliert, ist es ratsam, bei der Bewertung ethischer Implikationen für jeden Fall eine unabhängige Gruppe an internen „Beratern“ hinzuziehen, um die möglichen Implikationen zu identifizieren und in der Folge zu bewerten. Einführungsstrategien Weiterführende Informationen: www.it-daily.net CSR Die Buttons führen Sie in der ePaper-Version direkt zum Ziel. In der Printversion nutzen Sie bitte den QR Code. Da die geplanten digitalen Geschäftsmodelle meist neu und innovativ sind, ist es schwierig, vergleichbare Referenzen zu finden. Deshalb kann es hilfreich sein, über die ethische Bewertung durch internes Personal hinauszugehen und mit iterativen, partizipativen Methoden einen recht pragmatischen Ansatz bei der Produkteinführung zu nutzen. Bei diesem Ansatz werden mögliche Reputationsrisiken durch einen sich Schritt für Schritt ausweitenden Einsatz des digitalen Produkts ausgemacht. Die Anwender werden intensiv eingebunden und ihre Reaktionen genau beobachtet. Bild 2 zeigt die drei unterschiedlichen Ansätze. Die „Lean-Startup“-Ansätze, die bei der Entwicklung und Einführung von 4 Softwarelösungen eine Rolle spielen, lassen sich sehr gut auf die Einführung von digitalen Geschäftsmodellen mit einem nicht klar bewerteten Reputationsrisiko übertragen. Pilot-Einführung: Vor der eigentlichen Einführung präsentiert das Unternehmen das neue System einem ausgewählten Kreis von Anwendern und verschafft sich so eine erste Marktsicht. Hierbei handelt es sich um das gängige Verfahren einer Pilotphase bei der Einführung neuer Applikationen. Lean-Startup: Der an Lean-Startup angelegte Ansatz [Ries2014] verfolgt den Grundgedanken des „validierten Lernens“, mit dessen Hilfe Wünsche und Bedürfnisse der Zielgruppe besser verstanden und an Hand der Produktnutzung validiert werden können. Dieses Konzept zielt nicht auf die Beschleunigung des Produktentwicklungszyklus für das digitale Geschäftsmodell, zumindest nicht bei der Betrachtung eines ethischen Risikomanagements, sondern es geht vielmehr darum, Erfahrungen zu sammeln und dazuzulernen, ohne bereits eine vollständige Lösung zu entwickeln. Der Fokus liegt auf der Beobachtung der Anwenderreaktionen und der Bewertung ihrer ethischen Relevanz, um die Entwicklung daraufhin unter Umständen in eine andere Bahn zu lenken oder NOVEMBER 2015 Das Risiko eines Reputationsverlusts durch die Einführung oder den Ausbau eines digitalen Geschäftsmodells kann erheblich sein und die ethische Bewertung der digitalen Modelle hinkt der rasanten informationstechnischen Entwicklung hinterher. Top-Down gesteuerte Ansätze für die unternehmensweite und nachhaltige Verfolgung ethischer Prinzipien erscheinen hier weniger praktikabel. Mehr Erfolg verspricht eine operative Implementierung der ethischen Betrachtung eines digitalen Geschäftsmodells. Unternehmen können dafür das bereits etablierte Risikomanagement nutzen, wobei dieses um ethische Fragestellungen und die mit diesen verbundenen Reputationsrisiken erweitert werden muss. Da die Innovationskraft der digitalen Modelle die ethische Bewertung im Vorfeld erschwert, stellt eine iterative, partizipative Einführungsstrategie eine sinnvolle Erweiterung für das Risikomanagement dar. Reputationsverlust führt in der digitalen Welt, die nichts „vergisst“, zu ernsten Problemen. Die Erweiterung des Risikomanagements um den Faktor „Ethik“ kann den möglichen Schaden begrenzen. ROLF SCHEUCH [Bieger2011] Bieger, T.,/Reinhold, S.: Innovative Geschäftsmodelle: Konzeptionelle Grundlagen, Gestaltungsfelder und unternehmerische Praxis. 2011 in: T. Bieger, D. zu Knyphausen-Aufseß/ C. Krys (Eds.), Innovative Geschäftsmodelle [Forbes2012] How Target figured out a girl was pregnant before her father did! http://www.forbes.com/ sites/kashmirhill/2012/02/16/how-target-figured-out-a-teen-girl-was-pregnant-beforeher-father-did/ (Download Juni 2015) [ISO14001] http://www.umweltbundesamt.de/themen/ wirtschaft-konsum/wirtschaft-umwelt/umwelt-energiemanagement/iso-14001-umweltmanagementsystemnorm (Online Juni 2015) [PMI2006] PMI, The Standard for Program Management, Pennsylvania (USA), Project Management Institute, Inc., 2006 [Ries2014] Ries, Eric, The lean startup: how today‘s entrepreneurs use continuous innovation to create radically successful businesses. Crown Publishing, 2014 [SA8000] Social Accountability: http://www.sa8000. org/ (Online Juni 2015) [Wieland2002] Wieland J., Fürst, M., WerteManagement – Der Faktor Moral im Risikomanagement, Konstanz Institut für WerteManagement, KIeM – Working Paper Nr. 01/2002 [Zeit2011] http://www.zeit.de/digital/datenschutz/2011-04/navi-polizei-radarfalle (Download Juni 2015) W W W . I T - D A I L Y. N E T