Veröffentlicht in: BR-alpha “Campus”, 2. Juni 1998. Der Euro und der Arbeitsmarkt Beitrag zur Ringvorlesung “Aspekte der Europäischen Währungsunion” Von Klaus F. Zimmermann Am 1. Januar 1999 beginnt die Europäische Währungsunion (EWU) mit elf Euro-Staaten. Damit verbinden sich vielfältige Hoffnungen und Ängste. Die einen sehen den neu geschaffenen Währungsraum als einen Hort von Stabilität und Wohlstand, die anderen bekämpfen ihn als Vollendung konservativer ökonomischer Staatsdisziplin. Die Debatte ist aber auch politisch spiegelverkehrt, wenn die Sicherungsregeln des Maastricht-Vertrages Stabilitätsbefürwortern nicht sicher genug erscheinen, und Anhänger einer stärker arbeitsmarktbezogenen Wirtschaftspolitik ihre Hoffnungen auf eine international politisch erzwungene Korrektur einzelstaatlicher (vor allem deutscher) Stabilitätsegoismen setzen. Die Arbeitslosigkeit hat sich zu einem europäischen Problem entwickelt. Während für die Vereinigten Staaten für 1998 eine Arbeitslosenquote von etwa 5% prognostiziert wird, liegt diese Quote, die als Anteil der Arbeitslosen an der Gesamtsumme aus Arbeitslosen und Beschäftigten ermittelt wird, in der europäischen Union bei knapp 11%. Dies ist mehr als das Doppelte. Allerdings ist die europäische Situation sehr verschieden. Länder wie Holland oder England erreichen ebenfalls gute 5%, während Deutschland bei 11% und Spanien bei 21% liegen. Es ist also nicht nur das hohe Niveau, es sind auch die großen Unterschiede zwischen den Ländern, die aufhorchen lassen. Es ist deshalb eine naheliegende Frage, wie sich die Einführung des Euro auf die Arbeitsmarktlage auswirken wird. Die Währungsunion bedeutet eine Aufgabe der sogenannten nominalen Wechselkurse zwischen den Partnerländern. Für die Frage, ob ein Gut im In- oder Ausland erworben werden soll, ist selbstverständlich nicht nur der Wechselkurs, sondern auch das Preisverhältnis der Güter in den verschiedenen Ländern und damit der sogenannte reale Wechselkurs entscheidend. Diese Überlegungen machen deutlich, daß Vereinbarungen fester Wechselkurse oder die Währungsunion als Extremform nur den nominalen Wechselkurs kontrollieren können. Allerdings kann beispielsweise eine Aufwertung einer Währung durch relative Preissenkungen der ausländischen Güter aufgehoben werden. Reale Wechselkurse existieren folglich auch innerhalb eines Landes oder nach einer Währungsunion. Dennoch hat der nominale Wechselkurs eine wichtige Pufferfunktion. Dies gilt insbesondere bei länderspezifischen Krisen, sogenannten asymmetrischen Schocks. Je gleichartiger die Störungen des wirtschaftlichen Prozesses in einem Wirtschaftsraum sind, um so geringer ist die Bedeutung des Wechselkurses als "Staubsauger" für wirtschaftliche Störungen und um so weniger notwendig ist dann die Existenz eines nominalen Wechselkurses. Gibt es asymmetrische Schocks, so können auch andere Faktoren zu einer raschen Marktanpassung führen. Dabei ist in erster Linie an die Produktionsfaktoren Kapital und Arbeit zu denken. Tatsächlich wird Kapital als insgesamt sehr mobil angesehen. Dagegen gilt der Arbeitsmarkt in Europa (im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten) als vergleichsweise immobil. Die Arbeitnehmer sind nicht bereit, auch bei dauerhafter Existenz von Einkommensunterschieden das Land oder die Region zu wechseln. Allerdings muß festgestellt werden, daß die Immobilität der Arbeitsmärkte und ihre Zunahme in den vergangenen Jahren kein alleiniges internationales Phänomen darstellt, sondern generell zwischen den Regionen Europas und auch innerhalb der Länder festgestellt wurde. Was national funktioniert - so wird im Umkehrschluß argumentiert kann auch in einem monetär vereinten Europa nicht so schlimm sein. Die ökonomische Theorie des optimalen Währungsraumes sieht in einem mobilen Arbeitsmarkt eine essentielle Voraussetzung für eine funktionsfähige Währungsunion. Nun ist die Mobilität selbst keine unveränderliche Größe, aber die Diskussion macht deutlich, daß von der Währungsunion bei fehlenden alternativen Anpassungsmechanismen ein Flexibilisierungsdruck auf die Arbeitsmärkte ausgeht. Natürlich könnten auch andere Institutionen wie etwa eine supranationale Wirtschaftspolitik die nötigen Flexibilisierungspotentiale liefern, das heißt. wenn eine Region von einem asymmetrischen Schock getroffen wird und damit die Steuereinnahmen sinken, dann erfolgt ein fiskalischer Ausgleich von der übergeordneten (hier supra-nationalen) Ebene. Dies ist aber ein politisch eher unwahrscheinliches Instrument. Für den Euro spricht, daß in den letzten Jahren gewaltige Anstrengungen unternommen wurden, die wirtschaftliche Entwicklung in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union zu harmonisieren, so daß Störungen zunehmend gleichartiger geworden sind, der Anteil sogenannter symmetrischer Schocks also zunahm. Diese Wirkungen gehen auch von anderen Mechanismen aus: Intensiviert sich der bilaterale Handel, so bilden sich ähnliche Strukturen in den Konjunkturschwankungen heraus. Die europäischen Länder sind ferner durch einen steigenden Diversifikationsgrad ihrer Produkte gekennzeichnet. Auch damit werden länderspezifische Schocks immer unwahrscheinlicher. Ferner nimmt der intra-industrielle Handel, d.h. der Handel innerhalb der Sektoren zu. Unter Ausnutzung von Produktdifferenzierung und Größenvorteilen werden mehr und mehr Länder unterschiedliche Varianten des gleichen Gutes herstellen, so daß sich die wirtschaftlichen Strukturen der einzelnen Länder einander annähern. Als ein erster möglicher Vorteil der Einführung einer gemeinsamen Währung wird die Sicherstellung einer stabilitätsorientierten Geldpolitik und einer soliden Finanzpolitik genannt. Der Vertrag von Maastricht schuf eine europäische Zentralbank nach deutschem Vorbild, so daß folglich die Realzinsen im Zweifel höher sein werden, als dies von vielen aus beschäftigungspolitischer Sicht erwünscht sein mag. Dies begrenzt die Investitionsneigungen der Unternehmer. Zumindest kurzfristig bedeutet dies eher mehr Arbeitslosigkeit, wenn auch langfristig daraus keine besonderen Beschäftigungsprobleme erwachsen mögen. Der Maastrichter Vertrag bindet aber auch die Fiskalpolitik, das Einnahmen- und Ausgabenverhalten der Staaten. Ein Stabilitätspakt, auf den insbesondere die deutsche Seite beharrte, sichert, daß sich die Budgetpolitik der Einzelstaaten auch nach Inkrafttreten der Union stabilitätsorientiert zeigt. Damit sind einer kurzfristigen Beschäftigungspolitik zur Beseitigung von konjunkturbedingter Arbeitslosigkeit enge Grenzen gesetzt. Auch dies wird in kurzer Sicht das Arbeitslosigkeitsniveau potentiell erhöhen. Mit dem Wegfall des Wechselkurses entfällt zwar ein Flexibilisierungsinstrument mit Pufferfunktion, es sind aber auch Vorteile erkennbar. Kurz- und mittelfristig sind die Wechselkurse vor allem durch spekulative Erwartungen geprägt. Nur langfristig entsprechen die nominalen Wechselkurse den realwirtschaftlichen Gegebenheiten. Allerdings werden insgesamt die negativen Wirkungen der Wechselkursunsicherheiten auf den Außenhandel als eher unbedeutend angesehen. Allerdings halbiert sich durch die europäische Währungsunion die Wechselkursabhängigkeit des deutschen Außenhandels. Bedeutend ist ferner das Argument, daß der damit eingebaute Schutz vor ständigen Aufwertungen Wirtschaftsaktivität und Arbeitsplätze sichert. Schließlich waren es die ungünstigen Wechselkursentwicklungen, die in den letzten Jahren viele lohnpolitische Zugeständisse der Gewerkschaften entwertet hatten. Weiterhin sorgt der Wegfall von Währungstransaktionskosten und die Schaffung von Preistransparenz zunächst einmal dafür, daß Kurssicherungskosten für Unternehmer und Umtauschkosten für Bürger entfallen. Dies sichert zwar volkswirtschaftliche Effizienz, sorgt aber nicht für mehr Arbeitsplätze. Die vermehrte Markttransparenz verstärkt zunächst den Wettbewerb und kann bei fallenden Preisen zu einer vermehrten Güternachfrage und zusätzlicher Beschäftigung führen. Schließlich mag man argumentieren, daß eine Verstärkung des Anpassungsdrucks auf die Arbeitsmärkte nötig sei, um das Arbeitsmarktproblem wirksam anzufassen. Ob der Anpassungsdruck durch die Währungsunion verstärkt wird, ist aus meiner Sicht trotzdem fraglich. Das Standardargument besagt, daß der Wechselkurs ein wirksamer Puffer für realwirtschaftliche Vorgänge darstellt. Sein Ausfall wird den Druck auf Ersatzinstrumente wie die Arbeitsmobilität und die Flexibilisierung der Tarifbeziehungen verstärken. Dies wird zu schnelleren Veränderungen bei der Beschäftigung, zu dezentralen und moderateren Lohnverhandlungen und freieren Arbeitszeitregelungen führen. Das Gegenargument, dem ich mehr Vertrauen schenke, geht von der zumindest kurzfristigen starken Dominanz der Wechselkursentwicklung durch spekulative Elemente aus. Dann haben Wechselkursbewegungen schon bisher unzureichende realwirtschaftliche Informationen enthalten. Folglich kann der Wegfall dieser Informationen die Situation kaum verschlimmern, aber eben auch nicht verbessern. Die langfristigen Wirkungen der Währungsunion sollen jedoch nicht verkannt werden. Sie ist ein gewaltiges Signal für den Willen zur Integration des europäischen Wirtschaftsraumes. Und es gehört zum guten Glauben jedes Nationalökonomen, daß integrierte Wirtschaftsräume nicht nur zu Effizienz und Wohlstand, sondern auch zu Einkommen und Beschäftigung führen. Neben dem Vertrauen auf die langfristige Funktionsfähigkeit des marktwirtschaftlichen Systems wird dieser Optimismus auch von Erfahrungen aus der Wirtschaftsgeschichte getragen.