KOMPOSITIONEN FÜR NOSTALGISCHE MUSIKMASCHINEN. DAS

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Kompositionen für nostalgische Musikmaschinen
KOMPOSITIONEN FÜR NOSTALGISCHE MUSIKMASCHINEN.
DAS CEMBALO IN DER MUSIK DES 20. JAHRHUNDERTS
MARTIN ELSTE
Was ist das Cembalo? Ist es ein universales Tasteninstrument, ein intimes
Zupf- oder ein unbarmherziges Schlaginstrument? Ist es ein unvollkommener
Vorläufer des Hammerklaviers oder die perfekte Mechanisierung der Laute?
Wenn auch aus instrumentenkundlicher Sicht nicht mehr und nicht weniger
als ein Klavier mit Zupfmechanik – die vielfältigen Aspekte des Cembalos so
spezifischer Klanglichkeit, die über den instrumentalen Charakter der Zupfmechanik hinausreicht, haben Komponisten im 20. Jahrhundert hervorgehoben.
Das Cembalo schafft per se eine Distanz zur Gegenwart des Komponisten,
eine Distanz, die nur in seltenen Fällen rezeptionsästhetisch vernachlässigt
werden kann. Denn anders als die Instrumente des Sinfonieorchesters, anders
als die jahrhundertealte Violine beispielsweise, assoziiert es unter einem historistischen Konzept Altertümlichkeit und damit auch Nostalgie. Das liegt nicht
so sehr daran, daß es in seiner Geschichte einen Einbruch, knapp achtzig Jahre lang Stille, im 19. Jahrhundert erlebt hat, sondern vielmehr daran, daß seine
beschränkten Möglichkeiten der Klangdifferenzierung der im 19. Jahrhundert
sich zuspitzenden Entwicklung der musikalischen Fortschrittskategorien so
diametral entgegenstehen. Dadurch war der Rückgriff auf weniger als das musikalisch Machbare immer mit einem ästhetischen Bruch verknüpft.
Wenn ein Komponist für ein bestimmtes Instrument schreibt, dann sind mit
der Spezifizierung nicht nur die akustischen und gestaltungstechnischen Rahmenformate vorgegeben. Das Instrumentarium trägt immer eine musiksoziale
und -historische Konnotation in sich, die die Geschichte der Weltmusiken
nicht ungeschehen machen kann. Da gibt es Unterschiede zwischen jenen Instrumenten, die aus einer bestimmten Tradition heraus erklingen, und solchen,
deren Gebrauch mit der Tradition bricht, weil sie aus einem historistischen
Bewußtsein heraus verwendet werden. Das Cembalo zählt per se zu den letzteren. Nach einer etwa zweihundertjährigen Blüte wurde es im frühen 19.
Jahrhundert lediglich noch als Direktionsinstrument für die Opernpraxis ein
Martin Elste
gesetzt, denn seine so ungemein einfache, nur mit Tastenhebel, Springer, Zunge und Kiel operierende Klangerzeugung erfüllte nicht mehr den so nachdrücklich und universell gesteigerten romantischen Wunsch nach Tondifferenzierung1. Aber die Zeit der Negierung des Cembaloklangs war kurz bemessen.
Der sich im 19. Jahrhundert mehr und mehr ausbreitende Historismus sorgte
dafür, daß das Instrument zunächst als Vehikel für Altertümliches, für nicht
viel mehr als ein musikalisches Kuriosum herhalten mußte. Historische Konzerte waren damals, kurz vor der Wende zum 20. Jahrhundert, Konzerte, bei
denen die Musiker vorzugsweise in historischer Tracht auftraten und auf solchen Instrumenten spielten, für die die Zeitgenossen nicht mehr komponierten: Drehleier, Viola da gamba und Cembalo. Daß von diesen drei Instrumenten das Cembalo die bedeutendste Renaissance, sowohl hinsichtlich der Aufführungspraxis Alter Musik als auch hinsichtlich seiner Neukompositionen,
erlebt hat, dafür gibt es mindestens zwei Gründe: Zum einen wurde das Cembalo dem Anspruch eines universalen Tasteninstruments gerecht, wenn man
den beschränkten Tonumfang von maximal 61 Tonstufen gegenüber den 88
Tönen des modernen Hammerklaviers in Kauf nimmt. Zum anderen offenbart
das Cembalo wie kein zweites Instrument die ästhetische Ambivalenz zwischen exotischer Nostalgie und fortschrittlicher Faszination an der Maschine.
Der gezupfte Ton an sich ist im Kontext der symphonischen und kammermusikalischen Kultur des 19. Jahrhunderts ein Fremdkörper. Gezupfte Klänge
vermittelten Ursprünglichkeit, Einfachheit, und damit gleichzeitig die Flucht
in die Vergangenheit. Doch diese nostalgische Komponente des Cembaloklanges ist nur eine Seite. Die andere ist die eines Historismus unter dem Fortschrittsaxiom des mechanischen Zeitalters.
Theoretischer Exkurs
Bereits an dieser Stelle sollen Begriffe geklärt werden, von denen in meinem
Text die Rede sein wird und die ich nicht nur als assoziative Formeln zur
Charakterisierung und stilistischen Einordnung verwenden möchte: die Substantive Nostalgie, Historismus und Historizismus, die Adjektive historisch,
historistisch und historisierend.
Der Begriff der Nostalgie stammt aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und bezeichnete ursprünglich den pathologischen Zustand von Heim-
1 Daß die Klangerzeugung beim Cembalo wesentlich einfacher ist als beim Hammerklavier, versteht sich von selbst. Das gilt auch für das Cembalo im Vergleich zu Blas- und
Streichinstrumenten; bei jenen ist lediglich die Operationalisierungsebene der Klangerzeugung in die Organik des menschlichen Körpers verlagert.
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Kompositionen für nostalgische Musikmaschinen
weh. Nostalgie als Lebensgefühl kam in der Romantik auf und bezieht sich
seither auf die subjektive Haltung, „sich in andere Zeiten zurückzuwünschen
und dies dadurch auszudrücken, daß man Accessoires der Vergangenheit wieder schätzen und lieben lernt, mit einem Gefühl unbestimmter Sehnsucht nach
›früher‹“, wobei Geschichte „von den Bedürfnissen der Innerlichkeit mißbraucht“ wird, wie Dieter Baacke moralisch wertend definiert2. Nostalgie war
als pathologische Beschreibung eines Geisteszustands immer mit einer melancholischen Resignation, bestenfalls einem melancholischen Schwärmen verbunden. Man braucht trotzdem Nostalgie nicht als „Symptom für eine gewisse
intellektuelle, künstlerische und seelische Unreife“3 zu deuten, doch treffen
bei ihr immer die Komponenten einer intellektuellen Auseinandersetzung, eines künstlerischen Ausdrucks und einer seelischen Haltung zusammen. Insofern läßt sich die Nostalgie nicht vom Historismus trennen.
Der Historismus ist – ganz neutral auf den musikalischen Bereich bezogen –
ein „Sammelname für retrospektive Tendenzen in der musikalischen Praxis
des 19. und 20. Jahrhunderts“4. Carl Dahlhaus hat in seinem Aufsatz Was ist
musikalischer Historismus?5 darauf hingewiesen, daß der Unterschied zwischen Tradition und Historismus (im Verständnis von Restauration) in dem
unterschiedlichen Verhältnis zur Kontinuität besteht. In dem gleichen Sinne
sind für Erich Doflein „Werke oder Stile historistisch, bei denen Vergangenes
zu neuer Gegenwärtigkeit berufen wird. Die Vergangenheit aber, die mit solchen Werken oder Stilen hervortritt, muß eine Vergangenheit besonderer Art
sein: Sie darf keine Tradition repräsentieren, sie wird aber dennoch Vorbild
oder Anreger“6. Insofern ist das Cembalo – für den Wissenden zumindest –
anders als die Violine und die meisten anderen Instrumente der europäischen
2
D. Baacke, Nostalgie. Zu einem Phänomen ohne Theorie, in: Meyers Enzyklopädisches Lexikon in 25 Bänden. Neunte, völlig neu bearbeitete Auflage. Bd 17, Mannheim
u.a. 1976, S. 449-452, hier S. 449.
3
Ebenda, S. 450.
4
C. Dahlhaus, Historismus, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Bd 16, Kassel u.a. 1979, Sp. 693-702, hier Sp. 695.
5
C. Dahlhaus, Was ist musikalischer Historismus? In: Zwischen Tradition und Fortschritt. Über das musikalische Geschichtsbewußtsein. Neun Versuche. Hrsg. v. R. Stephan,
Mainz 1973, S. 44-52 (= Veröffentlichungen des Instituts für neue Musik und Musikerziehung Darmstadt. Bd 13). Siehe außerdem C. Dahlhaus, Historismus und Tradition, in: Zum
70. Geburtstag von Joseph Müller-Blattau. Im Auftrage des Musikwissenschaftlichen Instituts der Universität des Saarlandes hrsg. v. Chr.-H. Mahling, Kassel u.a. 1966, S. 46-58
(= Saarbrücker Studien zur Musikwissenschaft Bd 1).
6 E. Doflein, Historismus und Historisierung in der Musik, in: Festschrift für Walter
Wiora zum 30. Dezember 1966, hrsg. v. L. Finscher u. Chr.-H. Mahling, Kassel u.a. 1967,
S. 48-56, hier S. 48 f.
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Martin Elste
Instrumentalmusik, per se ein Instrument des Historismus, der im Einzelfall
auch dem pathologischen Zustand der Nostalgie entspringen kann7.
Bleiben die Adjektive zu erläutern: „Historisch“ bezeichnet immer ein abgeschlossenes Ereignis. „Historistisch“ bezieht sich auf den Historismus,
gleich welcher Ausprägung, und „historisierend“ verweist auf eine spezielle
Haltung innerhalb des Historismus, auf ein Programm, darauf nämlich, alte
Traditionen zu beleben, um eine Distanz zur Gegenwart zu erzeugen. In diesem Sinne habe ich bisher in meinen Schriften von der „historisierenden Aufführungspraxis“ gesprochen.
Wenn ich auf den folgenden Seiten ausgewählte Kompositionen in einen
ideengeschichtlichen Zusammenhang bringe, dann werden heterogene Kompositionsgenres berührt, die, oberflächlich betrachtet, wenig gemeinsam haben: Oper, Vokalmusik ebenso wie Kammermusik und Solowerke. Das Jahrhundert Kompositionsgeschichte, um das es hier geht, wird keineswegs umfassend widergespiegelt. Mit der Wahl des Mediums Cembalo beschränke ich
mich auf eine genreübergreifende Rezeptionsästhetik, die ästhetische Position
des musikalischen Historismus als den kleinsten gemeinsamen Nenner dieser
Kompositionen. Die Musik für das Cembalo, und wir werden sehen: für das
moderne Cembalo, belegt paradigmatisch die verschiedenen Spielarten des
Historismus.
In dem Jahrhundert seit 1892, dem mutmaßlichen Jahr der ersten modernen Cembalokomposition, sind knapp fünftausend Kompositionen entstanden,
die das Cembalo als Klangmedium einsetzen, darunter allein etwa 1500 Solokompositionen. Angesichts dieser hohen Anzahl scheint die moderne Cembalomusik im Musikleben eine unterrepräsentierte Rolle zu spielen. Immerhin
sind ungefähr 700 Schallplattenaufnahmen von rund 600 Kompositionen mit
dem Instrument erschienen, viele davon in mehreren Ausgaben, daneben haben die Rundfunkanstalten auch etliche Aufnahmen produziert. Wenigstens
diese Kompositionen sind also nicht für den Schreibtisch oder für ein paar
Minuten Lebensdauer unter einigen wenigen Zuhörern geschrieben, sondern
haben die Chance erhalten – und teilweise auch nutzen können –, eine nachhaltige Wirkung im Musikleben zu haben.
7
Mit dem von Karl R. Popper geprägten und attackierten Begriff des „Historizismus“,
jener sozialwissenschaftlichen Vorstellung von analog zu naturwissenschaftlichen Gesetzmäßigkeiten gebildeten historischen Voraussagen, operiere ich hier nicht (siehe K. R. Popper, Das Elend des Historizismus, Tübingen 1965 (= Die Einheit der Gesellschaftswissenschaften. Bd 3).

Kompositionen für nostalgische Musikmaschinen
Das Instrument als Vehikel einer verlorenen Identität
Wie bei keinem zweiten Instrument ist die Kompositionsgeschichte der modernen Cembalomusik eng mit der Geschichte der Renaissance dieses Instruments verknüpft. Und die Kompositionen reflektieren in geradezu frappanter
Weise diese Renaissance, die auf der Pariser Weltausstellung von 1889 paradigmatisch mit drei Instrumenten französischer Klavierbauer einsetzte. Sie
führte neben einer verstärkten Wiederbelebung alter Cembalomusik schon
bald zu neuen Kompositionen für ein Instrument, das – wie schon ausgeführt
– als mechanisierte Laute die Ambivalenz zwischen Nostalgie der Ursprünglichkeit und dem Glauben an einen technischen Fortschritt beispielhaft ausdrückt8. Unter den ausgestellten Cembali von Pleyel, Erard und Tomasini war
jenes von Pleyel am wenigsten nach historischem Vorbild konstruiert. Es sollte indessen nicht nur ein halbes Jahrhundert lang die Klangästhetik des Cembalospiels bestimmen, sondern bis in die heutige Zeit hinein, also ein gutes
Jahrhundert lang und möglicherweise darüber hinaus Ausgangspunkt für die
neue Art werden, für das Cembalo zu komponieren. Das beherrschende Funktionsteil dieses Instruments von Pleyel war die Pedal-Lyra. Diese Pedal-Lyra
8 Dieser Aufsatz ist die Fortsetzung einer Studie zur Renaissance des Cembalos, deren
erster Teil als Arbeit über die instrumentenkundlichen Aspekte unter dem Titel Nostalgische Musikmaschinen. Cembali im 20. Jahrhundert, in: Kielklaviere. Cembali, Spinette,
Virginale.[...], Berlin 1991, S. 239-277, publiziert worden ist. Weite Stellen des vorliegenden Aufsatzes sind ohne Rückgriff auf die Ressourcen des Staatlichen Instituts für Musikforschung Preußischer Kulturbesitz entstanden. Neben der im folgenden erwähnten Sekundärliteratur seien auch genannt: Die maschinenschriftliche Staatsexamensarbeit an der
Hochschule für Musik und darstellende Kunst, Hamburg 1959, von E. Runge, Das Cembalo im 20. Jahrhundert und das zeitgenössische Schaffen für dieses Instrument; der nicht
viel mehr als eine fragmentarische Übersicht bietende Aufsatz von J. Lade, Modern composers and the harpsichord, in: The consort. No.19 (July 1962), S. 128-131, sowie K. A.
Thorp, The twentieth-century harpsichord. Approaches to composition and performance
practice as evidenced by the contemporary repertoire. D.Mus.A. thesis, University of Illionois at Urbana-Champaign 1981 (Mikrofilm). Zeitgenössische amerikanische Kompositionen werden auch gelegentlich bei L. Palmer, Harpsichord in America. A twentieth-century
revival, Bloomington, Indianapolis 1989, im Zusammenhang mit den Cembalist(inn)en,
insbesondere Sylvia Marlowe, behandelt. Eine unkommentierte Bibliographie der Kompositionen für das Cembalo und mit Cembalo-Mitwirkung ist F. Bedford & R. Conant, Twentieth-century harpsichord music: A classified catalog, Hackensack, NJ 1974 (= Music indexes and bibliographies. No.8.). In: M. Elste, Cembalo modern. Das Cembalo im 20.
Jahrhundert, in: Fono Forum, 1992, H. 11, S. 28-32, behandele ich an Hand im Handel erhältlicher Schallplattenproduktionen das Thema in musikkritischer Weise. Für diese Studie
konnte nicht mehr eingesehen werden: F. Bedford, Harpsichord & clavichord music of the
twentieth century, Berkeley, CA 1993.
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Martin Elste
war nur äußerlich dem Hammerflügel entliehen. Mit ihrer Hilfe bot sich dem
Spieler von Beginn der Cembalorenaissance an ein großer Gestaltungsfreiraum des Registrierens. Von ihrer Funktionsweise her war sie die Weiterentwicklung des Machine Stop der englischen Cembali des späten 18. Jahrhunderts.
Bereits die ersten modernen Kompositionen für das neue Alte Instrument
betonen den Aspekt der Klangnostalgie auf plakative Weise, ohne dabei den
Möglichkeiten und Grenzen des Cembalos gerecht zu werden. Es ist Musik
eines ästhetischen Bruchs. Louis Diémer (1843-1919), der französische Pianovirtuose und Begründer der französischen Clavecin-Renaissance, erhielt 1892
von dem Salonkomponisten Francis Thomé (1850-1909) ein ihm gewidmetes
dreieinhalbminütiges Rigodon op. 97, das als die erste moderne Cembalokomposition9 gelten darf. Sein Komponist hatte freilich nur wenig Vorstellung von
einem cembalospezifischen Klangstil. Das gilt auch für die frühen Cembalokompositionen von Jules Massenet, Ferruccio Busoni, Frederick Delius und
Richard Strauss, über die noch zu sprechen sein wird. Thomés Komposition
versucht Rokoko-Tändelei zu imitieren, ohne sich an den standardisierten historischen Rigaudon-Rhythmus zu halten.
Das Cembalo in der modernen Oper
Bezeichnenderweise haben sich Komponisten frühzeitig des Cembalos zur
klanglichen Kolorierung einer historischen außermusikalischen Handlung im
Rahmen musiktheatralischer Historisierung bedient. So Jules Massenet (18421912), der im ersten Akt seines 1792 spielenden Drame-musical Thérèse,
1905/06 komponiert und 1907 uraufgeführt, das Cembalo in einem wenig
mehr als einminütigen „Menuet lent mélancolique“ als ein Instrument der vorrevolutionären Erinnerung, Illusion und Etikette einsetzt und den formalistischen Stil der französischen Clavecinisten als musikalische Reminiszenz an
das Ancien régime imitiert10; so Ferruccio Busoni (1866-1924), der in die
9
Paris, Bruxelles: Henry Lemoine & Cie, o.J., Plattennummer: 9598.H.P.690.; die
Komposition trägt den Untertitel „Pièce de clavecin“. Vergleiche auch L. Palmer, Revival
relicts: The first compositions of the harpsichord revival and the first twentieth-century
harpsichord method, in: Early keyboard journal 5, 1986/87, S. 45-52, für weitere Angaben.
Igor Kipnis sei an dieser Stelle für eine Kopie der vergriffenen Notenausgabe sowie seiner
Schallplatte gedankt.
10 S. 147-152, Ziffer 66, sowie S. 158-160, Ziffer 70 der Partitur von Heugel & Cie
1906 (Plattennummer H.& Cie 23,025): Szene mit Armand de Clerval und Thérèse
„Oublier! T’oublier! Veux-tu que j’oublie“. Bei diesem Menuet lent mélancolique (Andante
moderato con malinconia), wenn Armand sich der Stunden mit Thérèse erinnert („Verges-
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Kompositionen für nostalgische Musikmaschinen
Bühnenhandlung seiner Oper Die Brautwahl ausdrücklich das Cembalo integriert, nachdem er 1910 auf einer Amerika-Tour in Boston Arnold Dolmetsch
(1858-1940), den schillernden Exponenten des instrumentalen Historismus
engerer Prägung, kennenlernt und mit ihm seine Cembalokonstruktionen für
die amerikanische Klavierbaufirma Chickering. „Er sieht aus wie ein kleiner
Faun, mit einem hübschen Kopf und lebt in der Vergangenheit; und in der
Vergangenheit nur im Instrumentenbau. Er baut Claviere, Clavecins und Clavichorde“, schreibt Busoni am 12. April 1910 an seine Frau11. Busoni ist fasziniert und sieht in der im Berliner Biedermeier spielenden Handlung seiner
im Particell bereits abgeschlossenen „Musicalisch-fantastischen Komödie“ für
das auf der Bühne vorgesehene Tafelklavier, auf dem sich Albertine, die weibliche Hauptrolle, beim Gesang begleiten sollte, als neue Alternative ein Cembalo vor12. Einen historischen Bezug schafft auch das Cembalo in der musikalischen Komödie Mozart (1925) von Reynaldo Hahn (1875-1947).
In den Werken dieser Komponisten liefert das Cembalo nicht viel mehr als
ein vermeintliches Kolorit einer vergangenen Epoche der Beschaulichkeit,
ganz so, wie man etwas später das Wort Spinett verstand. Auch Richard
Strauss (1864-1949) entspricht mit seiner 1923 für eine Ballett-Soirée im Redoutensaal der Wiener Hofburg orchestrierten Tanzsuite aus Klavierstücken
sen! Dich vergessen... Ich soll der Stunden vergessen, wo meinem Herzen sich deines erschloß? Weißt du noch? Die schattigen Bäume von Versailles [...] hüten treu unser Glück.
Weißt du noch... Dem Flüchtigen gab ein schönes junges Mädchen seine Hand auf dem
Ball in lauer Sommernacht, tanzte das Menuett mit ihm, die traute Weise, am königlichen
Hof das Liebesmenuett in lauer Sommernacht.“), soll das Cembalo („Clavecin au loin à
défaut une harpe“) zusammen mit einem Quartett aus Violine, Bratsche, Violoncello und
Kontrabaß hinter den Kulissen erklingen. Auf diese Weise erzeugt Massenent zusätzlich
mittels der speziellen Plazierung dieser fernen, alten Cembaloklänge eine musikalische Reminiszenz. Leider ist in der Schallplattenaufnahme der Oper unter Gerd Albrecht (Atlantis:
ATL 95101) der Cembalopart durch die Harfe ersetzt, die weit weniger die hier mit dem
Ancien régime verknüpfte Klangsymbolik des Cembalos vermittelt. Die 1974 veröffentlichte Erstaufnahme der Oper unter Richard Bonynge (Decca: SET 572) sowie die Neuaufnahme unter Lucas Vis (Canal Grande: CG 9220) enthalten dagegen das Menuett in seiner
Originalfassung mit Cembalo.
11 F. Busoni, Briefe an seine Frau, hrsg. v. F. Schnapp, Erlenbach-Zürich, Leipzig
1935, S. 208.
12 Vergleiche A. Beaumont, Busoni the composer, London, Boston 1985, S. 124; im
autographen Librettoband, Busoni-Nachlaß o.Nr., Staatsbibliothek zu Berlin, Haus I, sowie
in einem im Privatbesitz befindlichen Particell heißt noch die Szenenanweisung „Albertine,
an einem Tafelclavier, begleitet sich“. In der autographen Partitur, die Busoni für diesen
Teil der Oper (2. Akt, 2. Teil) am 31. Juli 1911 angefangen hatte, änderte er seine ursprüngliche Szenenanweisung um in „Albertine, an einem Clavecin (oder Tafelclavier) begleitet sich“.
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Martin Elste
von François Couperin (o.Op. AV.107) genau dieser ästhetischen Haltung. In
dieser Suite gibt das Cembalo historisierende Farbtupfer zu den Klängen des
dreißigköpfigen Kammerorchesters. Daß bei dem von Strauss verlangten Ambitus bis zum g3 der historische Tonumfang des Cembalos überschritten wird,
spielt angesichts der ohnehin nachschöpferischen Orchestrierung keine Rolle.
Auch in seinem „Konversationsstück für Musik“ Capriccio op. 85 von 1940/
41 gehört ein Cembalo zum (Bühnen-)Instrumentarium13 und begleitet Olivier
wie auch Flamand in ihrem Sonett „Kein and’res, das mir so im Herzen
loht“14 in einer akkordischen Satzweise. Selbst in dieser späten Partitur, zu
deren Entstehungszeit das Cembalo bereits ein halbes Jahrhundert lang wieder
in Gebrauch gewesen war, verlangt Strauss in der Cembalostimme mehrfach
Crescendi und Dim[inuendi]. In seinem auf Capriccio folgenden Divertimento
für kleines Orchester nach Klavierstücken von François Couperin op. 86, farbigen Orchestrierungen, ohne die barocke Harmonik anzutasten, setzt Strauss
schließlich ein letztes Mal das Cembalo ein. Moderne Musik waren alle diese
Werke von Strauss freilich nicht. Das verhält sich schon anders mit Igor Strawinskys 1948/51 für Venedigs La Fenice geschriebenen Rake’s Progress, in
dem Secco-Rezitative und ein Duett mit neoklassizistischer Ironie vom Cembalo begleitet werden. Als historisierende Komponente der Musik innerhalb
der musikalischen Folie einer modernen Opernkomposition erscheint das
Cembalo auch im dritten Akt der revidierten Fassung (1952) von Paul Hindemiths Cardillac15, und zwar als Teil der zusammen mit Querflöte, Oboe, Fagott, Harfe, Violine, Bratsche, Violoncello und Kontrabaß ansonsten historisch
neutral besetzten Bühnenmusik, die in historistischem Stil auf Musiken aus
Lullys Oper Phaeton basiert. Hindemith wollte ganz bewußt weder eine Stilkopie schaffen, noch Lullys Musik historisch korrekt in seine eigene Oper
einbauen. Das Stilprinzip der Adaption spielt hier eine große Rolle, und das
Cembalo liefert zusammen mit der die Harmonik und Melodik des Barock
imitierenden Schreibweise das Klangkolorit des Generalbasses, der sogar in
einzelnen rezitativischen Passagen historisch getreu ausgesetzt ist. Übrigens
ist es sonderbar, daß Hindemith das Cembalo aus seinem sonstigen kompositorischen Schaffen verbannt hat, obwohl er in den 20er Jahren den ästheti-
13 Später hat Strauss für das Cembalo eine Suite aus ‚Capriccio‘ mit Konzertschluß
(o.Op.AV 138) zusammengestellt, die er Isolde Ahlgrimm gewidmet hat. Das Werk wurde
am 6. 11. 1946 im Mozart-Saal des Konzerthauses, Wien, uraufgeführt.
14 In der 4. Szene (Ziffer 60) begleitet über 16 Takte das Cembalo das vom Dichter
Olivier rezitierte Sonett, in der 6. Szene (Ziffer 75-81 einschließlich) begleitet das Cembalo über 110 Takte das gesungene Sonett des Musikers Flamand.
15 Mainz: B. Schott’s Söhne; London: Schott & Co. © 1952 (Klavierauszug: Edition
Schott 3219).
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Kompositionen für nostalgische Musikmaschinen
schen Prämissen der Neuen Sachlichkeit aufgeschlossen gegenüberstand und
sich in den 30er Jahren in Berlin mit alten Instrumenten auch spielpraktisch
auseinandersetzte und sogar zusammen mit der Cembalistin Alice Ehlers musizierte.
In den unter den ästhetischen und politischen Prämissen eines sozialistischen Musiktheaters entstandenen Opern und Bühnenmusiken erfüllt das
Cembalo einen ganz anderen musikalischen Zweck. Hier ist es ein Instrument,
das aus der Ästhetik der Neuen Sachlichkeit heraus mit dem Mittel der Verfremdung Distanz zur Gefühligkeit der maroden Bürgerlichkeit schaffen soll.
Und so ist das Cembalo in Werken wie Hanns Eislers (1898-1962) Leben des
Galilei (1947), Fritz Geisslers (geb. 1921) Der zerbrochene Krug (1971) und
Kurt Schwaens (geb. 1909) Leonce und Lena (1961) integraler Bestandteil des
Orchesterapparats. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch Paul Dessaus (1894-1979) Die Verurteilung des Lukullus (1951): Der Komponist verwendet in seinem Werk, das nur ‚harte‘ Instrumente einschließlich einer großen Schlagzeuggruppe verlangt (also auf Violinen, Oboen, Klarinetten, Fagotte und Hörner verzichtet), zwar kein Cembalo, doch die zwei Klaviere sollen
einem „robusteren Cembaloklang“ entsprechend präpariert werden16 – wohl
eine aus der Situation der Zeit heraus zu verstehende Behelfsinstruktion. Später sind dergestalt präparierte Hammerklaviere als „Gitarrenklaviere“ bezeichnet worden17, eine etwas unglückliche Bezeichnung, die die emotionale Härte
und Fremdartigkeit des Klanges nicht ausdrückt, wohl aber auf eine ‚proletarische‘ Konnotation zielt. Bleibt die Frage, ob es Dessau auf den Cembaloklang an sich oder auf einen robusteren Cembaloklang ankam. Müßte eine
‚authentische‘ Aufführung des Lukullus also statt mit den geforderten Hammerklavieren mit zwei Cembali besetzt sein, wenn man des Komponisten Anweisung als Konzession an die Mangelsituation der Entstehungszeit interpretiert, möglicherweise sogar mit elektroakustischer Verstärkung des Cembaloklanges, wenn man das Adjektiv als wesentliche Komponente von Dessaus
Beschreibung betrachtet? Eine Antwort darauf kann man indirekt aus der von
Dessau autorisierten Gesamteinspielung unter Herbert Kegel ableiten, in der
präparierte Hammerklaviere und keine Cembali gespielt werden18.
16 P. Dessau, Die Verurteilung des Lukullus in 12 Szenen von P. Dessau und B. Brecht,
[Klavierauszug] o.O.[Berlin/DDR], o.V.[Henschelverlag Kunst und Gesellschaft],
o.J.[1951] gibt unter „Orchesterbesetzung“ an: „[...] 2 Klaviere, deren Hämmer mit Reißnägeln bespickt werden müssen, um einen robusteren Cembaloklang zu erzielen [...]”.
17 So bei F. Hennenberg, Dessau-Brecht. Musikalische Arbeiten, Berlin 1963, S. 363.
Nach Hennenberg geht die Präparierung des Hammerklaviers mit Reißzwecken auf einen
Einfall Brechts zurück, als er mit Dessau 1946 an der Courage-Musik arbeitete. Seitdem
hatte Dessau immer wieder dieses präparierte Klavier verlangt.
18
Berlin Classics: BC 1073-2 (2 CD).
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Martin Elste
Eine Klang-Stellung zwischen Distanziertheit und Skurrilität gilt auch bei
einem Werk des Musiktheaters wie der im Konzentrationslager Theresienstadt
1943/44 von Viktor Ullmann (1898-1944) komponierten Legende in vier Bildern Der Kaiser von Atlantis oder Die Tod-Verweigerung op. 49‹B›19. Bei den
neueren Werken des Musiktheaters, zum Beispiel bei Wolfgang Rihms zweiter
Kammeroper Jakob Lenz20 (1978) bis hin zu Hans Zenders Don Quijote de la
Mancha21 (1991) ist das Cembalo jenseits aller nostalgischen Assoziationen,
es ist vielmehr ein Bestandteil des nun vorherrschenden Spaltklang-Instrumentariums. Allenfalls im ersten Akt von Karlheinz Stockhausens DIENSTAG
aus LICHT kommt dem Cembaloklang eine assoziative Bedeutung zu, wenn
der Komponist das Instrument (genauer: den vom Sampler auf einem Synthesizer erzeugten Cembaloklang) zusammen mit Gitarre und Großer Trommel
als Ensembleeinheit kontrastierend zu Saxophonen beispielsweise einsetzt.
Doch hier soll das Assoziative auf das japanische Instrumentarium verweisen,
für das dieser Akt als Der Jahreslauf ursprünglich geschrieben wurde.
Eine ganz andere Funktion hat der Cembaloklang in Maurice Ravels Fantaisie lyrique L’Enfant et les Sortiléges22 von 1920/24: Exotik eines ungewohnten Timbres, um die Skurrilität der fantastischen Handlung musikalisch
adäquat zu schildern – eine Anwendung, wie wir ihr vierzig Jahre später in
der Unterhaltungs- und Filmmusik wieder begegnen werden. Doch in einer
Zeit, als nur einige wenige Cembali gebaut und noch weniger im Konzertbetrieb eingesetzt wurden, als mit modernen Alternativkonstruktionen wie dem
Cembalochord, Ibachord oder dem Bach-Klavier23 die Instrumentenbauer ihren Ehrgeiz, das historische Cembalo zu vervollkommnen, befriedigen wollten, machte Ravel in seinem fantastischen Märchen von einem Kombinationsinstrument von Hammerflügel und Cembalo, eben dem sogenannten Luthéal
Gebrauch, dessen Saiten je nach Bedarf angeschlagen oder gezupft werden.
Das dem Belgier Georges Cloetens 1922 patentierte Luthéal hat vier Register,
mit denen normaler Hammerklavierklang, Cymbalom-Effekt, Cembaloklang
und gedämpfter Flageolett-Klang („Harpe-tiré“) eingestellt werden können24.
19
Die im Autograph benannte Alternative „oder Klavier“ – nach Hans-Günter Klein,
Die Kompositionen Viktor Ullmanns. Ein Verzeichnis der erhaltenen Quellen, in: Viktor
Ullmann. Materialien, hrsg. v. H.-G. Klein, Hamburg 1992, S. 27 – ist aus den Umständen
der in Theresienstadt vorhandenen Ressourcen heraus zu sehen.
20
Wien: Universal Edition (UE 18066).
21
Wiesbaden: Breitkopf & Härtel 1993 (Leihmaterial).
22
Paris: Durand & Cie 1925.
23
Siehe hierzu M. Elste, Nostalgische Musikmaschinen, a. a. O., S. 239-277.
24
In meiner Beschreibung folge ich den nicht ganz eindeutigen Angaben von Theo
Olof in dessen Covertext zu der Langspielplatte EMI His Master’s Voice: 1 A 057-26469

Kompositionen für nostalgische Musikmaschinen
In diesem Sinne müssen in Ravels Partitur die eingekreisten Zahlen als Hinweise für die Registerschaltung interpretiert werden25. Der Orgelbauer und
Organist Cloetens hatte bereits um 1910 ein sogenanntes Orphéal konstruiert,
das als ein Kombinationsinstrument von Hammerflügel, Orgel, Druck- und
Saugluftharmonium in der Lage sein sollte, die Klänge der Streich- und Blasinstrumente nachzuahmen26. Daß es Ravel auf den Cembaloklang – so wie er
ihn damals kannte – ankam, belegt sein Aufführungshinweis: „A défaut de
Luthéal, employer un Piano droit, et mettre une feuille de papier sur les cordes, aux endroits indiqués, pour imiter la sonorité du clavecin“27. So komponierte Ravel für ein Instrument, das hinsichtlich des Klanges auch ein Cembaloersatz ist, aber weder von einem normalen Hammerflügel noch von einem
Cembalo adäquat substituiert werden kann, weil Ravel eben auf die wechselnde Tonerzeugung Wert gelegt hat. Das Luthéal ist ein dreiviertel Jahrhundert
später seltener als so manche Cembalokonstruktion des 18. Jahrhunderts, eine
kongeniale Aufführung, die das spezielle Timbre des Tasteninstruments als
kompositorische Kategorie ernst nimmt, ist also so gut wie unmöglich28. Ravel hat es ein zweites Mal als Alternativinstrument zum Klavier verwendet: in
seiner Rapsodie de concert Tzigane von 1924, die in drei verschiedenen Fassungen herausgegeben wurde: Violine und Klavier, Violine und Luthéal sowie
Violine und Orchester29.
Das Cembalo im Jazz und in der Unterhaltungsmusik
Versteht man den Jazz als die musikalische Emanzipation des OrganischSinnlichen, ist das Cembalo mit seiner mechanistischen Klangästhetik in der
(Ravel, Tzigane u.a.). Ich möchte mich an dieser Stelle für die freundliche Unterstützung
von Frits Zwart, Den Haag, bedanken.
25
Zum Beispiel 2 Takte nach Ziffer 7.
26
Nähere Angaben zum Orphéal: W. Maaß, Über den Klavierbau auf der Brüsseler
Weltausstellung, in: Zeitschrift für Instrumentenbau 31, 1910/11, Nr. 5 v. 11. 11. 1910, S.
155, sowie 48 (1927/28), Nr. 14 v. 15. 4. 1928, S. 709, wo – ohne daß der Name Luthéal
fällt – der Mechanismus dieses Instruments beschrieben wird.
27
Vorwort zur Taschenpartitur, Paris. Durand & Cie 1925 (Pl.Nr.13019).
28
Leider läßt die Schallplattenproduktion des Werkes unter Lorin Maazel (Deutsche
Grammophon: 423718-2) Ravels Klangvorstellung unberücksichtigt und verwendet einen
normalen Flügel, hingegen scheint Ernest Ansermet in seiner Einspielung (CD-Überspielung auf Decca: 433400-2) wenn auch kein Luthéal, so doch immerhin ein präpariertes
Klavier eingesetzt zu haben.
29
Paris: Durand & Cie 1924.

Martin Elste
Tat eher als skurriler Kontrapunkt der Klangfarbe zu werten. Nichtsdestoweniger ist das Instrument auch gelegentlich im Jazz vertreten. Bereits 1940,
lange bevor das Cembalo zum Sound skurriler Unterhaltungsmusik dazugehörte, konnte man Johnny Guarnieri mit Gramercy Five in dem Stück Special
Delivery Stomp in einer Schallplattenaufnahme am Cembalo hören30, kurze
Zeit später nahm Meade „Lux“ Lewis vier Jazz-Cembalosoli auf31. 1942
spielten Helmut Zacharias und seine Solisten einige Jazzschallplatten für Odeon ein, bei denen Ernesto Romanoni am Cembalo saß32. Der Jazz-Pianist Erroll Garner (192133-1977) hatte sich 1958 mit vier Stücken dem Cembalo zugewandt, mit Don’t look for me, Paris Blues, Côte d’Azur und When Paris
cries, und auch John Lewis spielte in Jazzstil gearbeitete Bach-Bearbeitungen
auf dem Cembalo. Mitte der 60er Jahre versuchte der Schweizer Jazzmusiker
George Gruntz (geb. 1932) eine Synthese aus moderner „Komponistenmusik“34 und Jazz mit seinen Jazz-Etüden über Motive aus Hans Werner Henzes
›Six Absences‹35. Jazzmusik auf dem Cembalo spielten in neuerer Zeit Michael Garrick36, Cal Cobbs (zusammen mit Albert Ayler) und McCoy Tyner37.
Der kuriose Fall, daß eine Komposition im Titel die Bezeichnung „for harpsichord“ trägt, aber vom Komponisten explizit als Stück für das Hammerklavier
gedacht ist, begegnet uns in Keith Jarretts (geb. 1945) Fughata for harpsichord, einer Komposition, die der Pianist ausschließlich für seine eigene Darstellung auf dem Hammerklavier geschrieben hat. Obwohl Jarrett in jüngerer
Zeit auch als Cembalist in Erscheinung getreten ist, versteht er die Spezifizierung „for harpsichord“ als eine Spielanweisung38, etwa in jenem Sinne, wie
beispielsweise Friedrich Gulda in den 60er Jahren Bachs Cembalowerke auf
dem Hammerflügel interpretiert hat: trocken, mit wenig Legato und minimaler
Dynamik.
30
Victor: 26762.
31
Unter anderen School of rhythm und Feeling tomorrow like I feel today auf Blue
Note: 20.
32 Siehe H. H. Lange, Die Geschichte des Jazz in Deutschland. Die Entwicklung von
1910 bis 1960 mit Discographie, Lübbecke 1960, S. 169.
33
Laut The new Grove, ältere Angaben lauten 1923.
34
Unter „Komponistenmusik“ verstehe ich jene Musik, die auf notierten Kompositionen eines Urhebers beruht und im Bewußtsein der Rezipienten als Schöpfung dieses Urhebers verankert ist.
35
Philips: P 48111 L (LP).
36
Album „Black Marigolds“ (1966) auf Argo: 88.
37
Album „Trident“ (1975) auf Milestone: 9063.
38
Stephen Cloud, Jarretts Artist Representative, schreibt in einem Brief vom 10. 2. 1993
an den Verfasser: „The composition was not composed for harpsichord. It is to be played
on piano, but the player should ‘think’ harpsichord as he plays the piano.“

Kompositionen für nostalgische Musikmaschinen
In den 60er Jahren gehörten Cembaloklänge zur Klangrequisite vieler Unterhaltungsmusik. Cembalo-Arpeggien vermittelten klangmalerisch-assoziativ
Pittoreskes ebenso wie makabre Spannung (in Thrillern nämlich). PittoreskSchrulliges komponierte Ronald Goodwin (1925- nach 197239), wenn er das
Cembalo in quasi leitmotivischem Einsatz beim Auftritt der Miss Marple in
den Anfang der 60er Jahre produzierten Miss-Marple-Filmen mit Margaret
Rutherford einsetzte.
Daneben wird das Cembalo als Lieferant eines schieren Klangfarbenreizes
in Unterhaltungsmusik von häufig neobarocker Faktur herangezogen. Aktuelle
Beispiele hierfür sind die Sätze von Dominique Roggen, zum Beispiel die
Doppelfuge über zwei Themen von Lennon/McCartney The girl Michèle und
Simelibärg als Fantasie über ein altes Schweizer Volkslied40, einer Orchesterkomposition im Stil der neuenglischen Fantasie, wie sie Ralph Vaughan Williams mit seiner Fantasia on a theme by Thomas Tallis geschrieben hatte.
Das Cembalo als Ausdrucksmedium kompositorischer Nostalgie
Nicht von ungefähr wurde das Cembalo im Zusammenhang mit neuen Kompositionen zunächst häufig als ausgesprochenes Bühneninstrument eingesetzt,
als ein musikalisches Medium zur Illustration einer vergangenen geschichtlichen Epoche. Verlassen wir das musikdramatische Genre, begegnet uns auch
in vielen Kompositionen für bzw. mit Cembalo ein direkter historischer innermusikalischer Bezug auf vergangene Zeiten, auf vergangene Werte. Kompositorische Nostalgie ist bis in die neueste Zeit hinein ein Topos vieler Cembalokompositionen geblieben. Einige Beispiele dafür: Heinrich Kaminskis 1931
komponierte Musik für zwei Violinen und Cembalo41 ist die aktualisierte Stilkopie der Triosonate aus dem Geist eines schöpferischen Historismus
schlechthin. Ihr Cembalopart könnte ebenso gut von einem modernen Hammerklavier übernommen werden, dann würde die Komposition mit ihrer dichten Cembalosatzstruktur noch mehr als ohnehin schon dem Barockbild der
1930er Jahre entsprechen. Die Gattung der Triosonate wird in einer ebenso
seltenen wie exemplarischen Besetzungskonstellation, nämlich Johann Joa-
39 Seine Biographie ist noch in der von mir konsultierten Auflage 1972 des Who’s who
in music and musicians’ international directory, London 61972, aber nicht mehr in der 10.
Auflage des Nachschlagewerks (International who’s who in music and musicians’ directory, Cambridge 101985).
40
Beide eingespielt auf Claves: CD 50-9218 (CD).
41
Leipzig: Peters.

Martin Elste
chim Quantz’ Sonate C-Dur für Blockflöte, Querflöte und Cembalo, auch von
Hans-Martin Linde (geb. 1939) für sein Trio für Blockflöte, Querflöte und
Cembalo von 1960 zum Vorbild für die Struktur des kontrapunktischen Satzes
genommen42. Als eine Hommage an Bachs Italienisches Konzert könnte man
den langsamen Satz („Slow and expressively“) der Sonata for harpsichord
(1982) von Samuel Adler (geb. 1928) verstehen, weil Adler hier einen Zwiegesang zwischen der Melodiestimme auf einem Manual und einer akkordischen Argpeggio-Begleitung auf dem anderen Manual komponiert hat. Der
Lautenzug organisiert, mechanisiert die Begleitung hierbei hinsichtlich der
Klangfarbe. Nostalgie kehrt auch bei Henri Sauguets (geb. 1901) Suite Royale
für Cembalo solo43 von 1962 wieder. Diese für Sylvia Marlowe geschriebene
Suite imitiert in freier Weise den Cembalostil des 18. Jahrhunderts, so unter
anderem durch Verzierungen im Stil François Couperins. Ein anderes Beispiel
gleich verschiedener barocker Kompositionstechniken gibt William Albright
(geb. 1944) in seinen Four fancies44. Die vier Sätze der 1979 entstandenen
knapp zwölfminütigen Suite rekurrieren, jeder für sich, auf barocke Muster:
Excentrique ist im Stil einer französischen Ouvertüre mit Doppelpunktierungen und Ornamenten, Mirror Bagatelle setzt die Kontrastwirkung der beiden
Manuale ein, Musette hat die obligatorischen Bordun-Klänge, und Danza ostinata verbindet die Idee vom Basso ostinato mit Boogie Woogie, Antonio Solers rhythmisch-motorische Attacke mit minimalistischen Schemata.
Von einer Nostalgie des Klassizismus könnte man bei Robert Oboussiers
(1900-1957) drei Arien für Koloratur-Sopran, Oboe und Cembalo (nach Klopstock) sprechen. Es sind quasi moderne Generalbaßlieder, die im Sinne der
edlen Einfachheit, der Schlichtheit der Mitte des 18. Jahrhunderts komponiert
sind. In „Weine du nicht“ spielt das Cembalo zunächst eine einfache akkordische Begleitung und bringt danach Umspielungen in strophischen Variationen
des Liedes.
Der Rückgriff auf barocke Kompositionsformen betrifft nicht nur die Suite
für das Soloinstrument und das Konzert. Benjamin Britten (1913-1976) hat
kurz vor seinem Tod mit Phaedra op. 9345 für Mezzosopran und kleines Orchester mit Streichern, Schlagzeug und Cembalo eine Kantate komponiert, deren barocke Formtypen Rezitativ und Arie auch ein instrumentales Pendant
haben: So wird das stilisierte Continuo von einem Violoncello und einem
42
Wergo: WER 6191-2 = 286191-2 (CD).
43
Decca[US]: DL 710108 (LP) und andere Ausgaben.
44
Arkay Records: AR 6112 (CD) u.a. Einspielungen.
45
London: Faber Music 1977.

Kompositionen für nostalgische Musikmaschinen
Cembalo ausgeführt. Das Ergebnis dieser vom Formtypus einer Händelschen
Kantate geprägten Komposition ist ein neobarocker Gestus, der noch durch
die Wahl des Textes – einer auszugsweisen Übersetzung von Jean Baptiste
Racines Phèdre – unterstützt wird.
Im deutschsprachigen Raum griffen einige Komponisten die Ideale der Jugendmusikbewegung auch hinsichtlich des Cembalos auf, so beispielsweise
Rudolf Moser (1892–1960) mit seiner Spielmusik für Cembalo op. 79 Nr. 1
(1945) und Rudolf Wagner-Régeny (1903-1969) mit der Spinettmusik
(1934)46. Wagner-Régenys siebenminütiger47 Zyklus von sechs kurzen Sätzen48 bezieht sich nur insofern auf das Spinett als einmanualige Sonderform
des Cembalos, als die in Berlin entstandenen Stücke – ganz im Unterschied zu
den vielen anderen modernen Cembalokompositionen – mit ihrer betonten
rhythmischen, melodischen und harmonischen Einfachheit des meist zweistimmigen Satzes kein zweimanualiges Konzertinstrument voraussetzen. Im
Gegenteil: Für Wagner-Régeny ist die klare, gleichmäßige Linearität ohne irgendwelche Dynamik das oberste Gebot; sein Zyklus atmet den Geist der
Neuen Sachlichkeit, dem jegliche interpretatorische Expression zuwider ist.
„Bei der Ausführung auf dem Klavier empfiehlt es sich, das Pedal nicht zu
gebrauchen und alle Stücke durchwegs mezzoforte vorzutragen“, lautet der
Aufführungshinweis in der Notenedition.
Daß das Instrument auch innerhalb der die Motorik aufgreifenden kompositorischen Bach-Rezeption Anwendung fand, liegt nahe. Beispiele dafür sind
das zweite der Deux pièces pour clavecin49, 1935 komponiert, von Bohuslav
Martinu (1890-1959), dessen im selben Jahr komponiertes neobarockes Concert pour clavecin et petit orchestre, das Spielfiguren der Bachschen Cembalokonzerte aufgreift und harmonisch erweitert, sowie der erste Satz seiner Antoinette Vischer gewidmeten Sonate von 1958. Auch bei Siegfried Borris’
(1906-1987) Partita für Cembalo50 op. 67 Nr. 1 von 195151 bestimmt die Motorik den neobarocken Duktus des Werks.
46
Wien, Leipzig: Universal-Edition 1935 (UE 10665).
47
So die Angabe in den Noten.
48
Mit den Satzbezeichnungen 1. Mäßig langsam, etwas plump, 2. Lebhaft und lustig,
3. Ziemlich schnell, ein wenig leiernd, 4. Getragen und immer gebunden, 5. Schnell und
frech, 6. Kanon. Mäßig schnell.
49
Wien: Universal Edition (UE 13431).
50
deutsche harmonia mundi: 1012 DMR (LP) in Set DMR 1010/12 (3 LP).
51
Die Musik in Geschichte und Gegenwart Bd.17, Sp. 968, gibt fälschlicherweise 1961
als Jahr der Komposition an.

Martin Elste
Rudolf Kelterborns (geb. 1931) Inventionen und Intermezzi52 lassen wegen
ihrer Besetzung für zwei Gamben und Cembalo einen neobarocken Bezug
vermuten – ganz zu Unrecht. Nur der Anlaß zur Komposition – ein Auftrag
des Gambisten August Wenzinger und der Gambistin Hannelore Mueller – bestimmte die Wahl des instrumentalen Mediums. Es gibt keine hörbaren Barockmuster, wenn man von dem Triller absieht. Indessen ist die Sonoritätsebene des Cembalos durch Einzeltöne und Einzelakkorde, denen die Zeit zum
Ausschwingen gelassen wird, mit sensiblem Spürsinn für neue Klanglichkeiten aufgrund alter instrumentaler Mittel erfaßt. Es gibt in Kelterborns Komposition jene Akkordattacken auf dem Cembalo, die uns in der Literatur für das
moderne Instrument immer wieder begegnen und die im historischen Repertoire für das Instrument völlig fehlen.
Auch das Tombeau de Marin Marais (1967) von Pierre Bartholomée (geb.
1937), der am Conservatoire in Brüssel lehrt und zum Kreis um Henri
Pousseur zählt, mag aufgrund seines Titels und seiner Besetzung ein nostalgisches Zurückgreifen auf barocke Klangstrukturen vermuten. Dem ist jedoch
nicht so. Denn sein Komponist nimmt, abgesehen von Titel und Wahl des Instrumentariums – nämlich Violine, zwei Violen da gamba und Cembalo – keinen direkten klanglichen Bezug auf Vergangenes. Die Komposition zerfällt
beim Hören in atonale Klangfetzen mit Sternschnuppen aus Bruchstücken barocker Kantilenen. Das kompositorische Prinzip, das hinter Bartholomées
Werk steht, verweist hingegen sehr wohl in den Traditionskontext des Gambenspiels, weil der Komponist sich ausgiebig der Sordatur bedient.
Bei Dieter Schnebel (geb. 1930) ist das Cembalo in einer Triobesetzung
eine äußere Bindung an den Traditionskontext der barocken Triosonate, und
dank dieser Bindung ermöglicht sie einen typisch Schnebelschen Diskurs der
Verfremdung in seinen 1965/66 komponierten fünfundzwanzig „Szenischen
Variationen für drei Instrumentalisten“ mit dem Antonympaar anschläge –
ausschläge als Titel. Der Komponist verlangt vom Cembalisten Klangveränderungen, auch hinsichtlich der Dynamik, die nur mittels elektroakustischer
Verstärkung möglich sind53. In der Praxis erfordert Schnebels Komposition
also ein Cembalo, das auf seinem Vorsatzbrett oder in unmittelbarer Nähe der
Klaviaturen Lautstärkeregler hat, die der Spieler mit der einen Hand bedient,
während die andere in die Tasten greift. Ein solches Cembalo hat beispielsweise die Firma Kurt Wittmayer, Wolfratshausen, hergestellt: das Modell
52
53
Jecklin Disco: D 569 (LP).
Vergleiche D. Schnebel, Denkbare Musik. Schriften 1952-1972, hrsg. v. H. R. Zeller.
Köln 1972, S. 303-306.

Kompositionen für nostalgische Musikmaschinen
„Bach Elektronik“, von dem ein Exemplar im Berliner MusikinstrumentenMuseum steht54.
Neben dem kompositorischen Historismus hat es gerade zu Beginn der
Cembalorenaissance Kompositionen gegeben, deren historistischer Bezug
nicht viel mehr als die Spezifikation „für Cembalo“ war. Von Thomés Rigodon war schon die Rede. Das betrifft aber auch die wesentlich bekannteren
und musikalisch ergiebigeren frühen Cembalokompositionen von Busoni und
Delius. Busonis 1915 expressis verbis für das Cembalo geschriebene Sonatina
ad usum infantis Madeline M* americanae pro clavicimbalo composita55
scheint – abgesehen von ihrer fünfsätzigen, auf die Suite weisenden Anlage –
weder in Nostalgie noch in einer instrumentenspezifischen Klanglichkeit zu
schwelgen, mit dem Resultat einer eigentümlichen Zwitterstellung, die sie mit
Delius’ Dance for Harpsichord56 teilt. Dieses 1919 für die englische Cembalistin Violet Gordon Woodhouse (1872-1948) komponierte kurze Stück hat sogar Noten, die das Sostenuto-Pedal erfordern57. Diese beiden Kompositionen
sind – von Thomés Salonpièce einmal abgesehen – offensichtlich die ersten
modernen Solowerke für das Cembalo, denen bald weitere folgen sollten. So
schrieb bereits zwei Jahre nach Delius’ unidiomatischer Komposition der Holländer Alexander Voormolen (1895-1980) eine Suite de clavecin58 in vier Sätzen.
54 Musikinstrumenten-Museum, SIMPK, Berlin, Kat.-Nr. 5420, vergleiche auch die
Beschreibung in: Kielklaviere. Cembali, Spinette, Virginale. Bestandskatalog [...], Berlin:
Staatliches Institut für Musikforschung Preußischer Kulturbesitz 1991, S. 320-324.
55 Kindermann Nr. 268; Leipzig: Breitkopf & Härtel 1916 (EB 4836). Eine ausführliche Analyse der Sonatine gibt L. Sitsky, Busoni and the piano. The works, the writings,
and the recordings, New York, NY; Westport, CT; London 1986, S. 76-80. Larry kritisiert
die ‚normale‘ Aufführungsweise mit Hammerklavier: „…the work is played on the piano
probably to its detriment; the lines are too tenuous, the resonance and sweep too limited,
and the expressive range of the thematic materials too restrictive for the modern piano“,
gibt aber zu bedenken: „On the other hand, much of the distribution of the material is pianistic in character. It would be an interesting experiment to hear the work performed on a
piano and harpsichord in succession.“ (S. 76-77). Vergleiche auch L. Sitsky, The six sonatinas for piano of Ferruccio Busoni, in: Studies in music 2, 1968, S. 66-85.
56
Wien: Universal Edition © 1922 (UE 7037).
57
Eine kuriose Verbindung zur Alten Musik knüpft die Erstveröffentlichung von Delius’ Tanz im ersten Heft der musikwissenschaftlichen Zeitschrift Music and letters (vol.1,
no.1 = January 1920, S. [73-75]), wo die Komposition als unkommentierter Appendix zu
Violet Gordon Woodhouse, Old keyed instruments and their music (S. 45-51) unter dem
Titel Harpsichord piece, composed for Mrs. Gordon Woodhouse, 1919 erscheint.
58 Amsterdam: Alsbach. Schon die Satzbezeichnungen Ouvertüre, Gigue, Sicilienne
und Toccatina weisen auf eine historisierende Rezeptionshaltung des Komponisten hin.

Martin Elste
Neue Konzerte
Die Damen der Cembalo-Renaissance – neben Violet Gordon Woodhouse
(1872-1948) Alice Ehlers (1887-1981), Eta Harich-Schneider (1897–1986)
und vor allem Wanda Landowska (1882-1959), die große Cembalistin der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts –, standen den neuen Klängen ihrer komponierenden Kollegen keineswegs abweisend gegenüber. Wanda Landowska war
es, die das erste moderne Cembalokonzert anregte. Als sie 1922 einige Tage
bei Manuel de Falla verbrachte, demonstrierte sie ihm die Klangmöglichkeiten ihres zweimanualigen Konzertinstruments von Pleyel. De Falla fing Feuer
und beschloß, in seiner nahezu abgeschlossenen Kammeroper El Retablo de
Maese Pedro einen Cembalopart einzuarbeiten und obendrein ein eigenständiges Cembalokonzert für die Grande Dame des Clavecins zu komponieren. So
sah sich Wanda Landowska als die Anregerin für das erste moderne Cembalokonzert59. Am 25. Juni 1923 spielte sie dann bei der privaten szenischen Uraufführung vom Retablo de Maese Pedro, dirigiert von Vladimir Golschmann,
im Pariser Salon der Prinzessin Edmond de Polignac, der das Werk gewidmet
ist60. Die zahlreichen dynamischen Abstufungen im Cembalopart vom Retablo
(unter anderem die Palette p, pp, mf, ff und fff auskostend) verlangen schnelle
und teilweise auch ein dynamisches Kontinuum vortäuschende Registerwechsel mittels Pedal. Ob allerdings notierte Akzente wie > und sffz61 und Anweisungen wie „marcatiss.“62 wie auch die vielen Crescendo- und DecrescendoZeichen63 cembalogerechte Techniken erfordern, muß bezweifelt werden.
Selbst die Musikmaschinen mit den Möglichkeiten des Pleyelschen Clavecins
59
Landowska on music. Collected, edited and translated by D. Restout, London 1965,
S. 346. J. Pahissa führt hingegen in seiner Biographie Manuel de Falla. His life and works,
London 1954, S. 116-117, de Fallas Beschäftigung mit dem Cembalo auf dessen Begegnung mit dem Kunstwissenschaftler Don Ángel Vegue y Goldric zurück, der eine Sammlung alter Tasteninstrumente besaß, die der Komponist kennenlernte, als er sich während
einer Osterwoche in Toledo aufhielt.
60 Dieser szenischen Aufführung ging offenbar eine konzertante Aufführung am 23.
März 1923 in Sevilla mit dem Orquesta Bética de Cámera in der Sociedad Sevillana de
Conciertos voraus, bei der de Falla zum ersten Mal in der Öffentlichkeit dirigierte. Bei dieser Aufführung wird möglicherweise de Falla ein mit Zeitungsschnipseln präpariertes Klavier verwendet haben, um den Klang des Cembalos nachzuahmen (nach J. Pahissa, Manuel
de Falla, a.a.O.). Die jüngsten analytischen Studien zum Retablo und zum Cembalokonzert
liefert J.-Ch. Hoffelé, Manuel de Falla, [Paris:] Fayard 1992.
61
Taschenpartitur von J. & W. Chester, London, ein Takt vor Ziffer 47.
62
3. Takt nach Ziffer 44.
63
Ziffer 50 ff.

Kompositionen für nostalgische Musikmaschinen
werden auch dem geschultesten Cembalisten kaum eine penible Realisierung
dieser dynamischen Differenzierungen ermöglichen. Gleichwohl hat de Falla
auch Elemente einer cembalospezifischen Klangästhetik aufgegriffen, die
deutliche Anleihen bei der Spieltechnik der Gitarre macht: Ornamente wie
Mordente und Triller64, reich arpeggierte Akkordketten65 und in Sextolen aufgelöste Akkorde66.
Die Arbeiten an seinem Cembalokonzert waren immer wieder von de Fallas kränkelndem Gesundheitszustand unterbrochen67. So dauerte es noch weitere drei Jahre, ehe Wanda Landowska ihre Auftragskomposition erhielt. Das
Concerto per Clavicembalo (o pianoforte), Flauto, Oboe, Clarinetto, Violino
e Violoncello wurde am 26. November 1926 mit Landowska als Solistin, begleitet von Mitgliedern des Pau Casals Orquesta, uraufgeführt. De Falla dirigierte selbst (während die übrigen Stücke des Abends von Casals geleitet wurden). De Falla hatte mit seinem Cembalokonzert eine Komposition geschaffen, die Klangeffekte der Gitarre wie Trillerornamente, ausgiebig arpeggierte
sowie in Sextolen aufgelöste Akkorde in die mechanisierte Instrumentalebene
des Cembalos verlagerte. Von einem eigenständigen Cembaloidiom kann noch
nicht gesprochen werden, selbst die Musikmaschinen im Stile des Pleyelschen
Clavecins68 werden auch dem geschultesten Cembalisten kaum eine penible
Realisierung der in der Partitur geforderten Differenzierungen ermöglichen.
Immerhin: Es ist ein Konzert im barocken Sinne des Konzertierens und bezieht sich mehr auf die englische Consort-Musik als auf das klassische Solokonzert. Barocken Gestus haben die arpeggierten Akkordsäulen in den ersten
beiden Sätzen und vor allem die Arpeggien-Kette zu Beginn des zweiten Satzes. De Falla hat in seinem Cembalokonzert auch auf die Stilmittel vom Retablo zurückgegriffen. Aber nicht nur das. In der rhythmischen Struktur steckt
gleichzeitig die Motorik wie auch die klare, strenge Differenziertheit der Ma-
64
Zum Beispiel Ziffer 21 der Taschenpartitur von J. & W. Chester, London 1924.
65
Ziffer 62.
66
Ziffer 77.
67
In seinem (fragmentarisch überlieferten?) Briefwechsel mit Wanda Landowska, der
nach Jahrzehnten des Verschollenseins seit 1993 im Landowska Center, Lakeville, CT, aufbewahrt wird, vertröstet der Komponist die Cembalistin wegen seiner Schwindelanfälle auf
später. Den Hinweis auf diese Schriftstücke und das Aufspüren derselben verdanke ich Dr.
Dieter Krickeberg, die Genehmigung zur Einsichtnahme Denise Restout.
68
Unter Clavecin sollen solche Cembaloneukonstruktionen verstanden werden, die
konstruktive Merkmale der alten großen französischen (insbesondere das Doppelmanual)
und der späten englischen Cembali (insbesondere Lute Stop) miteinander verbinden und
nicht bzw. noch nicht die sogenannte Bach-Disposition mit dem charakteristischen 16-FußRegister haben.

Martin Elste
schine. Ganz typisch für das Konzert sind bereits die ersten Takte mit den
Vier-gegen-Drei-Rhythmen,
Notenbeispiel 1
die im Laufe des ersten Satzes dann ein nicht exakt ausführbares paralleles
dreigestuftes Differenzieren zwischen Melodiestimme (im forte) und zweigestufter Begleitung im piano bzw. mezzoforte erfordern69:
Notenbeispiel 2
Die kammermusikalische Besetzung von de Fallas Konzert fand verschiedene
Nachahmer, doch zunächst entstand 1927 in Deutschland eine Parallelkomposition, Carl Orffs (1895-1982) später zurückgezogenes Kleines Konzert nach
69

Taschenpartitur von Max Eschig, Paris, Ziffer 10.
Kompositionen für nostalgische Musikmaschinen
Lautensätzen des 16. Jahrhunderts70, ein Werk aus des Komponisten früher,
ganz vom Historismus geprägten Phase. Die Anregung zu dieser Komposition
erhielt Orff nach seinen eigenen Erinnerungen71 nicht von de Fallas Werk,
sondern von seiner Beschäftigung mit Oscar Chilesottis modernen Übertragungen alter Lautentabulaturen72. In Orffs fünfsätziger, knapp viertelstündiger
Suiten-Komposition für Querflöte (auch Piccolo), Oboe, Fagott, Trompete,
Posaune, Cembalo und Schlagzeug (vier Pauken, Triangel, Schellentrommel
und Xylophon) ist das Cembalo nur eines von mehreren Instrumenten, von
denen keines im Sinne instrumentaler Virtuosität brilliert. In dieser freien Bearbeitung der Lautensätze ist das Cembalo sogar ein Fremdkörper, weil es inmitten des ansonsten modernen Instrumentariums nicht nur eine anachronistische, sondern auch eine zum homogenen Bläserklang kontrastierende Klangfarbe einbringt. Diese ästhetische Zwitterposition der Instrumentierung wird
am deutlichsten im zweiten, ruhigen Satz für Holzbläser und Triangel, deren
Spiel von einer Solokadenz des Cembalos unterbrochen wird. Am gelungensten ist der auf Integration der verschiedenen Instrumente zielende Schlußsatz, ein Rondo, in welchem das Cembalo mit moderat-motorischen Begleitfiguren den Bläserklang ergänzt. Orff hatte das Konzert für das achtpedalige
Konzertcembalo von Karl Maendler geschrieben; die anderen Cembali moderner Konstruktion waren den Bläsern gegenüber zu tonschwach. Da jedoch
Maendlers Instrumente nicht so verbreitet waren, schrieb Orff eine Neufassung, bei der die Bläser in den Hintergrund traten73.
Auf die kammermusikalische Besetzung von de Fallas Konzert rekurrierte
zunächst Karl Höller (1907-1987) mit seinem Kammerkonzert in h-Moll für
Cembalo und kleines Kammerorchester oder sechs Instrumente op. 19 von
1934, dann Helmut Degen (geb. 1911) mit dem Kleinen Konzert Nr. 6 für
Cembalo und sechs Instrumente74 von 1945. Höllers Konzert könnte man im
ersten und im letzten Satz für eine Komposition seines prominenten Zeitge-
70
Die Erstfassung erschien 1930 im Druck.
71
C. Orff, Lehrjahre bei den alten Meistern, Tutzing 1975, S. 126 ff. (= Carl Orff und
sein Werk. Dokumentation Bd II). Die Uraufführung fand am 11. Dezember 1928 mit Anna
Barbara Speckner als Solistin in München statt.
72 O. Chilesotti, Lautenspieler des XVI. Jahrhunderts. (Liutisti del Cinquecento.) Ein
Beitrag zur Kenntnis des Ursprungs der modernen Tonkunst), Leipzig o. J. (1891).
73 Von der letzten revidierten Fassung von 1975, die weitgehend der Originalfassung
von 1927 folgt und wiederum dem Cembalo eine lautstarke Bläserbesetzung an die Seite
stellt, ist eine Aufnahme auf Wergo: WER 6174-2 erschienen.
74 Mainz: B. Schott’s Söhne. Die sechs Instrumente sind Querflöte, Oboe, Horn, Bratsche, Violoncello und Schlagzeug.

Martin Elste
nossen Hindemith halten. So sehr ähneln die rhythmische Pointierung des
Vorandrängens und die Melodik dem Hindemith der späten 20er Jahre. Dagegen hat der langsame Satz eine pastorale Färbung, die an Poulenc erinnert.
Die Kammerbesetzung findet sich noch in weiteren Konzerten für Cembalo.
Der 1923 geborene Ned Rorem schrieb 1946 sein später zurückgezogenes
Concerto for harpsichord and seven instruments und Klaus Huber (geb. 1924)
schließlich 1955 ein Concerto per la camerata für sechs Instrumente75. Eine
mit de Fallas Konzert identische Besetzung fordert auch Roberto Sierra (geb.
1953) in seinem Concierto nocturnal.
1924, ein Jahr nach de Fallas Retablo und zwei Jahre vor de Fallas Cembalokonzert komponierte der junge Krenek (1900-1991) ganz im klassizistischen
Stil neben dem Concerto grosso Nr. 2 op. 25 das dem Musikkollegium Winterthur gewidmete Concertino op. 27 76, dessen Besetzung mit Querflöte, Violine, Cembalo und Streichorchester das 5. Brandenburgische Konzert von Johann Sebastian Bach zum Vorbild hat. An Bachs Konzert orientiert sich hinsichtlich des Passagenwerks der Cembalostimme übrigens auch Frank Martin
in seinem Cembalokonzert77.
Francis Poulenc (1899-1963) war bei der Uraufführung des Retablo zugegen. „Schreiben Sie mir ein Konzert!“ bat Wanda Landowska den von ihr faszinierten Poulenc. So entstand bereits 1928 das Concert Champêtre, das 1929
unter Pierre Monteux in Paris uraufgeführt wurde. Es zählt zu den am häufigsten aufgeführten modernen Cembalokonzerten78, obwohl Poulenc für das Soloinstrument nicht ausgesprochen idiomatisch komponiert hat. Anders als bei
de Fallas Konzert ist das klangreduzierte, hier ärmlich bedrängt wirkende Soloinstrument einem farbigen Orchesterinstrumentarium blockhaft gegenübergestellt. Wie bei de Falla folgen Poulencs dynamische Anweisungen pianistischer Praxis. Das ist anders bei Hugo Distlers Konzert für Cembalo und
Streichorchester79 op. 14, das mit dem Komponisten am Cembalo kurz nach
der Fertigstellung im Mai 1936 in Hamburg uraufgeführt wurde. Es zeugte für
seinen Verleger Karl Vötterle von dem Bekenntnis des Komponisten „zu den
75 Wilhelmshaven: Heinrichshofen. Die sechs Instrumente sind Blockflöte, Querflöte,
Oboe, Violine, Violoncello und Cembalo.
76 Wien: Universal Edition. Näheres über die Entstehungsgeschichte des Concertinos
in P. Sulzer, Zehn Komponisten um Werner Reinhart. Ein Ausschnitt aus dem Wirkungskreis des Musikkollegiums Winterthur 1920-1950. Erster Band, Winterthur 1979 (= 309.
Neujahrsblatt der Stadtbibliothek Winterthur), S. 133-137.
77
Wien: Universal Edition (Klavierauszug: UE 12364).
78
Vergleiche die Aufstellung der Schallplattenaufnahmen in F. Bloch, Francis Poulenc.
1928-1982, Paris 1984 (= Phonographies. ii.), S. 56-59.
79

Partitur: Kassel: Bärenreiter 1936 (BA 1000).
Kompositionen für nostalgische Musikmaschinen
Quellen der Volkskraft und zu den Kraftquellen der Musik“, weil der Schlußsatz mit Variationen über das alte Volkslied „Ach du feiner Reiter“ abschließt80. Distler (1908-1942) war als ausgebildeter Kirchenmusiker mit den
Cembalo-Neukonstruktionen bestens vertraut. Seine Partitur zeugt von intensiver Auseinandersetzung mit den realisierbaren Klangmöglichkeiten eines
zweimanualigen Instruments mit Registerpedalen und 16-Fuß-Register. Distler geht ganz bewußt von der terrassenhaften Dynamik der damaligen Cembali aus und macht Vorschläge zur Registrierung und zur Manualverteilung, zum
Beispiel bei den Echowirkungen in der 12. Variation des Schlußsatzes, wo das
Echo durch wechselweise Tutti-Registrierung einerseits und Registrierung
ohne 16-Fuß andererseits erzeugt wird. Auf Crescendo- und Decrescendo-Zeichen verzichtet Distler wohlweislich mit der praktischen Erfahrung, daß ihre
Realisierung am Cembalo nicht mehr als ein bloßer Wunsch, als spieltechnische Imagination sein kann. Sein viel zu selten aufgeführtes Werk ist ein echtes Cembalokonzert, das – im Unterschied zu den Kompositionen von de Falla und Poulenc – auf dem modernen Hammerklavier nicht adäquat gespielt
werden kann81.
Der Interpret als Auftraggeber
Meist bedarf es der Stimulanz eines Interpreten, daß ein Komponist ein Stück
für dieses und nicht jenes Instrument schreibt. So ist die Flut an zeitgenössischen Kompositionen für das Violoncello auf die Aktivitäten seines Avantgar-
80 K. Vötterle in Eintausend Bärenreiter-Ausgaben. Musikbücher, -Zeitschriften, -Bilder und Instrumente / Die Reihe Organum. Gesamtverzeichnis 1936, Kassel (1936), S. 5.
Zu einer politisch-musikalischen Interpretation von Distlers Variationssatz siehe M. Heinemann, Notenregal [...], in: Musica 46, 1992, H. 3, S. 192-194. Auf die Stellung Distlers in
der NS-Zeit im allgemeinen und auf das Cembalokonzert dabei geht auch folgender Artikel
ein, der sich kritisch mit den Ausführungen von Oskar Söhngen (u. a. in dessen Musica
sacra zwischen gestern und morgen. Entwicklungsstadien und Perspektiven in der 2. Hälfte
des 20. Jahrhunderts, Göttingen 1979, hier im besonderen S. 180) auseinandersetzt: W.
Herbst, Kirchenmusik in der Zeit des Nationalsozialismus VI. Die Wiedergeburt der Kirchenmusik und ihr politischer Kontext. Oskar Söhngens Weg und Werk im Spiegel seiner
Veröffentlichungen, in: Der Kirchenmusiker 41, 1990, H. 4, S. 121-136, insbesondere
S. 134.
81 Genau das Gegenteil behauptete Erich Roeder in seiner Konzertkritik (in: Der Angriff vom 11. Oktober 1937, zitiert nach W. Herbst, Kirchenmusik in der Zeit des Nationalsozialismus, a. a. O., S. 134). Für Roeder war das Cembalokonzert „entartet“, weil sein
Komponist das „zarte Hausmusikinstrument Cembalo in widernatürlichster Weise wie einen Flügel“ einsetze – was ein Blick in die Partitur sofort allein hinsichtlich der Registrierungsangaben widerlegt.

Martin Elste
de-Virtuosen Siegfried Palm zurückzuführen, selbst wenn das Violoncello per
se dem erweiterten Materialbegriff in der Neuen Musik entgegen kommt82.
Beim Cembalo liegen die Dinge nicht viel anders. Seine Interpreten haben mit
ihrer Vorstellung von dem, was moderne Musik für ihr Instrument sein kann,
dazu beigetragen, von welchen zeitgenössischen Komponisten man heute
Werke für Cembalo hört. In einige wenigen Fällen haben die Interpreten
selbst für ihr Instrument komponiert. Wanda Landowskas folkloristische Tanzsätze können in diesem Zusammenhang übergangen werden, nicht jedoch die
fünf Konzerte für Cembalo und Orchester, darunter das Concerto moderne
(1931) und diverse andere Stücke, die die in Paris wirkende Schweizer Cembalistin Marguerite Roesgen-Champion (1894-1976) für sich und ihr Instrument schrieb. Auch Landowskas Schülerin Alice Ehlers setzte sich für neue
Cembalomusik ein. Sie brachte in einem Konzert der Funk-Stunde Berlin in
der Sing-Akademie im Kastanienwäldchen Unter den Linden 1931 das Konzert für Cembalo und Orchester op. 76 von Hugo Herrmann (1896-1967) zur
Uraufführung. Hermann Scherchen, der bereits 1925 Kreneks Concertino aus
der Taufe gehoben hatte, dirigierte das Berliner Funk-Orchester83. Die Satzbezeichnungen des zweisätzigen Werks weisen auf den neobarocken Gestus hin:
„Präludium und Fuge“ und „Partita mit Variationen“. Bei den beiden 1938
komponierten Cembalostücken des Amerikaners Robert Guyn McBride (geb.
1911) ist der Initiator Ralph Kirkpatrick in die Titel eingegangen: Harpsipatrick Serenade und Patriharpsick Serenade.
Trotz der Vielzahl an Kompositionen haben sich im 20. Jahrhundert nur
wenige Cembalisten und Cembalistinnen für moderne Kompositionen stark
gemacht. Freilich haben sich auch die Kompositionen für Cembalo geändert.
Obwohl in den letzten Jahrzehnten immer noch Cembalokonzerte komponiert
worden sind, integrieren die zeitgenössischen Komponisten das Instrument inzwischen bevorzugt in solche kammermusikalischen Besetzungen, die kaum
an historische Bezüge wie die von Orff verwendeten Lautensätze anknüpfen,
sondern eher auf neuartige Klangkombinationen und -kontraste setzen. Der
Schritt zur modernen Cembalomusik ist näher vom Avantgarde-Pianisten aus
zu vollziehen als vom konzertierenden Cembalovirtuosen. Nur wenige jener
Cembalisten, die sich als Experten für barocke Musik ausgewiesen haben,
spielen konsequent auch neue Kompositionen. Letzteres ist die Domäne von
Spezialisten eigener Art. Es gibt dafür prominente Einzelfälle: Die amerikanische Cembalistin Sylvia Marlowe (1908-1981) ebenso wie die in Frankreich
82 Vergleiche H. von Loesch, Das Cellokonzert von Beethoven bis Ligeti. Ästhetische
und kompositionsgeschichtliche Wandlungen einer musikalischen Gattung, Frankfurt am
Main u. a. 1992 (= Europäische Hochschulschriften. Reihe 36. Musikwissenschaft Bd 80).
83 Programmzettel des Konzerts vom 25. September 1931 im Bestand des Staatlichen
Instituts für Musikforschung PK, Berlin.

Kompositionen für nostalgische Musikmaschinen
lebende Polin Elisabeth Chojnacka (geb. 1939). Sylvia Marlowe war eine einsame Ausnahmeerscheinung. Unter anderem bei Nadia Boulanger in Paris zur
Pianistin ausgebildet, kam sie durch Wanda Landowska zum Cembalo. Um
ihr erstes eigenes Instrument, ein weißes Clavecin von Pleyel, abzuzahlen, trat
sie in einem New Yorker Nachtclub im eleganten Rockefeller Center auf, wo
sie die Gäste mit Musik von Bach bis Boogie Woogie unterhielt84. Später war
sie fest engagierte Cembalistin bei der amerikanischen Fernsehgesellschaft
NBC und wurde dadurch überall im Lande außerordentlich populär. Sylvia
Marlowe gab etwa vierzig Kompositionen für ihr Instrument in Auftrag,
hauptsächlich bei amerikanischen Komponisten eines moderaten Modernismus. Die Sonate für Querflöte, Oboe, Violoncello und Cembalo von Elliott
Carter (geb. 1908) war wohl das avancierteste Werk, das für die Marlowe entstand, und hier machte der Komponist sogar Kompromisse hinsichtlich der
spieltechnischen Fertigkeiten. Viele dieser Auftragswerke spielte sie auch auf
Schallplatten ein, die allerdings nie in den deutschen Vertrieb kamen.
In Europa haben sich vier Cembalistinnen besonders nachdrücklich für
moderne Kompositionen auf ihrem Instrument eingesetzt. So war die Schweizer Mäzenatin und Cembalistin Antoinette Vischer (1909-1973) die treibende
Kraft hinter vielen Solokompositionen für das Cembalo. Die Basler Cembalistin gab seit 1956 ebenfalls rund vierzig Kompositionen für das Cembalo in
Auftrag, mehrere davon spielte sie auch auf Schallplatten wie ihrem bekannten Album „Das moderne Cembalo der Antoinette Vischer“85 ein, einer
Sammlung von „liebenswürdige[n] Belanglosigkeiten“, wie der Musikkritiker
Ulrich Dibelius schrieb86. Was Antoinette Vischer für die moderne Cembalomusik diesseits des Eisernen Vorhangs war, ist Ruth Zechlin jenseits des Eisernen Vorhangs gewesen. Die 1926 geborene und in Leipzig unter anderem
bei Günther Ramin ausgebildete Komponistin und Cembalistin schrieb nicht
nur seit 1957 mehrere eigene Werke für ihr Instrument87, sondern gab auch ei-
84 Siehe hierzu auch L. Palmer, Harpsichord in America. A twentieth-century revival,
a. a. O., S. 110-117.
85 Wergo: WER 60028 (LP) mit Kompositionen von Luciano Berio, Boris Blacher, Earle Brown, Duke Ellington, Hans Ulrich Engelmann, Rolf Liebermann, Bohuslav Martinu,
Martial Solal und Alexander Tcherepnin. Zu den Aktivitäten von Antoinette Vischer siehe
Antoinette Vischer. Dokumente zu einem Leben für das Cembalo, zusammengestellt v. U.
Troxler, hrsg. v. M. Kutter, Basel 1976. Ihr musikalischer Nachlaß befindet sich jetzt in der
Paul Sacher Stiftung Basel, siehe: Sammlungen Paul Sacher, Antoinette Vischer, Margrit
Weber. Musikmanuskripte, Winterthur 1988 (= Inventare der Paul Sacher Stiftung. 1).
86
HiFi-Stereophonie 6, 1967, H. 8, S. 562.
87
Eine Übersicht über ihr Œuvre gibt zusammen mit einem Werkverzeichnis I. Allihn,
Polyphonie des Schaffens. Über Ruth Zechlin, in: Neuland. Ansätze zur Musik der Gegenwart. Jahrbuch Bd 4, 1983/84, Bergisch Gladbach 1984, S. 141-146.

Martin Elste
nen Sammelband mit kurzen Solokompositionen verschiedener Komponisten
heraus88.
Elisabeth Chojnacka ist seit dem Tod von Antoinette Vischer die populärste lebende Cembalistin der Avantgarde89; an altem Repertoire kann man auf
Schallplatten von ihr allenfalls polnische Tänze oder Sonaten von Padre Soler
hören. In ihrem Repertoire befinden sich Werke von Iannis Xenakis (geb.
1922), Luciano Berio (geb. 1925), György Ligeti (geb. 1923) und vielen anderen prominenten Vertretern der Avantgarde der 60er und 70er Jahre. Komponisten haben speziell für sie geschrieben, insbesondere für sie und Sylvio
Gualda, mit dem sie ein Duo in der außergewöhnlichen Besetzung Cembalo
und Schlagzeug bildet. So entstanden 1981 für die beiden Musiker Xenakis’
Komboï 90, Anaphores91 von François-Bernard Mâche und die Pièces pour
clavecin et percussion92 von Martial Solal (geb. 1927). Diese Kompositionen93 sind, wie es für die Cembalowerke unseres Jahrhunderts typisch ist, für
das zweimanualige Instrument geschrieben.
Früher spielte Elisabeth Chojnacka auf einem Ammer-Cembalo Modell
Bach94. Die Stücke für Cembalo und Schlagzeug hat sie hingegen auf einem
Instrument von Anthony Sidey aufgenommen. Beide Instrumente haben zwei
Manuale. Die doppelte Klaviatur ist bei den meisten modernen Komponisten
die Stimulanz einer von globalen Kontrasten geprägten Spezifik des Cembaloklanges. Das zweimanualige Instrument ermöglicht Klangüberlagerungen, wie
sie unter den Tasteninstrumenten nur noch auf der Orgel spielbar sind, es läßt
totale rhythmische und melodische Unabhängigkeit der Hände zu. Xenakis
macht in seiner Elisabeth Chojnacka gewidmeten Komposition Khoaï, die sie
im Mai 1976 in Köln uraufgeführt hat, von diesen Möglichkeiten besonders
eindrucksvollen Gebrauch. Für die Cembalistin ist das moderne Cembalo in
erster Linie ein Perkussionsinstrument95. Insofern ist die Kombination Cem-
88 per il cembalo. Zeitgenössische Cembalomusik, hrsg. v. R. Zechlin, Leipzig: VEB
Deutscher Verlag für Musik 1984 (= dvfm 8060).
89
Siehe auch die Interviews: Warum nicht? Ein Concerto-Gespräch mit Elisabeth
Chojnacka. Die Fragen stellte Johannes Jansen. In: Concerto, 1991, Nr. 65 (Juli/August
1991), S. 18-21; Das Cembalo ist ein sperriger Freund. Elisabeth Chojnacka im Gespräch
mit Lutz Lesle, in: Neue Zeitschrift für Musik 154, 1993, H. 2, S. 47-50.
90
Paris: Editions Salabert.
91
Paris: Editions Durand.
92
Manuskript.
93
Alle drei sind auf der Schallplatte Erato: NUM 75104 (LP) eingespielt worden.
94
So zum Beispiel auf dem 1970 veröffentlichten Sammelprogramm „Prospective 21°
siècle: clavecin 2000“, Philips: 6526009 (LP).
95

Dies betont sie auch in dem ihr gewidmeten Fernsehportrait mit Peter Wapnewski,
Kompositionen für nostalgische Musikmaschinen
balo mit Schlagzeug gar nicht so abwegig. In Komboï von Xenakis ist das
Cembalo ein Schlaginstrument unter mehreren, nämlich Vibraphon, zwei
Wood-blocks, zwei Bongos, drei Pauken, vier Tom-Toms, einer großen Baßtrommel und sieben Tongefäßen.
Zwischen Antoinette Vischer und Elisabeth Chojnacka steht in chronologischer ebenso wie in stilistischer Hinsicht die italienische Cembalistin Mariolina De Robertis. Die in Florenz geborene Künstlerin, deren Name in Italien
nicht nur in den Zirkeln der Avantgarde bekannt ist, aber außerhalb der Heimat kaum gehandelt wird, hat circa einhundertzwanzig zeitgenössische Kompositionen in ihrem Repertoire, wovon ein Großteil – ausschließlich von italienischen Komponisten – auf ihre Anregung hin entstanden sind. Signora De
Robertis hat zwei Neupert-Cembali in ihrer römischen Wohnung nahe der Piazza Navona. Und für diese Instrumente, darunter das Neupert-Modell Händel, sind die Kompositionen auch geschrieben, für das zweimanualige, mit
Registerpedalen ausgestattete moderne Cembalo. Seit 1958/59 führt sie zeitgenössische Cembalomusik auf. Was sie von Antoinette Vischer unterscheidet,
ist ihre spieltechnische Professionalität. Sie beherrscht so technisch anspruchsvolle Werke wie die Goldberg-Variationen und führt Earl Browns Nine
rare bits, die Antoinette Vischer wegen der spieltechnischen Schwierigkeiten
mit George Gruntz als Duo-Partner gespielt hat, in solistischer Fassung auf.
Was sie hingegen von Elisabeth Chojnacka unterscheidet, ist ihre Präferenz
für das Melodische des Cembalos. Für Mariolina De Robertis ist das Cembalo
keinesfalls ein aggressiv zu behandelndes Schlaginstrument.
Der avancierten stilistischen Haltung von Elisabeth Chojnacka kommt die
in Paris lebende Kanadierin Vivienne Spiteri (geb. 1953) am nächsten, die
ausschließlich mit zeitgenössischer Cembalomusik konzertiert und rund sechzig Werke in ihrem Repertoire hat: für das Soloinstrument, für Cembalo und
Tonband, für Cembalo und Live-Elektronik sowie für Ensemble.
Dort, wo Alte Musik aufgeführt wird, schreiben auch Komponisten für das
Alte Instrument neue Musik, und zwar zunehmend für den historischen Cembalotyp ohne exzessive Registerschaltungen. So gibt es von niederländischen
Komponisten96 besonders viele neue Werke für das Cembalo. In der Bundesrepublik Deutschland hatten die Cembalisten – wen verwundert es – nur
flüchtigen Kontakt zu den Neue Musik-Abteilungen der deutschen Rundfunkanstalten, die in den 50er bis 70er Jahren die eigentlichen Mäzene der Avant-
produziert vom Südwestfunk Baden-Baden 1988 (Redaktion: Bernhard Pfister, Buch und
Regie: Anca-Monica Pandelea).
96
Siehe beispielsweise die Aufstellung mit 119 Kompositionen für Cembalo solo oder
Cembalo in kammermusikalischer Besetzung von 55 Komponisten im Catalogue of chamber music. Vol.III. Amsterdam: Donemus 1989, S. 211-219.

Martin Elste
garde waren. Lediglich achtzehn Kompositionen mit solistischem Cembalo
(sei es als Soloinstrument oder als solistisch eingesetztes Ensembleinstrument) entstanden als Auftragskompositionen der ARD-Rundfunkanstalten in
den ersten dreißig Jahren Nachkriegsgeschichte97, achtzehn von insgesamt
933 Kompositionen für eine Vielzahl unterschiedlichster Besetzungstypen.
Das Verhältnis bedarf sogar noch einer relativierenden Anmerkung, denn ein
gutes Viertel dieser achtzehn Kompositionen waren Auftragskompositionen98
für das Kleine Orchester des Südwestfunks Baden-Baden mit seinem Leiter
Willi Stech am Cembalo, Kompositionen, die ohnehin eher unterhaltend-unbeschwerten Charakter haben und in denen das Cembalo allenfalls klangmalerische Funktion hat.
Ein charakteristisches Beispiel für das Cembalo spezifizierende, jedoch nur
begrenzt aus dem Geiste des Instruments heraus geschriebene Kompositionen
sind Boris Blachers (1903-1975) Vier Studien für Cembalo. Die ersten drei
davon wurden 1967 komponiert, die vierte bereits 1964. Die vierte Studie war
ein Auftragswerk für Antoinette Vischer, die sie für ihr Schallplattenalbum
„Das moderne Cembalo der Antoinette Vischer“99 eingespielt hat. Das Werk
läßt sich rein technisch sowohl auf dem Hammerklavier als auf dem Cembalo
spielen. Bis auf eine einzige Lautstärkenbezeichnung (p), die für alle 104 Takte gilt, und ein Akzentzeichen (^) gibt es keinerlei dynamische oder spieltechnische Angaben jenseits der bloßen Noten. Blacher, der hier seinem Kompositionsprinzip der »Variablen Metren« folgt, verwendet als metrisches Grundmaterial lediglich Achtel und Viertel (zwei akkordische Fünfachtelklänge können, da sie eine Achtelbewegung begleiten, hier unberücksichtigt bleiben), die
meist einstimmig mit gelegentlichen Akkordklängen verlaufen. Der melodische Ablauf kann in zwei Grundmuster aufgeteilt werden: Skalen einerseits,
große Tonsprünge andererseits. Die harmonische Gestaltung kennt nur zwei
Akkorde, von denen der erste, e – f – a, die Studie beherrscht. Mit ihm beginnt und endet das Stück. Er ist omnipräsent in seiner Grundform und als alterierter Akkord e – f – as; und er erscheint in verschiedenen Oktaven ebenso
wie als Dreiklangsbrechung:
als e – f – a
als e – f – as
52 mal,
16 mal,
gebrochen 2 mal
gebrochen 2 mal.
Im Zentrum der Komposition, nach 47 Takten, erklingt der zweite Akkord,
97 Nach A. Betz, Auftragskompositionen im Rundfunk. 1946-1975, Frankfurt am Main
1977 (= Bild- und Tonträger-Verzeichnisse. Hrsg. v. Deutschen Rundfunkarchiv. Nr. 7).
98
Ebenda, Nr. 705, 712, 718, 720 und 728.
99
Wergo: WER 60028 (LP).

Kompositionen für nostalgische Musikmaschinen
Notenbeispiel 3
der die folgenden acht Takte als quasi improvisatorisch-auskomponierte Umspielung seiner selbst ausfüllt. Nach einer zweitaktigen chromatisch absteigenden Überleitung schließen sich die ersten 47 Takte wieder an, doch diesmal mit der Technik des sowohl melodischen als rhythmischen Krebsganges
rückläufig notiert. (Lediglich die Takte 66, 67 und 72 sowie der Einsatz der
oben erwähnten akkordischen Fünfachtelklänge weichen geringfügig von einem strikten melodisch-rhythmischen Krebsgang ab100.)
Die Registrierung durch Antoinette Vischer gibt dem Stück zweierlei: fernöstliche Assoziation und strukturelle Gliederung. Die Cembalistin interpretiert
das vorgegebene Piano als Klangfarbe für die ersten neun Takte, die sie dementsprechend mit Lautenzug registriert, und kehrt sinngemäß zum Lautenzug
in den letzten zehn Takten zurück. Da zudem Blachers »Variable Metren« die
Gliederungsprinzipien der abendländischen Metrik bewußt negieren, stellt
sich eine Klangassoziation wie von Koto-Musik ein. Durch die Registrierung
bildet die strukturelle Gliederung einen Bogenbau, der genau in der Mitte sein
Zentrum hat: a – B – C – B’ – a’, wobei a und a’ die mit Lautenzug registrierten Abschnitte sind.
Ist Blachers Studie eine adäquate Cembalokomposition? Wenn es etwas
gibt, das in dieser Studie der Ästhetik des Cembaloklanges entspricht, sind es
die punktuellen Linien der großen Intervallsprünge, mit denen der Charakter
des Cembalos als ein Zupfinstrument zur Geltung kommt. Auf dem Hammerklavier gespielt, ließe sich eine dynamische Gestaltung kongenialer herausarbeiten, ohne daß es die letztlich nicht aus dem Notentext stimmig herzuleitenden Klangabstufungen zwischen den von der Interpretin willkürlich bestimmten Abschnitten a und B gäbe. Und überhaupt: Lediglich durch Agogik könnte
100
Antoinette Vischer folgt in ihrer Aufnahme nicht konsequent dem gedruckten Notentext, obwohl sie (laut ihrem Brief an Werner Goldschmidt, abgedruckt im Beiheft zur
Schallplatte) den Erstdruck als Vorlage hatte: In Takt 62 spielt sie zwei Achtel statt der notierten und logischen Viertel. In Takt 66 verändert sie das letzte Achtel in eine Viertelnote
analog zum Paralleltakt 39. Takt 67 spielt sie dagegen wie notiert, obwohl dieser Takt konsequenterweise als Krebsgang von Takt 38 wie folgt lauten müßte: G – a – g1 (statt g1 – a
– G).

Martin Elste
der Cembalist die wechselnden Taktschwerpunkte, das Wesentliche der »Variablen Metren«, akzentuieren, nicht jedoch durch dynamische Differenzierung, die dem Hammerklavier vorbehalten bleibt. Das Cembalo eignet sich
nur bedingt für Blachers Stilprinzip. Daß die Komposition trotzdem reizvoll
ist, sei nicht verschwiegen.
Die Austauschbarkeit von Kiel- und Hammerflügel
Wie austauschbar sind Kiel- und Hammerflügel? Verhältnismäßig häufig sehen Komponisten bei ihren für das Cembalo geschriebenen Stücken eine Alternativbesetzung mit Hammerklavier, dem ‚normalen‘ Flügel also, vor.
Schon de Fallas Konzert trägt die ausdrückliche Besetzungsvariante „o pianoforte“ auf dem Titelblatt. Seltener ist der umgekehrte Fall, wie er bei Béla
Bartóks in den dreißiger Jahren komponierten und 1940 publizierter Sammlung Mikrokosmos auftritt. Im Vorwort schreibt der Komponist, daß sich eine
Anzahl von Stücken auch für das Cembalo eignen würde, und er zählt einige
davon auf101. Eines von Bartóks Kriterien für die Brauchbarkeit bestand in
Oktavparallelen, denn diese lassen sich, wie er kurz erläuternd ausführt, mit
den Registerzügen einstellen102. Es gibt Kompositionen, die sich hinsichtlich
der Klangbalance mit begleitenden Instrumenten besser mit einem Hammerflügel aufführen lassen. Das gilt beispielsweise für Poulencs Concert
champêtre. Namentlich das stark gedämpfte moderne Cembalo à la Neuperts
Bach-Modell hat es schwer, sich schon gegen einen mittelgroßen Orchesterapparat durchzusetzen. Als Ausweg haben Komponisten gelegentlich eine elektroakustische Verstärkung vorgesehen, die jedoch ihrerseits nicht ganz unproblematisch ist, weil eine Tonabnahme über Mikrophon leicht Mechanikgeräusche unbeabsichtigt verstärkt. Andererseits gibt es viele Kompositionen, die
erst unter den Händen des Cembalisten eine instrumentenspezifische Ausprägung erhalten. Das betrifft auch Klavierkompositionen, die trotzdem und
durchaus legitim auf dem Cembalo gespielt werden können. Zum Beispiel hat
János Sebestyen zwei Stücke aus Sergej Prokofieffs Zehn Stücken für Klavier
op. 12 (Nr. 3 und Nr. 7) und die Nr. 3 aus den Vier Stücken für Klavier op. 32
auf dem Cembalo eingespielt103. Dank der vielfältigen, wechselvollen Regi-
101 Nr. 76, 77, 78, 79, 92, 104b, 117, 118, 123, 145, aber nicht nur diese, denn Bartók
schließt seine Aufzählung mit „etc.“
102 „On this instrument the octaves can be doubled by draws-stops“ (Preface zu Béla
Bartók: Mikrokosmos. Progressive piano pieces. Vol. I, London u. a.: Boosey & Hawkes
© 1940, S. 5.
103

Qualiton: LPX 1181 (LP).
Kompositionen für nostalgische Musikmaschinen
strierungen erhalten diese Stücke ein gefälliges, reizvolles Äußeres, das ihnen
gut steht. In gewisser Weise bringt der Interpret bei solchen Werken ein aleatorisches Moment ins Spiel.
Das Cembalo als Orchesterinstrument
Bei de Falla begegnet uns das Cembalo als Ensembleinstrument und nicht als
Solisteninstrument, allenfalls als Primus inter pares. Das gilt für sein Konzert,
das gilt in noch stärkerem Maße für El Retablo de Maese Pedro. Igor Strawinsky hatte lange vor The Rake’s Progress schon einmal das Cembalo in Betracht gezogen, aus bisher nicht näher erforschten Gründen jedoch wieder aufgegeben: Seine 1917 erstellte fragmentarische Orchesterfassung der erst 1923
in endgültiger Form vorliegenden Les Noces sah unter anderem auch ein
„Clavicembalo“ vor104. Etwa gleichzeitig bearbeitete Ottorino Respighi
(1879-1936) alte Lautentabulaturen für Orchester, seine drei Suiten der Antiche danze ed Arie, bei deren ersten beiden Suiten (1917 und 1923) das Cembalo im Sinne eines ausgesetzten Generalbasses mitspielt105. Hier ist das
Cembalo – ganz aus dem Verständnis eines aktualisierenden Historismus heraus und wie bei den entsprechenden Suiten von Richard Strauss – Klangkolorit mit Symbolcharakter für vergangene Zeiten inmitten eines ansonsten modernen Instrumentariums106. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg haben die
Komponisten verstärkt das Cembalo als eine einfach besetzte Orchesterstimme ohne ausgesetzte Generalbaßfunktion einerseits und ohne solistische Attitüde andererseits eingesetzt, und zwar meist dann, wenn sie für ein heterogenes, ein auf Spaltklang hin angelegtes Ensemble komponiert haben. Aber
selbst in einem klanglich so dicht komponierten Werk wie György Ligetis Requiem ist das Cembalo als typisches Orchesterinstrument vertreten. Hingegen
nimmt das Cembalo eine Zwitterstellung in einem Werk wie Henri Pousseurs
Les Ephémérides d’Icare 2 (1970) ein, einer aleatorischen Komposition, bei
der der Komponist seinem in einen Hauptsolisten (Klavier), Concertino
104 Diese Fassung befindet sich in Form von Partitur-Fragmenten zum 1. Bild im Besitz der Paul Sacher Stiftung Basel. Vergleiche Strawinsky. Sein Nachlass. Sein Bild, Basel
1984, S. 42, Katalognummer 34.
105
In der zweiten Suite verlangt die Partitur sogar „Clavicembalo a 4 mani“ für die
vielen Tonverdoppelungen.
106 Das gilt auch noch für die Bearbeitung für Kammerorchester (von Vladimir Spivakov und Mikhail Milman) von Alfred Schnittkes Suite im alten Stil (1977), bei der das
Cembalo in Generalbaßmanier die harmonisch völlig traditionell gesetzten Tanzsätze begleitet.

Martin Elste
(Querflöte, Harfe und Violoncello) und Concerto grosso (solistische Orchesterinstrumente) aufgeteilten Ensemble weitgehende Freiheit der Improvisation gewährt. An einer Stelle gewährt Pousseur dem Cembalo solistische Profilierung, wenn es auf „Seite“ 26 (von insgesamt 28 „Seiten“, womit soviel wie
Variationen oder Durchgänge gemeint sind) mit dem Titel „Mercure au zénith
dans le verseau“ die Gelegenheit zu einer Kadenz erhält; freilich keine Auszeichnung bei Pousseur, denn er billigt den übrigen Instrumenten ebenfalls
ihre Kadenzen zu. So hat das Cembalo in der orchestralen Avantgarde letztlich seine traditionellen Positionen verloren: Es ist weder das zentrale Continuoinstrument noch ein konzertierendes Soloinstrument. Seine neue Bedeutung liegt damit in der Besonderheit seines Timbres, verglichen mit den traditionellen Instrumentengruppen der Streicher, Holz- und Blechbläser. Und aus
diesem Blickwinkel einer Klangalternative reiht sich das Cembalo in die neuen Orchesterinstrumente Gitarre und Schlagzeug ein. Nicht von ungefähr gebraucht Stockhausen den Cembaloklang in dieser Instrumentenkombination in
seiner schon erwähnten Oper DIENSTAG aus LICHT. In Kompositionen der
letzten zwei Jahrzehnte ist das Cembalo in verstärktem Maße als Orchesterinstrument eingesetzt worden. Das gilt vor allem für Alfred Schnittkes Schaffen.
In seinem Concerto grosso Nr. 1 gehört das Cembalo neben den beiden Soloviolinen zur Gruppe des Concertino107, in mehreren anderen Werken wie den
beiden Cellokonzerten oder den Sinfonien Nr. 1 und 3 beispielsweise kommt
dem Cembalo nur eine untergeordnete Stellung zu.
Kompositionen aus einem neuen Geist
Erst relativ spät besannen sich Komponisten darauf, die mechanischen Vorteile des Cembalos gegenüber dem Hammerklavier als wesentliches Stilmerkmal
in ihre Kompositionen einzubauen. Die Befreiung des Cembalos aus dem musikästhetischen Fesseln seines Traditionskontexts kann man erst für die fünfziger Jahre konstatieren. Befreiung heißt zunächst vielleicht erst einmal: Negation. In diesem Sinne schuf Roman Haubenstock-Ramati (1919-1994) im Auftrag des Südwestfunks 1954/55 sein Recitativo ed Aria als Konzertstück für
Cembalo und Orchester, wobei er eben konträr zur historischen Ästhetik das
Rezitativ gesanglich und die Aria prosahaft angelegt hat. Und in diesem Sinne
sprach der Komponist vom Recitativo lirico und von einer Aria percussiva,
107 In dieser Komposition für zwei Violinen, präpariertem Klavier, Cembalo und Streichern hat das präparierte Hammerklavier nur eine untergeordnete Funktion. Es rahmt in
wenigen Takten am Anfang und am Schluß das musikalische Geschehen ein, bei dem das
Cembalo die beiden Soloviolinen als drittes Glied im Bunde sekundiert.

Kompositionen für nostalgische Musikmaschinen
Bezeichnungen, die in der Neufassung von 1978 dann allerdings nicht mehr
auftreten. Darin erschöpfte sich freilich noch nicht der neue Geist dieser Cembalomusik. Haubenstock-Ramati, der seine Komposition 1978 als Konzert für Cembalo und Orchester in einer Neufassung vorgelegt hat108, ist wohl
der erste Komponist, der konsequent die Klangqualität des Perkussiven mit
dem Cembalo assoziiert und dementsprechend das Cembalo als geräuschhaftes, pointillistisches Soloinstrument aus dem Geiste einer Musique concrète in
die Musikliteratur einführt109. Neu ist auch, daß die durch häufige Registerwechsel erzeugte Klangvielfalt110 nicht für sich steht, sondern mit dem übrigen Instrumentarium, das einen von zwei bis drei Spielern zu bedienenden
Schlagzeugapparat integriert, ein ungewohntes Klangraster bildet. Haubenstock-Ramati hatte zunächst vorgesehen, dem Cembalo kein Orchester gegenüberzustellen, sondern Geräusche im Sinne von Pierre Schaeffers Musique
concrète. Doch dieses Vorhaben, das in den Rahmen eines vom Rundfunk erteilten Kompositionsauftrags gut gepaßt hätte, zerschlug sich111.
Haubenstock-Ramatis Komposition steht konzeptionell am Anfang einer
Reihe von Werken, bei denen das moderne Cembalo als einziges traditionellakustisches Instrument die serielle Determinierbarkeit des Parameters Klangfarbe auf konsequent mechanistische Weise ermöglicht112 – einfach durch Vorherbestimmung der wechselnden Registerkombinationen.
Die zweimanualige Klaviatur im Zusammenspiel mit den Registerpedalen
liefert einen Ansatzpunkt zu einer weiteren Art der instrumentenspezifischen
Komposition. Und jene Komposition, die am ausdrücklichsten von diesem
morphologischen Ansatzpunkt her aufgebaut ist, ist Continuum, György Lige-
108
Wien: Universal Edition 1980 (UE 16976).
109
Carl Orff hat in seinem Konzert von 1927 zwar ebenfalls das Cembalo mit dem
Schlagzeug kombiniert, doch dominiert bei seiner freien Bearbeitung alter Lautensätze zu
sehr die Adaption historischen Materials, als daß man bei dem Konzert von einem neuen
Geist sprechen könnte.
110 Haubenstock-Ramati geht von einem zweimanualigen Instrument mit zwei 8-Füßen, einen 4-Fuß, einem 16-Fuß sowie „Harfenzug“ und „Theorbenzug“ (gemeint ist der
Lautenzug für 8-Fuß und 16-Fuß) – also im wesentlichen einem Instrument mit der sogenannten „Bach-Disposition“ – aus.
111
Siehe auch H. Schatz, Serielles Cembalokonzert aus dem Morgenland, in: Melos
27, 1960, H. 1, S. 4-7. Die Uraufführung fand dann auch als Ursendung einer Rundfunkproduktion mit Frank Pelleg (Cembalo) und dem Sinfonieorchester des Südwestfunks, Baden-Baden unter der Leitung von Ernest Bour am 24. Januar 1956 statt (Band-Nr. 5600341).
112 Inwieweit Haubenstock-Ramati tatsächlich die Registrierungen seriell erarbeitet
hat, ist bisher noch nicht untersucht worden und würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen.

Martin Elste
tis erste Komposition für das Solocembalo, um die drei Minuten lang. Continuum ist mehr als das Produkt eines Zeitgeistes, es ist der geniale Glücksfall
einer instrumentenidiomatischen Komposition113. Bereits vom ersten Klang
an, mit dem Zusammenklang g-b, ist ein Spezifikum des zweimanualigen Instruments als Material und durchgängiges Prinzip der Komposition eingesetzt.
Dieser Akkord wird vielfach wiederholt, aber mit alternierender Registrierung. Der erste Klang hat das g im unteren 8-Fuß-Register und das b im oberen 8-Fuß-Register, der nächste Akkord dreht die Position der klangbestimmenden Komponenten um: Nun erklingt das g im oberen und das b im unteren 8-Fuß-Register, und mit solchem stetigen Wechsel geht es im Prestissimo
weiter. Dadurch wird das Klanggeschehen aufgelockert, es erhält die Dynamik eines Klangraumes, obwohl es (zunächst) statisch bleibt, keine eigentliche Entwicklung kennt. Ligeti sprach in diesem Zusammenhang von „akustischen Illusionen“, die er hier zum ersten Mal, beeinflußt von der Grafik von
Maurits Escher, realisiert hätte114. Die raschen Repetitionsfiguren bilden zweierlei: Clusterklänge und gleichzeitig Motorik. Ligeti wollte das Stück so
schnell wie möglich gespielt haben: „Bitte, spielen Sie ›Continuum‹ irrsinnig
schnell, noch schneller als möglich, noch schneller als das Schumannsche
›noch schneller‹...“ schrieb er der Widmungsträgerin Antoinette Vischer115.
Durch das schnelle Tempo sollte alles ›Maschinelle‹ verschwinden und „ein
ganz kontinuierliches Schwirren“ entstehen116. Zum Zeitpunkt seiner Entstehung konnte ein Kritiker wie Ulrich Dibelius der Komposition „historische[n]
Rückbezug (auf Spielmodelle aus dem 18. Jahrhundert)“ einer „ansonsten
durchaus moderne[n] Cluster-Komposition“117 attestieren. Wie Dibelius es
ausgedrückt hat, ein „Changieren“, das „dem ehrwürdigen Relikt Cembalo zugleich nach vorwärts eine irreale Klanglichkeit nahe der Elektronik“118 eröffnet. „Fiorituren, Arpeggien und dergleichen“119, Kompositionsbausteine des
113
H. Kinzler, Allusion - Illusion? Überlegungen anläßlich ‚Continuum‘, in: György
Ligeti. Personalstil – Avantgardismus – Popularität. Hrsg. v. O. Kolleritsch, Wien, Graz
1987 (= Studien zur Wertungsforschung Bd 19), S. 75-105, gibt eine genaue Analyse des
Stückes.
114 G. Ligeti, Rhapsodische, unausgewogene Gedanken über Musik, besonders über
meine eigenen Kompositionen, in: Neue Zeitschrift für Musik 154, 1993, H. 1, S. 20-29,
hier S. 25.
115 Brief Ligetis an Antoinette Vischer vom 15. Februar 1968, siehe Antoinette Vischer,
a. a. O., S. 131.
116
Ebenda, S. 131.
117
U. Dibelius in HiFi-Stereophonie 8, 1969, H. 4, S. 269 (Schallplattenrezension).
118
Ebenda.
119
Ebenda.

Kompositionen für nostalgische Musikmaschinen
18. Jahrhunderts, die der Kritiker in dem Stück glaubte gehört zu haben, sind
mit Ausnahme des Trillers freilich nicht vorhanden. Die Komposition auf Trillerketten zu reduzieren, wie es Hans-Peter Müller120 gemacht hat, ist allerdings eine infame, weil einseitige Deutung, die der Genialität Ligetis in keiner
Weise gerecht wird.
Die Entstehungsgeschichte von Ligetis Continuum ist gut dokumentiert121.
Nachdem sich Antoinette Vischer an Ligeti mit der Bitte um eine Auftragskomposition für ihr Instrument gewandt hatte, antwortete der Komponist im
Oktober 1965, er habe die Vorstellung von einem toccataartigen Stück. Knapp
zweieinhalb Jahre später, im Januar 1968, lag die Komposition vor. Ligeti
„dachte das Stück ganz aus dem Instrument heraus und probierte es dann auch
auf einem Neupert-Bach aus“122. Im Gegensatz zu der ursprünglichen ästhetischen Idee von „elastisch-schwankenden“ statt „›motorischen‹“ Bewegungen123 hatte sich Ligeti für eine durchgehende gleichmäßige Bewegung entschlossen, die den „Eindruck einer fast vollkommenen Kontinuität“124 entstehen läßt. Des Komponisten Ideal eines Klangkontinuums125 kommt der historische Bautyp des Cembalos mit seinem ungleich reicheren Resonanzverhalten gegenüber dem modernen Cembalo entschieden mehr entgegen. Deshalb
spielen einige Cembalisten diese Komposition auf einem historischen Cembalotyp und negieren kompromißbereit die 16-Fuß-Registrierung, und der Komponist hat höchstpersönlich die Aufführung des Stückes ohne Registerwechsel
gebilligt, wenn auch nicht autorisiert126. Vivienne Spiteri, zum Beispiel, beginnt das Stück mit je einem 8-Fuß-Register für jedes Manual und koppelt die
beiden Manuale am Ende der Seite 6. Diese Koppelung bleibt bis zum hohen
g auf Seite 9 erhalten; an dieser Stelle schaltet ein Assistent das 4-Fuß-Register hinzu. Ohne diese Hilfe freilich läßt sich Ligetis Continuum nur auf einem Instrument mit Pedalregisterschaltung spielen.
Continuum ist in vielfältiger Weise plagiert worden – wobei auch schon
Ligeti mit seinem Kompositionstitel bewußt oder zufällig auf Continuum for a
120
Hüllentext zu der Schallplatte Nova: 885172 („Ruth Zechlin. Ein Komponistenportrait“), erschienen 1979.
121 Vergleiche hierzu Antoinette Vischer, a. a. O., aus dem ich die folgenden Ausführungen entnommen habe.
122
Vergleiche ebenda, S. 130.
123
Vergleiche ebenda, S. 130.
124
Ebenda.
125
Vergleiche dazu auch O. Nordwall, György Ligeti. Eine Monographie, Mainz 1971,
S. 93, und H. Kinzler, Allusion – Illusion? Überlegungen anläßlich ‚Continuum‘, a. a. O.,
S. 81 und 100.

Martin Elste
number of instruments127 (1964) von Larry Austin (geb. 1930) Bezug genommen hatte, einer Komposition für Querflöte, Oboe, Fagott, Trompete, Kontrabaß, Cembalo und Schlagzeug. Die Arten des Plagiats reichen von solchen
Äußerlichkeiten wie der indirekten Titelübernahme bei François Vercken (geb.
1928) in Form der Negation als Discontinuum (1978) bis zur eklektizistischen
Anwendung des kompositorischen Materials. Die aus dem Triller erwachsenen Tonrepetitionen von Ligetis Continuum haben eine eigene kompositorische Rezeptionsgeschichte erfahren, die bis in die jüngste Zeit reicht. Bereits
bei der 1971/72 für die Eastman School of Music, Rochester, NY, komponierten Partita von Krzysztof Penderecki (geb. 1933) gibt es jene Aufhebungen
metrischer Strukturen und auskomponierte Beschleunigungen von Klang„Bändern“, wie sie Ligeti in Continuum und auch im dritten Satz seines 2.
Streichquartetts komponiert hat. Aber dies ist nur eine Seite der stilistisch sehr
variabel gehaltenen Komposition Pendereckis, die auch Jazz-Elemente und
nicht zuletzt dank des Einsatzes einer E-Gitarre und genereller elektroakustischer Verstärkung der Concertino-Gruppe mit Cembalo, Gitarre, elektrischer
Baß-Gitarre, Harfe und Kontrabaß die Klangästhetik des Rockmusik-Zeitalters hinsichtlich der instrumentenunabhängigen Balance-Möglichkeiten aufgreift128. Auch die Toccata Americana (1978)129 von Klaas de Vries (geb.
1944) kann, obwohl sie ursprünglich für Klavier geschrieben ist, den Einfluß
von Ligetis erster Cembalokomposition nicht verleugnen. Die Tonrepetitionen, die in der Klavierfassung für die alternierende rechte und linke Hand geschrieben sind und in der Cembaloversion mittels beider Manuale schneller
ausgeführt werden können, weisen einerseits in nuce auf die Minimal Music,
andererseits auf das Ligetische changierende Klangkontinuum. Solche Tonrepetitionen finden sich modifiziert in Teilen des Jardin secret II (1984/86) der
finnischen Komponistin Kaija Saariaho (geb. 1952) wieder, einer Komposition, die in gelungener Weise den ‚live‘ Cembaloklang mit einer Tonbandcollage aus computertransformierten Cembaloklängen und der Stimme der Komponistin zu einer akustischen Einheit verschmelzt: eine eindrucksvolle, bewegende, organische Musik, die nach einem großen ekstatischen Bogenaufbau in
Stille ausklingt. Auch in ihrer 1990 geschriebenen Komposition Diagonalen
gebraucht Ruth Zechlin (geb. 1926) Ligetis Repetitionsfloskeln: Das sechsminütige Stück hat Passagen jenes sequenzierten mechanischen Figurenwerks,
wie wir es aus Continuum bereits kennen, und obendrein endet es mit eben126
Ebenda, S. 92-93.
127
Sacramento, CA: Composer/Performer Edition.
128
Vergleiche hierzu auch W. Schwinger, Penderecki. Begegnungen, Lebensdaten,
Werkkommentare, Stuttgart 1979, S. 172-176.
129

Haags Gemeentemuseum: HGM CD 02 (CD).
Kompositionen für nostalgische Musikmaschinen
solchen Tonrepetitionen im Diskant. Und die ersten Minuten des vierzehnminütigen Stückes Melboac (1983) der Kanadierin chinesischer Abstammung
Hope Lee (geb. 1953) sind ohne Ligetis Continuum undenkbar, weil die für
Ligetis Komposition wesentlichen Klang- und Bewegungstypen aufgegriffen
und variiert werden. Lange bevor Ruth Zechlin mit ihren Diagonalen auf Ligeti positiven Bezug nahm, reagierte sie mit einer Gegenkomposition auf
Continuum. 1973 hatte sie Ligetis Stück in einem Konzert der Komischen
Oper Berlin zusammen mit ihrer Komposition Epitaph (1973) aufgeführt und
ihr Stück bewußt kontrastierend zu Ligeti komponiert und dem in seiner Einseitigkeit der kompositorischen Mittel faszinierend gestalteten Continuum ein
farbiges, aber gleichzeitig uneinheitlich vielseitiges Trauerstück auf einen verstorbenen Menschen, dessen Identität die Komponistin nicht preisgegeben hat,
entgegengesetzt. Epitaph bringt Akkordballungen, rezitativische Einschübe
und zweistimmige Passagen. Der Bezug zu Bachs Chromatischer Fantasie ist
nicht nur unbewußt vorhanden, sondern angestrebt130.
Ligeti hat noch zwei weitere Stücke für das Soloinstrument geschrieben:
Hungarian Rock für ein zweimanualiges Cembalo, vom äußeren Anlaß her als
Auftragskomposition des Westdeutschen Rundfunks, wo es von der Widmungsträgerin Elisabeth Chojnacka uraufgeführt wurde, vom inneren Anlaß
her als Diskussionsbeitrag zu einer intellektuell-musikalischen Auseinandersetzung zwischen dem Kompositionslehrer und einem seiner Hamburger Studenten, dem Komponisten Hans Christian von Dadelsen131, und Passacaglia
ungherese für ein mitteltönig gestimmtes Instrument. Letztere ist eine der wenigen modernen Cembalokompositionen, die für das einmanualige Instrument
gedacht sind.
Jede Mechanisierung ist zunächst einmal ein Verlust an den mannigfachen
Spielarten des Organischen. Mit der Erfindung der Tastatur war das Problem
der Stimmung manifest geworden. Und die egalisierende Mechanisierung der
Stimmungssysteme zu der gleichschwebend temperierten Stimmung, wie sie
heute beim modernen Klavier angewandt wird, ist ein folgenschwerer Verlust
der Mannigfaltigkeit unter der Prämisse höchster Differenzierungskunst hinsichtlich der Anschlagskultur beim Tasteninstrument. Das zweimanualige
Cembalo mit seinen mehrfachen Saitenbezügen legt eine Differenzierung der
Temperierung nahe, wie sie auf dem Hammerklavier mit seinen im Unisono
gestimmten, simultan erklingenden Saiten nicht möglich ist. Wenn ein Komponist also beim Tasteninstrument das chromatische Tonsystem im allgemeinen und das temperierte Tonsystem im speziellen erweitern will, bietet sich
130
Vergleiche den Covertext von H.-P. Müller auf Nova: 885172 (LP).
131
Siehe hierzu und zur folgenden Komposition Ligetis Statement in H. Kinzler, Allusion – Illusion? Überlegungen anläßlich ‚Continuum‘, a. a. O., S. 95.

Martin Elste
die Skordatur der Saitenbezüge des zweimanualigen Cembalos an. Jeder Saitenbezug läßt sich in einer anderen Stimmung einstimmen, die vom Spieler
entweder durch Manualwechsel oder die Registerschaltung per Pedal blitzschnell gewechselt werden kann. Pierre Bartholomée sieht in seinem schon erwähnten Tombeau de Marin Marais die Einteilung der Oktave in 21 gleiche
Tonstufen vor, deren Notierung nicht durch Zusatzzeichen der Noten, sondern
durch Tabulaturnotation erfolgt. Auch Hans Zender (geb. 1936) hat in seiner
1980 entstandenen Kantate nach Meister Eckehart132 das Verlassen des temperierten Systems auf das Tasteninstrument ausgeweitet. Zenders Musiksprache bleibt trotz dieser Belebung des Tonmaterials akademisch, spröde. Andere
Kompositionen, bei denen das dem zweimanualigen Instrument eigene Tonmaterial dank unterschiedlicher Temperierung jedes Saitenbezuges instrumentenidiomatisch ausgenutzt wird, sind Minos’133 von Anneli Arho (geb. 1951),
komponiert 1978, Kevin Volans’ Mbira für zwei umgestimmte Cembali und
Rasseln134, Jukka Tiensuus Fantango135 von 1984 und Ted Ponjees The female modes136 von 1985. In Ponjees Stück werden einige, aber nicht alle Töne
des oberen 8-Fuß-Registers um Vierteltonschritte teils höher und teils tiefer
gestimmt. Die Notierung ist dann auch so, daß jedes Manual seine zwei Systeme hat. Antonio Solers ungestüme südländische Sprache greift der Finne
Jukku Tiensuu (geb. 1948) auf, der selbst ein virtuoser Cembalist ist. Solers
berühmten Fandango hat er als Quelle seiner Inspiration herangezogen und
als Fantango – eben als künstlerisch transformierten Tango – in das heutige
Jahrhundert versetzt. Es ist ein aggressiver Tanz geworden, bei dem neben
rhythmischem Schlagabtausch Mikrointervalle imaginäre schneidige Tanzfiguren wie in einem Zerrspiegel erscheinen. Diese Mikrointervalle in einer
Skordatur von nicht mehr als einem Viertelton gegenüber der ‚normalen‘
Stimmung entstehen durch Umstimmung des dem zweiten Manual zugeordneten Saitenbezugs. Der Komponist selbst scheint diesem bestimmenden Moment seines Stückes allerdings keine essentielle Bedeutung zuzumessen; sein
Fantango ist „for any keyboard instrument“137 geschrieben. Wenn dem Spieler kein zweites Manual (mit der Möglichkeit der Skordatur) zur Verfügung
132
Wergo: WER 60088 (LP).
133
Finlandia: FACD 367 (CD).
134
Siehe H. Brown, Style in contemporary harpsichord writing, in: Composer.[Zs. des
British Music Information Centre] (1982), S. 17-20.
135
Finlandia: FACD 357 (CD).
136
Haags Gemeentemuseum: HGM CD 02 (CD).
137
So die Instrumentenbezeichnung auf dem Titelblatt der vom Finnish Music Information Centre vertriebenen Notenausgabe von 1993.

Kompositionen für nostalgische Musikmaschinen
steht, soll er die vorgesehene Differenzierung zwischen den Tönen in ‚normaler‘ Stimmung und denen in Skordatur durch andere Mittel der Dynamik, der
Artikulation, der Klangfarbe oder einer anderen Charakterisierung erzielen.
Daß Tiensuu in Fantango nicht nur den Reiz des Unüblichen auskostet, sondern auch bewußt an die Tradition des Cembalos anknüpft, zeigt er mit seinem Wunsch, man möge doch, wenn möglich, in einer nichttemperierten
Stimmung spielen. Auch Georg Katzer (geb. 1935) vermehrt in seinem Konzert für Cembalo und Bläserquintett138 (1977) den Tonvorrat um Vierteltöne,
doch beschränkt er diese Erweiterung auf das Bläserquintett – das zweimanualige Cembalo bleibt einheitlich temperiert in Halbtonschritten gestimmt.
Die 1983/84 am Pariser IRCAM arbeitende amerikanische Komponistin
Barbara Kolb (geb. 1944) erweitert die Klanglichkeit des Tasteninstruments
auf ganz andere Weise: Nicht durch Erweiterung des Stimmungs-, sondern des
metrischen Systems, wenn sie in ihrer 1971 für Igor Kipnis geschriebenen
Toccata139 drei Cembalostimmen miteinander am Mischpult mischt. Ausgehend von der Scarlatti-Sonate in h-Moll K 87 entsteht durch elektroakustische
Manipulation des Cembalotimbres zweier Tonbandeinspielungen im Zusammenklang mit einer dritten Cembalostimme eine neue Klanglichkeit des Instruments, die infolge unterschiedlicher Temponahmen der drei Stimmen jede
Norm des Metrums negiert. Kolbs Toccata ist trotz des Fußens auf Scarlatti
kein Ausdruck irgendeiner Nostalgie; sie durchzieht die pulsierende Maschinenhaftigkeit einer Fabrikhalle mit den verschiedensten Maschinen. Ähnliche
Mittel wendet Noah Creshevsky (geb. 1945) in seiner ebenfalls 1971 entstandenen Komposition Circuit140 an. Doch sind es bei ihm keine drei, sondern
zwölf sich überschneidende Tonspuren. Circuit ist eine veritable Schallplattenkomposition, sie ist nur als fertig abgemischte Aufnahme vorführbar. Eigentlich hat der Komponist das Werk nicht für ein spezifisches Instrument
festgelegt, doch ist die einzige Schallplattenaufnahme141 auf einem Cembalo
erfolgt, womit es sich in rezeptionsästhetischer Sicht bei Circuit um eine
Cembalokomposition handelt.
Im Konzertsaal besteht das klangästhetische Problem der Cembalo-Neukonstruktionen in ihrem schwachen Resonanzverhalten. Der Klang dieser
Neukonstruktionen hat wenig sinnliche Körperlichkeit, weil er sich nicht im
Raum entfaltet, wie dies bei vielen historischen Instrumenten der Fall ist. Insofern wird jede noch so aggressive, emotionsgeladene Komposition durch
138
Leipzig: Peters.
139
CRI: CD 576 (CD).
140
Manuskript. Für die freundliche Überlassung der Noten und der Schallplatteneinspielung möchte ich dem Komponisten danken.
141
Mit Marianna Rosett auf Opus One: 45 (LP).

Martin Elste
das Instrument reduziert, fast neutralisiert. Viele Komponisten fordern deshalb
eine elektronische Klangverstärkung des Cembalos für ihre Kompositionen,
ohne daß mit einer solchen Klangverstärkung auch zusätzliche Klangfarbwerte auskomponiert werden, obwohl dies möglich wäre. Ein Ausweg aus diesem
klanglichen Handicap, das im Konzertsaal ein rezeptionsästhetisches Dilemma
ist, bieten die Medien der Tonwieder- und weitergabe. Nicht von ungefähr
steht auf dem Cover von Elisabeth Chojnackas 1970 veröffentlichtem Schallplattenalbum „Prospective 21° siècle: clavecin 2000“142, daß die Aufnahme
bei großer Lautstärke gehört werden solle.
Wer das moderne Cembalo im Konzertsaal erlebt und nicht in der künstlichen, überdimensionierten Akustik der Tonträger, die dem Instrument in aller
Regel eine Direktheit vermitteln, die es in natura nicht hat, der ist von der
Diskretion des Klanges irritiert oder aber beeindruckt. Das moderne Cembalo
ist kein Instrument klanglicher Exzesse, es bleibt der Distinguiertheit der zurückgenommenen, kanalisierten Emotion verpflichtet. Insofern traktiert Elisabeth Chojnacka eigentlich das falsche Instrument! Immerhin hat ein Komponist versucht, mit einer hinsichtlich ihrer Besetzung monströsen Komposition
die vom Instrument vorgegebenen Schranken zu durchbrechen und ins Gigantische zu erweitern: der in Amerika wirkende Engländer Raymond Quentin
Wilding-White (geb. 1922). Seine Komposition WHATZIT No.7 (1971)143 benötigt 60 Cembalisten an 48 Cembali, 24 Assistenten („tape machine operators“) an 288 Stereotonbandgeräten, 48 Mikrophone und 24 Stereoverstärker.
Welche Rolle spielt das Cembalo in John Cages & Lejaren Hillers 1967-68
konzipiertem und 1969 uraufgeführtem musikalischen Happening HPSCHD ?
Die sieben Cembali, die inmitten einer Batterie von 51 individuellen Tonkanälen, aus denen elektronische Klänge strömen, weitere sieben Lautsprecher
speisen, stellen die Verbindung zur musikalischen Geschichte her. Sie sind
Medien der Vergangenheit, indem auf ihnen beständig Fetzen von Kompositionen von Mozart bis zur Gegenwart erklingen. Ein Cembalist spielt einundzwanzigmal eine Realisation von Mozarts musikalischem Würfelspiel KV
Anh. C30.01. Vier weitere Cembalisten beginnen ebenfalls mit eigenen Realisationen dieser quasi aleatorischen Komposition, weichen aber peu à peu davon ab, indem zwei Cembalisten Passagen aus Sonaten Mozarts aufgreifen
und die anderen zwei Klavierwerke von Beethoven, Chopin, Schumann, Gottschalk, Busoni, Cage und Hiller spielen. Ein anderer Solist spielt die Computer-Realisation, die die Basis der 51 Tonbänder ist, und der siebente Solist
kann schließlich irgend etwas von Mozart nach eigenem Gusto spielen144.
142
Philips: 6526009 (LP).
143
Manuskript.
144
Siehe auch J. Cage & L. Hiller, HPSCHD, in: Source 2, 1968, Nr. 2, S. 10-19, so-

Kompositionen für nostalgische Musikmaschinen
Cages Komposition ist in mehrfacher Hinsicht bei aller intendierten Aleatorik ein höchst komplexes Maschinenwerk. Die kompositorische Referenz
auf Mozarts Würfelspiel fügt sich ebenso konsequent in diese Ästhetik ein
wie die Tonfolgen, die in serieller Technik mittels Computer ausgewählt auf
den 51 Tonbändern vorfabriziert erklingen. Und der Einsatz von Cembali als
den einzigen traditionellen Instrumenten weist desgleichen auf MaschinenCharakter hin, auf die völlige Ausschaltung dessen, was wir als Tiefe, Gefühl,
Sensibilität und dergleichen in der Musik definieren. Die Macht der Maschine
wollen die Komponisten bereits mit dem Kompositionstitel andeuten, obwohl
er letztlich nicht mehr als die Limitation der Maschine symbolisiert:
HPSCHD ist mit seinen sechs Buchstaben die maximale Benennung auf den
damaligen EDV-Systemen für „Harpsichord“.
Klangkontrast als Formspezifikum
Aufgrund seiner Klangerzeugung, des gezupften Tones, unterscheidet sich das
Cembalo von den traditionellen Instrumenten des Orchesters fundamental; es
mischt sich weder mit den Streichern noch mit den Bläsern, bildet immer einen Klangkontrast145. In Kompositionen, wo von vornherein ein aus klangheterogenen Instrumenten dennoch ausgewogen zusammengesetztes Ensemble
gefordert wird wie z.B. in de Fallas Konzert, bringt das Cembalo eine kontrastierende Farbkomponente ins Spiel, die sich mit den anderen Instrumenten zu
einem bunten, lebendigen Ensemble vermischt. Hier liegt der Klangkontrast
im changierenden Detail. In Kompositionen, wo sich jedoch das Cembalo als
isolierter Einzelkämpfer gegen einen Apparat von Instrumenten mit anderer
wie die Beschreibung der Uraufführung von R. Kostelanetz, Environmental abundance, in:
John Cage. Edited by R. Kostelanetz, London 1971/1974, S. 173-177 (= Documentary monographs in modern art. o. Bd.-Z.). Auch die neueste Monographie über die Musik von
Cage (J. Pritchett, The music of John Cage, Cambridge 1993) geht nur auf das Happening
„HPSCHD“ ein und nicht auf seine 1969 veröffentlichte medienspezifische Variante via
Schallplatte Nonesuch: H-71224 (LP), die insofern den Hörer aktiv mit einbezieht, indem
der Schallplatte ein Computer-Printout beigefügt ist, der genau festlegt, zu welcher Zeit
und in welcher Weise der Hörer die Klangregler verändern soll, um sich aktiv in den Prozeß des Klanggeschehens einzuklinken. Der Aspekt der aleatorischen Computerkomposition ist in der Schallplattenversion sogar noch weitergeführt, weil jedem Schallplattenexemplar ein individueller Printout beigegeben war, keine „Schallplattenpartitur“ also der anderen glich – solange, bis die Schallplattenfirma wohl aus Kostengründen den individuellen
Printout durch ein gedrucktes Blatt einer der 10000 verschiedenen Versionen ersetzte!
145 Das ist übrigens der Grund, warum sich das Cembalo als Direktionsinstrument im
Opernbetrieb bis weit in das 19. Jahrhundert hinein gehalten hat: Das vom Cembalo vorgegebene Metrum war immer gut zu vernehmen.

Martin Elste
Tonerzeugung behaupten muß, ist es das blockhafte Gegeneinander, das die
Komponisten als Formspezifikum eingesetzt haben. Carl Orffs Kleines Konzert geht bereits diesen Weg, wo das Cembalo sich gegen ein ansonsten homogenes Ensemble aus Bläsern und Schlagzeug durchsetzen muß.
Das Klangproblem des Cembalos im Zusammenspiel mit Streich- oder
Blasinstrumenten besteht darin, daß das Tasteninstrument im direkten Vergleich zu den Streich- und Blasinstrumenten nicht „singen“ kann – sein Einzelton bleibt immer mechanisch hart, läßt sich während seines Erklingens
nicht dynamisch gestalten. Mit dieser Unterschiedlichkeit der Klangerzeugung
und -qualität, die schon dem langsamen Satz von de Fallas Konzert einen
ganz charakteristischen Reiz gibt, haben mehrere Komponisten gespielt. Ned
Rorems (geb. 1923) 1964 komponierte Suite Lovers. A Narrative für Cembalo, Oboe, Violoncello und Schlagzeug lebt von just jenen Kontrastwirkungen.
Bei Unisono-Klängen steht die Schärfe des Cembalotons in reizvollem Widerspruch zu der „schwimmenden“ Intonation des Vibraphons. Solche Kontraste
der Instrumentation verschaffen auch Werken wie der 2. Sinfonie Ricordanze
(1969) von Wilhelm Killmayer (geb. 1927) und den „Metamorphosen für
zwölf Streicher und Cembalo“ ...durch einen Spiegel... (1977) des Finnen Joonas Kokkonen (geb. 1921) ihren besonderen Reiz. Bei Killmayer bildet das
Cembalo mit rasch arpeggierten Akkorden einen Gegenpol zu den Legatolinien der übrigen Instrumente (Streicher, Querflöte, Oboe und Fagott). Kokkonen versucht gar nicht erst, das Cembalo mit den zwölf Streichern in eine Art
wechselseitigen Konzertierens treten zu lassen, sondern setzt es überzeugend
als Gegenklang (gleich zu Beginn etwa in Form arpeggierter Akkorde vor einem stationären Streicherklang) sowie generalbaßmäßig mit akkordischer
Stützfunktion ein. Wenn es auch Stellen mit solistischem Figurenwerk gibt,
kann ...durch einen Spiegel... nicht als Cembalokonzert klassizifiert werden.
Der Klangkontrast zwischen Instrumenten ist in wesentlich stärkerer, damit
aber auch in plakativerer Weise das Formspezifikum bei einem Stück wie der
Sicilienne de rêve aus dem L’Album de Lilian, Deuxième série op. 149 146
(1935) von Charles Koechlin, das für Ondes Martenot und Cembalo geschrieben ist, oder dem Konzert für Orgel und Cembalo (1980) der estnischen Komponistin Ester Mägi (geb. 1922). Hier spielt die Orgel Haltetöne und -akkorde,
während dem Cembalo filigranes Passagenwerk zufällt.
Extreme Heterogenität der Klangerzeugung begegnet uns in Georg Katzers
(geb. 1935) während der DDR-Musiktage 1978 von der Bläservereinigung
Berlin uraufgeführtem und im Zusammenhang mit Stimmungserweiterungen
bereits erwähnten Konzert für Cembalo und Bläserquintett (1977), das der
Komponist ursprünglich als Kammermusik für Bläserquintett und Cembalo
146

Paris: Max Eschig 1986 (ME 8575-7).
Kompositionen für nostalgische Musikmaschinen
bezeichnet hatte. Im ursprünglichen Titel zeigt sich der kammermusikalische
Charakter, wie er bereits bei de Fallas Konzert dominiert. Doch bei Katzer
beißen sich die Klangebenen Cembalo und Bläser, sie stehen sich virtuos konzertierend gegenüber. Damit das Cembalo dynamisch nicht unterlegen ist,
sieht Katzer die elektroakustische Verstärkung des Instruments vor.
In diese Kategorie des Klangkontrastes als Formspezifikum fallen auch
jene Kompositionen, die den Cembaloklang mit dem Hammerklavierklang
verbinden. Das wohl erste Werk mit dieser Instrumentenkombination ist Bohuslav Martinus Concert pour clavecin et petit orchestre 147 (1935), bei dem
das kleine Orchester aus Querflöte, Fagott, Klavier und Streichern zusammengesetzt ist. In Frank Martins Petite symphonie concertante pour harpe, clavecin, piano et 2 orchestres à cordes148 (1945) ist der Kontrast hingegen weitgehend in einen Gestus des gemeinschaftlichen Konzertierens eingebaut. Die
bekannteste Komposition, welche den Kontrast zwischen Kiel- und Hammerflügel auskostet, ist Elliott Carters (geb. 1908) Double concerto for harpsichord and piano with two chamber orchestras149 (1961). Das Werk geht auf
einen 1956 erteilten Auftrag des Cembalisten Ralph Kirkpatrick zu einem
Stück für Klavier und Cembalo150 zurück. Dank der für die Uraufführung zugesagten finanziellen Unterstützung durch den Mäzen Paul Fromm brauchte
Carter keine Rücksicht auf die ansonsten begrenzte Probenzeit amerikanischer
Orchester zu nehmen und konnte eine Komposition von außerordentlichem
aufführungspraktischen Schwierigkeitsgrad schreiben. Die Referenz auf Carl
Philipp Emanuel Bachs Doppelkonzert ist nicht von ungefähr, wenn auch nur
von oberflächiger Parallelität: Carters Konzert ist eine Auftragskomposition
anläßlich des Achten Kongresses der International Musicological Society in
New York151. „The harpsichord and piano [...] are each given music idiomatic
to their instruments, meant to appeal to the imaginations of their performers
and cast them into clearly identifiable, independent roles“ schreibt der Komponist152. Was bedeutet dies in der Praxis? Hier beginnt Carters Konzert, ein
hochinteressantes und in seiner Konsequenz singuläres Beispiel für den Ein-
147
Wien: Universal Edition 1958 (UE 12786 LW).
148
Wien: Universal Edition (UE 11773, Taschenpartitur: Philharmonia 385).
149
New York: Associated Music Publishers © 1964.
150
In den biographischen Details folge ich D. Schiff, The music of Elliott Carter, London; New York 1983, S. 205-227, der eine ausführliche formale Analyse liefert.
151
Uraufführung am 6. September 1961 im Grace Rainey Rogers Auditorium, New
York City mit Ralph Kirkpatrick (Cembalo), Charles Rosen (Hammerflügel) und Orchestermusikern unter Gustave Meier.
152
Covertext zu der Einspielung auf Nonesuch: H 71314 (LP).

Martin Elste
fluß eines bestimmten Instrumententyps auf die Komposition zu sein. Denn
Carter hat sein Konzert wie schon seine 1952 komponierte Sonate für Querflöte, Oboe, Violoncello und Cembalo153 nicht für Cembalo schlechthin, sondern für ein Challis-Cembalo geschrieben. John Challis (1907-1974) war der
erste amerikanische Cembalobauer des 20. Jahrhunderts. Vom Vater, einem
Juwelier und Uhrmacher, erwarb dieser seine Begeisterung für mechanische
Präzision, eine Begeisterung, die seine professionelle Arbeit entscheidend bestimmen sollte. 1926 ging er nach England, um Cembalobau bei Arnold Dolmetsch zu erlernen. Seit 1930 baute er, inzwischen nach Amerika zurückgekehrt, eigene Instrumente, die sich durch den Mut ihres Konstrukteurs zum
Experiment auszeichnen. In Europa weitgehend unbekannt geblieben, war
Challis in den 50er und 60er Jahren der wohl meistgefragte amerikanische
Cembalobauer154. Das Challis-Cembalo mit zwei Manualen und Registerpedalen war für Carter der Prototyp des Cembalos schlechthin. Im Unterschied zu
den üblichen europäischen Cembaloneukonstruktionen ermöglichen die Registerpedale bei dem Challis-Konzertcembalo der 50er Jahre eine dynamische
Differenzierung einen jeden Registers in zwei Stufen: „full-position“ (f) und
„half-position“ (p). Doch das war nicht der einzige Unterschied. Die Disposition unterscheidet sich insofern von dem üblichen, als sich bei Challis im unteren Manual 4-Fuß, 8-Fuß und 16-Fuß (und Koppel) befinden und das obere
Manual nur einen zweiten 8-Fuß regiert. Diese Disposition findet sich sonst
wohl nur bei Instrumenten von Gaveau und Maendler155. Darüber hinaus haben beide 8-Fuß-Register einen Lautenzug. Die Klangdifferenzierung jenseits
einer cembalistischen Anschlagskultur, lediglich durch Pedalschaltungen bestimmbar, wird zu einem Wesenszug der Carterschen Cembalostimme. So tritt
in seinem Doppelkonzert das Paradox ein, daß das Cembalo den Differenzierungsreichtum des Hammerklaviers durch die Mechanisierung des neuen Instrumententyps mit einer Palette unterschiedlichster Klangfarbwerten kompensiert, die Klangästhetik des Hammerklaviers also auf seine eigene neue
Mechanisierung adaptiert.
Nicht alle Kompositionen, die das zweimanualige Instrument erfordern,
benötigen auch die vielfältigen schnellen Registerwechsel. Das gilt besonders
auffällig für Werke niederländischer Komponisten. Die in Holland beispielhaft durch einen Interpreten wie Gustav Leonhardt weit entwickelte historisierende Aufführungspraxis hat offensichtlich hier auch auf die zeitgenössischen
Komponisten eingewirkt und die Cembaloneukonstruktionen mit ihren Pedal-
153
New York: Associated Music Publishers 1960.
154
Näheres zu Challis und seinen Instrumenten bei M. Elste, Nostalgische Musikmaschinen, a. a. O., S. 239-277, hier S. 267-269.
155

Vergleiche ebenda, S. 251-252.
Kompositionen für nostalgische Musikmaschinen
schaltungen negiert. So hat Roderick de Man (geb. 1941) mit seiner enigmatischen Komposition What’s in a name? von 1985 ein Stück für das zweimanualige Cembalo geschrieben, aber bis auf die auch bei jedem historischen zweimanualigen Cembalo mögliche Kopplung des unteren 8-Fuß-Registers zum
oberen 8-Fuß-Register keinerlei die besondere Mechanik des modernen Cembalos erfordernden Klangmöglichkeiten angewandt. Das Stück läßt sich also
völlig unproblematisch auf einem historischen Instrument spielen.
Hinsichtlich ihrer Tonsprache ist de Mans Komposition keineswegs cembaloidiomatisch gearbeitet. Und dennoch trifft sie das Typische des Cembalos
insofern, als sie eine mechanistische Qualität hat, die in Richtung Minimal
Music weist. Das Stück besteht im wesentlichen aus Taktrepetitionen. Zu Beginn erklingt ein einziger Ton, das es’, am Ende steht ebenfalls ein einziger
Ton, das e’. Zwischen diesen beiden Tönen entwickelt sich ein Kosmos vielfältiger Repetitionen. 29 von 33 Takten mit wechselnder rhythmischer Komplexität werden mehrfach gespielt, zwischen einmaliger und fünfzehnmaliger
Wiederholung. Läßt sich What’s in a name? auch auf dem Hammerklavier
vorstellen, so ist Roderick de Mans Frenzy (1985), vier Monate später abgeschlossen, eine charakteristischere Cembalokomposition. Denn sie erfordert
eine Attacke, die der Hammerflügel kaum liefern kann. Louis Andriessen setzt
in seiner Overture to Orpheus (1982) idiomatisch die Möglichkeiten des zweimanualigen Cembalos ein, ohne daß er viel kompositorisches Aufheben
macht. Andriessen verlangt lediglich die beiden ungekoppelten 8-Fuß-Register, womit seine Komposition ebenfalls auf jedem zweimanualigen Cembalo
spielbar ist. Was macht Andriessen mit den zwei Manualen? Weil sich die beiden 8-Fuß-Register klanglich immer nur minimal unterscheiden, versetzt er
ihre Klänge asynchron gegeneinander. Erklingt auf dem unteren Register ein
c’, so zeitlich versetzt ein klanglich differenziertes c’ auf dem oberen Register. Die ersten Takte geben dieses klangliche Prinzip, dem diese Komposition
zugrunde liegt, beispielhaft vor:
Notenbeispiel 4

Martin Elste
Moderne Cembalomusik auf der Schallplatte
Wie wird moderne Cembalomusik verbreitet? Da es sich in der Regel um
Auftragskompositionen handelt, konzertiert der auftraggebende Cembalist/die
auftraggebende Cembalistin mit den für ihn/sie geschriebenen Werken und erreicht eher eine kleine, lokale Hörergemeinde. Weitere Verbreitung kann nur
über Massenmedien erfolgen. Doch nur wenige zeitgenössische Kompositionen werden heute noch im Rahmen einer Editionsreihe publiziert. Sammelbände wie der von Ruth Zechlin156 sind ganz vereinzelte Sonderfälle. Daß das
traditionelle Musikpublikationswesen kaum noch eine Rolle spielt, liegt an
mehreren Gründen, die hier nur pauschal angeführt werden sollen: die hohen
Herstellungskosten (Notensatz), die minimalen Auflagen, zum einen, weil das
unautorisierte Fotokopieren dem Interessenten ermöglicht, sich sein Notenexemplar zu einem Bruchteil des Verlagsexemplars selbst herzustellen, zum anderen, weil moderne Komponistenmusik (das heißt die sogenannte E-Musik)
sowieso nur ein Randbereich des heutigen Musiklebens ist. Statt dessen haben
die Tonträgermedien gerade bei der Verbreitung von zeitgenössischer Musik
große Bedeutung erlangt. Das trifft auch auf die Cembalomusik zu. Die erste
Schallplatte mit einer „modernen“ Komposition, die den Cembaloklang integriert, ist Arturo Toscaninis Aufnahme des 2. Satzes aus Ottorino Respighis
(1879-1936) erster Suite (1917) der Antiche danze ed arie. Sie erschien
1921157. Doch weder diese Aufnahme noch die ersten solistischen modernen
Kompositionen, die danach auf Platten 1924 bzw. 1928 herauskommen158,
sind echte moderne Musik. Das ist anders bei zwei kurzen Klavierstücken La
cage de cristal sowie Le petit âne blanc aus den zehn Histoires (1922) von
Jacques Ibert (1890-1962), die 1929 (oder sogar etwas früher) Mme. [Paule] de
Lestang auf einer Schallplatte159 eingespielt hatte, auf deren Rückseite – oder
besser: Vorderseite – sich François Couperins Rossignol en amour befand.
1931 erschien die erste genuine moderne Cembalokomposition auf Schallplatten: de Fallas Cembalokonzert, in einer Einspielung mit dem Komponisten
156 per il cembalo. Zeitgenössische Cembalomusik. Hrsg. v. R. Zechlin, a. a. O., mit
Kompositionen von Reiner Bredemeyer, Edison Denissow, Gerd Domhardt, Hans Werner
Henze, Viktor Kalabis, Václav Kucera, Miklós Maros, Gerhard Rosenfeld, Siegfried Thiele, Ruth Zechlin und Udo Zimmermann.
157
Mit dem Orchestra del Teatro alla Scala di Milano, aufgenommen 1920 auf His
Master’s Voice: DB 418 (Schellackplatte 30 cm).
158 Zwei Eigenkompositionen von Wanda Landowska im Stil der Bourrée (beide betitelt Bourrée d’Auvergne) auf His Master’s Voice: DA 662 (Schellackplatte 25 cm) und His
Master’s Voice: DA 964 (Schellackplatte 25 cm).
159

Disque „Gramophone“: K 5216 (Schellackplatte 25 cm).
Kompositionen für nostalgische Musikmaschinen
am Cembalo160, seither sind weltweit mindestens 24 Aufnahmen des Konzertes veröffentlicht worden. Damit ist dieses Konzert die am häufigsten kommerziell eingespielte moderne Cembalokomposition. Danach folgen Frank
Martins Petite symphonie concertante (15 Aufnahmen) und Francis Poulencs
Concert Champêtre (14 Aufnahmen). Diese drei gemäßigten Kompositionen
sind auch die einzigen, von denen die marktbeherrschenden großen Labels
wie Deutsche Grammophon, EMI, Philips und Teldec Classics immer wieder
Neuaufnahmen vorlegen. Im wesentlichen wird das Schallplattenrepertoire für
das moderne Cembalo von kleinen Firmen gepflegt. Selbst ein so bekanntes
Stück wie Ligetis Continuum ist bisher nur von einer dieser großen Firmen161
veröffentlicht worden, die weiteren sechs Interpretationen sind ausschließlich
von kleinen Schallplattenfirmen162 produziert worden. Und trotzdem: Das
kurze Stück wurde dank der Schallplatte schnell weltberühmt. Schon wenige
Monate nach der Uraufführung durch die Auftraggeberin und Widmungsträgerin Antoinette Vischer (Basel, Oktober 1968) erschien eine Schallplattenaufnahme von ihr auf dem von dem Kunsthistoriker Werner Goldschmidt gegründeten und ausschließlich der Avantgarde-Musik gewidmeten Wergo-Label163.
Diese Schallplatteneinspielung als wirkungsvolle PR-Strategie des die Komposition verlegenden Musikverlags B. Schott’s Söhne zu interpretieren, ist wohl
nicht ganz abwegig, denn der Musikverlag hatte 1967 Gesellschaftsanteile an
der Wergo Schallplatten GmbH erworben. Im Zusammenhang mit Antoinette
Vischers Schallplattenaufnahme sprach Ulrich Dibelius denn auch von einem
„Schlager“ der modernen Musik, mit der „Qualität des Bestürzenden“164.
Wer sich für moderne Cembalomusik interessiert, hätte seit dem Aufkommen der Langspielplatte weltweit etwa 73 Ausgaben von Schallplatten mit
mindestens drei zeitgenössischen Kompositionen für das Cembalo erwerben
können. Doch das Schallplattenrepertoire erschöpft sich ja nicht in solchen
Sammelprogrammen und Recitals165. Vielfach erscheint das Cembalo auch als
160 In der Besetzung: Manuel de Falla (2man. Cembalo von Pleyel), Marcel Moyse
(Querflöte), Georges Bonneau (Oboe), Emile Godeau (Klarinette), Marcel Darrieux (Violine), Auguste Cruque (Violoncello), aufgenommen 1930 und erstveröffentlicht in Spanien
auf Regal: LFX 92/93 (2 Schellackplatten 30 cm); die jüngste Wiederveröffentlichung ist
auf EMI Classics: 7 54836 2 (CD).
161
Philips: 6526009 (LP).
162
BIS, Caprice, col legno, Finlandia und Wergo (2 verschiedene Interpretationen).
163
Wergo: WER 305 (EP) im Rahmen der „Taschendiskothek neuer Musik“; eine neuere Wiederveröffentlichung trägt die Bestellnummer Wergo: WER 60161-50 (CD).
164
U. Dibelius in HiFi-Stereophonie, a. a. O., S. 269.
165
Ich definiere Sammelprogramm (bzw. Sammelplatte) als Tonträger mit mehr als
zwei Kompositionen, Recital als Sammelprogramm eines Künstlers oder einer Künstlerformation.

Martin Elste
Begleitinstrument oder solistisches Orchesterinstrument. Wenn man alle diese
Aufnahmen addiert, kommt man auf mehr als 800 kommerziell vermarktete
Aufnahmen166, die auf rund 1500 verschiedenen Tonträgerausgaben (Schellackplatten, Langspielplatten, Compact Discs und einigen wenigen MusiCassetten) erschienen sind. Es handelt sich dabei um rund 600 verschiedene
Kompositionen, von denen ca. 240 für Cembalo solo geschrieben sind, ca.
160 für eine kammermusikalische Besetzung. Der große Rest – immerhin ein
Drittel! – betrifft neben einigen Konzerten hauptsächlich jene Orchester- und
Musiktheaterwerke, bei denen ein Cembalo mit mehr oder weniger charakteristischem Duktus mitspielt und die in den letzten Jahren immer mehr geworden sind.
Die Schallplatte trägt nicht nur zur Verbreitung der modernen Cembalomusik entscheidend bei. Man kann sogar argumentieren, daß erst sie rezeptionsästhetisch befriedigende Voraussetzungen für die moderne Cembalomusik geschaffen hat. Denn das Grundproblem der modernen Cembalokonstruktionen
ist von Anfang an ihr unbefriedigendes Resonanzverhalten gewesen. Um die
verschiedenen Dynamik- und Klangfarbwerte, die die Instrumente mit einer
aufwendigen Disposition mit beispielsweise zwei 8-Füßen, 4-Fuß und 16-Fuß
sowie Lautenzug bieten, sinnvoll und damit hörbar in ein Ensemble aus mehreren Instrumenten zu integrieren, bedarf es einer elektroakustischen Verstärkung. Doch die Verstärkung über Mikrophon, Verstärker und Lautsprecher
bringt akustische Probleme mit sich. Nicht nur, daß das Mikrophon Spielgeräusche ebenfalls verstärkt. Die Plazierung der Lautsprecher kann sehr schnell
die natürliche Klangortung durcheinanderbringen. Alle diese Probleme lassen
sich bei einer Tonaufnahme in den Griff bekommen. Die Balance zwischen
Cembalo und den übrigen Instrumenten kann völlig willkürlich reguliert werden, weil die visuelle Rezeptionsebene wegfällt. Elisabeth Chojnacka hat dieses Prinzip bei ihrem ersten Recital für Philips in ein ästhetisches Programm
umgemünzt: Auf dem Cover steht: „Die Aufnahme muß bei großer Lautstärke
und in der Dunkelheit gehört werden“167 – eine Rezeptionssituation, die in
keiner Weise der traditionellen Konzertsaalsituation entspricht, weil sie auf
den reinen Klang, den Klang an sich, ohne visuelle Beeinflussung zielt.
166 Unter Aufnahme wird in diesem Zusammenhang die Einheit von Komposition und
der akustischen Fixierung einer Klangrealisation dieser einen Komposition verstanden; ein
Sammelprogramm mit vier Stücken für das Cembalo umfaßt also vier Aufnahmen. An dieser Stelle können nur pauschale Angaben erfolgen. Eine detaillierte diskographische Arbeit
des Verfassers über moderne Cembalomusik befindet sich in Vorbereitung.
167

Philips: 6526009 (LP).
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