Warum CDU/CSU keine Minderheitsregierung bilden werden von

Werbung
Warum CDU/CSU keine Minderheitsregierung bilden werden
von Martin van Elten
Die Bundestagswahl war aus Sicht von CDU/CSU ein großer elektoraler Erfolg. Sie
erreichten mit 41,5 % der Zweitstimmen ganze 49,3 % der Mandate im Bundestag (vgl.
Egeler 2013: o.S.). Trotzdem stellt sich die Frage, wie viel dieser Wahlsieg wert ist, vor
dem Hintergrund, dass die ihr 5 Mandate zur absoluten Mehrheit fehlen bzw. ihr Wunschkoalitionspartner FDP, der an der Sperrklausel scheiterte, fehlt. Neben der sondierten
Schwarz-Grünen Koalition und der gerade verhandelten Großen Koalition wurde auch
ins Feld geführt, dass die CDU/CSU eine Minderheitsregierung bilden könnten. Dieser
Text soll sich mit der Frage auseinander setzen, ob diese Idee realistisch ist.
Erfahrungen in Europa und Deutschland
In Europa sind konstant zwischen 30 bis 40 % aller Regierungen Minderheitsregierungen
[vgl. Strom (1990) und (Buzogány/Kropp 2012:275)]. Üblich sind sie in Skandivien,
[z.B. Dänemark (89 %), Schweden (72 %)], aber auch in der Tschechischen Republik (78
%), Spanien (73%) und auch in Frankreich waren fast 28 % aller Regierungen
Minderheitsregierungen (vgl. Buzogány/Kropp 2012:275).
In Deutschland gibt es jedoch gegen diese Form des Regierens große Vorbehalte. Dies ist
vor allem mit den Erfahrungen der Weimarer Republik und der Präsidialkabinette
zusammen (vgl. Thomas 2003: 792-805), lässt sich aber auch auf die starke Ausrichtung
der politischen Kultur auf (vermeintliche) Stabilität erklären.1
Auf Bundesebene waren Minderheitsregierungen immer nur kurze Intermezzos, nach
dem einer der Koalitionspartner die Regierung verlassen hatte/ verlassen musste (z.B.
unter Bundeskanzler Schmidt 1982, der alle FDP-Minister entließ). Auf Landesebene gibt
es größere Erfahrungen mit Minderheitsregierungen, z.B. das Magdeburger Modell, das 8
Jahre (1994 bis 2002) in Sachsen-Anhalt regierte und die Rot-Grüne NRWMinderheitsregierung von 2010 bis 2012.
1
Die Frage, ob Minderheitsregierung weniger stabil sind, lässt sich nicht pauschal beantworten, aber eher
verneinen. Sowohl es gibt sowohl Länder mit Minderheitsregierungen, die als besonders stabil gelten, wie aber
auch Ländern, die als unstabil gelten. Ähnliches lässt sich aber über Länder, in denen Mehrheitsregierungen üblich
sagen.
Vorteile von Minderheitsregierungen
Sowohl
aus
Mehrheits-
wie
aus
Konsensdemokratischer
Sicht
haben
Minderheitsregierungen Vorteile (vgl. Ganghof et al. 2012: 889-890):
Mehrheitsdemokratisch
Konsensdemokratisch
Wechselnde,themenspezifische
Inklusivere Gesetzgebungskoalitionen
Abstimmungen
Medianwählerkongruenz2 → Verschiebung Alle Parteien gemäß Sitzanteil Einfluss an
in Richtung der mittleren Position
Gesetzgebung (Powell)
Inklusivster
Regierungstyp
→
Berücksichtigung der
Präferenzen
möglichst
vieler
Parteien
(Lijphart)
Es ist auffällig, dass es sowohl aus mehrheits- wie auch konsensdemokratischer Sicht
Vorteile einer Minderheitsregierung ist. Allerdings ist die Frage, ob es wirklich einen
Wechsel der politischen Kultur vom neuen Dualismus hin zu einem „kooperativen
Parlamentarismus“ (Ganghof et al. 2012: 889-890) geben würde und die Opposition die
CDU/CSU einzelfallbezogen bei der Gesetzgebung stützen würden.
Kanzlerinnenwahl
Die Wahl des Bundeskanzlers ist nach Artikel 63 des Grundgesetzes geregelt:
(1) Der Bundeskanzler wird auf Vorschlag des Bundespräsidenten vom
Bundestage ohne Aussprache gewählt.
(2) Gewählt ist, wer die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages
auf sich vereinigt. Der Gewählte ist vom Bundespräsidenten zu ernennen.
(3) Wird der Vorgeschlagene nicht gewählt, so kann der Bundestag binnen
vierzehn Tagen nach dem Wahlgange mit mehr als der Hälfte seiner Mitglieder
einen Bundeskanzler wählen.
(4) Kommt eine Wahl innerhalb dieser Frist nicht zustande, so findet unverzüglich
ein neuer Wahlgang statt, in dem gewählt ist, wer die meisten Stimmen erhält.
2
Zum Medianwählerthorem ist als Einführung die Wikipedia lesenswert: http://de.wikipedia.org/wiki/Medianw
%C3%A4hlermodell
Vereinigt der Gewählte die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages
auf sich, so muss der Bundespräsident ihn binnen sieben Tagen nach der Wahl
ernennen. Erreicht
der Gewählte diese Mehrheit nicht, so hat der
Bundespräsident binnen sieben Tagen entweder ihn zu ernennen oder den
Bundestag aufzulösen.
Bisher wurde jeder Kanzler im ersten Wahlgang zum Bundeskanzler gewählt. Die
CDU/CSU-Fraktion könnte aber mit ihrer relativen Mehrheit Angela Merkel in der 3.
Wahlphase (nach Artikel 63, Abs. 4 GG) zur Minderheitskanzlerin wählen.
Bundespräsident Joachim Gauck hätte dann 7 Tage Zeit, entweder Angela Merkel zu
ernennen oder Neuwahlen anzusetzen. Die Kanzlerinnenwahl stellt somit, unter der
Bedingung, dass Bundespräsident Gauck zum „Geburtshelfer“ (Patzelt) wird, keine
Hürde für die Regierungsbildung dar.
Warum CDU/CSU nicht in eine Minderheitsregierung gehen
Auch wenn es unter der Mithilfe von Bundespräsident Gauck möglich wäre, dass Angela
Merkel nur mit Stimmen von CDU/CSU in das Amt der Bundeskanzlerin gewählt wird,
ist dies ein unrealistisches Szenario, weil ihr im Bundestag politisch nahstehende Partner
fehlen.
Die hohe Hürde des konstruktiven Misstrauensvotums (Artikel 67 GG) würde Angela
Merkel zwar schützen, jedoch müssen CDU/CSU wechselnde Mehrheiten für ihre Politik
finden, sowohl im Bundestag, wie auch bei zustimmungspflichtigen Gesetzen im
Bundesrat.
Artikel 67 GG
(1) Der Bundestag kann dem Bundeskanzler das Misstrauen nur dadurch
aussprechen, dass er mit der Mehrheit seiner Mitglieder einen Nachfolger wählt
und den Bundespräsidenten ersucht, den Bundeskanzler zu entlassen. Der
Bundespräsident muss dem Ersuchen entsprechen und den Gewählten ernennen.
(2) Zwischen dem Antrage und der Wahl müssen achtundvierzig Stunden liegen.
Auf der anderen Seite steht das Druckmittel Neuwahlen der Bundesregierung gegenüber der
Opposition mit dem komplizierten Verfahren der unechten Vertrauensfrage (Artikel 68 GG)
im Gegensatz zu den meisten Ländern (z.B. NRW) nur eingeschränkt zur Verfügung.
Artikel 68 GG
(1) Findet ein Antrag des Bundeskanzlers, ihm das Vertrauen auszusprechen, nicht
die Zustimmung der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages, so kann der
Bundespräsident auf Vorschlag des Bundeskanzlers binnen einundzwanzig Tagen
den Bundestag auflösen. Das Recht zur Auflösung erlischt, sobald der Bundestag
mit der Mehrheit seiner Mitglieder einen anderen Bundeskanzler wählt.
(2) Zwischen dem Antrag und der Abstimmung müssen achtundvierzig Stunden
liegen.
Abbildung 1: Programmatische Positionen der Parteien zur Bundestagswahl [Quelle:
Bianchi et al. (2013: 6)]
Viel wichtiger ist die Frage der Mehrheitsbildung. Wenn man wie Lehmbruch, davon
ausgeht, dass „Mehrheiten (…) auch als Ergebnis sachpolitisch dominierter Verhandlung
zustande kommen“ (Thomas 2003: 792–805) können müssen diese Verhandlungen auch
praktisch möglich sein. Konkret stehen der CDU/CSU im Bundestag und im Bundesrat3
nur Verhandlungspartner gegenüber, die politisch „links“ von ihr positioniert sind (vgl.
Abbildung 1).
Sie müsste also immer deutliche inhaltliche Zugeständnisse gegenüber den anderen
Fraktionen/Parteien machen. Die größte inhaltliche Nähe unter den im Bundestag
vertretenden Parteien hat sie zur SPD, gefolgt von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
DIE LINKE. Auch wenn man die Genauigkeit einer solchen Darstellung nicht
überschätzen sollte, zeigt sich, dass es schwer fallen dürfte, Mehrheiten für Politik einer
CDU/CSU- Minderheitsregierung zu finden. Es ist zudem fraglich, ob die Opposition in
einer solchen Situation aus partei-(taktischen) Überlegungen überhaupt mit der Union
kooperieren würde oder ob die Opposition ihrer Alternativ-Funktion gerecht wird.
In einer Koalition bietet sich auf der Verhandlungsebene noch die Möglichkeit neben
konkreten politischen Kompromissen über die Verteilung der Ämter zu Konsens zu
gelangen. Office-Seeking (Ämterbesetzung) gehört neben Policy-Seeking (InhalteUmsetzung) und Vote-Seeking in der Rational Choice-Theory zu den Funktionen von
Parteien. Durch die Vergabe von Ämtern in Koalition ist die Verhandlungsmasse größer
als wenn einfallbezogen Mehrheiten für Inhalte gesucht werden müssen. Konkret am Fall
der CDU/CSU bedeutet das, dass sie in einer Koalition mutmaßlich geringere inhaltliche
Zugeständnisse machen müsste.
Regieren im Mehrebenensystem
CDU/CSU müssten sich nicht in jedem Politikfeld für jede Abstimmung eine Mehrheit
suchen. Es kann in kaum einen Politikfeld mehr autonom im Bundestag entschieden
3
Die Frage, ob Mehrheitsfindung im Bundesrat nach Partei- oder Landesinteressen stattfindet wird kontrovers
diskutiert. Es lässt sich oft nicht genau unterscheiden, was Partei- und was Landesinteressen sind. Dazu Leunig,
Sven (2004): Länder- versus Parteiinteressen im Bundesrat – Realer Dualismus oder fiktive Differenzierung?.
abrufbar unter http://www.bpb.de/apuz/27912/laender-versus-parteiinteressen-im-bundesrat-realer-dualismus-oderfiktive-differenzierung?p=all
werden, viele Entscheidungen werden auf europäischer
Ebene getroffen werden.
Europäische Einmischung sind vertraglich verankert und legitimiert (vgl. Korte/Fröhlich
2009:79). Es ist unwahrscheinlich, dass sich die oppositionellen Parteien in Bundestag
und Bundesrat bei der Umsetzung von Vorgaben der Europäischen Union in nationales
Recht dauerhaft sperren. Erfahrungen der nordrhein-westfälischen Minderheitsregierung
zeigen, dass ein Großteil der Vorgaben höhrerer Ebenen (Bund, EU) sogar mit
Allparteienmehrheiten in Landesrecht umsetzt werden konnten (vgl. Ganghof et al. 2012:
894).
Auf der anderen Seite zeigt sich, dass in der vergangenden Legislaturperiode selbst die
CDU/CSU-FDP-Mehrheitsregierung bei den sog. „Rettungsschirmen“ mehrmals die
eigene „Kanzlermehrheit“ verfehlt hat und die Gesetze nur mit Unterstützung der
Opposition beschlossen wurden (vgl. Tagesspiegel 2012).
Auch im Bereich der internationalen Politik hat sich gezeigt, dass z.B. für Einsätze der
Bundeswehr im Rahmen von UN-Mandaten übergroße Mehrheiten gegeben hat, bei
denen auch sehr viele Abgeordnete der Oppositionsfraktionen zugestimmt haben.
In den Politikfeldern, in denen weniger Vorgaben von der europäischen Ebene existieren,
ist es fraglich, ob Entscheidungen nicht sowieso Konsenszwängen unterliegen, etwa weil
außerparlamentarische Akteure in die Entscheidungsfindung eingebunden werden
müssen.4
Fazit
CDU/CSU bringt eine Minderheitsregierung kaum bis wenige Flexibilitätsvorteile in der
Gesetzgebung gegenüber einer großen Koalition. CDU/CSU sind nicht die Medianpartei
unter
den
im
Bundestag
vertretenden
Parteien
und
haben
nur
mögliche
Kooperationsspartner im linken Spektrum. In europäischen Vergleich werden
Minderheitsregierungen
meist
von
Medianparteien
gebildet,
d.h.
in
Regel
sozialdemokratische Parteien, selbst in Skandinavien wurde von konservativen Parteien
eine Koalitionsregierung präferiert. Es gebe für CDU/CSU dadurch, dass keine Ämter an
4
Beispielsweise in der Gesundheitspolitik, dazu: Schneider, Thomas (2010): Die
Gesundheitsreform 2003. Ein politischer Kompromiss unter Beteiligung der RürupKommission, S.16.
einen Koalitionspartner vergeben werden, keine Möglichkeit inhaltliche Zugeständnisse
im Tausch zu erhalten. Die Mehrheitsfindung in Bundestag und Bundesrat dürfte für
CDU/CSU fallbezogen komplexer sein als bei einer formalen Koalition. Allerdings ist zu
bedenken, dass es auch in der Großen Koalition, vorausgesetzt, dass im Bundesrat
wirklich Parteipolitik betrieben wird, sich auf dieser Ebene auch Mehrheiten suchen
muss, da sie dort über keine eigene schwarz-rote Mehrheit verfügt.
Quellen:
Bianchi, Matthias/Bender, Steffen/Hohl, Karina/Jüschke, Andreas/Schoofs, Jan/Steitz,
Susanne/Treibel, Jan (2013): Der Duisburger-Wahl-Index (DWI) zur Bundestagswahl
2013 - Policy-Positionen von CDU/CSU, SPD, Grünen, FDP, Linke und Piraten zur
Bundestagswahl 2013 im Vergleich. Erschienen in: Regierungsforschung.de, Parteienund
Wahlforschung.
Online
verfügbar
unter:
http://regierungsforschung.de/dx/public/article.html?id=236
Buzogány, Aron/Kropp, Sabine (2013): Koalitionen von Parteien.
Oskar: Handbuch Parteienforschung.
In: Niedermayer,
Egeler, Roderich (2013) : Endgültiges amtliches Ergebnis der Bundestagswahl 2013.
http://www.bundeswahlleiter.de/de/bundestagswahlen/BTW_BUND_13/presse/w13034_
Endgueltiges_amtliches_Ergebnis.html . zuletzt überprüft am 24.11.2013.
Ganghof, Steffen; Stecker, Christian; Eppner, Sebastian; Heeß, Katja (2012): Flexible
und inklusive Mehrheiten? Eine Analyse der Gesetzgebung der Minderheitsregierung in
NRW. In: Zeitschrift für Parlamentsfragen (ZParl) 42 (4/2012), S. 887–900.
Korte, Karl-Rudolf; Fröhlich, Manuel (2009): Politik und Regieren in Deutschland.
Strukturen,
Prozesse,
Entscheidungen.
Paderborn:
Schöningh
(Grundkurs
Politikwissenschaft).
Tagesspiegel (Hg.) (2012): Hilfspaket für Griechenland Euro-Rettung. Angela Merkel
verpasst
die
Kanzlermehrheit.
abrufbar
unter
http://www.tagesspiegel.de/politik/hilfspaket-fuer-griechenland-euro-rettung-angelamerkel-verpasst-die-kanzlermehrheit/7463310.html. zuletzt überprüft am 26.11.2013.
Thomas, Sven (2003): Zur Handlungsfähigkeit von Minderheitsregierung am Beispiel des
"Magdeburger Modells". In: Zeitschrift für Parlamentsfragen (ZParl) 34 (4/2003), S.
792–805.
Herunterladen