Thema: Wahrscheinlichkeitsfunktion Frage: Während meines Mathestudiums habe ich gelernt, dass man streng unterscheiden muss zwischen W-Maß und W-Funktion. Danach ist ein W-Maß eine Abbildung von der Sigma-Algebra auf die reellen Zahlen, und eine W-Funktion ist eine Abbildung von Omega auf das abgeschlossene Intervall [0, 1]. Der Zusammenhang der beiden Begriffe ist dann: Ein W-Maß ist bereits durch seine W-Funktion definiert. Auf Seite 1262 wird aber der Begriff der W-Funktion synonym gebraucht für W-Maß - ist das nicht etwas ‘fahrlässig’ ? Antwort: In dieser Frage werden die relevanten Vokabeln nur unvollständig genannt. Im folgenden werden die wesentlichen Begriffe aus dem Buch noch einmal zusammengestellt. • Mengenfunktion Gegeben ist eine Obermenge Ω und eine nicht leere Klasse S von Teilmengen A ⊆ Ω. Eine Mengenfunktion φ ist eine Abbildung von S in die reellen Zahlen: φ:S→R φ (A) ∈ R. • Sigma-additive Mengenfunktion Eine Mengenfunktion ist sigma-additiv oder S σ-additiv, falls für jede abzählbare, disjunkte Menge Ai ∈ S, i ∈ N und i∈N Ai ∈ S stets gilt Ã∞ ! ∞ [ X φ Ai = φ (Ai ) . i=1 i=1 • Wahrscheinlichkeitsmaß Ein Wahrscheinlichkeitsmaß ist eine auf einer σ-Algebra S definierte σ-additive Mengenfunktion, welche die drei Kolmogoroffaxiome erfüllt. • Die Verteilungsfunktion einer Zufallsvariablen X Ist (Ω, S, P ) ein Wahrscheinlichkeitsraum mit der Grundmenge Ω, der σAlgebra S auf Ω und dem Wahrscheinlichkeitsmaß P auf S und X : Ω → R eine Zufallsvariable, so ist die Verteilungsfunktion FX (x) definiert durch ¡ ¢ FX (x) = P X −1 (−∞; x) = P (X ≤ x) . • Eine Verteilungsfunktion Jede monoton wachsende reelle Funktion F (x) mit lim F (x) = 0 x→−∞ lim F (x) = 1. x→∞ heißt Verteilungsfunktion. Jede Verteilungsfunktion einer Zufallsvariablen X ist in diesem Sinne eine Verteilungsfunktion. • Jede Verteilungsfunktion F definiert ein Wahrscheinlichkeitsmaß P auf den Borelmengen B ∈ B. Dazu wird P zuerst auf allen Intervallen (a, b] definiert durch P ((a, b]) = F (b) − F (a) . Von den Intervallen lässt sich dann das Wahrscheinlichkeitsmaß eindeutig auf B erweitern. • Jede Verteilungsfunktion F läss t sich als Verteilungsfunktion einer Zufallsvariablen X auffassen. Dabei ist Ω = R und S = B die Menge aller Borelmengen in R. Das Wahrscheinlichkeitsmaß P wird wie oben angegeben auf allen Intervallen (a, b] definiert durch P ((a, b]) = F (b) − F (a) . Wird die Zufallsvariable X dann durch die identische Abbildung von R auf sich definiert, so ist F = FX . • Wahrscheinlichkeitsfunktion Der Begriff ‘Wahrscheinlichkeitsfunktion´ ist nicht glücklich. Er wird ein einziges Mal bei der Definition des Wahrscheinlichkeitsmaß auf Seite 1263 als synonyme Bezeichnungsmöglichkeit für ‘Wahrscheinlichkeitsmaß´ erwähnt. In der Literatur taucht der Begriff auch im Zusammenhang mit diskreten Zufallsvariablen auf: Ist X eine diskrete Zufallsvariable mit den abzählbar vielen Realisationen xi ∈ R, i ∈ N, und ¡ ¢ P X −1 (xi ) = P (X = xi ) = P (xi ) > 0, ∞ X P (xi ) = 1 i=1 so wird P (xi ) auch als Wert der Wahrscheinlichkeitsfunktion P bezeichnet. Dabei wird P als reelle Funktion P : R → [0, 1] mit P (x) = 0 für x 6= xi , i ∈ N aufgefasst. Ich rate wegen der Verwechslungsmöglichkeit mit dem Begriff Verteilungsfunktion überhaupt von der Verwendung des Wortes Wahrscheinlichkeitsfunktion ab.