Ein Marketing der Nähe - Printarchiv der absatzwirtschaft

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BUSINESS MITTELSTANDS-MARKETING
Ein Marketing der Nähe
Die banalsten Erkenntnisse lassen sich bekanntermaßen am schwersten umsetzen.
Eine davon ist, dass Nähe zum Kunden notwendig ist, um ihn optimal bedienen
zu können. Gerd Rindchen, Gründer von Rindchens Weinkontor, hat daher beschlossen, sich einige Beschränkungen aufzuerlegen, um sich das Vertrauen seiner
Kunden erarbeiten zu können.
von Christian Thunig
„Ich habe großen Respekt vor dem natürlichen Geschmack der Menschen. Aus
diesem Respekt heraus treffe ich Einkaufsentscheidungen, mache Pricing und
die Kommunikation.“ Das ist verkürzt
gesprochen das Erfolgsgeheimnis des
wahrscheinlich kommunikativsten Weinhändlers in Deutschland. Gerade in Zeiten
der Lebensmittelskandale bekommt diese
Aussage eine neue Dimension. Denn
Qualität scheint in diesen Tagen aus dem
Blickpunkt nicht nur des Lebensmitteleinzelhandels gerückt zu sein.Woran liegt
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es? Interessieren sich Handelsmanager
nicht mehr für ihre Kunden? Können
Filialisten überhaupt noch beste Qualität garantieren? Nicht umsonst wirbt
Fastfood-Marktführer McDonald’s in
seinen Spots mit einem weiblichen Qualitätsscout, der den Weg des Salats vom Feld
bis zum Kunden begleitet. Ob das stimmt
oder nicht, sei dahingestellt. Es zeigt aber
eine Entwicklung, die Konsumenten zunehmend irritiert: die Unsicherheit über
die Qualität und Herkunft der Dinge, die
wir täglich konsumieren.
Zurück zum Weinhändler Gerd Rindchen
in Hamburg.Von der Namengebung eher
unscheinbar, hat er doch einige wichtige
Erkenntnisse gewonnen, die sein Marketing prägen. Denn wer bricht schon freiwillig Gespräche mit Aldi ab oder träumt
nicht von einer global operierenden Kette
und von Millionenumsätzen im dreistelligen Bereich? Gerd Rindchen hat ein Marketing-Tool für sich entdeckt, das wieder
in Mode kommen könnte: die Nähe zum
Kunden und ein Qualitätsversprechen,
das ihn wirklich umtreibt. Das erfordert
absatzwirtschaft – Zeitschrift für Marketing 3/2006
Eingeschworen: Gerd Rindchen (v., M.)
hat seine Mitarbeiter mit seiner MarketingPhilosophie regelrecht angesteckt.
Aber Marketing ist nicht alles: Controller
Christoph Düppe (u. r.) und Rindchens
Frau Christine (2. v. r.) achten auf die
Zahlen und die betriebliche Organisation.
allerdings gewisse Beschränkungen. So
wird es keine Expansion mit stationären
Geschäften im Bundesgebiet geben.Vielleicht kommen noch ein zweiter Laden in
Berlin dazu sowie ein letzter, siebter, in
Hamburg. Auch das Angebot eines Interessenten, der sich einkaufen und Rindchens Weinkontor zur Zentrale einer europäischen Weinfachkette machen wollte,
hat er abgelehnt, und die Pläne für ein
Franchise-System legte er zu den Akten.
Noch etwas ist bemerkenswert: Bei einer
Umsatzgröße jenseits der 25-MillionenEuro-Grenze sieht Rindchen große Schwierigkeiten, sein Qualitätsversprechen, mit
dem er groß geworden ist, noch zu halten. Das Naturprodukt Wein ist ja nicht
beliebig vermehrbar. Insofern würden
häufigere Wechsel im Sortiment und damit ein erhöhter Aufwand an Qualitätskontrolle notwendig. Diese konsequente
Haltung lässt Rindchen auch einen Deal
mit Aldi in Frage stellen. Die Gespräche
hat er abgebrochen. Beschaffungskompetenz und Qualitätssicherung sind bei
mehreren Millionen Flaschen pro Sorte,
die beim Discountriesen jährlich anstehen, nicht durchzuhalten – und das erst
recht nicht zu einem Durchschnittsverkaufspreis von 1,93 Euro. Qualität hat
eben ihren Preis.
DEZIDIERTE
BESCHAFFUNGSPOLITIK
Das heißt aber nicht, dass der Ausbau
des Geschäfts verpönt wäre. Rindchen
versucht einen ausgewogenen Mix von
Vertriebskanälen, beginnend bei der Einzelflasche bis hin zur Belieferung mit
Lkw, zu unterhalten. So gehört neben
End- und Gastronomiekunden auch
Deutschlands drittgrößte Drogeriefachmarktkette, Rossmann, zu seinen Abnehmern. Aber egal, ob Laster oder Einzelflasche: Rindchen kümmert sich immer
höchstpersönlich um den Einkauf. Dazu
gehört auch, immer wieder neue Weine
zu entdecken, die qualitativ hochwertig
sind, aber bei den Winzern vielleicht eher
3/2006 absatzwirtschaft – Zeitschrift für Marketing
ein Schattendasein fristen, weil diesen die
Vermarktungsfähigkeiten oder -kapazitäten fehlen. Rindchen geht dabei sehr
selektiv vor, ganze Programme von Winzern nimmt er dagegen selten ab. Sein
Credo ist allein das „Preis-Genuss-Verhältnis“ oder, anders gesagt: qualitativ
guter Wein zu erschwinglichen Preisen.
Entsprechend dieser Philosophie sucht
man große Marken wie Opus One, Mouton-Rothschild, Tignanello oder Krug
vergebens in seinem Sortiment.
Rindchen sagt eindeutig: „Bestes PreisGenuss-Verhältnis ist bei den bekanntesten Weinen gemeinhin nicht zu erreichen,
denn deren Produzenten sind häufig in
Weintrinker, die keine bekannten Namen
brauchen, schätzen dieses Ambiente und
haben das Gefühl, gut bedient zu werden.
So arbeitet er mit missionarischem Eifer
daran, das Naturprodukt unter die Menschen zu bringen. Der 46-Jährige ist sich
sicher:„Viele haben in ihrem Leben noch
keinen guten Wein getrunken, weil es
viele schlechte oder industriell gefertigte
Weine gibt. Aber wenn die Menschen
einmal an einen guten Wein herangeführt
werden, bleiben sie dabei und entwickeln
eine Sensibilität dafür, was Qualität ist.“
Der deutschlandweit bekannte WeinGuru Stuart Pigott sieht Rindchen gar als
Marketing-Phänomen in der Weinszene,
Einfache Ladengestaltung: Auf den Verkaufsflächen herrscht Aldi-Ambiente. Hier finden
Weinkenner weder aufwändige Präsentation noch weithin bekannte Marken. Verkaufen
sollen die Qualitäten und der Preis.
erster Linie brillante Marketingstrategen.
Sie investieren enorme Summen in Werbung und Promotion, errichten prachtvolle ‚Wein-Schlösser‘ oder räkeln sich
in der wohligen Selbstgewissheit der
Zugkraft ihres uralten Adelsnamens.“
Lieber sucht der Händler die Nähe der
Winzer und kreiert zusammen mit ihnen
Eigenmarken. Auch die Ladengeschäfte
vermitteln einen einfachen Eindruck:
Rund 400 Quadratmeter Fläche, große
Regale, viele Pappkartons und einfacher
Betonboden korrespondieren nicht mit
dem Ladenbau typischer Weinfachhändler, auch wenn in einer Ecke eine große,
einfache Holztafel mit 20 Stühlen steht,
damit das eine oder andere „Stöffchen“ in
großer Runde verkostet werden kann.
das seinen Kunden wirklich zuhört, die
Erfahrungen mit der Kundschaft unmittelbar ins Sortiment einfließen lässt und
Trends sofort erkennt – ohne aufwändige
Marktforschung. Pigott zum Umgang mit
Kunden: „Rindchen ist locker und setzt
eben kein Weinwissen bei ihnen voraus.
Das zeichnet ihn gegenüber anderen Weinhändlern aus – ganz zu schweigen von
seinem Witz und seiner Kommunikationsfreude.“
In der Tat schlägt sich sein Gespür für
Kommunikation in Newslettern nieder,
die auf acht dicht bedruckten Seiten
eigentlich viel zu viel Text bieten und alle
zwei Monate erscheinen. Aber das ist beabsichtigt. Marketing-Experten würden
von Story-Telling sprechen, denn um
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BUSINESS MITTELSTANDS-MARKETING
auch in seinem Direktmarketing Nähe
herstellen zu können, schreibt Rindchen
zu jedem Wein, den er aktuell promoten
möchte, eine Geschichte. Und das macht
er mitunter so detailreich, dass die Leser
fast das Gefühl haben, vor Ort beim
Winzer zu sein. So erzählt er über Landschaften, über Weingüter, die er entdeckt
hat, über Winzer, die er überredet hat,
einen guten Tropfen günstiger abzugeben,
oder über Weingüter, die er ehemals auf
Grund mangelhafter Qualität verbannt
die mittlerweile auf 27 000 WeinkontorInteressenten angewachsen ist. Um zwischen den Newslettern regelmäßig eine
E-Mail versenden zu können, gibt es an
jedem 3. Donnerstag im Monat im Rahmen einer Happy Hour für zwei Stunden
Weine zu stark reduzierten Preisen.
Ein weiterer wesentlicher Bestandteil seiner Strategie ist – bereits seit 1983 – EventMarketing. So lädt er seine „Genießer“ zu
diversen Events in Hamburg und Berlin
ein – sei es eine kleine Verkostung in
MEHR SCHRIFTSTELLER ALS KAUFMANN
Der Weg zum erfolgreichen Weinkontor ist dornig. Gerd Rindchen, Jahrgang
59, verkauft 1977 mit 18 Lenzen in Bremerhaven seinen ersten Wein. Ladenlokal ist ein VW Bulli, den er für 3 500 „zusammengepumpte“ Deutsche Mark
gekauft hat. Seine Berufswünsche sind vielfältig. Zunächst macht er eine Lehre
als Versicherungskaufmann. 1982 meldet er ein Gewerbe für seinen Weinhandel an, später will er Journalist werden.
Noch heute schreibt er für diverse Medien.
1983 eröffnet Rindchen seine ersten beiden
Läden in Bremerhaven und Hamburg, die er
im Nachhinein als katastrophale Standorte
empfindet. Bis 1992 hält er sich vor allen
Dingen mit dem Ausschank von Wein über
Wasser. Marketing wird frühmorgens in der
U-Bahn gemacht. Wichtiges Werbemittel
sind Handzettel. Die ersten 15 Jahre schafft
Rindchen nur mit Hilfe der Eltern, später
mit seiner Frau Christine, die er mit so
geschäftsrelevanten Adjektiven beschreibt Verkostung: Die Auswahl der Winzer
wie nüchtern, pflichtbewusst und rational, und Weine trifft der Chef persönlich.
sowie seiner Hausbank. Nicht zu vergessen
ist sein Controller Christoph Düppe, der als kaufmännischer Leiter seit 2003
die betriebswirtschaftliche Seite von Rindchens Weinkontor betreut. Rindchen
selber hasst Excel-Tabellen und bleibt lieber bei der Prosa.
Noch heute kommt dem ehemaligen Redakteur der „Weinwirtschaft“ sein
schriftstellerisches Geschick zugute. Mit 16 verdiente er sich das erste Geld
mit dem Schreiben von Schnellgedichten. Das stellte er 1989 bei der ARD-Show
„Geld oder Liebe“ noch einmal vor 17 Millionen Zuschauern unter Beweis.
Mittlerweile macht der Händler sein eigenes Kabarett-Programm.
hatte und die er wieder ins Sortiment
genommen hat.
Zentraler Vertriebskanal außerhalb Hamburgs ist das Internet. Der frisch renovierte Online-Shop unter www.rindchen.de
ermöglicht ihm, auch bundesweit aktiv
zu sein. Natürlich gehört zum Konzept
der gelebten Kundennähe Customer
Relationship Management (CRM). Seit
1987 sammelt der Händler Adressen und
Kundendaten in seiner „Genießerkartei“,
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einer Filiale, ein Fünf-Gänge-Menü zum
maßvollen Preis in einem Edelrestaurant,
in dem der geneigte Kunde so ohne weiteres nicht gespeist hätte (Co-Marketing),
oder seine einmal im Jahr stattfindende
Weinmesse Vinorell in der Hamburger
Zentrale. Zu diesem Endkunden-Event
strömen rund 1 800 Besucher aus ganz
Deutschland, um bei rund 90 Winzern
etwa 400 Gewächse zu testen. Um den
Kunden in Berlin näher zu sein, will
Rindchen im Mai 2006 zusätzlich in der
Hauptstadt eine Weinmesse für Endverbraucher durchführen.
Und die potenziellen Kunden, die er auf
den Messen nicht erreicht, versucht er
über Kooperationen zu missionieren: So
führt er beispielsweise Leser der Wochenzeitung „Die Zeit“ in die Welt des Weines
ein, wenn sie nach Hamburg oder Berlin
kommen, oder er organisiert lukullische
Flusskreuzfahrten mit der Reederei Deilmann – alles mit dem Ziel, Nähe zu seiner
Person, seinem Unternehmen oder seinen
rund 50 Mitarbeitern herzustellen, die
er regelrecht „infiziert“ hat, wie Stuart
Pigott, der britische Weinexperte, es ausdrückt.
KONKURRENTEN IN SORGE
Obwohl Rindchens Weinkontor im Umsatzranking der reinen Weinfachhändler
eher im Mittelfeld zu finden ist, haben
selbst größere Konkurrenten „mittlerweile sogar Angst vor der Marketing-Power
von Gerd Rindchen“, plaudert Pigott aus
dem Nähkästchen. Die Kunden haben
jedenfalls keine Angst, sondern im Gegenteil offensichtlich großes Vertrauen
aufgebaut. Mittlerweile ist Rindchens
Weinkontor bei rund 14 Millionen Euro
Umsatz 2005 um 16 Prozent gewachsen
– eine für den Einzelhandel an sich schon
sensationelle Zahl –, während die verkauften Mengen der spezialisierten Weinfachhändler eher zur Stagnation neigen.
Für die Ernsthaftigkeit von Rindchens
Qualitätsphilosophie bezeichnend ist
auch, dass Rossmann aus dem Nichts zu
einer weinkompetenten Adresse avancierte. In dem Ratgeber „Stuart Pigotts
kleiner genialer Weinführer 2005“ steht
Rossmann auf Platz eins bei den Weinempfehlungen aus dem Supermarkt.
Und selbst die Fachpresse zollt Rindchen
Respekt. Die Fachzeitschrift „Weinwirtschaft“ kürte den Händler 2003 zum
besten Weinimporteur Deutschlands,
was sicherlich seiner Liebe zu neuen
Entdeckungen und seiner Auffassung
von Weinverkauf und Kommunikation
geschuldet ist. „Gerd Rindchen macht
ein gutes Marketing und versteht es, den
Menschen Wein nahe zu bringen und verständlich zu machen. Das ist sein großes
Verdienst“, bekennt Dr. Hermann Pilz,
Chefredakteur der „Weinwirtschaft“.
absatzwirtschaft – Zeitschrift für Marketing 3/2006
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