William Shakespeare – auch ein Musiker?

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ZürcherFront
Festspiele
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! NZZ AG
William Shakespeare –
auch ein Musiker?
BÖRSEN UND MÄRKTE
Investoren wetten auf Lockerungen
Investoren in den USA bringen sich
zurzeit in Position, um von einer weiteren quantitativen geldpolitischen
Lockerung zu profitieren.
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Wo singt und klingt es so viel wie in seinen Theaterstücken? Er ist der
Orpheus unter den Dichtern und befeuert die Musikproduktion bis in die
Gegenwart. Eine Skizze der musikalischen Biografie und ihrer Wirkungsmacht. Von Corinne Holtz
Ob er in Stratford auch Musikunterricht besuchte
und ein Instrument spielte, ob er später als Hilfslehrer und «player» in Diensten eines Grossgrundbesitzers stand – darüber spekulieren seine Biografen. Fest steht, dass William Shakespeares Vater
Handschuhmacher war und in den ersten Lebensjahren seines Buben den Aufstieg zum Bürgermeister schaffte. Diese Stellung war mit Privilegien
verbunden. Söhne von Ratsherren durften die angesehene King’s Grammar School in Stratford kostenlos besuchen. Die Schule liess sich ihren Ruf
vergolden. Der Schulmeister war mit zwanzig
Pfund Jahresgehalt und freier Unterkunft fast doppelt so hoch entlöhnt wie sein Kollege im nahen
Warwick. Die für Shakespeares Schulzeit massgeblichen Lehrer konnten ein abgeschlossenes Universitätsstudium in Oxford vorweisen und stellten
entsprechende Ansprüche an ihre Zöglinge.
Katzendarm und Stimmstock
Latein – mündliche und schriftliche Beherrschung
– stand im Zentrum des Unterrichts. Dazu gesellten sich Religionsunterricht und die Vermittlung
sozialer Pflichten eines elisabethanischen Bürgers.
Williams Besuch dieser Schule lässt sich nicht
nachweisen, hingegen hat sich die Anekdote über
sein «small Latin and less Greek» festgesetzt, genauso wie der Mythos des Naturburschen vom
Land, der in London sein Glück machte. Solche
Zuschreibungen sind Nahrung für die Zweifler an
Shakespeares Autorschaft. Wer Dramen dieses
Rangs verfasst habe, müsse ein Universitätsstudium absolviert haben. Anfügen möchte man:
Wer in 32 von 37 überlieferten Dramen Lieder einmontiert und Figuren singen heisst, muss auch
Musiker sein. Wer Musikanten als Simon Catling
und James Soundpost tituliert (so ein Diener in
«Romeo and Juliet»), verfügt nebst der Spottlust
auch über fundiertes musikalisches Wissen – davon
ist der Musikforscher Sebastian Klotz überzeugt.
Er betrachtet die Namen als Verballhornung von
«cat-gut» (Katzendarm, woraus auch Saiten hergestellt wurden) und «sound-post» (Stimmstock
eines Streichinstrumentes).
Kein anderer Dramatiker hat eine derartige
Fülle und Vielfalt an Kompositionen angeregt.
Shakespeare ist der Orpheus unter den Dichtern.
Ihm lauschen Musiker aller Stilrichtungen bis in
die Gegenwart und prägen die Programme etwa
des European Shakespeare Festivals Network, das
seit 2010 kooperiert. Ein Überblick: Desdemonas
Lied «The poor soul sat sighing by a sycamore tree»
aus «Othello» ist 35 Mal vertont worden, «It was al
lover an his lass» aus «As you like it» ist in der einschlägigen Bestandesaufnahme des ShakespeareHandbuchs mit 357 Einträgen präsent. «Ausser
Titus Andronicus» und «Two Gentlemen of Verona» haben alle Dramen mindestens einer Oper
als Vorlage gedient, Spitzenreiter ist «Romeo and
Juliet» mit 268 Vertonungen.
Georg Friedrich Händel, unter den bedeutendsten Komponisten in England, hat erstaunlicherweise nicht auf Shakespeare zurückgegriffen. Wer
sich jedoch genauer mit den Libretti seiner englischen Oratorien beschäftigt, stösst auf unzählige
Zitate. Fast hätte Mozart ein auf «The Tempest»
beruhendes Libretto vertont: Kurz vor seinem Tod
nimmt er den populären Plot «Die Geisterinsel»
an. Auch eine Frau ist dokumentiert. Elizabeth
Craven, Markgräfin von Ansbach, ist vor allem als
Autorin von Reiseberichten in Erinnerung geblieben. In ihrem Nachlass finden sich auch Kompositionen, darunter sind mehrere Lieder auf Shakespeare-Texte.
Franz Schubert markiert sein Interesse mit drei
wegweisenden Liedern. «An Silvia» (aus «Two
Gentlemen of Verona»), «Ständchen» (aus
«Cymbeline») und «Trinklied» (aus «Antony and
Cleopatra»). Ihm folgen Felix Mendelssohn-Bartholdy, Robert Schumann, Johannes Brahms, Hugo
Wolff, Erich Wolfgang Korngold, Frank Martin,
Mario Castelnuovo-Tedesco, Ralph Vaughan Williams und Benjamin Britten – allesamt Komponisten, die sich die Gattung Lied auf ganz eigene
Weise anverwandelten. Im 19. Jahrhundert lassen
sich Komponisten wie Schumann, Berlioz, Tschaikowsky, Dvořák und Richard Strauss von Shakespeare zu sinfonischer Instrumentalmusik und
grossen Formen inspirieren.
Ohne Kohle keine Töne
Was zieht die Musiker zum Orpheus unter den
Dichtern? Die musikalische Dimension seines
Werks klingt aus jeder Zeile. Parameter wie Rhythmus, Form und Brechung werden in der Sprache
gleichsam kompositorisch wirksam. Shakespeare
schreibt mehrschichtige Bühnenpartituren, die zur
Musik hin durchlässig sind. An dramaturgischen
Wendepunkten, die durch Metaphern wie Niederlage und Triumph sichtbar werden, tritt die Musik
oft an die Stelle des Wortes. Fanfaren schmettern,
die Trommel hebt an. Ausserdem kommt der
Musik die Rolle des Innehaltens zu – wenn die Gestimmtheit einer Figur bzw. Situation spürbar wer-
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soll. Die
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Momenten mit dem Wort in der Lyrik gesungener
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Lockerung
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ohne
einen Ton
gespielt zu haben. Hier nimmt der
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Meister der Verstellung die Moral
fahrender
Spieltruppen aufs Korn, die es auf den Jahrmärkten in
Stratford nebst den Akrobaten und Tierschauen zu
beobachten gab: Ohne Kohle kein Töne. Das Grollen der frühen Neuzeit wusste Shakespeare einem
Seismografen ähnlich zu messen und auf seine
Figuren zu übertragen. Wer er selbst war – auch ein
Musiker, Wilderer, Pferdeknecht, Page, Singknabe
–, inszenierte er in seinen Stücken überzeugender,
als sein Tross an Biografen es tat.
Zwei Veranstaltungen widmen sich explizit dem Thema: Das Festspiele-Symposium am 19./20. Juni zu Shakespeare in der Instrumentalmusik des 19. Jahrhunderts («If Music be the food of love») sowie
das Konzert vom 9. Juli mit Shakespeare-Vertonungen von Barock bis
Gegenwart («Shakespeare in Music»).
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