ZürcherFront Festspiele 06.06.15 11.06.12//Nr. Nr.128 133//Seite Seite82 1 / Teil 01 # ! NZZ AG William Shakespeare – auch ein Musiker? BÖRSEN UND MÄRKTE Investoren wetten auf Lockerungen Investoren in den USA bringen sich zurzeit in Position, um von einer weiteren quantitativen geldpolitischen Lockerung zu profitieren. Seite 21 Wo singt und klingt es so viel wie in seinen Theaterstücken? Er ist der Orpheus unter den Dichtern und befeuert die Musikproduktion bis in die Gegenwart. Eine Skizze der musikalischen Biografie und ihrer Wirkungsmacht. Von Corinne Holtz Ob er in Stratford auch Musikunterricht besuchte und ein Instrument spielte, ob er später als Hilfslehrer und «player» in Diensten eines Grossgrundbesitzers stand – darüber spekulieren seine Biografen. Fest steht, dass William Shakespeares Vater Handschuhmacher war und in den ersten Lebensjahren seines Buben den Aufstieg zum Bürgermeister schaffte. Diese Stellung war mit Privilegien verbunden. Söhne von Ratsherren durften die angesehene King’s Grammar School in Stratford kostenlos besuchen. Die Schule liess sich ihren Ruf vergolden. Der Schulmeister war mit zwanzig Pfund Jahresgehalt und freier Unterkunft fast doppelt so hoch entlöhnt wie sein Kollege im nahen Warwick. Die für Shakespeares Schulzeit massgeblichen Lehrer konnten ein abgeschlossenes Universitätsstudium in Oxford vorweisen und stellten entsprechende Ansprüche an ihre Zöglinge. Katzendarm und Stimmstock Latein – mündliche und schriftliche Beherrschung – stand im Zentrum des Unterrichts. Dazu gesellten sich Religionsunterricht und die Vermittlung sozialer Pflichten eines elisabethanischen Bürgers. Williams Besuch dieser Schule lässt sich nicht nachweisen, hingegen hat sich die Anekdote über sein «small Latin and less Greek» festgesetzt, genauso wie der Mythos des Naturburschen vom Land, der in London sein Glück machte. Solche Zuschreibungen sind Nahrung für die Zweifler an Shakespeares Autorschaft. Wer Dramen dieses Rangs verfasst habe, müsse ein Universitätsstudium absolviert haben. Anfügen möchte man: Wer in 32 von 37 überlieferten Dramen Lieder einmontiert und Figuren singen heisst, muss auch Musiker sein. Wer Musikanten als Simon Catling und James Soundpost tituliert (so ein Diener in «Romeo and Juliet»), verfügt nebst der Spottlust auch über fundiertes musikalisches Wissen – davon ist der Musikforscher Sebastian Klotz überzeugt. Er betrachtet die Namen als Verballhornung von «cat-gut» (Katzendarm, woraus auch Saiten hergestellt wurden) und «sound-post» (Stimmstock eines Streichinstrumentes). Kein anderer Dramatiker hat eine derartige Fülle und Vielfalt an Kompositionen angeregt. Shakespeare ist der Orpheus unter den Dichtern. Ihm lauschen Musiker aller Stilrichtungen bis in die Gegenwart und prägen die Programme etwa des European Shakespeare Festivals Network, das seit 2010 kooperiert. Ein Überblick: Desdemonas Lied «The poor soul sat sighing by a sycamore tree» aus «Othello» ist 35 Mal vertont worden, «It was al lover an his lass» aus «As you like it» ist in der einschlägigen Bestandesaufnahme des ShakespeareHandbuchs mit 357 Einträgen präsent. «Ausser Titus Andronicus» und «Two Gentlemen of Verona» haben alle Dramen mindestens einer Oper als Vorlage gedient, Spitzenreiter ist «Romeo and Juliet» mit 268 Vertonungen. Georg Friedrich Händel, unter den bedeutendsten Komponisten in England, hat erstaunlicherweise nicht auf Shakespeare zurückgegriffen. Wer sich jedoch genauer mit den Libretti seiner englischen Oratorien beschäftigt, stösst auf unzählige Zitate. Fast hätte Mozart ein auf «The Tempest» beruhendes Libretto vertont: Kurz vor seinem Tod nimmt er den populären Plot «Die Geisterinsel» an. Auch eine Frau ist dokumentiert. Elizabeth Craven, Markgräfin von Ansbach, ist vor allem als Autorin von Reiseberichten in Erinnerung geblieben. In ihrem Nachlass finden sich auch Kompositionen, darunter sind mehrere Lieder auf Shakespeare-Texte. Franz Schubert markiert sein Interesse mit drei wegweisenden Liedern. «An Silvia» (aus «Two Gentlemen of Verona»), «Ständchen» (aus «Cymbeline») und «Trinklied» (aus «Antony and Cleopatra»). Ihm folgen Felix Mendelssohn-Bartholdy, Robert Schumann, Johannes Brahms, Hugo Wolff, Erich Wolfgang Korngold, Frank Martin, Mario Castelnuovo-Tedesco, Ralph Vaughan Williams und Benjamin Britten – allesamt Komponisten, die sich die Gattung Lied auf ganz eigene Weise anverwandelten. Im 19. Jahrhundert lassen sich Komponisten wie Schumann, Berlioz, Tschaikowsky, Dvořák und Richard Strauss von Shakespeare zu sinfonischer Instrumentalmusik und grossen Formen inspirieren. Ohne Kohle keine Töne Was zieht die Musiker zum Orpheus unter den Dichtern? Die musikalische Dimension seines Werks klingt aus jeder Zeile. Parameter wie Rhythmus, Form und Brechung werden in der Sprache gleichsam kompositorisch wirksam. Shakespeare schreibt mehrschichtige Bühnenpartituren, die zur Musik hin durchlässig sind. An dramaturgischen Wendepunkten, die durch Metaphern wie Niederlage und Triumph sichtbar werden, tritt die Musik oft an die Stelle des Wortes. Fanfaren schmettern, die Trommel hebt an. Ausserdem kommt der Musik die Rolle des Innehaltens zu – wenn die Gestimmtheit einer Figur bzw. Situation spürbar wer- ZürcherFront Festspiele 06.06.15 02 11.06.12//Nr. Nr.128 133//Seite Seite82 1 / Teil 01 # ! NZZ AG den soll. Die verbindet sich in diesen BÖRSEN UNDMusik MÄRKTE Momenten mit dem Wort in der Lyrik gesungener Investoren auf Lockerungen Lieder undwetten unterbricht die Handlung. Damit Investoren in Funktion den USAder bringen sich zu. kommt ihr die Verfremdung zurzeit in Position, vonsilver», einer wei«Musicians soundumfor bekennen die teren quantitativen Musikanten in «Romeo geldpolitischen and Juliet» und ziehen ab, Lockerung zu profitieren. ohne einen Ton gespielt zu haben. Hier nimmt der Seite 21 Meister der Verstellung die Moral fahrender Spieltruppen aufs Korn, die es auf den Jahrmärkten in Stratford nebst den Akrobaten und Tierschauen zu beobachten gab: Ohne Kohle kein Töne. Das Grollen der frühen Neuzeit wusste Shakespeare einem Seismografen ähnlich zu messen und auf seine Figuren zu übertragen. Wer er selbst war – auch ein Musiker, Wilderer, Pferdeknecht, Page, Singknabe –, inszenierte er in seinen Stücken überzeugender, als sein Tross an Biografen es tat. Zwei Veranstaltungen widmen sich explizit dem Thema: Das Festspiele-Symposium am 19./20. Juni zu Shakespeare in der Instrumentalmusik des 19. Jahrhunderts («If Music be the food of love») sowie das Konzert vom 9. Juli mit Shakespeare-Vertonungen von Barock bis Gegenwart («Shakespeare in Music»).