2 12. Oktober 2012 Thema von Martina Kobiela Raphaël Kilchör ist an zwei Vormittagen in der Woche Buschauffeur in der Stadt Zürich. Er ist verheiratet, zahlt Kirchensteuer und gibt auf offiziellen Dokumenten “katholisch” als Konfession an. Das ist alles richtig. Aber diese Beschreibung könnte kaum weiter von der Realität entfernt sein. 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Todesanzeigen und Vermisstanzeigen (im redaktionellen Textteil): Fr. 2.15 Reklameseite (Spaltenbreite 44 mm): Fr. 2.98; Für Jahresabschlüsse Preisermässigungen Kelsang Gyalchog ist buddhistischer Mönch katholischer Konfession Denn obwohl auf seiner Identitätskarte Raphaël Kilchör steht, heisst der Mann, der mit einem Lächeln die Tür zum Innenhof des Centro Menla in Locarnos Altstadt öffnet, eigentlich Gen Kelsang Gyalchog, aber man solle ihn doch einfach Gyalchog nennen. Er ist der neue Leiter des buddhistischen Kadampa-Zentrums in Locarno, des Centro Menla. Er sieht nicht aus, wie man sich buddhistische Mönche meist vorstellt. Gyalchog ist gross, hat eine hervorstehende Nase und abstehende Ohren. Aber er trägt eine bodenlange rot-gelbe Robe die von einem grellen orangen Gürtel zusammengehalten wird. Was sagen denn Buddhisten aus Asien dazu, wenn sie einen Europäer in der Mönchskutte sehen? Gyalchog meint: “Anfangs finden sie es komisch, dass ein Westler die Robe trägt.” Die Meditationskurse und Vorträge im Centro Menla werden ausschliesslich von “Westlern”, wie er sagt, besucht. Der neue Zentrumsleiter erklärt, dass etwa die Hälfte der Besucher deutsch- und die andere Hälfte italienischsprachig sei. Deswegen ist auch das Angebot im Zentrum zweisprachig. Der Kadampa-Mönch selbst spricht kein Italienisch, seine Vorträge werden übersetzt. Wie es in der Broschüre des buddhistischen Kadampa-Zentrums über den Lehrer Gyalchog heisst, sei er ein Beispiel für die Verbindung eines spirituellen Lebens als buddhistischer Mönch mit einem aktiven westlichen Lebensstil. Moderne westliche Präsentation einer jahrtausendealten asiatischen Lehre Er erklärt, dass die Texte des modernen Kadampa-Buddhismus, wie sie der Gründer der Tradition Geshe Kelsang Gyatso verfasst hat, so geschrieben seien, “damit wir etwas damit anfangen können.” Es sei eine moderne westliche Präsentation der jahrtausendealten asiatischen Lehre: “Es ist ein moderner Buddhismus, den wir in unserem Alltag umsetzen können.” Dazu gehöre, dass nur Mönche und Nonnen äussere Veränderungen, wie das Tragen der Roben und das kurzgeschorene Kopfhaar, vornehmen. Die anderen Besucher der Seminare und Meditationskurse müssten sich nicht anders kleiden oder zum Beispiel vegetarisch essen. “Der KadampaBuddhismus ist für alle nützlich”, betont Gyalchog. Es gehe darum eine andere Sichtweise auf die Welt kennenzulernen. Dazu müsse auch niemand aus der angestammten Kirche austreten. Einige Stunden pro Woche wird der buddhistische Mönch und Zentrumsleiter in Locarno zum Buschauffeur Raphaël Kilchör Das Centro Menla hat einen neuen Leiter, der den Buddhismus der Neuen Kadampa-Tradition lehrt – auf deutsch und mit italienischer Übersetzung DEUTSCHSCHWEIZER MÖNCH IN LOCARNO Genauso wie Gyalchog offiziell noch katholischer Konfession ist. “Unterschiede zwischen Christentum und Buddhismus sind nicht so gross” Dazu meint er einerseits: “die Unterschiede zwischen dem Christentum und dem Buddhismus sind nicht so gross. Beide glauben an das Weiterleben nach dem Tod”, und andererseits zur Kirchensteuer, die er weiterhin bezahlt: “die brauchen auch ein bisschen Unterstützung.” Was ihn persönlich vor ziemlich genau 20 Jahren, als er erstmals in Kontakt mit der Neuen Kadampa-Tradition des Buddhismus kam, von der asiatischen Religion überzeugte, drückt er heute so aus: “Endlich sagte einmal jemand, wie es ist.” Der Buddhismus sei für ihn, im Gegensatz zum Katholizismus, logisch nachvollziehbar. Ähnlich wie er fänden die meisten Anhänger der Neuen Kadampa-Tradition über Meditationskurse oder über Lebenshilfe-Angebote, wie die regelmässigen Vorträge und Tageskurse, zum Buddhismus. Zugang finden viele auch über die Homepage des Centro Menla (www.buddhismo.ch). Die meisten Besucher sind Buddhisten der ersten Generation Tatsächlich seien die meisten Besucher des Zentrums und seines Tempels in der Altstadt Locarnos Buddhisten der ersten Generation. So auch Gyalchogs armenische Ehefrau. Sie sei zwar nicht als Nonne ordiniert, teile aber seinen Glauben. “Sie kommt Ende Oktober auch mit an den Retreat im Wallis.” Doch auch für buddhistische Mönche und Nonnen, erklärt Gyalchog, gelte das Zöllibat. Da er aber bereits verheiratet gewesen sei, als er ordiniert wurde, musste er sich nicht von seiner Frau scheiden. Und so bleibt Gen Kelsang Gyalchog, zölibatär lebender buddhistischer Mönch der Neuen Kadampa Tradition, administrativ weiterhin der verheiratete, katholische Raphaël Kilchör, der an zwei Vormittagen in der Woche beim Zürcher Verkehrsverbund Bus fährt. Die meisten Anhänger des NKT sind Westler Buddhismus ist nicht gleich Buddhismus Globalisierung der Lehre Der Kadampa-Buddhismus entspringt der Lehre des Mahayana Buddhismus, einer der drei grossen buddhistischen Lehren, die sich auf Buddha Shakyamuni beziehen. Er wurde von Atisha, im ersten Jahrtausend nach Christus, gegründet. Atisha war ein indischer buddhistischer Meister, der hauptsächlich für die Wiedereinführung des Buddhismus im Tibet des 11. Jahrhunderts verantwortlich war. In den letzten 30 Jahren ist der KadampaBuddhismus durch den zeitgenössischen buddhistischen Meister Geshe Kelsang Gyatso auf der ganzen Welt in grossem Masse gefördert worden. Indem er die Neue Kadampa-Tradition (NKT) – Internationale Union des Kadampa-Buddhis- mus (IKBU) gründete, hat Geshe Kelsang eine globale Infrastruktur geschaffen, die vor allem in den westlichen Ländern viele Anhänger hat. Die NKT – IKBU ist eine internationale Vereinigung der mahayanabuddhisitischen Studien- und Meditationszentren, welche der Tradition des Kadampa-Buddhismus folgen, wie es in der Broschüre “Moderner KadampaBuddhismus” der Organisation selbst heisst und weiter: “obwohl die LinienGurus der NKT von Je Tsongkhapa bis hin zum Ehrwürdigen Geshe Kelsang Gyatso tibetische Lamas sind, ist die NKT kein tibetischer Buddhismus.” Es sei eine politisch und rechtlich unabhängige buddhistische Tradition. mk Kultur- und Meditationszentren Es gibt drei Hauptrichtungen im Buddhismus: Theravada, Mahayana und Vajrayana. Aus diesen drei Hauptlehren der viertgrössten Weltreligion entspringen unzählige Schulen, Systeme und Zentren. Auch im Tessin sind viele verschiedene Lehren präsent. Der Mahayana Tradition entspringt zum Beispiel der Buddhismus nach der Lehre des japanischen Reformers Nichiren Daishonin aus dem 13. Jahrhundert, wie er bei der Gruppe Soka Gakkai, die ein Kulturzentrum in Lugano unterhält, gelehrt wird. Der VajrayanaTradition entstammt unter anderen der Diamantweg-Buddhismus der Karma Kagyü Linie, dessen Zentrum in Locarno ist, der SanghaBuddhismus Sati Zen des Hauses Tao des St. Gallers Marcel Geisser ist eine der Schulen, die auf der Theravada basieren. Die meisten Zentren berufen sich auf ein tibetisches Erbe, dazu gehören unter anderem: das Centro Shambhala Ticino in Giubiasco, das Centro Lungta in Mergoscia, das Centro Buddhista Tibetano der Tradition Sakya in Arosio im Alto Malcantone, das Centro Kun-Zhi Ling in Agno und das Institut Kalachakra in Massagno. mk