G U N AT U R F Ü H R E R Die wichtigsten Spuren entdecken und bestimmen 10 • TIERSPUREN DIE VIELFALT DER TIERSPUREN Was gehört aber überhaupt zu den Tierspuren dazu? Gibt es grundsätzliche Unterscheidungsmöglichkeiten? Um Antworten auf diese und weitere Fragen zu finden, folgen Sie mir am besten hinaus in die Natur. Begleiten Sie mich – in Gedanken – auf einen Spaziergang durch Feld und Wald. Spuren überall – eine Gedankenreise Zunächst geht es raus aufs Land. Dort machen wir uns zu Fuß auf den Weg. Am Morgen hat es geregnet. Jetzt riecht es nach dem Raps, der gelb blühend auf dem Feld steht und bereits Schoten zu bilden beginnt. Wir gehen in Richtung Wald. Hinter dem Rapsfeld schließt sich bis zum Waldrand eine Wiese an. Den Rand hat der Landwirt frisch gemäht. Warum? Vielleicht hat er eine Rehgeiß mit ihren Rehkitzen gesehen. Das Anmähen und die damit verbundene Unruhe lässt sie ihre Jungen aus der Gefahrenzone führen, sodass die Wiese am nächsten Tag ohne Gefährdung der Tiere weitergemäht werden kann. Bleiben wir eine Weile stehen und lauschen, ob wir den Fiepton des Kitzes hören. Es bleibt still. Plötzlich wird aus dem Wald ein durchdringender Schrei vernehmbar: »rätsch«. Ein Eichelhäher fühlt sich von unserem Näherkommen gestört und setzt seinen Alarmruf laut und deutlich ein. Gespannt gehen wir in den Wald hinein, denn vielleicht sehen wir ihn noch. Doch er hat sich schon in die obere Etage der bereits dicht belaubten Rotbuchen verzogen. Was ist das? Eine Feder – beim Flug nach oben scheint sie der Eichelhäher verloren zu haben. Kein Wunder, denn er beginnt ja gerade mit der Mauser. Im Gebüsch raschelt es hörbar. Doch das Geräusch entfernt sich schnell und mit ihm der Verursacher. Am Wegesrand sehen wir noch die aufgewühlte Erde: das waren Wildschweine. Was sagen uns die Spuren? Vermutlich war hier eine Bache mit ihren Frischlingen unterwegs. Die Spuren gehen kreuz und quer durcheinander – die Anzahl der Jungen ist daher nicht leicht festzustellen. Dass auch ein größeres Schwein dabei gewesen sein muss, zeigen einige deutlich größere Fußabdrücke wie auch die Scheibenabdrücke im umgeackerten Waldboden. Die Nasen der Wildschweine werden in der Jägersprache auch Scheiben genannt. Und damit können sie die Erde gut aufbrechen. Laufen wir doch lieber entlang der Feldflur der Sonne entgegen, das scheint sicherer. Aus luftiger Höhe schallt uns unerwartet ein DIE VIELFALT DER TIERSPUREN Während der Rehbock (li. o.) sichernd im Raps steht, kümmert sich das Eichelhäher-Weibchen um den Nachwuchs (re. o.). Und derweil die Wildschweine (li. u.) in den Einstand ziehen, versucht sich der Feldhase (re. u.) möglichst unsichtbar zu machen vor Fressfeinden. trällender und zirpender Gesang entgegen: unverkennbar ein Feldlerchenmännchen. Auch wenn wir es am strahlend blauen Himmel nicht entdecken können, ist der Gesang eindeutig. Und während wir noch ganz hingerissen lauschen, hören wir ein aufgeregtes Piepsen am Boden. Ist das womöglich eine ganze Mäusefamilie? Tatsächlich entdecken wir einen oberirdischen Gang am Feldrain, der zu einem Höhleneingang unweit des Weges führt. Kaum zurück am Ausgangspunkt, sehen wir im Grünstreifen mehrere trockene, kleine Kotkügelchen. Sie könnten von einem Hasen stammen: Zum einen liegen sie einzeln in losen Grüppchen, zum anderen ist der Rohfaseranteil in den Kügelchen noch erkennbar. Vom Hasen selbst ist nichts zu sehen. Gewiss liegt er schon wieder ganz sicher in einer der Feldhecken, die Löffel – also seine langen Ohren – flach auf den Rücken gelegt. • 11 38 • TIERSPUREN der Winter. Im Herbst finden wir viel reife Samen und Früchte, die stellenweise angeknabbert (Eichhörnchen, Raupen) und angenagt (Mäuse) sind, Baue, in die Laub eingetragen worden ist (Dachs), oder auch alte Nester, die evtl. noch mit Eierschalenresten vom Wind aus den Bäumen geweht worden sind. Im Winter sind es in erster Linie natürlich Spuren von im Winter aktiven Tieren wie unserem heimischen Wild, z.B. den Rehen oder dem Fuchs. Die Suche beginnt von einem zentralen Sammelort aus, an den alle nach einer bestimmten Zeit wieder zurückkehren. Günstig ist es, wenn Sie ein weißes Leintuch dabeihaben, auf das dann alle Fundstücke ausgebreitet und ausgiebig besprochen und von allen begutachtet werden. Haben die Kinder andere interessante Dinge gefunden, die nicht mitgebracht werden sollen oder können, ist es sinnvoll, mit der Gruppe später dorthin zu gehen. Sammelstücke Was könnten Kinder fürs Leintuch sammeln? Einige Beispiele sind: ■ ■ ■ ■ ein angeknabberter (Fichten-)Zapfen eine Feder eine angeknabberte Frucht ein angeknabbertes Blatt GRUPPENSPIEL • Sollen Kinder Dinge wie Baue oder Nester finden, Kot oder Fraßspuren an Pflanzen, geben Sie ihnen am besten farbiges Krepppapier mit. Damit können sie die Fundstellen markieren. Vergessen Sie aber bitte nicht, diese Bänder zum Schluss wieder einzusammeln. Bei einer aufgedrehten Gruppe von Kindern können Sie auch Stimmen sammeln lassen. Wie das geht? Ganz einfach! Rufen Sie die Kinder zum Sammelort und lassen Sie sie rund um das Tuch hinlegen. Die Kinder schließen die Augen oder sollen zumindest ruhig daliegen und in die Natur lauschen. Nach einer von Ihnen vorher festgelegten Zeit, etwa fünf Minuten, setzen sich die Kinder auf und jeder darf erzählen, was er gehört hat. Sie werden erstaunt sein, was Kinder hören oder eben auch nicht. Dieses Spiel ist natürlich nur bei entsprechender Witterung und Kleidung sinnvoll. Egal, was die Kinder finden oder hören: Sie werden alle begeistert bei der Sache sein und ein viel besseres Verständnis für die Zusammenhänge von Spuren und Tieren bekommen. Und zu guter Letzt können Sie die Kinder zumindest die kleineren Fundstücke auf ein Blatt Papier kleben lassen oder etwas daraus basteln. In Form eines selbst gebastelten Waldbildes bleiben die Walderlebnisse auch noch für längere Zeit in Erinnerung. 39 46 • SPUREN 5 cm 2 cm 4 cm 3 cm 8 cm 9 cm FELDHASE (Lepus europaeus) 1 2 3 4 1. WILDKANINCHEN (Oryctolagus cuniculus, Seite 196/197) Die Verwandtschaft zum Feldhasen spiegelt sich auch im Trittsiegel wider. Vier Krallen sind in dem eiförmigen Abdruck zu sehen, allerdings ist dieser deutlich kleiner als bei den Hasen. Meist fehlt ein direkter Vergleich zwischen beiden Spuren, doch hilft bei der Bestimmung die unterschiedliche Lebensweise weiter. Während der Hase ein Einzelgänger ist, leben Wildkaninchen in Verbänden zusammen. Sie werden bei Kaninchen also niemals nur eine einzelne Spur entdecken. Zudem entfernen sich Kaninchen auch nie sehr weit vom schützenden Bau. SPUREN UND FÄHRTEN • 2. FELDHASE (Lepus europaeus, Seite 194/195) In diesem Trittsiegel sind die beiden Vorderbeine eingefasst von den deutlich längeren und kräftigeren Hinterbeinen. Kennzeichnend ist dies für die Ruheposition: Der Feldhase saß und beobachtete die Umgebung. Auffällig ist, dass sich sowohl von den Hinterpfoten als auch von den Vorderpfoten jeweils nur vier Krallen abbilden. Die fünfte Kralle der Vorderpfoten ist sehr kurz. Ist ein Feldhase in Bewegung, werden die Hinterläufe stets vor den Vorderläufen abgesetzt. Man nennt dies Übereilen. In der links abgebildeten Darstellung war der Hase flüchtig und entsprechend schnell unterwegs. 3. WESTEUROPÄISCHER IGEL (Erinaceus europaeus, Seite 198/199) Normalerweise sind Igel nachtaktiv, doch vor allem im Herbst sieht man sie auch tagsüber auf der Suche nach einem Winterquartier. Im feuchten Erdreich sind ihre Trittsiegel dann am besten zu sehen. Der Abdruck lässt erkennen, dass der Insektenfresser seine Füße auch als Werkzeug verwendet. Er hat fünf Zehen, wobei der Daumen meist eher schwach abgebildet wird. Der Vorderfuß ist etwas rundlicher als der Hinterfuß, auch sind hier die Zehen stärker gespreizt. Ein Igel war hier im schnellen Tempo unterwegs, z.B. beim eiligen Überqueren von offenen Fluren. Die Hinterfüße übertreten nur knapp die Vorderfüße. Ist der Igel dagegen auf Futtersuche und pirscht sich langsam vorwärts, verhält es sich umgekehrt: Die Hinterfüße treten kürzer und kommen hinter den Vorderfüßen auf. 4. WASCHBÄR (Procyon lotor, Seite 190/191) Bären sind klassische Sohlengänger und ihre Trittsiegel zeigen die komplette Pfote. Die Vorderpfoten sind mit 4–6 cm Länge kleiner als die ca. 9 cm langen Hinterpfoten. Ihr Ballen ist rundlich und die fünf fingerartigen Zehen sind stark abgespreizt. Die Hinterpfoten dagegen sind birnenförmig. An ihrem dicken Ende stehen die fünf Zehen gerade nach vorne. In der Spur werden die Unterschiede von Vorder- zu Hinterpfote deutlich, da Waschbären ihre Hinterpfoten oft neben die Vorderpfoten absetzen. 47 90 • SPUREN AMSEL (Turdus merula, Seite 168/169) Blaugrün schimmert das Amsel-Ei im Grundton. Das etwa 3 cm große Ei scheint gut getarnt mit seinen feinen, rostbraunen Farbflecken. ELSTER (Pica pica, Seite 176/177) Durch die Vielzahl unterschiedlich großer brauner Flecken geht der weißlich ockerfarbene Grundton fast unter. Mit rund 3 cm Größe ist das Ei deutlich kleiner als das der Rabenkrähen. EICHELHÄHER (Garrulus glandarius, Seite 178/179) Graubraun bis graugrün ist der Grundton des Eis. Die Maserung ist zweigeteilt, denn die Striche und Windungen in schwachen Schlammfarben sind überdeckt von schwarzen Tupfen und Flecken. Das Ei ist spitzoval und etwa 3 x 2 cm groß. SCHWARZSPECHT (Dryocopus martius, Seite 164/165) Die ovalen, weißen Eier erscheinen mit rund 3,5 cm für den großen Schwarzspecht verhältnismäßig klein. FELSENTAUBE (Columba livia, Seite 158/159) Die Eier der Tauben sind reinweiß gefärbt und somit gut angepasst an die natürliche Umgebung. Normal ist eine Größe von rund 4 cm. EIER UND GELEGE • TURMFALKE (Falco tinnunculus, Seite 138/139) Die fast kugelrunden, etwa 4 cm großen Eier der Turmfalken sind heller als die der Wanderfalken. Ihr Rotton geht eher ins Gelbliche, doch dominiert auch hier die rostrote Sprenkelung. RABENKRÄHE (Corvus corone, Seite 180/181) Die Eier machen durch ihre bläulichgrünliche Grundfarbe mit mehrfarbig gesprenkelten Farbpunkten einen stark verschmutzten Eindruck. Graugrüne bis braunschwarze Punkte und Flecken lassen das 4 cm große Ei kleiner wirken. WALDOHREULE (Asio otus, Seite 132/133) Wie bei den meisten Eulenvögeln sind auch die Eier der Waldohreule rundlich weiß. Mit etwa 4 cm Länge sind sie etwas kleiner als die des Waldkauzes. WALDKAUZ (Strix aluco, Seite 130/131) Die Eier sind rundlich geformt und weiß mit einer Größe von ca. 5 cm. Ihre Schale ist uneben bis rau. WANDERFALKE ( Falco peregrinus, Seite 140/141) Die Eier mit erdbraunem Grundton werden von schwarzen und weinroten Flecken überzogen. Sie sind rund 5 cm groß. 91 216 • TIERPORTRÄTS Rotwild Cervus elaphus Der Rothirsch wirft alljährlich – meist von Februar bis April – sein Geweih ab, das kurze Zeit später wieder nachwächst. Die Nachbildung ist nach ca. fünf Monaten abgeschlossen. Im Gegensatz zum Rehwild wird das Geweih mit zunehmendem Alter auch größer und stattlicher. Und anders als bei Hornträgern wie dem Rind bildet sich sein Geweih nicht aus Kalk, sondern aus Knochensubstanz. Es kann 15 kg schwer werden. VORKOMMEN in Europa, West- und Zentralasien, Nordafrika; sehr anpassungsfähig sowohl in waldreichen (Gebirgs-)Gegenden als auch im schottischen Hochland zu finden GRÖSSE Länge ca. 180–210 cm; Schulterhöhe ca. 120–150 cm, Geweihspannweite bis ca. 110 cm ECHTE HIRSCHE • GEWICHT Hirsche bis ca. 250 kg NAHRUNG Pflanzenfresser: Gräser, Kräuter ebenso wie Knospen, Blätter und Früchte wie Kastanien; schält in nahrungsknappen Zeiten Rinde von den Bäumen; Wiederkäuer; Tagesrationen von bis zu 15 kg Grünfutter je Tag LAUTE Brunftige Hirsche röhren laut und vernehmlich, um Nebenbuhler einzuschüchtern; Kälber stoßen bei Wohlbefinden kurze, rhythmische Laute aus. SPUREN Fährte (S. 55), Geweih (S.95), Fraßspuren (S. 113), Exkremente (S. 65) BEOBACHTUNGSZEIT/PAARUNG J F M A M J J A S O N D Typisch Majestätisch schreiten die Rothirsche mit ihren beeindruckenden Geweihen durch Wälder und Wiesen. Der sogenannte König der Wälder ist allerdings ursprünglich ein Bewohner von Offenlandschaften. 217 TIERSPUREN Die wichtigsten Spuren und Fährten entdecken und bestimmen ▶ Eine Expertenauswahl zeigt all die Tierspuren, die Sie in der Natur tatsächlich entdecken und erleben können ▶ Atemberaubende Fotografie und spannende Infotexte ermöglichen einzigartige Einblicke in die Natur ▶ Das handliche Format und der robuste Umschlag eignen sich ideal zur Mitnahme nach draußen WG 422 Naturführer ISBN 978-3-8338-2906-2 PEFC/04-31-1404 € 12,99 [D] € 13,40 [A] www.gu.de