Wobei, liebe Gemeinde – Den Versuchungen widerstehen Gemeindehaus Bangkok 5.3.2017 11.00 Uhr Evangelium / Predigttext: Matth.4,1-11 Lieder: EG 347,1-6; EG 361,1-2+5; EG 361,7-8 Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Amen. Liebe Gemeinde Jesus geht in die Wüste fastet 40 Tage und Nächte begegnet dem Teufel ... Das ist eine fremde, sperrige Geschichte die uns das Evangelium des heutigen Sonntags zumutet. Was sollen wir damit anfangen? Was kann uns diese Geschichte helfen in unserem Alltag? Und was ist das für eine Art von Religion, von Frömmigkeit die uns da begegnet – in die Wüste gehen, fasten, dem Teufel begegnen? Das klingt verrückt, vielleicht sogar sektiererisch, okkultististisch. Und Jesus hat so etwas gemacht? Wenn wir zurückblicken in die Geschichte des Christentums dann werden wir noch mehr Menschen entdecken die ihren Glauben zeitweise so radikal gelebt haben mit Fasten und Meditation, in der Wüste in den fremden, lebensfeindlichen Bereiche dieser Welt. Invokavit I Matth.4,1-11 Predigt 5.3.2017 Bangkok - wer sich ein bisschen auskennt mit der Lebensgeschichte des Gautama Buddha der wird an dieser Stelle überraschende Ähnlichkeiten entdecken. Denn auch vom Gautama Buddha wird berichtet, dass er auf dem Beginn seines geistlichen Wegen gefastet hat – und das so drastisch, dass er daran fast gestorben wäre. Und dass er gerade in diesem Fasten eine wichtige Entdeckung machte, die er den „mittleren Weg“ nannte: es nutzt nichts, es ist vielleicht sogar eine bedrohliche Versuchung, die Erleuchtung, oder das Heil des Lebens erzwingen zu wollen. Aber was hat das nun mit uns normalen Menschen zu tun? Es wird doch wohl nicht allen Ernstes erwartet, dass wir diese radikalen Fastenwege Jesu oder des Buddha in unser Leben übernehmen? Vielleicht doch. Die meisten Religionen dieser Welt kennen Fastenzeiten. Auf was da jeweils an Essen und Trinken verzichtet wird, kann sehr verschieden sein. Aber dass Fasten ein Teil gelebter Religion ist, diese Überzeugung wird uns immer wieder begegnen. Und im übrigen: Wir sind ja schon wieder mittendrin. In der Fastenzeit der Christen. Auch, wenn wir hier in Thailand das ganze Karnevalsspektakel in Deutschland nur noch sehr von Ferne wahrnehmen – dieses Spektakel läutet seit alter Zeit bei den Christen eine Fastenzeit ein. Sieben Wochen lang. Bis Ostern. Kein Alkohol. Keine Süßigkeiten. Kein Fleisch. Das sind die Klassiker beim Fasten. Aber ist das nicht altmodisch? Haben wir das denn nötig, zu verzichten, wo wir doch alles haben? Was soll das denn bringen? Und ist das, wenn überhaupt nicht eher eine Sache für Katholiken? Liebe Gemeinde, der Trend – auch außerhalb der Kirchen – läuft zumindest in Mitteleuropa in die andere Richtung: Fasten ist wieder in. Fastenkurse, Fastenurlaub, Fastenkliniken – alles das boomt. Übrigens auch in der evangelischen Kirche: Seit mehr als 30 Jahren gibt es nun schon die Aktion „7 Wochen ohne“: Freiwillig verzichten auf Alkohol, Rauchen oder Fleisch, oder auf Autofahren, auf Computer und Internet. Und in der letzten Gemeinde in Deutschland, in der meine Frau und ich gearbeitet haben, haben wir seit mehr als 10 Jahren Menschen zu einer gemeinsamen Fastenwoche eingeladen – eine Woche auf feste Nahrung zu verzichten. Und dasselbe haben wir – mit wenigen Interessierten – auch schon hier in Bangkok praktiziert. auf der einen Seite spüren sie plötzlich, wovon sie sich abhängig gemacht haben in ihrem Leben wonach sie vielleicht sogar schon süchtig geworden sind ohne es zu wissen. und auf der anderen Seite merken sie dass sie auch ungeahnte Kräfte entwickeln können dass sie plötzlich eine große innere und äußere Freiheit und Leichtigkeit und Klarheit verspüren. Erinnern wir uns noch einmal an das Evangelium, dass wir vorhin gehört haben: Jesus geht in die Wüste, fastet 40 Tage und Nächte Der Zeitpunkt seines Fastens ist nicht zufällig. Jesus fastet, bevor er unter die Menschen geht bevor er loszieht, um den Menschen Gottes Nähe zu verkündigen. Jesus hatte wohl vorher schon einige Zeit in der Gemeinschaft um Johannes dem Täufer mitgelebt. Und dann war er von Johannes getauft worden und hatte erlebt, dass der Geist Gottes wie eine Taube auf ihn herabgekommen war – so jedenfalls wird es im Matthäusevangelium unmittelbar vor unserem Predigtext erzählt. Und dieser Geist Gottes so heißt es dann zu Beginn unseres Predigttextes dieser Geist Gottes treibt Jesus in die Wüste – damit er vom Teufel versucht würde. Liebe Gemeinde, noch einmal die Frage – was soll das bringen? Menschen, die sich freiwillig auf das Verzichten einlassen machen immer wieder eine doppelte Erfahrung: Invokavit I Matth.4,1-11 Predigt 5.3.2017 Bangkok - Liebe Gemeinde das klingt fremd, schockierend. Aber ich glaube, es ist gar nicht so schwer zu verstehen. Sie haben das alle schon erlebt: Sie waren total begeistert – von einer guten Sache, von einem tollen Menschen von einem Superstar, von einer Fußballmannschaft vielleicht auch schlicht vom bunten Karnevalstreiben und Sie haben alle Kraft und Zeit und viel Gefühl in diese Begeisterung gesteckt und irgendwann sind sie plötzlich ernüchtert aufgewacht mit der Frage: was habe ich da eigentlich gemacht? war ich da noch recht bei Sinnen? Die ältere Generation in Deutschland hat eine solche Ernüchterung auf ganz schmerzhafte Weise erlebt: Millionen von Menschen hatten ihm zugejubelt alle Hoffnungen auf ihn gesetzt - auf den großen Führer und dann, in den Trümmern des zweiten Weltkrieges Stück um Stück die Ernüchterung, die Scham und auch die Ausreden – was haben wir da getan? Und das Fasten ist einer der Wege das herauszubekommen das zu unterscheiden was wirklich wichtig und nötig ist zum Leben und was überflüssig ist, Ballast, Selbsttäuschung, Missbrauch und Sucht. Liebe Gemeinde, Und der Versucher trat zu Jesus und sprach: Wenn du wirklich Gottes Sohn bist, dann mach aus Steinen Brot. Wer oder was ist dieser Versucher? In unseren Bibelübersetzungen taucht die Bezeichnung „Teufel“ auf – und in unseren Köpfen tauchen wahrscheinlich dazu die mittelalterlichen Teufelsbilder auf mit Hörnern und Pferdefuß. Aber diese Bilder sind eher hinderlich. Sie machen uns glauben, dass sich da ein guter Jesus und ein böser Teufel gegenüberstehen und dass der böse Teufel bekämpft, vernichtet werden muss. Liebe Gemeinde, Jesus geht in die Wüste, fastet 40 Tage und Nächte Jesus lässt sich nicht berauschen von der Kraft Gottes, die er in sich spürt. Die Bibel ist da viel vorsichtiger in ihren Aussagen: in der hebräischen Sprache heißt der Versucher „Satan“ – das heißt: der Verkläger Es muss sich noch klären, was ihn da erfüllt. Jesus muss sich wie jeder Mensch, der von Gottes Geist ergriffen ist den Versuchungen stellen der dunklen Seite dieser Macht. Invokavit I Matth.4,1-11 Predigt 5.3.2017 Bangkok Und dass vielleicht die Lösung aller Probleme dieser Welt ist, dass endlich die Bösen und die Teufel heute ausgerottet werden: der Kommunismus, der Islamismus, der Kapitalismus, die Juden … And then we will be great again! - Der Satan, das ist die immer wieder bohrende Frage: „sollte es wirklich so sein“ „sollte es wirklich so sein, dass wir Menschen Grenzen haben? dass wir nicht vom Baum des Lebens essen dürfen, dass wir nicht alles das tun dürfen, was die Technik heute möglich macht? „sollte es wirklich so sein?“ dass es keine einfachen und schnellen Lösungen gibt wo doch nicht wenige Menschen die Nase voll haben von all dieser neumodischen Globalisierung? „sollte es wirklich so sein?“ Und diese bohrende Frage lässt sich nicht einfach erledigen. Sie zwingt uns ja auch, genau hinzusehen immer weiter zu suchen, zu entscheiden, uns zu entwickeln ... Komm, Jesus, nimm sie dir, die Macht! Komm, wenn du wirklich Gottes Sohn bist – spring vom höchsten Turm des Tempels, flieg mach dir keine Gedanken über die Landebahn. Warum klein und unbedeutend bleiben du könntest ein Superstar sein. Alle würden dich bewundern. Und über den Preis reden wir später … Komm, Jesus, nimm sie dir, die Macht! Komm, wenn du wirklich Gottes Sohn bist – übernimm die Weltherrschaft. Aber dann hat der Verkläger in der Bibel noch eine weitere Bezeichnung. in der griechischen Sprache heißt er: diabolos – das heißt: der Verwirrer, der, der alles durcheinander bringt. Rotte endlich das Böse aus in dieser Welt mit dir wird das Gute siegen. Freedom and Democracy für alle! „Sollte es wirklich so sein ...“ Der Verwirrer verändert die bohrende Frage – sie dient nicht mehr der Klärung. Komm, Jesus, wenn du wirklich Gottes Sohn bist – „Sollte es wirklich so sein ...“ Wenn es sowieso keine feststehenden Wahrheiten mehr gibt dann zählt nur noch: die Macht. Und die Wut. Und: Kommt, ihr Christen, wenn euer Glaube etwas taugt, dann beweist das jetzt! Wollt ihr nicht? Oder könnt ihr nicht? Komm, Jesus, nimm sie dir, die Macht! Liebe Gemeinde Komm, wenn du wirklich Gottes Sohn bist – mach aus Steinen Brot. Warum hungern, warum warten, warum leiden – es gibt doch eine schnelle Lösung. Sende 140 twitter-Zeichen – und alles wird anders! Augen zu und durch – und was danach kommt, das wird sich finden … nicht nur Jesus steht in der Versuchung. Invokavit I Matth.4,1-11 Predigt 5.3.2017 Bangkok - In dieser Wüstengeschichte sehen wir auch in den Spiegel unseres eigenen Lebens und in den Spiegel dessen was tagtäglich in dieser Welt geschieht. Und wie Jesus ahnen und wissen wir: Wir haben die Freiheit, „nein“ zu sagen. diese Welt und wir selbst brauchen Erlösung und Heilung – aber das kommt nicht durch den großen Donnerschlag von oben Wir haben die Freiheit, uns nicht anstecken zu lassen von der großmäuligen Volksverdummung durch die neuen starken Männer – egal, ob sie nun auf irgendeine Weise gewählt wurden oder auf anderen Wegen an die Macht gekommen sind. diese Welt und wir selbst brauchen Hoffnung und Visionen aber das kommt nicht durch Superstars und Mega-Events diese Welt und wir selbst brauchen Gerechtigkeit und Frieden – aber das kommt nicht durch selbsternannte Weltherrscher. Liebe Gemeinde, Da sprach Jesus zu dem Versucher: Weg mit dir! Denn es steht geschrieben: „Du sollst anbeten den Herrn, deinen Gott, und ihm allein dienen.“ Zu jedem ordentlichen Training gehört übrigens dass man nicht zu viel auf einmal versucht. Ich wünsche Ihnen offene Augen und ein gutes Gespür für Ihre eigenen Versuchungen. Sie kennen sie. Sie wissen, wovon die Rede ist. Und ich wünsche Ihnen den Mut, „Nein“ zu sagen – zumindest in den kommenden sieben Wochen. Jesus trifft Entscheidungen. Er spürt die Versuchungen, in aller ihrer Macht – und weist sie zurück. Da verließ ihn der Versucher. Und es traten Engel zu Jesus und dienten ihm. Die Versuchung Jesu ist nicht grenzenlos. Auch unsere alltäglichen Versuchungen haben ihre Grenzen. Wir haben neben allen Zweifeln und persönlichen Eitelkeiten auch einen freien Willen und eine Verantwortung. Invokavit I Matth.4,1-11 Predigt 5.3.2017 Bangkok Und die Fastenzeit ist ein Angebot, das zu trainieren: „nein“ zu sagen. - Und ich wünsche Ihnen die Erfahrung die Jesus im Fasten gemacht hat, und nach ihm vielen andere: dass irgendwann die Versuchung zurückweicht und die Landebahn frei wird für die Engel an unserer Seite für die Kräfte des Lebens, die uns wirklich nähren und schützen. Und der Friede Gottes, der größer ist als alle Vernunft bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen. Ulrich Holste-Helmer