Halbgötter unserer Zeit

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Magie des Geldes
Halbgötter unserer Zeit
Draghi, Yellen, Jordan: Nur selten wird man aus den
Verlautbarungen der Zentralbankenchefs klug.
Wortreich verhüllen sie ihre Ratlosigkeit angesichts der
immer noch spürbaren Effekte der letzten Finanzkrise.
Mit einer erfrischenden Ausnahme. Von Andreas Höfert
D
ie Faszination, die Zentralbanker auf die
Medien und das Publikum ausüben, ist
nicht neu. Als Alan Greenspan noch als Chef
der US-Notenbank «wütete», versuchten die
Journalisten, aus der Breite der Aktentasche
des «Maestros» die mögliche Ausrichtung der
US-Geldpolitik abzuleiten. Beim inzwischen
verstorbenen Wim Duisenberg erinnere ich
mich an die imposante wuschelige Mähne wie
auch an seine vielen rhetorischen Ausrutscher.
«Wim redet, verkauft den Euro!», war damals
der Schlachtruf der Währungshändler.
Heute sind die Persönlichkeiten ein wenig
farbloser (zumindest empfinde ich sie so), aber
seit der Finanzkrise 2007/08 sind sie noch
wichtiger geworden. Man kann sogar behaupten, dass noch nie in der Geschichte westlicher
Demokratien nicht vom Volk gewählte Personen so viel Macht auf sich vereint haben wie
die Zentralbanker heute. Sie sind zu Halbgöttern unserer Zeit avanciert.
vorerst nichts, lässt der Zeit die notwendige
Zeit. Der erste Zinsschritt nach oben wird frühestens Mitte 2015 stattfinden und davon abhängen, wie sich der Arbeitsmarkt entwickelt.
Mario Draghi, der Präsident der Europäischen
Zentralbank (EZB), hat einmal mehr lang­atmig
zu den strukturellen Ursachen der Arbeitslosigkeit in Europa doziert. Nichts wirklich Neues gegenüber der Botschaft, die er beim vergangenen
offiziellen Zinsentscheid der EZB vermittelt hatte: «Es ist ziemlich klar, dass die Länder, die ein
glaubwürdiges strukturelles Reformprogramm
Der Prophet spricht erneut
Olymp in den Rocky Mountains
Wie es sich für Halbgötter gehört, haben auch
Zentralbanker einen Olymp, und zwar in den
Rocky Mountains: Jackson Hole, im Bundesstaat Wyoming. Dort treffen sie sich mit Akademikern einmal pro Jahr Mitte August zum
Symposium. Marktteilnehmer warten dann
gebannt auf die guten Worte aus dem «Davos
der Zentralbanker». Doch auch dieses Jahr hat
der Berg nur eine Maus geboren.
Der Titel der jüngsten Zusammenkunft
­lautete «Neueinschätzung der Dynamik am
Arbeitsmarkt». Die Konferenzteilnehmer
suchten Antworten auf die Frage, warum es
fünf Jahre nach der grossen Rezession von
2008/09 mit dem Arbeitsmarkt in den USA
harzt, wenn auch die Lage nicht derart dramatisch ist wie in der europäischen Peripherie.
Janet Yellen, die Vorsitzende der Federal Reserve (Fed), der US-Notenbank, beeindruckte
mit ­einer zweiseitigen Ökonomennummer des
Nichtssagens, getreu dem unter Volkswirten
traditionellen «einerseits . . . andererseits». Einerseits gibt es strukturelle Elemente, die erklären, warum die Arbeitslosigkeit in den Vereinigten Staaten trotz ultraexpansiver
Geldpolitik sehr hoch bleibt. Andererseits gibt
es aber auch zyklische Erklärungselemente, die
rechtfertigen, dass man es nicht eilig hat, an
der Geldschraube zu drehen. Also ändert man
Weltwoche Nr. 40.14
Bild: Chiara Goia (NYT, Redux, Laif)
kurzem verantwortlich für Europa beim Internationalen Währungsfonds, mittlerweile wieder
vogelfrei, brachte es jüngst im Londoner Daily Telegraph auf den Punkt: «Reformieren, wie man es
immer wieder von den europäischen Eliten hört,
ist inhaltsloses Wunschdenken. Die Struktur des
deutschen Arbeitsmarktes unterscheidet sich
kaum von derjenigen des italienischen. Es ist genauso schwierig in Deutschland wie in Italien,
Arbeitnehmer einzustellen oder zu feuern.»
Man sieht: Diejenigen, die gehofft hatten,
die Fed oder die EZB würden wichtige Informationen zu ihrer Geldpolitik geben – so wie
dies 2012 der Fall war, als Fed-Chef Ben Ber­
nanke auf eine neue Runde quantitativer Lockerung hindeutete –, wurden enttäuscht.
Schlusswort: Raghuram Rajan.
gestartet haben, besser – ja sogar deutlich besser
– funktionieren als diejenigen Länder, die dies
nicht oder nur im geringen Masse getan haben.»
Folgen Sie meinem Blick. Wenn Frankreich stagniert und Italien mittlerweile in der dritten Rezession seit 2008 steckt, dann hat dies nichts mit
Geldpolitik zu tun, sondern nur mit der Abwesenheit von Reformen.
Reformen hier, Reformen dort. Gibt es wirklich keine andere Erklärung für die verstörende
Tatsache, dass Italien mittlerweile ein reales
Bruttoinlandprodukt hat, das tiefer ist als im
Jahr 2000 (mit anderen Worten fast fünfzehn
Jahre Stagnation kennt)? Ashoka Mody, bis vor
Es war aber auch kein fürchterlicher Jahrgang
wie derjenige von 2005, dem berühmt-berüchtigten Abschiedstriumph von Alan Greenspan.
Nur eine Person wagte es seinerzeit, den euphorischen Konsens zu brechen, indem sie vorauswissend die immer grösser werdenden Risiken
des Finanzsystems hinterfragte. Damals allseits
verhöhnt, bleibt Raghuram Rajan, mittlerweile
der Zentralbankpräsident Indiens, einer der
­äusserst seltenen Ökonomen, welche die Finanzkrise tatsächlich vorausgesehen haben.
Deshalb gehören die Schlussworte ihm. Er
hat sie nicht am diesjährigen Jackson-HoleSymposium gesagt, wo er leider nicht auf der
Gästeliste stand, sondern ein paar Tage davor
in einem Interview mit der Financial Times:
«Enorme Verantwortungen sind den Zentralbankern übertragen worden, hauptsächlich
um die Mängel des politischen Systems zu
kompensieren. Meine Besorgnis ist, dass wir
nicht genügend Werkzeuge haben, um diese
Verantwortung zu tragen, dies jedoch nicht
zugeben wollen. Deshalb wetzen wir die existierenden Werkzeuge durch, und dies kann zu
mehr Risiko im System führen.»
Endlich ein Zentralbanker, der bescheiden
(oder naiv) genug ist, zuzugeben, dass wir keine überzeugenden Lösungsansätze zu den
derzeitigen Konjunkturproblemen haben.
Und dass trotz enormer Macht nur sehr wenig
wirklich unter Kontrolle ist.
Andreas Höfert ist Chefökonom des UBS Wealth
­Management.
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