MARCELO DA VEIGA AUFTRAG VERUNSTERBLICHUNG Wo Wirtschaft die Zeichen der Zeit erkennt, widmet sie sich der Spiritualität. Sie stellt sich einem Kulturauftrag. Mit Spiritualität kann man in der Wirtschaft nicht reüssieren – oder doch? Lassen Sie mich zunächst vergegenwärtigen, unter welchen Vorzeichen wir heute Wirtschaft betreiben. Eine Äußerung von Bundeskanzlerin Angela Merkel gegenüber dem Norddeutschen Rundfunk am 25. August brachte den Leitwert der westlichen Zivilisation wieder einmal auf den Nenner. Ziel ihrer täglichen Arbeit sei es, «dass wir unseren Wohlstand erhalten können und mehren können». Der materielle Wohlstand ist das oberste Ziel, und dafür brauchen wir eine entsprechende Wirtschaft. Ein entscheidender Erfolgsfaktor für die allgemeine Wohlstandsmehrung durch Wirtschaft war eine folgenreiche soziologische Veränderung im Übergang vom industriellen zum Informationszeitalter: Der Handarbeiter von früher ist im Laufe des 20. Jahrhunderts zunehmend abgelöst worden vom neuen Typ des ‹Knowledge worker›, des Wissens- oder Kopfarbeiters. Die USA waren auf diesem Gebiet die Vorreiter. Mit diesem Wandel hat sich auch das moderne Management entwickelt, das neben dem technologischen Fortschritt im hohen Maße zur Effizienzsteigerung in der Wirtschaft geführt hat. Im Sinne Rudolf Steiners lässt sich die Funktion des Managements als Wertschöpfung beschreiben, die dadurch entsteht, dass Geist (Intelligenz) auf Arbeit angewendet wird. In der Literatur wird, nebenbei bemerkt, das Aufkommen des Managements in den USA als wichtiger Faktor für den Erfolg der Alliierten im Zweiten Weltkrieg verantwortlich gemacht, insofern dadurch die Produktion der Rüstungsgüter enorm beschleunigt werden konnte. Allerdings: Wenn Management zunächst nur bedeutet, die Dinge richtig zu machen – «management is doing things right» –, dann gibt es, folgt man dem ManagementPionier Peter Drucker, noch eine komplementäre Fähigkeit: leadership. «Leadership is doing the right things.» In all diesen Entwicklungen werden Erkenntnis und Wissen beziehungsweise das Thema Bildung immer wichtiger. ‹Die Zeit› brachte es 2006 auf den Punkt: «Wer die Bildungsmisere in Schulen und Kindergärten überwinden will, braucht die Hilfe der Wirtschaft. Sie hat das Geld und das Know-how. Schon der Blick auf die Arbeitslosenstatistik zeigt: Wer ungebildet ist, hat kaum Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Und Bildung entscheidet auch über die Chancen der ganzen Volkswirtschaft. Tendenziell gilt: Die Wachstumsraten der Länder, in denen gut gelernt und gut gelehrt wird, sind höher.» Das bedeutet die Instrumentalisierung der Bildung und zugleich den Offenbarungseid der Pädagogik. Der Geist (Intelligenz) wird zum Wettbewerbsvorteil und zum Mittel, materiellen Wohlstand, Reichtum und Macht zu sichern, und verliert so seinen Eigenwert und sein Potenzial, Gesellschaft und Wirtschaft zu gestalten und zu korrigieren. Unter den Bedingungen eines globalisierten Wettbewerbs genügt allerdings auch dies noch nicht. Unentbehrliches strategisches Instrument in einer globalisierten Wirtschaft ist inzwischen das Marketing geworden. Der stetig wachsende Stellenwert des Marketings zeigt sich nicht zuletzt darin, dass Unternehmen neben dem Geschäftsführer (CEO) zunehmend auch einen Marketingleiter (CMO) haben. Marketing ist der Bereich der Wirtschaft, der es am stärksten mit den Veränderungen von Individuen und Gesellschaften zu tun hat. Es ist daher auch nicht verwunderlich, dass ausgerechnet in der Marketingtheorie neuerdings ganz neue Töne zu hören sind. Der einflussreiche Marketingpapst Philip Kotler diagnostiziert im Rückblick auf die letzten 60 Jahre drei große Sprünge in der Entwicklung des Marketings. In der ersten Phase, dem Marketing 1.0, steht das Produkt, von dem es oft nur ein einziges gibt, im Vordergrund. Ein Produkt befriedigt grundlegende Bedürfnisse (needs), etwa Durst und Fortbewegung. In einer zweiten Phase entsteht Produktvielfalt, die stärker die Wünsche (wants) der Verbraucher anspricht und daher den Verbraucher fokussiert. Es gibt nicht nur Wasser und schwarze Autos (Ford), es gibt auch Limonaden, und die Autos bekommen Farbe – das emotionale Marketing 2.0 ist geboren. In der Gegenwart kommen nach Kotler aber zunehmend spirituelle Aspekte zum Tragen. Mehr und mehr wird der moderne Lifestyle auch von der Reflexion darüber, wie man eigentlich leben will, geprägt. Nach Kotler zeigt das, dass Verbraucher mehr und mehr nach Lösungen für ihre Sorgen um eine bessere Welt verlangen. Um im Beispiel zu bleiben: Die Limonade muss nicht nur süß schmecken, sondern auch in Bioqualität hergestellt werden, und das Auto soll nicht nur schnell und bequem, sondern zusätzlich noch umweltfreundlich und nachhaltig sein. Werte (values) kommen ins Spiel, und ein neues Marketing wird nötig, das das geistige Bedürfnis nach diesen Werten erfüllt. Marketing 3.0 wechselt daher den Fokus vom Verbraucher zum «human spirit» und ergänzt die emotionale Dimension der Konsumentenwünsche um eine Rücksicht auf die geistigen Bedürfnisse des Menschen. Kotler geht so weit zu behaupten, dass es zukünftig keine Wirtschaft ohne Spiritualität geben wird. DAS GOETHEANUM 39~40 | 1. Oktober 2011 9 Nun wird der Begriff der Spiritualität bei Kotler jedoch nicht groß diskutiert, sondern einfach als Tatsache konstatiert. Das führt natürlich schnell dazu, dass Spiritualität lediglich als Wellnessprogramm missverstanden wird, um gestresste Manager wieder fit zu machen. Oder um die Produktivität der Mitarbeitenden besser auszubeuten. Rudolf Steiner beschreibt indessen in seiner ‹Theosophie› (GA 9) zunächst, dass die moderne materielle Kultur auf den «Diensten, die das Denken der Empfindungsseele leistet», gründet. Die «Denkkraft», «die Schiffe, Eisenbahnen, Telegrafen, Telefone gebaut hat», ist hier ein Instrument, das als Verstandesseele eigentlich die Bedürfnisse der Empfindungsseele bedient. Davon unterscheidet er den Geist, der als Eigentätigkeit der Seele und als in sich selbst ruhender und eigengesetzlicher Inhalt beschrieben wird. Die Seele, die den Geist als Eigengesetzlichkeit in sich entdeckt, verbindet sich mit dem Dauernden und Ewigen und wird so zur Bewusstseinsseele. Moderne Spiritualität im Sinne Steiners ist daher die mit der Bewusstseinsseele beginnende Fähigkeit zum selbstständigen Erfassen des Geistes und zum Handeln aus dem Geist und nicht bloß das verstandesseelische Handeln mittels des Geistes. Werte, die als Wert in sich selbst erlebt werden, verändern die bloßen «wants» und verlangen daher auch nach Produkten und Dienstleistungen, die anderen Maßstäben wie Nachhaltigkeit, Fair Trade und dergleichen genügen. Wer den Geist nicht benutzt, um schlauer zu sein als andere und sich mit seiner Intelligenz Vorteile zu verschaffen, sondern vielmehr versucht, sich erkennend mit dem Geist zu durchdringen, um aus dem Geiste schöpfend das für die Welt und die Wesen Richtige zu tun, strebt nicht wie die verstandesseelische Zivilisation bloß nach dem Überleben. Vielmehr sieht er sich in einem irdisch verankerten Bildungsprozess, der zur ‹Verunsterblichung›, also zur Überwindung des bloßen Dienstes an den materiellen Bedürfnissen, wird. Im neuen Zeitalter der Spiritualität wird so der Geist Ziel und Impulsgeber eines umfassenden Kulturprozesses. Kotler scheint diese Qualität in seiner Marketingtheorie zu bemerken: Am Interesse dafür, wie eine Dienstleistung oder ein Produkt zustande kommt, drückt sie sich aus. Sie kommt ferner auch darin zum Ausdruck, dass sich Konsumenten über ihre Beobachtungen, Werte und Erwartungen austauschen – neuerdings auch etwa via Twitter oder Youtube, soziale Instrumente also, die ihrerseits ursprünglich häufig zunächst nur im Dienst des konventionellen Marketings stehen. Die Konsumenten gewinnen da- 10 DAS GOETHEANUM 39~40 | 1. Oktober 2011 durch einen Einfluss, der Unternehmen zum Umdenken zwingen und die wirtschaftliche Realität ändern kann. Denn diese kommen, nach Kotler, um die Auseinandersetzung mit bestimmten überpersönlichen Werten nicht mehr herum. In solchen Formen des werteorientierten Austauschs kann man ein Interesse am Denken als Ausdruck der Bewusstseinsseele sehen: Die Menschen interessieren sich für die Umformung der Gegebenheiten durch Geist, der diesem Prozess die Richtung gibt. Anders als im Darwinismus, der das physische Überleben der Gattung zum obersten Ziel aller Strebungen, und letztlich auch aller wirtschaftlichen, erklärt, liegt hierin mehr, nämlich ein spirituelles Kulturideal. Wenn man sich im Sinne dieses Ideals fragt, wofür wir leben und wirtschaften, dann lautet die Antwort schlicht: für die schrittweise Umwandlung und Befreiung des Menschen in Richtung Unsterblichkeit. Eine Wirtschaftsordnung, die dies versteht, wird konsequenterweise auch ihr Verhältnis zu Kultur- und Bildungseinrichtungen überdenken und auf die gegenseitige Verantwortung füreinander befragen. Sie wird von Bildung nicht mehr nur die Zufuhr von technischem Know-how erwarten und Kultur als Subventionsempfängerin verstehen, sondern Bildung und Kultur als Quelle spiritueller Richtkräfte respektieren, mit deren Hilfe ein wirtschaftliches Handeln aus dem Geist statt bloß mittels des Geistes möglich wird. Wer nur wissen soll, wie man die Dinge richtig macht, für den genügt es, zum Manager ausgebildet zu werden. Erst der aber, der dabei auch zum aus Erkenntnis handelnden ‹Wirtschaftskünstler› wird, kann wirkliches Leader- und Entrepreneurship für sich beanspruchen, denn er versucht, zuerst zu wissen, welche Dinge die richtigen sind. Literatur: Philip Kotler et al.: Principles of marketing. 5th European Edition. Essex: Pearson Education, 2008. Marcelo da Veiga ist Professor für Bildungsphilosophie und verantwortlich für die Einführung des Studiums der Betriebswirtschaftslehre an der Alanus-Hochschule für Kunst und Gesellschaft, die er zugleich als Rektor leitet. Der vorliegende Beitrag ist eine gekürzte Fassung seines Vortrags bei der Tagung ‹Spiritualität im Unternehmen› am 1. September am Goetheanum.