Sündiger Sonntagsbraten

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Tages-Anzeiger – Dienstag, 4. Mai 2010
Wissen
Sündiger Sonntagsbraten
Der weltweite Fleischkonsum wächst stetig, obwohl die Produktion von Steaks und Poulets die Umwelt weit stärker belastet
als die Gewinnung anderer Nahrungsmittel. Das Erstaunliche: Tierfabriken produzieren Fleisch klimaschonender als Kleinbauern.
Von Hans-Martin Brandt
Anna ist 22, studiert Biochemie mit
Schwerpunkt Umweltschutz und isst
kein Fleisch. Ihr Freund Peter ist 24 und
Physiker, der einen Master-Studiengang
zur Windenergie absolviert. Auch er ist
Vegetarier. Die beiden handeln aus
ethischer Überzeugung – aber Mitleid
für Tiere treibt sie nicht an. «Uns geht es
um die Umwelt», sagen sie. «Wer etwas
gegen Klimaerwärmung tun will, sollte
kein Fleisch essen.»
Sonderlich weit verbreitet ist die
Ansicht, dass Fleischkonsum dem Klima
schadet, bisher aber noch nicht. Dabei
sind die Fakten seit Jahren bekannt. Die
landwirtschaftliche Tierhaltung ist für
18 Prozent aller Treibhausgase verantwortlich – für mehr als das Transportwesen. Bei der Tierhaltung wird
nicht nur CO2 freigesetzt. Die Verdauung von Rindern produziert grosse
Mengen Methan, das 23-mal stärker zur
Erderwärmung beiträgt als CO2. Im Kot
von Tieren sind Stickoxide enthalten,
welche die 296-fache Wärmewirkung
haben. Forscher haben errechnet, dass
bei der Produktion eines halben Kilos
Rindfleisch so viel Klimagase entstehen
wie bei einer 35 Kilometer langen Fahrt
mit einem Mittelklassewagen (siehe
Grafik). Die Gewinnung der gleichen
Menge an Kartoffeln macht mit demselben Auto gerade mal die Fahrt zum
nächsten Einkaufszentrum aus, nämlich 600 Meter.
Riesiger Landverbrauch
Zudem «fressen» Nutztiere Land: 80
Prozent der landwirtschaftlichen Fläche werden für die Fleischproduktion
sind Geflügel und Schweine geeignet,
die mit Getreide gefüttert werden. Die
sogenannte Konversionsrate bei Geflügel liegt bei 1,6, das heisst, für die
Produktion von einem Kilogramm Hühnerfleisch sind 1,6 Kilogramm Futter
notwendig. Bei Rindern, die vor allem
Gras fressen, beträgt die Konversionsrate 7. «Die Nutzungseffizienz von Getreide in der Tierhaltung ist in der Vergangenheit ständig gewachsen», sagt
FAO-Experte Jutzi. «Doch man wird irgendwann an Grenzen stossen.»
Cervelat und Braten als Luxus
Die Rindfleischproduktion setzt so viele Treibhausgase frei wie kein anderes Lebensmittel. Foto: Oberhäuser (Caro, Keystone)
genutzt. Und der Landfrass geht weiter.
«Der treibende Faktor für die Abholzung des Regenwalds ist die Expansion
der Nutztierhaltung», sagt der Schweizer Samuel Jutzi, Leiter der Abteilung
Klimabelastung von Nahrungsmitteln
Vergleich des durchschnittlichen Ausstosses von Klimagasen (in CO2-Aequivalenten) bei der
Produktion von 500 Gramm eines Nahrungsmittels und Umrechnung in die Wegstrecke eines
Mittelklassewagens.
klassewagens.
Nahrungsmittel
rungsmittel Wegstrecke eeines Mittelklassewagens (Verbrauch: ca. 9 l/100 km)
fel
feln
Kartoffeln
0,60 km (0,316 kg CO2-Aeq.)
Äpfel
0,71 km (0,365 kg CO2-Aeq.)
Spargeln
rge
rgeln
0,96 km (0,486
(0,4 kg CO2-Aeq.)
Huhn
Huhn
Huhn
2,59 km (1,3
(1,337
1,337 kg CO2-Aeq.)
Schwein
wei
wein
8,95 km (4,617 kg CO2-Aeq.)
Rind
(17,984
43,80
43,
80 km (17
(17,98
,984
,98
4 kg
kg CO
CO2-Aeq.)
-Aeq.)
TA-Grafik
rafikk san
sa / Quelle: Scientific American, 2009
für Tierhaltung bei der UNO-Landwirtschaftsorganisation (FAO) in Rom. «Das
Land wird entweder für den Anbau von
Tierfutter oder als Weideland genutzt.»
Unter Jutzis Aufsicht untersuchte die
FAO die Auswirkungen der Fleischproduktion auf das Klima. Ihre Befunde
sorgten 2006 weltweit für Aufsehen. Im
Februar zog die UNO-Organisation mit
einem weiteren Bericht zur landwirtschaftlichen Tierhaltung nach. Sie
warnt, dass der Hunger nach Fleisch
rund um den Globus rapide wächst.
Fast überall ist Fleisch auf dem Teller
ein Statussymbol. Je wohlhabender die
Menschen werden, desto mehr Fleisch
essen sie. Das chinesische 1,4-Milliarden-Volk fällt besonders ins Gewicht.
Dort ist der jährliche Fleischkonsum
pro Kopf zwischen 1995 und 2005 von
38,2 auf 59,5 Kilogramm gestiegen. Und
die Entwicklung geht im selben Tempo
weiter. Zum Vergleich: In der Schweiz
stagniert der Fleischkonsum bei 72,3
Kilogramm pro Kopf; Amerikaner essen durchschnittlich 126,6 Kilogramm
Fleisch im Jahr – in Malawi sind es 4,6.
Weltweit werden derzeit 228 Millionen Tonnen Fleisch im Jahr produziert.
Bis 2050 wird sich die Menge laut der
FAO mehr als verdoppeln: auf 463 Millionen Tonnen. Für Kleinbauern ist das
keine gute Nachricht. «Wegen der zunehmenden Verstädterung entstehen
riesige Konsumzentren», sagt Jutzi.
«Deren Nachfrage zu befriedigen, ist
für Kleinbauern unmöglich.»
Klimafreundliche Tierfabriken
Sogar in den ärmsten Ländern der Welt
entstehen immer mehr Tierfabriken.
Positiv daran ist, dass sie immerhin den
Ausstoss von Klimagasen pro Kilogramm Fleisch vermindern, weil viel
weniger Land pro Tier notwendig ist.
«Intensivierung der Produktion kann
die Freisetzung von Treibhausgasen
durch Abholzung und Überweidung reduzieren», schreibt die FAO. Zwar ergeben sich andere Umweltfragen, etwa
durch die grossen Kotmengen, die bei
der intensiven Tierhaltung anfallen.
Doch diese sind laut dem FAO-Bericht
lösbar. Für die intensive Produktion
Schimpansen und Gorillas trauern um ihre Toten
Unsere nächsten
Verwandten im Tierreich
wissen offenbar, was es
heisst, einen Angehörigen
zu verlieren.
Von Thilo Resenhoeft
Schimpansen begleiten sterbende Mitglieder ihrer Gruppe auf eine Weise, die
Mitgefühl vermuten lässt. Das ist das Ergebnis zweier Studien, die im Wissenschaftsfachblatt «Current Biology» erschienen sind.
Ein Forscherteam von der University
of Stirling in Schottland hat die über
50-jährige Schimpansin Pansy beobachtet, die mit einer Gruppe von Artgenossen in einem Safaripark lebte (Current
Biology Bd. 20, Nr. 8, S. R350). Irgendwann zeigte die Äffin Zeichen von Lethargie, legte sich nach dem Fressen
meist sofort zu Boden und wurde von
den anderen Tieren umsorgt und gepflegt. Wenige Tage später schleppte
sich Pansy angestrengt zur Schlafstelle
einer anderen Äffin und legte sich nieder, bevor sie nachmittags nur noch
schwach und mühevoll atmete. Der
Pfleger entschied, den Rest der Gruppe
zu dem sterbenden Tier zu lassen. Und
Kameras zeichneten das Geschehen der
nächsten Stunden auf.
In den letzten zehn Minuten vor dem
Tod gab es elf Kontakte von Gruppenmitgliedern mit dem sterbenden Tier.
Nach dem Tod war das nicht mehr der
Fall – aber Rosie, die Tochter von Pansy,
blieb die ganze Nacht bei der Mutter sitzen. In den folgenden Tagen blieb der
Platz, auf dem das Tier gestorben war,
leer – dabei handelte es sich um einen
sonst sehr beliebten Ort. Die Stimmung
der Affengruppe blieb über Tage hinweg gedrückt und «niedergeschlagen».
Die Forscher um James Anderson haben ihren Bericht mit der Überschrift
«Pan Thanatology» versehen – Pan ist
der Gattungsname der Schimpansen,
Thanatismus die Lehre von der Sterblichkeit der Seele. Die Forscher sehen in
dem Verhalten der Tiere Parallelen zum
Menschen, der sich gleichfalls intensiv
um sterbende Alte kümmert. Daraus ergäben sich auch neue Überlegungen
zum Umgang mit sterbenden Schimpansen: Womöglich sei es besser, sie in
Ruhe bei den Angehörigen sterben zu
lassen, statt sie einzuschläfern.
Mutter verscheucht Fliegen
Junge Veve wurden nach dem Tod von
ihren Müttern noch 68 beziehungsweise
19 Tage herumgetragen. In dieser Zeit
mumifizierten die kleinen Körper vollständig, wie die Forscher um Dora Biro
schreiben. Die Haare fielen ihnen aus,
der Körper blieb aber weitgehend intakt, überzogen von einer zunehmend
ledrigen Haut.
Die toten Kinder wurden aber weiterhin gepflegt, zudem verscheuchten
die Mütter Fliegen von den Leichen.
Erst nach einiger Zeit durften jugendliche Affen aus der Gruppe die Leichen
mit sich herum- und über einige Entfernung von der Mutter wegtragen. Mit einer Ausnahme beobachtete das Team
auch keine Aversion gegen die Leichen,
obwohl diese stark nach Verwesung rochen und auch sonst nicht mehr ansehnlich waren. Die britischen Forscher
sprechen von grosser Toleranz der
Schimpansengruppe gegenüber den
Müttern mit den toten Kindern. Dass die
Für die zweite Untersuchung in «Current Biology» (Bd. 20, Nr. 8, S. R352) analysierten Wissenschaftler von der Universität Oxford eine Schimpansengruppe in Bossou, einem Ort im Südwesten Guineas. Dort leben Schimpansen, die schon seit drei Jahrzehnten beobachtet werden und daher an den
Menschen gewöhnt sind.
Bei einer Dürre in dem westafrikanischen Land starben 5 Schimpansenkinder an einer Infektion, 14 der insgesamt
19 Affenkinder überlebten. Das 1,2 Jahre
alte Kind Jimato sowie das 2,6 Jahre alte
Gorillamutter Gana hält ihr totes Baby
in Armen. Foto: Rolf Wilms (DPA, Keystone)
Seit Jahren steigt die Nachfrage nach
Fleisch, während die Preise weitgehend
stabil blieben. Aber auch hier kann die
Entwicklung nicht ewig so weitergehen:
Die Preise werden steigen. Für den Klimaschutz ist das eine gute Nachricht.
«Über den Preis kann der Verbrauch
einer grossen Palette von Produkten
gesteuert werden, abhängig vom Kohlenstoffgehalt», heisst es in einem internen Diskussionspapier der Organisation
für wirtschaftliche Entwicklung und
Zusammenarbeit OECD, zu der auch die
Schweiz gehört. Bei einem Cervelat
würden die CO2-Kosten den Preis
deutlich erhöhen. Und der Sonntagsbraten wäre wieder ein echter Luxus.
Regula Kennel von Proviande, der
Branchenorganisation der Schweizer
Fleischwirtschaft, warnt davor, ausländisches mit Schweizer Fleisch zu vergleichen. Zwar entstünden auch bei der
Produktion von Steaks in der Schweiz
klimaschädigende Gase. Doch das einheimische Produkt habe deutliche Vorteile: «Bei uns wird Land für Fleischproduktion genutzt, das sonst nicht
nutzbar ist. Und die Transportwege
zum Verbraucher sind kurz.»
Die Entwicklung von einheitlichen
Standards für die CO2-Erhebung ist aber
schon weit fortgeschritten. In Grossbritannien, Japan und den USA gibt es
viele Produkte, deren CO2-Bilanz auf
der Verpackung angegeben wird. Bei
der Migros werden einzelne Produkte
mit dem Climatop-Label als besonders
klimafreundlich gekennzeichnet.
FAO-Experte Jutzi findet jede zusätzliche Information sinnvoll. «Ich
sage nicht, dass man den Fleischkonsum reduzieren sollte, um die Umwelt
zu schonen», meint der Schweizer Experte. «Aber man sollte Produkte so
auswählen, dass man sich umweltbewusst ernährt. Wenn man ein Auto
kauft, achtet man ja auch darauf, dass es
die Umwelt möglichst wenig belastet.»
Tipps der Woche
Leichen schliesslich zurückgelassen
wurden, könnte laut den Forschern auf
die Rückkehr des normalen Hormonspiegels der beiden Weibchen zurückzuführen sein.
Überraschendes Bewusstsein
Die beschriebenen Handlungen erinnern an den Fall der Gorillamutter Gana
im Zoo von Münster. Nachdem 2008 ihr
Baby Claudio gestorben war, zeigte sich
die Mutter erschreckt und fassungslos
und konnte den Verlust allem Augenschein nach nur schwer überwinden.
Der kleine Gorilla war vermutlich an einer Infektion gestorben. Auch andere
höhere Affenarten zeigen sich vom Tod
nahestehender Gruppenmitglieder betroffen. Als die Orang-Utan-Dame Leila
2008 im Hamburger Tierpark Hagenbeck starb, frassen die übrigen Affen in
der Folgezeit ausgesprochen wenig.
Erst rund eine Woche nach dem Unglück schien der Höhepunkt der Trauerphase überwunden.
Die sozialen Fähigkeiten unserer
nächsten Verwandten im Tierreich sind
vielfach hoch entwickelt, ohne dass
man die tierischen und menschlichen
Verhaltensweisen aber gleichsetzen
kann. James Anderson sagt: «Das Bewusstsein vom Tod ist auch ein wichtiges psychologisches Phänomen. Unsere
Resultate – zusammen mit anderen Ergebnissen über tote und sterbende
Gruppenmitglieder – zeigen, dass auch
das Bewusstsein vom Tod womöglich
höher entwickelt ist als angenommen.»
Medizin
Sachliche Informationen zum
Thema Impfung
Beim Thema Impfen gibt es viele Unklarheiten und Fragezeichen. Im Rahmen der Gentage informiert Christoph
Hatz, Leiter der Abteilung für übertragbare Krankheiten am Institut für Sozialund Präventivmedizin der Universität
Zürich sowie Chefarzt am Schweizerischen Tropeninstitut in Basel, über die
Vorteile und Risiken von Impfungen gegen Infektionskrankheiten. (mma)
Mittwoch, 5. Mai, 19.45 Uhr; Theater am
Neumarkt, Zürich, Eintritt frei.
Alpen
Ein kritischer Blick
in unsere Berge
Was wissen wir über die Alpen? Viel,
glauben wir. Und doch ist es wenig, wie
ein Blick auf die neue Website Alpenmagazin.org zeigt. Journalisten des Pressebüros Seegrund in St. Gallen bringen einem die Alpen da ebenso unaufgeregt
wie ästhetisch nahe. Die Wasserquelle
Europas, das fragile Naturparadies und
der Kulturraum für Millionen Menschen
wird durch die kritische Brille von Journalisten betrachtet. Ihre Website führt
durch die einzelnen Alpenländer. Die
Geschichten handeln vom Druck der
Siedlungen auf die Natur, von der Krise
der Alpenkonvention oder von der Entfesselung des Alpenrheins. Und auch
Besprechungen von Ausstellungen finden Platz. (ml)
www.alpenmagazin.org
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