44 Tages-Anzeiger – Dienstag, 4. Mai 2010 Wissen Sündiger Sonntagsbraten Der weltweite Fleischkonsum wächst stetig, obwohl die Produktion von Steaks und Poulets die Umwelt weit stärker belastet als die Gewinnung anderer Nahrungsmittel. Das Erstaunliche: Tierfabriken produzieren Fleisch klimaschonender als Kleinbauern. Von Hans-Martin Brandt Anna ist 22, studiert Biochemie mit Schwerpunkt Umweltschutz und isst kein Fleisch. Ihr Freund Peter ist 24 und Physiker, der einen Master-Studiengang zur Windenergie absolviert. Auch er ist Vegetarier. Die beiden handeln aus ethischer Überzeugung – aber Mitleid für Tiere treibt sie nicht an. «Uns geht es um die Umwelt», sagen sie. «Wer etwas gegen Klimaerwärmung tun will, sollte kein Fleisch essen.» Sonderlich weit verbreitet ist die Ansicht, dass Fleischkonsum dem Klima schadet, bisher aber noch nicht. Dabei sind die Fakten seit Jahren bekannt. Die landwirtschaftliche Tierhaltung ist für 18 Prozent aller Treibhausgase verantwortlich – für mehr als das Transportwesen. Bei der Tierhaltung wird nicht nur CO2 freigesetzt. Die Verdauung von Rindern produziert grosse Mengen Methan, das 23-mal stärker zur Erderwärmung beiträgt als CO2. Im Kot von Tieren sind Stickoxide enthalten, welche die 296-fache Wärmewirkung haben. Forscher haben errechnet, dass bei der Produktion eines halben Kilos Rindfleisch so viel Klimagase entstehen wie bei einer 35 Kilometer langen Fahrt mit einem Mittelklassewagen (siehe Grafik). Die Gewinnung der gleichen Menge an Kartoffeln macht mit demselben Auto gerade mal die Fahrt zum nächsten Einkaufszentrum aus, nämlich 600 Meter. Riesiger Landverbrauch Zudem «fressen» Nutztiere Land: 80 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche werden für die Fleischproduktion sind Geflügel und Schweine geeignet, die mit Getreide gefüttert werden. Die sogenannte Konversionsrate bei Geflügel liegt bei 1,6, das heisst, für die Produktion von einem Kilogramm Hühnerfleisch sind 1,6 Kilogramm Futter notwendig. Bei Rindern, die vor allem Gras fressen, beträgt die Konversionsrate 7. «Die Nutzungseffizienz von Getreide in der Tierhaltung ist in der Vergangenheit ständig gewachsen», sagt FAO-Experte Jutzi. «Doch man wird irgendwann an Grenzen stossen.» Cervelat und Braten als Luxus Die Rindfleischproduktion setzt so viele Treibhausgase frei wie kein anderes Lebensmittel. Foto: Oberhäuser (Caro, Keystone) genutzt. Und der Landfrass geht weiter. «Der treibende Faktor für die Abholzung des Regenwalds ist die Expansion der Nutztierhaltung», sagt der Schweizer Samuel Jutzi, Leiter der Abteilung Klimabelastung von Nahrungsmitteln Vergleich des durchschnittlichen Ausstosses von Klimagasen (in CO2-Aequivalenten) bei der Produktion von 500 Gramm eines Nahrungsmittels und Umrechnung in die Wegstrecke eines Mittelklassewagens. klassewagens. Nahrungsmittel rungsmittel Wegstrecke eeines Mittelklassewagens (Verbrauch: ca. 9 l/100 km) fel feln Kartoffeln 0,60 km (0,316 kg CO2-Aeq.) Äpfel 0,71 km (0,365 kg CO2-Aeq.) Spargeln rge rgeln 0,96 km (0,486 (0,4 kg CO2-Aeq.) Huhn Huhn Huhn 2,59 km (1,3 (1,337 1,337 kg CO2-Aeq.) Schwein wei wein 8,95 km (4,617 kg CO2-Aeq.) Rind (17,984 43,80 43, 80 km (17 (17,98 ,984 ,98 4 kg kg CO CO2-Aeq.) -Aeq.) TA-Grafik rafikk san sa / Quelle: Scientific American, 2009 für Tierhaltung bei der UNO-Landwirtschaftsorganisation (FAO) in Rom. «Das Land wird entweder für den Anbau von Tierfutter oder als Weideland genutzt.» Unter Jutzis Aufsicht untersuchte die FAO die Auswirkungen der Fleischproduktion auf das Klima. Ihre Befunde sorgten 2006 weltweit für Aufsehen. Im Februar zog die UNO-Organisation mit einem weiteren Bericht zur landwirtschaftlichen Tierhaltung nach. Sie warnt, dass der Hunger nach Fleisch rund um den Globus rapide wächst. Fast überall ist Fleisch auf dem Teller ein Statussymbol. Je wohlhabender die Menschen werden, desto mehr Fleisch essen sie. Das chinesische 1,4-Milliarden-Volk fällt besonders ins Gewicht. Dort ist der jährliche Fleischkonsum pro Kopf zwischen 1995 und 2005 von 38,2 auf 59,5 Kilogramm gestiegen. Und die Entwicklung geht im selben Tempo weiter. Zum Vergleich: In der Schweiz stagniert der Fleischkonsum bei 72,3 Kilogramm pro Kopf; Amerikaner essen durchschnittlich 126,6 Kilogramm Fleisch im Jahr – in Malawi sind es 4,6. Weltweit werden derzeit 228 Millionen Tonnen Fleisch im Jahr produziert. Bis 2050 wird sich die Menge laut der FAO mehr als verdoppeln: auf 463 Millionen Tonnen. Für Kleinbauern ist das keine gute Nachricht. «Wegen der zunehmenden Verstädterung entstehen riesige Konsumzentren», sagt Jutzi. «Deren Nachfrage zu befriedigen, ist für Kleinbauern unmöglich.» Klimafreundliche Tierfabriken Sogar in den ärmsten Ländern der Welt entstehen immer mehr Tierfabriken. Positiv daran ist, dass sie immerhin den Ausstoss von Klimagasen pro Kilogramm Fleisch vermindern, weil viel weniger Land pro Tier notwendig ist. «Intensivierung der Produktion kann die Freisetzung von Treibhausgasen durch Abholzung und Überweidung reduzieren», schreibt die FAO. Zwar ergeben sich andere Umweltfragen, etwa durch die grossen Kotmengen, die bei der intensiven Tierhaltung anfallen. Doch diese sind laut dem FAO-Bericht lösbar. Für die intensive Produktion Schimpansen und Gorillas trauern um ihre Toten Unsere nächsten Verwandten im Tierreich wissen offenbar, was es heisst, einen Angehörigen zu verlieren. Von Thilo Resenhoeft Schimpansen begleiten sterbende Mitglieder ihrer Gruppe auf eine Weise, die Mitgefühl vermuten lässt. Das ist das Ergebnis zweier Studien, die im Wissenschaftsfachblatt «Current Biology» erschienen sind. Ein Forscherteam von der University of Stirling in Schottland hat die über 50-jährige Schimpansin Pansy beobachtet, die mit einer Gruppe von Artgenossen in einem Safaripark lebte (Current Biology Bd. 20, Nr. 8, S. R350). Irgendwann zeigte die Äffin Zeichen von Lethargie, legte sich nach dem Fressen meist sofort zu Boden und wurde von den anderen Tieren umsorgt und gepflegt. Wenige Tage später schleppte sich Pansy angestrengt zur Schlafstelle einer anderen Äffin und legte sich nieder, bevor sie nachmittags nur noch schwach und mühevoll atmete. Der Pfleger entschied, den Rest der Gruppe zu dem sterbenden Tier zu lassen. Und Kameras zeichneten das Geschehen der nächsten Stunden auf. In den letzten zehn Minuten vor dem Tod gab es elf Kontakte von Gruppenmitgliedern mit dem sterbenden Tier. Nach dem Tod war das nicht mehr der Fall – aber Rosie, die Tochter von Pansy, blieb die ganze Nacht bei der Mutter sitzen. In den folgenden Tagen blieb der Platz, auf dem das Tier gestorben war, leer – dabei handelte es sich um einen sonst sehr beliebten Ort. Die Stimmung der Affengruppe blieb über Tage hinweg gedrückt und «niedergeschlagen». Die Forscher um James Anderson haben ihren Bericht mit der Überschrift «Pan Thanatology» versehen – Pan ist der Gattungsname der Schimpansen, Thanatismus die Lehre von der Sterblichkeit der Seele. Die Forscher sehen in dem Verhalten der Tiere Parallelen zum Menschen, der sich gleichfalls intensiv um sterbende Alte kümmert. Daraus ergäben sich auch neue Überlegungen zum Umgang mit sterbenden Schimpansen: Womöglich sei es besser, sie in Ruhe bei den Angehörigen sterben zu lassen, statt sie einzuschläfern. Mutter verscheucht Fliegen Junge Veve wurden nach dem Tod von ihren Müttern noch 68 beziehungsweise 19 Tage herumgetragen. In dieser Zeit mumifizierten die kleinen Körper vollständig, wie die Forscher um Dora Biro schreiben. Die Haare fielen ihnen aus, der Körper blieb aber weitgehend intakt, überzogen von einer zunehmend ledrigen Haut. Die toten Kinder wurden aber weiterhin gepflegt, zudem verscheuchten die Mütter Fliegen von den Leichen. Erst nach einiger Zeit durften jugendliche Affen aus der Gruppe die Leichen mit sich herum- und über einige Entfernung von der Mutter wegtragen. Mit einer Ausnahme beobachtete das Team auch keine Aversion gegen die Leichen, obwohl diese stark nach Verwesung rochen und auch sonst nicht mehr ansehnlich waren. Die britischen Forscher sprechen von grosser Toleranz der Schimpansengruppe gegenüber den Müttern mit den toten Kindern. Dass die Für die zweite Untersuchung in «Current Biology» (Bd. 20, Nr. 8, S. R352) analysierten Wissenschaftler von der Universität Oxford eine Schimpansengruppe in Bossou, einem Ort im Südwesten Guineas. Dort leben Schimpansen, die schon seit drei Jahrzehnten beobachtet werden und daher an den Menschen gewöhnt sind. Bei einer Dürre in dem westafrikanischen Land starben 5 Schimpansenkinder an einer Infektion, 14 der insgesamt 19 Affenkinder überlebten. Das 1,2 Jahre alte Kind Jimato sowie das 2,6 Jahre alte Gorillamutter Gana hält ihr totes Baby in Armen. Foto: Rolf Wilms (DPA, Keystone) Seit Jahren steigt die Nachfrage nach Fleisch, während die Preise weitgehend stabil blieben. Aber auch hier kann die Entwicklung nicht ewig so weitergehen: Die Preise werden steigen. Für den Klimaschutz ist das eine gute Nachricht. «Über den Preis kann der Verbrauch einer grossen Palette von Produkten gesteuert werden, abhängig vom Kohlenstoffgehalt», heisst es in einem internen Diskussionspapier der Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit OECD, zu der auch die Schweiz gehört. Bei einem Cervelat würden die CO2-Kosten den Preis deutlich erhöhen. Und der Sonntagsbraten wäre wieder ein echter Luxus. Regula Kennel von Proviande, der Branchenorganisation der Schweizer Fleischwirtschaft, warnt davor, ausländisches mit Schweizer Fleisch zu vergleichen. Zwar entstünden auch bei der Produktion von Steaks in der Schweiz klimaschädigende Gase. Doch das einheimische Produkt habe deutliche Vorteile: «Bei uns wird Land für Fleischproduktion genutzt, das sonst nicht nutzbar ist. Und die Transportwege zum Verbraucher sind kurz.» Die Entwicklung von einheitlichen Standards für die CO2-Erhebung ist aber schon weit fortgeschritten. In Grossbritannien, Japan und den USA gibt es viele Produkte, deren CO2-Bilanz auf der Verpackung angegeben wird. Bei der Migros werden einzelne Produkte mit dem Climatop-Label als besonders klimafreundlich gekennzeichnet. FAO-Experte Jutzi findet jede zusätzliche Information sinnvoll. «Ich sage nicht, dass man den Fleischkonsum reduzieren sollte, um die Umwelt zu schonen», meint der Schweizer Experte. «Aber man sollte Produkte so auswählen, dass man sich umweltbewusst ernährt. Wenn man ein Auto kauft, achtet man ja auch darauf, dass es die Umwelt möglichst wenig belastet.» Tipps der Woche Leichen schliesslich zurückgelassen wurden, könnte laut den Forschern auf die Rückkehr des normalen Hormonspiegels der beiden Weibchen zurückzuführen sein. Überraschendes Bewusstsein Die beschriebenen Handlungen erinnern an den Fall der Gorillamutter Gana im Zoo von Münster. Nachdem 2008 ihr Baby Claudio gestorben war, zeigte sich die Mutter erschreckt und fassungslos und konnte den Verlust allem Augenschein nach nur schwer überwinden. Der kleine Gorilla war vermutlich an einer Infektion gestorben. Auch andere höhere Affenarten zeigen sich vom Tod nahestehender Gruppenmitglieder betroffen. Als die Orang-Utan-Dame Leila 2008 im Hamburger Tierpark Hagenbeck starb, frassen die übrigen Affen in der Folgezeit ausgesprochen wenig. Erst rund eine Woche nach dem Unglück schien der Höhepunkt der Trauerphase überwunden. Die sozialen Fähigkeiten unserer nächsten Verwandten im Tierreich sind vielfach hoch entwickelt, ohne dass man die tierischen und menschlichen Verhaltensweisen aber gleichsetzen kann. James Anderson sagt: «Das Bewusstsein vom Tod ist auch ein wichtiges psychologisches Phänomen. Unsere Resultate – zusammen mit anderen Ergebnissen über tote und sterbende Gruppenmitglieder – zeigen, dass auch das Bewusstsein vom Tod womöglich höher entwickelt ist als angenommen.» Medizin Sachliche Informationen zum Thema Impfung Beim Thema Impfen gibt es viele Unklarheiten und Fragezeichen. Im Rahmen der Gentage informiert Christoph Hatz, Leiter der Abteilung für übertragbare Krankheiten am Institut für Sozialund Präventivmedizin der Universität Zürich sowie Chefarzt am Schweizerischen Tropeninstitut in Basel, über die Vorteile und Risiken von Impfungen gegen Infektionskrankheiten. (mma) Mittwoch, 5. Mai, 19.45 Uhr; Theater am Neumarkt, Zürich, Eintritt frei. Alpen Ein kritischer Blick in unsere Berge Was wissen wir über die Alpen? Viel, glauben wir. Und doch ist es wenig, wie ein Blick auf die neue Website Alpenmagazin.org zeigt. Journalisten des Pressebüros Seegrund in St. Gallen bringen einem die Alpen da ebenso unaufgeregt wie ästhetisch nahe. Die Wasserquelle Europas, das fragile Naturparadies und der Kulturraum für Millionen Menschen wird durch die kritische Brille von Journalisten betrachtet. Ihre Website führt durch die einzelnen Alpenländer. Die Geschichten handeln vom Druck der Siedlungen auf die Natur, von der Krise der Alpenkonvention oder von der Entfesselung des Alpenrheins. Und auch Besprechungen von Ausstellungen finden Platz. (ml) www.alpenmagazin.org