Die Ereignisse vom 23. August 1944

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Zeitschrift für
Siebenbürgische
Landeskunde
34. (105.) Jahrgang (2011), Heft 2
  Böhlau Verlag Köln Weimar Wien        ISSN 0344-3418
Die „Zeitschrift für Siebenbürgische Landeskunde“ setzt in IV. Folge das „Korrespondenzblatt des Vereins
für siebenbürgische Landeskunde“ (I. Folge, 1878-1930), die „Siebenbürgische Vierteljahrsschrift“ (II.
Folge, 1931-1941) und das „Korrespondenzblatt des Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde“
(III. Folge, 1971-1977) seit 1978 fort. 1999 wurde sie mit der Zeitschrift „Siebenbürgische Semesterblätter“
(München 1987-1998) vereinigt.
Herausgeber: Arbeitskreis für Siebenbürgische Landeskunde e. V. Heidelberg, Schloss Horneck, 74831
Gun­delsheim/Neckar, Tel. (06269) 42100, Fax (06269) 421010, E-Post: [email protected].
Redaktion:
Hon.-Prof. Dr. Konrad Gündisch, Oldenburg, [email protected] (verantwortlich
für dieses Heft);
Dr. Stefan Măzgăreanu, Olching, [email protected];
Dr. Dirk Moldt, Berlin, [email protected];
Dr. Harald Roth, Potsdam, [email protected];
Daniel Ursprung, Zürich, [email protected].
Bankverbindung: Kreissparkasse Heilbronn (BLZ 620 500 00), Konto 009 574 520.
Preis des Jahrgangs (bestehend aus zwei Heften): € 30,–. Für die Mitglieder des Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde beträgt der Bezugspreis jährlich € 15,– (jeweils zuzüglich Versand).
Die Mitarbeiter des vorliegenden Heftes
Dr. Martin A r m g a r t , Institut für Evangelische Theologie der Universität Landau, Bürgerstraße 23,
D-76829 Landau
Dr. Petre B e ş l i u , Brukenthal-Museum Hermannstadt, Piaţa Mare 4-5, RO-550163 Sibiu/Hermannstadt,
Rumänien
Dr. Hansotto D r o t l o f f , Rillweg 8, D-63755 Alzenau
Dr. Irmgard und Werner S e d l e r , Museum im Kleihues-Bau, Stuttgarter Straße 93, D-70806 Kornwestheim
Dr. Zsolt S i m o n , Institutul de Cercetări Socio-Umane „Gheorghe Şincai”, str. Al. Papiu Ilarian 10A,
RO-540074 Târgu Mureş/Neumarkt am Mieresch, Rumänien
Dr. Ottmar T r a ş c ă , Institutul de istorie „George Bariţiu“, str. Mihail Kogălniceanu 12-14, RO-400084
Cluj-Napoca/Klausenburg, Rumänien
Abkürzungen
Abh.
Acta Historica
Acta Mus. Nap.
An. Inst. I. Apulum
Archiv
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Bll.
DFSO
Erd. Múz.
Forschungen
Jh.
Jb(b).
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Sbg. Arch.
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Schriften
Sodt. Arch.
Sodt. Vjbll.
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Stud. Com.
Stud. Trans.
Stud. Univ. B. B.
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ZfSL
Zs.
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Abhandlung(en)
Acta Historica Academiae Scientiarum Hungaricae, Budapest
Acta Musei Napocensis, Cluj (Klausenburg)
Anuarul Institutului de Istorie, Cluj (Klausenburg)
Apulum. Acta Musei Apulensis, Alba Iulia (Karlsburg)
Archiv des Vereins für siebenbürgische Landeskunde, Hermannstadt
(A.F., N.F. ­– Alte bzw. Neue Folge)
Blätter
Deutsche Forschung im Südosten, Hermannstadt
Erdélyi Múzeum, Kolozsvár (Klausenburg)
Forschungen zur Volks- und Landeskunde, Hermannstadt (Sibiu)
Jahrhundert
Jahrbuch (-bücher)
Kalender
Korrespondenzblatt des Arbeitskreises für siebenbürgische Landes­kunde, Köln,
Wien
Korrespondenzblatt des Vereins für Siebenbürgische Landeskunde, Her­mannstadt
Kulturpolitische Korrespondenz, Bonn
Levéltári Közlemények, Budapest
Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung, Wien
Mitteilungen
Revista Arhivelor, București (Bukarest)
Revue Roumaine d’Histoire, București (Bukarest)
Siebenbürgisches Archiv, Köln, Weimar, Wien
Siebenbürgische Vierteljahresschrift, Hermannstadt, Bistritz
Schriften zur Landeskunde Siebenbürgens, Köln, Weimar, Wien
Südostdeutsches Archiv, München
Südostdeutsche Vierteljahresblätter, München
Südosteuropa-Mitteilungen, München
Südostforschungen, München
Studii și comunicări, Muzeul Brukenthal, Sibiu (Hermannstadt)
Studia Transylvanica, Köln, Weimar, Wien
Studia Universitatis Babeș-Bolyai, Cluj (Klausenburg)
Urkundenbuch zur Geschichte der Deutschen in Siebenbürgen, 7 Bde., Hermannstadt/
Bukarest 1892-1991
Zeitschrift für Siebenbürgische Landeskunde, Köln, Weimar, Wien
Zeitschrift
In den durchnumerierten Anmerkungen sollen beim ersten Zitieren Vor- und Nachname des Verfassers, der
vollständige Titel der Arbeit, Druckort und -jahr bzw. (In:) Zeitschrift, Jahrgang (ggf. auch Heft) und Erscheinungsjahr sowie die betreffenden Seiten, unter Vermeidung der Abkürzungen f. und ff., angeführt werden.
Bei wiederholtem Zitieren desselben Werkes werden die üblichen Hinweise (Ebenda, wie Anm. „xy“, nicht
aber „a.a.O.“) verwendet. Nachnamen werden g e s p e r r t geschrieben. Titel von Arbeiten, die nicht in einer
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sollen in den Anmerkungen verwendet werden. Tabellen und Abbildungen sind auf das notwendige Maß zu
beschränken. Fotos sollen scharf und kontrastreich sein und werden auf Wunsch nach der Veröffentlichung
zurückerstattet. Legenden der Abbildungen und Tabellen sind beizulegen.
Inhaltsverzeichnis
Aufsätze
Petre B e ş l i u : Gesellschaftliche Gruppen im Hermannstädter Siechenhaus im Mittelalter
und in der Frühen Neuzeit . ........................................................................................................
Irmgard und Werner S e d l e r : Das „Spiel vom König und vom Tod“. Ars moriendi im siebenbürgischen Fastnachtsbrauchtum ..............................................................................................
Quellen
Zsolt S i m o n : Die Schäßburger Rechnung von 1522 ........................................................................
Ottmar T r a ş c ă : Die Deutsche Volksgruppe in Rumänien und die Ereignisse vom
23. August 1944 im Spiegel eines unveröffentlichten Manuskripts ......................................
Mitteilungen und Berichte
Hansotto D r o t l o f f : Siebenbürgen im Spiegel der nachgelassenen Schriften der Familie
Conrad von Heydendorff (1750-1850) .......................................................................................
Martin A r m g a r t : 800 Jahre Deutscher Orden in Siebenbürgen. 46. Jahrestagung des Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde am 15./16. September 2011 in Kronstadt . ......
Nachrufe
Lajos Demény ...........................................................................................................................................
Bernd Hey .................................................................................................................................................
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©. 2011 by Arbeitskreis für Siebenbürgische Landeskunde e. V. Heidelberg, Schloss Horneck, 74831
Gundelsheim/Neckar. Mit Namen gekennzeichnete Artikel stellen nicht unbedingt die Meinung der
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Konkordanz wird verwiesen auf Ernst W a g n e r : Historisch-statistisches Ortsnamenbuch für Siebenbürgen. Köln, Wien 1977 (= Stud. Trans. 4).
In der Spalte „Kolloquium“ werden primär Arbeiten von Studierenden und Nachwuchswissenschaftlern veröffentlicht.
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Unveröffentlichte Manuskripte werden dem Archiv des Siebenbürgen-Instituts in Gundelsheim
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Siebenbürgische Landeskunde
2/2011
Zeitschrift für Siebenbürgische Landeskunde 34 (2011), Heft 2
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Gesellschaftliche Gruppen im Hermannstädter Siechenhaus
im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit
Von Petre B e ş l i u
Unter den Spitälern von Hermannstadt ist zwischen dem Siechenhaus und dem Leprosorium zu unterscheiden. Die mittelalterlichen Urkunden bringen beide Anstalten in Verbindung mit den Stadtarmen. Diese wurden finanziell von der Stadt gefördert, die Kirche
gewährte geistlichen Beistand; räumlich und institutionell unterschieden sich die beiden
Einrichtungen voneinander.
Das Spital besaß in der Stadt mehrere Gebäude. Wie archäologische Untersuchungen gezeigt haben, verfügte der im heute so genannten Siechenhaus wirkende Orden zum Heiligen
Geist bis zur Reformation über keine Krankensäle für Mittellose. Die Besonderheit des Spitals
von Hermannstadt, seine Beziehungen zur lokalen Gesellschaft werden erst dann verständlich, wenn wir sowohl die geringe Anzahl der bis zur Neuzeit Hospitalisierten als auch die
Fürsorgepflicht des Ordens für alle Mitglieder der Stadtgemeinschaft in Betracht ziehen.
Die Gesellschaft des Spitals umfasst hier alle Personen, die eine geistliche oder produktive
Tätigkeit entfaltet haben, also die Ordensmitglieder, Priester, Kaplane, Verwaltungsangestellte, Knechte, gelegentlich auch Handwerker.
Dank der Nichteinmischung der Stadt sowie wegen der Nachbarschaft zu den Handwerkervierteln konnte der Orden der Pfarrkirche Konkurrenz machen. Die Bedeutung der von
den Ordensbrüdern eingerichteten Kirche wurde gesteigert durch die Überlieferung, hier
habe die frühere Pfarrkirche gestanden. Mit Sicherheit hat es hier einen älteren Friedhof
gegeben.
Der Konflikt mit der Stadt begann nach der Umwandlung des alten Spitals, das sich in
der Nachbarschaft der alten Handwerkerviertel befand, in eine Kirche. Die Ordensbrüder
haben schnell erkannt, dass die Bewohner vor allem eine Kirche für die Lebendigen und
einen Friedhof für die Toten brauchten. Die rechtlichen Verhältnisse zwischen Stadt und
Orden wurden 1292 durch eine vertraglich festgehaltene Schenkung geregelt. Gegenstand
der Schenkung war im Wesentlichen ein Haus (domus), das die Stadt bis zu jenem Zeitpunkt
als Spital genutzt hatte.
Die im Verhältnis zur Stadtbevölkerung großen Ausmaße des Spitalgebäudes werfen die
Frage auf, ob der Bau mit dem Mongolensturm von 1241 und dessen Folgen in Zusammenhang gebracht werden kann. Die Funktion des Spitals als Zufluchtsort in Extremfällen wurde
in den kritischen Zeiten der späteren Seuchen und Kriege reaktiviert.
Der Schenkungsvertrag verpflichtete den Orden zum Heiligen Geist zur geistlichen Betreuung der Kranken und zur Feier der Messe, eine finanzielle Hilfe für die Hospitalisierten
war nur als Möglichkeit vorgesehen1. Die Satzung des Spitals wurde von der Grundfunktion – der Betreuung der Leidenden – und subsidiär von den Verhältnissen innerhalb der
Hermannstädter Gesellschaft bestimmt.
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Ub. 1, S. 191f.
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Petre Beşliu
Im Laufe seiner Geschichte hat sich das Spital den neuen sozialen und wirtschaftlichen
Gegebenheiten angepasst. Von einer Institution, die geistlich vom Orden zum Heiligen Geist
und administrativ von den weltlichen Behörden geführt wurde, wandelte sich das Spital nach
der Reformation in eine Anstalt der Stadtgemeinschaft. Seit der Neuzeit wurde das Spital von
Hermannstadt mit einer großen Anzahl von Hospitalisierten – nach dem Beispiel der Schwesterinstitutionen in Mittel- und Westeuropa – von einer Wohltätigkeitsstiftung gefördert.
Wie in den vorhergehenden Jahrhunderten war das Spital auch im 18. Jahrhundert ein
privilegierter Ort für die Armen und Kranken, die von den religiösen und weltlichen Gemeinschaften im Namen Gottes Hilfe erhielten. 17642 wie 12923 oder 15544 wurden im Spital
zusammen mit den benachteiligten Gruppen auch einige Fremde aufgenommen. Fremde
waren desgleichen die Pilger, die sich im 17.-18. Jahrhundert in der Spitalkirche befanden.
Einer von ihnen hat dort ein Medaillon des Hl. Benedikt verloren5.
Die geistlichen Vorsteher und die Verwalter des Spitals von Hermannstadt
Die religiöse Funktion des Spitals und des Ordens zum Heiligen Geist hat nach 1292 das
für die Klöster kennzeichnende Programm der Gottesdienste bestimmt. Über das geistliche
Leben in der Spitalkirche liegt nur indirekt eine urkundliche Information vor: das den Priestern der aufgelösten Propstei verliehene Recht, Messen und – als Beweis für die Funktion der
Spitalkirche als Friedhofskapelle – Totenmessen zu zelebrieren6. In zwei nach der Reformation datierten Spitalsrechnungen über Nachlässe wird die Summe von vier Gulden für ein
Leichenmahl (Mall) erwähnt, das von Nahestehenden bezahlt worden ist7. Die Summe kann
mit jener verglichen werden, die beim Eintritt ins Spital bezahlt wurde.
Das Einbeziehen der Gläubigen von außerhalb in das religiöse Leben innerhalb des Spitals
war für die Ordensmitglieder und für die Hospitalisierten von Vorteil. Die Stadtbewohner bezahlten Ablassbriefe und legten Geld in die Gemeinschaftskasse. Die Spenden und
Schenkungen kamen auf verschiedenen Wegen. Die Gläubigen der Unterstadt, Handwerker
und vor allem Gesellen, rüsteten die Spitalkirche mit Kultgegenständen und Möbeln aus.
Als Dank für ihre Freigebigkeit erhielten die Wohltäter einen Ruheplatz im Inneren der
Kirche. Urkundliche Belege für Schenkungen stammen vor allem aus der Zeit nach der Reformation. Der Grabstein mit den Initialen WT wurde 1574 für einen Spender errichtet. Im
18. und 19. Jahrhundert wurde das geistlich-religiöse Leben der „Klosterkirche“ auch von
armen Schülern und Studenten (mendicantes) aufrechterhalten, die an den vier jährlichen
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Direcţia Judeţeană Sibiu a Arhivelor Naţionale (fortan: ANS) [Kreisdirektion Hermannstadt der Nationalarchive
Rumä­niens], Colecţia [Sammlung] Brukenthal, KK 1-31, 9, Fol. 4: „Das sogenannte Spital ist vor keine Kranken
(bettlägerig) sondern Lahme, Blinde und Fremde errichtet worden.“
Ub. 1, S. 192: „et ipsis pauperibus, debilis, advenis et claudis”.
Heinrich H e r b e r t : Die Gesundheitspflege in Hermannstadt bis zum Ende des sechszehnten Jahrhunderts. In:
Archiv 20 (1885), S. 42: „In das Spital wurden auch Fremde aufgenommen.“
Petre B e ş l i u M u n t e a n u : Spitalul medieval din Sibiu [Das mittelalterliche Spital von Hermannstadt]. Sibiu
2008, S. 68.
Ub. 4, S. 219.
ANS, Fond Primăria şi Magistratul oraşului Sibiu. Socoteli economice [Fonds Bürgermeisteramt und Magistrat von
Hermannstadt], III, 218, S. 3; für 1582: ebd., 219, S. 3. Diese Funktion besteht heute noch. Die Spitalskirche wird
gerne für Gedenkmessen genutzt.
Gesellschaftliche Gruppen im Hermannstädter Siechenhaus
123
Abendmahlsgottesdiensten teilnahmen8. Die geistliche Betreuung des Spitals oblag bis zur
Reformation der Gemeinschaft des Ordens zum Heiligen Geist, hospitalienses et fratres9, aber
auch den Ortspfarrern.
Urkundlich werden die geistlichen Vorsteher der Klostergemeinschaft oft erwähnt. Der
erste war Valtherus, der in der Urkunde von 1308 Magister des Spitals genannt wird10. 1448
war Antonius Johannes von Werdt Kaplan des Spitals11. Die besondere Bedeutung des Spitalleiters wird von der Position bei der Aufzählung der Zeugen eines Abkommens aufgezeigt,
das von einem öffentlichen Notar paraphiert wurde. An der Spitze der ehrenwerten Herren
befanden sich Anthonius von Zibin, der Rektor des Spitals, und Petrus Möllenbecher von
Heltau, der Kaplan des Spitals; ihnen folgte Stephanus von Marktschelken mit mehreren
akademischen Titeln, aber mit dem bescheideneren Amt des Schulrektors und des Pfarrers in
Hundertbücheln12. In einer Testamentsbeglaubigung von 1460 wird ein Paulus von Neudorf
als Kaplan des Spitals erwähnt13. Die Erneuerung der königlichen Verordnung bezüglich
der Abhaltung von Totenmessen in der Kapelle und im Spital erfolgte 1457, in dem Jahr, in
dem der Kaplan Petrus Möllenbacher, der Pfarrer von Heltau, erwähnt wird14.
In allen urkundlichen Informationen waren die Kaplane Einheimische; der eine hatte den
Rang eines Plebans. Es ist leicht zu verstehen, dass die Macht des Priors (Rektors), der von
außerhalb der lokalen Gemeinschaft kam, durch die Ernennung des Kaplans vermindert
wurde, der später mit dem Diakon der Pfarrei von Hermannstadt gleichgestellt wurde15.
In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts verfügten die Ordensmitglieder auch über ein
Gebetshaus (oratoriolum) und zwei Wohnungen16. Die Anzahl der ständigen Mitglieder der
Ordensgemeinschaft kann weder aufgrund der Zahl der Wohnungen noch von urkundlichen
Belegen oder Schätzungen über die Zahl der Hospitalisierten ermittelt werden. Die Quellen
erwähnen nur die Vorsteher mit Namen, und von den entdeckten Gebeinen können nur
jene aus der Sakristei und wohl jenes, das eine Schnalle17 mit Inschrift trug, mit jenen von
Brüdern des Ordens identifiziert werden.
Die geistlichen Vorsteher des Spitals (prior, rector), die in der Kirche die Messe lasen und sich
um die Armen und Leidenden kümmerten, waren sowohl dem Ordenshaus in Ofen als auch
dem Bistum von Gran nachgeordnet. 1503 zahlten sie einen Pachtzins von einer Silbermark18.
Die oberste Instanz befand sich in Rom. Folglich wandte sich Petrus Kempff, Prior des Spitals
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Petre B e ş l i u M u n t e a n u : Un text inedit al lui Franz Zimmermann despre Spitalul din Sibiu [Ein unveröffentlichter Text von Franz Zimmermann über das Spital von Hermannstadt]. In: Corviniana 9 (2007), S. 93.
Gustav S e i v e r t : Das älteste Kirchenbuch. In: Archiv 11 (1874), S. 386.
Ub. 1, S. 214.
Ub. 5, S. 253.
Ub. 5, S. 560.
Georg S o t e r i u s : Cibinium. Eine Beschreibung Hermannstadts vom Beginn des 18. Jahrhunderts. Köln, Weimar,
Wien 2006 (= Schriften 30), S. 97, 232.
Ub. 1, S. 560.
S o t e r i u s (wie Anm. 13), S. 98, 233.
S e i v e r t (wie Anm. 9), S. 386.
B e ş l i u : Spitalul (wie Anm. 5), S. 38, 68.
Friedrich M ü l l e r : Geschichte der siebenbürgischen Hospitäler bis zum Jahre 1625. In: Programm des evangelischen Gymnasiums in Schäßburg und der damit verbundenen Lehranstalten, 1856, S. 27.
124
Petre Beşliu
und des Hauses zum Heiligen Geist, 1466 mit einer Organisationsfrage unmittelbar an Rom19.
Die Priore wurden von den Ordensvorstehern ernannt und abgesetzt. Sie konnten ein höheres Amt erreichen, etwa Petrus Kempff eines in Wien20.
Nach der Reformation verließen die Ordensmitglieder, die übrigens bereits zuvor der
Kritik durch die städtische Gemeinschaft ausgesetzt gewesen sind, das Spital. Die religiöse
Funktion blieb erhalten. Zu ihrer Stärkung trugen Priester wie Martin Fölker bei, der 1508
ins Amt gewählt wurde und im Alter von 80 Jahren starb21.
Der Prediger der Spitalkirche erhielt das Gehalt aus dem Pachtzins, zu dem die zu Hermannstadt gehörenden Gemeinden verpflichtet waren. Zudem standen ihm noch 40 Eimer
Wein, 12 Eimer Getreide sowie Brennholz zu. 1746 wurde nur ein Viertel vom Gehalt des
Predigers aus dem Spitalsfonds bezahlt. Mehr noch, der Prediger und sein Mitprediger
erhielten für die zwischen Ostern und Himmelfahrt gehaltenen Predigten, für den Unterhaltung der Wohnung und für die vier jährlichen Abendmahlsgottesdienste zusätzliche
Zahlungen oder Festmahle22.
Um die Mitte des 18. Jahrhunderts hatte die Bevölkerungszahl insbesondere in der Unterstadt zugenommen, die Stadtpfarrkirche erwies sich als zu eng. Die Laubenkirche an der
Lügenbrücke wurde als Provisorium eingerichtet. Zum geistlichen Personal des Spitals gehörten nun neben dem ersten Prediger ein zweiter, der die Predigten zwischen Ostern und
Himmelfahrt und jene aus der Fastenzeit hielt, zudem ein Diakon, der in der Schmiedgasse
wohnte, und ein Organist, der ebenso wie der Diakon auch in der Laubenkirche diente23.
Das Interesse für die Spitalkirche war – wie schon früher – der Nähe der Handwerkerviertel zu verdanken. Um die Mitte des 18. Jahrhunderts wurden neben der Kirche und
wahrscheinlich auch in ihrem Inneren keine Bestattungen mehr durchgeführt. Das Gebäude konnte (wieder?) zu einer geräumigen Stadtviertel-Kirche umgestaltet werden. Die für
die Neueinrichtung vorgenommenen Investitionen waren beachtlich. Die Schenkungen der
Handwerker und Gesellen, die aus Möbeln und Kultgegenständen bestanden, beweisen die
Beziehung der Stadtgemeinschaft zur Siechenhauskirche. Formell gehörte sie zum Spital,
ihr Status veränderte sich nicht. Nutznießer der Kirche waren vor allem die Hospitalisierten,
aber die Tore der Kirche sowie der Mädchenschule, die neben ihr funktionierte, standen für
die Gemeinschaft offen.
Im 16. Jahrhundert wurde die administrative Funktion in den Rechnungsregistern der
Stadt oft urkundlich belegt. Damals wurde erwähnt, dass der Verwalter der Kirche (vitricus) einen Vertreter hatte. Vitricus und procurator (procuratrix) pauperum waren Vertreter der
städtischen Gemeinschaft, die für die Verwaltung des Vermögens des Spitals sowie für die
Betreuung der Armen und der hospitalisierten Leidenden sorgten. 1507 bekleidete die Witwe
von Bwzer das Amt des Verwalters; ihre Hilfskraft war Johannes Agotha, locumtenens24. In
Siebenbürgen gibt es keinen anderen urkundlichen Beleg dieser Art.
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Ub. 6, S. 233.
M ü l l e r (wie Anm. 18), S. 28.
S o t e r i u s (wie Anm. 12), S. 97, 232.
B e ş l i u : Zimmermann (wie Anm. 8), S. 94.
Ebd., S. 96.
Rechnungen aus dem Archiv der Stadt Hermannstadt und der Sächsischen Nation. In: Quellen zur Geschichte
Siebenbürgens aus Sächsischen Archiven. Bd. 1. Hermannstadt 1880, S. 486-489.
Gesellschaftliche Gruppen im Hermannstädter Siechenhaus
125
Der erste urkundlich früh vermerkte Verwalter war Nicolaus Pictor, der 1386 an der Errichtung der Spitalkirche und der Pfarrkirche beteiligt war. Clemens, provisor pauperum hospitali,
ein ehrenwürdiger Mann, wurde 1448 als Zeuge erwähnt25. Einige Monate später bekleidete
Petrus Sigismund von Salzburg denselben Titel26. Im Dezember 1507 wurde Johannes aus
der berühmten Familie Lutsch zum vitricus27 gewählt und Johannes Agota stand ihm im
Amt des locumtenens bei28. Petrus Sigismund von Salzburg nahm eine höhere Position in
der Hierarchie ein, die der Notar Petrus Urbanus in der Urkunde von 1448 aufgezeichnet
hat; Antonius Johannes wurde als zweiter aufgezählt29. Der Rang des Antonius Johannes
änderte sich 1454, als er provisor domus sancti spiriti wurde30.
Die Titel provisor und procuratrix pauperum, die für den Vorsteher des Spitals in den Rechnungen des Magistrats erwähnt wurden, könnten die Absicht andeuten, das Amt des Verwalters des Ordens (vitricus) mit jenem des Verwalters einer weltlichen Gemeinschaft (provisor)
zu ersetzen, das Mathias Bwser vor 1506 einnahm31. Der Orden war aber noch recht groß,
so dass die traditionelle Benennung vitricus beibehalten wurde.
Nach der Reformation ist für den Verwalter die Benennung Vater des Spitals aufgekommen. Dieser war eine bedeutende Person, die aus der Reihe der Beamten ernannt wurde,
die Buchhaltung des Spitals führen konnte, dem Magistrat einen jährlichen Bericht vorlegte
und eine beträchtliche Entlohnung erhielt32.
Die Hospitalisierten des Spitals im 16. Jahrhundert
Die Bezeichnung Oberes Siechenhaus wurde erstmals im Rechnungsregister des Spitals von
1538 erwähnt. Vermutlich handelte es sich um das Gebäude neben dem Rathaus, das um die
Mitte des 16. Jahrhunderts am Rand des damaligen Friedhofs errichtet wurde und von jenem
neben der Spitalkirche zu unterscheiden ist. An unterschiedlichen Orten befanden sich kleine
Gebäude des Spitals, die für 7 beziehungsweise 3 Gulden und 50 Denare verkauft wurden33.
Die Anzahl jener, die von der Gemeinschaft Hilfe erfuhren und in das Spital gebracht wurden, kann schwer bestimmt werden. Julia Derzsis Schätzungen, dass im 16. Jahrhundert im
Spital von Hermannstadt 10-15 Personen hospitalisiert waren, können schwer urkundlich
oder archäologisch belegt werden34. Übrigens war die Zahl der Hospitalisierten schwankend.
Andererseits war die gekaufte Nahrung für die Versorgung der Einwohner aus beiden Gebäuden sowie für die Angestellten bestimmt. Es kann angenommen werden, dass nach der
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Ub. 5, S. 232.
UB. 5, S. 253.
Rechnungen (wie Anm. 24 ), S. 487.
Johann Karl A l b r i c h : Geschichte der Hermannstädter Spithals- und Almosen-Stiftungen. Handschrift in: ANS,
Colecţia Brukenthal, H-8, Fol. 26 v.-28 v.
Ub. 5, S. 253.
Ub. 5, S. 432.
Rechnungen (wie Anm. 24 ), S. 446.
Julia D e r z s i : Organizarea acţiunilor caritabile din Sibiu în deceniile de după Reformă [Die Organisation der
karitativen Aktivitäten in Hermannstadt in den Jahrzehnten nach der Reformation]. In: Historia Urbana 18 (2010),
S. 67.
Friedrich Victor K e p p : O socoteală inedită a Spitalului Sibian din anii 1537-1538 [Eine unveröffentlichte Rechnung
des Hermannstädter Spitals aus den Jahren 1537-1538]. Cluj 1934, S. 18f.
D e r z s i (wie Anm. 32), S. 68.
126
Petre Beşliu
Reformation die von der Verwaltung des Spitals angeschafften Lebensmittel auch für die
Nahrung der nichtinstitutionalisierten Mittellosen verwendet wurde; also ist der Vergleich
der Nahrungsmenge mit der Anzahl der Hospitalisierten nicht aufschlussreich.
Anfangs bediente das Spital die Gemeinschaft der Stadt Hermannstadt und vermutlich
auch den Stuhl Hermannstadt. Das Spital von Weißenburg – ebenso wie jenes von Mediasch –
funktionierte sicherlich nur im 15. Jahrhundert. Versorgt wurden alle Bedürftigen, ungeachtet ihrer Herkunft, wie die Hospitalisierung einer Ungarin in der Woche der Allerheiligen 1537
zeigt35. Wie auch bei den Rumänen, die in der Wirtschaft des Spitals arbeiteten, wurde ihr
Name nicht aufgezeichnet.
Im christlichen Geiste bezieht sich der Vertrag von 1292 auf alle Notleidenden, die Armen
und Schwachen, aber auch auf eine besondere Gruppe, die Hinkenden36.
Beim Eintritt in das Spital oder das Siechenhaus musste, gemäß der Aufzeichnungen des
Verwalters, die Summe von 4 Gulden bezahlt werden37. Später verdeutlichte der Verwalter,
dass diese Summe für Lebensmittel bestimmt war38. Diese Summe wurde beispielsweise
einer Dienstmagd aus Kleinscheuern beim Verlassen des Spitals zurückerstattet39.
Wie aus dem Nachlassverzeichnis der Anna Zelerin ersichtlich wird, waren die persönlichen Güter der in Hermannstadt Hospitalisierten gering. Anna hinterließ zum Verkauf drei
unterschiedlich abgenutzte Hemden, Kerzen, einen Mantel, einen Silberlöffel und eine Kuchenform40. Ein Jahr zuvor starb die noch ärmere Barbara, die alte. Nach ihrem Tod wurden
nur ein Mantel und eine Brustjacke verkauft. Die dem Spital hinterlassene Summe betrug
2,64 Gulden41. Loerinz aus Neppendorf besaß nur drei für 10 Denare verkaufte Kittel, die er
dem Spital hinterließ42.
Die Meinung von Emil Sigerus, dass das Obere und das Untere Siechenhaus ausschließlich
für Frauen bestimmt waren, muss mit Zurückhaltung betrachtet werden43. Gemäß dem
Rechnungsregister von 1537 war eine Frau im Oberen Siechenhaus hospitalisiert, aber zwei
andere kamen in das Spital44. Im gleichen Jahr vermietete das Spital einer Frau und einem
Mann ein Zimmer45. 1527 wurden zwei Männer hospitalisiert und ein dritter kaufte für vier
Gulden ein Zimmer im Seelhaus46.
Angestelltengruppen
Die Zahl der nachmittelalterlichen Angestellten des Spitals übertraf jene der Hospitalisierten;
sie stellten die produktive Gruppe dar, als ständige oder als gelegentliche Angestellte. Das
Spital stellte für gewisse Tätigkeiten Schmiede, Metzger, Zimmerleute, Maurer an.
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K e p p (wie Anm. 33), S. 15.
Ub. 1, S. 192.
K e p p (wie Anm. 33), S. 15.
ANS, Socoteli economice, III, 218 (wie Anm. 7), Fol. 3.
D e r z s i (wie Anm. 32), S. 68f.
ANS, Socoteli economice, III, 219 (wie Anm. 7), S. 3.
Ebd., III, 218, S. 3.
Ebd., III, 219, S. 3.
Emil S i g e r u s : Vom alten Hermannstadt. Bd. 2. Hermannstadt 1923, S. 93.
K e p p (wie Anm. 33), S. 15.
Ebd., S. 18f.
Gustav S e i v e r t : Aus dem Archiv. In: Transilvania 3 (1863), S. 176.
Gesellschaftliche Gruppen im Hermannstädter Siechenhaus
127
Die Fuhrleute übten eine rentable Tätigkeit aus, wie die Geldsummen zeigen, die vom
Spital für den Transport der Güter und Personen mit dem Fuhrwerk im 15. und vor allem
im 16. Jahrhundert gezahlt wurden. Ein großer Fuhrwagen wurde 153847 vermerkt; ein
Wagenknecht erhielt einen Rock und ein Haber Hafer48. Das Ausgabenverzeichnis von 1527
unterscheidet zwischen grosswagenknecht, vorreiter und kleinst knecht49.
Auf Knechte und Tagelöhner beziehen sich mehrere Aufzeichnungen, etwa für die Bezahlung
von Kleidung und Schuhwerk der Knechte, für den Unterhalt der Fuhrwagen, der Pferde
und manchmal der Gebäude. Ein grosse(r) knecht wird 153850, gesind knechten und hirten
werden 1527 erwähnt51. Gleichzeitig ist von schweinhirten52 und einem wird aus Hamlesch
die Rede, der vermutlich den Weingarten zu verwalten hatte53. Dem Hirt stand 1527 sein
weib zur Seite. Die Bedeutung der Beschäftigung und somit die Löhne waren nicht gleich.
Ein Fuhrmann erhielt 1528 12 Gulden. Der Pfleger der Zugtiere bekam zusammen mit seiner Frau 8 Gulden und die Köchin Anna 3 Gulden. Alle erwähnten Personen wurden in ein
getrenntes Kapitel eingetragen54.
Die Köchin befand sich unter den ständigen Angestellten, die mit Geld und in Produkten
bezahlt wurden. Das Register von 1582 erwähnt die köchin im Spital55. In der Regel wurde
ihre Entlohnung zusammen mit jener der Knechte vom Maierhof eingetragen.
Andere Knechte leisteten Gelegenheitsarbeiten. Drei Personen arbeiteten 1581 neben dem
Spital, um einen Zaun anzufertigen und den Ort sauber zu halten56. Andere Knechte arbeiteten 1598 in Hamlesch bei der Reinigung des Weingartens57. Die Knechte (gesindt) vom
Mayerhoff und Spital wurden in den Rechnungsregistern von 1581-1582 in ein gesondertes
Kapitel eingetragen. Mit einer einzigen Ausnahme (Maeyrer Hansen) wurden ihre Namen
nicht notiert58. Die Rechnungsverzeichnisse vom Ende des 16. Jahrhunderts enthalten selten
Angaben zur Herkunft der Angestellten wie: Amlescher, mill Knecht59, bloch60.
Die Beziehung des Spitals zu den Maierhöfen außerhalb der Stadt, die mehrheitlich von
Rumänen bewohnt wurden, kann mit Hilfe der Quellen aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts veranschaulicht werden. 1538 wurden die Rumänen, die im Spital dienten, mehrmals
erwähnt: 2 par wyrbess dem walachen61; item den vlachen das sie das gress bey der steinbrüken62;
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54
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56
57
58
59
60
61
62
K e p p (wie Anm. 33), S. 27.
Ebd., S. 30.
S e i v e r t : Archiv (wie Anm. 46), S. 180.
K e p p (wie Anm. 33), S. 30, 32.
S e i v e r t : Archiv (wie Anm. 46), S. 179.
Ebd., S. 180.
Ebd., S. 179.
Ebd., S. 180.
ANS, Socoteli economice, III, 219 (wie Anm. 7), Fol. 8.
Ebd., III, 218, Fol. 14v.
Ebd., III, 221, Fol. 5v.
Ebd., III, 218, Fol. 9, 9v; 219, Fol. 8.
Ebd., III, 221, S. 2.
Ebd., III, 221, Fol. 2v, 4v, 6; 220, Fol. 9v.: mayrer bloch.
K e p p (wie Anm. 33), S. 23.
Ebd., S. 28.
128
Petre Beşliu
Ecker vom vlachen63. Die Maier pflegten die Rinder und Schweine und verarbeiteten die
Milch64.
Die im Weingarten des Spitals geleistete Arbeit wurde gut bezahlt. Gemäß dem von Gustav
Seivert veröffentlichten Register wurde Jacob Richerden für vier Arbeitstage mit 16 Gulden
entlohnt. Frauen wurden schlechter bezahlt. Das Schneiden, Pflügen und die Überwachung
des Weingartens wurden als getrennte Arbeiten betrachtet. 1538 wurde ein Wächter des
Weingartens bezahlt65.
Die Zahl der Angestellten des Spitals war 1578 höher. Im Register aus demselben Jahr
treffen wir einen Rinderhirten neben jenem, der die Kälber hütete, und einen Schweinehirten
an. Der Müller erhielt den höchsten Lohn66.
Die Schmiede wurden sowohl für die Reparatur der Wagenachsen als auch als Hufschmiede
gebraucht, wie aus dem Register von 1597 ersichtlich wird67. 1527 wurden einem Schmied,
der am Fuhrwagen arbeitete, 7 Gulden ausgehändigt68. Im gleichen Jahre erhielt der Schmied
Georg Schadelen 5 Gulden, weil er im Hof des Spitals gearbeitet hatte69. 1538 bekam ein
Schmied 6 Gulden und 50 Denar70.
Der Metzger, der 19 Schweine geschlachtet hatte, erhielt 1527 einen Gulden und 52 Denar
und dem Metzgergehilfen Hupprich Rymmeren wurden 2 Gulden und 50 Denar ausbezahlt71.
Die Zimmerleute wurden 153872 erwähnt, 1527 hingegen die Raddreher, die ebenso wie die
Schmiede an den Fuhrwagen des Spitals arbeiteten73.
Als Knecht im Spitalshof wird der Alte Benning (alten Bennick im Spital) bezeichnet, der
1538 die geringe, aber für einen Hospitalisierten erfreuliche Summe von 15 Denar erhielt74.
Später wurde er mit Kleidung belohnt75.
Nahrung, Heizung, Gesundheit, Sauberkeit –
Fragmente aus dem Alltagsleben in der nachmittelalterlichen Zeit
Die Nahrungsmittel bilden den größten Ausgabenposten der Spitalsrechnungen, Küchengeschirr ist archäologisch belegt. Eine Abhandlung über die Ernährung der Hospitalisierten
im Hotel Dieu von Paris bietet suggestive Vergleichsmöglichkeiten76.
63
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69
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73
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75
76
Ebd., S. 32.
ANS, Socoteli economice, III, 218 (wie Anm. 7), Fol. 3.
K e p p (wie Anm. 33), S. 32.
ANS, Socoteli economice, III, 217 (wie Anm. 7), Fol. 7v.
Ebd., III, 220, Fol. 11.
S e i v e r t : Archiv (wie Anm. 46), S. 180.
Ebd., S. 178.
K e p p (wie Anm. 33), S. 22.
S e i v e r t : Archiv (wie Anm. 46), S. 177.
K e p p (wie Anm. 33), S. 25, 27.
S e i v e r t : Archiv (wie Anm. 46), S. 179.
K e p p (wie Anm. 33), S. 21.
Ebd., S. 29.
Christine J e h a n n o : L’alimentation hospitalière à la fin du Moyen Àge. L’exemple de l’Hotel-Dieu de Paris (avec
édition de texte). In: Hospitäler in Mittelalter und Früher Neuzeit. Frankreich, Deutschland und Italien. Eine vergleichende Geschichte. Hôpitaux au Moyen âge et au Temps modernes. France, Allemagne et Italie. Une histoire
comparée. Hg. Gisela D r o s s b a c h . München 2007 (= Pariser Historische Studien 75), S. 107-162.
Gesellschaftliche Gruppen im Hermannstädter Siechenhaus
129
Das Spital von Hermannstadt hatte eine Nebenwirtschaft im Mayerhof am Rand der Stadt,
wo Schweine gemästet und wahrscheinlich Brot gebacken wurde. Die Menge der eigenen
Produkte, die für die Ernährung der Hospitalisierten und Angestellten bestimmt war, ist ein
Indikator für das Lebensniveau. 1527 wurden ein einziges Mal 19 Schweine geschlachtet77;
am 23. November 1581 waren es 9 Schweine, aber bis zum Ende des Fiskaljahres wurde das
Spital noch weitere 48 Mal mit Fleisch versorgt. Auch Öl wurde regelmäßig gekauft.
Das Grundnahrungsmittel war Brot78. Die Hospitalisierten und die Hofknechte erhielten
wahrscheinlich Schwarzbrot; das Weißbrot wurde für die Diensthabenden (dienst) gekauft79.
Fisch war im Mittelalter ebenfalls ein Hauptnahrungsmittel. Ein Knecht brachte Fisch aus
dem Hammersdorferteich80. Neben dem Stadttor gab es einen Fischteich des Spitals81. Die
Rechnungsregister vermerken auch den Kauf von Fisch, Fleisch, Öl und manchmal, an Feier- und Sonntagen, von Käse82.
1538 wurden die Ausgaben für Fleisch und Fisch 19 Mal aufgezeichnet. In manchen Fällen
wird angegeben, ob der Fisch wöchentlich oder nur am Freitag gekauft wurde. Ausgaben für
Fleisch, Fisch und Öl könnten auch unter die Bezeichnung speyss83 oder czerung dieser woche84
verborgen sein. Meist wurde die Bestimmung des Fleisches, Fisches und Öls nicht angegeben
oder es wurden beide Gruppen (auff das armut und ale ire helff und arbeitter)85 erwähnt. Es gibt
auch Ausnahmen: auff dem czerung des armuts86. Ein einziges Mal wird die Gruppe angegeben,
für die das Fleisch bestimmt war: schweine fleisch des armutts87. Der Ankauf von Knoblauch
erfolgte gelegentlich88. Zum gekauften Gemüse gehören auch Erbsen (erbess) und Bohnen
(bonen)89. 1538 wurde in drei Fällen auch die Fischsorte notiert: hausenfish90 und gruenfish91.
Vor allem an Feiertagen (Weihnachten, Ostern, Hl. Markus und Matthäus, Allerheiligen)
wurden 1527 für Fleisch und Fisch gleich 17 Ausgaben getätigt. Vor allem für Nahrung waren
die 25 Gulden bestimmt, die der Bürgermeister am Sonntag nach der Hl. Margaretha spendierte (auff notdurfftickeit und auffhaltung der Armer leuth)92. Zwischen Mai 1552 und April 1553
wurde 61 Mal Fleisch gekauft93. Von November 1552 bis April 1553 wurde das Fleisch einmal
und ausnahmsweise 2-3 Mal im Monat besorgt. 1561-1562 wurde 55 Mal Fleisch gekauft94.
77
78
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93
94
S e i v e r t : Archiv (wie Anm. 46), S. 180.
ANS, Socoteli economice, III, 219 (wie Anm. 7), Fol. 14-18.
K e p p (wie Anm. 33), S. 24. Das Weißbrot kostete 4 Denare.
Ebd., S. 28.
Toma Cosmin R o m a n : Sibiul între siguranţă şi incertitudine în zorii epocii moderne [Hermannstadt zwischen
Sicherheit und Unsicherheit zu Beginn der Neuzeit]. Alba Iulia 2007, S. 115.
K e p p (wie Anm. 33), S. 20ff.; S e i v e r t : Archiv (wie Anm. 46), S. 177-180.
K e p p (wie Anm. 33), p. 27: „speyss dise wochen, speyss dem gesinth“.
Ebd., S. 23f. (czerung und speyss), S. 27.
Ebd., S. 31.
Ebd., S. 20.
Ebd., S. 19.
Ebd., S. 28.
Ebd., S. 24.
S e i v e r t : Archiv (wie Anm. 46), S. 179.
K e p p (wie Anm. 33), S. 28.
S e i v e r t : Archiv (wie Anm. 45), S. 176.
ANS, Socoteli economice, III, 218 (wie Anm. 7), Fol. 1-12.
Ebd., III, 216, Fol. 7-16.
130
Petre Beşliu
1578 wurden die Ausgaben für Nahrung wöchentlich unter dem allgemeinen Namen
mall verzeichnet95. Das Fleisch wurde unter den Einkäufen an jedem Wochenanfang erwähnt. Auch Ende des Jahrhunderts (1598) war das Fleisch das erste unter den wöchentlich
angekauften Produkten. Nur Ende Februar 1599 wurde kein Fleisch in die wöchentlichen
Rechnungen eingetragen96. In acht Fällen wurde in einer Woche nur Fleisch gekauft97. Das
Register von 1581 zeigt, dass Fleisch 48 Mal98 gekauft wurde; 1582 geschah das 42 Mal99.
Käse wird in den Ankäufen von 1537 erwähnt100, 1597 und 1598 die Beschaffung von Salz101.
Wein wurde nicht eingekauft, muss aber den Spitalbewohnern und den Maiern vorgesetzt
worden sein, da das Spital Nutznießer der Hälfte des Weinzehntes von Hamlesch war und
die Arbeit der Knechte bei der Herstellung von Most erwähnt wird (siehe das Kapitel über
die Einkünfte des Spitals). Im Übrigen gibt es eine Notiz, dass für einen Knecht Wein (besserer Qualität?) gekauft wurde102.
Die archäologisch entdeckten Knochenfragmente deuten auf Veränderungen in der Struktur der Nahrung hin. Die Bewohner aus dem 13. Jahrhundert aßen Fleisch von Haus- und
Wildtieren. In den Ablagerungsschichten aus dem 15.-18. Jahrhundert ist die Anzahl der
Tierknochenfragmente gering; die Knochenreste von Wildtieren verschwinden103.
Außerhalb der Kirche war ein Friedhof, aber gleichzeitig auch ein Platz für die Ablagerung
der Haushaltsreste; auf diese Art sind sehr viele Bruchstücke von Küchengefäßen erhalten
geblieben. Die Fragmente von gebrannten Töpfen, mit oder ohne Henkel, und jene der
Topfdeckel beweisen, dass in der Nähe für die Mitglieder der Gemeinschaft zum Heiligen
Geist und später für die Hospitalisierten gekocht wurde. Ein Topf mit glasiertem Inneren
wurde in dem Raum südlich der Kirche entdeckt. Die Töpfe sind sogar zahlreicher als die
Tonkannen mit Fuß. Es wurden auch einige Bruchstücke von Schüsseln und Krügen aus
Ton sichergestellt. Keramik guter Qualität vermischt mit minderwertiger Ware finden wir
bei den meisten archäologischen Grabungen in Hermannstadt. Der Befund ist mit jenem
von Heidelberg vergleichbar, wo im 15. Jahrhundert schlecht gebrannte Keramik hergestellt
wurde104. Die Priester genossen auch im 16. Jahrhundert eine bessere Nahrung, 1538 etwa
einen strucz(e)ll105.
Merkwürdig ist für eine Anstalt, über die wir nicht wissen, ob sie Wälder besaß, dass in
den Registern vom Anfang des 16. Jahrhunderts keine Ausgaben für Brennholz vermerkt
wurden. Es kann angenommen werden, dass die Ausgaben für die Heizung vom Magistrat
95
96
97
98
99
100
101
102
103
104
105
Ebd., III, 217, Fol. 5-6 v.
Ebd., III, 221 (wie Anm. 7), Fol. 1. Auch im vorhergegangenen Jahr wurde das Fleisch wöchentlich besorgt: ebd.,
III, 220, Fol. 1-8.
Ebd., III, 221, Fol. 2, 4, 6, 6v, 7, 8.
Ebd., III, 218, Fol. 14-16v.
Ebd., III, 219, Fol. 12f.
K e p p (wie Anm. 33), S. 20.
ANS, Socoteli economice, III, 220 (wie Anm. 7), Fol. 7v; 221, Fol. 5.
Ebd., III, 221, S. 30.
Petre B e ş l i u M u n t e a n u : Cercetarea arheologică a Bisericii Azilului din Sibiu [Die archäologische Untersuchung
der Siechenhauskirche von Hermannstadt]. In: Corviniana 7 (o. J.), S. 142f.
Dieter L u t z : Vor dem großen Brand, Leinfelden-Echterdingen 1992, S. 66f. und Abb. 65 auf S. 66.
K e p p (wie Anm. 33), S. 30.
Gesellschaftliche Gruppen im Hermannstädter Siechenhaus
131
übernommen worden sind, weil dieser 1505 einen Gulden für das ad usum pauperum gebrachte Holz ausbezahlt hat106. 1554 bestellte der Magistrat kurz vor Weihnachten Holz107.
Ausgaben für den Ankauf oder Transport von Holz häufen sich ab dem Ende des 16. Jahrhunderts. Zwischen April 1582 und März 1583 wurden 30 Gulden und 79 Denar für Holz
ausgegeben, das für die Hospitalisierten und die Knechte bestimmt war108. 1654 wurde in
der kalten Jahreszeit zweimal im Monat sowie einmal im Juni Geld für den Holztransport
ausgegeben, aber zwischen Juli und Oktober gar keines109. Hingegen wurde 1582-1583 in den
Monaten April bis September 3-5 Mal und im Oktober bis Februar 6-8 Mal Holz gebracht.
Ausnahmen bildeten die Monate März, als zwei, und Januar, als fünf Holztransporte stattgefunden haben.
Der Mangel an Informationen erlaubt uns keine detaillierte Analyse der Lebensqualität
der Hospitalisierten. Außer der Nahrung und der Heizung gibt es urkundliche Angaben
über die Kleidung und das Schuhwerk, die die Hospitalisierten und Knechte benutzten. Die
Satzung der Leinweberzunft von Kronstadt verdeutlicht, dass die Stoffstücke, die nicht die
vorgesehenen Maße hatten, beschlagnahmt und dem Spital gespendet werden konnten110.
In der ersten Bestandsaufnahme von 1527 wurden das Leinen leymbeth vor da gesindt und
ein Stuck Leymbeth erwähnt111. Bei der Auswertung der täglichen Bedürfnisse der Hospitalisierten muss ihr fortgeschrittenes Alter und der allgemeine Verbrauch der Bevölkerung
der mittelalterlichen und nachmittelalterlichen Städte, insbesondere der armen Schichten,
in Betracht gezogen werden.
Die Kleidung der Knechte: Die jährlich verteilten Schuhe (schuhen, schuchen)112 werden öfter
erwähnt. 1537-1538 wurden den Rumänen und den Knechten Bundschuhe (wyrbess-wuerbesswerbess) gegeben113. Stiefel (stiwell, stibell) trugen 1537 die Fuhrleute114. Die Belohnung in
Produkten bestand aus Kleidern (gatcha-gatchen-gattia, grawen rock, kitten hemden, hosen)115,
Hüten, Gürteln-Schnüren (huth, kelbergurtels)116 und Handschuhen117. Manchmal wird auch
die Qualität der Kleider angegeben: lainen (groses) hosen118.
Eine Aufzeichnung im Rechnungsregister von 1538 über den Ankauf von Schreibpapier
bezeugt, dass es im Spital für Briefe und Abschreiben benutzt wurde119. Ein Schreiber wird
1578 erwähnt120.
106
107
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119
120
Rechnungen (wie Anm. 24), S. 44.
ANS, Fondul Primăria şi Magistratul oraşului Sibiu. Socoteli consulare [Bürgermeisteramt und Magistrat der Stadt
Hermannstadt, Konsularrechnungen] 207, Fol. 58 v.
ANS, Socoteli economice, III (wie Anm. 7), 219, Fol. 15, 15 v.
A l b r i c h (wie Anm. 28), Fol. 41, Anhang XX.
Quellen zur Geschichte der Stadt Kronstadt, Bd. 9: Zunfturkunden (1420-1580). Bearb. Gernot N u s s b ä c h e r ,
Elisabeta M a r i n . Kronstadt 1999, S. 189.
S e i v e r t : Archiv (wie Anm. 46), S. 179.
K e p p (wie Anm. 33), S. 28.
Ebd., S. 20, 22f., 27, 30. Sie erscheinen auch im Register von 1598 als einem Hirten zugeteilt (ANS, Socoteli economice, III, 221 (wie Anm. 7), Fol. 3 v).
K e p p (wie Anm. 33), S. 21, 32; Stiefel mit unterschiedlichen Preisen an gross Knecht und gross Peter geschenkt.
ANS, Socoteli economice, III, 218 (wie Anm. 7), Fol. 9; K e p p (wie Anm. 33), S. 21-24, 26, 29f.
ANS, Socoteli economice, III, 218 (wie Anm. 7), Fol. 9; K e p p (wie Anm. 33), S. 22, 24.
K e p p (wie Anm. 33), S. 22 (2 hyntschen).
ANS, Socoteli economice, III, 217 (wie Anm. 7), Fol. 7.
K e p p (wie Anm. 33), S. 30.
ANS, Socoteli economice, III, 217 (wie Anm. 7), Fol. 7v.
132
Petre Beşliu
Die gesunden Hospitalisierten wurden in die tägliche Verwaltungsarbeit einbezogen. In
England wurde Arbeit als ein Mittel empfohlen, die Zeit sinnvoll zu verbringen121. Das vom
Klang der Kirchenglocke rhythmisierte Alltagsleben wurde – wie in der ganzen Stadt – von
unangenehmen Ereignissen wie dem 1509 von einer Frau und einem Mann (einer im Spital
arbeitenden Familie?) verursachten Brand122 sowie von den religiösen Feiertagen unterbrochen. Oft fanden Begräbniszeremonien statt. Der bei archäologischen Grabungen entdeckte
durchlöcherte Würfel beweist eine Art des Zeitvertreibs und nicht das von der Kirche verbotene Glückspiel123. Die Frauen beschäftigten sich mit dem Nähen; der in einer Ablagerungsschicht aus dem 19.-20. Jahrhundert entdeckte Fingerhut belegt diese Beschäftigung. Informationen über die Tätigkeiten der Hospitalisierten finden sich nur für das 18. Jahrhundert.
Vor 1766 verfügen wir über wenige urkundliche Informationen und anthropologische Daten oder andere Anhaltspunkte über den Gesundheitszustand der Hospitalisierten. Bucklige
waren selten. Zwei ausgegrabene Frauenskelette mit Säuglingen auf der Brust erheben die
Frage: Waren im Spital von Hermannstadt mittellose Frauen mit kleinen Kindern oder sogar
Schwangere untergebracht?
Urkunden aus dem 18. Jahrhundert, aber auch archäologische Funde zeigen, dass eines
der häufigsten physischen Leiden von Fußkrankheiten verursacht wurde. Im Register von
1527124 wird ein Hinkender erwähnt.
Der Beitrag von Michael Altemberger, dem Sohn des wohlbekannten Bürgermeisters
Thomas Altemberger, zur Ausrüstung des öffentlichen Bades im Spitalhof zeigt das Interesse der Hermannstädter Gesellschaft – und zwar nicht nur der reichen Familien – an der
Körperpflege125. Die Entlausung der Hospitalisierten war üblich, wie ein ausgegrabener
spezifischer Kamm beweist.
Die Spitalbewohner in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts
In der Zeit zwischen 1597, dem Jahr, aus dem das Verzeichnis der Ausgaben und Einkünfte
stammt, und 1766, als die Konskription der Hospitalisierten erstellt wurde, haben im sozioökonomischen Leben der Stadt Veränderungen stattgefunden. Im Spital gab es nun noch
mehr Hospitalisierte aus dem deutschsprachigen Raum. Das Spital musste inzwischen auch
auf einen beachtlichen Teil seiner traditionellen Einkünfte verzichten, doch setzte sich die
städtische Gemeinschaft weiterhin für ihre mittellosen Mitbürger ein.
Dank der kaiserlichen Zensoren verfügen wir über detailliertere Informationen über die
Hospitalisierten aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Doch sind nicht alle Mitteilungen sicher, das sie von älteren Menschen nur aus der Erinnerung wiedergegeben worden
sind oder der Zurückhaltung gegenüber den nach Einquartierungsplätzen suchenden kaiserlichen Behörden zuzuschreiben sind.
121
Nicholas O r m e , Margaret We b s t e r : The English Hospitals. London 1995, S. 122.
Rechnungen (wie Anm. 24), S. 78.
123 Ein Würfel wurde im Spital am Kornmarkt entdeckt: L u t z (wie Anm. 118), S. 117, Tafel 154.
124 S e i v e r t : Archiv (wie Anm. 46), S. 176.
125 Rechnungen (wie Anm. 24), S. 544.
122
Gesellschaftliche Gruppen im Hermannstädter Siechenhaus
133
Zahl und soziale Stellung der Hospitalisierten
Im Verzeichnis von 1766 wurden die Bewohner des Spitals nach den Gebäudeteilen verzeichnet, in denen sie sich aufhielten. Ihm zufolge gab es sechs Gebäudeteile, zwischen ihnen ein
neues, gewölbtes Zimmer. Die für Krankensäle bestimmten Bauten waren mit Stockwerken
versehen und das Haus des Predigers (der südlich an die Kirche angebaute Teil) hatte eine
untere Wohnebene126.
Nach den Modernisierungsarbeiten gab es 1773 im Spital 28 Zimmer mit je 1-2 Betten. Nur
in zwei Zimmern befanden sich je drei Personen. Es handelte sich insgesamt um 59 Insassen
beiderlei Geschlechts. In der Konskription von 1773127 finden wir nur sechs der dreizehn Namen aus dem Verzeichnis von 1766 wieder. Unter ihnen war Margaretha Kirscher (Kürscher
im Jahre 1773), die sagte, dass sie aus Agnetheln stamme. Jede Familie hatte wie schon 1766
ein Zimmer. Die Alleingebliebenen wohnten einzeln oder zu zweit im Zimmer. Ausnahme
bilden die sieben Patienten aus dem Krankensaal, den sie mit einer Pflegerin Agnetha Tratzko
teilten. Die Patienten waren im Alter zwischen 19 und 84 Jahren, die meisten zwischen 50
und 60 Jahre alt. 1773 befanden sich im Spital 20 Emigranten. Folglich wurden ihnen neun
Zimmer zugeschrieben. Die ziemlich hohe Zahl der Emigranten, die sich im Spital befanden,
war in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts relativ konstant; 1766 waren es 13 Personen,
die nicht aus Siebenbürgen stammten. Im Allgemeinen war die Bevölkerung des Spitals in
der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts schwankend. Die Unterschiede zwischen der Zahl
der Hospitalisierten in den drei Verzeichnissen kann der Entwicklung des Spitals und der
zunehmenden Zahl der Betten zugeschrieben werden.
Die undatierte Satzung der Spitalbewohner, die nach der erwähnten Zählung verfasst
wurde, liefert besondere Informationen128. Agneta Tratzko kam zusammen mit ihrer Familie
ins Spital, blieb später allein und wurde als Krankenpflegerin angestellt. Für die geleistete
Arbeit (die Reinigung der Zimmer und wahrscheinlich die Pflege der Schwachen) erhielt sie
1773 ein Gehalt von 15 Gulden und Kleidung129.
In der Gruppe der allein gebliebenen „Unglücklichen“ befanden sich mehrere Personen.
Es traten in das Spital einige weniger bedeutende Stadtbeamte sowie die Witwen anderer
Beamten ein130.
Die zahlreichste Gruppe bildeten die Witwen und Witwer. 1766 waren von den 41 Erwachsenen 16 Witwen beziehungsweise Witwer; in der Satzung des Spitals waren 31 der 54
Erwachsenen Witwen oder Witwer. 11 Hospitalisierte waren nicht arbeitsfähig.
126
127
128
129
130
ANS, Colecţia Brukenthal, KK 1-31, 9, Fol. 11-14. Die Verzeichnisse mit den Spitalbewohnern aus der zweiten
Hälfte des 18. Jahrhunderts wurden publiziert von Petre B e ş l i u M u n t e a n u : Locuitorii Spitalului din Sibiu
din a doua jumătate a secolului al XVIII-lea [Die Bewohner des Hermannstädter Spitals in der zweiten Hälfte des
18. Jahrhunderts]. In: Transilvania 3-4 (2011), S. 124-128.
ANS, Colecţia Brukenthal (wie Anm. 126), Fol. 15-17.
ANS, Colecţia Brukenthal (wie Anm. 126), Fol. 19.
Ebd., Fol. 17.
In der Satzung des Spitals: Johannes Kloess aus Zimmer 12, Maria Wolf, die Tochter des Stadtreiters aus Zimmer
20, Agnetha Buchholzer aus demselben Zimmer; Sophia Schuster, Trabantenwitwe aus Zimmer 7, Agnetha Klusch,
Knechtswitwe aus Zimmer 11, Johannes Gottlieb Ventsch, ehemals Angestellter der Stadt Raab Zimmer 24, in
ANS, Colecţia Brukenthal (wie Anm. 126). Catharina Schuller, die Witwe eines Torwächters, im Jahre 1766 (ebd.,
Fol. 14). Johannes Gläser, ehemaliger Trabant aus Zimmer 10, im Jahre 1773 (ebd., Fol. 16).
134
Petre Beşliu
Das Interesse der Zähler an der produktiven Tätigkeit der Hospitalisierten wird aus dem
Urteil ersichtlich, dass Johannes Schell aus Zimmer 22 weniger arbeitet, in der Kirche hilft
und bettelt. Gemäß den Informationen aus der Satzung hatten drei unverheiratete Frauen
einen Vertrag mit dem Spital geschlossen, ein Hinweis auf die Herausbildung moderner
Vertragsbeziehungen in der Kranken- und Altenpflege131. Die meisten Hospitalisierten, die
aus christlicher Solidarität aufgenommen worden waren, wurden aus den sozialen Fonds
der Stadt gefördert und arbeiteten ihren Kräften entsprechend. Es gab auch Sonderfälle wie
Johannes Lorentz, einen Akademiker, der 1766 als unglücklich bezeichnet wurde132.
Schicksale
Hinter jedem Hospitalisierten stand ein dramatisches Schicksal, das die Anwesenheit in
einer Wohltätigkeitsanstalt erklärte. Joseph Kassberger, in der Satzung des Spitals erwähnt,
wohnte mit seiner Schwester Maria. Sie kamen aus Oberösterreich mit ihrer mittlerweile
verstorbenen Mutter und blieben im Spital. Zur Zeit der Eintragung arbeiteten die beiden:
Er war Tagelöhner, sie Dienstmagd und machte Handarbeit. Daniel Metass kam ins Spital
aus Neustadt, weil er seine Kinder nicht unterhalten konnte. Er flocht Hauben, und weil er
Hör- und Sprechschwierigkeiten hatte, blieb er im Spital, auch nachdem die Minderjährigen
gewachsen und weggegangen waren133. Auch Joseph Kassberger war ein Leidender: Er war
stumm. Daniel Mettert, der Sohn des Lehrers aus Reußdörfchen, war 1766 mit seiner Frau
und einem kleinen Mädchen im Spital. Er war Weber, aber sie konnten ihren Lebensunterhalt nicht bestreiten. Er stotterte und seine Frau war schwach. Sie erhielten nicht einmal
Almosen134.
Eine einzige Frau, Katharina Roeder aus Oberösterreich, erklärte 1755, dass sie ihr Leben
aus eigenen Mitteln unterhielt135. Die meisten Personen erhielten Almosen und Brothilfe, und
zwar die Menge von 5-6 Scheffeln Weizen. Ausnahmsweise erklärte Petrus Sigmund aus Hermannstadt, Zimmer 21, in der Satzung, dass er über kleine Einkünfte von einem Groschen
verfüge, die ihm von seinem Anteil am Bäckerladen zustünden136.
Alter
Der Großteil der Hospitalisierten war im fortgeschrittenen Alter. 1766 war die 104-jährige
Eva Kärntner die Veteranin. Margaretha Kürscher, die 1709 hospitalisiert wurde (wenn kein
Fehler unterlaufen ist), muss auch ein fortgeschrittenes Alter gehabt haben137. Sie hielt sich
kaum auf den Beinen, arbeitete aber im Rahmen des Möglichen. Die Veteranen – von den
Ausnahmen abgesehen – wurden 1750 ins Spital gebracht; die letzten Hospitalisierten traten
1766, im Jahr der Zählung, ein. Die Konskription von 1773 berichtet über das Alter der Hospitalisierten: 37 waren über 50 Jahre alt, 13 Personen 70 oder über 70 Jahre alt. Auch bei der
131
132
133
134
135
136
137
Einen Vertrag hatten: Christina Krämer aus Durlach, Maria Wolff aus Hermannstadt und Agneta Buchholzer aus
Hermannstadt, vgl. ANS, Colecţia Brukenthal (wie Anm. 126), Fol. 19.
ANS, Colecţia Brukenthal (wie Anm. 126), Fol. 14.
Ebd., Fol. 19.
Ebd., Fol. 13.
Ebd., Fol. 12.
Ebd., Fol. 19.
Ebd., Fol. 13f.
Gesellschaftliche Gruppen im Hermannstädter Siechenhaus
135
unteren Altersgrenze gibt es Ausnahmen: Petrus Gündisch kam im Alter von 18 Jahren ins
Spital; wahrscheinlich war er gelähmt. Jung und verwirrt war Ana Linder, die schwangere
Tagelöhnerwitwe, die vom Rathaus hierher geschickt worden war. Aus diesem Fall erfahren
wir einen Weg, wie man im Spital aufgenommen werden konnte138.
Gesundheitszustand
Die Krankheiten, unter denen die Hospitalisierten litten, waren unterschiedlich. Einige
wurden vom fortgeschrittenen Alter hervorgerufen oder dadurch akuter (Erblinden, Gliederschwäche, Parkinson), andere wie die Epilepsie, Wassersucht oder Gicht waren altersunabhängig. In zahlreichen Fällen notieren die Zähler den allgemeinen Zustand: die Hospitalisierten sind geschwächt oder sehr krank139. Nur im Verzeichnis von 1773 erklärten elf
Hospitalisierte, dass sie gesund seien. Agnetha Klusch aus Alzen, die erklärte, sie habe am
ganzen Körper Nesselausschlag, kann keiner speziellen Gruppe von Kranken zugeordnet
werden140.
Einige Hospitalisierte von 1773 litten unter chronischen Krankheiten: Anna Henning
(Gicht), Martin Mueller und Wolf Beninger (Schlaganfall), Maria Klett (Wassersucht)141, Johannes Kloes und Maria Riedler (vermutlich Arthritis, wegen der Wunden an den Füßen)142.
In der Satzung des Spitals werden sechs und 1773 vier teilweise oder völlig gelähmte Hospitalisierte erwähnt. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurden die Hospitalisierten
von einem Arzt untersucht, was in einigen Fällen die Diagnose erklärt.
Herkunftsort
Im Verzeichnis von 1766 waren die Hospitalisierten größtenteils aus Hermannstadt und einige aus den benachbarten Ortschaften (Reußdörfchen, Bogat, Neudorf); einige Frauen waren
Emigrantinnen aus Durlach, Kärnten, Oberösterreich. Über eine einzige Hospitalisierte wird
mitgeteilt, dass sie eine Ungarin aus Klausenburg sei. Die meisten waren wohl evangelisch
und sprachen Deutsch. Die Schwäbin Elisabeth, die Ehefrau eines Soldaten, war katholisch.
Zusammen mit Maria Muess, die mit ihrem Ehemann (einem ehemaligen General) gekommen war, bildete sie eine neue Gruppe von Angehörigen kaiserlicher Militärs143.
Sittlichkeit
Die christlichen Traditionen der Wohltätigkeitsanstalt und der sächsischen Gemeinschaft
sind aus der Charakterisierung eindeutig, die den Hospitalisierten 1766 gemacht wurde. Einige wurden als gute Christen bezeichnet. Ana Linder, verwirrt und der Kirche entfernt, wurde
als sündig erklärt. Auch Maria Binder ging nicht in die Kirche. Sie hatte auch einen anderen
Fehler, der als Sünde betrachtet wurde, sie sprach nämlich zu viel. Die Zensoren haben auch
138
139
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142
143
ANS, Colecţia Brukenthal (wie Anm. 126), Fol. 14.
Mathias Keiser (Zimmer 23) wurde 1773 erst als geschwächt, dann als krank bezeichnet; ebenso Susanna Hihn
(Zimmer 13). Sehr krank waren Elisabeth Griener (75 Jahre alt) und Matia Schnureis (ebenda, Fol. 16f.).
Ebd., Fol. 19.
Ebd., Fol. 16f.
Ebd., Fol. 13.
ANS, Colecţia Brukenthal (wie Anm. 126), Fol. 13f.
136
Petre Beşliu
aufgezeichnet, dass in der Familie des Kürschners Johannes Kloess für eine gute christliche
Familie ungebührliche Streitigkeiten gehört werden144.
Beschäftigungen
Gemäß der Satzung der Spitalbewohner leisteten die Fähigen kleine Dienste in der Wirtschaft;
sie wurden als Hilfskraft in der Wirtschaft, als Hilfe bei verschiedenen Tätigkeiten, kleinen Reparaturen, als Tagelöhner oder Hilfe bei der Kirche erwähnt. Die Frauen flickten, nähten. Sara
Schuller aus Zimmer 24, über die der Zähler notierte, dass sie vom Schicksal geschlagen sei,
nähte für Händlerinnen, andere Hospitalisierte spannen Baumwolle oder Wolle, webten
Wolle, sammelten Daunen, reinigten die Öfen, fertigten Bänder oder verkauften verschiedene Sachen, wie Catharina Töpfer aus Hermannstadt, die in der Satzung der Spitalbewohner
erwähnt wurde. Es ist nicht bekannt, welche Art von Gegenständen aus Birkenholz Catharina Binder, eine Witwe aus Hermannstadt, für Bedürftige angefertigt hat145. In der Satzung
erscheinen auch neue Beschäftigungen. Die Feinbäckerin war bucklig, sie konnte aber ihren
Beruf ausüben146, Johannes Jacob Reuter aus Kärnten, Zimmer 13, war Maurer, erklärte aber
in der Satzung, dass er Bücher binde.
Der Ausdruck steht auch bey der Kirche / steht auch vor der Kirchen-Thüre / geht auch bey die
Kirche weist auf Betteln hin, etwa bei Johannes Kloes. Andererseits wurde nur über den in
der Satzung des Spitals erwähnten Johannes Schell aus Zimmer 22 ausdrücklich behauptet,
dass er bei der Kirche bettelte (steht bey der Kirche und geht betteln)147.
Aus der Perspektive der Untersuchung der Entwicklung des mittelalterlichen und neuzeitlichen Spitals bildeten die Pfleger die interessanteste Gruppe der Spitalbewohner. Georg
Schönhauser war Pfleger und Pförtner. Er hatte ähnliche Zuständigkeiten wie jene, die 1746
der Pfarrer Daniel Filtsch schriftlich überlieferte: Er sollte den Schnee um die große Kirche
fegen, die Hunde verjagen und die Türe schließen148. Wegen der physischen Schwäche
wurde er zum Dienst der Übernahme von Spenden versetzt. Der erwähnte Pfleger wohnte seit langer Zeit im Spital, zusammen mit seiner Frau, die auf Krücken ging, und seiner
13-jährigen Tochter.
(Übersetzung aus dem Rumänischen: Eva-Maria P a p p )
144
Ebd., Fol. 13.
Ebd., Fol. 19.
146 Susana Berger aus Zimmer 19 war Feinbäckerin: ebd., Fol. 17.
147 Ebd., Fol. 16, 19.
148 Ebd., Fol. 5.
145
Zeitschrift für Siebenbürgische Landeskunde 34 (2011), Heft 2
137
Das „Spiel vom König und vom Tod“
Ars moriendi im siebenbürgischen Fastnachtsbrauchtum
Von Irmgard und Werner S e d l e r
Die Vorderste Nachbarschaft in Zied verwahrte noch in den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts ein in blaues Papier eingeschlagenes Schulheft, das den Text eines bis
zum Beginn des 20. Jahrhunderts bei den Sachsen in ganz Siebenbürgen bekannten, dramatisierten und während der Faschingszeit aufgeführten Liedes/Spieles „Vom König und vom
Tod“ beinhaltete. Der Vermerk auf dem Deckblatt nannte neben dem Titel das Jahr 1845 und
den Namen des damaligen Altknechtes der Zieder Bruderschaft, Georg Homm (1825-1882)1,
der die Aufzeichnung wohl zu Aufführungszwecken vorgenommen hatte.
Im Jahr 1913 haben die erwähnten Aufzeichnungen des Georg Homm als Vorlage für einen
weiteren, heute noch vorhandenen Text in der Niederschrift von Wilhelm Rothmann (18961931) gedient2. Anlässlich einer Inszenierung, die Richard Wolfram (1901-1995) nach jahrzehntelanger Aufführungspause im Ort im Jahre 1937 zu volkskundlichen Studienzwecken
angeregt hatte, ist der Hommsche Text oder aber eine weitere Abschrift verwendet worden3.
Letztlich liegt uns ein zwölfseitiges Typoskript des „Königsliedes/Todesliedes“ aus Alzen
um 1900 vor, das sich ehedem im Besitz von Konrad Schuster (1934-2007) in der genannten
Harbachtaler Ortschaft befand und anlässlich der letzten Aufführung im Jahre 1967 als Vorlage genutzt wurde. Auch hier spricht der knapp und präzise gehaltene Anweisungsapparat für eine zu Aufführungszwecken vorgenommene Aufzeichnung (im Folgenden Alzen I
genannt)4. Eine weitere in Alzen aufgefundene, unvollständige Fassung auf sieben Seiten,
die keinem Schreiber bzw. keiner Bruder-/Nachbarschaft zuzuordnen war, weicht in Wenigem von der hier wiedergegebenen ab (Alzen II)5. Die zeitlich uns am nächsten kommende
Variante ist eine Tonbandaufnahme aus dem Jahr 1986, die das gesungene „Königslied“
wiedergibt (Alzen III).
Frühere Erwähnungen und wissenschaftliche Recherchen belegen die allgemeine Verbreitung des Fastnachtspieles in der zweiten Hälfte des 19. und noch zum Beginn des 20. Jahrhunderts. Im Jahre 1901 erwähnte der Siebenbürgenreisende Emil Soffé (1851-1922) handschriftliche Belege vom Anfang des 18. Jahrhunderts zu dem „Königslied“,
1
2
3
4
5
Werner S e d l e r, Albert A r z : Die Höfe und ihre Bewohner. In: Zied. Ein Dorf und seine Geschichte. Hgg. Irmgard
und Werner S e d l e r . Ludwigsburg 2003, S. 332.
Ebd., S. 294.
Die mir im Jahre 1995 erteilte Auskunft stammt von Johann R o t h m a n n (1908-2002), zuletzt in Bietigheim lebend,
der 1937 maßgeblich an der Aufführung beteiligt war. Vgl. auch Richard W o l f r a m : Drei Volksschauspiele aus
Siebenbürgen. In: Jahrbuch für ostdeutsche Volkskunde 19 (1976), S. 83-131.
Privatarchiv Sedler, Kornwestheim.
Ebd. Zudem Gesprächsaufzeichnungen und Tonaufnahmen mit Johann R o t h m a n n (Zied/Bietigheim, Hausnr.
22, 1995), der in der Zieder Aufführung von 1937 den Tod darstellte; mit Maria B a r t e l (Zied/Lauffen a. Neckar
2006) und Konrad S c h u s t e r (Alzen/Darmstadt 1986 und 2004).
138
Irmgard und Werner Sedler
1. Ausschnitt aus den „Statuten der Bruderschaft für die Ortschaften des Mediascher Stuhls“, eingeführt
im Jahre 1822 in Reichesdorf. Artikel 18 betrifft das Verhalten in der Fastnacht.
Ars moriendi im siebenbürgischen Fastnachtsbrauch
139
das in einigen Gegenden Siebenbürgens bis auf den heutigen Tag, hauptsächlich in der
letzten Woche vor dem Advent oder nach Neujahr in der Woche, wenn das Evangelium
von der Hochzeit zu Cana gelesen wird, zur Aufführung gelangt.6
Ohne auf die nähere Herkunft dieser Texte einzugehen, bezog sich Soffé auf das Gebiet der
Großen Kokel, das Umland von Mediasch:
Das Gedicht ist über den größten Theil des Sachsenlandes verbreitet und wird vollständig in mehreren Ortschaften des Mediascher, Großschenker und Bogeschdorfer Capitels
aufgeführt, während es in andern Orten bloß fragmentarische Darstellung findet und von
mannigfachen Gebräuchen umgeben ist.7
Solches hielt eine Generation vor Soffé schon der siebenbürgische Pfarrer und Dichter Martin
Malmer (1823-1893) fest. Malmer erwähnt noch Braller, Feldorf, Nadesch und Leschkirch
als Orte, an denen das Spiel seinerzeit lebendig war8. Er war auch der erste, der den überlieferten Spieltext in vollem Umfang in einem Aufsatz veröffentlichte und dabei auf zeitliche
und brauchmäßige Umstände der Aufführungssituation einging. Auch Regieanweisungen
kommen in dem mit „Königslied“ betitelten Beitrag von 1857 vor9. Johann Mätz (1826-1901)
erwähnte seinerseits das Spiel im Zusammenhang mit Hochzeitsaufführungen10. Friedrich
Wilhelm Schuster (1824-1914) richtete sein Augenmerk auf den mythischen Substrat respective die historischen Hintergründe, vor denen er die Verbreitung des Spieles in Siebenbürgen
(siehe Aufführungen bei Hochzeiten) gerechtfertigt sah11. Zu einem Rückkoppelungseffekt
kam es um die Wende zum 20. Jahrhundert: Ernst Buchholzer hatte das „Königslied“ in
voller Textlänge in seinen Aufsatz über „Die siebenbürgisch-sächsische Volksdichtung“
aufgenommen. Der Text, 1900 in dem in ländlichen Leserkreisen sehr beliebten „Kalender
des Siebenbürger Volksfreundes“ abgedruckt12, wirkte sich seinerseits spielfördernd auf die
Brauchpraxis in der siebenbürgisch-sächsischen Dorfgesellschaft aus13. Die „Akademischen
Blätter“ von 1908 druckten eine weitere Textvariante aus Reußen ab14.
1926 zeichnete Adolf Schullerus das „Lied“ auf und der Hermannstädter Stadtkantor Franz
Xaver Dressler (1898-1981) bearbeitete die Melodie15. Nach Gottlieb Brandsch (1872-1959),
der das „Königslied“ in seine Sammlung „Siebenbürgisch-deutscher Volkslieder“ von 1931
nach Recherchen in Roseln, Keisd und Schönbirk aufnahm16, erfuhr der österreichische
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
Emil S o f f é : Das Königslied. In: Jahres-Bericht der k. k. deutschen Staats-Ober-Realschule in Brünn für das Schuljahr 1901. Brünn 1901, S. 5.
Ebd.
Martin M a l m e r : Das Königslied. In: Aus Siebenbürgens Vorzeit und Gegenwart. Hermannstadt 1857, S. 75.
Ebd., S. 74-80.
Johann M ä t z : Die siebenbürgisch-sächsische Bauernhochzeit. In: Schäßburger Gymnasial-Programm 1859/1860,
S. 87-92.
Friedrich Wilhelm S c h u s t e r : Deutsche Mythen aus siebenbürgisch-sächsischen Quellen. In: Archiv 9 (1870), 2,
S. 230-331; 9 (1871), 3, S. 401-497; 10 (1872), 1, S. 65-155.
Ernst B u c h h o l z e r : Die siebenbürgisch-sächsische Volksdichtung. In: Kalender des Siebenbürger Volksfreundes
1900, S. 122-138.
Siehe dazu Erhard A n t o n i : Volksschauspiele aus Siebenbürgen. In: Forschungen zur Volks- und Landeskunde
17 (1971), 1, S. 66-80.
Hans U n g a r : Unsere Volksdichtung. In: Akademische Blätter 3-5 (1908), S. 20-23.
Siebenbürgisch-sächsische Volkskunst-Aufführung. Zusammengestellt von Adolf S c h u l l e r u s (Dichtung) und
Franz Xaver D r e s s l e r (Musik). Hermannstadt 1926.
Gottlieb B r a n d s c h : Siebenbürgisch-deutsche Volkslieder. Hermannstadt 1931 (Schriften der deutschen Akademie
7), S. 155ff.
140
Irmgard und Werner Sedler
2. Fastnacht in Zied (gefeiert zu „Pauli Bekehr“) 1930. Eine Gruppe Akteure aus dem „Königslied“:
„Soldaten“ mit ihrem „Hauptmann“.
Volkskundler Richard Wolfram auf seiner siebenbürgischen Forschungsfahrt im Jahre 1937
in Agnetheln unter anderem vom „Königslied“ als einer seit Jahren aufgelassenen Brauchhandlung der Schuljugend. Es gelang ihm, wie schon erwähnt, das Spiel in Zied zu rekonstruieren. Allerdings publizierte er seine Erkenntnisse erst 197617, möglicherweise auch unter
dem Eindruck der Veröffentlichungen zum Thema, die der siebenbürgische Volkskundler
und Kunsthistoriker Erhard Antoni (1898-1985) zwei Jahre zuvor der Fachwelt präsentiert
hatte18. Dazu Wolfram:
Wenn ich hier nun zusätzlich meine Aufzeichnung des Königsliedes vorlege, trotzdem
schon vier Textvarianten veröffentlicht wurden, dann vor allem deshalb, weil ich mich auf
eigenen Augenschein berufen kann. Erst wenn man auch die Spielform kennt, die Melodien
und die Art, wie das ganze Stück gesungen (nicht gesprochen!) wird, entsteht ein Vollbild.19
Wolframs Ausführungen betrachten darüber hinaus das siebenbürgische „Königslied“ in
einem geographisch viel weiteren Kontext, indem er „zwei weitere bisher unveröffentlichte handschriftliche Texte, davon einen „aus dem südlichsten Zipfel der Kremnitz-Probner
Sprachinsel“20, in die Analyse mit einbezog.
17
W o l f r a m (wie Anm. 3).
A n t o n i (wie Anm. 13).
19 W o l f r a m (wie Anm. 3), S. 89.
20 Ebd., S. 90.
18
Ars moriendi im siebenbürgischen Fastnachtsbrauch
141
Vor Wolfram hatte der Klausenburger Germanist Harald Krasser (1905-1981) in den
sechziger Jahren den Schauspielstoff aus
inhaltlicher Perspektive in seinen gesamteuropäischen Zusammenhängen zur Sprache
gebracht und das ihm zugrunde liegende Gedankengut in der Verbindung zu „Totentanz“
und „Jedermann“ betrachtet21.
Erhard Antonis Beitrag liefert seinerseits
die Belege für eine ehedem flächendeckende Präsenz des in den zwanziger Jahren des
vergangenen Jahrhunderts im ländlichen
Bereich allmählich aus der Spielpraxis verschwindenden „Königsliedes“22.
Ausgangspunkt für unser Aufgreifen der
„Königslied“-Problematik waren nur zum
Teil die neu hinzugekommenen Aufzeichnungen aus Zied und Alzen (beides Gebrauchstexte hinsichtlich intendierter Aufführungen). Weit mehr interessierten uns die
Aspekte der Kontextualisierung, das heißt
die Annäherung an das „Königslied“ unter
den Aspekten des Anlasses von Aufführun- 3. Totengedenkfahne für Johannes Stamph von
gen, der Textüberlieferung, der brauchmä- 1792 (evangelische Kirche in Werd). Die hier abgebildete Raupe gehört emblematisch zur überßig-rituellen Bindung, der Spielträgerschaft lieferten Darstellung des menschlichen Lebens in
und des Publikums, des Bühnen-Ortes und christlicher Sicht und verweist auf die Heilserfah-Planes. Welche war die Zweckbestimmung rung des Verstorbenen (Raupe – Puppe – Schmetbzw. die Wirkungsabsicht des „Königslie- terling) (Aufnahme Konrad Klein).
des“ in einer von protestantischer Ethik und
Frömmigkeit geprägten siebenbürgisch-ländlichen Gesellschaft in Anbetracht seiner thematisch direkten Ausrichtung auf die „letzte Instanz“, die es in den Gedankenkreis der ars
moriendi versetzt. Bei der wissenschaftlichen Betrachtung des „Königsliedes“ spielten diese
kontextuellen und kulturgeschichtlichen Komponenten eine wichtige Rolle, auch, da ihre
Reflexe im literarischen Gefüge der zahlreichen Varianten durchaus auszumachen sind – in
diesem Sinne sei beispielsweise auf das Thema „Doktor Eisenbarth“ hingewiesen.
Das Alzner „Königslied“/„Totenlied“
Als Ausgangspunkt stehen uns die ehedem im Besitz von Konrad Schuster befindliche Niederschrift (Alzen I), das Typoskript Alzen II und die von der Germanistikstudentin Maria
21
22
Vgl. Istoria teatrului în România [Geschichte des Theaters in Rumänien]. Bucureşti 1965, S. 85-87.
A n t o n i (wie Anm. 13), S. 68.
142
Irmgard und Werner Sedler
Schneider transkribierten Tonbandaufnahmen von 1986 (Alzen III) zur Verfügung. Hinzu
kommt die eigene Erinnerung, welche die Verfasserin als 16-Jährige an die Aufführung von
1967 hat, dazu Interviews mit einigen der damaligen Akteure dieser letzten Darbietung sowie
die 1986 von Maria Schneider (geb. 1963) aufgenommenen Tonkassetten mit den Kommentaren zum Spiel23. Im Folgenden der Text Alzen I:
Quartiermacher/Hauptmann24:
(Kommt hereinspaziert und spricht)
Ich wünsch guten Abend, meine Herrn! Verzeihen’S, weil ich ein wenig einspazieret bin. Ich
bin ein Kaiser-und-Königlicher Abgesandter. Ich bin ein Minister des Königs Leopold des
Dritten und bin in einer heftigen Schlacht gewesen gegen den türkischen Kaiser Großsultan,
wo meine Mannschaft tapfer kämpfte und doch geschlagen wurde und wir fliehen mussten. Wir flohen bei Nacht und Nebel. Wir kommen weite Straßen: vom Schwarzwald nach
Irrland, von Irrland nach Schottland, von Schottland nach Deutschland. Von Deutschland
sind wir endlich herübergekommen nach Siebenbürgen, wo uns der teuflische Tod auf der
Straße nachgefolget ist, um unserem König das Leben zu nehmen. So hat mich unser König
im Voraus geschickt, um für ihn ein Quartier zu bestellen. Da ich nun in diesem Dorfe kein
anderes Licht erblickte als hier und auch einen fürchterlichen Lärm hörte, darum bin ich hereinspazieret, um mich zu überzeugen, ob hier Leute wären, um für unseren König Quartier
zu erbitten. Nun, meine Herren, ist’s erlaubt, hereinzuspazieren? Ja oder nein?
Quartiergeber (Nachbarvater, Hochzeitsvater):
(macht Platz in der Stube)
Ja, ja!
Quartiermacher/Hauptmann:
(streckt herrisch die Hand aus)
Aber der Platz ist mir ein wenig zu klein und wenn der Platz nicht größer sein kann, spaziert
mein König nicht herein. Also, Platz will ich haben! Dass ich es meinem König und meiner
Mannschaft melde und sie hereinführen lasse. Ich bitt’ um einen Stuhl. Spazieren’S herein,
lieber König!
(Der Engel und der König treten ein, hinter ihnen paarweise die sechs Soldaten: zuerst zwei
schwarze, dann zwei weiße, zuletzt wieder zwei schwarze. Der König setzt sich auf den Stuhl,
der Engel bleibt neben ihm stehen. Die Soldaten bleiben im Hintergrund)
Quartiermacher/Hauptmann:
Erste Rotte im Gleichschritt, marsch!
Zweite Rotte im Gleichschritt, marsch!
Dritte Rotte im Gleichschritt, marsch!
(Die Soldatenpaare kommen nacheinander vor, stellen sich vor dem König eine Gasse bildend auf. Sie stehen sich frontal gegenüber und beginnen mit ganz langsamen, wie abgesteckten Bewegungen ihre hölzernen Säbel kreuzend aneinander zu wetzen. Das Säbelwetzen
geschieht abwechselnd, mal links, mal rechts. Das tun die Soldaten während der ganzen Aufführung, bis sie reihenweise ein Paar nach dem anderen vor dem Tod kapitulieren müssen.)
23
24
Gewährsperson Konrad S c h u s t e r , Alzen.
In den Varianten Alzen I und II agiert der „Quartiermacher“, in Alzen III heißt er „Hauptmann“.
Ars moriendi im siebenbürgischen Fastnachtsbrauch
143
Engel/Vorsinger25:
(singt auf eine eigene Melodie)
Hört zu mit Fleiß und merket auf,
Neu Zeitung ich euch singen will
Von einem König reiche.
Der Tod auf einem freien Markt
Dem König tut nachschleichen.
Tod:
(Die Todesgestalt hat sich, während der Engel singt, unbemerkt hereingeschlichen und verharrt zunächst im Hintergrund, am Rande der Spielfläche. Dann tritt er hervor, bleibt vor
der Gasse stehen und singt dem König zugewandt auf eine gesonderte Melodie)
Glück zu, du edler Königsmann,
Neu Botschaft ich dir zeige an,
Dein Tod ist schon vorhanden.
An meinen Reihen musst du gehn,
Ich fahr‘ durch alle Landen.
König:
Wer bist du denn, du kühner Mann,
Dass ich mit dir gleich muss davon?
Woher, aus welchen Landen?
Wer ist dein Herr? Das zeig mir an.
Sonst bestehest du in Schanden.
Tod:
Kennt’st du mich recht, es wär’ dir gut,
Ich brech’ dir deinen stolzen Mut.
Tod heißt man mich mit Namen.
Der jungen und der alten Leut’
Tu’ ich gar wenig schonen.
König:
Vom Tod ich oft gehöret hab’,
Nach dir ich nicht viel fragen mag.
Pack dich aus meinen Landen.
Sonst wirst du bald gefangen stehn
In Ketten und in Banden.
Engel:
Der Tod schoss aus in schneller Eil’,
Dem König zu mit einem Pfeil.
Tod:
Das wirst du bald empfinden,
25
In den Varianten Alzen II und III übernimmt ein „Vorsinger“ den Anfangspart des „Engels“. Anstelle der stumm
agierenden „Soldaten“ handeln in Alzen II und III „Wächter“. Deren Zahl variiert von sechs (Alzen I) zu zwei
(Alzen III).
144
Irmgard und Werner Sedler
Du junger stolzer Königsmann,
Ob du den Tod wirst binden.
Engel:
Der König bald entfärbet sich,
Und sein Gestalt ward jämmerlich.
König:
Gott möcht’ sich wohl erbarmen,
Dass ich so jählich sterben muss.
Du find’st ja viel der Armen.
Tod:
Der Armen find’ ich viel zu viel,
Der Reichen ich auch haben will.
Die zieren meinen Reihen.
Prälaten, Fürsten, König groß
Tun mich allzeit erfreuen.
König26:
Groß ist dein Macht.
Engel:
Der König sprach,
Wie er nun auf dem Bette lag.
König:
Drum geb’ ich mich gefangen.
Aus meiner Hoffnung will ich noch
Ein’ Bitt’ von dir erlangen.
Tod27:
Sag an,
Engel:
Gab ihm Bescheid der Tod,
Tod:
Was ängstet dich für große Not?
König:
Zwölf Jahre frisst mir noch mein Leben,
Zehntausend Pfund des besten Gold’s
Will ich dir zu eigen geben.
Tod:
Nach deinem Gold frag ich nicht viel,
du bist jetzt übergeben mir,
Auf diesmal musst du sterben.
26
Alzen II und III überlassen hier den Text ganz dem
„Vorsinger“, Alzen I teilt ihn zwischen den Akteuren
auf.
27 Wie Anm. 26.
König28:
Verleih’ mir nur,
Engel:
Der König sprach,
König:
Ein halbes Jahr und einen Tag,
Ein Haus will ich noch bauen.
Ein’ Turm und auch ein festes Schloss,
Mein Land zu überschauen.
Tod:
Lass bauen, wer da bauen kann,
Auf diesmal musst du mit daran,
Schick dich an meinen Reihen.
Ein’ Tanz ich mit dir tanzen will,
Der wird dich wenig freuen.
König:
Noch eines will ich bitten dich,
Das wirst du ja gewähren mir,
Lass mich nur länger leben.
Ein armer Bettler will ich sein,
Dazu meine Kron’ dir geben.
Tod:
Herr König! Das sind unnütz’ Wort.
Schick dich nun bald, wir müssen fort.
Die Zeit vergeht mit Schaden.
An meinen Reihen muss ich noch
Viel tausend Menschen laden.
König29:
Nicht eil’, nicht eil’,
Engel:
Der König sprach,
König:
Verleih’ mir nur noch einen Tag,
Ein Testament will ich bestellen.
Mein Silber, Gold und Edelstein
Ordnen nach meinem Willen ein.
Engel:
Der Tod, der sprach
Tod:
Das kann nicht sein!
28
29
Wie Anm. 26.
Wie Anm. 26.
Ars moriendi im siebenbürgischen Fastnachtsbrauch
145
Darum ergib dich willig drein,
Dass wir jetzt auf die Straßen.
Dein Silber, Gold und Edelstein
Musst du der Welt nun lassen.
König:
Hilft kein Bitten, hilft kein Fleh’n?
Tod:
Flehen und Bitten helfen nicht!
König:
Sollt ich keinen Tag mehr sehn?
Tod:
Keinen, du musst vors Gericht!
König:
Nur Geduld, drei Wort’ zu warten.
Tod:
Kein’ Geduld wächst mir im Garten.
(Die Demonstration des Unausweichlichen spielt sich nun mit symbolischen Gesten in voller
Sprachlosigkeit ab. Der Tod nimmt drei „Anläufe“ durch die von den Soldaten „bewachte“
Gasse auf den König zu. Jeder „Anlauf“ ist durch einen einzigen Vorwärtsschritt markiert,
dem gleich ein Rückwärtsschritt folgt. Beim ersten Schritt senkt das vorderste Soldatenpaar
seine Säbel, beim zweiten das nächste, beim dritten das letzte. Der Tod steht vor dem König,
bläst die Kerze in dem Mehlsieb aus, das er die ganze Zeit vor sein Gesicht gehalten hatte,
der König streckt die Füße und sinkt auf dem Stuhl zurück. Der Tod schleicht hinaus, während der Engel zu singen anhebt.)
Engel:
Der König streckt’ bald Händ’ und Füß’,
Sein stolzer Leib sich ganz entließ,
Sein Mund tut ihm verbleichen.
Der Würger würgt ohn’ Unterlass
Den Armen wie den Reichen.
Der Tod, der kommt zu solcher Zeit,
Wenn man gedenkt, er ist noch weit.
Er tut sein’ Pfeil abschießen.
Darum erwart’ ihn jederzeit,
Wirst Seligkeit genießen.
Lied
(Das singen alle im Publikum mit)30:
Fahre wohl, du edler Held!
30
Der wohl im 19. Jh. hinzugekommene recht holprige Text rekurriert auf Georg Rudolph Weckherlins (1584-1653)
Totenklage zu „Gustav Adolfs Tod“, wie sie Arnim und Brentano in „Des Knaben Wunderhorn“ (1857) festhielten.
Vgl. dazu Ferdinand R i e s e r : „Des Knaben Wunderhorn“ und seine Quellen. Dortmund 1908, S. 401. Der Text
wurde in Alzen auf die Friedrich Silcher-Melodie zu „Morgen muss ich fort von hier“ gesungen, siehe Tonbandaufnahme Maria S c h n e i d e r .
146
Irmgard und Werner Sedler
Du musst nun von hinnen.
Scheiden musst du von der Welt.
Was geschiehet nun mit denen,
Die in deinem Reiche steh’n
Und dich nicht mehr um sich sehn?
Sie beklagen dich mit Weinen.
Engel:
Ach sehet, wie der Tod mit kalter Hand
Sein Opfer fasst,
Wie er nicht fragt, ob arm ob reich.
Dem Tod, dem sind wir alle gleich.
Was hätt’ der König nicht gegeben,
Noch für ein bisschen Leben?
Aber der Tod kennt kein Pardon,
Zu dem er kommt, der muss davon.
Als für den Tod kein Kraut gewachsen ist,
Denn was lebt, auch sterblich ist.
(Hier schließt sich das in Prosa gehaltene, gesprochene „Doktorspiel“ an.)
Quartiermacher/Hauptmann:
(Sieht sich im Kreise um)
Diesen Fall will ich retten, will hingehen und einen braven Arzt aufsuchen, der froh seine
Künste über diesem Leichnam fassen [?] wird. Ist in diesem Haus kein Doktor zu finden?
(Steckt den Kopf aus der Stube ins „Haus“ [det Hous, sächs. für den Herdraum, das Vorhaus]). Auch im Vorhaus keiner?
(Der Doktor tritt ein, hinter ihm der Apotheker.)
Leute (Publikum):
O, ja! Hier ist einer. Spazieren’S herein, lieber Doktor.
Quartiermacher/Hauptmann:
I: Seine Majestät, mein König ist gestorben :I
Herr Doktor Schwarzgeboren
vierzehn Tage im Arrest gewesen
Im Kopf verworren,
herein, herein!
Doktor:
Verdorben? Wer ist verdorben?
Quartiermacher/Hauptmann:
Der König ist gestorben!
Doktor:
Aha, verworren. Ich wünsch schönen guten Abend, meine Herrn! Ich wünsch, dass in diesem
Hause kein einziger Mensch gesund sein möge.
Ars moriendi im siebenbürgischen Fastnachtsbrauch
147
Quartiermacher/Hauptmann:
Aber Sakrament! Was für ein Wunsch ist denn das, dass unter so vielen Leuten keiner gesund sein möge?
Doktor:
Ha, ha! Das wär’ für mich der glücklichste Wunsch. Denn, wenn alle gesund sind, so krieg
ich keinen Kreuzer und Katraker31 in meine Taschen, nun aber auch etliche krank sind, krieg
ich auch etwas in meine Taschen. Da schauen’S, sie sind alle leer.
Quartiermacher/Hauptmann:
Von wo sind Sie?
Doktor:
Ich bin von Grönland. Von Grönland bin ich kommen nach Schwarzland, von Schwarzland
nach Irrland, von Irrland nach Deutschland, von da bin ich endlich herübergekommen nach
Siebenbürgen, wo ich das große Unglück gehört habe, das euch mit eurem König betroffen
hat. Darum bin ich hereinspaziert.
Quartiermacher/Hauptmann:
Was für ein Doktor seid Ihr?
Doktor:
Ich bin der Doktor Eisenbart,
Kurier die Leut’ nach meiner Art.
Apotheker:
Und ich nach meiner.
Doktor:
Kann machen, dass die Blinden gehn
Und alle Lahmen wieder sehen.
Ich bin der Doktor Fiffikus,
Kurier die Mädcher am linken Fuß.
Apotheker:
Und ich am rechten!
Quartiermacher/Hauptmann:
Haben Sie auch studiert?
Doktor:
Ja, ich habe studiert. Auf der Schule Nirgendwo, drei Minuten und vier Sekunden.
Quartiermacher/Hauptmann:
Haben’S auch die Prüfung abgelegt?
Doktor:
Ja, ich hab’ auch die Prüfung abgelegt beim Obertierarzt Petru Barinu in der großen Löffelstadt Numeruschu32 14.
31
Verballhornung für Polturaken, das ist eine Rechnungsmünze bzw. eine minderwertige Schiedsmünze in Österreich
und Ungarn vom 16.-18. Jh. Vgl. Andreas E g g e r e r : Anatomirte Arithmetik oder gründliche Anweisung zur gemeinen und welschen Rechenkunst. Hg. Franz Xaver M i l l e r . Graz 1802.
32 Verballhorntes Rumänisch, numeruşu statt număru, das ist [Haus-]Nummer.
148
Irmgard und Werner Sedler
Quartiermacher/Hauptmann:
Haben’S auch den Pass dazu?
Doktor:
Ich denke so, ich würd’ ihn haben.
Quartiermacher/Hauptmann:
Suchen’S ihn!
Doktor:
Hier ist nichts und hier ist nichts. Aus Nichts hat Gott die Welt gemacht. Find’ meinen Pass
nicht.
Quartiermacher/Hauptmann:
Ohne Pass können wir Sie als keinen wirklichen Doktor annehmen.
Doktor:
Ich werde nochmals suchen, aber ich hab’ so viele Taschen, dass ich nicht weiß, wohin ich
meine Hand stecken soll. Hier ist er!
Quartiermacher/Hauptmann:
(liest)
Doktor Prostundedai33 hat wirklich studiert auf der Schule Nirgendwo, drei Minuten und vier
Sekunden und die Prüfung abgelegt beim Obertierarzt Petru Barinu in der großen Löffelstadt
Numeruschu 14. Es ist der wirkliche Pass. Sie können ihn versorgen. Haben Sie auch kuriert?
Doktor:
Ja, ich habe auch kuriert.
Zu Potsdam trepanierte ich
Den Koch des großen Friederich.
Den schlug ich mit dem Beil vorn Kopf,
Gestorben ist der arme Tropf.
Zu Ulm kuriert ich einen Mann,
Dass ihm das Blut am Beine rann.
Er wollte gern gekuhpockt sein,
Ich impft ihn mit dem Bratspieß ein.
Zu Prag da nahm ich einem Weib
Zehn Fuder Steine aus dem Leib.
Der letzte war ihr Leichenstein.
Sie wird wohl jetzt kurieret sein.
Es war einmal ein alter Mann,
Der hatte einen hohlen Zahn.
Den schoss ich heraus mit dem Pistol,
Ach Gott, wie ist dem Manne wohl.
33
Wortspiel um die absichtlich kompromittierende Namensgebung des Arztes, rum. prost unde dai, das ist Dr. Allzeitdumm bzw. Rundumblöd.
Ars moriendi im siebenbürgischen Fastnachtsbrauch
149
Mein allergrößtes Meisterstück
Macht ich zu Osna auf der Brück.
Podagrisch war ein alter Knab’.
Dem schnitt ich beide Beine ab.
Apotheker:
Und ich alle drei.
Doktor:
Das ist die Art, die ich studiert!
Sie ist probat, ich bürg’ dafür.
Dass jedes Mittel wirken tut,
Schwör ich bei meinem Doktorhut.
Aber leider hab’ ich keinen.
Quartiermacher/Hauptmann:
Wir hören, Herr Doktor, dass Sie vielen Menschen geholfen haben, aber können Sie tote
Menschen lebendig machen?
Doktor:
Ja, ich kann lebendige Menschen tot machen.
Quartiermacher/Hauptmann:
Aber nicht so, Herr Doktor. Können Sie tote Menschen lebendig machen?
Doktor:
Ich hab’ Ihnen’s ja jetzt gesagt, ich kann lebendige Menschen tot machen. Man nimmt einen
Stock und schlägt ihn vor den Kopf und er krepiert wie ein Hund.
Quartiermacher/Hauptmann:
Ich weiß nicht, was mit diesem Menschen ist, hört er nicht gut oder sieht er nicht gut?
Doktor:
Ich hör’ zwar gut, aber ich hab’ das Mädchensehn.
Quartiermacher/Hauptmann:
Ich will es ihm noch einmal laut in die Augen sagen. Können Sie tote Menschen lebendig
machen?
Doktor:
Aha! Das ist was anders! Auch das kann ich für eine gute Bezahlung.
Quartiermacher/Hauptmann:
Was soll ich Ihnen geben, dass Sie unseren König gesund machen?
Doktor:
Sie sollen mir geben 400 Gulden, farzan Kratzer getrackter, 3 Groschen och zwien Kratzer,
so will ich ihn gesund machen.
Quartiermacher/Hauptmann:
Das ist mir gar zuviel. Ich will Ihnen geben 600 Gulden, farzan Kratzer, farzan Katraker,
3 Groschen uch noch zwien Kratzer34. Ich denk’, es würde genug sein.
34
Verballhornung in sächsischer Mundart, einen sächsisch sprechenden Zigeuner parodierend; auch zwecks lautmalerischer Wirkung. Korrekt: firzän Krezer, firzän Katraker … uch nōch zwien Krezer, das ist „vierzehn Kreuzer, vierzehn
Polturaken und noch zwei Kreuzer“.
150
Irmgard und Werner Sedler
Doktor:
Das ist mir gar zu wenig. Sie sollen mir geben 200 Gulden, farzan Kratzer, farzan Katraker,
3 Groschen uch noch zwien Kratzer.
Quartiermacher/Hauptmann:
Hören’S, meine Herren, jetzt verlangt er mir noch einmal so viel! Mein ganzes Königreich
enthält nicht so viel, und so viel kann ich Ihnen nicht geben.
Doktor:
Und wenn sie mir nicht soviel geben, so weiß ich die Tür, wo ich hereinspazieret bin. Dahin
will ich auch hinausgehen. Gute Nacht!
Quartiermacher/Hauptmann:
Bleiben’S stehn, Herr Doktor. Das sag ich Ihnen aber im Voraus: Wenn sie ihn nicht gesund
machen, kriegen Sie keinen Kratzer uch Katraker in Ihre Taschen.
Doktor:
Das sag’ ich Ihnen aber auch im Voraus: Wenn er schon seit länger gestorben ist, so kann
ich ihn nicht gesund machen.
Quartiermacher/Hauptmann:
Aber er ist nur in dieser Viertelstunde gestorben!
Doktor:
Ich werde gleich probieren. Aber ich habe mich erkühlt auf der Straße, ich bin sehr katharrig
und muss zuvor meinen Apotheker hereingehen lassen mit meiner Schnupfdose.
(Apotheker kommt nach vorn)
Apotheker:
Was wünscht mein Herr, der Herr?
Doktor:
Gib mir meine Schnupfdose!
Apotheker:
Deine zerrissene Hose?
(Gibt ihm eine Dose)
Doktor:
Nun, meine Herren, will niemand mehr schnupfen?
(Er schnupft Tabak aus der Dose, dann riecht er am toten König)
Ach, der Kerl stinkt ja wie ein Aas. Der liegt ja schon von drei bis vier Tagen tot.
Apotheker:
O nein, er hat sich nur beschissen.
(Apotheker geht hinaus)
Quartiermacher/Hauptmann:
Ach, mein Herr Doktor, er ist nur in dieser Viertelstund’ gestorben, das können alle Leute
bezeugen, die hier in diesem Zimmer waren.
Doktor:
(Der Doktor untersucht den König, stolpert bald über dessen Füße, bald über sein Chapeau
claque)
Ars moriendi im siebenbürgischen Fastnachtsbrauch
151
Ich weiß noch ein Mittel, aber ich habe meine Lornzette35 verloren und bitt’ daher um eine
Stecknadel. (Der Doktor sticht den König mit der Nadel, der König zuckt.) Aha, es wird schon
gehen. Ich bitt’ um einen Slibowitz! Mein Apotheker, herein! (Der Apotheker erscheint mit
einer Zwiebel und einem Uringlas.) Apotheker, bring mir meine goldene Uhr!
Apotheker:
Deine goldene Schnur?
Doktor:
Was soll ich mit der goldenen Schnur?
Apotheker:
Mädcher schnüren, Herr Doktor. (Der Apotheker reicht dem Doktor eine Zwiebel.) Seht, ihr
Leut’, man denkt das ist eine Zwiebel, aber es ist eine wirkliche Uhr.
Quartiermacher/Hauptmann:
Aber was tun’S mit der Uhr?
Doktor:
Ich will sehen, in wie langer Zeit ich euren König gesund mache. Jetzt ist es auf halber vier,
bis halber drei ist euer König gesund.
Apotheker:
Was wünscht mein Herr, der Herr?
Doktor:
Bring mir das Gläschen mit der Medizin.
Apotheker:
Das Gläschen mit der Klavusin?
Doktor:
Was soll ich mit der Klavusin, du Esel. Das Gläschen mit der Medizin!
(Apotheker reicht ihm das leere Urinfläschchen. Beide traktieren den König, ziehen an ihm,
stellen ihn auf die Füße. Wenn dieser stehen bleibt, knicken sie sie ihm ab.) Seht her, man
denkt, das Glas ist leer. (Dann wird der König „bespritzt“.) Das Wasser drin ist aus der lebendigen Brunnenquell. Nimm hin, du schlafender König und werd’ gesund. (Der König
schlägt die Augen auf.)
Quartiermacher/Hauptmann:
Der König lebt und ist gesund, das mach ich allen Leuten kund.
Alle:
(Schlusslied):
Dein ist die Kron’, oh Herr der Welt,
Der alles kann und uns erhält.
Was ist der Mensch, er ist nur Staub
und schnell des sichern Todes Raub.
Kein Stolz bezeichnet unsern Stand
Es ist fürwahr nur eitler Tand.
Oh Herr, führ’ uns auf Deine Bahn
Und nimm uns einst in Gnaden an.
35
Wohl Lorgnette.
152
Irmgard und Werner Sedler
Aufführungszeit und -anlass
Wie knapp die festgehaltenen Angaben zu den tradierten Aufführungsanlässen des „Königsliedes“ im ländlichen Siebenbürgen auch sind bzw. wie vielfältig die genannten Spieltermine
auf den ersten Blick auch erscheinen mögen, so tritt doch jedes Mal deutlich deren Bezug
zum Kirchenjahr und die Einbettung ins überlieferte Jahres- und Lebensbrauchtum hervor.
Hier die Erinnerungen des im Jahre des Interviews (1997) 89-jährigen Johann Rothmann:
Zu Pålbekīhr [Pauli Bekehrung am 25. Januar] hielten die Nachbarschaften in Zied ihren
Sitttag36. Nach der Kirch [Gottesdienst] und der Versöhnung37 am Vormittag gingen die
Männer auf den Zugang, das war beim Nachbarvater38. […] Das war eine Zeit für die Frauen und Burschen, um sich zu verstellen [d. i. mundartlich für maskieren]. […] Damals, als
ich noch klein war [vor und nach dem Ersten Weltkrieg], setzte man Gäkel39 auf ein Rad
und zog das Rad durch die Gasse. […] Gegen Abend liefen de Verstålden [die „Verstellten“]
auf der Gasse herum, man ging of Pålbekīhr bei die Nachbarschaften. Um Mitternacht hat
die Bruderschaft dann das „Königslied“ aufgeführt, man ging in der Stube hinein beim
Nachbarvater. […] so war das noch. Ich hab’ es aber so nicht mehr erlebt. Nachdem man
bei uns das Saal gebaut hat [im Jahre 1897] ging man zum Feiern auf den [Marien-]Ball.“40
Hinsichtlich der Aufführungen andernorts notiert Antoni:
Das Königslied ist bis etwa 1890 ausschließlich (sic!) bei Hochzeiten aufgeführt worden,
so zum Beispiel in Bruiu (Braller) am ersten Hochzeitstag nach dem Abendessen. Seither
(sic!) aber bekam man das Königslied auch bei gelegentlichen Unterhaltungen im Winter
zu sehen.
Der von Soffé genannte Termin, „wenn das Evangelium von der Hochzeit zu Cana gelesen
wird“41, meint einen der Sonntage nach Epiphanias (6. Januar), während die Agnethler
Aufführung auf den „Blasi“, die Schülerfeierlichkeiten am vorreformatorischen Feiertag des
hl. Märtyrerbischofs Blasius, einem der Vierzehn Nothelfer (3. Februar), ausgerichtet war.
Auch hier stand die Schau in Verbindung mit Maskerade. Carl Göllner beruft sich in diesem
Zusammenhang auf Friedrich Rosler, Agnethelns wichtigsten Chronisten in der zweiten
Hälfte des 19. Jahrhunderts:
Die Schüler tanzten bis die Verstolde (Masken) kamen und der „Quartiermacher“ die Aufführung des Spiels „Der König und der Tod“ ankündigte.42
36
37
38
39
40
41
42
Richttag oder Sitttag, Jahresversammlungstag der Nachbarschaften mit Rechenschaftsbericht und Rechtsprechung.
Siehe Siebenbürgisch-Sächsisches Wörterbuch. Bd. IX. Q-R. Stichwort „Richttag“. Köln [u. a.] 2006, S. 206.
Versöhnungsritual im Hause des Nachbarvaters im Vorfeld des gemeinsamen, nachbarlichen Abendmahls. Siehe
dazu Christoph K l e i n : Die Versöhnung in der siebenbürgisch-sächsischen Kirche. Köln [u. a.] 1992 (Studia Transylvanica 21).
„Nachbarvater“ oder „-hann“, gewählter Vorsteher der Nachbarschaft. Siehe Siebenbürgisch-Sächsisches Wörterbuch. Bd. VIII. N-P. Stichwort „Nachbarhann“. Köln [u. a.] 2002, S. 9.
„Gäkel“, mundartlich für Strohpuppe.
Der aus vorreformatorischer Zeit tradierte Festtermin zu Maria Lichtmess blieb dem Festkalender der Faschingszeit erhalten. Bei den evangelischen Siebenbürger Sachsen, die die Namenstagsfeier auch in nachreformatorischer
Zeit beibehielten, wurde der 2. Februar als Namenstagsfest der zahlreichen Marien im Ort gefeiert. Mit dem Bau
dörflicher Gemeindesäle in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde die Tradition der Bälle eingeführt.
S o f f é , wie Anm. 7.
Friedrich R o s l e r : Der Agnethler Blasi vor mehr als 50 Jahren. In: Agnethler Wochenblatt. Folgen Februar - März
1919. Zitiert nach Carl G ö l l n e r : Im Kreislauf des Jahres. Bukarest 1987, S. 34.
Ars moriendi im siebenbürgischen Fastnachtsbrauch
153
Ähnliches galt für Alzen:
Mein Großvater und seine Tochter, meine Muhme, die Mari Trenj43, haben mir vom Aschermittwoch erzählt, wenn die Nachbarschaften früher ihren Richttag, so sagt man bei uns,
gehalten haben … jede Nachbarschaft bei ihrem Nachbarvater […]. Der Quartiermacher
hat in der Stube gesorgt, dass Ruhe ist, auch [hat er] die [Stuben-]Mitte frei gemacht. Der
ist herrisch hereingekommen […], er hat mit dem Arm gezeigt und die Leute aus der Mitte
[der Stube] weggejagt, es war ja nach Mitternacht, […] man musste die Besoffenen und die
Lermentarenden [Lärmenden] ja im Zaum halten können. Dort in der Mitte haben sie [die
Burschen] dann das „Totenlied“ gespielt. Auf den Hochzeiten auch.44
Es sind dieses zum größten Teil präzise Orts-, Personen- und Zeitangaben, die dem „Königslied“ hauptsächlich einen Platz im Brauchtum in den Tagen zwischen Geschworenem
Montag und Aschermittwoch zuweisen und seine Funktion als Fastnachtsspiel offenbaren.
Von daher birgt auch der Hinweis auf die Hochzeit keinen Widerspruch, da im überlieferten
Brauchzusammenhang die siebenbürgisch-sächsischen Hochzeiten an Fastnacht bzw. in der
Faschingszeit abgehalten wurden.
[Es] hat die Fastnacht eine traurige Bedeutung für die übrig gebliebenen Mägde, denn mit
diesem Tage schließt die erste – in den Ortschaften, wo alle Hochzeiten des Jahres an einem Tage stattzufinden pflegen – die einzige Heiratsperiode des Jahres. Daher kommt der
verzweifelte Faschingsseufzer: Harze Fuesnich kist te widder? / Inzet e Jôr bliw ich widder. / Wô
ich inzet iber e Jôr noch âne / dn Bôertn drû, / Såll der Dånder de Knêcht erschlû.45
De Fuesnicht, die Fastnacht / der Fasching, umfasste bei den Siebenbürger Sachsen die erwähnte Zeitspanne vom Geschworenen Montag (de klīn Fuesnicht) – dem Montag nach dem
Dreikönigsfest am 6. Januar, an dem die neu gewählten Beamten auf Königsboden den
Amtseid ablegten und die Dienstboten in neue Dienstverhältnisse aufgenommen wurden –
bis hin zum Aschermittwoch (de grīß Fuesnicht)46. Letzterer, der „Aschentag“, besaß zwar
sein eigenes, auf die Fastenzeit einstimmendes Brauchtum47, wurde jedoch vielerorts in die
Faschingszeit mit einbezogen, weil an diesem Tag die Richt-/Sitttage der Nachbarschaften
abgehalten wurden. Die wenigen außerhalb der Fastnacht liegenden Aufführungstermine,
etwa im Advent, bilden somit die Ausnahme. Sie stellen das „Königslied“ ähnlich wie die
Aufführungen an Hochzeiten somit in einen anderen, möglicherweise älteren Traditionszusammenhang, gerade auch wenn man die Sinnbezüge zwischen Tanz und Tod universal
weit gespannt betrachtet, vielleicht auch die inhaltlichen Affinitäten zum geistlichen Spiel
ins Auge fasst. Die Spanne reicht von hochzeitlichen Tanzspielen im Kreis um einen auf dem
Tanzboden „aufgebahrten“ Scheintoten in Schlesien, Berlin, Brandenburg und Ungarn, von
43
Übername für Katharina Wallmen (1908-1988) aus Alzen.
Gewährsperson Konrad S c h u s t e r , Alzen.
Übersetzung ins Deutsche: Liebste Fastnacht kommst du wieder? / Letztes Jahr blieb ich wieder [ledig]. / Sollte ich
ein weiteres Jahr noch immer / den Borten tragen, / Mag der Donner die Knechte [ledigen Burschen] erschlagen.
Siebenbürgisch-Sächsisches Wörterbuch. Bd. II. D-F. Stichwort „Fastnacht“. Berlin, Leipzig 1912, S. 316; zu Hochzeit und Fasching siehe auch Hans S c h u h l a d e n : Faschinghochzeiten als Spielform. In: Bayerisches Jahrbuch für
Volkskunde 1991, S. 61-101.
46 Siebenbürgisch-Sächsisches Wörterbuch (wie Anm. 45). Stichwort „Fasching“, S. 311.
47 Siebenbürgisch-Sächsisches Wörterbuch. Bd. I: A-C. Stichwort „Aschertag“. Berlin, Leipzig 1925, S. 208.
44
45
154
Irmgard und Werner Sedler
dem u. a. die Totentanz-Fachliteratur berichtet48, bis hin zu archivalischen Quellen und noch
um 1890 lebendigen Bräuchen49.
Die närrische Zeit, über die es bei den Siebenbürger Sachsen die ersten schriftlichen
Nachrichten zu Beginn des 16. Jahrhunderts gibt50, behauptete ungebrochen bis nach 1900
ihren hohen Stellenwert im Brauchkalender der evangelischen Siebenbürger Sachsen in
Stadt und Land. Als großer feirtag51 wurde sie von der ganzen Gemeinschaft getragen; Stände und Altersgruppen fanden sich in „toller Festfreude […], die nicht selten ausartet[e]“52,
vereint. Anschaulicher als in den Schilderungen des närrischen Treibens aus der Feder des
Kleinpolder Pfarrers Damasus Dürr (um 1535-1585) im 16. Jahrhundert, ist der alljährliche
gesellschaftliche Ausnahmezustand in der tradierten ländlichen siebenbürgisch-sächsischen
Gemeinschaft kaum festgehalten worden. Man beachte den persiflierend-moralisierenden
Grundton des Geistlichen, der seinen Schäflein ob der „teuflischen Freud“ gehörig die Leviten zu lesen wusste:
Was iung hausveter sein, in denen das iung, wild blut nicht gantz verkocht ist, die setzten
sich zusamen auff die weinstüll, die scheiden sich selden vor dem schönen hellen tag,
trinken nur darnider, biss offt cheiner kein wort mehr sprechen kann. Dem andern wird
das haupt zu schweer, der legt sich auf den tisch und schlefft im ein seed herab. Der dritt
sitzt da, sihet wie ein erstochen geiss, aber wie die fercklein im regenweder. Der viert singt
vom alten Hiltenbrandt, mancheiner beweint sein trunken elendt. Die hausmütter aber,
dieweill sie nicht durffen zum wein gehen und den mannsleuten gleich zechen, so suchen
sie ander freud, damit sie die fastnacht heiligen: das etliche weiber die schleier verwerfen,
setzen peltzhütt auff, verstellen sich in mannskleider […] Die grossknecht kauffen einen
vierzigen wein, sauffen, spielen, die magd warten des tantzens auff. Lezlich die ierling
[Jährlinge, Jungen], wenn sie sich auf ierem krentzlein voll getrunken haben, die ziehen
kappen ubers haupt mit schellen, aber kriechen irgents in ein rauchloch, beschmeeren die
angesichter mit Russ, lauffen wie die iung lucifern in der gassen.53
Spielträgerschaft und Publikum, Aufführungsort, Bühne und Kostüm
Der große Stellenwert der Faschingszeit im siebenbürgischen Brauchtums-Kalender, die
Einbindung aller Stände, Geschlechter und Altersschichten in das brauchtümliche Handeln,
brachten es mit sich, dass auch die Faschingsspiele54 über Jahrhunderte hinweg ihren festen
Platz im Ablauf der närrischen Tage zugewiesen bekamen, wobei ihre Aufführung in die Hände der gesellschaftlich wichtigen Jugendkorporationen, der Bruderschaften, gelegt wurde.
48
49
50
51
52
53
54
Franz Magnus B ö h m e : Geschichte des Tanzes in Deutschland. Leipzig 1886, S. 60; auch W o l f r a m (wie Anm. 3),
S. 114-116; Zoltán U j v á r y : Das Begräbnis parodierende Spiele in der ungarischen Volksüberlieferung. In: Österreichische Zeitschrift für Volkskunde 69 (1966), S. 267-275; Lutz R ö h r i c h : Tanz und Tod in der Volksliteratur. In:
Tanz und Tod in Kunst und Literatur. Hg. Franz L i n k . Berlin 1993 (Schriften zur Literaturwissenschaft 8), S. 622ff.;
Walter S a l m e n : Zur Praxis von Totentänzen im Mittelalter, ebd., S. 119-126.
Siehe Anm. 45; vgl. auch Max B ö h m : Volkslied, Volkstanz und Kinderlied in Mainfranken. Nürnberg 1929, S. 7.
„Item sabbato ante faschangum“ (1506). In: Quellen zur Geschichte der Stadt Kronstadt in Siebenbürgen. 1: Rechnungen aus dem Archiv der Stadt Kronstadt. Rechnungen aus 1503-1520. Kronstadt 1889, S. 102.
Zitiert nach Albert A m l a c h e r : Damasius Dürr. Ein evangelischer Pfarrer und Dechant des Unterwälder Kapitels.
Hermannstadt 1883, S. 19.
S c h u h l a d e n (wie Anm. 45); S. 316.
Zitiert nach S c h u l l e r u s (wie Anm. 44), S. 316f.
G ö l l n e r (wie Anm. 42), S. 17-54.
Ars moriendi im siebenbürgischen Fastnachtsbrauch
155
Exkurs Bruderschaften
Verbände zur Förderung religiöser Übungen und Unterstützung christlicher Wohlfahrtseinrichtungen, in denen geistliche wie weltliche Mitglieder zusammenfanden, sind in Siebenbürgen seit dem 14. Jahrhundert belegt55. Diese verschmolzen schon in vorreformatorischer Zeit mit den Gesellenvereinigungen der Zünfte. Sowohl die städtischen Gesellenbruderschaften des Handwerkerstandes als auch die seit dem 16. Jahrhundert nachweisbaren
„bäurischen Bruderschaften“56, das heißt die auf dem Lande in Bruderschaften organisierte,
der Schule entwachsene Dorfjugend verstanden sich auch nach ihrer Umstrukturierung
im Rahmen reformatorischer Gemeindeneuordnung als die Folgeorganisationen der ursprünglichen religiös-christlichen Verbände des Mittelalters, indem sie vor allem deren
Pflichten im Bestattungs-Brauchtum, etwa die obligatorische Teilnahme an Begräbnisfeiern
ihrer Mitglieder (siehe Kalandbruderschaften), beibehielten. Die mit den Übungen und Verpflichtungen zum Seelenheil Verstorbener verbundenen Aktivitäten wandelten sich unter
reformatorischem Vorzeichen in Memorial-Brauchtum57. Diese über Generationen weitergegebenen Pflichten fanden ihre Niederschrift in den „Artikel“ genannten Satzungen. Auch
nach der Einführung der Konfirmation bei den Siebenbürger Sachsen im 18. Jahrhundert
und dem damit verbundenen Wandel im Selbstverständnis der ländlichen Bruderschaften
als Verband der konfirmierten männlichen Jugend auf dem Dorf unter Aufsicht der kirchlichen Laienvertretung, des Presbyteriums, blieben ihnen und den ihnen beigeordneten
Schwesterschaften die Pflichten im Bereich protestantischer Memorialkultur erhalten. Diese
wurden bis ins 20. Jahrhundert hinein wahrgenommen. Mit dem Verbot der Bruderschaften
im Nationalsozialismus verlor sich deren gesellschaftlicher Einfluss im Dorfleben nur zum
Teil. Es blieb den nach dem Zweiten Weltkrieg nur noch locker organisierten Jugendlichen
vor allem die Brauchpflege erhalten.
Diese Kontinuität bruderschaftlichen Brauchtums – handwerklich eingebundener wie religiöser Prägung – ist auch im Zusammenhang mit der Aufführung des „Königsliedes“ und
seiner Emblematik einer Betrachtung wert. Unter dem thematischen Aspekt des unbußfertigen bzw. des „unguten“ Todes lässt sich das „Königslied“ etwa zum Fahnenbrauchtum als
Totengedenken in den evangelischen Kirchen Siebenbürgens in Beziehung setzen. Folgt man
der Deutung des Totentanzes durch Hellmut Rosenfeld als Strafe für die unbußfertig Verstorbenen, denen die ewige Ruhe der selig Dahingeschiedenen im Jenseits verwehrt bliebe, lässt
sich zumindest auf eine Verbindung mit dem kirchlichen Fahnenbrauchtum in der Pflicht
der Bruderschaften spekulieren58. Die Jugendkorporationen verwalteten und handhabten
rituell, nachweisbar seit dem 16. Jahrhundert und bis weit ins 20. Jahrhundert hinein, unter
55
Siebenbürgisch-Sächsisches Wörterbuch. Bd. I (wie Anm. 47), Stichwort „Bruderschaft“, S. 766-778.
Ebd., S. 777.
57 Siehe Georg Adolf S c h u l l e r : Volksthümlicher Glaube und Brauch bei Tod und Begräbnis im Siebenbürger Sachsenlande. Ein Beitrag zur Kulturgeschichte (Programm des Evangelischen Gymnasiums A. B. in Schäßburg und
der damit verbundenen Lehranstalten 1862/1863). Kronstadt 1863, S. 1-76.
58 Hellmut R o s e n f e l d : Der mittelalterliche Totentanz. Entstehung, Entwicklung, Bedeutung. 2. Aufl. Köln, Graz
1968 (Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte 3).
56
156
Irmgard und Werner Sedler
anderem auch die Totengedenk-Fahnen im evangelischen Kirchenraum59. Dieses waren
Stiftungen im Auftrag von Eltern und Verwandten Verstorbener, die unbußfertig bzw. durch
eine Gewalttat oder durch unzeitigen Tod im Jenseits der Seligkeit beraubt hätten bleiben
müssen. Solche Stiftungen standen in einem doppelten Sinnzusammenhang, entsprechend
dem siebenbürgischen Volksglauben, wo sich oft vorreformatorische Vorstellungen mit
protestantischem Glaubensverständnis zusammenfanden: Die Fahnen galten als Stiftungen
zum Seelenheil des „ungut“ Verstorbenen, gleichzeitig dienten sie dessen Andenken in der
Kirchengemeinde. Die Fahnen wurden von der Bruderschaft im Leichenzug bei jung Verstorbenen vorangetragen60.
Die Tradition der bruderschaftlichen Spielträgerschaft bei Aufführungen des „Königsliedes“ lässt sich vorrangig und weniger spekulativ auch aus der wichtigen Rolle erklären,
die den Bruderschaften als Faschings-Brauchträger allgemein zukam. Als Beispiel seien hier
nur die Masken-Umzüge der Urzeln im Harbachtal genannt, die beim Lådendrōn [Ladentragen], d. i. die Überführung der Bruderschaftslade vom abtretenden zum neu gewählten
Altknecht im festlichen Zuge, einen wichtigen Part innehatten61. Dieser Zusammenhang erscheint gerade am Agnethler und Zieder Beispiel sehr deutlich, wo sich die unterschiedlichen
Brauchäußerungen miteinander vielfältig überschneiden: Die Bruderschaften wurden beim
Umherziehen mit dem „Königslied“ von zahlreichen Urzel-Maskenträgern begleitet, die sich
unter das Publikum im Hause des Nachbarvaters mischten; oder aber einzelne Komponenten
des „Königsliedes“ verselbstständigten sich zu neuen Einkehr- und Heischebräuchen, wie
etwa das „Soldatenspiel“ in Zied62.
Das von uns betrachtete Erhebungsmaterial aus Alzen und Zied veranschaulicht exem­
plarisch den Tatbestand auf dem Lande in den letzten zwei Jahrhunderten, wirft Streiflichter
auf konkrete Spielsituationen, auf die Spieler und Laienregisseure sowie auf das Publikum
und letztlich auf die ritualisierte Aufführungspraxis des „Königsliedes“, wie diese spätestens
seit dem 18. Jahrhundert für die erwähnten Orte bezeugt wurde. Konrad Schuster berichtete
1986 vom „Auftrag der Nachbarschaften“ an „einen Mann in der Gemeinde“, der zusätzlich
zu seiner „würdigen“ Persönlichkeit und dem gehobenen gesellschaftlichen Status im Ort
auch den benötigten Respekt und die „Theaterveranlagung“ mitbringen musste, um die
Mitglieder der Bruderschaft nicht nur beim Einstudieren des „Königsliedes“ anzuleiten,
sondern auch am Tage der Aufführung inmitten aller Narretei im Griff behalten zu können.
Dieses „Amt“ des Laienregisseurs hatte in Alzen bis zum Zweiten Weltkrieg Johann Schuster
(1882-1953), der Großvater unseres Gewährmanns, inne:
Bei uns [in Alzen] hatte mein Mari-Großvater63 ein altes Heft, wo das „Lied“ stand. Das war
von 1700 und ein paar Jahre. Das hat er noch einmal abgeschrieben. […] Wie er gestorben
59
60
61
62
63
Die ältesten anlässlich unserer im Jahre 2002 begonnenen Feldforschung zum Thema flächendeckender Erfassung
der Totengedenk-Fahnen in den evangelischen Kirchen Siebenbürgens erfassten Fahnen stammen vom Ende des
16., Anfang des 17. Jahrhunderts (Durles, Schmiegen).
Irmgard S e d l e r : Fahnenstiftung zum Gedächtnis und Seelenheil. In: Irmgard und Werner S e d l e r , wie Anm. 1,
S. 176-183.
R o s l e r ( wie Anm. 42). Auch Friedrich Wilhelm S c h u s t e r : Bruderschaftsbräuche. In: Die Karpathen Nr. 6
(1911/1912), S. 166-170; Nr. 13 (1912/1913), S. 696-702.
W o l f r a m (wie Anm. 3), S. 119-122.
Übername für Johann Schuster (1882-1953), Alzen.
Ars moriendi im siebenbürgischen Fastnachtsbrauch
157
war, bekam es der Vater von der Draser Susen-Muhme64. Der hat mit der Bruderschaft weiter
gemacht. […] Das „Königslied“ und den „Herodes“ hat er [der Großvater] auch auswendig
gekonnt, […] ich kann es auch ganz [singen], wenn ich nur Zeit habe und bekomme meine
Gedanken zusammen. Mein Großvater hat das [Einstudieren des „Königsliedes“ mit der
Bruderschaft] viele Jahre gemacht.65
Der als wichtig angesehene Spielauftrag an die Bruderschaften hatte damit vor allem den
ebenso wichtigen Aufführungsort wie auch den Anlass und das Publikum im Visier – das
Haus des Nachbarhannen/-Vaters als Treffpunkt der Nachbarn anlässlich des gemeinschaftlichen Abfeierns des „Sitt-/Richttages“. Denn das Nachbarschaftswesen (mit den dazugehörigen Bruderschaften der Jugend) bot als wichtigste Grundstruktur im traditionalen siebenbürgischen Dorf den ausschließlichen Rahmen des öffentlichen Lebens.
Exkurs Nachbarschaft
Zu einer Nachbarschaft gehörten alle Hausstände in einer Straße. Mit der Eheschließung,
das heißt mit der Gründung eines eigenen Hausstandes, war jeder „Hausvater“ verpflichtet, sich in die Nachbarschaft „einzugrüßen“, die Frau gehörte dem Verband durch ihren
Ehemann an. Seit dem 19. Jahrhundert galt das 24. Lebensjahr bei Ledigen als Schwelle und
Aufnahmeberechtigung in die Nachbarschaft. Das Amt des Nachbarhannen oder -vaters
übernahmen im ethnisch verstandenen Verband die Hauswirte abwechselnd in der Reihenfolge ihrer Gehöfte in der Straßenzeile. Über Jahrhunderte hinweg hat die Nachbarschaft
als anerkannter Rechtsverband alle gesellschaftlichen Räume des Dorfes durchdrungen.
Wirtschaftliche und moralische Hilfeleistungen waren dem Einzelnen über den Verband
zugesichert. Die protestantische Ethik und die christliche Lebenseinstellung bildete die
Grundfeste für alle moralischen und kulturellen Normen, die die Nachbarschaft vertrat, in
ihren Statuten festschrieb und deren Einhaltung sie streng überwachte. Der Verband war
zugleich unterste Rechts- und Schlichtungsinstanz. Recht wurde am Richt-/Sitttag gesprochen. An diesem Tag wurde im zwei- oder aber vierjährigen Turnus auch der neu gewählte
Nachbarhann eingeführt66.
Bei versammelter Nachbarschaft im Hause des Nachbarhannen war den Spielern eine
zahlenmäßig große Publikumskulisse gewiss, die sich zudem aus dem sozial gewichtigen
Stand der Verheirateten zusammensetzte. Von Straße zu Straße, von Nachbarhann zu Nachbarhann hatte die fastnächtliche Spielgesellschaft, begleitet von lärmenden Verstolden aller
Altersklassen (in Zied waren das u. a. Urzeln), in den Stunden nach Mitternacht einzukehren.
Entsprechend dem Charakter eines Einkehr- und Stubenspieles kam und kommt eine
Aufführung des „Königsliedes“ mit wenigen Akteuren (Quartiermacher/Hauptmann, Engel, König, Tod, Doktor, Apotheker und Soldaten) aus; desgleichen mit reduzierter Requisite (ein Stuhl) und einer praktisch ortlosen Bühne (eine Stubenmitte, die gerade noch als
64
Übername für Susanna Mehburger (geb. 1935), Alzen.
Wie Anm. 23.
66 Siehe Hans Achim S c h u b e r t : Nachbarschaft und Modernisierung. Eine historische Soziologie traditionaler Lokalgruppen am Beispiel Siebenbürgens. Köln, Wien 1980 (Studia Transylvanica 6).
65
158
Irmgard und Werner Sedler
Tanzboden gedient hatte und nun als „freier Markt“ bedeutungsträchtig für den Totentanz
umfunktioniert worden war).
Schlicht, allein nur beim Tod auf dramatischen Effekt ausgerichtet, war auch die Vorlage
für die Kostümierung. Arzt und Apotheker hatten sich in Alzen wie in Zied in bürgerlicher
Kleidung zu „verstellen“, zuletzt vorzugsweise in jener des ausgehenden 19. Jahrhunderts –
der Arzt mit Paletot und Zylinder, der „bucklige“ Apotheker im schlichten Mantel oder
Überrock, unerlässliches Accessoire: der Stock in der Hand.
Während der König im Zieder Spiel in zeitüblicher Männerkleidung – Stiefel mit Breecheshosen, dunklem Überrock – auftrat und seinen Stand ausschließlich über einen zur
Krone umfunktionierten Hut mit Troddeln signalisierte, verlangte die Alzner Anweisung
nach einer anderen Kostümierung: Zu der Grundausstattung aus weißer Hose und weißem
Hemd gehörte ein prächtiger Bänderschmuck, wofür man sich der kostbaren, bestickten
Bänder der weiblichen Kirchentracht bediente. Vorbild für dieses Kostümierungskonzept
waren die österreich-ungarischen Militäruniformen des frühen 19. Jahrhunderts: Zu dem in
der Art eines gekreuzten Bandeliers auf dem Hemd befestigten Bänderschmuck kam eine
Schärpe aus einem weiteren Trachtenband hinzu. Rote oder aber blaue Binden an Oberarmen und -schenkeln, bänderverzierte Hosennähte und die obligate Krone vervollständigten
die Königsfigur.
Eine ähnliche Gewandung war auch für die Wächter-/Soldatenrolle vorgesehen, anstatt der
Krone wurde hier ein aus Papier gefertigter, ebenfalls mit Trachtenbändern verzierter Tschako als Kopfschmuck verwendet. Unerlässlich war der lange hölzerne Säbel. Den Quartiermacher/Hauptmann zeichnete der üppige, mit Kokarde und Agraffe ausstaffierte Tschako aus.
Der Engel hatte in einen schlichten weißen Umhang gehüllt aufzutreten. Weiß war auch
die Farbe der Todesfiguration. Ein weites Leintuch diente dazu, den Körper des Spielers
samt Kopf zu verhüllen. In gebückt-gekrümmter Haltung daherkommend, hielt er vor dem
ausgesparten Gesichtsschlitz im Leintuch eine senkrecht gestellte Ziames67, ein etwas größeres
Mehlsieb. Nach außen hin, an der Schauseite, war dieses mit weißer Leinwand überspannt,
darauf war mit Kohle ein Totenschädel gemalt. „Beim Singen muss der Tod in die Ziames
hineinhalten, […] der Tod klingt dumpf.“68 Am inneren Siebrand war eine Kerze – das Lebenslicht des Königs – befestigt, die der Akteur Tod zu gegebener Zeit auszublasen hatte.
Die Zieder Variante bevorzugt anstelle des Siebes det Erlecht [Irrlicht]69, den halbierten, ausgehöhlten Kürbis mit geschnitztem „Gesicht“.
Die Beispiele aus Alzen und Zied belegen auf den ersten Blick eine Kostümierungspraxis,
wie sie u. a. im Volksschauspiel üblich ist: Die Akteure erhalten formelhafte Attribute – der
König trägt eine Krone, der Doktor einen Doktorhut bzw. ein Stethoskop, die Soldaten
Tschako und Waffe. Die Verkleidung orientierte sich auch im ländlichen Alzen am zeitgemäß
Typischen des jeweiligen Standes in der eigenen Gesellschaft oder aber in einem Umfeld, zu
67
Ziames, mundartliche Bezeichnung für Haarsieb. Siehe Jacob und Wilhelm G r i m m : Deutsches Wörterbuch. Bd. 15.
Leipzig 1956, Stichwörter „Zemse“, Sp. 631, und „Zimse“, Sp. 1370.
68 Wie Anm. 23.
69 „Irrlicht“ im wortwörtlichen Sinne von wanderndem Licht. Der ausgehöhlte, mit Augen und Mund im Ausschnitt
versehene Kürbis steht im siebenbürgisch-sächsischen Volksglauben für das Totenhaupt. Siehe SiebenbürgischSächsisches Wörterbuch. Bd. IV. H-J. Bukarest, Berlin 1972, S. 351f.
Ars moriendi im siebenbürgischen Fastnachtsbrauch
159
dem man sozial aufschaute – hier die Stadt oder aber das Militär. Solches ist für die siebenbürgische Brauchszene allgemein gültig, wie an der Kostümierung des Alzner Königs und
der Soldaten zu erkennen ist. Das Kostüm mit gekreuztem Trachtenbänder-Bandelier und
Militäruniform nachahmenden Arm- und Oberschenkelbinden findet sich in Südsiebenbürgen nachweisbar seit dem 19. Jahrhundert in unterschiedlichen Brauchzusammenhängen,
wobei es stets positiv agierenden Protagonisten zugeordnet bleibt: Die Hīschen [Schönen]
in der Marpoder Fastnacht sind so gekleidet, der „Pfingstkönig“ der Alzner Schuljugend
und auch die Zieder Soldaten im „Königslied“. Die rumänischen căluşari-Tänzer70 zeigen
ebenfalls das gekreuzte Bandelier.
Die Darstellung des Todes fügt sich jedoch nicht in das erwähnte Kostümierungskonzept.
Der aufgemalte Totenschädel auf dem Sieb knüpft zwar an die überlieferte Ikonographie
an, die Todesfiguration des Knochenmannes evozierend. Anstelle des Knochengerüstes vermittelt das Kostüm indes eine die Suggestivkraft des Betrachters provozierende, weil nur
zu erahnende, unter der weißen Leintuchhülle (Leichentuch?) versteckte grotesk-schaurige
Körperlichkeit. In seiner Eigenart lässt sich diese Figuration keiner überlieferten Todes-/
Personifizierungstradition zuordnen.
Stoff und Spielintention
Inhalt- und Sprachanalyse der Alzner Varianten des „Königsliedes“ offenbaren eine dezidierte Zweiteilung des Spielstoffes: Dem ernsten Part des Königs im Streitgespräch mit dem
Tod, wobei sich der höchste Repräsentant mittelalterlicher Ständegesellschaft letztendlich
dem Unausweichlichen fügen muss, folgt das witzig-derbe, der Volksbelustigung dienende
„Doktorspiel“. Im Handlungsablauf dieses zweiten Teiles wird der König von einem „Wunderdoktor“/Scharlatan wieder zum Leben erweckt.
Am Beginn des Traditionsspieles steht ein Text in gebundener Sprache von nicht geringer
literarischer Qualität, eine Dichtung von primär epischer Prägung, die sich, in musikalisch
szenisch-dialogisierter Form dargebracht, strikt an ein überliefertes literarisches Komposi­
tionsmuster hält – Prolog, Streitgespräch, Epilog, Chor. Der strenge Versbau setzt auf fünfzeilige Strophen in steigendem Rhythmus: Die Zeilen 1, 2 und 4 sind vierhebig, 3 und 5 dagegen nur dreihebig. Der gereimte Text wird durchgehend gesungen. Die Melodie der Alzner
Aufnahme von 1986 kommt einer Aufzeichnung von Gottlieb Brandsch in Roseln nahe71.
Das „Königslied“ gehört inhaltlich in den Gedankenkreis der Ars moriendi, es zielt mit
seiner thematischen Ausrichtung auf die religiös verwurzelte Selbstverantwortung des Menschen, die Rechenschaftsablegung und die letzte Verantwortung vor einer transzendentalen
Instanz. Im Kontext religiöser Sinnkonstellationen, deren theologische Untermauerung bis
ins Mittelalter zurückreicht, verbindet das „Königslied“ die Idee der Unentrinnbarkeit aller
Menschen vor dem Tod (omnia mors aequat) mit einem eindringlichen Memento mori und
Buße-Appell:
Der Tod, der kommt zu solcher Zeit, / Wenn man gedenkt, er ist noch weit, / Er tut sein’ Pfeil abschießen. / Darum erwart’ ihn jederzeit, / Wirst Seligkeit genießen.
70
71
Ion G h i n o i u : Sărbători şi obiceiuri româneşti [Rumänische Feste und Bräuche]. Bucureşti 2002.
Wie Anm. 16.
160
Irmgard und Werner Sedler
Im Alzner bzw. in allen siebenbürgischen Varianten des „Königsliedes“ wird dieses
„Jedermann“-Motiv über die Bildfindung des mittelalterlichen „Totentanzes“ in prägnanter Anschaulichkeit vermittelt. In die Vorstellung vom Spielmann-Tod, der den König – hier
als Kristallisationsfigur einer ganzen Ständerevue – vortanzend in den Tod zwingt, fließen
Sprache (der Ständedialog, reduziert auf das Streitgespräch Tod – König), Gesang und die
optische Eindringlichkeit jener Bildgattung, die sich tableau vivant nennt, ein: „An meinen
Reihen musst du gehn. / Ich fahr’ durch alle Landen.“
Die Stofftradition dieses als Ständereigen verbildlichten Totentanzes bündelt Überlieferungsstränge, die alle ins Spätmittelalter führen, möglicherweise allesamt einer gemeinsamen lateinischen Urquelle aus klerikalem Milieu entspringen, wie noch heute in der
Forschung angenommen wird. Ein ursprünglich illuminierter, laut sprachgeschichtlicher
Argumentation dem dritten Viertel des 14. Jahrhunderts zugehöriger Text, ist samt seiner
aus gleicher Zeit stammenden deutschen Übersetzung in einer Augsburger Abschrift von
1443/1447 erhalten. Seine Entstehung in zeitlicher Übereinstimmung mit dem Beginn der
Pestepidemien in Europa (ab 1347) unterstützt die These, die Pest als Anlass solcher literarischer und künstlerischer Beschäftigung mit dem Tod zu deuten, die Todespersonifizierung
in Verbindung mit Tanz als geistige Reflexion zur kruden Realität der Allgegenwärtigkeit
des Todes mitten im menschlichen Leben zu begreifen72. Reinhold Hammerstein mutmaßt,
dass „die lateinische Basis auch die weite Verbreitung der Gattung über Europa begünstigt“
haben dürfte, „jedenfalls […] leichter, als wenn man den Text jeweils aus einer Nationalsprache in die andere hätte übersetzen müssen“73. Der in Frankreich seit 1424 belegte danse
macabre und der Basler Totentanz (nach 1440), im deutschsprachigen Kulturraum wohl der
bekannteste dieser Gattung, stehen am Anfang eigener Totentanz-Traditionen.
Der Sinnbezug von Tod und Tanz offenbart sich im „Königslied“ noch auf einer zweiten
Handlungsebene, die sich tradierter Szenen und Bewegungselemente aus den Schwerttänzen, dem Schwertfechterbrauchtum bedient. Die „Soldaten“ treten vordergründig zwar
als Wächter des Königs auf, ihre gekreuzten Säbel stellen sich dem Widersacher Tod als
anfängliche Barriere entgegen. Das Wetzen der hölzernen Säbel nimmt zugleich aber Bezug
auf den „Schnitter Tod“74, das dumpfe Geräusch steht für Todesahnung und -ankündigung.
Das „Königslied“ bedient sich hier einfachster dramaturgischer Mittel im Hinblick auf eine
maximale Wirkung: Vorgeschrieben sind exakte, abgezirkelte Bewegungen, die Säbel werden mal von links, mal von rechts gekreuzt und gewetzt. Solches hat sehr langsam, jedoch
formelhaft rhythmisiert zu geschehen, mit dem Effekt einer schaurigen Begleit-„Melodie“
zur dunklen Basslage des ins Mehlsieb hineinsingenden Todesspielers: eine dumpfe, von
Rhythmen gegliederte Geräuschkulisse mit Synkretismus-Effekt, eine „Tanz-Choreographie“
für und über das Gehör. Ähnliche Szenen aus Schwertfechterspielen, wie sie auch im sie72
Reinhold H a m m e r s t e i n : Die mittelalterlichen Totentänze und ihr Nachleben. Bern, München 1980, S. 29-42 und
149; L i n k (wie Anm. 48), S. 11-68.
H a m m e r s t e i n (wie Anm. 72), S. 29.
74 Siehe „Ein schönes Mayenlied. Wie der Menschenschnitter, der Todt …“ (1638) – Ausgangstext für die „Schnitterlieder“ in katholischen Gesangbüchern des 17. und 18. Jahrhunderts (Martin von C o c h e m ) u. a. Bekannt wurde
es vor allem durch die Aufnahme unter dem Titel „Katholisches Kirchen-Todeslied“ in: Des Knaben Wunderhorn.
Alte deutsche Lieder, gesammelt von L. Achim von A r n i m und Clemens B r e n t a n o . 3 Bde. (Ausgabe Mohr,
Tübingen). In der Edition Heinz R ö l l e k e (Frankfurter Brentano-Ausgabe 1975-1978). Bd. 6, S. 51f.
73
Ars moriendi im siebenbürgischen Fastnachtsbrauch
161
benbürgischen Brauchtum, vor allem dem der Kürschner, verankert waren (Hermannstadt,
Mühlbach, Kronstadt, Schäßburg)75, sind als Versatzstücke im Volksschauspiel über das
siebenbürgische „Königslied“ hinaus bekannt. Richard Wolfram führt in diesem Zusammenhang ein Christusgeburtsspiel aus Oberufer/Pressburg und ein weiter westwärts in
Steirisch-Laßnitz dokumentiertes an76.
Mit dem literarisch-musikalisch-choreographischen Motiv des Totentanzes sowie den
Elementen des Schwerttanzes sind zwei Aspekte berücksichtigt, die das siebenbürgische
„Königslied“ in einen gesamteuropäischen kulturhistorischen Kontext stellen. Es lassen sich
in diesem Zusammenhang neben den stofflichen noch formal-literarische Aspekte anführen, etwa die Tradition der sogenannten „Zeitungs“-Lieder („Hört zu mit Fleiß und merket
auf, / Neu Zeitung ich euch singen will …“), oder aber jene des literarischen Streitgesprächs
mit Dialogen in gebundener Sprache, die nur durch Sprecherangaben untergliedert sind.
Diese ganzen sprachlichen und kulturellen Kontinuitäten, die Einbettung des siebenbürgischen „Königsliedes“ in eine Spielkultur der Fastnachtzeit, wie sie im ganzen deutschsprachigen Kulturraum gepflegt wurde, deuten auf eine Herkunft außerhalb der Grenzen
Siebenbürgens hin. Die im Text dem siebenbürgischen „Königslied“ sehr nahe kommende,
1976 von Richard Wolfram genannte Handschrift „Ein schönes Lied von einem König und
den (!) Tod“ bringt Argumente zu solcher Annahme:
Mein Freund Alfred Karasek notierte sie [die Handschrift] nach den Aufschreibungen eines
gewissen Josef Glaser in Deutsch-Pilsen in Nordungarn, als wir 1930 eine Studienreise […]
machten. […] Schon das Vorkommen im Südsaum der Kremnitz-Probner Sprachinsel – die
Sprachinsel weist eine mitteldeutsch-bairische Mischung auf – lässt an Zusammenhänge
mit dem deutschen Mutterland denken. Allerdings haben wir im deutschen Kernland das
Königslied als Dichtung bisher noch nicht gefunden.77
Josef Ernyey und Gaisa Karsai verweisen ihrerseits auf Ähnlichkeiten der Aufzeichnung
von Malmer mit den Herodesspielen in Johannesberg bei Kremnitz78. Lutz Röhrich79 brachte dann 1993 eine weitere Variante aus Wendelsheim bei Tübingen ins Gespräch, die er in
Anton Birlingers80 „Schwäbischen Volksliedern“ von 1854 entdeckt hatte.
Leopold Schmidt hatte 1963 in Kenntnis eines Spieles vom „König und Tod“ im Egerland
die Vermutung ausgesprochen, das „Königslied“ könnte über bergmännische Vermittlung in
den deutschsprachigen Kulturraum Siebenbürgens gekommen sein. Richard Wolfram, der
diese Überlegung aufgriff, sah in der Kremnitz-Probener Sprachinsel eine Zwischenstation
der Dichtung auf dem Weg nach Siebenbürgen81. Es sind dieses spekulativ erwogene Zusammenhänge, da etwaige frühere bergmännische Traditionen im Bereich siebenbürgischsächsischer Volkskultur kaum Spuren hinterlassen haben und die Bergleute im Städtewesen
75
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81
Oskar W i t t s t o c k : Über den Schwerttanz der Siebenbürger Sachsen. Sonderdruck: Philologische Studien. Halle
1896; Friedrich Te u t s c h : Schwerttanz der Kürschner. In: Korrespondenzblatt des Vereins für siebenbürgische
Landeskunde 19 (1896), S. 117-120; auch G ö l l n e r (wie Anm. 42), S. 41ff.
W o l f r a m (wie Anm. 3), S. 110ff.
Ebd., S. 90.
Josef E r n y e y , Geiza K a r s a i : Deutsche Volksschauspiele aus den Oberungarischen Bergstädten. Bd. II/I. Budapest 1938, S. 498f.
R ö h r i c h (wie Anm. 48), S. 606.
Anton B i r l i n g e r : Schwäbische Volkslieder. Freiburg i. Br. 1864, S. 58f.
W o l f r a m (wie Anm. 3), S. 116f.
162
Irmgard und Werner Sedler
Südsiebenbürgens kaum je eine gesellschaftlich relevante Schicht darstellten. In etwas weiter
gespannten Zusammenhängen könnte diese Annahme insoweit nachvollziehbar sein, als
das Spiel seinen Weg im Zuge allgemein europäischer Gesellenwanderung den Weg in den
Karpatenraum gefunden haben könnte.
Für eine Resonanzbereitschaft der siebenbürgischen Gesellschaft in Bezug auf das „Königslied“ spricht, dass die Topoi „Totentanz“ und „Memento mori“ seit dem Mittelalter fester
Bestandteil des siebenbürgischen Welt- und Kulturbildes waren, dass sie darüber hinaus in
genuin siebenbürgischer Architektur, in Kunst- und Literaturäußerungen nicht nur deutlich fassbar, sondern oft in der Auseinandersetzung mit großen europäischen Vorbildern
entstanden sind. In diesem Kontext sei hier nur auf die „Imagines mortis“ des Kronstädter
Humanisten und Stadtpfarrers Valentin Wagner (um 1510-1557) hingewiesen82. Dessen
Totentanzlieder von 1557, in „eine(r) Art Mittelstellung zwischen Epigramm und Elegie“83
komponiert, gelten als Auseinandersetzung des siebenbürgischen Humanisten mit den
Holbein-Totentänzen. (Dementsprechend kommen die Illustrationen des Wagner-Druckes,
Werke eines Holzschnittmeisters namens Iacobus Lucius, als versimpelte Nachahmungen
der Holbein-Sequenzen daher.)
Ein zweiter Grund, die Vermittlung auf der Ebene handwerklicher Kulturkanäle zu vermuten, ist die schon angesprochene Trägerschaft durch die Handwerksgesellen und Lehrbuben. Nur das handwerkliche Milieu mit seiner ausgeprägten und ritualisierten Spielkultur
konnte die Voraussetzungen für die Übernahme einer Dichtung, wie es der erste Teil des
„Königsliedes“ bietet, leisten. Zudem verweist auch die gehobene Sprache eher auf einen
urbanen Interessentenkreis, auf ein städtebürgerliches Laienpublikum, das sich die Königsszene „auf einem freien Markt“ vorstellen kann. Außer dem Beispiel des Marktfleckens Agnetheln finden sich in Siebenbürgen keine weiteren Belege mehr hinsichtlich einer urbanen
Spielträgerschaft. Das Beispiel Agnetheln könnte in diesem Zusammenhang exemplarisch
für die Vermittlung des „Königsliedes“ ins ländliche Milieu erscheinen, die Transferschiene
über das brauchrituelle Handeln der Bruderschaften ist nachvollziehbar.
Wann das Spiel nach Siebenbürgen gekommen ist, bleibt ungeklärt. Die historisch nachweisbare Kontinuität des „Königslied“-Textes in Siebenbürgen reicht, wie gesehen, nur bis
ins 18. Jahrhundert zurück, Aufführungsnachweise lassen sich gar nur bis an den Beginn
des 19. Jahrhunderts zurückverfolgen und sie stammen auch alle aus dem ländlichen Milieu.
Nimmt man den vorangegangenen Transfer von der Stadt aufs Land an, dürfte man etwas
weiter zurückgehen. Wie weit, muss derzeit ungeklärt bleiben. Denn schon der zeitliche
Ansatz der Entstehung ist schwierig. Der vom Alzner „Quartiermacher“ evozierte historische Rahmen einer Türkenschlacht während der Regierungszeit „Leopold des Dritten (?)“
[gemeint ist wohl Leopold I.] liefert diesbezüglich kein stichhaltiges Argument: Zum einen
ist dies ein Textzusatz im Sinne volkstümlicher Eintrittsreden zum ursprünglichen „Königslied“; zum anderen illustriert es einen allgemeinen Brauch im Bereich volkstümlicher Dichtung, nämlich den Rückgriff des Vortragenden glaubwürdigkeitshalber auf einen Katalog
82
83
Valentin Wa g n e r : Imagines mortis selectiores. Kronstadt 1557 (Archiv der Schwarzen Kirche in Kronstadt/Braşov).
Stefan S i e n e r t h : Geschichte der siebenbürgisch-deutschen Literatur. Von den Anfängen bis zum Ausgang des
16. Jahrhunderts. Cluj-Napoca 1984, S. 135.
Ars moriendi im siebenbürgischen Fastnachtsbrauch
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geschichtlicher Ereignisse und Namen, die im Volksbewusstsein wach sind. Zum Vergleich
siehe auch den siebenbürgischen „Buonapart“84.
Ausgehend von der dramatischen Umsetzung des Heimholungsthemas bzw. des szenischen Grundgerüstes im Totentanz, findet das „Königslied“ mit seinem allein auf die Gestalten von König und Tod reduzierten Tanz/Streitgespräch seine Vorbilder in der barocken
Spielkultur des 17. Jahrhunderts. Anders als im mittelalterlichen Totentanz mit seiner langen
Ständerevue setzte vor allem das Jesuitentheater auf die Auseinandersetzung des Todes mit
dem Individuum. Dazu Richard Wolfram:
Auch in den reichen Volksschauspiellandschaften der Steiermark treffen wir das Heimholungsthema in Schäferspielen, im barockisierten Renaissancespiel von den sieben Hauptsünden, im steirischen Bauern-Jedermann […] Wir dürfen nicht fehlgehen, wenn wir zunächst die barocke Spielwelt als den Boden betrachten, aus dem das Königslied seine Kräfte
zog. Dieses ungeachtet der Möglichkeit, dass einzelnes auch noch weiter zurückführt.85
Dass nicht nur das thematisierte Gedankengut des „Königsliedes“ bis ins Spätmittelalter
hineinreicht, sondern auch seine Melodie – etwa in Schönbirk und Roseln (und nun auch
Alzen) – zeigt Gottlieb Brandsch im Vergleich des Melodietypus des „Königsliedes“ mit einer
Marienklage und einer Geißlermelodie aus dem 14. Jahrhundert auf86.
Eine Überlieferung, dem ernsten Schauspiel eine Farce anzuschließen – dieses wohl als
komische Reflexion des Sinnspieles – führt in die Zeit des 16. und 17. Jahrhunderts. In unserem Falle fügt sich dem mit großem Ernst vorzutragenden ersten Teil des Alzner „Königsliedes“ übergangslos ein volkstümliches Fastnacht-„Arztspiel“ an. Inhaltlich geht es um die
Erweckung des Königs zu neuem Leben, eine komische Referenz auf die Intention des ersten
Teiles. Auf einer anderen Traditionsschiene – jener der mittelalterlichen geistlichen Spiele
im Osterzyklus – bilden der komische Arzt und sein Diener aus „Salbenkrämerspielen“ den
Abschluss. Es sind Figuren ganz im Sinne der commedia dell’arte 87.
Ein derart aufgeschwollenes Arzt-/Doktorspiel im Zusammenhang mit dem „Königslied“,
wie wir es in Alzen fanden, ist uns nur noch aus Zied bekannt, wo es in der Fastnacht auch
losgelöst vom Totentanz-Thema zur Aufführung gelangen konnte: In einem Umzugs- und
Heischespiel zogen hier Knechte und Mägde (Bruder- und Schwesterschaft) noch in den
vierziger Jahren mit dem „Doktor“ um, die „kranken“ Hausbewohner in Doktor-EisenbartManier zu kurieren88. Ansonsten kommt die Doktorszene in den anderen erwähnten Varianten von äußerst knapp bis kurz daher. Einen im Barockkostüm mit gepudertem Haar
und Dreispitz agierenden Doktor erwähnt auch Soffé, notiert aber dazu, dass „in anderen
Teilen des Sachsenlandes […] häufig der Schluss, der von der Erweckung des toten Königs
handelt“, fehlt89. In einer Agnethler Variante90 erscheint die Auferweckungsszene als „bloße“
84
85
86
87
88
89
90
Wiedergegeben bei W o l f r a m (wie Anm. 3), S. 119-123.
Ebd., S. 118.
B r a n d s c h (wie Anm. 16).
Dazu Max S i l l e r : Ausgewählte Aspekte des Fastnachtspiels im Hinblick auf die Aufführung des Sterzinger Spiels
„der scheissennd“. In: ders. (Hg.): Fastnachtspiel, Commedia dell’arte. Gemeinsamkeiten, Gegensätze. Innsbruck
1992, S. 147-160.
Information Johann R o t h m a n n , Zied. Vgl. auch W o l f r a m (wie Anm. 3), S. 87 und 99f.
S o f f é (wie Anm. 6).
Uns 1992 mitgeteilt vom Agnethler Schneidermeister Christian Lang (1926-1994), einem der maßgeblichen Akteure
bei der Wiederaufnahme des Urzelbrauches in Agnetheln in den 1960er Jahren.
164
Irmgard und Werner Sedler
Inszenierung, Doktor und Apotheker agieren stumm. Ebenso in Braller, Gürteln und Martinsberg91. In Tarteln reduzierte sich die Erweckungsszene auf eine Berührung des Königs
durch den Engel mit einem weißen Stäbchen92.
Auf den ersten Blick erscheinen die beiden Teile – „Königslied“ und „Doktorspiel“ – inhaltlich, sprachlich und inszenatorisch unvereinbar. Mehr noch: hier das Unvermeidliche
des Sterbens – dort die Auferweckungsszene, die quer zu stehen scheint hinsichtlich der
Memento-mori-Intention des ersten Teils; hier die gehobene Dichtung mit streng vorgeschriebener, dem tableau vivant sich annähernder Abfolge fast bildhaft-statischer Spielszenen – dort
die sprachliche Ungebundenheit eines derben bis groben Textes, der rezeptiv bedenkenlos
vorgeformte Stoffe aufnimmt (Doktor Eisenbart) und sie in immer neuen Handlungssituationen variiert.
Die Verbindung der beiden Texte kommt jedoch nicht aus dem Nichts. Ihre Verknüpfung
ist mehrschichtig, sowohl vom Inhalt als auch von der Brauchgebundenheit her. Sie erschließt
sich einem zuallererst aus dem Verständnis der Fastnacht in ihrem Bezug zur Fastenzeit,
dem, wie kaum ein anderer, Werner Mezger nachgegangen ist:
Ohne die [ihr nachfolgende] Fastenzeit ist die Fastnacht ihrem ursprünglichen Sinne nach
strenggenommen funktionslos und hinfällig.93
In christlicher Deutung erhielte die zeitliche Bindung der Fastnacht an die Fastenzeit demnach Zweckmäßigkeit zugebilligt im Sinne therapeutischer Wirkung: Mit ihren Ausschweifungen, die sündhafte Kreatürlichkeit des Fleisches in allen Facetten bewusst darstellend,
gelte sie als wirksames Mittel zur metanoia, den Menschen des Spätmittelalters und der frühen
Neuzeit auf den Weg der Buße und Umkehr im Hinblick auf das nahe Ostern führend. Im
Mittelpunkt des sündigen Treibens stünde dementsprechend nicht zufällig die Narrengestalt, galt diese doch im Kontext mittelalterlicher Denkweise als Personifikation des Sünders,
des Todes schlechthin, gleichgesetzt mit dem alttestamentarischen Gottesleugner94. Werner
Mezger hat aus kulturgeschichtlicher Perspektive die Zusammenhänge dieses spätmittelalterlichen Wissens „um den komplementären, wenn nicht gar identischen Bedeutungsgehalt
der Symbolfiguren Narr und Tod“95 in den Brauchäußerungen der Fastnacht untersucht und
mit gattungsübergreifenden Belegen überzeugend untermauern können.
Wenn auch das nachreformatorische Denken die Eigenleistung der metanoia in Frage stellen
musste, hat es dennoch die Traditionen der Fastnacht, im Dienste eigener Moralerziehung
instrumentalisierend, gerade im Bereich des Fastnachtspieles weitergeführt. Im Zusammenhang solch fastnächtlich-sündiger, das heißt „verkehrter Welt“-Auffassung kommt das
Alzner „Doktorspiel“ mit seiner ins Lächerliche gezogenen Auferweckung des Königs als
intendiert inszenierter Gegensatz daher zu dem sehr ernsten Gedanken der Bußfertigkeit
angesichts der Unentrinnbarkeit vor dem Tod, den das „Königslied“ propagiert.
91
A n t o n i (wie Anm. 13), S. 73.
Ebd., S. 72.
93 Werner M e z g e r : Narrenidee und Fastnachtbrauchtum: Studien zum Fortleben des Mittelalters in der europäi­
schen Festkultur. Konstanz 1991, S. 13.
94 Dazu auch Eva W o d a r z - E i c h n e r : Narrenweisheit im Priestergewand. Zur Interpretation des spätmittelalterlichen Schwankromans „Die geschicht und histori des pfaffen von Kalenberg“. München 2007.
95 M e z g e r (wie Anm. 93), S. 437.
92
Ars moriendi im siebenbürgischen Fastnachtsbrauch
165
Dabei ist der Gegensatz Sünde – Buße schon in der Memento-mori-Problematik des „Königsliedes“ angelegt, somit schon dem ersten Teil der Dichtung immanent. Das Ausdrucksmedium der Sünde, somit des „Närrischen“, ist hier der Tanz, symbolisch verbildlicht im
Totentanz. Das Tanzen mit dem Tod geschieht in der negativen Konstellation eines sündhaften Tuns, das die Ankunft im Ewigen Leben und die Seligkeit in Frage stellt. Der Tanz
als sinnliche Ausschweifung im Mittelpunkt fastnächtlicher Belustigung und das Motiv des
Totentanzes stehen somit in unmittelbarer Beziehung, wobei diese Beziehung spätestens
seit Sebastian Brand in dem Bild des „Teufelskreises“ seinen einprägsamen Ausdruck gefunden hat. Der Autor des „Narrenschiffes“ hat explizit den Umkreis definiert, in dem im
Verständnis seiner Zeit der Tanz stand: Sünde, Narrheit, Ausschweifung und Fastnacht. Bei
Werner Metzger ansetzend, hat in neuerer Zeit Gert Kaiser auf die „erniedrigende Funktion“
des Tanzens mit dem Tod bzw. im Angesicht des Todes aufmerksam gemacht und dessen
sündhafte Verflechtung mit der Fastnacht erörtert:
Der Tanz ist ein elementarer Teil des fastnachtlichen Treibens. […] Der Tanz ist ein boshafterniedrigendes Narren- und Teufelsmotiv – im Totentanz wie im Fastnachtgeschehen
gleichermaßen.96
Die Verbindung des „Königsliedes“ mit der „Doktorspiel“-Thematik könnte somit in frühe
Zeiten reichen. Die Einschübe des Eisenbart-Textes aus der Zeit nach 1800 belegen nur die
Eigenschaft eines volkstümlichen Schauspieles, literarische Referenzen bedenkenlos und in
immer neuen Zusammenhängen zu integrieren. Das Alzner „Doktorspiel“ zeigt in seiner
Grundstruktur alle Merkmale der im 16. Jahrhundert sehr populären Gattung der Arztspiele,
die zum festen Schauspielbestand der Fastnacht gehörten97.
Dazu zählt zum ersten die eindeutige Stofftradition mit ihrem typisierten Schelmenpersonal und Szeneninventar. Da ist der Arzt, als Dr. Schwarzgeboren aus der Löffelstadt98, in
rumänischer Sprache als Dr. Prostundedai unmissverständlich auf seine zigeunerische Herkunft angesprochen (Soziolektalisierung). Er ist, wie es die Rolle verlangt, ein unwürdiger
Vertreter seines Faches, der die Dummheit seiner Mitmenschen für Scharlatanerien nutzt:
„Kann machen, dass die Blinden gehn / Und alle Lahmen wieder sehn.“ In diesem Kontext
ist sein Können als „Wunderdoktor“ unbegrenzt: „Können Sie tote Menschen lebendig
machen? / […] Auch das kann ich gegen gute Bezahlung.“ Bei der Therapie kommt immer
dasselbe Vorgangsmodell zum Tragen – es geht dem König an die Wäsche. In der Zieder
Variante ziehen Arzt und Apotheker dem König den Bandwurm, in der Alzner wird er an
eindeutiger Stelle gepiekst und sein „Leichnam“ hin und her geschubst. Die obszöne Hand96
Gert K a i s e r : Totentanz und verkehrte Welt. In: Tanz und Tod in Kunst und Literatur (wie Anm. 48), S. 113.
Zur Gattung des Fastnachtspiels siehe Eckehard C a t h o l y : Das Fastnachtspiel des Mittelalters. Tübingen 1961;
Carl I. H a m m e r : The Doctor in the Late Medieval „Arztspiel“. In: German Life and Letters 24 (1970-1971), S. 244256; vgl. auch Werner M. B a u e r : Das weltliche Spiel des Spätmittelalters in Österreich. In: Die österreichische
Literatur. Ihr Profil von den Anfängen im Mittelalter bis ins 18. Jahrhundert (1050-1750). Hg. Herbert Z e m a n (=
Jahrbuch für Österreichische Kulturgeschichte 14-15, 1985-1986, S. 547-615; vgl. auch Dietz-Rüdiger M o s e r : Fastnacht, Fasching, Karneval. Das Fest der verkehrten Welt. Graz, Wien 1986; auch Francesco D e l b o n o : Das deutsche
Fastnachtspiel, das „Karnevalsspiel“ bei Alione und das „Bauernspiel“ bei Ruzante. Versuch eines Vergleichs. In:
Fastnachtspiel, Commedia dell’arte (wie Anm. 87), S. 13-73; M e z g e r (wie Anm. 93).
98 „Löffelstadt“, umschreibender Name des Zigeunerviertels in siebenbürgischen Ortschaften. Anlehnung an die
hauptsächlich von Romafrauen ausgeübte Beschäftigung des Holzlöffelschnitzens.
97
166
Irmgard und Werner Sedler
lung begleiten zweideutige Kommentare mit sexueller Anspielung (Mädchensehen, drei
Beine), wobei für die Scharlatanerie der Aufweckung Zwiebeln vonnöten sind.
Zudem wird im Arztspiel das Prinzip der „verkehrten Welt“ durchgängig befolgt – vom
Gefeilsche um den Lohn des Arztes bis hin zur Handlung selbst: Die Erweckung des Königs
mittels einer Zwiebel ist als parodistische Handlung zum sakralen Geheimnis der Auferstehung auch als fastnächtliche Inversion zu verstehen, doch auch als derbe Belehrung, eine
volkstümlich Chiffre für die Absurdität, dem Tod entgehen zu wollen. Das „Doktorspiel“
ist letztlich ein Spiel mit den erspielten Wirklichkeiten des „Königsliedes“, dessen Mementomori-Intention. Die Deutungsperspektive wäre damit suspendiert, der zweite Teil hätte damit
im Sinne der „verkehrten Welt“ die letzte Instanz aufgehoben. Das am Ende vom Publikum
und den Akteuren gemeinsam gesungene Lied „Dein ist die Kron’, oh Herr der Welt“ führt
zur Anfangsintention zurück.
Man braucht sich nur die Wirkung der bruderschaftlichen Aufführungen des „Königsliedes“ während vergangener Jahrhunderte in Alzen/Siebenbürgen vorzustellen. Für ein
Publikum, dem die christlichen Vorstellungen von Sünde und sündiger Lebenshaltung in
der tradierten sächsischen Dorfgemeinschaft durch die kirchliche Predigt allsonntäglich vor
Augen gehalten wurden, konnte sich der Tanz des Todes, aufgeführt auf einem zur Bühne
umfunktionierten Stubenboden, auf dem bis unmittelbar davor bis zum Sinnenrausch getanzt worden war, zu einem starken Memento-mori-Signal verdichten. Umrahmt von Urzeln
und anderen Verstålden im Publikum, konnte das eindringliche Bild des unerbittlichen Todes
den gesellschaftlichen Zusammenhalt im Ort festigen: Der Besuch der Bruderschaft bei den
verheirateten Nachbarn zum Zweck der Aufführung war hauptsächlich gemeinsames Feiern.
Die neuen Gemeindesäle, die ab dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts überall auf dem
Lande gebaut wurden, brachten die Verlagerung der Dorffeste aus dem Bereich des privaten
Stubenraumes in den öffentlichen Gemeinschaftsraum mit sich. Das mundartliche Volkstheater mit Stoffen aus dem Bauernleben fand Einzug auf die Dorfbühne und verdrängte
allmählich die alten Spiele.
Zeitschrift für Siebenbürgische Landeskunde 34 (2011), Heft 2
167
Quellen
Die Schäßburger Rechnung von 1522*
Von Zsolt S i m o n
Kronstadt, Hermannstadt und Bistritz sind jene siebenbürgischen Städte, derer mittelalterliche Rechnungen in einer beträchtlichen Anzahl erhalten geblieben sind1. In dieser Hinsicht hatte Schäßburg weniger Glück, weil dort nur eine einzige Quelle dieser Art überliefert
ist, die sich auf das Jahr 1522 bezieht. Diese Rechnung hat Georg Daniel Teutsch bereits im
19. Jahrhundert bekannt gemacht und in Teilen veröffentlicht2. In der vorliegenden Studie
wird die Quelle in ihrer Gesamtheit ediert; ihre Analyse ist einer späteren Veröffentlichung
vorbehalten.
Dem Titel nach ist die Schäßburger Rechnung das Protokoll der drei sogenannten „Geldsammler” (registrum ... collectorium pecuniarum) Caspar Sartor, Lucas Doleator und Martinus Kyres, in deren erstem Teil die Einkünfte verbucht wurden: überwiegend die von
den Siedlungen des Stuhls3 bezahlten Steuern, davor einige andere Eingangsposten, vor
allem gewisser Rückstände. Im zweiten Teil der Rechnung wurden die aus diesen Steuern
geleisteten Zahlungen vermerkt: vor allem Steuern, Kriegsausgaben, für unterschiedliche
Abordnungen und Bauarbeiten bestimmte Summen, die Löhne des Trompeters, des Notars,
Orgelspielers, des Dieners des Bürgermeisters beziehungsweise des Stuhlrichters sowie
eine Reihe unterschiedlicher Ausgaben, die alle zusammen Daten über die mannigfaltigen
Aspekte des spätmittelalterlichen Lebens des Schäßburger Stuhls und der Stadt Schäßburg
liefern, die in anderen Quellen nicht anzutreffen sind4.
*
1
2
3
4
Diese im Rahmen des Samuel-von-Brukenthal-Stipendiums erarbeitete Studie wurde finanziert durch das Projekt „Die sozial-humanistischen Wissenschaften im Kontext der globalisierten Entwicklung – Entwicklung und
Durchführung“ des Programms für postdoktorale Studien und Forschungen., Vertrag: POSDRU 89/1.5/S/61104,
und durch den Europäischen Sozialfonds (Sektorielles Operationelles Programm zur Entwicklung der Humanressourcen 2007-2013).
Vgl. Rechnungen aus dem Archiv der Stadt Hermannstadt und der sächsischen Nation. Bd. 1. Hermannstadt 1880
(= Quellen zur Geschichte Siebenbürgens aus sächsischen Archiven I/1); Quellen zur Geschichte der Stadt Kronstadt in Siebenbürgen. Bd. 1. Rechnungen aus dem Archiv der Stadt Kronstadt 1503-1526. Kronstadt 1886; Konrad
G ü n d i s c h : Cel mai vechi registru de socoteli al oraşului Bistriţa (1461, 1462) [Das älteste Rechnungsbuch der
Stadt Bistritz (1461, 1462)]. In: Acta Musei Napocensis 14 (1977), S. 337-347. Für Mediasch und Klausenburg sind
Rechnungen einiger Jahre bzw. eines Jahres erhalten geblieben. Joseph Bedeus von S c h a r b e r g : Mitteilungen
über ein Mediascher Stadtbuch aus dem 16. und 17. Jahrhundert. In: Archiv NF 3 (1858), S. 55-66; Károly S z a b ó :
Kolozsvár város 1496-diki számadása [Die Rechnung der Stadt Klausenburg von 1496]. In: Történelmi Tár [6] (1883),
S. 571-584.
Georg Daniel Te u t s c h : Die Schäßburger Gemeinderechnung von 1522. Züge aus dem sächsischen Leben zur
Zeit des Untergangs des ungrischen Reichs. In: Archiv NF 1 (1853), S. 135-161.
Denndorf/rum. Daia/ung. Szászdálya, Trapold/Apold/Apold, Meeburg/Beia/Homoródbene, Henndorf/Brădeni/
Hégen, Schaas/Șaeș/Segesd, Arkeden/Archita/Erked, Neidhausen/Netuș/Netus, Halwelagen/Hoghilag/Holdvilág,
Großalisch/Seleuș/Keménynagyszőllős, Kelin-Alisch/Seleuș/Szászszőllős, Großlasseln/Laslea/Szászszentlászló,
Dunesdorf/Daneș/Dános, Keisd/Saschiz/Szászkézd, Bodendorf/Bunești/Szászbuda, Proden/Prod/Prod, Radeln/
Roadeș/Rádos(d).
Diesbezüglich siehe jüngst Gernot N u s s b ä c h e r : Aus Urkunden und Chroniken. Beiträge zur siebenbürgischen
Heimatkunde. Bd. 9: Schäßburg, Kronstadt 2010.
168
Zsolt Simon
Anhang
1522 [Schäßburg]. Die Rechnung des Schäßburger Stuhls und der Stadt Schäßburg.
Rumänisches Nationalarchiv, Zweigstelle des Kreises Kronstadt, Schäßburger Stadtarchiv,
Socoteli anuale [Jahresrechnungen], Nr. 1. Ein 100-seitiger Kodex, der einzeln aus dem Kollegat der fünf Hefte (jeweils aus in zwei gefalteten fünf Papierbögen gebildet) und des Pergamentdeckblattes entstanden ist. Ausmaße der Seiten: 22,5 x 30 cm. Die Papierblätter sind
mit einem Wasserzeichen versehen, das eine Waage darstellt. Das Deckblatt ist am unteren
und oberen rechten Rand zurückgebogen. Die ersten vier Seiten sind nicht paginiert. Leere
Seiten: die unpaginierten Seiten 2-4, die Seiten 18, 22, 42, 66, 93-96. Auf dem ersten Deckblatt
mit Schrift aus dem 18.-19. Jahrhundert steht: „1522., no. 27“.
Folgende Abkürzungen werden verwendet: fl., flor.: florenus, asp.: asper (1 fl. = 50 asp.).
Registrum prudentium et circumspectorum Casparis Sartoris, Luce Doleatoris et Martine1
Kyres, collectorium pecunearum(!) super annum Domini millesimum quingentesimum vigesimum secundum2
[P. 1.] Percepta3
Domini collectores pecuniarum perceperunt in parata pecunia, que de anno
preterito post datam rationem superaverat
Item Johannes Croner presentavit de pecuniis decimalibus, que levabantur
ad stipendium versus Nandoralbam, quas idem antea non presentaverat
Item feria secunda proxima post Letare4 percepit dominus Caspar a collectoribus pecuniarum ex parte educillationis vinorum
Item ex piscina civitatis in loco deserto adiacento perceperunt domini collectores pecuniarum dominica Iudica5
Summa facit flor. et asp.6
[P. 2.] Item a certis hominibus causa pignorum redemptorum perceperunt
domini collectores pecuniarum
Item a Blasio Heftchyn de Gruen grass ratione sui census, quem7 de anno
preterito remanserat, perceperunt domini collectores pecuniarum
Item ratione expensarum, quas habuimus in causa litigiosa versus Albam
cum domino Gregorio presbitero, filio Johannis notarii, quas idem nobis
refudit, perceperunt domini collectores pecuniarum
Item post compilationem registri et preparationem illius posuerunt certi domini cives rationem, de quibus perceperunt domini collectores pecuniarum
Summa facit
flor.
156
flor.
1
et asp.
31
flor.
3
et asp.
17
flor.
7
et asp.
37
flor.
3
et asp.
3
flor.
1
flor.
10
flor.
5
et asp.
8
flor.
187
et asp.
38
[P. 3.] Impositio prima facta per dominos provinciales causa solutionis certorum debitorum
ac restantiarum anni preteriti super quamlibet domum numeralem flor. 250 impositis atque super
quamlibet dicam civitatis nostre flor. 1 et denariis 25 impositis. Exacta est hec impositio et presentata circa
festum sancti Vrbani9 et sequitur in sequentibus.
Dalya presentavit
flor.
58 et asp.
41
Trapoldt presentavit
flor.
181 et asp. 37,5
Meberg presentavit
flor.
44 et asp.
35
Summa facit flor. et asp.10
[P. 4.] Henndorf presentavit
flor.
69 et asp.
46
169
Die Schäßburger Rechnung von 1522
Schegesdt presentavit
Erket presentavit
Nythusia presentavit
Hodwilag presentavit
[P. 5.] Nadg Zelewsch presentavit
NadgZendtlaslo presentavit
Danys contribuit
Zaazkyzdt presentavit et contribuit
Bodon presentavit et contribuit
[P. 6.] Prod presentavit et contribuit
Radlen presentavit et contribuit
Summa presentationis totius sedis facit
flor.
flor.
flor.
flor.
flor.
flor.
flor.
flor.
flor.
flor.
flor.
flor.
138
139
29
61
56
26
27
248
58
29
62
1231
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
28
0
0
35
14,5
45
0
20
0
0
0
2
[P. 7.] Presentationes dominorum civium in prenominata taxa
Dominus Johannes Witeez presentavit
flor.
Et iterum presentavit
flor.
Dominus Laurentius Sartor presentavit
flor.
Dominus Theobaldus presentavit et contribuit
flor.
Dominus Johannes Kyser presentavit et contribuit
flor.
Dominus Georgius Genesch presentavit
flor.
[P. 8.] Dominus Mihael Rymmer presentavit
flor.
Dominus Petrus Zydler presentavit et contribuit
flor.
Dominus Johannes Konhart presentavit et dedit
flor.
Dominus Valentinus Keschner presentavit et contribuit
flor.
Dominus Petrus Holczappel iterum presentavit
flor.
[P. 9.] Dominus Stephanus Sutor presentavit et contribuit
flor.
flor.
Dominus Nicolaus Herdenn11 presentavit et dedit
Gruengrass presentavit
flor.
Summa presentationis dominorum civium ex parte civitatis facit
flor.
[P. 10.] Summa totius census, tam ex parte sedis, quam civitatis facit
flor.
37
4
38
45
61
56
41
40
54
39
42
46
48
15
570
1801
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
0
25
19,5
2,5
0
18
33
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
48,5
35,5
25
16
23
25
[P. 11.] Taxa secunda super quamlibet domum numeralem flor. 50 impositis pro solutione
stipendariorum anni preteriti, dum proficiscebatur ad Hungariam versus Nandoralbam,
in civitate super quamlibet dicam asp. 8 et de quolibet hospite asp. 12 pro dicta stipendariorum
solutione impositis et exactis et hoc circa festum beati Johannis baptiste12
Dalya presentavit et contribuit
flor.
24 et asp.
Segest presentavit
flor.
57 et asp.
Danys presentavit
flor.
11 et asp.
Prod presentavit
flor.
14 et asp.
[P. 12.] Nythusia presentavit
flor.
12 et asp.
Nadg Zelews presentavit
flor.
22 et asp.
Hodwilag presentavit
flor.
27 et asp.
Zendtlaslo presentavit
flor.
35 et asp.
Zazkyzdt presentavit
flor.
39 et asp.
[P. 13.] Trapolt presentavit
flor.
68 et asp.
20
0
37,5
0
24
0
0
0
5
12
170
Meberg presentavit
Bodon presentavit
Hegenn presentavit
Radosch presentavit
[P. 14.] Erkedt presentavit
Summa13 presentationis sedis totius14 facit
Zsolt Simon
flor.
flor.
flor.
flor.
flor.
flor.
18
16
28
24
40
437
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
0
0
0
37,5
0
36
[P. 15.] Presentatio dominorum civium ex parte civitatis
Dominus Georgius Genesch presentavit
flor.
16 et asp.
44
42
Dominus Johannes Witez presentavit
flor.
11 et15 asp.
Dominus Petrus Zydler presentavit et contribuit
flor.
13 et asp.
25
Dominus Mihael Rymmer presentavit
flor.
12 et asp.
42
Dominus Johannes Kyser presentavit
flor.
20 et asp.
36
[P. 16.] Dominus Nicolaus Hedenn presentavit
flor.
16 et asp.
22
Dominus Petrus Holczappel contribuit
flor.
14 et asp.
28
Dominus Johannes Konhart presentavit
flor.
15 et asp.
12
Dominus Theobaldus presentavit
flor.
13 et asp.
43
Dominus Valentinus Keschner contribuit
flor.
16 et asp.
0
[P. 17.] Dominus Laurentius Sartor
flor.
12 et asp.
0
Dominus Stephanus Sutor presentavit
flor.
17 et asp.
41
Gruen grass presentavit
flor.
8 et asp.
27
Summa presentationis dominorum civium ex parte communitatis totius
flor.
190 et asp.
12
facit
Summa presentationis totius taxe, tam ex sede, quam civitate facit
flor.
627 et asp.
48
[P. 19.] Taxa tertia imposita per dominos provinciales super quamlibet domum numeralem flor. 125 exacta
circa festum Exaltationis sancte Crucis16 in civitate super quamlibet dicam asp. 28 impositis
Szazkysdt presentavit
flor.
129 et asp.
8
Erkedt presentavit
flor.
63 et asp.
0
Bodon presentavit
flor.
28 et asp.
0
Radosch presentavit
flor.
30 et asp.
40
[P. 20.] Meberg presentavit
flor.
23
Dalya presentavit
flor.
30
Trapolt presentavit
flor.
88
Hegenn presentavit
flor.
33
Nythusia presentavit
flor.
25
Segesdt presentavit
flor.
110
31
Nadg Zelewsch presentavit
flor.
27 et17 asp.
[P. 21.] Prod presentavit
flor.
13
Hodwilag presentavit
flor.
30 et asp.
35
Zendtlaslo presentavit
flor.
20
Danys presentavit
flor.
14 et asp.
25
Summa presentationis sedis totius facit
flor.
665 et asp.
39
171
Die Schäßburger Rechnung von 1522
[P. 23.] Presentationes dominorum civium ex parte civitatis
Dominus Theobaldus presentavit
flor.
Dominus Mihael Corrigiator presentavit
flor.
Dominus Petrus Zydler presentavit
flor.
Dominus Johannes Konhartt
flor.
Dominus Johannes Witez presentavit
flor.
[P. 24.] Dominus Laurentius Sartor presentavit
flor.
Dominus Johannes Kyser presentavit
flor.
Dominus Georgius Genesch presentavit
flor.
Dominus Stephanus Sutor presentavit
flor.
Dominus Nicolaus Hedenn presentavit
flor.
[P. 25.] Dominus Nicolaus Hedenn presentavit
flor.
Dominus Valentinus Keschner presentavit
flor.
Dominus Petrus Holczappel presentavit
flor.
Gruengrass presentavit
flor.
Summa presentationis dominorum civium ex parte communitatis facit
flor.
[P. 26.] Summa presentationis totius taxe, tam ex sede, quam ex civitate facit
flor.
18
19
17
20
18
18
29
26
20
22
0
19
21
4
258
923
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
47
12,5
44,5
29
0
40
21
31
13
24
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
26
47
22
7
46
[P. 27.] Exactio pecuniarum pro solutione stipendariorum et duorum milium florenorum domino
waywode deputatorum, dum circa festum sancti Mihaelis archangeli18 proficiscebatur
ad terram Transalpinam, ex sede super quemlibet19 domum numeralem flor. 28 et in civitate super
quemlibet hospitem asp. 20 impositis et exactis
Zentlaslo presentavit ad presens stipendium
flor.
16 et asp.
0
Schegesdt presentavit
flor.
45 et asp.
25
Erkedt presentavit
flor.
26 et asp.
0
Nadg Zelews presentavit
flor.
10 et asp.
0
flor.
6 et asp.
25
[P. 28.] Nythusia presentavit20
Meberg presentavit
flor.
5 et asp. 12,5
Danysch presentavit
flor.
6 et asp.
25
Rados presentavit
flor.
13 et asp.
0
Hodwilag presentavit
flor.
13 et asp.
25
Dalya presentavit
flor.
13 et asp.
0
[P. 29.] Prod presentavit
flor.
6 et asp.
25
Szazkysdt presentavit
flor.
58 et asp.
20
Bodon presentavit
flor.
13 et asp.
0
Trapolt presentavit
flor.
39 et asp.
0
Hegenn presentavit
flor.
13 et asp.
40
[P. 30.] Summa presentationis sedis totius facit
flor.
285 et asp. 47,5
[P. 31.] Exactio pecuniarum decimalium in civitate pro solutione stipendariorum
de quolibet hospite asperis 20 levatis
Johannes Croner presentavit
flor.
4
Cristianus Corrigiator ex suo decimali
flor.
4
Thies Keschner presentavit
flor.
6
Lucas Wagner presentavit
flor.
2
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
5
9
26
49
172
Johannes Bayers senior
Johanness Gyrharts presentavit
Summa facit
[P. 32.] Lucas Gotschling presentavit
Gregorius Kesler presentavit
Lucas Bydner in vico Bayer
Petrus Textor presentavit
Sigismundus Fenestrator presentavit
Blasius Fischer presentavit
Summa facit
[P. 33.] Georgius Sutor presentavit
Thomas Schyner presentavit
Johannes Dellendorffer presentavit
Andreas Burgellen presentavit
Andreas Olmacher Bydner
Stephanus Errenst presentavit
Mihael Kursner presentavit
Summa facit
[P. 34.] Blasius Kursner presentavit
Mihael Stomp presentavit
Sigismundus Textor presentavit
Andreas Clitschenn21 presentavit
Lucas Konhart presentavit
Valentinus Hon presentavit
Bartholemeus Schonweder presentavit
Summa facit
[P. 35.] Stephanus Fischer presentavit
Vittus Dellendorffer presentavit
Benedictus Bayer presentavit
Georgius Horarumfactor presentavit
Blasius Kyndtler presentavit
Georgius Wagner presentavit
Georgius Pletsch presentavit
Summa facit
[P. 36.] Georgius Mensator presentavit
Bartholomeus Goss presentavit
Servatius Sartor de duobus decimalibus
Johannes Mydwescher aurifaber
Blasius Wagner presentavit
Barthlomeus Terner presentavit
Georgius Rasor presentavit
Summa facit
[P. 37.] Andreas Fyltstich presentavit
Georgius Sadler presentavit
Zsolt Simon
flor.
flor.
flor.
flor.
flor.
flor.
flor.
flor.
flor.
flor.
flor.
flor.
flor.
flor.
flor.
flor.
flor.
flor.
flor.
flor.
flor.
flor.
flor.
flor.
flor.
flor.
flor.
flor.
flor.
flor.
flor.
flor.
flor.
flor.
flor.
flor.
flor.
flor.
flor.
flor.
flor.
flor.
flor.
flor.
4
3
26
4
4
4
3
6
3
27
3
2
4
4
3
4
4
27
3
3
4
4
4
4
3
29
6
3
2
7
4
3
4
33
6
3
6
4
5
2
4
35
3
6
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
32
39,5
10,5
7
25
16
48
31
49
26
0
0
29
6
45
42,5
40
12,5
45
26
38
39,5
9
48,5
40
46
21
17
46
34
36
35
25
14
17
40
39
38
32
45
40
1
18
16
173
Die Schäßburger Rechnung von 1522
Georgius Czymmerman presentavit
Georgius Rymmer presentavit
Gruengrass presentavit
Summa facit
[P. 38.] Summa presentationis civitatis totius facit
Summa presentationis huius stipendii tam ex sede, quam ex civitate facit
flor.
flor.
flor.
flor.
flor.
flor.
2
5
10
28
207
493
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
45
6
45
30
40
37,5
[P. 39.] Exactio secunda vice pecuniarum pro solutione stipendii super quolibet stipendario flor.
3 circa festum Omnium sanctorum,22 dum stipendium transmitti debuit ad terram Transalpinam
Presentatio sedis
Szazkysdt presentavit
flor.
69
Erkedt presentavit
flor.
30
36
Meberg presentavit
flor.
823 et asp.
24
flor.
3
Radosch presentavit
Bodon presentavit
flor.
14
Dalya presentavit
flor.
15
[P. 40.] Nythusia presentavit
flor.
8 et asp.
48
flor.
17 et asp.
20
Hegen presentavit25
Trapolt presentavit
flor.
40
Segesdt presentavit
flor.
46 et asp.
25
26
Danysch presentavit ad presentem stipendium
flor.
Laslo presentavit
flor.
15 et asp.
0
[P. 41.] Hodwilag presentavit
flor.
18
Prod presentavit
flor.
9
Nadg Zelewsch presentavit
flor.
15
Summa presentationis sedis totius facit
flor.
309 et asp.
29
[P. 43.] Presentatio civitatis pro solutione stipendariorum de quolibet hospite asperis decem levatis
Georgius Czymmerman presentavit
flor.
1 et asp.
19
Mihael Kursner presentavit
flor.
2 et asp.
3
Simon Bydner presentavit
flor.
1 et asp.
25
Blasius Kynndtler presentavit
flor.
2 et asp.
13
Vittus Dellendorffer presentavit
flor.
2 et asp.
19
Georgius Essig presentavit
flor.
2 et asp.
8
Summa facit
flor.
11 et asp.
37
[P. 44.] Lucas Wagner presentavit
flor.
1 et asp.
25
Benedictus Payer presentavit
flor.
1 et asp.
18
Georgius Tischler presentavit
flor.
4 et asp.
0,5
Lucas Konhart presentavit
flor.
1 et asp. 44,5
Georgius Stundenmacher presentavit
flor.
3 et asp.
15
Andreas Olmacher presentavit
flor.
1 et asp.
48
Petrus Wewer presentavit
flor.
1 et asp.
45
Summa facit
flor.
15 et asp.
46
[P. 45.] Stephanus Zakmans presentavit
flor.
2 et asp.
20
Lucas Gotschling presentavit
flor.
1 et asp.
44
174
Zsolt Simon
Cristianus Rymmer presentavit
Sigismundus Fenestrarius presentavit
Andreas Clitschenn presentavit
Georgius Bydner presentavit
Mathias Keschner presentavit
Summa facit
[P. 46.] Georgius Scherer presentavit
Johannes Dellendorfer presentavit
Johannes Mydwescher presentavit
Stephanus Errenst presentavit
Egidius Schuster presentavit
Blasius Kurschner presentavit
Georgius Czekmantler presentavit
Summa facit
[P. 47.] Blasius Fischer presentavit
Schoyen Thies presentavit
Georgius Wagner presentavit
Bartholomeus Terner presentavit
Burgellen Endres presentavit
Pletsch Jerg presentavit
Gregorius Bydner presentavit
Summa facit
[P. 48.] Sigismundus Gyger textor
Stephanus Fischer presentavit
Rudt Lucas presentavit
Andreas Fylstich
Schynen Thomas presentavit
Johannes Croner presentavit
Georgius Rymmer presentavit
Bartholomeus Goss presentavit
Summa facit
[P. 49.] Johannes Gochmans presentavit
Servacius Sartor presentavit
Gruen Grass presentavit
Summa huius medii 27 folii facit
Summa huius stipendii secunda et ultima vice exacti ex parte civitatis totius
facit
Summa presentationis totius stipendii prescripti sive presentis tam ex sede,
quam ex civitate facit
[P. 50.] Summa summarum totius percepti facit
flor.
flor.
flor.
flor.
flor.
flor.
flor.
flor.
flor.
flor.
flor.
flor.
flor.
flor.
flor.
flor.
flor.
flor.
flor.
flor.
flor.
flor.
flor.
flor.
flor.
flor.
flor.
flor.
flor.
flor.
flor.
flor.
flor.
flor.
flor.
flor.
2
3
1
3
3
17
2
1
2
2
3
2
1
15
1
1
1
1
1
1
1
11
2
3
1
1
1
1
2
1
15
1
1
3
6
94
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
et asp.
2
22
15
12
20
35
0
40
8
5
24,5
1
48
26,5
49
48
40
24
40
35,5
10
46,5
13
10
35
43
0
48
0
38
37
0,5
30
39,5
20
48
flor.
404
et asp.
27
flor.
4439
et asp.
21,5
175
Die Schäßburger Rechnung von 1522
[P. 51.] Sequuntur extradata primi census28
Georgio Kyral eo, quod fuit Bude cum domino magistro civium, dati sunt
pro suis fatigiis
Eidem Georgio Kyral ratione sui sallarii feria 5ta proxima ante Carnisprivium29
Tympaniste, quem domini convenerant tempore Quadragesimali30, in suo
salario
Francisco aurige, quondam famulo domini iudicis sedis, qui fuit cum domino magistro civium Bude
Stephano Lapicide, qui secuit globos ad bombardas lapideas32, pro suis
laboribus
Bartholomeo sub porta habitanti pro resolutione sive depositione 6 vasorum
cementis soluti sunt
Summa facit
[P. 52.] Petro Lwtsch eo, quod fuit cum iudice sedis in terra Barcza in quadam expeditione circa festum Omnium sanctorum preteriti anni33
Pro solutione certarum restantiarum et debitorum de anno preterito miserunt collectores pecuniarum cum domino iudice regio et Johanne Witez
dominica Invocavit34 ad Cibinium
Eisdem nuntiis eo tempore ad Cibinium missis pro expensis
Iterum Johanni Witez quem dedit mutuo
Notario in suo sallario dominica Invocavit36 dederunt domini collectores
pecuniarum
Georgio Carpentario feria 5ta ante Letare37 ratione laboris, quem fecit in
muro circa sorores ordinis sancti Francisci
Pro teglis(!) ad murum in castro circa predictas sorores ordinis sancti Francisci
Summa facit
[P. 53.] Johanni Balistario in suo stipendio dominica Letare38
Petro Lwtsch propter multifaria servitia civitati per eundem facta atque in
posterum faciendis dederunt domini consules in subsidium unius vestis
emendis
Eidem Petro Lutsch eo, quod duxit certas litteras magnifici domini waywode ad Ruppes, pro expensis
Eidem Petro Lwtsch pro ducendis certis litteris ad Cibinium domino magistro civium pro expensis
Domino magistro civium et Luce Doleatori ad Cibinium pergentibus dominica Letare39 pro expensis
Certis hominibus, qui resolverunt sex vasa cementi in castro
Summa facit
[P. 54.] Georgio Kyral in suo stipendio dominica Iudica40 dederunt domini
collectores pecuniarum
Ladislao servitori cum certis litteris citatorialibus in causa Johanni de Kysdt
ad quosdam nobiles missi eosdem citando pro expensis
Johanni, servitori domini magistri civium in festo beati Marci ewangeliste41
Tubicinatori eodem die42 in suo salario dati sunt
Dominica Quasi modo geniti43 miserunt domini collectores pecuniarum
cum domino iudice regio ad Cibinium ibidem presentando
flor.
2
asp.
25
flor.
231
flor.
1
flor.
11
flor.
0
et asp.
6
flor.
flor.
16
1
et asp.
et asp.
31
25
flor.
300
flor.
flor.
flor.
3
135
1
flor.
1
asp.
19
et asp.
asp.
et asp.
44
45
25
asp.
10
asp.
7
asp.
et asp.
asp.
25
12
12,5
asp.
14
asp.
asp.
12,5
12,5
flor.
307
flor.
1
flor.
7
flor.
10
flor.
800
176
Zsolt Simon
Eidem domino iudice regio eo tempore ad iter illud perficiendum pro expensis
Mathie organiste eodem die44 dedit dominus Caspar ratione sui sallarii
Summa facit
[P. 55.] Pro cemento vasis duobus ad edificium civitatis feria 5ta proxima
post Quasi modo geniti45
Pro uno vaso vini ad nuptias nobilis Mihaelis Sykes donati solverunt hominibus de Prod
Georgio Kyral ratione sui stipendii in festo beatorum Philipi et Jacobi apostolorum46
Francisco notario in suo stipendio eodem die47
Domino magistro civium pro una vectura ad Cibinium facta, dum sua dominatio fuerat cum Luce doleatore ibidem in Quadragesima48
Ladislao servitori conducto pro custodiendo frugibus et pratis in suo salario
Summa facit
[P. 56.] Feria secunda proxima post festum Inventionis sancte Crucis49 cum
Laurentio Sartore et Stephano Sutore, ut presentarent in Cibinio domino
magistro civium
Eisdem nuntiis eodem die50 pro expensis dati sunt versus Cibinium
Tubicinatori novo prima vice pro expensis ad rationem sui sallarii
Baccalaureo rectori schole causa unius vestis, quam domini consules dederunt illi, ut habeat diligentiam cum iuvenibus
Dominis magistri civium et duobus iudicibus certis vicibus ad Zenthagata
ad magnificum dominum waywodam pergentibus pro expensis
Eisdem dominis ad tres resas pro pipere et croco et pro una vectura ad
Zenthagata
Summa facit
[P. 57.] Circa festum sancti Seruacii52 villico pro necessitate civitatis
Petro Lwtsch cum certis litteris ad Zentagatha misso pro expensis
Tubicinatori novo in suo stipendio feria 4ta ante Zophie53
Johanni, servitori civitatis causa unius vestis solvimus Petro Zydler
Notario solvimus in suo stipendio feria quarta ante festum sancti Vrbani54
Feria sexta ante festum sancti Vrbani55 cum domino Theobaldo, ut presentaret in Cibinio, missi sunt
Et eidem eodem tempore pro expensis
Summa facit
[P. 58.] Summa extradate presentis taxe facit
[P. 59.] Exitus secunde taxe56
Feria tertia
redemimus Czyganos ab waywoda illorum
Notario in suo stipendio feria quarta in vigilia Ascensionis Domini58
Georgio Kyral in suo stipendio dominica proxima post festum Ascensionis59
Tubicinatori in suo stipendio feria tertia ante festum Penthecostes60
Ladislao servitori, qui mitebatur ad Zeplak ad Johannem Both procuratorem
in causa homini de Zazkysdt, pro expensis
Rogationum57
flor.
3
flor.
flor.
flor.
1
805
1
flor.
2
flor.
2
flor.
2
flor.
flor.
8
500
flor.
2
flor.
4
flor.
351
flor.
1
flor.
flor.
510
2
flor.
flor.
flor.
flor.
1
1
6
300
flor.
flor.
flor.
2
312
1971
flor.
3
et asp.
et asp.
1,5
40
asp.
25
asp.
et asp.
25
40
asp.
12,5
et asp.
12,5
asp.
5
et asp.
10
et asp.
et asp.
15
6
asp.
asp.
asp.
asp.
25
25
25
12,5
177
Die Schäßburger Rechnung von 1522
Eidem Ladislao eodem die61 eo, quod custodivit fruges et prata civitatis, in
suo salario
Summa facit
[P. 60.] Postos(?) abietum sive pluteos pro edificio muri in claustro solverunt
collectores pecuniarum
Domino magistro civium et iudici regio ad Cibinium ad convocationem
generalem vocatis feria 4ta ante festum Penthecostes62 pro expensis et solutionis hospitis
Johanni, servitori civitatis ex parte sui stipendii eodem die63
Quirino Lateratori pro lateribus ad murum circa sorores ordinis sancti Francisci dederunt collectores pecuniarum
Pro velocibus pulveribus64 bombardarum, videlicet talentis 14, exposuerunt
collectores pecuniarum
Summa facit
[P. 61.] Mathie organiste in suo stipendio eodem tempore dederunt collectores pecuniarum
Sagitatoribus balistarum pro ave sagitantibus iussu dominorum consulum
Petro Lutsch pro diversis resis, quas fecit civitati, in sortem sui solutionis
Quibusdam hominibus de Segesdt pro avena ab eisdem ad necessitatem
civitatis recepta
Georgio Kyral in suo stipendio feria 3a proxima post Trinitatis65
Notario in suo stipendio feria 3a proxima post Trinitatis66
Summa facit
[P. 62.] Tubicinatori in suo stipendio eodem tempore duabus vicibus, videlicet in vigilia Corporis Christi et feria 3a post nundinas67
Lateratoribus duobus pro lateribus ad necessitatem civitatis receptis solvit
dominus Caspar tempore nundinarum
Mathie organiste in suo salario tempore nundinarum
Pro saletro sive sale nitri certis hominibus tempore nundinarum
Petro Lwtsch ad Zeplak misso in factis homini de Zazkysdt ad procuratorem misso pro expensis
Summa facit
[P. 63.] Georgio Kyral in suo salario duabus vicibus circa nundinas
Johanni Sass, qui custodivit tempore nundinarum, solvimus
Iudici regio et Georgio Genesch ad Cibinum pergentibus in festo sancti
Johannis baptiste68
Iudici regio pro duobus equis curriferis sive curru subiugatis, quos dedit
ad currum, dum dominus magister civium porrexit ad Budam, solverunt
collectores pecuniarum eodem die69
Causa Mihaelis, servitoris iudicis sedis solverunt collectores pecuniarum
pro una veste
Feria secunda proxima ante festum sancte Margarethe70 cum Francisco
notario et domino Johanne Penhart ad Cibinium miserunt collectores pecuniarum
Summa facit
asp.
25
et asp.
asp.
12,5
25
asp.
25
flor.
5
flor.
8
flor.
1
flor.
1
et asp.
20
flor.
flor.
11
1
et asp.
20
flor.
1
flor.
1
et asp.
asp.
et asp.
30
25
30
3
8
1
asp.
et asp.
et asp.
25
flor.
flor.
flor.
10
flor.
3
flor.
1
et asp.
asp.
asp.
25
25
8
flor.
flor.
6
1
et asp.
8
asp.
12,5
flor.
4
flor.
14
flor.
1
flor.
600
flor.
620
et asp.
12,5
178
Zsolt Simon
[P. 64.] Eodem tempore pro usura sive additione flor. 200, quos dominus
magister civium et iudex regius in auro a domino Marco, iudice regio71
mutuo receperant
Eisdem nuntiis eodem tempore ad Cibinium cum pecunia presentanda
missis pro expensis
Hospiti dominorum in Cibinio miserunt domini collectores pecuniarium
cum eisdem nuntiis in paratis
Summa facit
[P. 65.] Summa extradate pecunie presentis contributionis facit
[P. 67.] Exitus tertie taxe72
Notario Francisco tempore nundinarum ex presenti taxa dedimus in sortem
solutionis sui stipendii
Petro Lutsch, qui detulit flor. 50 ad Cibinium de altera taxa, dederunt collectores pecuniarum pro expensis
Mathie organiste in suo stpendio feria 4ta ante Margarethe73
Johanni, famulo testudinario domini Wolfgangi ratione auri blacterati(?)
ad tabulam beate Virginis in ecclesia parrochiali(!) nostra situatam in festo
sancte Margarethe74
Tubicinatori eodem die75 in suo stipendio
Mihaeli, servitori iudicis sedis ad Ladislaum Baladfy in causa homini de
Kyzdt misso, pro expensis
Summa facit
[P. 68.] Domino Petro Zydler, qui in absentia villici exposuit certas76 res,
restituti sunt
Tubicinatori in suo stipendio circa festum sancti Laurencii martiris77
Certis hominibus de Hamerodt, pro saletro circa festum sancti Laurencii78
Mihaeli, servitori dominorum de Megyes ad Siculiam misso, ut saletrum
conductum adducere mitteret pro expensis
Georgio Kyrall(!) duabus vicibus, videlicet dominica ante Laurencii79 et feria
2a ante Stephani regis80 in suo salario
Domino Stephano Poor et domino Theobaldo ad Cibinium ad convocationem dominorum provincialium pergentibus in vigilia Assumptionis Marie81
pro expensis
Summa facit
[P. 69.] Ladislao servitori in sua custodia iuxta conventionem cum eodem
factam
Tubicinatori in suo stipendio dominica in festo sancti Bartholomei apostoli82
Iudici regio ad dominum waywodam misso in causa homini de Bodon
propter stuprum pro expensis in festo sancti Bartholomei83
Georgio Kyral dominica in festo sancti Bartholomei84 in suo salario
Fratri Vrbano suppriori85 pro ligatione unius libri Johannis Both procuratoris
Causa census ipsius Mihaelis, servitoris iudicis sedis ad rationem suam solverunt collectores pecuniarum Johanni Dacz
Summa facit
flor.
4
flor.
2
flor.
3
flor.
flor.
9
660
flor.
8
flor.
et asp.
25
et asp.
et asp.
24
38
asp.
25
asp.
25
asp.
asp.
25
8
et asp.
asp.
33
16
asp.
12,5
asp.
37,5
6
flor.
15
flor.
flor.
1
2
flor.
2
et asp.
25
flor.
flor.
6
1
et asp.
et asp.
41
10
asp.
25
flor.
1
asp.
asp.
12,5
25
asp.
20
et asp.
42,5
flor.
3
179
Die Schäßburger Rechnung von 1522
[P. 70.] Feria sexta ante festum Exaltationis sancte Crucis86 cum domino
Mihaele, iudice regio et Laurencio Sartore ex predicta taxa, ut presentarent
in Cibinio, miserunt collectores pecuniarum
Eisdem nuntiis ad expensas eodem die87 ad Cibinium
Notario eodem tempore in suo stipendio dederunt domini collectores pecuniarum
Johanni Konhart causa cyphii argentei domino waywode donati solverunt
collectores pecuniarum eodem tempore
Domino Stephano Poor iudici sedis ad Terram Barcza ad magnificum dominum waywodam cum Johanne Both procuratore in causa homini de Bodon
misso pro expensis
Summa facit
[P. 71.] Causa saletri sive salis nitri solvit dominus Caspar hominibus de
Hammerodt
Tubicinatori pro uno pellioco(?) emendo ad rationem sui stipendii dati sunt
Eidem tubicinatori duabus vicibus in suo salario
Ladislao servitori, qui porrexit cum iudice regio ad Cibinium, pro fatigiis et
resa
Mihaeli, servitori domini Stephani Poor in suo salario circa festum Exaltationis sancti Crucis88 dederunt domini collectores pecuniarum
Nicolao Rusner propter certa negotia ad Cibinium misso pro expensis
Summa facit
[P. 72.] Valentino, servitori domini magistri civium ad rationem sui salarii
Eidem Valentino cum certis litteris ad nobilem Petrum Mihalfy misso in
factis homini de Kyzdt pro expensis
Eidem Valentino causa stipendariorum ad Cibinium misso circa festum sancti Mihaelis archangeli89 pro expensis
Cuidam clienti ignoto certas litteras ad castrum Gergyn et ad nobilem Leonardum Barlabassy ducenti pro expensis
Notario Francisco pro multiplicibus suis fatigiis, que habuit Albe 8 vicibus
ex parte civitatis dederunt domini consules pannum pro una veste
Eidem in suo salario feria quarta proxima post festum Exaltationis sancte
Crucis90
Summa facit
[P. 73.] Eidem notario emerunt domini collectores 3 libros papyri pro necessitate civitatis
Mathie organiste in suo salario solverunt collectores pecuniarum eodem
tempore
Iudici regio in suis debitis, que remansit civitas illi habita ratione circa
festum Nativitatis Domini preteriti anni91 cum eo, solverunt collectores
pecuniarum
Habita ratione cum Petro Lwtsch pro wariis et diversis suis fatigiis civitati
factis solverunt collectores pecuniarum in festo sancti Mathei apostoli92
Eidem Petro Lutsch pro emendo uno equo dederunt collectores pecuniarum
mutuo ex pecunia civitatis
Georgio Kyral ratione sui stipendii dederunt collectores pecuniarum eodem
die93
Summa facit
flor.
500
flor.
4
asp.
25
flor.
16
flor.
1
et asp.
25
flor.
flor.
522
10
et asp.
et asp.
0
25
asp.
asp.
asp.
40
25
12,5
asp.
et asp.
asp.
asp.
20
22,5
25
4
asp.
20
asp.
5
et asp.
asp.
4
12
asp.
25
et asp.
37
flor.
1
flor.
13
flor.
3
flor.
2
flor.
6
flor.
5
flor.
2
flor.
1
flor.
1
flor.
9
180
Zsolt Simon
[P. 74.] Notario Francisci in suo stipendio dominica in festo sancti Mathei
apostoli94
Valantino Barbitonsori eo, quod sanavit Thomam Sartorem per Gothardum
lesum eodem die95
Domino Stephano Poor ad Cibinium misso pro querendis et conducendis
stipendariis pedestribus videlicet pixidariis pro expensis
Johanni Balistario causa sui stipendii feria sexta ante Mihaelis96
Tubicinatori in suo stipendio in festo sancti Mihaelis97
Staphano Talos98 muratori in laboribus civitatis in sortem sue solutionis
circa festum sancti Mihaelis99
Summa facit
[P. 75.] Villico domino Cristiano ratione globorum ferreorum, quos idem
mutuo dedit pro civitate, soluti sunt
Mihaeli, servitori dominorum de Megyes, qui propter saletrum conductum
et partim solutum mitebatur ad Siculiam, expensis
Domino iudici regio pro100 apparatione et dispositione sua, ut necessaria sua
emere posset, dum ad terram Transalpinam proficisci debuit, decreverunt
domini consules
Eidem ratione debiti, quod eidem remansimus circa festum Nativitatis
Domini101
Pro conducendo stipendariis pedestribus102 sive pixidariis misimus domino
iudici regio cum Valentino Keschner versus Terram Barcza ex presenti taxa
Summa facit
[P. 76.] Hospiti dominorum in Cibinium commoranti ratione hospitii dati
sunt in festo sancte Vrsule103
Circa festum sancte Vrsule104 misimus cum domino Petro Szydler ad Cibinium presentandos
Eidem domino Petro Zydler pro expensis dum eosdem deferebat 200 fl.
Mihaeli, servitori iudicis sedis in suo salario dominica proxima post Vrsule105
Blasio servitori pro duabus seris, quas domini dederunt Paulo litarato tylle106 mester eo, quod excepit litteras in causa homini de Kysdt
Domino Petro Zydler pro una veste, quam anno preterito dederat Georgio
Kyral
Summa facit
[P. 77.] Eidem domino Petro Sydler pro una veste Benedicti servitoris de
presenti anno
Domino Mihaeli Corrigiatori solvimus expensas, quas107 ipse cum domino
Petro Szydler fecerant in Eppesfalwa dum sub arresto ibidem detinebantur
Eidem domino Mihaeli causa census de domo sua in qua lapidei globi pro
bombardis secabantur de ebdomadis 10
Eidem pro sex rhedis wlgo zylen, duobus frenis novis, flagello, cingulo et
diversis aliis instrumentis, que fecit ad currum drabantorum dum proficiscebatur ad terram Transalpinam
Mihaeli, servitori iudicis sedis in suo stipendio feria sexta post Martini108
Summa facit
[P. 78.] Summa exitus huius tertie contributionis facit simul
flor.
2
flor.
1
flor.
1
flor.
3
flor.
3
flor.
flor.
11
5
flor.
10
flor.
2
flor.
186
flor.
203
flor.
200
flor.
1
flor.
1
flor.
flor.
204
1
flor.
flor.
3
999
et asp.
25
asp.
25
et asp.
0
asp.
10
et asp.
asp.
10
25
asp.
asp.
40
25
et asp.
25
et asp.
et asp.
15
25
asp.
16
asp.
16
asp.
40
asp.
et asp.
et asp.
12,5
9,5
14,5
181
Die Schäßburger Rechnung von 1522
[P. 79.] Exitus pecuniarum decimalium de singulis hospitibus asp. 20 levatis
Notario Francisco in suo salario dati sunt ex presenti taxa
flor.
3
Johanni Kyser, substituto villico pro certis rebus pro apparatione currus
flor.
3
civitatis ementibus dum proficiscebatur ad terram Transalpinam
Iudici regio dum discessit ad terram Transalpinam pro expensis et conduflor.
16
cendo uno stipendario dederunt domini collectores pecuniariarum(!)
Georgio Genesch pro duobus lardis ad currum iudicis regii dum ibatur ad
flor.
2
terram Transalpinam
Mihaeli, famulo iudicis sedis in suo salario feria 3a post Francisci109
Summa facit
flor.
24
[P. 80.] Domino Valentino Keschner tribus vicibus ad terram Barcza misso
flor.
1
pro expensis
Iudici regio, domino Mihaeli Hedyes, ut deferret et presentaret magnifico
flor.
200
domino waywode in terra Barcza
Pro vectura currus stipendariorum pedestrum dederunt collectores pecuniaflor.
4
rum domino Valentino Keschner
Eisdem stipendariis pro vasculis ad bombardas
Cuidam Briccio de Ewlesch,110 qui fuit cum domino iudice regio in Cibinio,
pro suis fatigiis
Telam grossam pro faciendo saccis pecuniarum solverunt collectores pecuniarum
Summa facit
flor.
205
flor.
6
[P. 81.] Notario in suo stipendio dominica proxima ante festum sancti Galli111
Telam rubeam et tropes(?) ad faciandam vexilla pro stipendariis pedestribus
flor.
1
Georgio Kyral in suo stipendio feria secunda ante Galli112
Pro quatuor equis ad currum stipendariorum solverunt collectores pecuniaflor.
13113
rum
Ratione laboris currus civitatis, dum iudex regius discessit ad terram Trans­
flor.
1
alpinam, solverunt collectores pecuniarum
flor.
113
Stipendariis equestribus et pedestribus dum discesserant ad terram Transalpinam pro suo stipendio114
Summa facit
flor. 134115
flor.
50
[P. 82.] Domino magistro civium, ut deferret ad Cibinium ibidem presentandi dominica proxima ante festum sancti Martini116
Eodem tempore domino magistro civium pro expensis ad Cibinium
flor.
6
Causa equi iudici regio dono dati Cibiniensis solverunt collectores prima
flor.
4
vice
Summa facit
flor.
60
flor.
425
Summa exitus117 totius contributionis presentis stipendii facit
[P. 83.] Exitus pecuniarum decimalium secunda vice levatarum
de quolibet hospite asp. 10
flor.
Feria quinta proxima ante festum Omnium sanctorum118 misimus cum
domino Valentino Keschner et Johanne Konhart ad Cibinium pro solvendo
stipendariis in terra Transalpina existentis
Eisdem nuntiis versus Cibinium pro expensis eodem tempore
et asp.
20
asp.
et asp.
12,5
32,5
asp.
asp.
5
12,5
asp.
3,5
et asp.
21
asp.
23,5
et asp.
28
et asp.
25
et asp.
26,5
et asp.
et asp.
0
30
asp.
40
200
182
Zsolt Simon
Cuidam famulo, qui cum domino Petro Zydler fuit in Cibinio circa festum
sancte Vrsule119 pro fatigiis
Mihaeli, filio Seruacii Sartoris cause unius bombarde solvimus illi
Petro Corrigiatori unam vecturam ad Cibinium magistrum civium et iudicem regium illic ductos
Summa facit
[P. 84.] Eidem Petro Corrigiatori pro una vectura ad Valle Agnetis magistrum civium et iudicem regium illic ducens pausavit certis diebus ibidem
Causa unius bombarde, quam idem Petrus Rymmer dedit ad terram Transalpinam
Notario papyrum pro usu civitatis et necessitate papirii libra 3
Eidem domino Petro Corrigiatori ad expeditionem currus pro certis rhedis
et corrigiis et aliis attinentiis
Paulo litterato certarum litterarum gratia,120 quas excepit in causa homini de
Zazkyzdt, rhedas rubeas sex, frena sex cum cingulis et aliis attinentiis dedimus medio Petri Corrigiatoris in valore
Summa facit
[P. 85.] Mathie organiste ratione sui stipendii feria secunda proxima ante
festum Emerici ducis121
Mathie, servitori iudicis sedis Stephani Poor in suo stipendio
Georgio Kyral feria 5ta in festo sancti Leonardi confessoris122
Francisco notario eodem die123 in suo stipendio feria sexta post Leonardi124
Johanni Armbroster in suo stipendio eodem die125
Eodem die eidem Johanni Balistario in suo stipendio126
Mihaeli, servitori domini iudicis sedis pro adductione certis litteris ad Johannem Both pro expensis
Summa facit
[P. 86.] Eidem Mihaeli eodem die127 in suo salario dedit dominus Caspar
Bernardo, moderno baleatori,128 qui de Megys(!) venit ad civitatem nostram,
dederunt domini cives mutuo
Ladislao servitori pro expensis ad Brassouiam misso ex parte homini de
Bodon causa stupri
Johanni Both et domino Petro Zydler pro certis causis expediendis ad dominum waywodam ad Brassouiam missis pro expensis
Ratione tegumenis novi currus pannum rubeum vlnas 25 solverunt
In festo sancte Katherine129 dominis magistro civium et iudicibus ad Cibinium pergentibus pro expensis, solutione hospitis et emptione certorum
munerum
Summa facit
[P. 87.] Georgio Kyrall(!) ratione sui stipendii eodem130
Mihaeli Kolf ad Bochnyam(!)131 in certis factis, precipue causa ovium ad
relictam Nicolai de Bethlen misso, pro expensis
Stipendariis pedestribus, dum reversi fuissent ex Transalpina pro suo stipendio132 soluti sunt
Equestribus stipendariis dum revertebantur ex terra Transalpina in suo
stipendio133
Johanni Armbrester in suo stipendio in vigilia sancti Nicolai134
flor.
2
flor.
flor.
203
1
asp.
10
asp.
10
et asp.
10
asp.
25
asp.
asp.
12
13
flor.
4
et asp.
8
flor.
flor.
6
1
et asp.
et asp.
8
16,5
asp.
asp.
et asp.
12,5
25
25
asp.
asp.
39
10
et asp.
asp.
28
12,5
asp.
30
et asp.
42,5
asp.
13
flor.
flor.
1
3
flor.
7
flor.
5
flor.
2
flor.
flor.
5
23
flor.
flor.
35
1
flor.
26
flor.
77
et asp.
2,5
flor.
2
et asp.
25
183
Die Schäßburger Rechnung von 1522
Summa facit
[P. 88.] Valentino Hon in suo stipendio eo, quod fuit in terra Transalpina
Tubicinatori in suo salario tribus vicibus circa festum sancti Nicolai135
Mihaeli, servitori domini iudicis sedis in suo stipendio duabus vicibus
Ratione unius bombarde, quam redemimus civitati a drabantis sive stipendariis pedestribus
Ladislao servitori ad Brassouiam in factis homini de Bodon misso pro suis
fatigiis et resa
Iterum eidem Ladislao dum mitebantur ad sedem Schenk at(!) prope
Kwkwle pro citando Mihaele Horwath et Georgio Swllok pro fatigiis et
expensis
Summa facit
[P. 89.] Notario Francisco in suo stipendio in vigilia sancti Nicolai136
Eodem die137 Johanni Balistario138 in suo stipendio
Cuidam stipendario de Kereztur, quod solutioni ceterorum stipendariorum
non interfuit
Ratione unius domus et lignorum prope portam solvit dominus Caspar
Valentino Keschner pro diversis resis et fatigiis, que duobus annis fecit
causa civitatis, presertim dum in expeditione versus terram Transalpinam
tribus vicibus porrexit ad terram Barcza, dederunt domini consules in subsidium unius vestis pannum
Summa facit
[P. 90.] Tubicinatori circa festa Natalia139 in suo stipendio
Johannis Armbrester in suo salario in vigilia Nativitatis Domini140
Gerogio Kyral eodem die141 in suo salario circa festa Natalia142
Petro Lutsch ratione certorum servitiorum, que idem fecit civitati diversis
temporibus pro homine verberato in Regenn
Mihaeli Molitori ad rationem villici pro laboribus in molendino factis solvit
dominus Caspar
Quatuor libros papyri pro conficiendis et faciendis registris presentibus et143
certis aliis litteris scribendis pro necessitate civitatis
Summa facit
[P. 91.] Item ratione saletri solvit iterum dominus Caspar certis Siculis
Summa facit
Summa presentis stipendii videlicet extradate facit
Summa summarum totius extradate facit
flor.
106
flor.
1
flor.
1
et asp.
asp.
40,5
25
asp.
25
asp.
25
flor.
1
et asp.
25
flor.
flor.
flor.
flor.
5
1
3
1
et asp.
0
et asp.
25
flor.
flor.
0,5
2
flor.
8
flor.
1
et asp.
asp.
et asp.
asp.
0
37,5
13
25
flor.
1
flor.
1
asp.
16
et asp.
41,5
et asp.
et asp.
20,5
9
flor.
flor.
flor.
flor.
flor.
4
1
1
378
4435
[P. 92.] Nos, Mihael Khremer, magister civium, Mihael Hedyesch, Stephanus Poor, iudices ceterique iurati
cives unacum centum electis viris in persona totius communitatis nostre Segeswariensis fatemur presentibus
prudentos et circumspectos Casparem Sartorem, Lucam Doleatorem et Martinum Kyres, collectores pecuniarum de pecuniis undecunque collectis et perceptis, iuxta contenta registri, secundum laudabilem huius civitatis
consuetudinem dignam et honestam, dedisse atque pasuisse rationem, quare prefatos dominos collectores pecuniarum suomodo reddimus quitos, liberos et absolutos cum maxima gratiarum actione et in signum huius
hac presens registrum committere duximus et committimus omnibus modis pronunciare.
Delati sunt ad Cibinium de anno 1522144
Magistris civium presentati flor. 3650.
Habita ratione cum domino Mihaele Hedyesch, iudici145 regio remansit civitas illi flor. 2 asperi146 8.
Ratione stipendii, quod meruit in terra Transalpina conclusione dominorum civium et ceterorum electorum
virorum, iterum tenetur civitas et sedes eidem domino Mihaeli flor. 20.
184
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
31
32
33
34
35
36
37
38
39
40
41
Zsolt Simon
Korrekt: Martini.
Mit größeren Zierbuchstaben geschrieben.
Mit größeren Fettbuchstaben geschrieben.
31. März.
6. April.
Die Summe wurde nicht eingetragen.
Richtig: qui.
Danach folgt keine Summe.
25. Mai.
Die Summe wurde nicht eingetragen.
Unsichere Lesung.
24. Juni.
Danach f durchgestrichen (vermutlich der Anfangsbuchstabe des aus Versehen begonnenen Wortes facit).
Unsichere Lesung.
Danach nochmals: presentavit.
14. September.
In der nächsten Reihe erneut e (der erste Buchstabe
des aus Versehen nochmals begonnenen Wortes et).
29. September.
Korrekt: quamlibet.
Danach f (gewiss aus Versehen der erste Buchstabe
der Abkürzung flor.).
Unsichere Lesung.
1. November.
Unsichere Lesung, möglicherweise aus einem ursprünglichen 0 oder einer 4 verbessert, aber aufgrund
der Endsumme sind 8 Gulden die richtige Summe.
Daneben auf der linken Seite: reliqua pars relaxata est
propter exustionem.
Danach erneut: presentavit.
Leer.
Der letzte Buchstabe aus einem unleserlichen Buchstaben verbessert.
Mit größeren Fettbuchstaben geschrieben.
27. Februar.
26. März.
Mit römischen Zahlen geschrieben.
Der vorletzte Buchstabe aus einem unleserlichen
Buchstaben verbessert.
1. November 1521.
9. März.
Die Zeile wurde mit hellerer Tinte und an die vorherige Zeile angefügt geschrieben, ist also eine spätere
Hinzufügung.
9. März.
27. März.
30. März.
30. März.
6. April.
25. April.
42
43
44
45
46
47
48
49
50
51
52
53
54
55
56
57
58
59
60
61
62
63
64
65
66
67
68
69
70
71
72
73
74
75
76
77
25. April.
27. April.
27. April.
1. Mai.
1. Mai.
1. Mai.
26. März.
5. Mai.
5. Mai.
Verbessert aus 2.
13. Mai.
14. Mai.
21. Mai.
23. Mai.
Mit größeren Fettbuchstaben geschrieben.
27. Mai.
28. Mai.
1. Juni.
3. Juni.
3. Juni.
4. Juni.
4. Juni.
Velox pulver: Durch die Vermengung von Salpeter,
Kohle und Schwefel in einem Verhältnis von 4:1:1
hergestelltes Schießpulver, vgl. Trude E h l e r t , Rainer L e n g : Frühe Koch- und Pulverrezepte aus der
Nürnberger Handschrift GNM 3227a (um 1389). In:
Medizin in Geschichte, Philologie und Ethnologie.
Festschrift für Gundolf Keil. Hg. Dominik G r o ß,
Monika R e i n i n g e r . Würzburg 2003, S. 308.
17. Juni.
17. Juni.
18. Juni.
24. Juni.
24. Juni.
11. Juli.
Markus Pemphlinger. Vgl. Károly F a b r i t i u s : Pemfflinger Márk szász gróf élete, különös tekintettel a reformatio elterjedésére az erdélyi szászok között [Das
Leben des Sachsengrafen Mark Pemfflinger, mit besonderer Berücksichtigung der Verbreitung der Reformation unter den Siebenbürger Sachsen]. Budapest
1875 (= Értekezések a történeti tudományok köréből
IV. 6), S. 13f.
Mit größeren und verzierteren Buchstaben geschrieben.
9. Juli.
13. Juli.
13. Juli.
Unsichere Lesung – aus einem unleserlichen Wort
verbesserte Form.
10. August.
Die Schäßburger Rechnung von 1522
78 10. August.
79 3. August.
80 18. August.
81 14. August.
82 24. August.
83 24. August.
84 24. August.
85 Unsichere Lesung.
86 12. September.
87 12. September.
88 14. September.
89 29. September.
90 14. September.
91 25. Dezember 1521.
92 21. September.
93 21. September.
94 21. September.
95 21. September.
96 27. September.
97 29. September.
98 Unsichere Lesung.
99 29. September.
100 Darüber gestrichenes Abkürzungszeichen.
101 25. Dezember.
102 Der zweite und teilweise der dritte Buchstabe über
zwei unleserliche Buchstaben geschrieben.
103 21. Oktober.
104 21. Oktober.
105 26. Oktober.
106 Unsichere Lesung.
107 Endung aus einem unleserlichen Buchstaben verbessert.
108 14. November.
109 7. Oktober.
110 Großalisch.
111 12. Oktober.
112 14. Oktober.
113 Die zweite Zahl möglicherweise aus 1 verbessert.
185
114 Korrekt: suis stipendiis.
115 Die letzte Zahl verbessert und teilweise verwischt,
deshalb ist ihre Lesung unsicher.
116 9. November.
117 Über die Reihe geschrieben, über das durchgestrichene introitus.
118 30. Oktober.
119 21. Oktober.
120 Über die Reihe eingefügt.
121 3. November.
122 6. November.
123 6. November.
124 7. November.
125 6. oder 7. November.
126 6. oder 7. November.
127 6. oder 7. November.
128 Bestimmt Verschreibung anstatt balneatori.
129 25. November.
130 Danach wurde das Wort die nicht mehr geschrieben.
25. November.
131 Bachnen.
132 Korrekt: suis stipendiis.
133 Korrekt: suis stipendiis.
134 5. Dezember.
135 6. Dezember.
136 5. Dezember.
137 5. Dezember.
138 Vorher gestrichen: bast.
139 25. Dezember.
140 24. Dezember.
141 24. Dezember.
142 25. Dezember.
143 Zweimal geschrieben.
144 Die folgenden Aufzeichnungen auf der Innenseite des hinteren Deckblattes, mit zeitgenössischer
Schrift.
145 Korrekt: iudice.
146 Unsichere Lesung.
186
Zeitschrift für Siebenbürgische Landeskunde 34 (2011), Heft 2
Die Deutsche Volksgruppe in Rumänien
und die Ereignisse vom 23. August 1944
im Spiegel eines unveröffentlichten Manuskripts1
Von Ottmar T r a ş c ă
Die politischen und militärischen Ereignisse des Sommers 1944 haben auch die interne
Entwicklung und die internationale Lage Rumäniens bestimmt. Die erfolgreiche Landung
der Alliierten in der Normandie, die Offensiven der Roten Armee an der Ostfront (die Operationen „Bagration“ und „Lwow-Sandomierz“ von Juni/Juli 1944) und schließlich, Anfang
August 1944, das Aufkünden der diplomatischen Beziehungen der Türkei zum Dritten
Reich, trugen dazu bei, dass die öffentliche Meinung beziehungsweise die rumänischen politischen und militärischen Kreise immer skeptischer wurden hinsichtlich der Fortsetzung
einer Allianz mit dem nationalsozialistischen Deutschland. Die besorgniserregende interne
politische Lage in Rumänien, das heißt die Verschärfung der Unzufriedenheit mit der Politik
Antonescus, die chronische Kriegsmüdigkeit der rumänischen Gesellschaft sowie die von der
demokratischen Opposition initiierten Schritte, um Rumänien aus dem Kriegsgeschehen herauszuholen, blieben von der Führung des Dritten Reiches nicht unbemerkt. Obwohl die Zahl
der in Berlin eingegangenen Warnungen, Rumänien könne aus der Allianz mit Deutschland
austreten, 1944 exponentiell anstieg, enthielten die Berichte der in Rumänien anwesenden
deutschen Dienste (Deutsche Gesandtschaft, die deutsche Wehrmachtmission, die Abwehr
und SD) sowie jene der Deutschen Volksgruppe in Rumänien meist widersprüchliche Angaben und boten kein kohärentes Bild der bestehenden Lage in Rumänien. Trotz dieser
Unzulänglichkeit können in von den deutschen Diensten in Rumänien verfassten Berichten
zwei übereinstimmende Fakten politisch-militärischer Natur ausgemacht werden, die die
Entwicklung der rumänisch-deutschen Beziehungen im Sommer 1944 und insbesondere im
August 1944 maßgeblich bestimmt haben.
Im Verlauf des Jahres 1944 hat Berlin auf verschiedenen Kommunikationskanälen wahrheitsgetreue Informationen über die Pläne der demokratischen Opposition, des Königshauses und von Mitgliedern des Generalstabs (Marele Stat Major) erhalten, das Antones­
cu-Regime zu beseitigen und einen Waffenstillstand mit den Alliierten zu schließen. Die
Warnungen blieben jedoch ohne konkrete Folgen, da die Führung des Dritten Reichs sie
konstant ignoriert und die Fähigkeiten der demokratischen Opposition, einen Sturz Marschall Ion Antonescu herbeizuführen, arg unterschätzt hat. Dieses Verhalten ist mit dem
unbegrenzten Vertrauen Berlins und insbesondere jenem Adolf Hitlers in die Person des
rumänischen Staatsführers zu erklären. In der Reichsführung herrschte die Meinung vor,
für Deutschland gebe es keinen Grund zur Besorgnis, solange Marschall Antonescu an der
Leitung des Staates bleibe. Die deutschen Dienste gaben, von militärischem Gesichtspunkt
1 Diese im Rahmen des Samuel-von-Brukenthal-Stipendiums erarbeitete Studie wurde finanziert durch das Projekt „Die sozial-humanistischen Wissenschaften im Kontext der globalisierten Entwicklung – Entwicklung und
Durchführung“ des Programms für postdoktorale Studien und Forschungen., Vertrag: POSDRU 89/1.5/S/61104,
und durch den Europäischen Sozialfonds (Sektorielles Operationelles Programm zur Entwicklung der Humanressourcen 2007-2013).
Die Ereignisse vom 23. August 1944
187
aus betrachtet, die Wichtigkeit des militärischen Faktors für die Stabilität des AntonescuRegimes und das Bestehen der Allianz mit Deutschland korrekt an. So zum Beispiel war
die Deutsche Gesandschaft im Februar 1944 der Ansicht, dass von der rumänischen Armee
Widerstand zu erwarten sei, solange die militärischen Operationen auf dem Gebiet Bessarabiens ausgetragen werden. Hingegen werde
das Einrücken russischer Truppen in das Altreich […], falls keine deutsche Hilfe zur Verfügung steht, wahrscheinlich den militärischen und politischen Zusammenbruch Rumäniens
bedeuten, auch wenn man noch im letzten Augenblick versucht haben sollte, mit England
und Amerika Frieden zu schließen.2
Eine Einschätzung der Lage und der Haltung Rumäniens aus demselben Monat von Seiten
des „Marine-Verbindungsstabs Rumänien“ ging ebenfalls davon aus, dass Marschall Ion
Antonescu die Macht fest in den Händen habe und es keinen Grund gebe, an seiner Loyalität gegenüber Deutschland zu zweifeln. Die Verfasser des Berichtes kamen zum Schluss:
Wenn keine schweren Rückschläge an der Ostfront kommen und die Türkei neutral bleibt,
besteht keine Gefahr, daß Rumänien abspringt. Sollten aber diese Voraussetzungen sich
nicht erfüllen, müßte mit einem Ausscheiden Rumäniens gerechnet werden, sofern nicht
die Zusammensetzung der augenblicklichen Regierung rechtzeitig eine andere wird.3
Selbst das Vorrücken der Roten Armee auf das Gebiet Rumäniens während der militärischen
Offensive im März 1944 scheint die Position des rumänischen Staatsführers und die Haltung
der öffentlichen Meinung in der Einschätzung der deutschen militärischen Führung nicht
verändert zu haben. Der Leiter der deutschen Wehrmachtmission in Rumänien, Kavalleriegeneral Erik Hansen, teilt dem OKW am 2. April 1944 mit, der Kampfwille des Marschalls
sei „ungebrochen“. Der OKW-Vertreter, Oberst im Generalstab Fritz Poleck, der eine Dienstreise durch Rumänien unternahm, berichtete zwei Tage später an die ihm übergeordneten
Gremien seine Eindrücke, denen zufolge
Rumänien nicht zusammenbreche, sondern sich weiterhin mit erhöhten Anstrengungen
am Kampf beteiligen werde.4
Ähnliche Informationen gingen in Berlin einschließlich von der Abwehr ein und nach deren
Übernahme durch das Reichssicherheitshauptamt im Februar 1944, vom Militärischen Amt.
Ein Bericht des Militärischen Amtes vom 5. August 1944 zum Beispiel gibt an:
Nach wie vor liegen die machtpolitischen Verhältnisse ausschließlich in der Hand des
Marschalls und der rumänischen Wehrmacht. Die Oppositionen haben keine Bewegung
hinter sich, die wirklich gewillt ist, zu kämpfen und die Möglichkeit besäße, dem Marschall
die Macht zu entwinden.5
2
3
4
5
Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes (fortan: PAAAB) Berlin, R 29711, Büro des Staatssekretärs – Rumänien,
Bd. 15, 1. November 1943 - 30. April 1944, E. 187204f. Telegramm Nr. 520 der deutschen Gesandtschaft in Bukarest
vom 15. Februar 1944, gezeichnet Killinger.
Bundesarchiv-Militärarchiv Freiburg im Breisgau (fortan: BMF), RM 35 III/173, Gkdos 241 A. Bericht des MarineVerbindungsstabes Rumänien vom 5. Februar 1944 über Lage und Stimmung in Rumänien.
Kriegstagebuch des Oberkommandos der Wehrmacht. Wehrmachtführungsstab. 1. Januar 1944 - 22. Mai 1945. Bd. 4,
Erster Halbbd. zusammengestellt und erläutert von Percy E. S c h r a m m . Augsburg 2007, S. 775.
Arhivele Naţionale Istorice Centrale [Historisches Zentralarchiv Bukarest], Sammlung Mikrofilme USA – Deutsche
mikroverfilmte Dokumente in Alexandria/Virginia – Rolle 59, Fol. 5631433f.; Oberkommando der Wehrmacht,
Wehrmachtführungsstab, Amtsgruppe Ausland, OKW/988. Februar. Bericht des Militärischen Amtes des Reichssicherheitshauptamtes vom 5. August 1944 über die innenpolitische Lage in Rumänien.
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Ottmar Traşcă
Während die Berichte der Vertreter von verschiedenen deutschen Stellen (OKW, Auswärtiges Amt, Militärisches Amt) die Lage in Rumänien in optimistischem Licht darzustellen
versuchten, indem sie die politische Stabilität des Antonescu-Regimes überbewerteten und
die Rolle der demokratischen Opposition unterschätzten, malte die von Andreas Schmidt
geführte Deutsche Volksgruppe in Rumänien die Lage des Landes in düsteren Farben. Selbst
wenn die Position von Andreas Schmidt an der Führung der Deutschen Volksgruppe zu
Beginn des Jahres 1944 wegen seines totalitären Führungsstils ernsthaft angeschlagen war6,
vermittelten seine Berichte nach Berlin ein realitätsnäheres Bild der Lage. Da die Deutsche
Volksgruppe in Rumänien über ein Informationsnetz verfügte, das vor allem aus volksdeutschen SD-Offizieren bestand, ein Netz, das sozusagen das gesamte Territorium des Landes
abdeckte und äußerst wirksam agierte, lieferte die Volksgruppenleitung der Führung des
Dritten Reiches im Verlauf des Jahres 1944 äußerst kritische Berichte über die Politik des
Antonescu-Regimes. Trotz der Präsenz der ideologischen und rassischen Klischees – wie
zum Beispiel des angeblichen Einflusses, den die Juden auf die Entwicklung des politischen
Lebens in Rumänien haben – beweisen diese Berichte eine gute Kenntnis der in Rumänien
herrschenden Stimmungslage sowie der hinter den Kulissen von den wichtigsten politischen und militärischen Vertretern der Regierung und der Opposition durchgeführten
Schritte, insbesondere was die Waffenstillstandsverhandlungen mit den Alliierten und der
UdSSR betrifft.
Nach Meinung von Andreas Schmidt gab es in der Politik der rumänischen Regierung
zwei entgegengesetzte Tendenzen, deren Exponenten Marschall Ion Antonescu beziehungsweise Mihai Antonescu, der stellvertretende Vorsitzende des Ministerrates, waren. Während
der rumänische Staatsführer als Verfechter der Zusammenarbeit mit Deutschland und der
Fortsetzung des Krieges betrachtet wurde, galt Mihai Antonescu als der wichtigste Vertreter
der Kreise, die sich bemühten, die politische Linie des Marschalls zu „sabotieren“ mit dem
Ziel, die Allianz mit dem Dritten Reich aufzukündigen und aus dem Krieg auszutreten.
Hinsichtlich der Position von Marschall Antonescu im politischen Leben Rumäniens und
der Möglichkeiten Deutschlands, den rumänischen Staat weiterhin im deutschen Einflussbereich zu behalten, sprach sich Andreas Schmidt gegen die militärische Besetzung Rumäniens aus, dies aus mindestens zwei Gründen: die Schwächung der rumänischen Armee
und die Gefahr, dass hinter der deutschen Front Partisanenbewegungen auftauchen. Angesichts dieser Argumente schlägt er eine geschickte politisch-diplomatische Lösung vor, und
zwar die Umbildung des von Marschall Antonescu geleiteten Kabinetts durch Ersetzen der
deutschlandfeindlichen Minister mit Persönlichkeiten national-konservativer Orientierung
oder mit deutschlandfreundlichen Militärs, eventuell auch durch das Heranziehen deutscher
Experten. Neben der Entfernung oppositioneller Elemente aus der Regierung und der Garantie, Rumänien in der deutschen Einflusssphäre zu behalten, würde diese Lösung seiner
Meinung nach den Vorteil einer besseren Mobilisierung und Ausbeutung des wirtschaftlichen und militärischen Potentials des Landes zum Nutzen der deutschen Kriegsmaschinerie
6
PAAAB, R 29711, Büro des Staatssekretärs, Rumänien, Bd. 15, 1. November 1943 - 30. April 1944, E 187415–187420.
Bericht Nr. 13/44, geheim, des deutschen Konsulats Kronstadt vom 3. April 1944 betreffend Volksgruppenführer
Andreas Schmidt, gezeichnet Rodde.
Die Ereignisse vom 23. August 1944
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bieten7. Andreas Schmidt war der Ansicht, dass der Fortgang der Kämpfe an der Ostfront
die Einstellung Rumäniens zur Allianz mit Deutschland und zur Fortsetzung des Krieges
bestimmen werde8. Im Unterschied zu ihm setzten die deutschen Dienste auf eine bedingungslose Loyalität Antonescus und auf seine Fähigkeit, die Geschicke Rumäniens weiter
zu bestimmen.
Andreas Schmidt sprach sich für eine reichsdeutsche Einmischung in die rumänische Innenpolitik aus, da das Land eigentlich von Mihai Antonescu geleitet werde, da der Staatsführer fast ausschließlich mit Inspektionen an der Front und mit militärischen Angelegenheiten
beschäftigt sei. Diesbezüglich ist Schmidts Schlussfolgerung im monatlich verfassten und
den übergeordneten Stellen in Berlin zugestellten Bericht für Juni 1944 mehr als aufschlussreich und verdient es, zitiert zu werden:
Marschall Antonescu wird eines Tages durch uns genau wie Mussolini die Wahrheit erfahren müssen, wenn wir Rumänien behalten wollen, oder wir verzichten auf Rumänien als
Staat in der Zusammenarbeit. Rumänien kann ohne deutsche Korsettstangen im Inneren
des Landes genau so wenig die Schwierigkeiten überwinden, wie sich das an der Front
erwiesen hat.9
Dieselbe Meinung über die Möglichkeit, Rumänien als Verbündeten des Reiches zu behalten,
wiederholt Schmidt in seinem Monatsbericht vom Juli 1944, ergänzt jedoch:
Diese Frage hat natürlich nur dann einen Sinn aufgeworfen zu werden, wenn die Regierung des Marschalls nicht mit England und Amerika konspiriert. Wenn dies der Fall ist,
so gibt es hier nur eine Möglichkeit, daß eine Militärregierung aus ehrlichen rumänischen
Offizieren in Gemeinsamkeit mit den radikalen Flügeln der Legionäre, die sich im Reich
befinden, gebildet wird.10
Andreas Schmidt beschränkte sich nicht auf das Einreichen der Berichte. Von der Entwicklung in Rumänien alarmiert, begab er sich am 10. August 1944 in Hitlers Hauptquartier, um
ihm persönlich die Lage darzustellen. In einer Audienz bei Reichsaußenminister Joachim
von Ribbentrop machte Schmidt auf den Ernst der politischen Lage in Rumänien aufmerksam und forderte entsprechende Maßnahmen. Nach dem Gespräch schickte Ribbentrop der
Deutschen Gesandtschaft in Bukarest ein Telegramm, in dem er das Überprüfen der Informationen betreffend einer imminenten Abtrünnigkeit Rumäniens forderte. In seiner – wahrscheinlich vom 15. August 1944 stammenden – Antwort bezeichnete der Gesandte Manfred
von Killinger diese Aussagen als „schmutzige Gerüchte“ und behauptete, es bestehe kein
Grund, an der Loyalität Rumäniens zu zweifeln11.
7
8
9
10
11
Bundesarchiv Berlin (fortan: BB), NS 19 – Persönlicher Stab des Reichsführers SS – 2146, Fol. 1f. Bericht des Volksgruppenführers Andreas Schmidt vom 2. Juni 1944 über die Lage in Rumänien; PAAAB, R 101118, Inland II, geheim,
Bd. 427, Berichte und Meldungen zur Lage in und über Rumänien 1944-1945, E. 393421-393425. Inland II 1418 g,
Auszug aus dem Monatsbericht für Juni 1944 der Deutschen Volksgruppe in Rumänien (fortan: DVR).
PAAAB, R 101118, Inland II, geheim, Bd. 427, Berichte und Meldungen zur Lage in und über Rumänien 1944-1945,
E. 393363. Inland II 1634 g. Aufzeichnung über die politische Atmosphäre in Rumänien.
PAAAB, R 101118, Inland II, geheim, Bd. 427, Berichte und Meldungen zur Lage in und über Rumänien 1944-1945,
E. 393421-393425. Inland II 1418 g, Auszug aus dem Monatsbericht für Juni 1944 der DVR.
PAAAB, R 100377, Inland II C (Volkstumsfragen, Volksgruppen, VoMi), Deutschtum in Rumänien, Bd. 55, 1944.
Auszug aus dem Monatsbericht Juli 1944 des Volksgruppenführers.
Andreas H i l l g r u b e r : Hitler, Regele Carol şi Mareşalul Antonescu. Relaţiile germano-române (1938-1944) [Hitler,
König Carol und Marschall Antonescu. Die deutsch-rumänischen Beziehungen (1938-1944)]. Bukarest 1994, S. 396,
Endnote 20.
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Ottmar Traşcă
Aus dem Dargelegten geht hervor, dass Berlin im Großen und Ganzen informiert war
über die Entwicklung der politischen Lage in Rumänien und über die Initiativen, die das
Ausscheiden aus der Allianz mit Deutschland und aus dem Krieg zum Ziel hatten. In den
meisten Fällen jedoch waren die erhaltenen Daten widersprüchlich, ohne ein einheitliches
und überzeugendes Bild der wahren Absichten zu bieten, die die führenden Kreise hegten. Selbst in den Fällen, in denen die deutschen Dienste sowie die Volksgruppenführung
wahrheitsgetreue Informationen über eine mögliche Defektion Rumäniens lieferten, hat
die Führung des Reiches diese ignoriert und blieb auf unerklärliche Weise weiterhin der
Überzeugung, es bestehe kein Grund zur Besorgnis, solange sich Marschall Ion Antonescu an der Macht befinde. Diese Überzeugung hat sich zerschlagen mit der am 20. August
1944 gestarteten großen sowjetischen Offensive der 1. und 2. Ukrainischen Front unter dem
Kommando der Armeegeneräle Rodion I. Malinowski und Fjodor I. Tolbuchin (Operation
Jassy-Kischinew). Die Offensive hat bereits an den ersten beiden Tagen zu Durcheinander
in den von den rumänischen Divisionen verteidigten Frontabschnitten geführt12 und zum
Vertiefen der bestehenden Vertrauenskrise in den rumänisch-deutschen Befehlsstäben. Diese
Ereignisse haben die Gerüchte über die Abtrünnigkeit Rumäniens intensiviert, und es gibt
Quellen, die besagen, dass Berlin über den Ernst der Lage sofort informiert wurde. Am
21. August 1944 teilte Eugen Cristescu, der Leiter des rumänischen Geheimdienstes (SSI –
Serviciul Special de Informaţii) sowohl der deutschen Gesandtschaft in Bukarest als auch
der Abwehrstelle Rumänien mit, dass König Mihai I. Iuliu Maniu in Audienz empfangen
habe, „man müsse in den nächsten Tagen mit schwerwiegenden Ereignissen rechnen“. Der
Leiter der Abwehrstelle Rumänien, Oberst Fritz Baur, hat die Information sofort den übergeordneten Behörden in Berlin zugestellt, ohne jedoch eine Antwort zu erhalten13. Mehr
noch, am darauffolgenden 22. August 1944 hat Rudolf Brandsch den Hauptabteilungsleiter
in der Deutschen Volksgruppe in Rumänien und Leiter der Pressestelle Bukarest, Otto Liess,
darüber informiert, dass eine „Clique“ mit General Nicolae Rădescu an der Spitze sich vorbereite, einen Staatsstreich durchzuführen mit dem Ziel, Marschall Antonescu abzusetzen14.
Die vorhandenen historischen Quellen widerlegen die in der Historiographie vertretene Meinung, Berlin sei über die politisch-diplomatischen Vorbereitungen des Staatsstreiches vom
23. August 1944 nicht informiert worden. Vielmehr hat die Führung des Dritten Reiches sogar
die am Vorabend des Staatsstreiches erhaltenen Warnungen ignoriert, was dazu führte, dass
Berlin nicht imstande war, dem Ernst der politischen und militärischen Lage entsprechend
zu reagieren.
Der Staatsstreich vom 23. August 1944 hatte für das Dritte Reich verheerende wirtschaftliche, politische und militärische Folgen. Von politischem Gesichtspunkt aus betrachtet bedeutete der Akt für Berlin den Verlust eines Alliierten und Zulegen eines neuen Feindes, wobei
12
BMF, RH 19 V-Heeresgruppe Süd/36, Fol. 3-14. Kriegstagebuch der Heeresgruppe Südukraine, Eintragung vom
20. August 1944; Die geheimen Tagesberichte der deutschen Wehrmachtführung im Zweiten Weltkrieg 1939-1945,
Bd. 10: 1. März 1944 – 31. August 1944. Hg. Kurt M e h n e r . Osnabrück 1985, S. 458, 461. Tagesmeldungen vom 20.
und 21. August 1944; H i l l g r u b e r (wie Anm. 11), S. 253.
13 Erich R o d l e r : Von Conrad zu Keitel. Erinnerungen eines österreichischen Nachrichtenoffiziers. Handschrift.
Österreichisches Staatsarchiv, Kriegsarchiv, Nachlass Erich Rodler, B 653: 4.
14 Vgl. dazu von Otto L i e s s : Einzelangaben zum rumänischen Frontwechsel am 23. August 1944, im Anhang.
Die Ereignisse vom 23. August 1944
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das Herauslösen Rumäniens aus dem Bündnis mit Nazi-Deutschland auch die Haltung der
anderen Satelliten beeinflusste, vor allem Bulgarien, Ungarn, Finnland und die Slowakei.
Wirtschaftlich führte der Verlust des Erdölgebietes bei Ploieşti zum dramatischen Sinken
der zur Verfügung stehenden Treibstoffmengen für die deutsche Kriegsmaschinerie, was
zur Folge hatte, dass die militärischen Operationen der Wehrmacht in den letzten Monaten
des Zweiten Weltkrieges stark beeinträchtigt waren. Schließlich erlitt die Heeresgruppe
„Südukraine“ infolge der sowjetischen Offensive und der Abtrünnigkeit des rumänischen
Allierten ein „zweites Stalingrad“ durch den Verlust von 5 Armeekorps-Befehlsstäben und
18 Divisionen15.
Genauso unheilvoll waren die Konsequenzen des Frontwechsels vom 23. August 1944 für
das Schicksal der deutschen Minderheit in Rumänien. Der Verlust der strategischen Position
in den Karpaten und das rapide Eindringen der Roten Armee in Siebenbürgen führte zur
Flucht eines Teils der deutschen Bevölkerung, während die in Rumänien Verbliebenen in
der folgenden Zeit den Schikanen der rumänischen Behörden und der sowjetischen Besatzungsarmee ausgesetzt waren. Die von Nazi-Deutschland eingeleiteten militärischen und
politischen Gegenmaßnahmen zwecks Wiederherstellung der Lage in Siebenbürgen und
damit zum Schutz der deutschen Minderheit vor der Roten Armee konnten nur zum Misserfolg führen, weil sie zu spät begonnen wurden und die eingesetzten militärischen Kräfte
unzulänglich waren.
Das im Anhang edierte, bisher unveröffentlichte Manuskript von Otto Rudolf Liess (19141994), eines Mitglieds in der Leitung der Deutschen Volksgruppe in Rumänien in den Jahren
1940-1944, informiert über diese Ereignisse und Entwicklungen aus der Sicht eines kundigen
Zeitzeugen. In Wien geboren, hat Liess an den Universitäten Königsberg, Leipzig, Tübingen und Berlin Philosophie und Theologie studiert. Er promovierte 1939 in Berlin mit einer
Dissertation über „Stephan Ludwig Roth, ein Publizist des Südostens“. In der Zeitspanne
Dezember 1940 – August 1944 gehörte er als Leiter der Hauptabteilung Presse im Amt für
Presse, Propaganda und Kultur der Volksgruppenführung an. Nach dem 23. August 1944 hat
er sich in Wien niedergelassen, wo er bis zu seinem Lebensende als Schriftsteller und freier
Journalist tätig war16. Sein 1958 verfasster Bericht, der in seinem Nachlass im Österreichischen Staatsarchiv Wien, Abteilung Allgemeine Verwaltungsarchive, aufbewahrt wird, bietet
äußerst interessante Informationen über die Präliminarien des Staatsstreichs vom 23. August
1944, die Meinungsunterschiede, die 1944 innerhalb der Führung der Deutschen Volksgruppe in Rumänien geherrscht haben, die Reaktion von Andreas Schmidt und seiner Führungsmannschaft auf die Ereignisse vom 23. August 1944, die von der Führung des Dritten Reichs
getroffenen Maßnahmen, um die militärische Situation in Siebenbürgen wiederherzustellen
und die deutsche Minderheit zu schützen, die Zusammenarbeit zwischen der Deutschen
15
BMF, RH 19 V-Heeresgruppe Süd/98, Fol. 23. Fernschreiben der Heeresgruppe Südukraine an OKH / Generalstab
des Heeres, Ia Nr. 3648/g. Kdos. vom 22. September 1944, gezeichnet von Grolmann.
16 Zu Leben und Werk von Otto Rudolf Liess siehe Österreichisches Staatsarchiv Wien, Abteilung Allgemeines
Verwaltungsarchiv, Nachlass E 1760 – Otto Rudolf Liess; Schriftsteller-Lexikon der Siebenbürger Deutschen. Biobibliographisches Handbuch für Wissenschaft, Dichtung und Publizistik. Bd. 8: K-L. Hg. Hermann A. H i e n z .
Köln, Weimar, Wien 2001 (= Schriften 7/VIII), S. 400-410; Johann B ö h m : Hitlers Vasallen der DVR vor und nach
1945. Frankfurt am Main u. a. 2006, S. 187-194.
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Ottmar Traşcă
Volksgruppe und der Legionärsbewegung zwecks Bildung eines deutschfreundlichen Widerstands in Rumänien und vieles mehr. Selbst wenn der Bericht von Otto Rudolf Liess viele
der von der Volksgruppenführung getroffenen Entscheidungen und Handlungen rechtfertigt – was durchaus verständlich ist angesichts der Karriere des Autors –, so bietet er doch
authentische und zum Teil bislang unbekannte Informationen über die Lage der Deutschen
Volksgruppe in den letzten Jahren des Zweiten Weltkrieges, welche die in der Fachliteratur
vorhandenen Kenntnisse ergänzen und in vielen Punkten sogar korrigieren.
(Übersetzung der Einleitung und der Anmerkungen aus dem Rumänischen: Hannelore B a i e r )
Anlage17
Betr.:
Beitrag:
N.B.:
Einzelangaben zum rumänischen Frontwechsel am 23. August 1944.
Dr. phil. Otto Rudolf Ließ, z. Zt. Schriftsteller in Wien II, Taborstraße 22/14
Das nachfolgende Konzept ist die zweite Fassung einer ersten Aussage zu dem
obigen Thema, die am 29.10.1957 im Bundesarchiv Koblenz diktiert wurde.
Abgabetermin: 14. Juni 1958
Persönliche
Angaben:
Der obengenannte Berichterstatter des Beitrags war von Ende November 1940 bis
zum 23. August 1944 als Hauptabteilungsleiter der deutschen Volksgruppenführung in Rumänien und Leiter der Pressestelle/Bukarest tätig. Vom 25.8.1944 bis
1.9.1944 im Stab der „Edelweiß“-Division zu St. Georgen (südliches Szeklerland,
Sfântu Gheorghe, Szent György) eingesetzt, wurde der Berichterstatter bis Mitte
Oktober 1944 in der Abteilung Ic dem Frontstab des SS-Obergruppenführers
Phleps eingegliedert. Ab Ende Oktober 1944 gehörte der Berichterstatter bis zum
Kriegsende der Sondereinheit „Skorzeny“ für Fallschirmeinsätze nach Rumä­
nien an.
I. Die Vorbereitung des rumänischen Frontwechsels vom 23. August 1944
durch Politiker und Militärs
1) „Arbeitsteilung“ zwischen Marschall Antonescu und der Opposition
Die Katastrophe von Stalingrad, rumänische Frontverluste und deutsche Rückzüge, deren
Widerstandslinien und Riegelstellungen sich langsam und unaufhaltsam den rumänischen
Staatsgrenzen näherten, schafften dem Beobachter in Rumänien bereits 1943 die Gewißheit:
Bündnistreue und Durchhaltevermögen des Staatsführers Marschall Antonescu waren einer
Zerreißprobe ausgesetzt. Der rumänische Frontsoldat zeigte opfervolles Standvermögen,
kämpfte aber seit Stalingrad ohne den geschlossenen seelischen und materiellen Rückhalt
der Heimat. Kriegsmüdigkeit und Defaitismus breiteten sich innerhalb der demokratischen
17
In: Österreichisches Staatsarchiv Wien, Abteilung Allgemeine Verwaltungsarchiv, Nachlass E 1760 – Otto Rudolf
Liess, Karton 14; Bundesarchiv, Lastenausgleichsarchiv Bayreuth, Ost-Dokumente 16, Sammlung zur Geschichte
der deutschen Volksgruppe in Südost-Europa vom Ende des Ersten Weltkrieges bis 1944/45-83, Fol. 3-121.
Die Ereignisse vom 23. August 1944
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Opposition aus und erfaßten mehr und mehr auch die Regierungsränge – mit Ausnahme
der Person des Staatsführers Ion Antonescu18 selbst.
Ein deutliches Symptom schwankender Bündnistreue Rumäniens gegenüber Hitlerdeutschland bildete die Zurückhaltung des gesamten Ernteüberschusses 1943 im Lande.
Konnte man es aber einem kleinen Volk an der Ost-Westscheide Europas verdenken, wenn
seine anglo- und frankophilen Kreise, ja sogar ein Regierungsflügel auf einen Ausweg sannen? Die Überzeugung wuchs in allen politischen Lagern, daß der Krieg gegen Rußland unwiderruflich verloren sei. Lediglich die antibolschewistische Einstellung des Rumänentums
und der trotzige Widerstandswille kleiner rumänischer Gruppen im Lande verhinderten bis
nach dem 20. Juli 1944 den Frontwechsel Rumäniens. Insgeheim richtete sich die Hoffnung
demokratischer Politiker auf eine anglo-amerikanische Landung entlang der Schwarzmeerküste; damit sollte eine sowjetische Besetzung Rumäniens verhindert werden. Außerdem war
beim Herannahen westalliierter Truppen mit einem schlagartigen Ausscheiden Rumäniens
aus dem Kriege zu rechnen.
Im Mai 1944 erreichte die Offensive Roter Armee-Einheiten die bessarabische Grenze. Im
Juni reisten rumänische Beobachter zur alliierten Kriegskonferenz nach Kairo. Nicht allein
der stellv. Ministerpräsident und Außenminister Mihai Antonescu19 war aktiver Mitwisser
vorbereitender Waffenstillstandsgespräche der demokratisch-westlichen Opposition. Auch
deutsche Stellen hatten Kenntnis von quertreibenden rumänischen Politikern gegen das
deutsche Bündnis20. Schließlich konnte nach dem 20. Juli 1944, nach dem italienischen Absprung auch der rumänische Frontwechsel nur noch eine Frage der erstbesten Gelegenheit
sein. Diese Gelegenheit aber bot sich dem kriegsmüden Teil der rumänischen Opposition
und Führung nach der Rückeroberung Bessarabiens durch die Sowjets, angesichts einer
chaotischen Frontentwicklung in Polen und im Augenblick neuer, sowjetischer OffensivVorbereitungen entlang des Pruths.
Staatsführer Marschall Ion Antonescu blieb von den auftauchenden Alternativen rumänischer Politik nicht unberührt. Als verantwortlich empfindender Staats- und Regierungschef
traf er im Juni 1944 z. B. mit dem Führer der Nationalen Bauernpartei Iuliu Maniu21 eine
18
Ion Antonescu (1882-1946), rumänischer Berufsoffizier und Politiker. Verteidigungsminister (1938); Ministerpräsident und Führer des rumänischen Staates (6. September 1940 - 23. August 1944). Am 23. August 1944 verhaftet,
Anfang September den sowjetischen Behörden übergeben. Von September 1944 bis April 1946 in der Sowjetunion
inhaftiert und verhört, ins Land zurückgebracht, vor Gericht gestellt und vom sogenannten „Volksgericht“ zum
Tode verurteilt. Am 1. Juni 1946 in Jilava hingerichtet. Vgl. über ihn Şefii Statului Major General Român [Die Chefs
des Rumänischen Generalstabs]. Hgg. Teofil O r o i a n und Gheorghe N i c o l e s c u . Bucureşti 2002, S. 163-190.
19 Mihai Antonescu (1904-1946), Jurist, Professor und Politiker. Justizminister (14. September 1940 - 24. Januar 1941);
Staatsminister (ab 27. Januar 1941); zuerst ad-interim (27. Mai - 27. Juni 1941), dann Minister für nationale Propaganda (27. Juni 1941 - 23. August 1944); stellvertretender Ministerpräsident und Außenminister (27. Juni 1941 - 23. August 1944). Er war zweifelsohne der wichtigste Mitarbeiter des rumänischen Staatsführers. Zusammen mit Ion
Antonescu am Nachmittag des 23. August 1944 verhaftet, ereilte ihn dasselbe Schicksal wie die anderen nahen
Mitarbeiter des Staatsführers: Haft in der UdSSR (September 1944 - April 1946); Prozess und Verurteilung zum
Tode. Urteilsvollstreckung am 1. Juni 1946. Vgl. über ihn: Dicţionar enciclopedic [Enzyklopädisches Wörterbuch].
Bd. I: A-C. Bucureşti 1993, S. 85.
20 Zu den Nachrichten, die die deutschen Dienste über die Haltung der führenden Kräfte in Rumänien zur Fortdauer
des Bündnisses mit dem Dritten Reich erhalten haben, vgl. Ottmar T r a ş c ă : Der 23. August 1944. Das Ende der
deutsch-rumänischen Waffenbrüderschaft und der Kampf um Bukarest. In: Schlüsseljahr 1944. Hg. Bayerische
Landeszentrale für politische Bildungsarbeit. München 2007, S. 187-189.
21 Iuliu Maniu (1873-1953), rumänischer Jurist und Politiker. Studium in Klausenburg, Wien und Budapest; JuraPromotion (1896). Führer der Rumänischen Nationalbewegung in Siebenbürgen, Abgeordneter im Budapester
Parlament (1906-1910); Vorsitzender der Nationalen Bauernpartei (Partidul Naţional Ţărănesc, 1926-1947, mit
Ausnahme der Jahre 1933-1937); Ministerpräsident (1928-1930). Gegner von König Carol II. und des Antonescu-
194
Ottmar Traşcă
Geheimabsprache, die eine Art „Arbeitsteilung“ zwischen dem bündniswilligen Rumänentum unter der Führung des Marschalls und der demokratisch-westlich gesinnten Opposition
vorsah. Bei weiterem Vordringen der Sowjetarmee sollte sich ein nationaler Regierungsflügel
unter dem Schutz rumänischer Elitetruppen zur Verteidigung in die „Festung Siebenbürgen“
zurückziehen. Iuliu Maniu dagegen sollte im Raum der ehemaligen rumänischen Fürstentümer eine den Westalliierten genehme Koalitionsregierung bilden, um, im Falle der deutschen
Niederlage, die Ansprüche Rumäniens gegenüber den alliierten Siegern geltend zu machen.22
Diese voraussehende und charakterlich saubere Planung einer „Arbeitsteilung“ hatte einen einzigen Nachteil: sie rechnete nicht mit den Kriegszielen, der Eigenwilligkeit und der
erdrückenden Nachbarschaft des weltrevolutionären Sowjetsystems.
2) Zwietracht unter den deutschen ND-Stellen
Rückblickend fragen wir, wieso das Führerhauptquartier und dessen Kompetenzen in Rumänien keine rechtzeitigen Abwehrmaßnahmen gegen die ziemlich ungeniert auftretende
antideutsche Fronde einleiteten.
Die entscheidende Antwort auf diese Frage besagt, daß um die Mitte des fünften Kriegsjahres die deutsche Führungsspitze unter Adolf Hitler politisch und militärisch zu einer
wirkungsvollen Gegenaktion bereits unfähig geworden war. Zum Teil jedoch lag das Verschulden dieser müßigen Zuschauerhaltung im Anblick offenkundiger Gefahren an der
Zwietracht der deutschen ND-Stellen, an den „NS-Kampfspielen“ etappenmäßiger „Kriegsgenießer“, denen ihre frontferne uk-Stellung wichtiger schien als alle Belange deutscher
Selbstbehauptung und Abwehr gegen den Bolschewismus.
In Bukarest amtierten an wichtigen ND-Stellen u. a. der Informationsdienst der Deutschen Gesandtschaft (im Rahmen der Gesandtschaft der offizielle SD-Beauftragte für
Rumänien) (1)23, verschiedene Abwehrstellen der Deutschen Wehrmacht, eine kaum getarnte Abteilung Rumänien des Reichssicherheits-Hauptamtes der SS/Berlin24. Neben
Volksgruppenangehörigen in diesen ND-Stellen hatte Volksgruppenführer Andreas
Schmidt seit 1939 einen eigenen Nachrichtenapparat aufgezogen. Auf Grund der persön-
Regimes, nach 1944 Leiter der antikommunistischen Opposition. Von den kommunistischen Behörden verhaftet
und in einem Schauprozess 1947 zu lebenslanger Haft verurteilt. Tod im Gefängnis in Sighetul Marmaţiei. Vgl.
über ihn: Dicţionar enciclopedic (wie Anm. 19). Bd. IV: L-N. Bucureşti 2001, S. 246.
22 Ion Antonescu hat Iuliu Maniu 1944 mehrmals getroffen, es gibt jedoch keinen Nachweis, dass eine Vereinbarung
dieser Art geschlossen wurde.
23 Die fett gedruckten und in Klammern gesetzten Ziffern verweisen auf Anmerkungen/Endnoten des Verfassers
dieses Berichtes, Otto Liess.
24 In Rumänien waren hauptsächlich folgende deutschen Nachrichtendienste aktiv: 1. OKW/Amt Ausland Abwehr
durch die Abwehrstelle Rumänien (17. Oktober 1940 - 23. August 1944), geleitet von Oberst Erich Rodler (17. Oktober 1940 - 30. April 1944) beziehungsweise Oberst Fritz Baur (30. April - 23. August 1944). Die Abwehr war der einzige deutsche Nachrichtendienst, dessen Tätigkeit in Rumänien offiziell von der rumänischen Regierung anerkannt
war, wobei es Vereinbarungen über eine informative Zusammenarbeit mit dem von Eugen Cristescu geleiteten
rumänischen Geheimdienst (Serviciul Special Român) gab; 2. Amt VI – Ausland des RSHA, dessen Vertreter unter
diplomatischem Deckmantel im Rahmen der deutschen Gesandtschaft in Bukarest als SS-Polizei-Attaché oder Berater in verschiedenen Bereichen tätig waren, aber auch über vorwiegend volksdeutsche Agenten verfügten, die ihre
Tätigkeit in Rumänien im Geheimen durchführten; 3. Politischer Nachrichtendienst der deutschen Gesandtschaft
in Bukarest, geleitet ursprünglich von Legationsrat Hermann von Ritgen und später von Willy Roedel, unterstand
dem Auswärtigen Amt. Bis zum Herbst 1940 hat die Volksgruppenführung vor allem mit dem OKW/Amt Ausland
Abwehr zusammengearbeitet. Während der Amtszeit von Andreas Schmidt war die Volksgruppenführung der
SS untergeordnet, so dass die informative Zusammenarbeit insbesondere über das Amt VI – Ausland des RSHA
erfolgte.
Die Ereignisse vom 23. August 1944
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lichen Stellung und des engen Verhältnisses von Andreas Schmidt25 zum Reichsführer SS
Heinrich Himmler26 gewann die Informationstätigkeit dieses „SD“ nach und nach an Bedeutung.
SD-Südost – Volksgruppenführung: Im Februar 1944 erfolgte zwischen den SD-Beauftragten der Abt. Südost des SD-Reichssicherheitsdienstes in Rumänien und Volksgruppenführer
Andreas Schmidt ein unheilvoller Bruch. Diese ND-liche Zwietracht an einem bedrohten
Außenposten des Deutschen Reiches bot indes bloß das Widerspiel von Auseinandersetzungen auf höchster Berliner Ebene.
Auslösendes Moment dieses gemeinen und häßlichen Streites war ein Beschwerdebrief des
SS-Untersturmführers Mathias Liebhardt27 (2) an SS-Obergruppenführer Gottlob Berger28
über die persönliche Lebensführung des Volksgruppenführers Andreas Schmidt29. Berger,
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Andreas Schmidt (1912-1948), Siebenbürger Sachse, Führer der DVR (27. September 1940 - 23. August 1944). Kam
während der Schulung in Deutschland in Kontakt zu einflussreichen Kreisen der SS und NSDAP, von denen er verschiedene Aufträge erhielt. 1939 zum Stabsleiter der Nationalen Arbeitsfront, des radikalen Flügels der deutschen
Minderheit in Rumänien, ernannt. 1940 profilierte sich Andreas Schmidt 1940 durch das Rekrutieren von 1000 jungen Volksdeutschen zur Waffen-SS, die sogenannte „Tausend-Mann-Aktion“. Deren Erfolg trug maßgeblich dazu
bei, dass er am 27. September 1940 von Berlin zum Volksgruppenführer ernannt wurde. Durch die Heirat mit der
Tochter des SS-Gruppenführers Gottlob Berger wuchs der Einfluss von Schmidt in Berlin, aber auch in Rumänien.
Unter seiner Führung wurde die Deutsche Volksgruppe zu einem politischen Instrument, das voll den politischen
und militärischen Zielen der Reichsführung in diesem Raum diente. Nach dem Frontwechsel Rumäniens sprang
Andreas Schmidt mit dem Fallschirm auf rumänischem Territorium ab, um den antisowjetischen Widerstand zu
organisieren, wurde jedoch von den sowjetischen Behörden im Februar 1945 gefangen genommen. In die UdSSR
gebracht, vom NKWD verhört und zu 25 Jahren Gefängnis verurteilt, starb er im Lager Workuta unter bislang
nicht geklärten Umständen. Vgl. über ihn: BB, BDC-Personalunterlagen, Parteikorrespondenz und SS Rasse- und
Siedlungshauptamt, Akten Andreas Schmidt (fortan: BB, BDC, PK Akten und RuSHA Akten).
Heinrich Himmler (1900-1945), deutscher Politiker, Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei (1936-1945).
Vgl. über ihn Ernst K l e e : Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945? Frankfurt
am Main 2003, S. 256.
Mathias Liebhardt (1918-?), Mitglied der DVR. Zu Kriegsbeginn freiwillig der „SS-Standarte Adolf Hitler“ in BerlinLichterfelde beigetreten, wurde er später in die SD-Schule in Charlottenburg verlegt. Nach Beenden dieser Schule
wurde er als SD-Offizier nach Rumänien gesandt, wo er im Rahmen des von Hauptsturmführer SS Kurt Auner
geleiteten SD-Informationsnetzes arbeitete. Mitglied des SS-Hauptamtes, Amtsgruppe D (seit 4. Mai 1944). Im Frühjahr 1944 gerät er in Konflikt mit Andreas Schmidt und schickt an Gottlob Berger, den Chef des SS-Hauptamtes,
einen Brief, in dem er sich über den Lebensstil von Schmidt beklagt. Der Konflikt wurde im Herbst 1944 beigelegt.
Vgl. über ihn: BB, BDC, SSO Akten Mathias Liebhardt.
Gottlob Berger (1896-1975), Politiker und SS-Offizier. Turnlehrer in Wankheim (1928-1933); Mitglied der NSDAP
(1922-1923, 1929-1945); Mitglied der SA (seit 15. November 1930), wo er den Rang eines Oberführers SA (seit
15. Oktober 1932) hatte; Rektor der Knabenschule Esslingen am Neckar (1933-1935); SS-Mitglied (Nr. 275991)
im Rang eines SS-Oberführers (ab 30. Januar 1936); Rektor der Württembergischen Landesturnanstalt Stuttgart
(1936-1938); Chef des SS-Ergänzungsamtes (seit 1. Juli 1938) und von Heinrich Himmler gleichzeitig beauftragt,
den „Volksdeutschen Selbstschutz“ (seit 26. September 1939) zu organisieren; Chef des SS-Hauptamtes (ab 1. April
1939); Verbindungsmann Heinrich Himmlers im Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete (ab 1. April 1943);
Generalinspektor des Kriegsgefangenenwesens (seit 1. Oktober 1944). Als Leiter des SS-Hauptamtes war es seine
wichtigste Aufgabe, die Rekrutierung von Volksdeutschen aus den europäischen Staaten zur Waffen-SS zu organisieren und durchzuführen. Nach Kriegsende von den Alliierten festgenommen und interniert, wurde er 1949 – im
Rahmen des Ministerprozesses – zu 25 Jahren Haft verurteilt. Am 15. Dezember 1951 aus der Haft entlassen. Vgl.
über ihn: BB, BDC, SSO Akten und RuSHA Akten Gottlob Berger; K l e e (wie Anm. 26), S. 40f.
Der Brief war an Gottlob Berger gerichtet, der Inhalt gelangte aber zur Kenntnis des RSHA-Leiters, Obergruppenführer SS Ernst Kaltenbrunner, des Leiters der VoMi, des Obergruppenführers SS Werner Lorenz, und schließlich
des Reichsführers SS Heinrich Himmler. Zu den gegen Andreas Schmidt vorgebrachten Anschuldigungen und
zur Haltung der SS-Führung vgl. BB, Parteikorrespondenz – Andreas Schmidt, Film 128, Bild 2554-2590; NS 19 –
Persönlicher Stab des Reichsführer SS – 2859, Fol. 94f. Die Dokumente wurden veröffentlicht von Johann B ö h m :
Die Affäre zwischen Volksgruppenführer Andreas Schmidt und Volksgruppen-SD-Chef Mathias Liebhardt. In:
Halbjahresschrift für südosteuropäische Geschichte, Literatur und Politik 16 (2004), 1, S. 97-107.
196
Ottmar Traşcă
der ehemalige Schwiegervater von Andreas Schmidt, sollte durch die Bloßstellung des führenden Vertreters der Deutschen Volksgruppe in Rumänien selbst desavouiert werden. Aus
diesem Grunde versandte Liebhardt gleichzeitig einige Durchschläge seines persönlichen
Schreibens an mehrere SS-Obergruppenführer „zur Kenntnisnahme“, um eine inoffizielle
Bereinigung der „Affäre Schmidt“ von vornherein zu vereiteln.
Als Drahtzieher stand dabei hinter Liebhardt der SD-Hauptsturmführer Kurt Auner30,
der in diesem Streit seinerseits von übergeordneten Berliner Kompetenzen dirigiert wurde.
Sehen wir von den Schlafzimmergeheimnissen und persönlichen Anwürfen dieses Machtkampfes zwischen der Abt. Südost des Reichssicherheitshauptamtes SS und der Person
Andreas Schmidts ab, so ergab sich aus dem haßvollen Zwist die zeitweise Lähmung der
Informationstätigkeit des SD in Rumänien.
Ab April 1944 hatte sich die Position von Andreas Schmidt wieder soweit gefestigt, daß
der Volksgruppenführer in Kronstadt einen eigenen Vertreter für ND-Belange ernannte und
seine – technisch allerdings behinderte – Berichterstattung über SS-Gruppenführer Schellenberg31 unmittelbar an den Reichsführer SS Himmler richten konnte.
Fraglos waren die persönlichen und ethischen Mißstände in der Arbeit der deutschen
Informationsstellen Rumäniens Vorboten des Untergangs.
3) Berichterstattung der Volksgruppenführung vor dem 23. August 1944.
Ungeachtet des verantwortungslosen Gegeneinanders in der militärischen und geheimdienstlichen Etappe Rumänien wird man die informative Grundtendenz und das Wahrheitsstreben der Volksgruppenorgane in deren Berichterstattung an die Reichsstellen und
das Führerhauptquartier anzuerkennen haben.
Aus der persönlichen Erfahrung des Berichterstatters sei folgendes Beispiel zutreffender
Berichterstattung aus Volksgruppenkreisen an Berliner Stellen angeführt:
Im Sommer 1943 erfuhr der Berichterstatter von einem rumänischen Gewährsmann besorgniserregende Tatsachen hinsichtlich des persönlichen Einflusses des jungen Königs,
Michaels I. von Hohenzollern-Sigmaringen, auf die deutsch-rumänische Bündnissituation.
Entsprechend dieser Information meldete Andreas Schmidt nach Berlin: die Bedeutung
der Person des jungen Herrschers liege vor allem darin, daß, im gegebenen Augenblick,
antideutsche Oppositionelle den König gegen Staatsführer Antonescu und das deutsch30
Kurt Auner (1914-?), Mitglied der DVR. Gymnasialstudien in Mediasch; Militärdienst in der rumänischen Armee
(1932-1933); Studium der Rechts- und Staatswissenschaft in Berlin (1935-1939); Tätigkeit in der Hitlerjugend und
im Bund Auslanddeutscher Studenten (1935-1939); Beitritt zur SS am 9. September 1942 (Nr. 431427); Freiwilliger
in der Waffen-SS (13. September 1939 - 10. März 1940); ins RSHA – Amt VI verlegt und mit informativen Aufgaben
nach Rumänien, Ungarn, Griechenland, Bulgarien entsandt (März 1940 - April 1941). Offiziell im SS-Hauptamt
Volksdeutsche Mittelstelle tätig, war Kurt Auner eigentlich Mitglied des RSHA – Amt VI, und zwar Leiter des
SD-Informationsnetzes in Rumänien (1941-1944), ein Netz, das von Wien aus vom SS-Sturmbannführer Wilhelm
Waneck beziehungsweise SS-Sturmbannführer Wilhelm Höttl koordiniert wurde. Nach dem Krieg trat er der „Organisation Gehlen“ bei, der Vorgängerin des Bundesnachrichtendienstes. Er hat auch mit OSS, der späteren CIA,
zusammengearbeitet. Vgl. über ihn: BB, BDC, SSO Akten Kurt Auner.
31 Walter Schellenberg (1910-1952), SS-Offizier. Medizin- und Jura-Studien in Bonn; NSDAP-Mitglied (seit April 1933,
Nr. 4504508), SS-Mitglied (seit März 1933, Nr. 124817). Im Rahmen des SD-Hauptamtes tätig (seit Sommer 1934);
Führer des Departements Spionageabwehr im RSHA (seit 1939); Führer des Departements VI – Auslandnachrichtendienst im RSHA (seit 1941). Hat die Aktion „Rote Kapelle“ zerschlagen und Admiral Wilhelm Canaris im Juli
1944 verhaftet. Im Mai 1945 von Admiral Karl Dönitz nach Schweden gesandt zu Verhandlungen mit den Alliierten.
Von diesen 1945 verhaftet; Zeugenaussage im Prozess von Nürnberg. 1949 zu 6 Jahren Gefängnis verurteilt, ist er
im Dezember 1950 aus Gesundheitsgründen entlassen worden. Hat in der Nachkriegszeit mit dem CIA zusammengearbeitet Vgl. über ihn: BB, BDC, SSO Akten und RuSHA Akten Walter Schellenberg; K l e e (wie Anm. 26),
S. 529.
Die Ereignisse vom 23. August 1944
197
rumänische Bündnis einsetzen könnten. Auf diesen Bericht hin stellte die Wilhelmstraße an
den Deutschen Gesandten in Bukarest, SA-Obergruppenführer Freiherr Manfred von Killinger32, eine Rückfrage. Der Gegenbericht von Killingers an Ribbentrop33 lautete: „Der kleine
König“ sei ausschließlich für die Sportfliegerei und waghalsige Geländefahrten mit einem
deutschen Amphibienwagen begeistert. Dagegen müsse man ihn innerhalb der außen- und
innenpolitischen Konstellation Rumäniens als völlig irrelevant bezeichnen.
Die Information über eine bestehende „Arbeitsteilung“ Marschall Antonescu – Iuliu Maniu
für den Fall eines deutschen Rückzugs aus Ost- und Südrumänien hat der Berichterstatter
ebenfalls persönlich nach Kronstadt durchgegeben. Ferner seien aus der persönlichen Erfahrung des Berichterstatters noch drei Einzelmeldungen aus den Tagen unmittelbar vor dem
rumänischen Frontwechsel erwähnt:
Etwa am 10. August 1944 teilte dem Berichterstatter dessen Bukarester Sekretärin, Frl.
Anwander34 (Tochter eines angesehenen Temeswarer Buchdruckers), mit: während eines
vorabendlichen Diners habe ihr der im Ministerpräsidium amtierende Oberst Zaharia 35
erklärt, Rumänien werde binnen weniger Tage kein kriegführender Staat mehr sein. Frl.
Anwander sei zur Weitergabe dieser Information berechtigt. Zaharia ersuche lediglich darum, seinen Namen nicht zu erwähnen. Binnen 24 Stunden traf diese Alarmmeldung in
Kronstadt ein. Mit einer neuerlichen Verspätung von zwei Tagen übergab ein Sonderkurier
diese Nachricht der Dienststelle des SS-Gruppenführers Schellenberg in Berlin. Denn seit
dem Bruch SD-Südost – Andreas Schmidt verfügte weder die Verbindungsstelle Bukarest,
noch die Volksgruppenführung Kronstadt über die Möglichkeit der Funkübermittlung (3).
Am 22. August vormittags erschien in der Pressestelle Bukarest der dem Berichterstatter
persönlich befreundete Staatssekretär a. D. Rudolf Brandsch36 und meldete: einwandfreien
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Manfred Freiherr von Killinger (1886-1944), deutscher Berufsoffizier, Politiker und Diplomat. Nahm als U-BootKommandant an der Schlacht von Skagerrak teil. 1920 zog er sich aus der aktiven Militärlaufbahn zurück. Mitglied
der „Freikorpsbrigade Ehrhardt“ (1919-1920); Mitglied der Organisation „Consul“ (1920-1923); Führer des „Wikingbundes“ (1923-1928); NSDAP-Mitglied (seit 1. Mai 1928); SA-Mitglied (seit 1. Mai 1928), Obergruppenführer SA (seit
Februar 1933); Abgeordneter im Sächsischen Landtag (1928-1933); Reichskommissar für Sachsen (10. März - 6. Mai
1933); Ministerpräsident von Sachsen (6. Mai 1933 - 28. Februar 1935). Trat im April 1937 in den diplomatischen
Dienst, Generalkonsul in San Francisco (1937-1939), Gesandter in der Slowakei (21. Juli 1940 - 21. Januar 1941) und
in Rumänien (24. Januar 1941 - 23. August 1944). Beging am 2. September 1944 im Gebäude der Gesandtschaft in
Bukarest Selbstmord. Vgl. über ihn: BB, BDC, PK Akten und SA Akten Manfred Freiherr von Killinger; Arhiva
Ministerului Afacerilor Externe, Fond 14 Reprezentanţi/Germania, K 26 – Manfred von Killinger (fortan: AMAE).
Joachim von Ribbentrop (1893-1946), deutscher Politiker und Diplomat, Außenminister (4. Februar 1938 - 8. Mai
1945). Vgl. über ihn: K l e e (wie Anm. 26), S. 494.
Konnte nicht identifiziert werden.
Romeo Zaharia (1899-?), rumänischer Berufsoffizier. Absolvent der Offiziersschule für Kavallerie (1915-1917) und
der Militärakademie (1924-1926). Teilnahme am Ersten Weltkrieg. Leiter des Generalstabs der Brigade 8 Kavallerie (10. Januar - 15. Dezember 1941); Offizier an der Kriegsakademie (15. Dezember 1941 - 15. März 1942); Offizier
im Militärkabinett des Staatsführers (15. März 1942 - 1. Oktober 1944); Offizier an der Kriegsakademie (1. Oktober
1944 - 15. April 1945); Offizier im Inspektorat der Kavallerie (15. April 1945 - 9. August 1946); freigestellt (ab 9. August 1946) und in Reserve (seit 22. Juli 1947). Beteiligte sich am antikommunistischen Widerstand, wurde von den
kommunistischen Behörden verhaftet und verurteilt. Vgl. über ihn: Anuarul Ofiţerilor Activi pe anul 1944 [Jahrbuch
der aktiven Offiziere]. Bucureşti 1944, S. 441.
Rudolf Brandsch (1880-1953), Politiker der deutschen Minderheit in Rumänien. Unterstaatssekretär für Minderheiten im Kabinett Nicolae Iorga (23. April 1931 - 5. April 1932); Vorsitzender des Verbandes der Deutschen in
Großrumänien (1921-1931). Gegner der radikalen, nationalsozialistischen Strömung innerhalb der deutschen
Minderheit. Nach dem Krieg von den kommunistischen Behörden inhaftiert, starb er im Gefängnis Doftana. Vgl.
über ihn Eduard E i s e n b u r g e r : Rudolf Brandsch. Zeit- und Lebensbild eines Siebenbürger Sachsen. Cluj-Napoca
1983.
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Ottmar Traşcă
Quellen zufolge werde eine rumänische Generalsclique um General Rădescu37 binnen kürzester Frist einen Staatsstreich gegen Marschall Antonescu und Rumäniens Bündnisverpflichtungen durchführen. Voraussichtlich werde der König diese Gruppe decken.
Am Abend des gleichen 22. August 1944 suchte der rumänische Kriegsberichter, Hauptmann Niculescu38, die Pressestelle Bukarest auf. Seit 1940 hatte Niculescu der Agentur des
Berichterstatters sowie zwei weiteren deutschen Agenturen in Bukarest, pressemäßige Informationen aus rumänischen Regierungs- und Militärkreisen überbracht. Niculescu hatte
seinen Armeestab ohne Befehl verlassen, um uns über „die schlechte Moral“ höchster rumänischer Stabsoffiziere zu berichten. Niculescu teilte in großer Erregung mit, im rumänischen
Frontabschnitt sei „etwas in großer Unordnung“. Er befürchte, die rumänische Armeeführung werde die anlaufende Sowjetoffensive in der Moldau nicht zum Stehen bringen, weil
auch vermutlich die zwischengeschalteten deutschen Wehrmachteinheiten keinen ausreichenden Widerstand gegen die Rote Armee leisten würden.
II. Der 23. August in Kronstadt
1) Das „Rumpfkabinett“ der Volksgruppenführung und die Wehrmachtstellen
Kronstadts
Der endesgefertigte Berichterstatter (im folgenden „e. B.“) fuhr am Morgen des 23. August
1944 nach Kronstadt, um die Volksgruppenführung bezüglich der bedrohlich verschärften
Lage ins Bild zu setzen. Unterwegs reiste der e. B. im Triebwagen-Expreß mit Dr. Fritz Theil39
(4), bis dahin Chefkommentator des Deutschen Rundfunks, zusammen. Theils Bemerkungen deuteten den raschen Zusammenbruch der deutschen Front auf rumänischem Boden
an. Theil vermutete richtig, daß die deutschen Volksgruppenangehörigen Rumäniens sich
weder mit Trecks, noch durch Fußmärsche aus dem näher rückenden Frontgebiet nach dem
Westen retten könnten.
In der Kronstädter Volksgruppenführung traf der e. B. lediglich ein mehr oder minder
entschlußunfähiges „Rumpfkabinett“ an. Volksgruppenführer Andreas Schmidt, die Amts-
37
Nicolae Rădescu (1874-1953), rumänischer Berufsoffizier. Generalstabschef (15. Oktober - 6. Dezember 1944); Ministerpräsident (6. Dezember 1944 - 28. Februar 1945). Widersetzte sich während des Zweiten Weltkriegs der Fortführung des Krieges jenseits des Dnjepr und protestierte öffentlich gegen die deutsche Einmischung in die inneren
Angelegenheiten Rumäniens mit einem Brief an den deutschen Gesandten Manfred von Killinger. Aus diesem
Grund in das Lager für politische Häftlinge in Târgu Jiu interniert (1941-1942), danach (1942-1944) unter Hausarrest.
Nach der unfreiwilligen Amtsniederlegung als Ministerpräsident 1945 flüchtete er in die britische Gesandtschaft
in Bukarest und verließ das Land 1946. Vgl. über ihn: Şefii Statului Major (wie Anm. 18), S. 246-253.
38 Konnte nicht identifiziert werden.
39 Fritz Theil (1895-1961), Journalist und Publizist. Hauptschriftleiter des „Siebenbürgisch-Deutschen Tageblattes“
und der „Kronstädter Zeitung“. Ließ sich in Deutschland nieder, wo er Kommentator beim Deutschen Rundfunk
wurde. Gehörte zu den Verschwörern des 20. Juli 1944, flüchtete nach dem Scheitern des Umsturzversuchs nach
Rumänien. Wegen der in Deutschland ausgeübten journalistischen Tätigkeit am 17. August 1948 verhaftet und
zu 5 Jahren Haft verurteilt, saß er in den Gefängnissen Craiova, Târgşor, Jilava, Fogarasch und Văcăreşti ein. Am
19. November 1955 entlassen, reiste er später in die Bundesrepublik Deutschland aus. Vgl. über ihn: PAAAB, R
101221 Inland II Geheim Bd. 522 Akten betreffend Namen Th-Tz (Fritz Theil); Institutul de Investigare a Crimelor
Comunismului şi Memoria Exilului Românesc, Fişe matricole penale-deţinuţi politici [Institut für die Erforschung
der kommunistischen Verbrechen und des Erinnerns an das rumänische Exil. Matrikel-Zettel der politischen Gefangenen]: Fritz Theil.
Die Ereignisse vom 23. August 1944
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leiter Walter May40 und Wilhelm Schiel41 hatten am 20. August 1944 eine Dienstreise nach
Berlin unternommen, deren Ziel gerade eine warnende Berichterstattung hinsichtlich der
Kriegslage an der Südfront war. Infolgedessen konnte der e. B. seine Besorgnisse lediglich
dem mit den Geschäften vorübergehend betrauten Amtsleiter des Kronstädter Rechtsamtes
der Volksgruppenführung, Rechtsanwalt lic. Otto Ließ42, sowie dem Geschäftsführer des
Stabsamtes, Hauptabteilungsleiter Rudolf Sontag43, übermitteln.
Der Abend des 23. August 1944: Bereits die Abendnachrichten des Bukarester Rundfunks
um 22 h meldeten triumphierend den Abschluß eines rumänisch-alliierten Waffenstillstandes
und das offizielle Ausscheiden Rumäniens als Kriegspartner.
Der e. B. war kurz vorher von dem rumänischen Frontwechsel telephonisch verständigt
worden, zog sofort seine Waffen-SS-Uniform an und eilte aus seinem Kronstädter Untermietzimmer in das nahegelegene Honterus-Gymnasium. Das weitläufige Gebäude des deutschsprachigen Realgymnasiums diente damals bereits seit Monaten als deutsches Reservelazarett. Zugleich war in dem Gebäude der Wehrmachtstab unter Oberst Stollewerck44, sowie
die Unterkunft der Offiziersreserve der deutschen Südfront untergebracht. Beim Eintreffen
des e. B. herrschte in den Diensträumen und auf den Gängen des Honterus-Gymnasiums
bereits ein hektisches und kopfloses Treiben.
Schon in den ersten Stunden des rumänischen Frontwechsels wurde offenkundig, daß
für die in Rumänien stationierten Wehrmachtseinheiten keinerlei Alarmplan ausgearbeitet
war. Außerdem erklärte sich Oberst Stollewerck außerstande, der neuen Lage entsprechende
Befehle zu erteilen. Zuvor müsse er von der Wehrmachtmission in Bukarest und aus dem
Führerhauptquartier Weisungen einholen.
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Walter May (1912-?), Mitglied der Volksgruppenführung. Schriftleiter der „Akademischen Blätter“ (seit 1934) und
von „Volk im Osten“ (seit 1940); Leiter der Pressestelle der Volksgruppenführung (1940-1944); Landesleiter des
Amtes „Presse und Propaganda“ der DVR; enger Mitarbeiter von Andreas Schmidt. Am 24./25. Dezember 1944 mit
dem Fallschirm nach Rumänien zurückgekehrt, wird er von den Sowjets gefangen genommen und in die UdSSR
verbracht. Vgl. über ihn: PDF-Datei Völkisches Handbuch Südosteuropa: M, Stand: 20.2.2010, S. 11-19.
Wilhelm Schiel (1913-?), Geschäftsmann, Mitglied der Volksgruppenführung. Amtsleiter für Nationalsozialistische
Volkswohlfahrt und Winterhilfswerk (1939-1944); Verbindungsmann der VoMi in Rumänien (1939-1944). Tritt
am 18. April 1942 in das Hauptfürsorge- und Versorgungsamt der Waffen-SS (bis 11. Juli 1942); Ergänzungsstelle
„Südostraum“ (11. Juli 1942 - 9. Februar 1943); Volksdeutsche Mittelstelle-Stabskompanie (ab 9. Februar 1943).
Unterscharführer-SS der Reserve (seit 21. April 1942). Vgl. über ihn: BB, BDC, SM/SS-Unterführer Akten Wilhelm
Schiel.
Otto Ließ (?-1944), Anwalt, Mitglied der Volksgruppenführung. Hauptabteilungsleiter und Amtsleiter des Rechts­
amtes der DVR; Stellvertreter und enger Mitarbeiter von Andreas Schmidt (1940-1944). Nach der Waffenumkehr
vom 23. August 1944 erlitt er einen Nervenzusammenbruch. Starb unter ungeklärten Bedingungen während der
Überführung aus dem Krankenhaus Sankt Georgen nach Neumarkt/Mieresch. Nicht zu verwechseln mit Dr. Otto
Liess, dem Verfasser des vorliegenden Berichtes.
Rudolf Sontag (1913-?), Geschäftsmann, Mitglied der Volksgruppenführung. Seit 1932 hauptamtlich in der Jugendarbeit der DVR tätig; Stabsleiter der Landesjugendführung (bis. Mai 1940); Kriegsfreiwiliger (Juni 1940), tritt
in die Waffen-SS als SS-Sturmmann (ab 16. August 1940) ein, wird im September 1940 zur „Leibstandarte SS Adolf
Hitler“ verlegt, einer Einheit, die am Feldzug auf dem Balkan und gegen die UdSSR teilnimmt. Im November 1941
nach Rumänien verlegt, wird er Hauptabteilungsleiter und Geschäftsführer des Stabsamtes der DVR (November
1941 - 23. August 1944). Vgl. über ihn: BB, BDC, RS-Akten Rudolf Sontag.
Richtig Wilhelm Stollewerk (1896-?), deutscher Berufsoffizier. Teilnehmer am Ersten Weltkrieg, später im Infanterie Regiment 88 (26. August 1939 - 7. Oktober 1940); Befehlshaber des Infanterie-Regiments 428 (7. Oktober
1940 - 15. August 1941); dann im Infanterie-Ersatzbataillon 367 und Infanterie-Ersatzregiment 214 (19. November
1941 - 31. Januar 1942); Infanterie Ersatzregiment 15 (1. Juni - 20. Juni 1942); Führerreserve OKH (21. Juni - 9. Juli
1942); Kommandant der Führerreserve Heeresgruppe A-Südukraine (ab 10. Juli 1942). Oberst (vom 1. November
1941). Vgl. über ihn: Mitteilung der Deutschen Dienststelle (Wast) Berlin; BMF, Pers. 6/11733, Personalakten Wilhelm Stollewerk.
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Angesichts der plötzlichen Sendung waren nicht allein die Standortkommandantur Kronstadt und die Kronstädter Dienststelle der Waffen-SS völlig überrascht; mindestens ebenso
verwirrt schien auch ein Großteil der Stabsoffiziere und Offiziere im rumänischen Armeekorps Kronstadts zu sein.
Die Amtsleiter der Volksgruppenführung und die Angehörigen der deutschen Offiziersreserve drangen in Oberst Stollewerck, um eine sofortige Befehlserteilung zur Sicherung des
Predealpasses und der Schlüsselpositionen in Kronstadt zu erreichen. Kasernen, die Präfektur, die Hauptpost und sonstige Amtsgebäude sollten – zufolge sofortiger Vorschläge seitens
der Volksgruppenführung – noch vor Mitternacht von deutschen Wehrmachtteilen besetzt
werden. Oberst Stollewerck verfügte im Burzenland über ca 3.500 Angehörige der deutschen
Wehrmacht, abgesehen von etwas über 100 Fronturlaubern der Waffen-SS.
Das „Rumpfkabinett“ der Kronstädter Volksgruppenführung befand sich gegenüber dem
zaudernden Stollewerck unterhandlungsmäßig im Nachteil, als ausschießlich soldatische
Befehlsgebung das Gebot der Stunde war. Denn dem Wehrmachtoberst standen nicht mehr
achtungsvoll behandelte Vertreter der Volksgruppenführung als Partner gegenüber. Der militärisch ranghöchste Amtswalter im Honterusgymnasium war der beurlaubte Amtsleiter des
Gesundheitsamtes, Dr. Franz Wokaleck45 als SS-Hauptsturmführer. Amtsleiter Otto Ließ und
Geschäftsführer Rudolf Sontag hatten sich SS-Untersturmführer-Uniformen „ausgeborgt“,
um in den ersten Stunden chaotischen Unheils wenigstens verhandlungsfähig zu sein. Die
Erlaubnis zum Tragen der Uniform hatte der SS-Hauptsturmführer Ersatzdienststelle Kronstadt der Waffen-SS46 erteilt. Da bis zu jenen Abendstunden eine Beförderung des e. B. zum
SS-Untersturmführer der Waffen-SS noch nicht erfolgt war, wurde ihm nicht einmal der
Zutritt zur internen Stabsbesprechung gestattet47.
Eine halbe Stunde vor Mitternacht des 23. August wurde endlich durch Oberst Stollewerck
der Befehl zur Besetzung des Brenndorfer Rundfunksenders „Radio Bod“ erteilt. Der e. B.
meldete sich sofort zur Teilnahme an dem Unternehmen. Über Anfrage des e. B. hatte sich
die Sekretärin des Kronstädter Amtes für Presse und Propaganda, Frau von Albrichsfeld48,
45
Franz Wokalek (1914-?), Arzt, Mitglied der Volksgruppenführung. Medizinstudien an den Universitäten in Prag,
Greifswald, Erlangen, Graz und Berlin (1932-1938). Eintritt in die SS am 1. August 1940 (Nr. 372338). Kriegsfreiwilliger in der 3. Ersatzkompanie der Leibstandarte SS Adolf Hitler (7. September - 4. November 1939); Gebietsarzt in
der Westukraine im Rahmen des Umsiedlungskommandos „Wohlynien-Galizien“ (4. November 1939 - 10. Februar 1940); Referent für Lazarettswesen in der Reichsärztekammer, Abteilung Ausland (10. Februar - 16. Juli 1940);
Leitender Arzt des Donauabschnitts bei der Umsiedlung der Bessarabien- und Dobrudschadeutschen (16. Juli
1940 - 1. Januar 1941); Leiter des Amtes für Volksgesundheit bei der DVR (ab 1. Januar 1941); zum Sonderkommando „Künsberg“ abkommandiert (22. Juni - 1. Dezember 1941); zum SS-Sanitätsamt versetzt (ab 1. Dezember
1941); Tätigkeit im SS-Führungsamt, Amtsgruppe D – Sanitätwesen der Waffen-SS (1. Dezember 1941 - 13. März
1943); Arzt im Rahmen der 1. SS-Infanterie Brigade (13. März - 25. November 1943); verletzt, wird er ins SS-Sanitär
Ersatzbataillon Stettin (25. November 1943 - 25. März 1944) versetzt; in die Führung der DVR zurückgeschickt (am
25. März 1944). Untersturmführer SS (seit 1. August 1940); Obersturmführer SS (ab 20. April 1942); Hauptsturmführer SS (ab 9. November 1943). Vgl. über ihn: BB, BDC, SSO Akten Franz Wokalek.
46 Gemeint ist wahrscheinlich Friedrich Neuweiler (1903-?), Zahnarzt und SS-Offizier. Eintritt in die SS 1930 (Nr.
5377). Eintritt in der NSDAP am 1. August 1930 (Nr. 285722). Abteilungsleiter und stellvertretender Kommandeur
der SS-Ergänzungsstelle Nordwest in Holland (15. November 1940 - 31. Januar 1942); Leiter des SS-Ersatzkommandos Flandern/Belgien und Frankreich (1. Februar 1942 - 31. März 1943); Leiter der Dienststelle Rumänien des
SS-Ersatzkommandos Südost (ab 12. Mai 1943); vom SS-Hauptamt zur SS-Sturmbrigade Dirlewanger versetzt (ab
14. März 1945). Vgl. über ihn: BB, BDC, SSO Akten Friedrich Neuweiler.
47 Zur Lage in Kronstadt nach dem Frontwechsel vgl. PAAAB, R 100946, Inland II geheim, Bd. 260, Akten betreffend
Volksdeutsche: Rumänien, Evakuierung und Lage 1941-1945, E 393312-393315. Aufzeichnung des Reichsdeutschen
Karl Kirchlechner betreffend Vorgänge in Kronstadt vom 29. August 1944.
48 Konnte nicht identifiziert werden.
Die Ereignisse vom 23. August 1944
201
freiwillig zur Mitfahrt bereit erklärt. „Radio Bod“ war neben „Radio Bucureşti“ die einzige
Sendestation im Lande. Die Wirrnis dieser ersten Stunden des „Verrates“ ausnützend, wollte
der e. B. mittels rumänischer und deutscher Sendungen über Radio Bod rechtzeitig einen
wirksamen propagandistischen Gegenschlag führen.
Der Handstreich gegen den Sender Brenndorf sollte von zwei Kampfgruppen durchgeführt werden. Unter Führung eines Oberleutnants hatte eine Flakabteilung ohne Zeitverlust
die rumänische Besatzung des Senders zur Übergabe aufzufordern. Gleichzeitig sollte eine
Kampfgruppe der Wehrmacht unter Major R aus einer anderen Richtung vorstoßen, um
Radio Bod in die Zange zu nehmen. Der e. B. gehörte der Gruppe des Flakoberleutnants an.
Das erste Unternehmen „Sender Brenndorf“: Der Fehlschlag des ersten deutschen Handstreichs gegen Radio Bod erklärt sich aus folgenden Gründen:
Die Kampfgruppe der Wehrmacht unter Major R erschien befehlswidrig, überhaupt nicht,
um zur Unterstützung der Flakabteilung in dem mehrstündigen Kampf einzugreifen.
Die Flakkompanie verlor mit ihrer mehrstündigen Vorbereitung zum Kampfeinsatz kostbare Stunden, so daß ein überraschender Schlag unmöglich wurde. So ließ z. B. der Flakober­
leutnant erst gemächlich Marschverpflegung fassen, obwohl Radio Bod nur etwa 22 km von
Kronstadt entfernt liegt.
Dann wurden anstelle fehlender Zugmaschinen für die in großer Zahl verfügbaren FlakGeschütze Lkws zusammengesucht. Schließlich befahl der Flak-Oberleutnant die Mitnahme
von 3,7 cm anstelle der ausreichend vorhandenen 8,8 cm Flakgeschütze.
Zwei Tage vor dem 23. August 1944 war die frühere, deutschfreundliche rumänische
Besatzungseinheit von den Initiatoren des rumänischen Staatsstreiches durch eine Einheit
ersetzt worden, welche größtenteils aus dem rumänischen Altreich stammte. Einige Reserveoffiziere der rumänischen Etappeneinheit waren offenkundig erprobte Gegner des deutschrumänischen Bündnisses.
Die Ausführung des Handstreichs begann am 24. August 1944, kurz nach sechs Uhr früh.
Wenige Minuten zuvor hatte der e. B. vom Ortsgruppenleiter Brenndorfs erfahren, die bisherige rumänische Senderbesatzung sei abgelöst worden. Obwohl sich weder die zweite
Kampfgruppe zeigte, noch mit einem Überraschungsmoment bei diesem „Handstreich“
mehr gerechnet werden konnte, befahl schließlich der Flakoberleutnant das Vorgehen gegen
den weiträumigen, rechtwinklig angelegten Gebäudekomplex der Senderanlage.
Zunächst schien eine kampflose Besetzung von Radio Bod möglich. Ein übernächtiger
rumänischer Hauptmann, Kommandant der Senderbesatzung, erschien nach unserer Ankunft in der mit dreißig rumänischen Soldaten belegten Wachstube am Eingangstor des
Senders Brenndorf. Die rumänischen Zurufe des e. B. und eine kurze Unterhandlung mit
dem Hauptmann als Militärkommandanten von Radio Bod brachten den Kommandanten
und den am Eingang postierten Zug rumänischer Soldaten in die Hand der deutschen
Kampfgruppe. Aus Unvorsichtigkeit löste ein deutscher Flaksoldat einen Karabinerschuß,
worauf beiderseits ein ziemlich zielloses Gewehrgeknatter einsetzte. Die drei 3,7 cm Flakgeschütze gingen in Stellung. Mit lauter Stimme gelang es dem e. B. nach einigen Minuten,
eine Kampfpause zu erzielen. Vom deutschen Flakoberleutnant und dem e. B. flankiert, sollte
der schreckensbleiche rumänische Hauptmann inmitten des riesigen Hofvierecks mit dessen subalternen Offizieren verhandeln. In der gegenüberliegenden, linken Hofecke, neben
dem Sendergebäude, war eine rumänische MG-Gruppe mit Gewehrschützen in ungedeckte
Stellung gegangen. Sobald wir uns der vereinbarten Hofmitte näherten, erfolgte aus dieser
Hofecke – ohne Rücksicht auf den rumänischen Senderkommandanten – ein Feuerüberfall
202
Ottmar Traşcă
gegen die vorgehenden Unterhändler. Unter schlecht gezieltem MG- und Karabinerfeuer in
Gürtelhöhe sprangen der rumänische Hauptmann, der deutsche Flakoberleutnant und der
e. B. in das linksseitige Wohngebäude der Senderanlage.
Es folgte ein siebenstündiges Feuergefecht mit rumänischen Umgehungsversuchen, vor
denen der e. B. die deutschen Flaksoldaten aus seiner abgeschnittenen Beobachterstellung
(unter Geschoßeinschlägen von beiden Seiten) rechtzeitig warnen konnte.
Trotz zweier Toter auf deutscher Seite und einer unbekannten Anzahl rumänischer Verwundeter gab es bei diesem beinahe zivilistisch anmutenden „Handstreich“ unernste Momente. In den zweieinhalb Stockwerken des linksseitigen Wohngebäudes flüchtete der rumänische Hauptmann vor seinen beiden deutschen Begleitern wie eine flügellahme Schwalbe
hin und her. Von deutscher und rumänischer Seite wurden die Fensterscheiben, z. T. selbst
die dünnen Wände des Neubaues, von Einschlägen durchsiebt. Die dem e. B. übergebene
Wehrmachtpistole versagte völlig, da sie auf 10jährige Lagerfähigkeit eingefettet war. Nach
über zwei Gefechtsstunden gelang es dem Flakoberleutnant, über den seiner Einheit zugekehrten Teil des Wohngebäudes, in den er sich gerettet hatte, zu seiner Einheit zurückzugelangen.
Bereits in den Vormittagsstunden des 24. August 1944 erschienen von deutscher und
rumänischer Seite Unterhändler, die dem ungewohnten Kampf zwischen den Bundesgenossen von gestern schließlich um drei Uhr nachmittags ein Ende bereiteten. Einem von
der Volkgruppenführung Kronstadt delegierten Fronturlauber, SS-Untersturmführer Otto
Parsch49, gelang nach einem Telephongespräch mit dem rumänischen Stab des Armeekorps
in Kronstadt die Freigabe des e. B. mit dem Hinweis, der e. B. habe lediglich als Dolmetscher
fungiert. Ein rumänischer Oberleutnant, im Zivilberuf übelbeleumundeter Steueragent in
dem Nachbarort Zeiden bei Kronstadt (Codlea bei Braşov) kannte den e. B. aus dessen Jugendzeit und war – ebenso wie ein frischgebackener rumänischer Leutnant – notorischer
Deutschenhasser.
Die darauf folgende kurze Verhandlung am Kronstädter Sitz des Armeekorps ergab den
Eindruck, daß die rumänischen Generalstabsoffiziere inzwischen eindeutige Ordres erhalten
hatten. Noch trugen einige der rumänischen Stabsoffiziere ihre deutschen Kriegsauszeichnungen. Mindestens eine beträchtliche Anzahl unter ihnen wäre bei tatkräftigen Sicherungsmaßnahmen des Obersten Stollewerck zu einer tatenlosen Zuschauerstellung bereit
gewesen.50
Der Erinnerung des e. B. zufolge unternahm etwa am 2. September 1944 eine deutsche
Wehrmachteinheit den zweiten mißglückten Versuch, Radio Bod zu besetzen. Schließlich
beendete ein Stuka-Angriff des Fliegerobersten Rudel51 die Sendetätigkeit von Radio Bod
wenigstens für wenige Tage. Der Fehlschlag des ersten Handstreichs gegen den Sender
49
Otto Parsch (1911-?), Kaufmann, Mitglied der Volksgruppenführung. Mitglied der NSDAP seit 1. Oktober 1932;
SS-Mitglied (Nr. 477504). Stabsleiter der Einsatz-Staffel der DVR und enger Mitarbeiter von Andreas Schmidt (19401944). Flüchtete nach dem Krieg nach Österreich, wo er Mitglied der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen
in Österreich wurde. BB, BDC, SSO Akten Otto Parsch.
50 Zum deutschen Angriff auf den Sender Brenndorf vgl. PAAAB, R 101118, Inland II geheim, Berichte und Meldungen zur Lage in und über Rumänien, Bd. 427, 1944-1945, E 449448-449456. Inland II 2415 g. Bericht.
51 Hans-Ulrich Rudel (1916-1982), deutscher Berufsoffizier. Nach dem Gymnasium und der Arbeitsdienstpflicht
tritt er 1936 der Luftwaffe bei. Fachmann für Stuka-Flieger, wird 1941 dem Stuka-Geschwader 2 „Immelmann“
zugeteilt, dessen Befehlshaber er am 1. September 1944 wird. Unternahm 2530 Feindflüge, wobei er u. a. 3 Schiffe
und 519 sowjetische Tanks zerstörte. War der einzige deutsche Soldat, der mit der höchsten Kriegsauszeichnung
des NS-Regimes ausgezeichnet worden ist, dem Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes mit goldenem Eichenlaub,
Schwertern und Brillianten (29. Dezember 1944). Nach dem Krieg trat er insbesondere durch die Unterstützung der
Die Ereignisse vom 23. August 1944
203
Brenndorf trug wesentlich dazu bei, den Verlust der Position Rumänien für die deutsche
Wehrmacht zu beschleunigen.
2) Abzug der deutschen Wehrmachteinheiten aus dem Burzenland
Noch am Abend des 24. August hielt der deutsche Standortkommandant Kronstadts, Oberst
Stollewerck, die Absicht des Rückzugs vor der Volksgruppenführung und der deutschen
Bevölkerung des Burzenlandes geheim. Er hatte ein Waffenaufgebot der wehrfähigen siebenbürgisch-sächsischen Männer im Raum des Burzenlandes abgelehnt und sich darauf
beschränkt, die unhaltbare Stellung im Kronstädter Honterus-Gymnasium mit einigen vorgeschobenen Sicherungsposten zu umgeben. Widersprechende Anweisungen von deutschen
Wehrmachtstellen aus Rumänien, aus dem Führerhauptquartier und aus Berlin kündigten
heranrückende Einsatzeinheiten an, befahlen das Halten der Stellung bzw. befahlen einen
Rückzug der deutschen Wehrmachteinheiten aus dem Raum Burzenland, die „nach zwei
Tagen“ mit inzwischen eingetroffenen Verstärkungen Kronstadt wieder besetzen sollten.
Erst am 25. August, 12 h mittags, wurde dem „Rumpfkabinett“ der Kronstädter Volksgruppenführung der unmittelbar bevorstehende Abzug der deutschen Wehrmachteinheiten
aus Kronstadt bekannt gegeben. Noch zu diesem Zeitpunkt erklärten sich eine große Anzahl
junger Leutnants und Oberleutnants der Offiziersreserve bereit, gemeinsam mit Angehörigen
der deutschen Volksgruppe Kronstadt bzw. den Predealpaß gegen die z. T. völlig verwirrten
rumänischen Einheiten zu halten. Indessen war jedoch das Honterus-Gymnasium von rumänischen Einheiten völlig zerniert worden, so daß an die Organisierung eines Widerstandes in jenem Augenblick nicht mehr zu denken war. Der e. B. vermag heute die persönliche
Einstellung des Obersten Stollewerck während der ersten Stunden des rumänischen Frontwechsels einwandfrei weder als eklatante Unfähigkeit, noch als absichtlichen Verrat gegenüber erhaltenen Befehlen zu kennzeichnen. Soweit der e. B. nachträglich hörte, sei Oberst
Stollewerck mit Berufung auf sein damaliges Verhalten als Standortkommandant Kronstadts
vorzeitig aus der sowjetischen Kriegsgefangenschaft entlassen worden.52 In der Beurteilung
der deutschsprachigen Bevölkerung des Burzenlandes hätte der deutsche Oberst den Rückzug und die Rettung gefährdeter Volksgruppenangehöriger – der Familien von Waffen-SSAngehörigen – ohne Blutverlust und ohne Einbuße an Ansehen bewerkstelligen können.
Unter den damaligen Gegebenheiten vollzog sich stattdessen das beschämende Schauspiel, wie bestausgerüstete und bewaffnete Wehrmachteinheiten mit einem „Troß“ zernierter
Amtswalter das Burzenland voreilig und fluchtartig verließen.53
Der e. B. befand sich zur Zeit des Abzugs der deutschen Wehrmacht als Waffen-SS-Angehöriger mit rund dreißig kriegsfreiwilligen Abiturienten des Honterus-Gymnasiums auf
einem Lkw-Anhänger, als die motorisierten Wehrmachtseinheiten in Richtung Sfântu Gheorghe (Sepszi Szentgyörgy) Kronstadt verließen. Die meisten Kaufläden hatten die Rolläden
seit dem Morgen des 25. August 1944 niedergelassen. Ungeachtet einiger in krampfhafter
Fröhlichkeit flanierender Rumänen lag über der alten Stadt verhaltene, angstvolle Stille.
nach Südamerika geflüchteten NS-Kriegsverbrecher beziehungsweise der rechtsextremistischen Partei „Deutsche
Reichspartei“ hervor. Vgl. über ihn: K l e e (wie Anm. 26), S. 512.
Es gibt keinen dokumentarischen Nachweis für diese Aussage von Otto Liess.
53 Zum Kontext, in dem der Evakuierungsbefehl erteilt beziehungsweise die Evakuierung der deutschen Militäreinheiten aus Kronstadt und dem Burzenland durchgeführt wurde, vgl. PAAAB, R 100946, Inland II, geheim, Bd. 260,
Akten betreffend Volksdeutsche: Rumänien, Evakuierung und Lage 1941-1945, E 393312-393315. Aufzeichnung
des Reichsdeutschen Karl Kirchlechner betreffend Vorgänge in Kronstadt vom 29. August 1944; R 101118, Inland
II, geheim, Berichte und Meldungen zur Lage in und über Rumänien, Bd. 427, 1944-1945, E 449448-449456. Inland
II 2415 g. Bericht.
52
204
Ottmar Traşcă
Unmittelbar vor dem Auszug aus Kronstadt ereignete sich im Honterus-Gymnasium
eine für alle Volkgruppenangehörigen folgenschwere Szene. Einvernehmlich stützte sich
das Rumpfkabinett der Volksgruppenführung auf die trostreiche Legende des Obersten
Stollewerck, die Deutsche Wehrmacht werde nach zweitägiger Frist wieder in Kronstadt
einziehen. Zwei Amtswalter von dem in der Nähe Kronstadts gelegenen Schulungshof der
Volksgruppe, „Am Hangestein“, erreichten Amtsleiter Otto Ließ und Geschäftsführer Rudolf
Sontag wenige Minuten vor deren Auszug aus Kronstadt im Honterus-Gymnasium. Auf
die Anfrage der beiden Abgesandten, ob die „Am Hangestein“ luftschutzgesicherte Volksgruppenkartei zu vernichten oder zu bewahren sei, erteilte der gutgläubige Geschäftsführer
Rudolf Sontag den verhängnisvollen Befehl: „Nicht zerstören!“ – In den Jahren nach 1945
waren infolgedessen die volksdemokratischen Sicherheitsbehörden mühelos in der Lage,
Stellung und Einstellung jedes Volksgruppenangehörigen während der NS-Zeit Rumäniens
zu eruieren. Die Bürokratie der Volksgruppenführung hatte es z. B. nicht versäumt, selbst
die Höhe der freiwilligen Winterhilfsspenden jedes einzelnen Volksgruppenangehörigen
genau zu vermerken.
Der Wille zur Sauberkeit im Augenblick des Abzugs führender Amtswalter der Volksgruppe bekundete sich insoweit, als bis auf eine einzige Ausnahme sämtliche Amtswalter
Frauen und Kinder, sowie ihre sonstigen Familienangehörigen in Kronstadt zurückließen (5).
Einige wenige Amtswalter am Sitz der Volksgruppenführung wurden mit Sonderaufträgen
im Burzenland zurückgelassen. Das Gros der Volksgruppenführung begab sich aber – noch
immer blindgläubig gegenüber dem Mythos der deutschen Wehrmacht – in den „Bereitstellungsraum“ südlich des Szeklerlandes, um an der Seite deutscher Frontsoldaten binnen
weniger Tage die Schmach des Auszuges aus Kronstadt zu löschen.
Im nachträglichen, nüchternen Urteil waren jedoch die Umstände dieses Abzugs einfach
nicht dazu angetan, um eine solche verzweifelte Hoffnung zu rechtfertigen. An der rumänisch-ungarischen Grenze kontrollierten z. B. als rumänische Fliegeroffiziere verkleidete
Geheimagenten die ausfahrenden Lkws und Pkws auf rumänische Wagennummern und
hielten mehrere Fahrzeuge zurück. Personen wurden anstandslos durchgelassen. Auf Grund
eines späteren persönlichen Berichtes ist dem e. B. bekannt, daß am 27. August 1944 diese
rumänischen Kontrollorgane die abziehenden deutschen Einheiten zu entwaffnen versuchten. Nach einigen gelungenen Versuchen ließ der berichtende deutsche Artillerieleutnant
an dem Grenzbach ein Infanteriegeschütz auffahren und erzwang den freien Durchzug
einer stundenlang abziehenden Kolonne in den damals ungarischen Teil Siebenbürgens.
Der Gutshof südlich von Sankt Georgen: knapp dreißig km Luftlinie von Kronstadt entfernt, bezog die Ersatzdienststelle Kronstadt der Waffen-SS mit einer Anzahl Amtswalter
der Volksgruppe und den noch nicht eingekleideten Abiturienten vorläufig Unterkunft.
Der deutsche Gutshof lag etwa zweieinhalb km südlich von der szeklerischen Provinzstadt
Sfântu Gheorghe (St. Georgen), unweit des Passes im Karpathenwinkel (Buzău), über den
die Reste der achten und elften Armee in endlosem Strom nach Norden drängten. Stäbe,
Sondereinheiten, „Hiwis“ (nichtdeutsche Hilfseinheiten), z. T. noch kampffähige deutsche
Verbände sollten in Nordsiebenbürgen und bei Szegedin in Auffangsstellen wieder zum
Einsatz reorganisiert werden.
Bis zum 2. September 1944 jedoch hoffte die Gruppe der Amtswalter, SS-Urlauber und
jungen SS-Freiwilligen aus Kronstadt auf die Rückgewinnung des Burzenlandes und die
Wiederherstellung einer deutschen Widerstandslinie in den Süd- und Ostkarpathen. Am
zweiten Tage zermürbenden Wartens auf dem Gutshof brach bei Amtsleiter Otto Ließ, der
Die Ereignisse vom 23. August 1944
205
bereits während der ersten Stunden nach dem rumänischen Staatsstreich seelische Labilität
gezeigt hatte, der Wahnsinn aus. Otto Ließ entzog sich in einem unbewachten Augenblick
unserer Aufsicht und hielt zeitweise rückwärtsflutende Kolonnen mit dem schauerlich klingenden Ruf „20. Juli!“ auf. Dann wieder verklärten sich seine Gesichtszüge freudig, weil er in
den abziehenden Marschsäulen den herannahenden Entsatz zur Rückeroberung Kronstadts
zu sehen vermeinte. Erst nach dreistündigem Randalieren wagte es schließlich ein Major
der Wehrmacht, den Geisteskranken festzunehmen und gewaltsam in das Krankenhaus von
St. Georgen einzuliefern. Der Gutshof wurde von dem Ausbruch des wahnsinnig gewordenen Amtsleiters verständigt. Die Tobsuchtsanfälle von Otto Ließ, der in Kronstadt Ehefrau
und vier kleine Kinder zurückgelassen hatte, hörten erst auf, als er mehrere Betäubungsspritzen erhalten hatte. Otto Ließ starb auf dem Transportweg nach Neumarkt am Mieresch
(Târgul Mureşului). Die näheren Umstände seines Todes sind niemals bekannt geworden.
III. Ernennung von SS-Gruppenführer Phleps zum SS-Befehlshaber
Siebenbürgen/Banat
1) Die geplante Rückeroberung Kronstadts
Die fieberhafte Erwartung eines deutschen Gegenstoßes in Richtung Kronstadts und des
Predealpasses war nicht unbegründet.
Auf Vorschlag des Volksgruppenführers Andreas Schmidt hatte Reichsführer SS Heinrich
Himmler den in Jugoslawien operierenden SS-Obergruppenführer Arthur Phleps 54 von
seinem dortigen Kommando über drei deutsche Armeekorps abgelöst. Der siebenbürgischsächsische General Phleps befand sich spätestens am 1. September 1944 als SS- und Polizeibefehlshaber Siebenbürgen/Banat auf seinem Posten in Târgul Mureşului (Neumarkt am
Mieresch), wo er sogleich die Angriffsvorbereitungen zur Rückeroberung Kronstadts traf.
Der Plan des SS-Obergruppenführers Phleps, der jeden Fußbreit des Geländes kannte,
sah folgende Etappen vor:
Den deutschen Wehrmachtstellen war bekannt geworden, daß sich das Gros der rumänischen Heeresverbände ohne jede Sicherung des Karpathenkammes und des Predealpasses
im Kessel der Burzenländer Ebene gesammelt hatte. Infolgedessen sollten zwei deutsche
Stoßkeils beiderseits das Burzenland umgehen, mit ortskundigen Volksgruppenangehörigen
54
Arthur Phleps (1881-1944), Siebenbürger Sachse, Berufsoffizier. Absolvent der Infanterie-Offiziersschule in Preßburg (1898-1900) und der Kriegsschule Wiener Neustadt (1905-1907). Tritt 1900 als Unterleutnant in die österreichisch-ungarische Armee ein, Teilnahme am Ersten Weltkrieg. Am 1. März 1919 in die rumänische Armee mit dem
Grad eines Oberstleutnants aufgenommen. In der Zwischenkriegszeit hatte er in der rumänischen Armee wichtige
Ämter inne, und zwar Professor an der Kriegsakademie (15. Mai 1923 - 27. November 1926), Befehlshaber der 9.
Infanteriebrigade (1. April - 1. Oktober 1930), Befehlshaber der 1. Gebirgsjägerbrigade (1. Oktober 1930 - 1. Oktober
1934); Befehlshaber der 12. Infanteriedivision (15. Juni 1935 - 13. Oktober 1936), Befehlshaber der 21. Infanteriedivision (13. Oktober 1936 - 1. November 1937), Befehlshaber des Gebirgsjägerkorps (1. November 1937 - 1. Februar
1940), zur Verfügung des Kriegsministers (ab 1. Februar 1940). Trat 1941 der Waffen-SS bei und nahm an den
Kämpfen an der Ostfront im Rahmen der Division SS „Wiking“ teil. 1942 wurde er von Heinrich Himmler mit
der Aufstellung einer Division bestehend aus Volksdeutschen aus Rumänien, Serbien und Ungarn beauftragt, der
SS-Division „Prinz Eugen“. Befehlshaber der 7. SS-Freiwilligen Division „Prinz Eugen“ (1. Februar 1942 - 21. Juni
1943); Befehlshaber des V. SS-Gebirgs-Korps (21. Juni 1943 - 16. September 1944); „Höherer SS- und Polizeiführer
Siebenbürgen“ (16. - 21. September 1944). Von den Sowjets während einer Frontinspektion gefangen genommen,
am 21. September 1944 hingerichtet. Oberst (seit 28. Juni 1920); Generalmajor (seit 1. April 1933); Generalleutnant
(seit 1. Juni 1939); Eintritt in die SS am 30. Juni 1941 (Nr. 401214); Brigadeführer SS (seit 30. November 1941); Gruppenführer SS (seit 20. April 1942); Obergruppenführer SS (seit 21. Juni 1943). BB, BDC, SSO Akten Arthur Phleps;
K l e e (wie Anm. 26), S. 460f.
206
Ottmar Traşcă
die Karpathen überschreiten und beiderseits der Hauptverkehrstraße Kronstadt – Bukarest
in südlicher Richtung bis Sinaia vorstoßen, um von Sinaia her nach Norden rumänische
Positionen bis zu den Karpathen aufzurollen. Das Schicksal der in der Burzenländer Ebene
stationierten rumänischen Korps (dessen Chefs ausnahmslos ehemalige Militärschüler des
Generals Phleps waren) wäre damit besiegelt gewesen.
An sich war SS-Obergruppenführer Phleps ein General ohne Armee. Zur Durchführung
des Unternehmens hatte man die sogenannte „Edelweiß“-Division württembergischer und
bayrischer Gebirgsjäger55 bestimmt. Dem Divisionsstab in Sfântu Gheorghe war auch der
e. B. sogleich zugeteilt worden; er arbeitete mit dessen Ic zusammen.
Außerdem war dem SS-Obergruppenführer Phleps eine volksdeutsche SS-Reiter-Division
aus Ungarn56 (6) zugesagt worden, um das Unternehmen Kronstadt zu unterstützen. Diese
mitten aus der Ausbildung abkommandierte SS-Reiter-Division befand sich jedoch erst in
Anmarsch. 48 Stunden vor dem befohlenen Beginn der Aktion zur Rückgewinnung Kronstadts wurde jedoch das Unternehmen abgeblasen, weil über die Ostkarpathen sowjetische
Kavallerie-Einheiten eingesickert waren. Die bereitgestellten Einheiten der Edelweiß-Division wurden daher zur Abriegelung der Karpathenkämme alarmiert, so daß jede Hoffnung
schwand, binnen kurzem Kronstadt wieder zu nehmen.
2) Einzelheiten zum Rückzug der deutschen Wehrmacht aus Siebenbürgen
Die deutsche Südfront befand sich in Auflösung. Reste zweier deutscher Armeen strebten
nordwestwärts durch Siebenbürgen, um sich in Reichsungarn wieder zu sammeln.
Ungarische Verbände mit dem anfänglichen Zentrum in Klausenburg (Cluj) sollten die
Einheiten der Heeresgruppe des Generalobersten Friessner57 in der Abwehr unterstützen.
Die anfängliche Hoffnung auf eine deutsche Besetzung Südsiebenbürgens mußte inmitten
des allgemeinen Chaos aufgegeben werden. Auch erwies sich die ungarische Kampfmoral
noch schlechter als jene der deutschen Landser, die bereits einen demoralisierenden und
z. T. fluchtartigen Rückzug hinter sich hatten. Außerdem zeigte sich sehr bald die strategische Absicht der Roten Armee, Südost- und Mittelsiebenbürgen im Vormarsch zunächst
auszusparen, um durch eine Abschnürung im Nord- und Südwesten einen südostsiebenbürgischen „Sack“ zu schaffen. Das deutsche Heeresgruppenkommando befahl daher die
rasche Räumung der besetzten Südteile Siebenbürgens, um der geplanten sowjetischen
Zangenbewegung zu entgehen.
55
Nimmt Bezug auf die 1. Gebirgs-Division „Edelweiß“, Einheit, die im September 1944 dem Wehrmachtbefehlshaber
Südost unterstellt und in Serbien stationiert war. Die Division wurde erst im November der Heeresgruppe „Süd“
untergeordnet.
56 Nimmt Bezug auf die 8. SS-Kavallerie-Division „Florian Geyer“, eine Einheit, die im September 1944 an die Front
in Siebenbürgen versetzt wurde und der tatsächlich sehr viele aus Rumänien stammende Volksdeutsche angehörten. Die Division blieb in der Heeresgruppe „Südukraine“ (ab 23. September 1944 Heeresgruppe „Süd“) bis zum
Februar 1945 und wurde bei der Einkesselung von Budapest zerschlagen.
57 Johannes Frießner (1892-1971), deutscher Berufsoffizier. Absolvent der Offiziersschule Hannover (1911-1912).
Eintritt als Leutnant in der kaiserliche Armee (1912), Teilnahme am Ersten Weltkrieg. Danach von der Reichswehr
und später von der Wehrmacht übernommen. Inspekteur des Erziehungs- und Bildungswesens (1. September
1939 - 1. Mai 1942); Befehlshaber der 102 Infanteriedivision (1. Mai 1942 - 19. Januar 1943); Befehlshaber des XXIII.
Armeekorps (19. Januar 1943 - 31. Januar 1944); Befehlshaber der „Armee-Abteilung Narwa“ (23. Februar - 3. Juli
1944); Befehlshaber der Heeresgruppe Nord (3.-25. Juli 1944); Befehlshaber der Heeresgruppe „Südukraine“ – ab
dem 23. September 1944 Heeresgruppe „Süd“ (25. Juli - 22. Dezember 1944); Führerreserve (seit 22. Dezember 1944);
in Gefangenschaft der Alliierten (1945-1947). Generalleutnant (seit 1. Oktober 1942); General der Infanterie (seit
1. April 1943); Generaloberst (seit 1. Juli 1944). Vgl. über ihn Hans F r i e s s n e r : Verratene Schlachten. Die Tragödie
der deutschen Wehrmacht in Rumänien und Ungarn. Hamburg 1956.
Die Ereignisse vom 23. August 1944
207
Aus persönlichen Eindrücken und Gesprächen möchte der e. B. folgende Einzelheiten zum
Rückzug der deutschen Wehrmacht aus Rumänien vermerken:
Die meisten der rumänischen Frontoffiziere und Einheiten waren von der Entwicklung des
23. August fast ebenso überrascht wie die deutschen Wehrmachtangehörigen. Die kampflose
Aufgabe der sogenannten „Linie Antonescu“ zwischen Pruth und den Vorbergen der Ostkarpathen58 blieb den Kriegsteilnehmern unverständlich, bis die Communiques und Bündnisverpflichtungen der Bukarester Putschregierung Rădescu59 für diese künstlich geschaffenen
Frontlücken angesicht der sowjetischen Offensive eine nachdrückliche Erklärung lieferten (7).
Mit ganz geringen Ausnahmen zeigten rumänische Offiziere und Soldaten gegenüber
Wehrmachtteilen und einzelnen Landsern fast schuldbewußte Kameradschaftlichkeit. Selbst
Kommandeure größerer rumänischer Einheiten verzichteten auf Kampfhandlungen und die
Gefangennahme versprengter und unterlegener deutscher Wehrmachtteile und Soldaten.
Erst der deutsche Luftwaffenangriff gegen den Königspalast in Bukarest – von Luftwaffengeneral Gerstmaier60 befohlen – löste als Reaktion eine verschärfte rumänische „Frontstellung“
gegen den deutschen Bundesgenossen von gestern aus.
Als sicher verbürgte Einzelheit am Tage des 23. August 1944 berichtete dem e. B. auf dem
Rückzug ein Gewährsmann: die Gattin des Staatsführers Antonescu, Maria Antonescu61,
erklärte am Vormittag dieses Tages einem Lederfabrikanten (Mieß?62): „Ach, Sie werden
sehen was heute noch geschieht!“ – Über die Rolle des Reservehauptmannes Dr. Ion V.
Emilian63 zwischen dem 23. und 25. August 1944 in Bukarest ist an zuständiger Stelle des
Bundesarchivs ein Hinweis erfolgt.64
Die Seele des bewußten und planenden Widerstandes in Siebenbürgen war bis zu seinem
Soldatentod fraglos der getreue Sohn seiner siebenbürgischen Heimat, General Phleps.
58
59
60
61
62
63
64
Nimmt Bezug auf die befestigte Verteidigungslinie Focşani – Nămoloasa – Brăila.
Es handelt sich um einen Irrtum. Die Waffenumkehr wurde am 23. August 1944 von König Mihai I. durchgeführt,
der am gleichen Abend ernannten Regierung stand General Constantin Sănătescu vor.
Irrtum. Bezieht sich auf Alfred Gerstenberg (1893-1959), deutscher Berufsoffizier. Absolvent der Kriegsschule in
Danzig (1912-1913). Tritt 1913 als Leutnant in die kaiserliche Armee ein, Teilnahme am Ersten Weltkrieg. Generalstabschef des Deutschen Luftsportverbandes (1. Juli - 30. September 1934); Generlstabschef der Luftwaffe-Reserve
(1. Oktober 1934 - 1. August 1936); Instrukteur in der Kampffliegerschule Tutow (1. August 1936 - 31. März 1938);
Luftwaffenattaché in Warschau (1. Juni 1938 - 1. September 1939) und danach Bukarest (1. Juni 1938 - 23. August
1944); Befehlshaber der Luftwaffe und der Deutschen Luftwaffenmission in Rumänien (15. Februar 1942 - 23. August
1944). Nach dem 23. August 1944 leitete er den deutschen Angriff zur Rückeroberung von Bukarest und ordnete die
Bombardierung der Stadt an. Wurde von den sowjetischen Truppen am 28. August 1944 gefangen genommen und
am 12. Oktober 1955 entlassen. Vgl. über ihn: AMAE, Fond 14 Reprezentanţi/Germania, G 14 – Alfred Gerstenberg.
Maria Antonescu (1892-1964), Gattin von Marschall Ion Antonescu. Unter ihrer Schirmherrschaft wurde ein Rat
gegründet, um den rumänischen Militärangehörigen an der Front zu helfen. Am 14. September 1944 verhaftet und
der betrügerischen Verwaltung von Hilfsfonds beschuldigt. Von März 1945 bis April 1946 in der UdSSR in Haft,
danach bis 1955 in Rumänien. Nach der Haftentlassung Zwangsdomizil in der Gemeinde Lăţeşti. Vgl. über ihn:
Dicţionar enciclopedic I (wie Anm. 19), S. 84f.
Konnte nicht identifiziert werden.
Ion Valeriu Emilian (1905-1985), rumänischer Anwalt, Journalist und Militärangehöriger in Reserve. Jura-Studium
an der Universität Bukarest, Dr. jur.; Mitglied der rechtsradikalen „Liga Apărării Naţional Creştine“ (Liga der national-christlichen Verteidigung), später der National-Christlichen Partei (Partidul Naţional Creştin). Chefredakteur
der Zeitung „Apărarea Naţională“, Leiter der Organisation „Svastica de Foc“ (Feuer-Hakenkreuz, 1937) und Präfekt
des Kreises Neamţ während der Regierung O. Goga – A. C. Cuza (1937-1938). Während des Zweiten Weltkrieges
Teilnahme an der Ostfront; von den Ereignissen des 23. August 1944 enttäuscht, tritt er im Januar 1945 mit einem
Teil seiner Kavalleriekompagnie auf deutsche Seite über. Wurde später ein wichtiger Vertreter des rumänischen
Exils; Gründer und Leiter der Zeitung „Stindardul“. Über ihn freundliche Mitteilung von Herrn Claudiu Secaşiu,
dem ich dafür zu Dank verpflichtet bin.
Konnte nicht ermittelt werden.
208
Ottmar Traşcă
3) Die Note der Reichsregierung an Bukarest betreffend die Evakuierung
der Deutschen aus Südsiebenbürgen
Der Erinnerung des e. B. zufolge ließ SS-Obergruppenführer Arthur Phleps zu Neumarkt am
Mieresch den e. B. in der Nacht vom 4. auf den 5. September 1944 in sein Stabsquartier rufen
und empfing ihn kurz nach Mitternacht in seinem Kartenzimmer. Dem e. B. war General
Phleps aus früher Jugend persönlich bekannt. Der e. B. hatte u. a. während seines Abiturien­
tenjahres in der Kronstädter Villa des Generals gewohnt.
SS-Obergruppenführer Phleps sagte zum e. B.: „Sehen Sie, vor ein paar Tagen hat die Deutsche Reichsregierung eine Note an die Regierung in Bukarest aufgesetzt, die Sie gemeinsam
mit dem Kavalleriemajor v. …65 als SS-Untersturmführer zur Weiterleitung zu überreichen
haben. Vor zwei Tagen hat man uns im Frontabschnitt bei Sfântu Gheorghe unsere Parlamentäre fast zusammengeschossen. Sie können von unseren Leuten am besten Rumänisch
und werden es schon schaffen“.
In dem nachfolgenden persönlichen Gespräch äußerte Phleps seine ungebrochene Hoffnung auf die Rückgewinnung Südsiebenbürgens und auf die Rettung des dort zurückgebliebenen deutschen Bevölkerungsteiles. Er dachte in jener Stunde an die von rotarmistischer
Vergewaltigung bedrohten Frauen und Mädchen unseres Stammes und entließ den e. B.
nach einer knapp halben Stunde.
Die Überreichung der Note der Reichsregierung: Im nachfolgenden werden bewußt Einzelheiten und Begleitumstände dieses Auftrages erwähnt, weil sie für die damalige Gesamtlage charakteristisch waren:
Von ein Uhr bis halb sechs Uhr früh mußten Major v. …66 und der e. B. die „historischen“
Ausrüstungsstücke für Parlamentäre zusammensuchen. Zunächst raste unser Kommandowagen zwei Stunden durch die Gegend, um den erforderlichen Sprit für den Parlamentärsauftrag zu beschaffen. Als weiße Fahne wurde das Bettlaken des e. B. an einer Bohnenstange
befestigt. Nach dreistündiger Suche entdeckte man endlich den Feldwebel eines Musikkorps,
der auf der Flucht aus der Moldau wohl nicht seine Trompete, dafür aber wenigstens das zugehörige Mundstück behalten hatte und als Künstler seines Faches sogar auf dem Mundstück
allein zu blasen verstand. Indessen borgte uns auf dem Wege zur rumänischen Frontstellung
eine Apothekersgattin ihren großen Weintrichter, so daß die Trompete komplett wurde.
Auf der Fahrt zu der befohlenen Frontstelle, wo bis zum 5. September noch keine Kampfhandlungen stattgefunden hatten, begleitete uns ein deutscher Hauptmann bis zu dem letzten
Dorf auf ungarischem Boden. Der Begleiter des Hauptmanns war ein seit Tagen unrasierter
Feldwebel, der sich nach seiner Flucht nicht rasieren wollte, bis eine deutsche Einheit wieder
auf dem Marktplatz von Schäßburg einrücke.
Der unwahrscheinliche Zwischenfall aber ereignete sich knapp vor der Überquerung der
Frontstelle nördlich der deutschsprachigen Gemeinde …67 Major Graf von …68 und der e. B.
lassen eilig den Inhalt der unverschlossenen Note der Reichsregierung, welche die persönliche
65
Fehlt im Text. Nimmt auf Major Hans von Schack (1913-?) Bezug, deutscher Berufsoffizier. Im September 1944 war
er Offizier im Befehlsstab der Heeresgruppe „Südukraine“, danach Regimentskommandeur in der 8. SS-Kavalleriedivision. Von den sowjetischen Truppen am 13. Februar 1945 bei der Belagerung von Budapest gefangen genommen
(in den Gefangenenlagern Uman, Ural, Moskau und Swerdlowsk), am 13. Dezember 1955 in die Bundesrepublik
entlassen. Über ihn freundliche Mitteilung der Deutschen Dienststelle (Wast) Berlin.
66 Fehlt im Text. Nimmt auf Major Hans von Schack Bezug.
67 Fehlt im Text.
68 Fehlt im Text. Nimmt auf Major Hans von Schack Bezug.
Die Ereignisse vom 23. August 1944
209
Unterschrift des Generalobersten Friessner trug69, durch. Dabei entdeckte der e. B. einen sinnstörenden Fehler im Text der Note. Die Reichsregierung hatte für den Fall, daß das Bukarester
Generalskabinett die Öffnung eines Frontschlauches zum Hinausschleusen der deutschen
Bevölkerung aus Südsiebenbürgen verweigerte, Repressalien gegen die in dem damals ungarischen Nordsiebenbürgen lebenden Rumänen angedroht. Sinngemäß lautete die Stelle etwa:
„Sollte die königlich-rumänische Regierung diesen Vorschlag der Reichsregierung ablehnen,
so hätte die königlich-rumänische Regierung mit Repressalien gegen die Rumänen und Ungarn zu rechnen.“ Dieser grobe Textfehler war für die Rast jener Stunden kennzeichnend.
Was tun? Major v. …70 war ebenso wie der e. B. überzeugt, daß die Note in dieser Form
und mit dem geradezu lächerlichen Passus nicht überreicht werden konnte. Während Graf
v. K.71 unschlüssig zögerte, stellte sich der e. B. an einen Gartenplanken und verbesserte mit
Füllfeder das ominöse „und“ in ein „in“.
Damit waren die Vorbereitungen zum Parlamentärsauftrag endgültig abgeschlossen.
Durch den Schlagbaum des letzten ungarischen Dorfes führte uns ein ungarischer Gendarmeriewachtmeister durch eine freie Gasse des angelegten Minenfeldes und äußerte vermutungsweise, daß die rumänische Armee in der Gegenstellung ebenfalls Minen gelegt hätte.
Wir fuhren hierauf – der Major, ein Feldwebel als Trompeter, ein Fahrer und der e. B. – „wie
auf Eiern“ südwärts, mit flatterndem Bettlaken an der Bohnenstange. Der e. B. brüllte laut
auf rumänisch: „Wir sind deutsche Parlamentäre, führt uns zum rumänischen Kommando!“
Niemand zeigte sich, lediglich hinter entfernten Sträuchern und Büschen konnte Bewegung
beobachtet werden. Kurz vor dem Grenzschlagbaum des Dorfes …72 traten endlich einige
aus Südrumänien stammende Soldaten und Unteroffiziere auf uns zu und erklärten, sie
hätten sich darum nicht gezeigt, weil sie in unserem offenen Kommandowagen einen leichten Panzer vermutet hätten. Sogleich ließen die rumänischen Soldaten durch herbeieilende
deutsche Dorfbewohner Wein holen, führten uns bis unmittelbar an den Dorfrand und es
begann ein herzliches Gespräch, sowie ein Geldtausch zwischen den deutschen und rumänischen Landsern.
Inzwischen war der kommandierende rumänische Hauptmann der Fronteinheit verständigt worden. Die deutschen und rumänischen Dorfbewohner verzogen sich blitzschnell. Der
e. B. vermochte einem deutschen Bauern des Ortes hastig die Flucht nach Norden anzuraten,
weil an dieser Stelle für den 6. September ein deutscher Vorstoß geplant war.
Der rumänische Hauptmann begrüßte uns äußerst formell und schneidend kalt. Wir mußten in dem Gelände mit den von Major v. …73 eingesehenen rumänischen Stellungen zwei
km zurückfahren. Zwei rumänische MGs gingen am Straßenrand in Stellung. Man band uns
weiße Tücher vor die Augen und ein rumänischer Fahrer brachte den Kommandowagen
zum Sitz des rumänischen Bataillons am Dorfrand von …74 Nach halbstündigem Warten
erschien auch ein rumänischer Major aus dem unweit südlich gelegenen Schäßburg, dessen
persönliche Herzlichkeit uns gegenüber nur anfänglich von dem frostigen Benehmen des
69
70
71
72
73
74
Die deutsche Fassung der Note in: Akten zur deutschen Auswärtigen Politik 1918-1945. Serie E: 1941-1945, Bd. 8: 1. Mai
1944 - 8. Mai 1945. Göttingen 1979, S. 408f. Die tatsächlich leicht abgeänderte Fassung in rumänischer Sprache befindet
sich im Archiv des rumänischen Außenministeriums Bukarest, Bestand 71/România, Bd. 384, S. 497f., und wurde
abgedruckt in: Germanii din România 1944-1956 [Die Deutschen in Rumänen 1944-1956]. Hg. Hannelore B a i e r .
Sibiu 2005, S. 53f.
Fehlt im Text. Nimmt auf Major Hans von Schack Bezug.
Fehlt im Text. Nimmt auf Major Hans von Schack Bezug.
Fehlt im Text.
Fehlt im Text. Nimmt auf Major Hans von Schack Bezug.
Fehlt im Text.
210
Ottmar Traşcă
rumänischen Hauptmanns abstach. Wir teilten den beiden Verhandlungspartnern mit, daß
wir noch am gleichen Tage eine Antwort der königlich-rumänischen Regierung aus Bukarest erwarteten. Während die Drahtgespräche zwischen der Frontstelle und Bukarest liefen,
warteten wir mit dem rumänischen Hauptmann gemeinsam auf die rumänische Antwort.
Beim Glase Wein taute der rumänische Hauptmann auf und offenbarte eine beeindruckende
Deutschfreundlichkeit sowie einen eindeutigen Haß gegen die Bolschewisten. Er sagte: „Sehen Sie, meine Herren, mein Urgroßvater war Minister im Kabinett des ersten Fürsten der
Vereinigten Fürstentümer Muntenien und Moldau, des Fürsten Alexandru Cuza. Wir haben
alle nur ein Leben. Wenn es mir zu bunt wird, kostet es nur eine Kugel.“ Und er deutete mit
der rechten Hand den auf die Stirne gerichteten Pistolenlauf an.
Am Abend des 5. September 194475, eine Stunde vor Mitternacht verließ unser Kommandowagen ohne den angeforderten Bescheid aus Bukarest die Frontstelle und wurde bis zu
den ungarischen Einheiten von zwei rumänischen Unteroffizieren begleitet, die auf dem
Trittbrett des Wagens standen. Sie fragten den e. B. kurz vor dem Abschied: „Sollen wir
nicht mit Euch mitkommen – hinüber?“ Mit Rücksicht auf unseren Auftrag als Parlamentäre
mußte der e. B. dieses Angebot ablehnen.
Am nächsten Morgen war dieser Raum der letzten friedlichen deutsch-rumänischen Begegnung vom Geschützdonner und vom Heulen und Pfeifen der MPs, MGs und Karabiner erfüllt,
rollten Angriff und Gegenangriff des zahlen- und waffenmäßig weit überlegenen Gegners.
Etwa einen Monat später erfuhr der e. B., daß die rumänische Regierung diese Note der
Reichsregierung mindestens in den Tageszeitungen des rumänischen Banates publizieren
ließ und zur Zeit der Überreichung dieser Note mit einer Evakuierung grundsätzlich einverstanden gewesen wäre. Doch nicht mehr ein königlich-rumänischer Premier regierte damals
in Bukarest, sondern der sowjetische Befehlshaber der Südfront.
4) Teilangaben über Folgen des 23. August 1944 für die Deutschen des Banats
Die Rote Armee überließ zunächst Südsiebenbürgen den neuen rumänischen Verbündeten,
dem Nordsiebenbürgen als Belohnung für den Frontwechsel in Aussicht gestellt worden
war. Im Zuge der großräumigen Einkesselungsstrategie stießen dafür rotarmistische Stoßkeile in der Großen und Kleinen Walachei nach Westen vor, um schnellstens das Eiserne
Tor zu besetzen. Infolgedessen war das rumänische Banat früher als Siebenbürgen in der
Hand der Sowjets.
Schwache deutsche Kräfte versuchten zunächst, zwischen dem 5. und 7. September 1944
den Hauptort des rumänischen Banates, Temeswar, zu nehmen. Wenige km vor der Stadt
blieb die deutsche Offensive liegen. Daraufhin erfolgte ein kurzfristig berechneter Vorstoß
an einigen Stellen der noch nicht endgültig gebildeten Front. So wurde für zwei Tage die
Stadt Arad genommen; ebenso die deutsche Großgemeinde Liebling, so daß ein Teil der
gefährdeten deutschen Bevölkerung nach Westen evakuiert werden konnte.
Die Hoffnung der Deutschen des rumänischen Banats auf Rückgewinnung ihres Gebietes
durch die Deutsche Wehrmacht blieb – genau so wie für Siebenbürgen – unerfüllt. Einzelnen
Amtswaltern der Volksgruppe gelang es, aus Temeswar zu flüchten. Zu diesen gehörten
75
Die Angabe ist falsch. Der Auftrag von Otto Liess endete am 3. September 1944. Einen Tag später, am 4. September
1944, informierte Andreas Schmidt Berlin über das Scheitern der Verhandlungen mit der rumänischen Seite betreffend die Evakuierung der Volksdeutschen aus Kronstadt und dem Burzenland. Vgl. dazu PAAAB, R 101118,
Inland II, geheim, Berichte und Meldungen zur Lage in und über Rumänien, Bd. 427, 1944-1945, Inland II 526 gRs.
Telegramm Nr. 1 Andreas Schmidts (Sondereinsatz Ullrich-Marosvásárhely) vom 4. September 1944, gezeichnet
Andreas Schmidt.
Die Ereignisse vom 23. August 1944
211
u. a. Kreisleiter Christoph Huniar76, Amtsleiter Sepp Komanschek77, Chefredakteur Josef
Gassner78 von der Ausgabe Banat der „Südost-Deutschen Tageszeitung“/Temeswar.
Im übrigen erfüllte sich gleich in den ersten Tagen nach dem rumänischen Frontwechsel
Gassners Vorhersage bezüglich der Haltung eines Großteils seines Redaktionsstabes. Während sein außenpolitischer Redakteur Andreas Vogel in der Waffen-SS Frontdienst leistete, ging der stellv. Chefredakteur Robert Reiter79 mit einer Anzahl von Redakteuren zum
„Antifaschismus“ über – ein Schritt, der offenbar von Reiter längst vorbereitet worden war.
Amtsleiter Walter May hatte den Vorstoß nach Arad mitgemacht und während der zweitägigen deutschen [Besetzung] auch noch eine Nummer der „Arader Zeitung“ Nikolaus
Bittos80 herausgebracht.
Aus persönlichen Berichten des im Mai 1945 an den Folgen einer Kriegsverwundung verstorbenen Banater Amtsleiters Rudolf Ferch81 (8) wurde dem e. B. im November bekannt, daß
76
77
78
79
80
81
Richtig Kristof Huniar (1897-1981), Landwirt, Mitglied der Volksgruppenführung. Teilnahme am Ersten Weltkrieg;
danach in Landwirtschaft und Weinexport tätig. Gaubauernführer der DVR im Banat (1939-1944). Flieht im September 1944 nach Deutschland. Wird ab März 1946 von der amerikanischen Besatzungsmacht im CIE-Zentrum Dachau
verhört und im September 1946 freigelassen. Nach 1948 Tätigkeit als Geschäftsführer des „Bauernverbandes der
Vertriebenen“. Vgl. über ihn Anton Peter P e t r i : Biographisches Lexikon des Banater Deutschtums. Marquartstein
1992, S. 797; freundliche Mitteilung der Deutschen Dienststelle (Wast) Berlin.
Josef Komanschek (1912-1983), Diplomlandwirt, Mitglied der Volksgruppenführung. Landwirtschaftsstudien in
Stuttgart-Hohenheim und Berlin (1929-1934); seit 1935 in der Landwirtschaftlichen Zentralgenossenschaft in Temeswar tätig; Hauptabteilungsleiter des Landesbauernamtes der DVR (1940-1944); Leiter des „Landesverbandes
der deutschen Genossenschaften in Rumänien – Raiffeisen“ (1941-1944). Nach dem 23. August 1944 flüchtete er
nach Deutschland; gehörte der im Januar 1945 über Rumänien abgesprungenen Fallschirmspringergruppe an. Wird
sofort nach der Landung im Semenik-Gebirge gefangen genommen. Zunächst von den rumänischen Behörden
verhört, nachher den Sowjets übergeben, kommt in die Gefängnisse und Lager Moskau und Workuta. 1955 in die
Bundesrepublik entlassen. Bis zur Pensionierung 1977 im Rahmen der Landwirtschaftsverwaltung des Landes
Baden-Württemberg tätig und Landesvorsitzender der Landsmannschaft der Banater Schwaben aus Rumänien in
Baden-Württemberg (1965-1976). Vgl. über ihn: P e t r i (wie Anm. 76), S. 982f.
Josef Gaßner (1899-1971), Diplomvolkswirt und Journalist. Studien der Germanistik und Volkswirtschaft in Budapest und Mannheim (1919-1923); Journalist bei der „Banater Deutschen Zeitung“ (1925-1927); Hauptschriftleiter
der „Temeswarer Zeitung“ (1927-1940); Chefredakteur der „Banater Deutschen Zeitung“ beziehungsweise „Südostdeutschen Tageszeitung – Ausgabe Banat“ (1940-1944). Flieht im September 1944 aus dem Banat und ist danach
beim „Pester Lloyd“ (Oktober 1944 - März 1945) tätig. Setzt die journalistische Tätigkeit nach dem Krieg fort und
ist Chefredakteur der Zeitung „Neuland“ in Salzburg (1948-1951). Lässt sich 1959 in München nieder und ist freier
Mitarbeiter des „Südostdeutschen Instituts“ (1959-1965), wird 1965 Geschäftsführer des „Südostdeutschen Kulturwerkes“. Vgl. über ihn: P e t r i (wie Anm. 76), S. 520f.
Robert Reiter (1899-1989), banat-schwäbischer Journalist, Schriftsteller, Dramaturg, Übersetzer. Künstlername Franz
Liebhard. Während des Philologiestudiums in Budapest und Wien (ab 1917) begann er bei den Sozialdemokraten
aktiv zu werden, was er nach der Rückkehr nach Temeswar (1925) fortsetzte und weswegen er verhaftet wurde. Als
Redakteur an verschiedenen Zeitungen in Temeswar tätig, darunter der „Südostdeutschen Tageszeitung – Ausgabe
Banat“ (1941-1944). Zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion deportiert (1945-1948), später Dramaturg am Deutschen
Staatstheater Temeswar (1953-1968). Vgl. über ihn: P e t r i (wie Anm. 76), S. 1550.
Nikolaus Bitto (1894-1962), Journalist und Druckereibesitzer, Vertreter der deutschen Minderheit in Rumänien.
Herausgeber der „Arader Zeitung“ (seit 1920). Weigert sich 1941, diese Zeitung der Volksgruppenführung zur
Verfügung zu stellen. Militärdienst in der rumänischen Armee (1943-1944), nach Arad zurückgekehrt, wird er am
16. September 1944 verhaftet und zunächst in Budapest, dann in den KZ Dachau und Flossenbürg inhaftiert. Nach
1945 Rückkehr ins Land, wo sein Eigentum 1948 verstaatlicht wird und er in seinem einstigen Betrieb als Angestellter arbeiten muss. Vgl. über ihn: P e t r i (wie Anm. 76), S. 149f.
Rudolf Ferch (1898-1945), Maler, Graphiker, Journalist, Mitglied der DVR. Teilnahme am Ersten Weltkrieg; Kunststudien an der Dresdener Akademie für bildende Kunst sowie in München (1922-1925). Künstlerische und journalistische Tätigkeit in Temeswar und Kronstadt. Während des Zweiten Weltkriegs Tätigkeit als Kriegskorrespondent. 1941 an die Ostfront in der rumänischen Armee einberufen, wird er schwer verletzt und entlassen. Danach
journalistische Tätigkeit in Kronstadt. Nach dem 23. August 1944 zur Waffen-SS eingezogen, schwer verletzt, stirbt
im April 1945 in der Region Linz. Vgl. über ihn: P e t r i (wie Anm. 76), S. 444f.
212
Ottmar Traşcă
z. T. unter Ferchs persönlichem Kommando die Rückzuglinie im rumänischen und serbischen
Banat nicht von Wehrmachtangehörigen, sondern 15- bis 17jährigen, unausgebildeten Banater Freiwilligen gehalten wurde. In einem Falle z. B. verschanzte sich in einem der Banater
Dörfer alt und jung auf dem Friedhof und wurde von den angreifenden Rotarmisten bis zum
letzten Mann niedergemacht. Da die kleine Kampfgruppe Ferchs noch einmal bis zu diesem
Dorfe vorstieß, konnte sie sich von dem Massaker unter den Dorfbewohnern überzeugen.
Ebenfalls im Oktober 1944 erhielt der e. B. von Sepp Komanschek sein Tagebuch des Rückzugs ausgehändigt. Seine Aufzeichnungen gehören zu den zeitunmittelbaren, einwandfreien
Dokumenten des deutschen Rückzugs aus dem Südosten.
IV. Das Ende des SS-Obergruppenführers Phleps und die Rückzugsstation
Budapest und Wien.
1) Der letzte Lebenstag des Generals Phleps
Bis zum Tode des Generals Phleps war der e. B. gemeinsam mit Untersturmführer Michnay82 aus Hermannstadt, unter Obersturmführer Andras83 (eigentlich Andrassy) dem Stabe
Phleps zugeteilt.
Der Stab des „Generals ohne Armee“ wurde aus Neumarkt am Mieresch (Târgul Mureşului)
noch einmal für kurze Zeit auf rumänischen Boden, in den Gutshof einer ungarischen Baronin, verlegt, dann zog sich der Stab in den Ort D…84 etwa 23 km nördlich von Sighetul
Marmaţiei (Máramarossziget) zurück. Diese rasche Rückverlegung des aus Offizieren der
Waffen-SS und Wehrmacht zusammengerafften Stabes Phleps war ein sicheres Anzeichen
für die chaotischen Frontverhältnisse auf deutscher Seite. Denn Phleps pflegte mit seinem
Stab stets in unmittelbarer Nähe des Frontverlaufes auszuharren.
Etwa gegen den 20. September 1944 wurde Phleps zur Berichterstattung ins Führerhauptquartier, bzw. zu Reichsführer SS Heinrich Himmler befohlen. Damals befand sich der
Standort seines Stabes noch auf dem südsiebenbürgischen Gutshof, den seine Bewohner
verlassen hatten.
Am Morgen seines Abschieds von uns hielt Arthur Phleps an die Offiziere seines Stabes
noch eine ruhige, zuversichtliche Ansprache (9), dann fuhr er mit seinem Adjutanten, SSUntersturmführer Wagner85 sowie einem Feldwebel als Fahrer in einem leichten Geländewagen südwärts, um vor der Berichterstattung bei Heinrich Himmler eine kurze Frontbe82
Koloman Michnay (1907-?), Buchbindermeister und SS-Offizier. Mitglied der NSDAP (Nr. 1748). Studium an der
„Akademie für graphische Künste und Buchgewerbe“ in Leipzig, Tätigkeit als Abteilungsleiter der Buchbindereiabteilung (1933-1941) bei der Firma „Gratiosa“; Leiter der Abteilung Verlag der Firma Krafft & Drotleff, dem
Hauptverlag der DVR (1941-1943). Geht im März 1943 als Freiwilliger zur Waffen-SS. Untersturmführer SS (seit
30. August 1944). Vgl. über ihn: BB, BDC, SSO Akten Koloman Michnay.
83 Richtig Hans-Karl Andras (1916-?), Exportkaufmann und SS-Offizier. Nach dem Gymnasiumsabschluss Tätigkeit
als Exportkaufmann in Jugoslawien, Kroatien und Ungarn. Militärdienst in der jugoslawischen Armee (19. April
1939 - 19. Januar 1940) und nach dem Zerfall Jugoslawiens in der kroatischen Armee (17. November 1941 - 30. Januar
1942). Hauptamtsleiter in der Deutschen Volksgruppe in Kroatien (1941-1942). Tritt 1942 der Waffen-SS bei; Offizier
im Generalkommando V. SS-Geb. AK „Prinz Eugen“ (30. Januar 1944 - 17. März 1945); Offizier Ic im Befehlsstab 16
der SS-Panzergrenadier-Division „Reichsführer SS“ (seit 17. März 1945). Vgl. über ihn: BB, BDC, SSO Akten HansKarl Andras.
84 Fehlt im Text.
85 Rolf Wagner (1922-1944), Kaufmann, SS-Offizier. Tritt am 11. September 1939 als Freiwilliger in die SS ein. Mitglied
der „Leibstandarte SS Adolf Hitler“ (11. September 1939 - 4. Juni 1942): Mitglied der SS Nachrichtenabteilung 105 (ab
18. August 1943); abkommandiert zum Generalkommando V. SS-Geb. Korps, als Nachrichten-Offizier beim Stabe
(ab Februar 1944); am 5. August 1944 abkommandiert von SS-N.A. 105, zu Waffen-Geb. Div. SS-„Skanderberg“,
Die Ereignisse vom 23. August 1944
213
sichtigung im Gebiet des rumänischen Banates durchzuführen. Phleps war als Befehlshaber
der Waffen-SS und Polizei Siebenbürgen auch das Banat unterstellt worden, so daß diese
Inspektionsfahrt sachlich durchaus begründet erschien.
Etwa zwei Tage nach der Abfahrt des SS-Obergruppenführers befahl sein Stabschef, ein
Oberstleutnant der Wehrmacht, die Verlegung des Stabes in das Dorf der Máramaros. Von
der Reichsführung SS oder vom Führerhauptquartier erhielten wir keinerlei Bestätigungen
des Generals Phleps zur Berichterstattung. Zu der allgemeinen Besorgnis über die Frontlage
gesellte sich die Befürchtung über das Schicksal des siebenbürgisch-sächsischen Generals.
Die ungarischen Verbände in unserem Kampfraum zeigten keinerlei Standvermögen. Auch
auf deutscher Seite schienen Stäbe, Sondereinheiten und „Hiwis“ gegenüber Fronteinheiten
zu überwiegen. Noch entsinnt sich der e. B. jener kleinen Rückzugsszene, als eine ungarische
Mannschaft ihren verwundeten Leutnant auf einem Packgeschütz hinter die Front transportierte. Schließlich befahl Obersturmführer Andras den ungarischen Batterieangehörigen, das
Geschütz wieder nach vorne zu bringen und ihren Leutnant auf einem requirierten Bauernwagen weiterzutransportieren.
Bestätigung über das Ende von Phleps: Sobald Arthur Phleps, Oberkommandierender
eines illusionären Armeekorps, als vermißt gemeldet worden war, begann eine fieberhafte
Suche. Erst nach zehn Tagen unerträglichen Wartens traf vom ungarischen Armeestab die
Meldung eines ungarischen Oberleutnants ein, der im Raum von Arad den gemeinsamen
deutsch-ungarischen Vorstoß und Rückzug miterlebt hatte. Der Stab Phleps erhielt das
Soldbuch und die „Hundemarke“ des Generals eingehändigt. Die Meldung des ungarischen
Oberleutnants über das Ende des SS-Obergruppenführers lautete, wie folgt:
General Phleps hatte mit seinem Wagen den Frontabschnitt bei Arad inspiziert, der von
ungarischen Truppen gehalten wurde. Da in diesem Frontbereich jegliche Warnung vor
Feindeinsicht und Feindnähe fehlte, geriet Phleps mit seiner Begleitung unversehens in
eine vorpreschende sowjetische Panzerspitze, die den General, seinen Adjutanten und den
Fahrer auf einen Gutshof innerhalb der Bannmeile von Arad brachte. Arthur Phleps trug
Extra-Uniform und war daher als General ohne weiteres erkenntlich. Als gegen die rotarmistischen Panzer rings um den Gutshof ein deutscher Stuka-Angriff erfolgte, wurde Phleps
von den sowjetischen Panzersoldaten auf dem Gutshof erschossen, da diese selbst eine Gefangennahme befürchteten und sich entschlossen, den General kurzerhand zu liquidieren.
Das Gutsgebäude mußte in unmittelbarer Straßennähe gelegen sein. Sonst hätte der obenerwähnte ungarische Oberleutnant den Leichnam des Generals nicht finden und aufnehmen können. Der ungarische Oberleutnant führte den Leichnam in seinem Geländewagen
solange mit, bis starkes Feuer auf der Straße ihn zwang, das Fahrzeug stehen zu lassen.
Eigener Aussage zufolge, hat der Oberleutnant darauf Arthur Phleps dessen Soldbuch und
Blechnummer abgenommen und den Leichnam selbst einem Einwohner an der Straße zur
Bestattung übergeben.
Der Umstand, daß dieses Ende des siebenbürgisch-sächsischen Generals so merkwürdige
und unüberprüfbare Einzelheiten enthielt, bot damals und später einer wilden Legendenbildung reichlich Nahrung. Z. B. wurde behauptet, der SS-Obergruppenführer Ohlendorff86
Dienstantritt nach Abschluss des Unternehmens „Rübezahl“. Gefallen am 21. oder 23. September 1944. Vgl. über
ihn: BB, BDC, SSO Akten Rolf Wagner.
86 Otto Ohlendorf (1907-1951), deutscher Wirtschaftsfachmann und Jurist. SS-Offizier. Wirtschafts- und Jura-Studien
in Leipzig und Göttingen. Tritt am 28. Mai 1925 der NSDAP bei (Nr. 6531), und ein Jahr später der SS (Nr. 880).
Tätigkeit im Rahmen des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel (seit Oktober 1933), Referent für Wirtschaftsfragen des
SD (seit 1936). 1939-1945 Leiter der Abteilung III (Amt III – SD Inland) des RSHA. Befehlshaber der Einsatzgruppe
214
Ottmar Traşcă
habe Phleps wegen Defaitismus und „Wehrkraftzersetzung“ beim Reichsführer SS Himmler bezichtigt. Himmler habe Phleps zur Rechtfertigung seiner Haltung ins Führerhauptquartier beordert. Phleps habe unterwegs Selbstmord begangen bzw. sei liquidiert worden
usw. Noch ca 1950 erschien in der Salzburger „Neuen Front“ ein phantasievoller Bericht,
demzufolge Phleps in den Karpathen Partisanenverbände anführe und am Leben sei. Vom
Selbstmord bis zum Überlaufen zum Feinde fehlte keine Variante, die das plötzliche Ende
des SS-Obergruppenführers Arthur Phleps zu erklären versuchte.
Der e. B. nimmt aufgrund langjähriger persönlicher Bekanntschaft mit Arthur Phleps und
dessen Familie und aufgrund der ungarischen Meldung mit Sicherheit an, daß der General
unwissentlich in Gefangenschaft geriet und von der sowjetischen Panzereinheit vor ihrem
Rückzug liquidiert wurde (10).
2) Volksgruppenführer Andreas Schmidt in Budapest und die Evakuierung
aus Nordsiebenbürgen
Vier Tage nach Bestätigung des Endes von Phleps – ungefähr am 12. Oktober 1944 – traf der
e. B. in Budapest ein und meldete sich bei Volksgruppenführer Andreas Schmidt. Zu diesem
Zeitpunkt hatte Andreas Schmidt bereits den Sondereinsatz siebenbürgisch-sächsischer freiwilliger Fallschirmjäger hinter der Front mit den Dienststellen der Waffen-SS vereinbart.87
Auf seine Mitteilung hin erklärte sich der e. B. zu diesem Sondereinsatz bereit, der kurzfristig geplant war. Damals stand bereits fest, daß die betreffenden Freiwilligen keine Sprung­
ausbildung erhalten sollten, weil erfahrungsgemäß der erste Absprung der gefühlsmäßig
sicherste sei. Diese Sicherheit im Absprung würde nach der ersten Probe erst im Verlauf einer
längeren Ausbildung wieder erreicht. Diese zeitraubende Ausbildung aber konnte man sich
zu jenem Zeitpunkt nicht mehr leisten.
Bereits während des Rückzugs, auf dem ungarischen Gutshof im nördlichsten Zipfel Südsiebenbürgens, hatte sich Oberleutnant (später Hauptmann) Müller88 aus Agnetheln beim
Stabe Phleps gemeldet, um siebenbürgische Freiwillige der Division „Brandenburg“ noch
an der siebenbürgischen Front zum Einsatz zu bringen. Zu jenem Zeitpunkt hatte keine
ernsthafte Möglichkeit bestanden, diese Freiwilligen nach Südsiebenbürgen zu schleusen.
Auch in Neumarkt am Mieresch (Târgul Mureşului) war vom Ic des Stabes Phleps eine
Anzahl von rund dreißig Waffen-SS Freiwilligen unter einem Untersturmführer89 (darunter etwa zwanzig Siebenbürger Sachsen) in das rückwärtige Frontgebiet auf rumänischer
D (Juni 1941 - Juli 1942) und als solcher verantwortlich für den Tod von mindestens 90.000 Juden. Parallel auch
Unterstaatssekretär im Reichswirtschaftsministerium. Aussage im Prozess von Nürnberg, die sich durch Zynismus
und Versuche, die Politik des Nazi-Regimes zu rechtfertigen, kennzeichnet. Als Kriegsverbrecher 1948 zum Tode
verurteilt und 1951 hingerichtet. Vgl. über ihn: BB, BDC, SSO Akten Otto Ohlendorf; K l e e (wie Anm. 26), S. 443.
87 Ende September 1944 hat Heinrich Himmler Sturmbannführer SS Otto Skorzeny „nunmehr mit der Durchführung
des Partisanenkriegs im rumänischen Raum in engster Fühlung mit dem deutschen Volksgruppenführer Andreas Schmidt beauftragt. Es handelt sich um den Einsatz besonders ausgesuchter und ausgebildeter Gruppen, die
zusammen mit Leuten von H[oria] S[ima] in Aktion treten sollen.“ (PAAAB, R 101118, Inland II, geheim, Berichte
und Meldungen zur Lage in und über Rumänien, Bd. 427, 1944-1945, E 025404. Telegramm Nr. 15 der Dienststelle
Gesandter Altenburg vom 25. September 1944, gezeichnet Altenburg.)
88 Meint wahrscheinlich Otto Müller (1915-1996), Berufsoffizier, Siebenbürger Sachse aus Agnetheln. Trat im September 1940 in die Division Brandenburg, 8. Kompanie Lehrregiment Brandenburg ein. Im September 1944 wurden
die Sondereinheiten der Division Brandenburg samt Personal vom Militärischen Amt des RSHA übernommen.
Vgl. über ihn: freundliche Mitteilung der Deutschen Dienststelle (Wast) Berlin.
89 Nimmt auf Walter Girg (1919-2010) Bezug, Ingenieur und SS-Offizier. SS-Beitritt am 1. Mai 1938 (Nr. 475383). Im
Sommer 1944 in das SS-Fallschirmjäger-Bataillon 502 versetzt, bestehend aus dem SS-Sonderverband „Friedenthal“.
Als Befehlshaber des „Unternehmens Landfried“ mit dem Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes ausgezeichnet. Im
November 1944 zum „SS-Jagdverband Mitte“ versetzt und mit dem Durchführen von Sonderoperationen an der
Die Ereignisse vom 23. August 1944
215
Seite zur Frontaufklärung abkommandiert worden. Von dem ganzen Ziviltrupp, der z. T.
einfach nur die deutsche Luftaufklärung bestätigte, kehrten aus dem Schäßburger und
Hermannstädter Gebiet nur etwa drei-vier Mann – darunter der SS-Untersturmführer –
zurück. Die Gruppe des SS-Untersturmführers war auf einem Bahnhof verhaftet worden.
Eine rumänische Militärdienststelle hatte in kurzem Verfahren ihre Hinrichtung befohlen.
Die deutsche Soldatengruppe wurde nackt ausgezogen und mit ungenau gezielten Schüssen zusammengeschossen. Der SS-Untersturmführer und zwei seiner Leute hatten sich tot
gestellt. So konnte der Führer dieser Gruppe mit einem Mann entkommen. Zwei Männer
einer gleichzeitig gestarteten Teilgruppe hatten sich bereits zwei Tage vorher im Stabsquartier Phleps gemeldet90.
General Phleps beurteilte die sachlichen Ergebnisse dieses Frontaufklärungskommandos
(das per Flugzeug aus Berlin nach Neumarkt a. M. gekommen war) als nicht überragend. Der
SS-Untersturmführer, der bereits das EK II erworben hatte, erhielt von Phleps für tapferes
Verhalten das EK I angeheftet. Als der SS-Untersturmführer bald darauf im Hauptamt der
Waffen-SS das Ritterkreuz erhielt91, wunderte sich der Stab Phleps über diese hohe Auszeichnung. Nach diesem Sonderunternehmen entschloß sich die Waffen-SS zur Zusammenarbeit
ihrer Fallschirmverbände mit der „Division Brandenburg“, worüber weiter unten noch zu
berichten sein wird.
Teildaten zur Evakuierung aus Nordsiebenbürgen: Der e. B. erstattete Volksgruppenführer
Andreas Schmidt Bericht über die Maßnahmen der deutschen Herresgruppe in Siebenbürgen, welche der Evakuierung der siebenbürgisch-sächsischen Bevölkerung in diesem Gebiete
dienten. Der e. B. hatte noch von Neumarkt a. M. aus mit dem taktischen Kolonnenraum
des Stabes, den Phleps zur Verfügung stellte, einige hundert Menschen bis Bistritz transportieren können. Ein Teil der Bevölkerung machte sich im letzten Augenblick mit Trecks
auf den Weg (11).
Zu jener Zeit ereignete sich auch ein Zwischenfall mit einem deutschen Treck aus Südsiebenbürgen. Rumänische Flugzeuge mit deutschen Kennzeichen hatten diesen Treck durch
Bordwaffenbeschuß zum größten Teil umgebracht. Das Begräbnis von Greisen, Frauen
und Kindern fand auf einem Bergfriedhof bei Neumarkt am Mieresch statt. Ein einarmiger
Ostfront in Schlesien in der Zeitspanne Januar - März 1945 beauftragt. Vgl. über ihn: BB, BDC, SSO Akten Walter
Girg.
90 Nimmt auf das von SS-Untersturmführer der Reserve Walter Girg geleitete „Unternehmen Landfried“ Bezug.
Von Himmler angeordnet, wurde es von einem Offizier, 4 Unteroffizieren und 50 Personen in der Zeitspanne 1.11. September 1944 durchgeführt. Die Operation sah ursprünglich das Eindringen in den Rücken der rumänischen
Front und das Retten von Volksdeutschen durch Schleusen über die rumänisch-ungarische Grenze vor. Da jedoch
die Grenzwacht durch rumänische Militäreinheiten verstärkt worden war, wurde das von Walter Girg geleitete
Kommando auf drei Gruppen geteilt (Ost-, Mittel- und Westgruppe) und erhielt die Aufgabe, hinter der rumänischen Front bis zu den Pässen in den Südkarpaten einzudringen, um Informationen mit militärischem Charakter
über die rumänischen und sowjetischen Truppen zu sammeln beziehungsweise Diversions- und Sabotageakte
durchzuführen. Vgl. Bundesarchiv Berlin, SS-Offiziersakten Walter Girg. Vorschlag Nr. 3783 für die Verleihung des
Ritterkreuzes des Eisernen Kreuzes an SS-Untersturmführer Girg Walter, SS-Jägerbataillon 502, vom 27. September
1944, gez. Skorzeny; vgl. dazu die von Otto Skorzeny in den Verhören in alliierter Gefangenschaft mitgeteilten
Angaben in: National Archives Kew, KV 2/403 – Otto Skorzeny, Headquarters US Forces European Theater, Interrogation Center APO 655, Annex No. IV, Individual Operations (Unternehmen), Date: 23. Juli 1945. Bester Dank
gebührt Dr. Varga Attila für die Freundlichkeit, das Dokument in den britischen Archiven zu kopieren; vgl. auch
Perry B i d d i s c o m b e : Prodding the Russian Bear: Pro-German Resistance in Romania, 1944-5. In: European
History Quarterly 23 (1993), S. 196f.; d e r s .: The SS Hunter Batallions. The Hidden History of the Nazi Resistance
Movement 1944-45. Stroud-Gloucestershire 2006, S. 124f.
91 Walter Girg wurde am 4. Oktober 1944 mit dem Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes ausgezeichnet. Vgl. über ihn:
BB, BDC, SSO Akten Walter Girg.
216
Ottmar Traşcă
Wehrmachtmajor des Stabes Phleps und der e. B. waren bei diesem Begräbnis zugegen. Es
hatte sich gefügt, daß SS-Freiwillige dieser siebenbürgischen Gemeinde ihre Dorfgenossen
persönlich zu Grabe trugen.
Spätere Erhebungen der evang. Landeskirche A. B. in Rumänien haben ergeben, daß aus
Nordsiebenbürgen von der deutschen Wehrmacht damals rund 16.000 Siebenbürger Sachsen
überwiegend in östliches Reichsgebiet evakuiert wurden, von denen nach Kriegsende rund
12.000 nach und nach wieder repatriiert worden sind.
3) Zusammenziehung von Volksgruppenangehörigen für den Einsatz in der alten Heimat
Die letzte Zentrale der Volksgruppenführung im NS-Stil wurde im ersten Wiener Gemeindebezirk die Ersatzdienststelle Wien der Waffen-SS, Vorlaufstraße 3-5.
Leiter dieser Dienststelle war Sonderführer im Rang eines SS-Hauptsturmführers Wilhelm
Götz92 (früher Willy Nagy) aus Heldsdorf bei Kronstadt/Siebenbürgen.
Aus den verschiedensten Einheiten der Waffen-SS meldeten sich Volksgruppenangehörige bei der Wiener Ersatzdienststelle, der auch die Truppenbetreuung der SS-Freiwilligen
aus dem Südosten übertragen war. Diese Meldungen erfolgten, bevor in den Kreisen der
Waffen-SS bekannt geworden war, daß sich Freiwillige Spezialeinheiten unter Skorzeny93
für den Einsatz hinter der ungarischen und rumänischen Front vorbereiteten.
Im November 1944 etwa gewann die Planung für den Einsatz von Freiwilligen in die von
der Roten Armee besetzten Südoststaaten klare Konturen. Für die „Landsmannschaft Rumänien“ entstand in Schloß Seebarn, nahe Korneuburg/Wien ein Ausbildungszentrum94. Diese
Sondereinheit „Skorzeny“ wurde mit erfahrenen Aufklärungs- und Sabotagefachleuten der
Division „Brandenburg“ durchsetzt95. Leiter und Kommandant der Sondereinheit „Rumä92
Wilhelm Götz (1911-?), Volksschullehrer und Mitglied der Volksgruppenführung. Tritt der SS am 1. Dezember
1939 (Nr. 429116) bei. Jugendführer in der DVR (1933-1939); Führer in der „Deutschen Mannschaft“ in Rumänien
(1940-1941); Führer in der „Einsatzstaffel“ in Rumänien (1941-1943); in das SS-Hauptamt (ab 1. September 1943)
versetzt; Leiter der Truppenbetreuung für die aus dem Südosten Europas kommenden Volksdeutschen der WaffenSS (seit 1. September 1943). Unterscharführer SS der Reserve (seit 21. April 1942); Untersturmführer SS der Reserve
(seit 1. September 1943); Hauptsturmführer SS der Reserve (seit 1. Juli 1944). Vgl. über ihn: BB, BDC, SSO Akten
Wilhelm Götz.
93 Otto Skorzeny (1908-1975), österreichischer Ingenieur und SS-Offizier. Studien an der Technischen Hochschule
in Wien (1926-1931). Mitglied der NSDAP und SA in Österreich (seit 1932); Mitglied der „Leibstandarte SS Adolf
Hitler“ seit 1940 (Nr. 295979). 1943 beauftragt, Sondereinheiten der SS beziehungsweise den SS Sonderverband
V „Friedenthal“ zu gründen. Nimmt an einer Reihe von Sondereinsätzen teil, wie jener zur Befreiung von Benito
Mussolini – „Unternehmen Eiche“ – oder die Operation „Panzerfaust“, in der der Sohn von Miklós Horthy gekidnappt wurde. Hat das „Unternehmen Greif“ geplant und geleitet, bei dem in amerikanische Uniformen gekleidete
Sondereinheiten im Rücken der alliierten Front im Dezember 1944 - Januar 1945 während der Ardennen-Offensive
eingeschleust wurden. Im September/Oktober 1944 stellte Skorzeny aus Sondereinheiten der SS sowie jenen der
ehemaligen Division Brandenburg die sogenannten „SS-Jagdverbände“ zusammen, die in der Zeitspanne September 1944 - Mai 1945 eine Reihe Einsätze durchführten. In Nürnberg wegen Kriegsverbrechen angeklagt, wurde er
freigesprochen. Ließ sich später für kurze Zeit in Argentinien nieder und zog dann nach Spanien. Vgl. über ihn:
BB, BDC, SSO Akten Otto Skorzeny; K l e e (wie Anm. 26), S. 585f.
94 Vgl. dazu die von Otto Skorzeny beim Verhör in alliierter Gefangenschaft mitgeteilten Daten in: National Archives Kew, KV 2/403 – Otto Skorzeny, Headquarters US Forces European Theater, Interrogation Center APO 655,
Consolidated Interrogation Report (CIR) No. 4, Subject: The German Sabotage Service, Date: 23. July 1945.
95 Zu Befehlen zur Aufstellung der sogenannten „SS-Jagdverbände“ beziehungsweise „SS-Jagdverband Nordwest“,
„SS-Jagdverband Südwest“, „SS-Jagdverband Südost“, „SS-Jagdverband Ost“ und „SS-Jagdverband Mitte“, die
unter dem Befehl von Otto Skorzeny standen, vgl. Bundesarchiv Berlin, NS 33-SS Führungshauptamt/8, Fol. 6-8. SSFührungshauptamt Amt II Org., Abt. Ia/II Tgb. Nr. 3473/44 g.Kdos vom 4. Oktober 1944 betreffend SS Jagdverbände,
gez. Jüttner; Fol. 93. SS-Führungshauptamt Amt II Org., Abt. Ia/II Tgb. Nr. 4079/44 g.Kdos vom 8. November 1944
betreffend Kriegsgliederung der Sondertruppen der Reichsführung SS, gez. Jüttner; Fol. 99. SS-Führungshauptamt
Amt II Org., Abt. Ia/II Tgb. Nr. 4214/44 g.Kdos vom 10. November 1944 betreffend Eingliederung des SS-Fallschirm-
Die Ereignisse vom 23. August 1944
217
nien“ wurde der bereits erwähnte Hauptmann Müller aus Agnetheln/Siebenbürgen96, der
die Freiwilligen für den Einsatz hinter der Front schulte.
Abgesehen von den normalen SS-Fallschirmjägereinsätzen hinter der Front, in Rumänien,
bestanden drei Pläne für Sonderunternehmen, an denen führende Amtswalter der Volksgruppenführung persönlich beteiligt waren. Die Vorbereitung dieser Sonderunternehmen
des SD und SS-Hauptamtes der Waffen-SS erfolgte nur zum Teil im Schloß Seebarn bei Korneuburg. Es handelte sich wesentlich um folgende Unternehmen97:
a) Volksgruppenführer Andreas Schmidt sollte allein, mit einer Anzahl von führenden
Legionären Rumäniens, nördlich des Zeidner Waldes (Burzenland) abgesetzt werden, um
einen Standort im Fogarascher Gebirge zu beziehen. Die Aufgabe dieses Sondertrupps bestand in der Aufklärung im rumänischen Heimatfrontgebiet und eventuell in bestimmten
Sabotageaufträgen.
b) Eine siebenbürgische Gruppe mit dem Amtsleiter für Presse und Propaganda, Walter
May, Amtsleiter für Siedlungswesen, Richard Langer98, Landesjugendführer Wilhelm Depner99 sollten ebenfalls nördlich des Zeidner Waldes abgesetzt werden. Zu dieser Gruppe
96
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jäger-Bataillons. 600 und der SS-Fallschirmjäger Feldausbildung Kompanie in die SS-Jagdverbände, gez. Jüttner.
Betreffend Personal, Vorbereitung, Ausrüstung und Tätigkeit der „SS-Jagdverbände“ vgl. Perry B i d d i s c o m b e :
The SS Hunter (wie Anm. 89), passim.
Nimmt wahrscheinlich auf Hauptmann/Hauptsturmführer SS Otto Müller Bezug, Befehlshaber der „SS-Jagdeinsatz
Rumänien“ aus dem „SS-Jagdverband Südost“, geleitet von Major/Sturmbannführer SS Fritz Benesch. In der Fachliteratur wurde als Befehlshaber der „SS-Jagdeinsatz Rumänien“ fälschlicherweise Hauptsturmführer SS Erich
Müller angegeben, ein Vertrauter von Andreas Schmidt, der Führer der Einsatzstaffel der DVR (1941-1944) war.
Laut den im Verhör von Otto Skorzeny gemachten Aussagen wurden die Sondereinsätze in Rumänien vom „SSJagdverband Südost“ in Zusammenarbeit mit dem Militärischen Amt des RSHA durchgeführt und hatten folgende
Decknamen: 1. Operation „Gemsbock I-VI“, in der Zeitspanne Oktober - Dezember 1944, koordiniert vom SS-Jagdverband Südost. Im Rahmen dieser Operation sprangen Gruppen von 3–5 Volksdeutschen in Nordwest-Rumänien
per Fallschirm ab. Mit Rundfunk-Apparatur ausgestattet, sollten sie Kontakt herstellen zu dem nach dem Abzug
der deutschen Truppen verbliebenen deutschen Nachrichtennetz. Alle Fallschirmspringer wurden verhaftet außer
zweien. 2. Operation „Steinbock I-III“, in der Zeitspanne Oktober - Dezember 1944 ebenfalls vom SS-Jagdverband
Südost koordiniert. In ihrem Rahmen sprangen Legionäre nördlich von Bukarest mit dem Fallschirm ab mit dem
Ziel, die Legionärsbewegung zu stärken. 3. Operation „Regulus I-VI“, in der Zeitspanne November 1944 - Januar
1945, von der Frontleitstelle II Südost (der Nachfolgerin der Abteilung II der Abwehrstelle Wien) koordiniert. Die
aus Volksdeutschen und Legionären gebildeten Fallschirmspringergruppen hatten den Auftrag, den Kontakt zur
rumänischen Armee und der antisowjetischen Widerstandsbewegung herzustellen. Diese Operation hatte Andreas
Schmidt als Hauptprotagonisten. Vgl. dazu National Archives Kew, KV 2/403 – Otto Skorzeny, Headquarters US
Forces European Theater, Interrogation Center APO 655, Annex No. IV, Individual Operations (Unternehmen),
Date: 23. Juli 1945; KV 3/200-Leitstelle II Südost. Counter Intelligence War Room, Liquidation Report No. 110,
Leitstelle II Südost, Date: 8. Oktober 1945. Dieser Bericht erwähnt auch das Bestehen einer Operation „Gill“ als
Fortsetzung der Operation „Regulus“, die die Errichtung eines starken Radiosenders neben Kronstadt zum Ziel
hatte, wobei die Operation im März 1945 stattfinden sollte. Vgl. auch B i d d i s c o m b e : Prodding the Russian Bear
(wie Anm. 89), S. 208; und d e r s . : The SS Hunter Batallions (wie Anm. 89), S. 139f., 145.
Richard Langer (1903-1989), Mitglied der Volksgruppenführung. Landwirtschaftsstudien in Deutschland (19291934). Initiator der Siedlungsbewegung „Hermannshof“ in Siebenbürgen; Amtsleiter für Siedlungswesens und
„Großeinsatz der Heimatfront“ in der Volksgruppenführung und naher Mitarbeiter von Andreas Schmidt (19401944). Stellt sich nach dem 23. August 1944 freiwillig der Fallschirmspringeraktion in Rumänien zur Verfügung
und springt am 3. Januar 1945 ab. Wird gefangen genommen, es gelingt ihm jedoch, nach Deutschland zu fliehen.
Später Tätigkeit bei der Bodenprüfstelle der Landwirtschaftlichen Hochschule von Hohenheim und maßgeblicher
Beitrag zur Gründung des Heimathauses Siebenbürgen in Gundelsheim. Vgl. über ihn: freundliche Mitteilung de
Siebenbürgen-Instituts an der Universität Heidelberg.
Wilhelm „Willi“ Depner (1916-1982), Mitglied der Volksgruppenführung. Theologiestudium (nicht abgeschlossen).
Landesjugendführer der „Deutschen Jugend in Rumänien“ (Januar 1938 - 1. März 1939); stellvertretender (1. März
1939 - Mai 1940) und Landesjugendführer in der DVR (Mai 1940 - 23. August 1944); enger Mitarbeiter von An­dreas
Schmidt. Gehörte der Fallschirmspringer-Gruppe an, die am 24./25. Dezember 1944 über Rumänien absprang.
218
Ottmar Traşcă
zählten noch: Hauptabteilungsleiter für Propaganda, Hans Kastenhuber100 und Hauptabteilungsleiter, Sportlehrer am Honterus-Gymnasium, Albrich101.
c) Eine dritte Gruppe von Banater Freiwilligen der Volksgruppenführung sollte in der
Nähe der Ortschaft Wolfsberg (Gebiet von Deva-Diemrich), am Nordhang der Südkarpathen, abgesetzt werden, um im rumänischen Banat Aufträge durchzuführen. Leiter dieser
Sondergruppe war der Amtsleiter und stellv. Chef im Landesbauernamt, Sepp Komanschek,
Teilnehmer waren ferner der SS-Untersturmführer Christian Bloser102, sowie ein zweiter
SS-Untersturmführer aus der SA-Führung der Volksgruppe, Kreisleiter Matz Stein103, nebst
Unterführern und Funkern.
Außerdem war dem e. B. ein Sondereinsatz im altrumänischen Gebiet südlich der Karpathen zugedacht. Neben dem e. B. als Leiter des Unternehmens „Libelle“ sollten lediglich noch
der SS-Rottenführer Ludwig Illesy104, sowie der Funker Konrad Hermann105 teilnehmen.
Arbeitsziel dieser Gruppe war Bukarest, vor allem unter jüdischen Kreisen. Insbesondere
Illesy besaß in Bukarest ausgezeichnete jüdische Beziehungen und wurde darum von e. B.
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Von den rumänischen Behörden in Hermannstadt am 11. Mai 1945 gefangen genommen, wurde er den Sowjets
übergeben und in die UdSSR gebracht. In mehreren Gefängnissen und Lagern des Gulags, am 7. Dezember 1955
nach Rumänien entlassen. Ausreise in die Bundesrepublik am 27. Mai 1961, war später im Bayerischen Roten Kreuz
tätig. BB, BDC, SM Akten Willi Depner; P e t r i (wie Anm. 76), S. 309f.
Hans Kastenhuber (1913-?), Lehrer, Mitglied der Volksgruppenführung. SS-Mitglied seit dem 9. November 1941.
Gaustellenleiter für Presse und Propaganda beziehungsweise Leiter der Hauptabteilung Propaganda des Amtes
für Presse und Propaganda in der Führung der DVR (1940-1944). Mitglied des „SS Jagdverband Nordwest“ (ab
14. August 1944). Am 3. Januar 1945 per Fallschirm in Rumänien abgesprungen, bleibt er bis 1947 im Land und
flüchtet dann nach Österreich. Vgl. über ihn: Bundesarchiv-Lastenausgleichsarchiv Bayreuth, Ost-Dok. 2 (Erlebnisberichte zur Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mittel-Europa), 347, Fol. 225-227. „Protokoll“
Hans Kastenhuber vom 20. September 1952 (fortan: BLB).
Gerhard Albrich (1902-?), Mitglied der Volksgruppenführung. Architekturstudium in Wien und Sportstudium an
der Universität Bukarest; Sportlehrer an der Honterusschule in Kronstadt (1934-1944); „Volksgruppenleiter für Sport
und Erziehung“ in der DVR (1940-1944). Rückzug im August 1944 mit den anderen Mitgliedern der Volksgruppenführung, wird in Wien auf den Fallschirmabsprung in Rumänien vorbereitet. In der Gegend von Zeiden am
24./25. Dezember 1944 abgesprungen, 1945 im Banat gefangen genommen und in die UdSSR deportiert. Nach der
Gefangenschaft 1955 nach Rumänien zurückgekehrt, siedelt er 1965 in die Bundesrepublik aus, wo er Trainer für
Kunstturnen wird. Vgl. über ihn: freundliche Mitteilung des Siebenbürgen-Instituts an der Universität Heidelberg.
Christian Bloser (1913-?), Zahntechniker, Mitglied der DVR. Tritt 1942 in die SS ein (Nr. 477594). Stabsleiter der
„Deutschen Mannschaft“ im Banat (1941-1944). Nach dem 23. August 1944 flüchtet er nach Deutschland, wird am
15. Dezember 1944 in den „SS-Jagdverband Südost“ versetzt. Im Januar 1945 mit dem Fallschirm im Banat abgesprungen, stirbt er am Absprungsort infolge einer Kopfverletzung. Vgl. über ihn: BB, BDC, SSO Akten Christian
Bloser; P e t r i (wie Anm. 76), S. 159.
Matthias Stein (1911-?). Kaufmann, Buchhalter und Mitglied der DVR. Buchhalter bei der Genossenschaft in Neupetsch. Hauptamtlich bei der DVR tätig (1940-1944); Leiter des Kreises Prinz Eugen (1944). 1942 Eintritt in die SS
(Nr. 477566). Offizier in der 9. SS Panzerdivision „Hohenstaufen“ (1. März - 23. Mai 1944, 1. - 24. Oktober 1944),
nimmt am Feldzug in die UdSSR und nach Frankreich teil. In die Stabskompanie beim Hauptamt Volksdeutsche
Mittelstelle versetzt (23.Mai - 30. September 1944), danach in den „SS-Jagdverband Südost“ (ab 24. Oktober 1944).
Im Januar 1945 mit dem Fallschirm im Banat abgesprungen, von den Sowjets verhaftet und seither vermisst. Vgl.
über ihn: BB, BDC, SSO Akten Matthias Stein; P e t r i (wie Anm. 76), S. 1858f.
Konnte unter diesem Namen nicht identifiziert werden. In den in der Deutschen Dienststelle (West-)Berlin aufbewahrten Unterlagen gibt es zwei Personen mit dem Namen Illesy, die aus Hermannstadt stammen: Karl Illesy, am
14. Mai 1919 geboren, beziehungsweise Kurt Otto Illesy, am 19. Oktober 1920 geboren. Meiner Meinung nach bezieht
sich Otto Liess auf Kurt Otto Illesy, da dieser in der Zeitspanne November/Dezember 1944 in einem Kriegslazarett
in Wien interniert war und nachher zu seiner Einheit der 8. SS Kavalleriedivision „Florian Geyer“ geschickt werden
sollte. Da diese Einheit in Budapest eingekesselt worden war, konnte Illesy für die Fallschirmabsprung-Aktion in
Rumänien zur Verfügung stehen.
Konrad Hermann (1924-?), Funker. Unterscharführer SS der Reserve. Weitere biografische Daten fehlen. Vgl. über
ihn: BB, BDC, SM/SS-Unterführer Akten Konrad Hermann.
Die Ereignisse vom 23. August 1944
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diesem Unternehmen beigezogen. Die Besonderheit dieses Unternehmens bestand ferner
darin, daß „Libelle“ in einer großen Aluminiumkugel abgesetzt werden sollte, um das Risiko
jedes einzelnen Teilnehmers herabzumindern. Das heißt entweder kamen alle drei Teilnehmer lebend und gesund im Einsatzgebiet an – oder, es hieß „Helm ab zum Gebet“, wie sich
ein Teilnehmer des Unternehmens drastisch ausdrückte.
V. Fallschirmjäger-Einsätze der deutschen Volksgruppenführung Rumäniens
zwischen November 1944 und März 1945
1) Gemeinsamer Einsatz Andreas Schmidts mit rumänischen Legionärsführern
Am 10. November 1944 verabschiedete sich Volksgruppenführer Andreas Schmidt von
e. B., um am gleichen Abend, gemeinsam mit dem Legionärskommandanten Stoicănescu106
und einigen anderen Freiwilligen der Eisernen Garde Codreanus107 über Südsiebenbürgen
abgesetzt zu werden.
Während der Wartezeit bis zum Einsatz beobachtete der e. B. eine Art seelischer Erstarrung
bei Andreas Schmidt, der die Entwicklung voraussah und sie doch nicht wahrhaben wollte.
Seine persönliche Meldung zu dem Sondereinsatz in Rumänien war von Anbeginn umstritten. Doch jedermann unter uns spürte, daß Andreas Schmidt mit diesem Himmelsfahrtskommando eine Sühnetat vorhatte, die man ihm als Freund und Kamerad nicht ausreden
durfte. Wenige Tage nach dem Abflug von Andreas Schmidt führte der e. B. im SS-Hauptamt
(Rotschildpalais) ein Gespräch mit kompetenten SS-Führern über den letzten Heimateinsatz
von Andreas Schmidt. Die Gesprächsteilnehmer erklärten die Meldung Andreas Schmidts
zum Sondereinsatz einhellig als „Schnapsidee“, weil Schmidt über hunderttausende von
Pressephotos fast jedem Zeitungsleser Rumäniens bekannt sein müsse.
Ablauf des Sondereinsatzes von Andreas Schmidt: Zufolge laufender Unterrichtung durch
die zuständige Dienststelle der Waffen-SS in Wien 18, Weimarerstraße (im Haus eines vor den
Bombenangriffen geflüchteten Schweizer Staatsbürgers), stellt sich das Sonderunternehmen
Andreas Schmidt in seinem Ablauf, wie folgt, dar:
106
Constantin Stoicănescu (1908-?), rumänischer Politiker, stellvertretender Führer der Legionärsbewegung und Leiter
der Legionärsarbeit (1940-1941). Nach der Rebellion der Legionäre von Januar 1941, Flucht ins Reich. Zusammen
mit Andreas Schmidt am 10. November 1944 mit dem Fallschirm in Rumänien abgesprungen, organisiert er den
prodeutschen Widerstand mit. Im Februar 1945 wurde das Flugzeug, in dem er zusammen mit Andreas Schmidt
nach Deutschland flog, um über den Stand der Vorbereitungen in Rumänien zu berichten, von rumänischen Jagdfliegern zur Landung bei Debrecen gezwungen (auf Grund von Informationen, die der von den Sowjets verhaftete
Funker Dr. Alexandru Ţăranu preisgegeben hatte). Nach der Gefangennahme wurden Stoicănescu und Schmidt
nach Moskau gebracht und verhört. Constantin Stoicănescu starb kurze Zeit nach der Gefangennahme an den
während der Notlandung zugezogenen Verletzungen. Vgl. über ihn Horia S i m a : Guvernul Naţional Român de
la Viena [Die nationale rumänische Regierung in Wien]. Timişoara 1998.
107 Corneliu Zelea Codreanu (1899-1938), rumänischer Anwalt und Politiker. Jura- und Wirtschafsstudien in Jassy/
Iaşi, Berlin, Jena und Grenoble. Gründer, zusammen mit A. C. Cuza, der nationalistischen „Liga der NationalChristlichen Verteidigung“ (LANC), aus der die rechtsextremistische Bewegung „Legion des Erzengels Michael“
(Legiunea Arhanghelul Mihail) hervorging, die im politischen Leben unter dem Namen Eiserne Garde, und nach
deren Verbot 1932, als Partei „Alles für das Land“ (Partidul Totul Pentru Ţară) agierte. 1931 zum Abgeordneten
gewählt, wurde Codreanu unter verschiedenen Vorwänden verhaftet und ins Gefängnis gebracht. König Carol II.
betrachtete ihn als Gefahr für sein autoritäres Regime und die interne Stabilität des Landes. Codreanu wurde im Mai
1938 wegen „Hochverrat und Anregung zur Aufwiegelung“ zu zehn Jahren Zwangsarbeit verurteilt, im November
desselben Jahres jedoch auf direkten Befehl des Königs ermordet. Grigore Traian P o p : Mişcarea legionară. Idealul
izbăvirii şi realitatea dezastrului [Die Legionärsbewegung. Das Ideal der Erlösung und die Realität des Desasters].
Bucureşti 1999, S. 111-149.
220
Ottmar Traşcă
In der Nacht vom 10. auf den 11. November mußte das Flugzeug von Andreas Schmidt
mit seinen Insassen wegen Motorschadens eine Bruchlandung in einem sumpfigen Gelände
Südungarns vornehmen. Die SS-Freiwilligen kamen heil zu Boden und Andreas Schmidt
legte eine Strecke von etwa 170 km bis zu dem befohlenen Standort im Fogarascher Gebirge
zu Fuß zurück.108
Am Ostersonntag 1945 erfuhr der e. B. von SS-Sturmbannführer Erich Müller109, daß
Andreas Schmidt etwa Mitte März 1945 – gemeinsam mit einem rumänischen LeutnantPiloten der Luftwaffe – vom Kronstädter Flugplatz aus den Versuch unternommen habe,
den Westen zu erreichen. Dieses Flugzeug wurde über Miskolcz (Ungarn) zur Landung
gezwungen, wobei Andreas Schmidt beide Beine brach110. Im Militärlazarett von Miskolcz
identifizierte man Andreas Schmidt. Späterer Nachrichten zufolge, unternahm Amtsleiter
Walter May den waghalsigen und hoffnungslosen Versuch, Andreas Schmidt aus dem Lazarett zu befreien. Dieser Befreiungsversuch mißglückte. Andreas Schmidt wurde nach Moskau
abtransportiert, wie das übrigens zur gleichen Zeit auch mit dem Legionärskommandanten
Stoicănescu geschehen war.
Die nächste Nachricht über das Befinden von Andreas Schmidt erreichte den e. B. durch
einen landsmännischen Heimkehrer in Salzburg, 1953. Dieser Heimkehrer teilte mit, Andreas
Schmidt sei 1952 in einem KZ-Lager des Donbass an offener TBC in den Armen eines legio108
Die von Andreas Schmidt geleitete Fallschirmspringergruppe, der auch andere Legionäre angehörten, wie Nicolae Pătraşcu, der Generalsekretär der Legionärsbewegung, Nistor Chioreanu, der Leiter der Organisation für die
Region Siebenbürgen, Ilie Colhon, der Leiter im Kreis Alba, flog in einem deutschen Flugzeug in der Nacht vom
5. zum 6. Oktober vom Flughafen Wiener Neustadt ab und sollte in der Gegend von Hermannstadt abspringen.
Wegen Nebels beschloss Andreas Schmidt, das Abspringen zu vertagen. Die Vereisung ließ die Maschine beim
Rückflug zu schwer werden, so dass Ausrüstungsgegenstände von Bord geworfen wurden und in Ungarn, hinter
den rumänisch-sowjetischen Linien, abgesprungen wurde. Als letzter sprang der Pilot, kurze Zeit darauf zerschellte
das Flugzeug am Boden. Der Pilot und ein Begleiter gelangten zu den deutschen Linien und berichteten, dass der
Absprung von den Sowjets beobachtet worden und zwei der Fallschirmspringer von diesen getötet worden seien,
vgl. PAAAB, R 100946, Inland II geheim, Bd. 260, Akten betreffend Volksdeutsche: Rumänien, Evakuierung und
Lage 1941-1945, E 475958. Inland II 707 gRs. Vortragsnotiz vom 19. November 1944, gez. Wagner. Beim Verhör
am 22. März 1945 in Moskau berichtet Andreas Schmidt über einen anderen Hergang:. Das am 7. November 1944
gestartete Flugzeug sei in der Region Arad von sowjetischen Raketen getroffen worden und in Brand geraten; aus
diesem Grund habe man die Rückkehr nach Wien beschlossen. Als die Passagiere jedoch den Schaden am Flugzeug
bemerkten und feststellten, dass eine Notlandung in der sowjetisch kontrollierten Gegend nötig sei, haben Andreas
Schmidt, Nicolae Pătraşcu und Ilie Colhon beschlossen, mit dem Fallschirm rund 120 km von Budapest entfernt
abzuspringen. Nachher seien auch die anderen Mitglieder der Gruppe abgesprungen, nach der Landung habe der
Pilot und ein Mitglied der Gruppe namens Sedlacek die deutsche Frontlinie erreicht. Vgl. Das „Verhörsprotokoll
des Verhafteten Andreas Schmidt“ vom 22. März 1945, an das Staatskomitee für Verteidigung, Genossen Stalin,
gerichtet (Gosudarstvennyj Arhiv Rossijskoj Federacii (fortan: GARF), Fond 9401, opis 2, Dossier 94, Bl. 205). Mein
Dank gebührt Claudiu Secaşiu, der mir diese Quelle freundlicherweise zur Verfügung stellte.
109 Erich Müller (1913-?), Ingenieur und SS-Offizier, Mitglied der Volksgruppenführung und enger Mitarbeiter von
Andreas Schmidt. SS-Beitritt am 1. November 1939 (Nr. 413724). Führer und Vormann (ab 1942) der Einsatzstaffel
der DVR (1941-1944). Meldet sich 1941 freiwillig zur 1. SS Panzergrenadierdivision „Leibstandarte Adolf Hitler“,
wird Zugführer und nimmt an den Operationen an der Ostfront teil (1941-1943). Ins SS-Hauptamt (seit 10. Juni
1943), dann in die Volksdeutsche Mittelstelle (am 1. Juli 1944) versetzt. Untersturmführer SS der Reserve (vom
30. Januar 1942); Obersturmführer SS der Reserve (seit 30. Januar 1943); Hauptsturmführer SS der Reserve (seit
5. Juli 1943). In seine SS Offiziersakten wurde kein Eintrag über eine Beförderung zum Sturmbannführer SS der
Reserve gefunden. Vgl. über ihn: BB, BDC, SSO Akten Erich Müller.
110 Den im Verhör gemachten Aussagen zufolge wurde Andreas Schmidt von den Sowjets in der Gegend von Debrecen
am 9. Februar 1945 verhaftet, nachdem das vom rumänischen Piloten Dumitru Marinescu gesteuerte Flugzeug auf
dem Weg nach Wien von rumänischen Jagdfliegern zur Landung gezwungen worden war. Andreas Schmidt reiste
unter dem falschen Namen „Gefreiter Bârsan“ zusammen mit Constantin Stoicănescu. Bei der Landung schwer
verwundet, wurden beide nach Moskau gebracht und vom NKWD verhört. Vgl. GARF, Fond 9401, opis 2, Dossier
94, Bl. 184f. „Verhörprotokoll des Verhafteten Andreas Schmidt“ vom 22. März 1945.
Die Ereignisse vom 23. August 1944
221
nären Freundes verstorben.111 Diejenigen Mitteilungen aber gehören zur Legendenbildung,
welche behaupten, Andreas Schmidt habe noch ca 1951 als halbfreier und halbfreiwilliger
„Berater“ der Sowjets in Moskau gelebt und unter Hammer und Sichel eine Nachkriegskarriere begonnen (12).
Sonderunternehmen b) und c) in der Durchführung:
In den ersten Januartagen erfolgte der Abflug zum Fallschirmeinsatz von Walter May,
Richard Langer usw. nach Siebenbürgen. In diesem Falle erfolgte die Landung programmgemäß nördlich des Zeidner Waldes.112 Aber es wäre tatsächlich ein Wunder gewesen,
wenn in den letzten Kriegstagen nicht interne Streitigkeiten, feindliche Infiltrationen und
schließlich Verrat zur Verhaftung dieser Gruppe geführt hätten. Lediglich Richard Langer
und Hans Kastenhuber konnten sich in der Folge vor einer Verhaftung bewahren, von der
auch diese beiden unmittelbar bedroht waren. Die übrigen SS-Freiwilligen für Siebenbürgen
wurden – einschließlich des Gewerkschaftsführers Fritz Kloß113 (der im Lande verblieben
war), des Hauptmanns Roland Gunne114 und einiger anderer – festgenommen und mit Andreas Schmidt selbst in die Sowjetunion deportiert.
Kurz vor der Gefangennahme der ganzen Gruppe – beiläufig im März 1945 – verfehlte
auch noch eine Nachschubsendung per Flugzeug die Empfänger, weil die Abwurfstelle nicht
genau eingehalten worden war. So gelangte z. B. der Teil eines großen Sackes mit Lei-Noten
in die Hände der Zigeunern.
Die für das Banat vorgesehene Fallschirmgruppe unter Amtsleiter Sepp Komanschek
wurde wenige Stunden nach ihrer Landung bei Wolfsberg von rumänischen Sicherheitsorganen festgenommen und sogleich scharfen Verhören unterzogen. Bereits beim Abprung
111
Andreas Schmidt starb unter unaufgeklärten Umständen 1948 im Lager Workuta.
Die Gruppe, der Walter May, Wilhelm Depner, Gerhard Albrich, Helmuth Roth und zwei Funker angehört haben,
sprang am 25. Dezember 1944 ab. Vgl. GARF, Fond 9401, opis 2, Dossier 94, Bl. 216. „Verhörsprotokoll des Verhafteten Andreas Schmidt“ vom 22. März 1945. Die andere, über Siebenbürgen abgesprungene Gruppe, der Hans
Kastenhuber, Richard Langer, Oswald Schuster, Sedlacek, Horst Witting und ein Legionär-Funker angehörten,
sprang am 3. Januar 1945 ab. Vgl. GARF, Fond 9401, opis 2, Dossier 94, Bl. 216-217. BLB, Ost-Dok. 2 (Erlebnisberichte zur Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mittel-Europa), 347, Fol. 225-227. „Protokoll“
Hans Kastenhuber vom 20. September 1952.
113 Richtig Friedrich Cloos (1909-2004), Mitglied der Volksgruppenführung, enger Mitarbeiter von Andreas Schmidt.
Landesjugendführer der Deutschen Volkspartei in Rumänien (1937-1938); in der Zentrale der Deutschen Arbeitsfront tätig (Juli 1939 - Oktober 1940); Amtsleiter und Leiter der Deutschen Arbeiterschaft in Rumänien (1940-1944);
Leiter des Kreises „Banater Bergland“ (1943-1944). Blieb nach dem 23. August 1944 in Rumänien, wirkte im Untergrund mit den aus Wien entsandten Fallschirmspringern zusammen. Von den rumänischen Behörden im März
1945 festgenommen, wurde er den Sowjets übergeben. Nach Moskau gebracht, von einem Sonder-Gerichtshof am
30. November 1946 zu 20 Jahren Gefängnis und Beschlagnahmung des Eigentums verurteilt. Die Strafe wurde später
auf 15 Jahre Gefängnis reduziert. Im Dezember 1955 nach Rumänien entlassen, reiste er 1961 in die Bundesrepublik
aus. Vgl. über ihn: P e t r i (wie Anm. 76), S. 266f.
114 Roland Gunne (1913-2005), Mitglied der DVR. Schriftleiter für Politik und Wirtschaft bei der „Deutschen Tageszeitung“ Kronstadt und Presseschef der Landesjugendführung der DVR (1935-1939); Organisationsleiter der DVR
(seit Juli 1941). SS-Beitritt am 13. September 1939 (Nr. 456012); in das SD-Amt VI versetzt und nach Rumänien mit
nachrichtendienstlichen Aufträgen geschickt (1940-1941); Freiwilliger an der Ostfront in der „Leibstandarte Adolf
Hitler“ (1941-1942) beziehungsweise der „SS-Korps-Werfer Abteilung 102“ (1943-1944); in das RSHA versetzt (ab
20. Mai 1944); „Kommandeur des deutschen Abwehrkommandos im rumänischen Erdölgebiet“ (20. Mai - 20. August 1944). Nach dem 23. August 1944 von den Sowjettruppen verhaftet, wurde er 1946 in Moskau wegen Spionage
zu 20 Jahren Haft verurteilt. In mehreren Lagern und Gefängnissen, einschließlich Workuta, am 16. Oktober 1955
entlassen. Untersturmführer SS der Reserve (seit 18. März 1943); Obersturmführer SS der Reserve (seit 20. April
1944); Hauptsturmführer SS der Reserve (seit 21. Juni 1944). Vgl. über ihn: BB, BDC, SSO Akten Roland Gunne;
Mitteilung der Deutschen Dienststelle (Wast) Berlin.
112
222
Ottmar Traşcă
in der schneebedeckten Hochebene hatte Sepp Komanschek ein Bein gebrochen. Christian
Bloser schlug beim Niedergehen mit dem Kopf einige Male an einen hohen Leitungsmast
und landete als Toter. Der ehemalige Kreisleiter und SA-Führer Matz Stein blieb unverletzt.
Trotzdem konnte keiner der Fallschirmjäger den kommunistischen Häschern entkommen.115
2) „Landsmannschaft Rumänien“ der Sondereinheit „Skorzeny“
in Seebarn bei Korneuburg/Wien
Das geplante Unternehmen „Libelle“ sollte spätestens im März 1945 starten, wurde jedoch
wegen Spritmangel für Flugzeuge „bis auf weiteres“ verschoben. Schließlich drängte der
e. B. im April 1945 auf seinen Auftrag und blieb aus diesem Grunde während des Rückzugs
aus dem Wiener Becken beim „Haufen“.
Ein Teil der Sondereinheit „Skorzeny“ wurde noch etwa drei Wochen vor Kriegsende
zu einer Art Probeeinsatz in die Tschechoslowakei kommandiert, wo ein Frontstück von
rumänischen Truppen besetzt war. Nach verhältnismäßig geringen Verlusten kehrte die
abkommandierte Kampfgruppe zur Einheit des Hauptmanns Müller zurück, die ihr Gros inzwischen nach Waidhofen/Ybbs verlegt hatte. Der Bericht unserer SS freiwilligen Landsleute
über den Fronteinsatz in der Slowakei lautete u. a. dahingehend, die rumänischen Soldaten
hätten eine abgesprengte Skorzenygruppe im Feindgelände mit „Kamerad, Kamerad!“ begrüßt und die Männer zurück auf die deutsche Seite gewiesen. Von „Feinden“ konnte selbst
im ersterbenden Krieg bei den Rumänen keine Rede sein.
Für den gutgläubigen Soldatentyp der Volksgruppenangehörigen in der Waffen-SS kam
das Kriegsende überraschend. Zwar hatten schon in Seebarn bei Korneuburg von der SSDivision „Adolf Hitler“116 desertierende jugendliche „Versprengte“ dem Blindgläubigsten
demonstriert, daß für den kleinen Soldaten das bittere Ende näher kam. Doch erst in Waidhofen an der Ybbs, gegen Ende April 1945, befahl der Einheitsführer die Besorgung von
„harmlosen“ Soldbüchern, gefälschten Zivilausweisen, Zivilkleidern usw. Einen Teil dieser
Utensilien hatte der e. B. in Kremsmünster, Linz, Waidhofen usw. zu beschaffen. Teilweise
mangelte es an Markbeträgen, so daß der e. B. versuchte, in Stift Kremsmünster das dringend
angeforderte Geld zu besorgen.
Die Vertreter des dorthin evakuierten SS-Hauptamtes des SD verwiesen den e. B. an (inzwischen) SS-Obersturmführer Mathias Liebhardt, an den Kassenwart der Volksgruppe,
Hans Ehrmann117 u. a., die jedoch „zufällig“ in Linz und anderswo weilten.
Um in den äußersten Zipfel der Südsteiermark vorzustoßen, wurde der e. B. als Ziviltruppführer – zwecks Ausrüstung mit falschen Papieren usw. – kurz vor Kriegsschluß nach Linz
a. D. geschickt, wo er in der SD-Dienststelle noch ein kurzes Gespräch mit SS-Standartenführer Skorzeny118 führte. Von dort gelangte der e. B. über die inzwischen im Berggelände
aufgeteilten Gruppen der Landsmannschaft Rumänien, nach Graz und von dort in das Gebiet nahe der jugoslawischen Grenze, wo ihn das Kriegsende überraschte. Zuletzt sollte das
115
Die Gruppe, der Sepp Komanschek, Christian Bloser und Mathias Stein angehört haben, wurde im Januar 1945 abgeworfen, nach kurzer Zeit von den rumänischen Behörden gefangen und später den Sowjets übergeben. Vgl. GARF,
Fond 9401, Opis 2, Dossier 94, Bl. 184-185. „Verhörsprotokoll des Verhafteten Andreas Schmidt“ vom 22. März 1945;
Archiv des Nationalrats für das Studium der Securitate-Unterlagen (CNSAS), Fond D, Dossier Nr. 14953, Bl. 122,
207.
116 Gemeint ist die 1. SS-Panzer-Division „Leibstandarte Adolf Hitler“.
117 Hans Ehrmann (?-?), Mitglied der Volksgruppenführung. Amtsleiter für Finanzwesen und Landesschatzwart
(1941 - 23. August 1944). Nach dem 23. August 1944 nach Deutschland geflüchtet. Weitere biographische Daten
unbekannt.
118 Zu Kriegsende war Otto Skorzeny nur Obersturmbannführer SS (seit 15. Oktober 1944).
Die Ereignisse vom 23. August 1944
223
Unternehmen „Libelle“ im Fußmarsch quer durch Ungarn bewältigt werden. Der 8. Mai
1945 vereitelte eine sinnvolle Durchführung des Auftrages.
3) Kriegsende und Einzelschicksale von Mitgliedern der deutschen
Volksgruppenführung Rumäniens
Rückblickend läßt sich feststellen, daß der Großteil der Volksgruppenangehörigen und
Amtswalter aus Rumänien auch während der letzten Kriegstage eine saubere Haltung einnahmen. War es doch schließlich dem Drängen von Andreas Schmidt und einigen seiner
nächsten Freunde zuzuschreiben, daß der letzte soldatische Einsatz im Verband Skorzenys
zur Rettung der Heimat unternommen wurde. Von Anbeginn ein verzweifeltes Wagnis,
wird man diese letzte freiwillige Bereitschaft der Männer um Andreas Schmidt mindestens
als Zeichen persönlichen Verantwortungswillens zu werten haben.
Neben den Dienstwilligen gab es in den letzten Tagen und nach dem bitteren Ende selbstverständlich auch „Kriegsverdiener“. Der e. B. entsinnt sich etwa der widerwärtigen Szenen, da Liebhardt und Genossen ein Köfferchen voller Schweizer Franken und US-Dollars
fluchtartig vor den eigenen Landsleuten und Einheitsangehörigen „in Sicherheit“ brachten.
Nach Kriegsende betrieb diese Gruppe z. B. in Belgien große Schleichgeschäfte, u. a. sogar
mit der UNRRA119, bis die Gelder durchgebracht waren. In Richtung Italien überquerte z. B.
ein Pkw mit großen Beträgen „der Volksgruppe“ die Alpen. Einer der beiden mitfahrenden
Amtswalter gelangte später nach Rom, wo er die Beträge in Gesellschaft einer italienischen
„Gräfin“ bis zum letzten Dollar vergeudete und schließlich im Gefängnis landete – wegen
unbezahlter Wirtshausschulden. Wieviel Nachkriegsnot hätten diese Devisen lindern können, wenn sie ehrlich unter sämtlichen heimatvertriebenen Volksgruppenangehörigen und
Amtswaltern aufgeteilt worden wären! So blieb es einigen wenigen üblen Subjekten vorbehalten, den Ruf eines opferwilligen Stammes und seiner gutgläubigen Führung zu schädigen
und der zynischen Parole „Reich ins Heim“ zu folgen. Bemerkenswerterweise verwehten
diese Menschen und ihre errafften Reichtümer sehr bald wie Spreu im Wind.
Im Zusammenhang mit persönlichen Schicksalen in der Beurteilung der individuellen
Haltung von Heimatgenossen sei noch erwähnt: Nicht bloß einige SD-Angehörige in Wien
hatten bereits vor Kriegsende Kontakt mit dem britischen Secret Service aufgenommen120,
sondern auch die im Wiener Hotel Imperial tagende Exilregierung Horia Simas121. Wie dem
119
The United Nations Relief and Rehabilitation Administration (UNRRA), 1943 gegründete Organisation, seit 1945
Teil der Vereinten Nationen.
Nimmt wahrscheinlich auf die in den letzten Kriegsjahren aufgenommenen Beziehungen von Sturmbannführer
SS Wilhelm Höttl, dem Leiter der Abteilung Balkan im Amt VI – Ausland des RSHA, zu den Geheimdiensten der
Alliierten Bezug. Vgl. Walter H a g e n (Pseudonym von Wilhelm H ö t t l ): Die geheime Front. Organisation, Personen und Aktionen des deutschen Geheimdienstes. Linz, Wien 1950, S. 455f.; Wilhelm H ö t t l : Einsatz für das
Reich. Koblenz 1997, S. 340f.
121 Horia Sima (1907-1993), rumänischer Politiker. Jura-, Philologie- und Philosophiestudien, Mitglied der Eisernen
Garde seit 1927. 1938-1940 Führungsämter in der Eisernen Garde, von Corneliu Zelea Codreanu als möglicher
Nachfolger genannt. Flüchtet nach Deutschland, nachdem die rumänischen Behörden 1938-1939 Maßnahmen gegen die Garde trafen, von wo er 1940 im Geheimen nach Rumänien zurückkehrt. Beim Grenzübergang verhaftet,
akzeptiert Sima die Zusammenarbeit mit dem Regime von König Carol II. und ist für kurze Zeit Kultur- und Kunstminister im Kabinett Ion Gigurtu. Rücktritt am 8. Juli 1940 aus Protest gegen die geplanten Gebietsabtretungen.
Organisiert gleichzeitig Aktionen, um den König zum Abdanken zu bringen. Im September 1940 zum Führer der
Eisernen Garde ernannt, wird er stellvertretender Ministerpräsident im national-legionären Kabinett von General
Ion Antonescu. Machtgierig, organisiert im Januar 1941 eine Rebellion gegen Antonescu, um die alleinige Macht
zu haben. Der Putsch misslingt, er flieht nach Deutschland, wo er bis zum Kriegsende bleibt, nach 1945 in Spanien.
Vgl. über ihn: Dosar Horia Sima [Das Dossier Horia Sima]. Hg. Dana B e l d i m a n . Bucureşti 2000, S. 325.
120
224
Ottmar Traşcă
e. B. 1957 ein durchaus sauberer und zuverlässiger Legionärsführer versicherte, hatte Horia
Sima vor Kriegsende sogar mit den Bukarester Kommunisten Fühlung aufgenommen122.
Zusammenfassung:
Die Ereignisse vor und nach dem 23. August 1944 gestatten aus unmittelbarer Beobachtung
nachträglich folgende Feststellungen:
Es ging den deutschen Siedlungsgruppen in Rumänien seit dem Beginn des Zweiten Weltkrieges zuerst und zuletzt um die Wahrung des eigenen Volkstums und die Verteidigung
Europas. Daraus erklärt sich das Fehlen einer aktiven innervölkischen Opposition zwischen
1941 und 1944. Aus dieser Gesinnung folgert die rückhaltlose Einsatzbereitschaft der Waffenträger dieser auslanddeutschen Stämme, als die eigene Heimat bereits an die sowjetische
Besatzungsmacht verloren war. Nicht zuletzt gehörten die SS-Freiwilligen der deutschen
Volksgruppe Rumäniens zu den letzten Verteidigungspfeilern im Osten – Baltikum und
Kroatien – als mit dem 8. Mai 1945 die Zeitwende für Europa heraufzog.
Auch unter schwerwiegender Berücksichtigung der nationalsozialistischen Weltanschauung und des Hitlerregimes muß gesagt werden, daß diese Kolonistenstämme in Südosteuropa so gut wie ausnahmslos treu zu Volk und Vaterland standen, – bis es längst fünf
Minuten nach zwölf war.
Es ist angeführt worden, daß die Führung der deutschen Volksgruppe in Rumänien aus
Rücksicht auf die allgemeine Volkslage keinerlei Vorbereitungen zur Absetzbewegung und
Flucht treffen konnte. Diese Tatsache mag man als einen Mangel an Initiative buchen. Dem
ist jedoch hinzuzufügen, daß das antibolschewistische Rumänentum selbst bis zum letzten
Augenblick die Fäulniserscheinung der Etappe duldete, um der rotarmistischen Flut aus dem
Osten zu entgehen. Dieses Rumänentum, verkörpert durch Militärs wie Marschall Antones­
cu und aufrichtige oppositionelle Demokraten des diktatorialen Führungssystems, bezog
eindeutig Stellung gegen eine Macht von der zu Recht die Herauslösung des rumänischen
Lebensraumes aus dem gesamteuropäischen Kulturbereich befürchtet wurde.
Man hat dem 1954 verstorbenen General und Ministerpräsidenten des 23. August 1944,
Nicolae Rădescu berechtigterweise vorgeworfen, er habe vor der Deportation rumänischer
Staatsbürger zur Zwangsarbeit die Altersklassen der „Dienstverpflichteten“ unter den deutschen Volksgruppenangehörigen bewußt zwischen dem 18. und 35. bzw. 45 Lebensjahr
angesetzt, um Ende Januar 1945 die Nationalrumänen selbst vor einer zwangsweisen Verschickung zu bewahren.123 Ungeachtet dieses Umstandes bleibt festzuhalten, daß selbst das
kommunistisch beherrschte Rumänien keine Vertreibung seiner deutschen Bewohner befahl,
122
Die Aussage von Otto Liess, es habe Kontakte zwischen der Regierung in Bukarest und der von Horia Sima geleiteten „national-rumänischen Regierung“ in Wien gegeben, lässt sich zurzeit urkundlich nicht belegen.
123 Diese Aussage ist falsch. Die Deportation zur Zwangsarbeit wurde von Stalin angeordnet. Dessen Geheimbefehl
Nr. 7161 vom 16. Dezember 1944 (vgl. Günter K l e i n : Im Lichte sowjetischer Quelle. Die Deportation Deutscher
aus Rumänien zur Zwangsarbeit in die UdSSR 1945. In: Südostdeutsche Vierteljahresblätter 47 (1998), S. 152-162)
wurde als Note Nr. 031 vom 6. Januar 1945 der Alliierten (Sowjetischen) Kontrollkommission an Ministerpräsident
Nicolae Rădescu gerichtet und forderte die Mobilisierung zur „Aufbauarbeit“ der rumänischen Staatsbürger deutscher Herkunft (vgl. Die Deportation von Siebenbürger Sachsen in die Sowjetunion 1945-1949. Hg. Georg We b e r .
Bd. 3. Köln, Weimar, Wien 1995, S. 92.). Was die Haltung der Regierung Rădescu zu der sowjetischen Forderung
betrifft, vgl. die am 13. Januar 1945 an die Alliierte Kontrollkommission gesandte Note, in der die rumänische
Regierung mitteilt, sie „kann mit den vom sowjetischen Befehlsstab geäußerten Forderungen nicht einverstanden
sein“. Vgl. Archiv des Rumänischen Außenministeriums, Bestand 71/1939 E 9, Bd. 164, Bl. 43.
Die Ereignisse vom 23. August 1944
225
als z. B. 1945 Ungarns Kommunisten darauf drängten, auch den Rest der Schwaben Ungarns
aus ihrer Heimat zu vertreiben.
Mit dem 23. August 1944 und dem 8. Mai 1945 ging auch für das deutsche Volksleben in
Südosteuropa und in Rumänien eine Epoche zu Ende. Den Zeugen und Nachfahren dieses
großen und furchtbaren Weltaugenblicks bleibt die Pflicht, Schuld und Verhaftetsein jener
Tage einzubekennen. Der Abstand von den Wirren und Ereignissen dieses europäischen
Kriegs aber gebietet den Zeitgenossen und Historikern ebenso, Größe und Opferbereitschaft
dieses Kolonistengeschlechtes anzuerkennen, das innerhalb und fern der Heimat einem
Auftrag dient, den wir heute bereits unzweifelhaft erkennen: Europa.
Anmerkungen
1) Erst in der zweiten Jahreshälfte 1943 wurde innerhalb des mammuthaften Dienststellenbe-
triebes der deutschen Gesandtschaft zu Bukarest ein offizieller SD-Beauftragter eingebaut. Unmittelbar nach der Machtergreifung des Generals Ion Antonescu, September 1940, waren die
SD-Beauftragten als Gesandtschaftsangehörige getarnt.124 Bis zum Bruch zwischen der SD-Abteilung Südost und Volksgruppenführer Andreas Schmidt war die SD-Zentrale Rumänien (SSHauptsturmführer Kurt Auner, SS-Obersturmführer Roland Gunne125, SS-Untersturmführer Helmut
Styhler126 usw.) in dem von den Volksgruppendienststellen besetzten Gebäudekomplex der Strada
Luterană untergebracht.127
2) Der Angriff Liebhardts gegen Andreas Schmidt stützte sich auf Frauengeschichten des Volkgruppenführers. Unleugbar trafen einige der Anschuldigungen Liebhardts zu. Doch muß es der e. B. z. B. als
geschmacklos und widersinnig bezeichnen, wenn, Liebhardt Schmidt bezichtigte, der Volksgruppenführer habe Liebhardts Ehefrau in hochschwangerem Zustand mit einem unzüchtigen Antrag
belästigt.
124
Die Information ist nicht richtig. Vertreter des SD und der Sicherheitspolizei kamen vor der Machtübernahme von
Ion Antonescu im September 1940 nach Rumänien. Der erste SS-Polizei-Attaché der deutschen Gesandtschaft,
Hauptsturmführer SS-Kriminalrat Kurt Geißler, trat sein Amt am 15. Juli 1940 an, der Vertreter des SD – der in
Bukarest unter diplomatischem Deckmantel als Legations-Attaché wirkte –, Untersturmführer SS Otto von Bolschwing, begann seine Tätigkeit im Mai 1940. Im Februar 1941 wurden beide infolge der Beteiligung an der Seite
der Legionärsbewegung an deren Aufstand vom 21.-24. Januar 1941 abgezogen. In den folgenden Jahren haben im
Rahmen der deutschen Gesandtschaft in Bukarest offiziell als SS-Polizei-Attaché Folgende gewirkt: Standartenführer SS Horst Böhme (7. September 1942 - 5. Januar 1943); Sturmbannführer SS Gustav Richter (1. Januar - 23. August
1944). Vgl. Ottmar T r a ş c ă : Die SS Polizei Attachés der deutschen Gesandtschaft in Bukarest und ihr Einfluss auf
die rumänisch-deutschen Beziehungen 1940-1944 (Ataşaţii de poliţie SS din cadrul Legaţiei germane din Bucureşti
şi influenţa activităţii lor asupra evoluţiei relaţiilor româno-germane, 1940-1944). In: Anuarul Institutului de Istorie
Cluj-Napoca 46 (2007), S. 319-383.
125 Roland Gunne war SS-Hauptsturmführer der Reserve (seit 21. Juni 1944).
126 Helmut Styhler (1915-?), Diplom-Kaufmann, Mitglied der DVR. SS-Beitritt am 3. September 1939 (Nr. 450663). Im
Februar 1944 in das Ergänzungsamt der Waffen-SS versetzt; Teilnahme an der Ost-Kampagne mit der SS PolizeiDivision (Juni - August 1941), im August 1941 mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse ausgezeichnet. Mit nachrichtendienstlichen Aufgaben zur DVR versetzt (seit 1. September 1941); offiziell in die Volksdeutsche Mittelstelle
versetzt (am 1. März 1943), blieb er in der SD-Zentrale Rumänien bis zum 23. August 1944. Von den rumänischen
Behörden am 10. Oktober 1944 verhaftet und den Sowjets übergeben. In sowjetischen Gefängnissen und Lagern
in Moskau-Lefortowo, Kolyma, Swerdlowsk, wird er am 14. Dezember 1955 in die Bundesrepublik entlassen.
SS-Untersturmführer (seit 15. November 1942). Vgl. über ihn: BB, BDC, SSO und RuSHA Akten Helmut Styhler;
freundliche Mitteilung der Deutschen Dienststelle (Wast) Berlin.
127 Die Mitglieder der „SD-Zentrale“ in Rumänien, der u. a. Hauptsturmführer SS Kurt Auner, Hauptsturmführer SS
Roland Gunne, Untersturmführer SS Helmut Styhler, Untersturmführer SS Michael Bergel, Untersturmführer SS
Mathias Liebhardt, Untersturmführer SS Samuel Liebhardt, Untersturmführer SS Rolf Waber, Untersturmführer
SS Hans Müller und Obersturmführer SS Hans Herrschaft angehörten, führten ihre Tätigkeit in Rumänien im
Untergrund aus, da die Abwehr der einzige deutsche Informationsdienst war, dessen Tätigkeit vom rumänischen
Staat offiziell anerkannt worden ist.
226
Ottmar Traşcă
Andreas Schmidt fühlte sich durch die „Schießerei“ Liebhardts wirklich getroffen, wie gelegentlich
einer Amtswaltertagung im Hermannstädter Diasporaheim, Juni 1944, offenkundig wurde. Die Neigung Schmidts zu Frauenabenteuern war dem e. B. bekannt. Psychologisch erklärt sich diese Unbeherrschtheit z. T. daraus, daß Schmidt mit vierundzwanzig Jahren von seiner ersten Braut schnöde
hintergegangen wurde und bis zum 26. Lebensjahr eine mönchische Lebensweise führte.
Der Gegenvorwurf Andreas Schmidts an die Adresse der „Rebellen“ lautete: Drückebergerei. Tatsächlich waren z. T. die SS-Angehörigen Auner und SS-Untersturmführer Bergel128 niemals an der
Front gewesen. Liebhardt hatte sich nach zweieinhalbmonatigem Fronteinsatz – ohne Wissen des
Volksgruppenführers, aber unter Berufung auf ihn – in die Heimat „abgemeldet“. In einem Privatbrief General Steiner129 an SS-Obergruppenführer Berger beschwerte sich Steiner über die schlechte
Frontbewährung Liebhardts und fügte hinzu „Ihr macht mich mit solchen Dingen fertig“.
In Neumarkt am Mieresch (Târgul Mureş), während des Rückzugs, versöhnte sich Andreas Schmidt
mit den „Rebellen“ um Liebhardt. Es ist hinzuzufügen, daß die Gruppe Auner-Liebhardt nach dem
Abflug von Andreas Schmidt (10.11.1944) aus Wien in die Heimat alle jene Merkmale erkennen ließ,
mit denen man „Etappenhengste“ zu kennzeichnen pflegt.
3) Der e. B. hatte im Mai 1944 zu Kronstadt ein persönliches Zweigespräch mit Volksgruppenführer
Andreas Schmidt, in welchem er auf die gefährdete deutsche Frontlage Bezug nahm. Der e. B. stellte
an Schmidt die Frage, ob nicht dringlich Vorbereitungen zu einem etwaigen Treck der Familienangehörigen unserer SS-Freiwilligen nach dem Westen geboten seien – falls Rumänien unmittelbares
Frontgebiet würde. Andreas Schmidt erklärte dem e. B. damals, sobald nur die geringsten Anzeichen
solcher Vorkehrungen der rumänischen Regierung bekannt würden, würde ein sofortiger seelischer
und militärischer Zusammenbruch der rumänischen Bündnispartner die Folge sein. Daher müsse er
den Vorschlag des e. B. leider ablehnen.
4) Chefredakteur Dr. med. Fritz Theil (z. Z. Deutsche Bundesrepublik) war als Hauptschriftleiter der
konservativen Blätter „Siebenbürgisch-Deutsches Tagblatt/Hermannstadt“, später der „Kronstädter
Zeitung“ (bis 1934) zweifellos ein genialer Publizist. Nach seiner Übersiedlung in die Reichshauptstadt wurde Dr. Theil – ungeachtet seiner früheren antinationalsozialistischen Betätigung – das Pendant des Ministerialrates Dr. Hans Fritsche130 im täglichen offiziösen Rundfunkkommentar. Obwohl
dann Teilnehmer am 20. Juli 1944, gelang es Dr. Theil, acht Kontrollen zu passieren und mit Flugzeug
nach Rumänien mit ca. 40.000 sfr. zu gelangen. In Hermannstadt und Bukarest führte er sogleich
128
Michael Bergel (1920-?), Kaufmann, Mitglied der Volksgruppenführung. Offiziell im SS-Führungsamt-Volksdeutsche Mittelstelle tätig, wird mit nachrichtendienstlichen Aufgaben nach Rumänien geschickt (Juni 1941 - August
1943); Dienststellenleiter des Deutschen Abwehrkommandos in Rumänien (August 1943 - August 1944). Von den
rumänischen Behörden am 30. August 1944 verhaftet, den Sowjets im Oktober 1944 übergeben und in die UdSSR
deportiert. Durchläuft die Gefängnisse und Lager in Odessa, Workuta, Bogutschar, Wladimir und andere, wird
am 1. Dezember 1955 nach Rumänien entlassen. Ins Gefängnis in Gherla gesperrt, wird er am 27. August 1956
freigelassen und wandert am 26. Juni 1960 in die Bundesrepublik aus. Untersturmführer SS (seit 25. August 1943).
Vgl. über ihn: freundliche Mitteilung der Deutschen Dienststelle (Wast) Berlin.
129 Felix Steiner (1896-1966), SS-Offizier. Armeeeintritt 1914, Teilnahme am Ersten Weltkrieg. Nach Kriegsende von der
Reichswehr übernommen, wo er bis 1933 tätig ist. Mitglied der NSDAP seit 1933 (Nr. 4264295) und SS seit 1935 (Nr.
253351). Im Rahmen der SS übernimmt er am 1. Juli 1936 den Befehl der SS-Standarte „Deutschland“, mit der er
an den Feldzügen in Polen und Frankreich teilnimmt (1939-1940). Befehlshaber der 5. SS-Panzerdivision „Wiking“
(1. Dezember 1940 - 1. Mai 1943); Befehlshaber des III. (germanischen) SS-Panzerkorps (1. Mai 1943 - 30. Oktober
1944); Befehlshaber der 11. Armee (28. Januar - 5. März 1945); Befehlshaber der sogenannten „Armeegruppe Steiner“
(5. März - 27. April 1945). In amerikanischer Gefangenschaft (3. Mai 1945 - 27. April 1948). Vgl. über ihn: BB, BDC,
SSO Akten Felix Steiner; K l e e (wie Anm. 26), S. 600.
130 Richtig Hans Fritzsche (1900-1953), deutscher Journalist. NSDAP-Mitglied seit 1. Mai 1933. Wurde 1933 Beamter
im Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda und war nacheinander Leiter des Nachrichtenwesens
der Presseabteilung, stellvertretender Leiter (ab 1938) und dann Leiter der Abteilung „Deutsche Presse“; Leiter der
Rundfunkabteilung (ab 1942). Im Prozess in Nürnberg wegen „Verschwörung gegen den Weltfrieden“, „Verbrechen
gegen das Kriegsrecht“ und „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ angeklagt, freigesprochen. In den späteren
Entnazifizierungs-Prozessen zu 9 Jahren Zwangsarbeit verurteilt und Verbot, publizistisch tätig zu sein. Kam 1950
bei einer Amnestie frei. Vgl. über ihn: K l e e (wie Anm. 26), S. 169.
Die Ereignisse vom 23. August 1944
227
Gespräche mit Konservativen der Volksgruppe. Allerdings hütete er sich bis nach 23. August, seine
angeblich führende Beteiligung an der Aktion des 20. Juli bekanntzugeben. Nach dem 23. August
ließ sich Dr. Fritz Theil einen Ausweis der Britischen Botschaft in Bukarest ausstellen, wurde aber
später verhaftet und zu vierjährigem Einzelkerker im Gefängnis Fogarasch verurteilt. 1957 erreichte
Dr. Fritz Theil seine Ausreise in die Deutsche Bundesrepublik, wobei derzeit die Umstände dieser
Ausreisegenehmigung für Dr. Theil nicht ganz geklärt sind.
5)Unmittelbar nach dem 23. August weilte eine Anzahl Familien führender Amtswalter der Volksgruppe auf Urlaub in der Nähe von Reps. Noch zu Beginn September 1944 wurde Landesbauernführer
Hans Kaufmes131 durch eine Frontlücke zu diesen Familien geschickt, um mit ihnen Rücksprache zu
nehmen. Er hinterließ ihnen wohl einen Geldbetrag, die Familien selbst aber verblieben – entsprechend den Weisungen des „Rumpfkabinetts“ – im feindbesetzten Südsiebenbürgen, gemeinsam mit
allen übrigen Frauen und Kindern der Volksgruppe.
6)Es handelte sich um die achte SS-Kavalleriedivision, die sich in diesem Gebiet tapfer schlug und –
so ziemlich die einzige intakte Einheit – den Flußlauf der Theiß sechs Tage lang gegen den Angriff
rotarmistischer und rumänischer Übermacht hielt. Bis zur Theiß konnte man kaum von einem geordneten und planvollen Abwehrkampf auf deutscher Seite reden.
7)Genaue Einzelheiten dieses militärisch unmotivierten Rückzugs der rumänischen Verbände von der
Pruthlinie sind in einem Beitrag enthalten, der von einem geflüchteten Generalstäbler ca 1954 in der
rumänischen Emigrantenzeitschrift „Stindardul“ (Herausgeber Dr. Ion V. Emilian) veröffentlicht
wurde.
8)Rudolf Ferch, von Beruf akademischer Maler, darf als einer der tapfersten Vertreter der deutschen
Volksgruppe Rumäniens bezeichnet werden. Ferch war als k. u. k. Fähnrich 1914 an der italienischen Front, als erster seiner Division mit der goldenen Tapferkeitsmedaille ausgezeichnet worden.
Nach dem Kriege kämpfte er als Freiwilliger mit Schlageter im Ruhrgebiet, später in Schlesien und
Baltikum. 1941 wurde er persönlich im rumänischen Wehrmachtbericht zitiert. Verwundungen
des Ersten und Zweiten Weltkrieges hinderten Ferch nicht daran, während des Rückzugs aus dem
Südosten mit unbedankter Tapferkeit die Evakuierung der deutschen Zivilbevölkerung aus seinem
Frontabschnitt zu erleichtern. Ferch starb in Oberösterreich als Insasse eines Lazarettzuges, kurz
nach dem 8. Mai 1945. Es schien, als hätte das bittere Ende auch die unglaublichen Lebensenergien
dieses verwundeten und schwer herzkranken Mannes endgültig zum Verlöschen gebracht.
9)Diese Zuversicht des Generals Phleps gegenüber der kommenden Entwicklung auf den südöstlichen
Kriegsschauplatz läßt sich bei dem sonst nüchternen Strategen und Generalstäbler daraus erklären,
daß es Phleps um die Rückgewinnung der Heimat ging. Bei ihm wie bei seinem Heimatgenossen
überwog in jenen Tagen das Gefühl und der unbedingte Wille zur Rettung der Heimat den kalten
Verstand.
10)In der Anlage wird dieser Dokumentation die Photokopie der Frontzeitung „Der Grenzer“132, November 1944, beigelegt, die den Lebenslauf des SS-Obergruppenführers Phleps enthält. Es ist freilich
zu bemerken, daß die damaligen Zornausbrüche des Generals über den rumänischen Frontwechsel
für seine lebenslange Einstellung zu Rumänien und zum Rumänentum im Widerspruch stehen.
Der e. B. entsinnt sich aus dem Jahre 1932, daß Arthur Phleps im eigenen Hause und vor seiner Familie auf absolute Loyalität gegenüber dem rumänischen Vaterlande hielt. Bei jeder Ausarbeitung
von geheimen Dienstanweisungen, Karten usw., schloß sich Phleps z. B. in dem Mansardenzimmer
seiner einstöckigen Kronstädter Villa ein, um die Regeln äußerster Korrektheit ja nicht zu verletzen.
131
Hans Kaufmes (1897-1971), Landwirtschaftsfachmann. Landesbauernführer der Volksgemeinschaft der Deutschen
in Rumänien; Leiter des „Landesbauernamtes“ der DVR und Vizebürgermeister von Kronstadt (1940-1944), zweiter
Schwiegervater von Andreas Schmidt. Flüchtet nach dem 23. August 1944 nach Österreich, wo er als Landwirtschaftslehrer an der landwirtschaftlichen Lehranstalt in Rotholz wirkt. Bleibt ohne Lehramtsstelle nach der Rückkehr der Lehrer aus der Gefangenschaft. Beschließt, nach Australien auszuwandern, stellt in Hamburg fest, dass
die Möglichkeiten in den USA besser sind und wandert aus. Hilfsarbeiter beim Tierzuchtinstitut der Universität
in Cornwallis und dann Professor bis 1969. Vgl. über ihn: P e t r i (wie Anm. 76), S. 886f.
132 Befand sich nicht unter den erforschten Unterlagen.
228
Ottmar Traşcă
Während solcher Stunden mußte der e. B. auf die Benutzung des Mansardenzimmers, das er damals
bewohnte, verzichten. Am Familientisch untersagte er in seiner Gegenwart abfällige Bemerkungen
gegen das offizielle Rumänien. Dabei entgingen beklagenswerte Zustände des Regimes keineswegs
seiner kritischen Beobachtung. Umso härter mußte den General seine frühe Pensionierung treffen und
die Nichteinberufung in die rumänische Armeeführung für den gemeinsamen deutsch-rumänischen
Kampf gegen die Rote Armee.
11)Über die Verwirrung jener Tage im Führerhauptquartier selbst – als es darum ging, die deutsche
Bevölkerung aus Südsiebenbürgen und dem Banat vor der heranrückenden Roten Armee zu retten, –
berichtete mir Amtsleiter Walter May im November 1944 folgendes:
Andreas Schmidt stand gegen Ende August 1944 gemeinsam mit SS-Reichsführer Heinrich Himmler und SS-Obergruppenführer Gottlob Berger im Führerhauptquartier vor der Generalstabskarte
Siebenbürgens. Auf die Frage, wie die deutschsprachige Bevölkerung aus Südsiebenbürgen nach
Nordsiebenbürgen geschleust werden könne, zeigte Heinrich Himmler auf den Geisterwald, der
sich in den südlichen großen Bogen des Altflusses (Olt, Aluta) vorschiebt. Nach Himmlers Meinung
sollten sich Greise, Frauen und Kinder mit Wagentrecks durch dieses Waldgebiet bis zum mittleren
Szeklerland durchschlagen. Andreas Schmidt machte den Einspruch, daß der Geisterwald so wild
und unwegsam sei, daß größere Gruppen, überwiegend hilfloser Menschen dort nicht durchkönnten. Himmler beharrte auf seinem Vorschlag. Schmidt widersprach ein zweites Mal. Zum dritten
Mal tippte der Finger Himmlers auf die gleiche Stelle der Karte. Da zupfte Gottlob Berger seinen
ehemaligen Schwiegersohn insgeheim energisch am Ärmel, um Andreas Schmidt Schweigen zu
gebieten und erwiderte: „Jawohl, Reichsführer, wir werden befehlsgemäß alles Menschenmögliche
versuchen!“.
Der beharrende Eigensinn Heinrich Himmlers in dieser kleinen Szene spiegelte zum Teil auch sein
persönliches fraglos sehr herzliches Verhältnis zur Deutschen Volksgruppe wider. Es mochte für
Himmler eine harte Nervenbelastung gewesen sein, daß er die Ohnmacht zu jeder rettenden Tat
vor Andreas Schmidt einbekennen sollte. Für das Verhältnis der Volksgruppe zu Heinrich Himmler
mag es auch bezeichnend sein, daß ihm nach dem 23. August das Draaser Schwert (aus der Zeit der
deutschen Landnahme in Siebenbürgen vor 800 Jahren) mit dem Wunsch übersandt wurde, Himmler
möge es bald wieder in die von der Roten Armee befreite alte Heimat zurückbringen lassen.
12) In anderem Zusammenhang ist bereits über das Schicksal der Familie Andreas Schmidts berichtet
worden. In dieser Anmerkung sei kurz nochmals darauf hingewiesen, daß die zweite Frau mit dem
Sohne Schmidts mit der Schwiegermutter und der einen Schwägerin im Jahre 1947 in Wien bei dem
e. B. einlangten und von ihm nach Oberösterreich weitergeleitet wurden. Die Familie lebt heute in
den USA, wo der zweite Schwiegervater von Andreas Schmidt, Dr. Hans Kaufmes, eine Professur
an einer landwirtschaftlichen Hochschule innehat.
Zeitschrift für Siebenbürgische Landeskunde 34 (2011), Heft 2
229
Mitteilungen und Berichte
Siebenbürgen im Spiegel der nachgelassenen Schriften
der Familie Conrad von Heydendorff (1750-1850)
Im Folgenden wird ein Projekt des Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde und
der Heimatgemeinschaft Mediasch e. V. vorgestellt, für das Kooperationen mit der BabeşBolyai-Universität und dem Geschichtsinstitut „George Bariţiu“ der Rumänischen Akademie
in Klausenburg sowie mit weiteren Instituten und Forschern angestrebt werden, um das im
Titel angekündigte Thema möglichst umfassend behandeln zu können.
Während dreier Jahrhunderte spielten Mitglieder der über Bistritz nach Mediasch gekommenen Familie Conrad Edle von Heydendorff im öffentlichen Leben Siebenbürgens eine
bedeutende Rolle. Seit 1676 gehörten Mitglieder dieser Familie in schier ununterbrochener
Folge dem Mediascher Magistrat an, stellten abwechselnd mit anderen Patrizierfamilien die
Bürgermeister sowie Königs- und Stuhlsrichter der Königlich Freien Stadt und des Mediascher Stuhls. Michael Conrad der Ältere, der vermutlich bedeutendste Spross der Familie,
bekleidete in seinen 91 Lebensjahren über seine Heimatstadt hinaus zahlreiche öffentliche
Ämter, darunter auch jene eines Gubernialrates und eines Vizegespans des oberen Kreises
des Hermannstädter Komitats (1784). In den stürmischen Jahrzehnten der Josephinischen
Reformen kämpfte er in vorderster Reihe, wenn es darum ging, die traditionelle Ordnung
zu erhalten und die Auswirkungen der Umgestaltungen auf das sächsische Gemeinwesen
einzudämmen. Auch sein Sohn Michael der Jüngere war ein bekannter Mann des öffentlichen
Lebens, der bei der Gründung des Vereins für siebenbürgische Landeskunde beteiligt war
und später die blutigen Auseinandersetzungen der Jahre 1848 und 1849 miterlebte.
Eine umfassende Studie über diese Familie – die mit den Familien Brekner von Brukenthal,
von Hannenheim, von Herrmann und mit vielen anderen alteingesessenen sächsischen Geschlechtern verschwägert und verwandtschaftlich verbunden gewesen ist – kann eine Fülle
authentischer Informationen über die Rezeption der politischen Verhältnisse insbesondere
durch den sächsischen Beamtenadel sowie Einblicke in das gesellschaftliche und private
Leben ihrer Zeit bieten. Darauf hat schon Gudrun Liane Ittu hingewiesen1. Obwohl die
1
Gudrun Liane I t t u : Familia Conrad von Heydendorff în epistole, jurnale şi portrete [Die Familie C. v. H. in
Briefen, Tagebüchern und Porträts]. Referat, gehalten während der wissenschaftlichen Jahrestagung des Muzeul
Civilizaţiei Dacice şi Romane, Deva, Juni 2010. Von Gudrun Liane I t t u liegen folgende weiteren Studien zum
Thema Heydendorff vor : Aspecte din viaţa cotidiană a familiei von Heydendorff [Aspekte aus dem alltäglichen
Leben der Familie v. H.]. In: Comunicări Ştiinţifice VII Bibliotheca Istorica, Philosophica et Geographica, Grup
Şcolar de Industrie Uşoară din Mediaş, Catedra de Istorie şi Ştiinţe Socio-Umane. Mediaş 2008, S. 129-134; Iubirile
interzise ale familiei von Heydendorff [Die verbotenen Lieben der Familie von Heydendorff]. In: Magazin istoric,
April 2009, S. 21-25; Împăratul Iosif al II-lea vizitează Transilvania [Kaiser Joseph II. besucht Siebenbürgen]. In:
Magazin istoric, Juni 2010, S. 66-70; Întâlnirile lui Michael von Heydendorff sen. (1730-1821) cu suveranii habsburgi
1773, 1783, 1786 şi 1817 [Die Begegnungen des M. v. H. d. Ä. (1730-1821) mit den habsburgischen Herrschern 1773,
1783, 1786 und 1817]. In: Brukenthal. Acta Musei V.1 ( 2010), S. 191-201; Johann Martin Stock – Portretist al familiei
Conrad von Heydendorff [Johann Martin Stock – Portraitmaler der Familie C. v. H.]. In: Brukenthal. Acta Musei
V.2 (2010), S. 373-376; Scriitură şi apartenenţă. Relaţia public-privat în arhivele familiei von Heydendorff [Schrifttum und Zugehörigkeit. Die Beziehung zwischen Öffentlichem und Privatem in den Archiven der Familie v. H.].
230
Zeitschrift für Siebenbürgische Landeskunde 34 (2011), Heft 2
Gründungsmythen der Sachsen behaupten, dass in ihrem Volk nur freie und gleichgestellte
Menschen lebten, gab es unter ihnen sowohl Leibeigene als auch Adelige. Weil angeblich
„keiner Herr und keiner Knecht“ war, wurde möglicherweise dem sächsischen (Beamten-)
Adel seitens der Forschung weniger Aufmerksamkeit geschenkt als in anderen Ländern und
Regionen. Eine umfassende Heydendorff-Studie könnte diese Lücke schließen.
Die Quellenlage hierzu ist besonders reich. Hinzu kommt, dass die Quellen weitgehend
unerforscht sind; die wenigen vorhandenen Studien sind schon älteren Datums und wurden
nach teilweise veralteten Methoden erstellt. Die Heydendorffs – Männer wie Frauen – haben
eine umfassende Korrespondenz geführt, die in großen Teilen erhalten geblieben ist. Sowohl
Michael der Ältere als auch Michael der Jüngere haben akribisch Tagebuch geführt. In ihren
Aufzeichnungen widmen sie sich dem politischen Tagesgeschehen ihrer Zeit in epischer
Breite und halten viele Einzelheiten fest. Auch aus dem Familienleben wird ausführlich berichtet. Insgesamt haben viele tausend Seiten Archivgut, geschrieben von und an Mitglieder
der Familie von Heydendorff, die Zeitläufe überdauert. Nur teilweise publiziert, liegen sie
in den Archiven, überwiegend im Staatsarchiv Hermannstadt, im Archiv der evangelischen
Kirchengemeinde Mediasch, im Siebenbürgen-Institut in Gundelsheim und im Privatbesitz
der Familie vor.
Die Heydendorffschen Schriften laden somit förmlich dazu ein, sich intensiv mit der Zeit
zu beschäftigen, der sie entstammen, und mit den Menschen, die sie verfassten. Es ließe sich
so eine doppelte Lücke schließen: Mit wenigen Ausnahmen gibt es keine Studien über die
siebenbürgische Briefkultur und Memorialistik2, und auch der Übergang zum 19. Jahrhundert hat in der siebenbürgischen Historiographie wenig Beachtung gefunden. Der Arbeitskreis für Siebenbürgische Landeskunde und die Heimatgemeinschaft Mediasch e. V. starten
daher ein breit angelegtes Kooperationsprojekt, für das mehrere Institutionen und Wissenschaftler gewonnen werden sollen, um die Vielzahl von Facetten zu beleuchten und der
Frage nachzugehen, wie sich das öffentliche Leben in Siebenbürgen und das private Leben
der sächsischen Oberschicht in den Heydendorffschen Schriften widerspiegelt. Besonders
wünschenswert ist die Beteiligung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowohl
aus dem deutschen als auch aus dem ungarischen und rumänischen Umfeld, um auf diese
Weise zu einer facettenreichen Darstellung einer Zeit zu kommen, in der die Weichen für
die Entwicklung des modernen Siebenbürgen gestellt wurden.
Um die bisher nur grob umrissenen konzeptionellen Überlegungen ansatzweise zu strukturieren, wird im Folgenden versucht, das vorhandene Material thematisch zu ordnen3, kurz
zu beschreiben und aufbauend darauf einige Ideen zu seiner Verwertung niederzuschreiben:
2
3
In: De la fictiv la real. Imaginea. Imaginarul. Imagologia. Hg. Andi M i h a l a c h e , Silvia M a r i n - B a r u t c i e f f .
Iași 2010, S. 619-636; Aspecte culinare transilvănene de la sfârşitul secolului al XVIII-lea în scrisorile Heydendorfilor [Kulinarisches aus Siebenbürgen vom Ende des 18. Jahrhunderts in den Briefen der Heydendorffs]. Referat,
gehalten im Rahmen der „Zilele antropologiei româneşti”, Lucian-Blaga-Universität Hermannstadt, 2010. Für die
freundliche Überlassung der Typoskripte danke ich der Autorin herzlich.
Georg Michael Gottlieb v. Herrmann und seine Familie. Kronstädter Kultur- und Lebensbilder, von ihm selbst verfasst. Hg. Julius G r o ß . In: Archiv VfsL 22 (1889-1890), S. 93-328, 537-618; Aus den Briefen des Gubernialsekretärs
Johann Theodor von Herrmann. Hg. Julius G r o ß . In: Archiv VfsL 23 (1890), S. 73-189; 23 (1891), S. 355-354. Für
die Hinweise danke ich Thomas Ş i n d i l a r i u und Gernot N u s s b ä c h e r (Kronstadt).
Die Auflistung der Literatur und auch jene der Quellen erhebt nicht den Anspruch auf Vollständigkeit.
Mitteilungen und Berichte
231
1. Biographien der Mitglieder der Familie Heydendorff
Von Julius Groß erschien im Jahre 1892 eine ausführliche Familiengeschichte4. Als biographische Quellen stehen folgende Originalunterlagen zur Verfügung:
1.1 „Heydendorffische Biographie. 1805“5, ein Folio-Band von 131 Manuskript-Seiten mit
über 100 eingelegten Dokumenten, die mit Querverweisen zu einzelnen Seiten des Folios
versehen sind. Begonnen wurden die Aufzeichnungen vermutlich Anfang des 17. Jahrhunderts, möglicherweise von Daniel Conrad von Heydendorff und fortgesetzt von Michael dem
Älteren6. Julius Groß erwähnt diese Quelle im Vorwort seiner Biographie der Heydendorffs
(siehe Anm. 4).
1.2 Zwölf großformatige Partezettel von Mitgliedern der Familie Heydendorff7.
1.3 Register [vermutlich Hausbuch Michaels des Älteren] aus den Jahren 1764 -1769, Folio,
93 Seiten mit Einlagen, datiert ab 17308.
1.4 Original-Adelspatent und goldener Gnadenpfennig für Samuel Conrad von Heydendorff (Familienbesitz)
1.5 Otto Folberth sen.: Männer der Familie Heydendorff, unveröffentlichtes Typoskript9.
2. Familienbilder
Im Privatbesitz der Familie befanden sich in den 1930er Jahren eine Anzahl von ca. 20 Familienbildern in Öl, teilweise von namhaften siebenbürgischen Malern wie Johann Martin
Stock ausgeführt. Sie blieben in der Literatur bisher weitgehend unbeachtet10. Ein Großteil
dieser Bilder existiert noch im Familienbesitz in Deutschland11.
Anhand dieser Bilder soll im Rahmen des Projektes eine Studie über die (Mediascher)
Partiziertracht im 18. Jahrhundert erarbeitet werden12.
4
Julius G r o ß : Zur Geschichte der Heydendorffschen Familie. In: Archiv VfsL 24 (1892), 2, S. 233-345.
Die Jahreszahl, mit Bleistift von anderer Hand hinzugefügt, bezieht sich vermutlich auf das letzte Jahr, in dem
Aufzeichnungen erfolgten.
6 Arhivele Naţionale ale României, Direcţia judeţeană Sibiu [Staatsarchiv Hermannstadt (fortan: STAH)], Fondul
Protopopiatul ev. CA Mediaş [Evangelisches Pfarramt A.B. Mediasch (fortan: PrEvMed)], Nr. 59.
7 Archiv der Kirchengemeinde Mediasch (fortan: ArchKMed), digitale Kopien im Archiv der Heimatgemeinschaft
Mediasch e. V. (fortan: ArchHGM).
8 STAH PrEvMed, Nr. 28.
9 Ohne Jahr, Privatbesitz der Familie Folberth, Kopie im ArchHGM.
10 Bisher veröffentlicht wurde das Portrait des Samuel Conrad v. H. in der Arbeit Otto F o l b e r t h : Das Ahnenwappen.
Aus einem Erinnerungsbuch von Otto Folberth. In: Siebenbürgisch-sächsischer Hauskalender 1961, S. 4-59, und
zwei Portraits von Michael d. J. in: Michael Conrad von Heydendorff. Unter fünf Kaisern. Hg. Otto F o l b e r t h ,
Udo Wolfgang A c k e r . München 1978.
11 In den 1930er Jahren wurden Schwarz-Weiß-Fotos davon durch das Atelier Guggenberger-Mairovits in Bukarest
hergestellt. Rückseitig wurden die Bilder umfassend beschriftet von Olga Conrad von Heydendorff. Sie befinden
sich heute im Archiv der ev. Landeskirche (Friedrich-Teutsch-Haus) in Hermannstadt (digitale Kopien davon im
ArchHGM).
12 Eine weitere Quelle hierzu ist die „Kleider- und Policey-Ordnung der königlichen Freystadt Medwisch und
des Stuhls“, 1767 vom Stadtmagistrat erlassen und von Michael dem Älteren als Notar abgezeichnet (Kopie im
ArchHGM). Vgl. dazu auch Hansotto D r o t l o f f : Vom Jahrmarkt der Eitelkeit zum Hort der Sittsamkeit? Betrachtungen zu Stadt- und Sittengeschichte Mediaschs in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts anhand der Kleiderund Polizeiordnung von 1767. In Mediascher Infoblatt / Mediascher Zeitung 5 (2004), 7, S. 17-23.
5
232
Zeitschrift für Siebenbürgische Landeskunde 34 (2011), Heft 2
3. Das politische Geschehen in Siebenbürgen
im Spiegel der Heydendorff-Tagebücher und anderer Schriften
Das Tagebuch Michaels des Älteren (es umfasst die Zeit von ca. 1754 bis 1818) wurde bereits
im 19. Jahrhundert publiziert13. Der Herausgeber Rudolf Theil schreibt in einer einleitenden
Fußnote:
„Eine genaue Durchsicht bestätigt die vorgefaßte Vermutung: das Manuscript enthält in
der That eine Geschichte unseres Volkes in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, in die
biographische Notizen eingeflochten sind. Dem Manuscripte liegen eine Menge Originalien: Briefe, ämtliche Aktenstücke etc. bei, unter genauer Angabe wie der Selbstbiograph
zu denselben gelangte.“14
Auch Bernd Dieter Schobel weist auf die Tatsache hin, dass
„das häufige Rückgreifen späterer Autoren [auf die von Theil publizierte Selbstbiographie, Anm. d. Verf.] zeigt, welche Bedeutung dieser Schrift für die Bereicherung unserer
Kenntnis von den Geschehnissen in der zweiten Hälfte des 18. und der ersten Hälfte des
19. Jahrhunderts zukommt.“15
Bemerkenswerte, von Michael dem Älteren ausführlich beschriebene Ereignisse sind der
Aufstand der Grenzschutzszekler 176416, wobei der Selbstbiograph als Notar bei der nachfolgenden Untersuchung des Massakers eingesetzt war und sehr detailliert über die Verhöre
berichtet; ein mehrwöchiger Ritt mit Zeltübernachtung über die Kämme des Bihor-Gebirges,
um einen Grenzstreit zu schlichten, auf der Michael der Jüngere den Vater begleitete17, die
Kapriolen während einer vom Gubernium angestrengten Untersuchung gegen den Mediascher Magistrat wegen des Streits mit Kleinkopisch über die Schweinemast im Schemmert18,
die Josephinischen Reformen und die territoriale Reorganisation Ende des 18. Jahrhunderts
bis zur Rücknahme der Reformen und bis hin zum Klausenburger Landtag von 179119 und
vieles andere mehr. Ergänzende Dokumente aus der Feder Michaels des Älteren befinden
sich im Fonds Brukenthal im Hermannstädter Staatsarchiv20.
13
14
15
16
17
18
19
20
Michael Conrad von Heidendorf (sic!): Eine Selbstbiographie mitgeteilt von Dr. Rudolf T h e i l . In: Archiv VfsL 13
(1876), 2, S. 339-351; 3, S. 565-576; 14 (1877), 1, S. 229-246; 15 (1880), 1, S. 127-161; 16 (1880), 1, S. 158-203; 16 (1881),
2, S. 426-498; 18 (1883), 1, S. 1-244; 18 (1884), 2, S. 245-379. Das Original – zwei Hefte mit insgesamt 1740 Quartseiten – befindet sich im Staatsarchiv Hermannstadt (STAH Fond Brukenthal [fortan: FB] Ms rare II 751). Die letzten
Seiten des Tagebuches, einschließlich einer ausführlichen Nachschrift aus dem Jahre 1821 von Michael d. J. verfasst
anlässlich des Todes seines Vaters (Michael d. Ä.) befinden sich übrigens nicht in FB, sondern in PrEvMed, Nr. 82.
Diese befinden sich heute nicht mehr bei dem Manuskript, es ist noch zu klären, wo sie aufbewahrt werden.
Bernd Dieter S c h o b e l : Autobiographische Reaktionen auf die Gegenreformation in Siebenbürgen. In: Reformation, Pietismus, Spiritualität. Beiträge zur siebenbürgisch-sächsischen Kirchengeschichte. Hg. Ulrich A. W i e n
(= Schriften 41) Köln, Weimar, Wien 2011, S. 194-226.
Siehe hierzu auch http://rodosz.ro/files/Vorzsak_Orsolya.pdf, Seite 7, eingesehen am 17.07.2011.
Der Vergleich der Tagebucheinträge, die Vater und Sohn vermutlich auch in der Wildnis voreinander geheim
hielten bei Otto F o l b e r t h : Eine Expedition ins siebenbürgische Erzgebirge im Jahre 1793. In: Jahrbuch 1964,
Siebenbürgischer Hauskalender, S. 47-52.
Hansotto D r o t l o f f : Ein „Schweinekrieg“ im Schemmert. In: Mediascher Infoblatt / Mediascher Zeitung 5 (2004),
8, S. 28-31.
Es ist dies ein Herzstück des Tagebuchs – allein die Einträge der Jahre 1790 und 1791 umfassen knapp 100 gedruckte
Seiten im Archiv (siehe Anm. 13).
Im Findbuch bezeichnet mit „Abhandlungen zur Geschichte, Verwaltung, Recht und Verfassungsrecht der Siebenbürger Sachsen, Eder, Heydendorf (sic), vermutlich auch Herrmann G. M. G., 1749-1784, und o. J., ca. 500f. (STAH,
FB, M. 1-5. 29-33, 36-41 ähnlichen Inhalts inkl. 19. Jh.). Im FB befinden sich auch diverse Akten des Mediascher
Magistrats im Zusammenhang mit der Untersuchung wegen der „Schweinemast im Schemmert“ (1771).
Mitteilungen und Berichte
233
Im Rahmen des Projektes wäre eine Neuedition mit kritischer Wertung unter Heranziehung des aktuellen Forschungsstandes in Buchform zu überlegen.
Das Tagebuch Michaels des Jüngeren21 wurde von Otto Folberth und Udo Wolfgang Acker
nur in Auszügen22 publiziert, wobei sich die Herausgeber auf die politisch-historisch relevanten Passagen beschränkten. Besonders bedeutsam sind in diesem Tagebuch etwa eine
sehr ausführliche Beschreibung des öffentlichen Lebens in Wien 1792, die Ereignisse der
1848er Revolution in Siebenbürgen und die damit verbundenen politischen Verwerfungen,
die feierliche Umbettung der Gebeine Stephan Ludwig Roths und die Gründung des Vereins
für siebenbürgische Landeskunde.
Eine weitere Aufgabe des Projektes könnte es werden, „Unter fünf Kaisern“, das auf dem
Buchmarkt vergriffen ist, in einer Neuedition mit kritischer Wertung neu herauszugeben.
Dabei wäre zu bewerten, in welchem Umfang und in welcher Form auch die von Folberth
und Acker ausgeklammerten Passagen des Tagebuchs veröffentlicht werden sollten.
4. Privates und Persönliches in Tagebüchern und Briefen
Als Julius Groß in den 1870er Jahren in Mediasch nach Briefen von und aus dem Umfeld der
Kronstädter Familie von Herrmann suchte, fand er „auf dem Aufboden des Heydendorffschen Hauses in Mediasch“23 ein größeres Konvolut von Briefen, das er mit ca. 4000 bezifferte. Friedrich Wilhelm Seraphin begann 1894 im „Archiv des Vereins für siebenbürgische
Landskunde“ eine Edition der Briefe und publizierte etwa 700 Stück in Auszügen24. Danach
bricht die Edition ohne Begründung ab und die Spur der Briefe verliert sich, nicht so aber
die Briefe selbst. Erst kürzlich wurde festgestellt, dass sich im Staatsarchiv Hermannstadt
im Bestand Evangelisches Pfarramt A. B. Mediasch 34 Mappen mit Briefen aus dem Besitz
der Heydendorffschen Familie befinden, nach Empfängern geordnet. In einer Stichprobe
wurde die Mappe „Johann Peter Conrad v. Heydendorff“25 geprüft, die 93 Blatt enthält – es
sind dies empfangene Briefe, eigene Briefentwürfe sowie persönliche Dokumente wie Eingaben an den Kaiser in Wien, standesamtliche Unterlagen, sein Testament etc. Es darf daraus
geschlossen werden, dass sich in den erwähnten Mappen das ganze seinerzeitige Konvolut
befindet. Seraphin dürfte es nach Abbruch seiner Edition der Kirchengemeinde Mediasch
übergeben haben26, wo es für die Familie verwahrt wurde und bis zur Verbringung nach
Hermannstadt auch verblieb.
Von einer Auswertung dieser Korrespondenz sind außergewöhnliche Einblicke in das
private Leben der sächsischen Oberschicht aus einem Zeitraum von über 100 Jahren im 18.
und 19. Jahrhundert zu erwarten, möglicherweise auch unbekannte Einzelheiten des politi21
22
23
24
25
26
Das Original befindet sich im Nachlass von Otto Folberth im Archiv des Siebenbürgen-Instituts in Gundelsheim;
dort werden auch zwei Exemplare einer in den frühen 1960er Jahren erstellten Transkription als Typoskript aufbewahrt.
Siehe Anm. 10.
Aus den Briefen der Familie v. Heydendorff. Hg. Friedrich Wilhelm S e r a p h i n . In: Archiv VfsL 25 (1894-1896),
S. VIII.
Aus den Briefen (wie Anm. 23), S. 1-750.
STAH PrEvMed, Nr. 16.
Vermutlich erfolgte die Rückgabe nicht an die Familie, da der einzige männliche Spross der Heydendorffs, Karl
Conrad v. H. in den 1890er Jahren eine unmündige Vollwaise war.
234
Zeitschrift für Siebenbürgische Landeskunde 34 (2011), Heft 2
schen Tagesgeschehens. Ergänzt werden könnte dies durch die persönlichen Passagen der
Tagebücher Michaels des Älteren und Michaels des Jüngeren. Arbeiten über die verwandte
Familie von Herrmann aus Kronstadt, einschließlich deren veröffentlichten Korrespondenz,
könnten zur Ergänzung herangezogen werden27.
Voraussetzung für diesen Teil des Projektes ist allerdings eine kritische Gesamtedition der
Briefe, von denen der Großteil erst einmal gelesen und transkribiert werden müsste, sowie
des unveröffentlichten Teils des Tagebuches von Michael dem Jüngeren28.
5. Religiosität
In der Familie Heydendorff herrschte eine tiefe Religiosität mit deutlich pietistischer Ausprägung. Bernd Dieter Schobel hat das Tagebuch Michaels des Älteren dahingehend untersucht;
seine Arbeit ist kürzlich veröffentlicht worden29. Im Tagebuch Michaels des Jüngeren nehmen die religiösen Passagen noch mehr Raum ein als bei seinem Vater – eine Untersuchung
derselben und eine vergleichende Betrachtung der Religiosität von Vater und Sohn dürften
interessante Schlussfolgerungen möglich machen. Man vergegenwärtige sich: Als Michael
der Jüngere 1786 mit seinen Aufzeichnungen begann, war er 17 Jahre alt. Sein zu jenem
Zeitpunkt 56 Jahre alter Vater hatte sein Tagebuch bis dahin bereits viele Jahre hindurch
geführt30. Es handelt sich also um 35 Jahre paralleler Aufzeichnungen, und dass sie diese
voreinander und vor allem vor dem Rest der Welt streng geheim hielten, macht sie für die
Forschung noch interessanter31.
Es liegt also eine beachtliche Menge von Quellen vor, die es in einem umfassenden Forschungsprojekt erlauben würden, neue Arbeitsansätze und -hypothesen zu definieren.
Abschließend ergeht eine herzliche Einladung an alle interessierten Forscher, sofern sie sich
eine Teilnahme an dem Projekt vorstellen können, Verbindung aufzunehmen mit Dr. Hans­
otto Drotloff (elektronisch unter [email protected]) oder schriftlich unter Rill­weg 8, 63755 Alzenau) oder Dr. Konrad Gündisch ([email protected]).
Hansotto D r o t l o f f
27
Siehe Anm. 2.
Wie bereits erwähnt, liegt die Transkription vor; eine digitale Kopie ist im ArchHGM verfügbar.
29 Siehe Anm. 15.
30 Der Zeitpunkt der ersten Eintragung ist nicht genau nachvollziehbar. Otto Folberth irrt vermutlich, wenn er im
Vorwort von „Unter fünf Kaisern“ (wie Anm. 10) sagt, Michael der Ältere habe im Jahre 1784 mit seinen Aufzeichnungen begonnen. Auf dem ersten Blatt des Tagebuches befindet sich ein Vermerk aus dem Jahre 1784, ergänzt
durch weitere Notizen bis 1816, in denen er die Geheimhaltung des Manuskriptes verfügt. Das erste Quartheft
umfasst die Zeit bis 1780, nach einigen Zeilen aus dem Jahre 1781 endet das Heft. Denkbar ist, dass Michael d. Ä.
das erste Heft 1784 hat binden lassen und dabei das erwähnte Blatt vorangestellt hat. Das erste Jahr, das im Tagebuch genannt wird, ist 1770 (Archiv VfsL 16 (1880), S. 158). Vermutlich hat der Selbstbiograph dieses Manuskript
spätestens 1769 begonnen. Die recht genauen Angaben zu der Zeit davor legen außerdem den Schluss nahe, dass
Michael der Ältere auf ältere Notizen zurückgegriffen hat. Eine solche Quelle könnten Hausbücher sein, wie das
in Anm. 8 erwähnte.
31 Die erwähnte Reise durch das Bihor-Gebirge haben die beiden – aus völlig unterschiedlicher Perspektive – in ihren
Tagebüchern festgehalten (siehe auch Anm. 17).
28
Zeitschrift für Siebenbürgische Landeskunde 34 (2011), Heft 2
235
800 Jahre Deutscher Orden in Siebenbürgen
46. Jahrestagung des Arbeitskreises für Siebenbürgische
Landeskunde am 15./16. September 2011 in Kronstadt
Der 800. Jahrestag der Berufung des Deutschen Ordens in das Burzenland wurde 2011
eingehend und auf verschiedenste Weise gewürdigt. Während der Fest- und Gedenkwoche
Mitte September in Kronstadt, der „Krönung des Burzenländer Jubiläumsjahres“, war der
Jahrestag Anlass einer großen wissenschaftlichen Tagung. Der Einladung des Arbeitskreises
für Siebenbürgische Landeskunde folgten über 170 Tagungsteilnehmer in das Kulturzentrum
Redoute in der Hirschergasse. Das von Hon.-Prof. Dr. Konrad Gündisch ausgearbeitete Programm ordnete 14 Vorträge in fünf Themenblöcken an. Referenten aus Deutschland, Ungarn
und Rumänien legten den Forschungsstand dar und stellten neue Forschungsansätze und
Quellenfunde ihrer Disziplinen vor – jeweils in rumänisch-deutscher Simultanübersetzung.
Der erste Themenblock widmete sich dem historischen Umfeld der Berufung, den auch in
den einzelnen nationalen Historiographien unterschiedlichen Blickwinkeln und Interpretationsmodellen über die Anwesenheit des Deutschen Ordens im Burzenland. „Der Deutsche
Orden als Wille und Vorstellung. Selbst- und Fremdkonstruktionen einer geistlich-weltlichen Korporation zwischen Ideologie und Politik“ überschrieb der Osteuropa-Historiker
Prof. Dr. Thomas Wünsch aus Passau seine Ausführungen zum Deutschen Orden. Nach
dem Burzenländer Engagement hatte er als einziger Ritterorden einen großen Staat aufgebaut. Der Rechtfertigungskonflikt zwischen Landesherrschaft und Stiftungszweck wurde
insbesondere anhand der Diskussionen auf dem Konstanzer Konzil verdeutlicht. Er blieb
eine Konstante unterschiedlicher Bewertungen des Deutschen Ordens bis in die Moderne.
Prof. Dr. Şerban Papacostea aus Bukarest, Nestor der rumänischen Mediävistik, zeigte den
Kontext des katholisch-orthodoxen Konfessionskonfliktes auf, der durch die Eroberung
Konstantinopels 1204 räumlich erheblich näher gerückt war: ,,Papsttum und Kreuzzug im
östlichen Europa. Das Lateinische Kaiserreich am Bosporus und der Deutsche Orden an
der Unteren Donau“. Nachdem die Kumanen 1205 gegen das Lateinische Kaiserreich gekämpft hatten, lässt sich ein größeres Interesse der Kurie feststellen. Gut positioniert war
der Deutsche Orden, gerade nach der Niederlage der Kumanen gegen die Mongolen 1223;
jedoch wurde er durch die Vertreibung 1225 von den sich in diesem Raum bietenden, breit
dargelegten Optionen ausgeschlossen. Frau Prof. Dr. Márta Font aus Fünfkirchen stellte
„Ungarn und Osteuropa zur Zeit König Andreas II.“ in einer konzisen Gesamtschau vor,
unter eingehenderer Darlegung der meist weniger beachteten Ostpolitik in Halitsch und
Wladimir. Prof. Dr. Victor Spinei aus Iași beleuchtete als vierten Aspekt Beziehungen und
Interpretationen zur Moldau und zu den Kumanen.
Die zweite Gruppe von Vorträgen brachte die Tagung in die „Mikroebene“, die lokalen
Geschehnisse dieser Zeit. In das Burzenland und dessen einzeln vorgestellte sächsische Dörfer führte Prof. Dr. Paul Niedermaier aus Hermannstadt mit Beobachtungen zur Siedlungstopographie, anschaulich insbesondere aufgrund der greifbaren kartographischen Quellen
aus dem 18. Jahrhundert. Dr. Harald Roth aus Potsdam erläuterte sein hinter „Kronstadt,
236
Zeitschrift für Siebenbürgische Landeskunde 34 (2011), Heft 2
eine Gründung des Deutschen Ordens“ gesetztes Fragezeichen. Den seit der „Wiederentdeckung“ der Deutschordenszeit im 18. Jahrhundert geltenden Konsens stört ein seit wenigen
Jahrzehnten bekannter Beleg eines Prämonstratenserklosters 1234/1235. Nach der Darlegung,
wie wenig geeignet Kronstadt als Zentralort für den Deutschen Orden gewesen wäre, machte
er wahrscheinlich, dass die Niederlassung des konkurrierenden Prämonstratenser-Ordens
bereits vor der Berufung des Deutschen Ordens bestand. Sie dürfte eine Fortsetzung im
Zisterzienserinnenkloster gefunden und sich im großen kirchlichen Grundstückskomplex
um die Schwarze Kirche in der Stadttopographie verfestigt haben.
Am zweiten Tagungstag wurden neue Ergebnisse archäologischer Forschungen vorgestellt. Dr. Adrian Ioniţă vom Archäologischen Institut „Vasile Pârvan“ aus Bukarest, Fortsetzer der Arbeiten des verstorbenen Prof. Dr. Radu Popa, referierte über die Besiedlung des
Burzenlandes im 12. und 13. Jahrhundert. Eine besondere, westliche Bestattungsform mit
Kopfnischen sowie Münzen Gézas II. und Stephans III. weisen in das späte 12. Jahrhundert
und legen nahe, dass das Burzenland von der gleichen Siedlungsbewegung wie das Gebiet
des „Andreanums“ erfasst wurde. Der Forschungsbericht von Prof. Dr. Adrian Andrei Rusu
über die Burgen des Deutschen Ordens stellte das Fehlen einer eigenen Deutschordensarchitektur heraus. Die wenigen Anlagen wurden in der typischen Bauweise der Region
angelegt, ähneln denen im Sachsen- oder Szeklergebiet. Ein eigener Bautyp als „befestigter
Konvent“ hat sich erst allmählich später in Preußen entwickelt. Prof. Dr. Zeno Pinter aus
Hermannstadt gab einen Überblick über „Waffenfunde der Deutschordenszeit“. Die Zeit
um 1200 als Höhepunkt der schweren Kavallerie brachte „militärische Spitzentechnik“ hervor. Erfahrungen der Kreuzzüge hatten gerade die Schwertproduktion verändert. Funde
aus Siebenbürgen wurden mit Vergleichsfunden bis in die Schweiz abgeglichen und die
verschiedenen Klassifikationssysteme für Schwerter vorgestellt. Dieses konkretisierten die
sehr erhellenden Ausführungen von Florin Motei über „Ein bislang unbekanntes Schwert
aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts im Kronstädter Historischen Museum“. Die bei
Petersberg gefundene Waffe fällt zudem auf durch ein als Meisterzeichen oder Wappen angebrachtes Herz und Kreuz.
Die Rezeption der kurzen Deutschordenszeit in der Neuzeit beleuchtete der nächste Themenblock. Aus seiner jahrzehntelangen Beschäftigung heraus gab der Tübinger Prof. Dr. Harald Zimmermann einen lebendigen Forschungsbericht über den Deutschen Orden in der
siebenbürgischen Geschichtsschreibung. Hatte 1689 ein nach Kronstadt entsandter Ordensritter noch vergeblich geforscht, so brachte hundert Jahre später, während der Umbrüche unter Joseph II., der Göttinger Historiker Schlözer (und dessen sächsische Zuträger)
diese Ereignisse in die allgemeine Geschichtsschreibung zurück. Schlözer bewertete den
Orden und seinen „intriganten Hochmeister“ negativ; erst durch dessen Vertreibung sei
ein „freies, glückliches Volk im Burzenland verblieben“. Dieses wirkte lange nach, über
Georg Daniel Teutsch bis Oskar Wittstock 1943. Weitere Forschungen und Neubewertungen fasste die 150-seitige Darstellung von Friedrich Philippi im Kronstädter Gymnasialprogramm 1861 zusammen. Ähnlich dem Reich kam im späten 19. Jahrhundert eine positivere Bewertung des Deutschen Ordens auf; auch in das deutschsprachige Schulbuch
fand er Aufnahme. Auf rumänischer Seite stieß der Klausenburger Hobby-Historiker Iosif
Mitteilungen und Berichte
237
Şchiopul eine Fälschungsdiskussion an, die auch von der renommierten rumänischen Mediävistin Maria Holban weitergeführt wurde. Zimmermann hat die Echtheit der Urkunden
nicht nur in seinem jüngst in zweiter Auflage erschienenen Buch über den Deutschen Orden, sondern auch in einem größeren Exkurs seines Kronstädter Vortrags nachgewiesen.
Der junge Heidelberger Kunsthistoriker Timo Hagen stellte in einem spannenden Vortrag
mit reichem Bildmaterial die „Rezeption des Deutschen Ordens in der siebenbürgischen
Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts“ vor. Sie konzentrierte sich auf die erste Hälfte des
20. Jahrhunderts, mit Wechselwirkung durch die parallele deutschnationale Deutschordens-Rezeption im Reich. Eine 1942-1944 erstellte Skulptur war vorläufiger Abschluss der
Verbildlichung „deutscher Leistungen im Südosten“. Nach längerem Desinteresse wird die
Deutschordenszeit aktuell in Reenactment-Ereignissen im Burzenland wieder aufgegriffen.
Die letzten beiden Vorträge befassten sich mit der „zweiten Berufung“ des Deutschen Ordens im 15. Jahrhundert. 13 Ordensritter und 100 Hilfskräfte und Handwerker kamen 1429
unter Leitung des Nikolaus von Redwitz aus Preußen, versehen mit Abschriften der Burzenländer Ordensurkunden, in das Severiner Banat. Der Vortrag des Bukarester Professors
Dr. Virgil Ciocâltan über,,Kaiser Sigismund von Luxemburg und die Frage der Ansiedlung
des Deutschen Ordens an der Unteren Donau“ ordnete diese Aktion in die großen Linien der
Politik Sigismunds ein. Der Gedanke, den Deutschen Orden bei der Abwehr der Osmanen
einzusetzen, wurde bis in die Phase der ungarisch-polnischen Annäherung 1412 und ein
chronikalisch bei Jan Długozs überliefertes Geheimabkommen zurückverfolgt – ein Musterfall für die jahrzehntelange Beharrlichkeit Sigismunds bei der Verfolgung einer Option
unter verschiedenen politischen Konstellationen. ,,Der Stellenwert des Deutschen Ordens in
der Geschichte des Banats von Severin“ wurde von Dr. Viorel Achim vom Geschichtsinstitut
„Nicolae Iorga“ in Bukarest dargestellt. Mit 30 Dokumenten liegt ein reicher archivalischer
Niederschlag vor, aufschlussreich auch für die Geschichte der Region und eingehenderer Auswertung wert. Die letzten Ordensritter zogen 1437 ab, im Todesjahr Sigismunds.
Im Zusammenhang mit der Tagung fanden weitere Veranstaltungen statt. Zunächst sei die
von Hon.-Prof. Dr. Konrad Gündisch organisierte zwölftägige Studienreise „Auf den Spuren
des Deutschen Ordens“ genannt, die vom 10. bis 22. September von der Marienburg an der
Nogat durch das ehemalige Deutschordensland, die Zips und Siebenbürgen bis zur Marienburg am Alt führte. Höhepunkte waren der Besuch von Marienburg, Marienwerder, Kulm,
Thorn, Krakau, Käsmark, Leutschau, Kaschau, Großwardein, Klausenburg, Schäßburg,
Kronstadt, Kerz, Hermannstadt, Egresch sowie des heutigen Deutschordenssitzes in Wien.
Am 15. September waren die Tagungsteilnehmer zu einer Sonderführung durch die
Ausstellung „Deutsche Kunst in Siebenbürgen aus den Beständen des Kronstädter Kunstmuseums“ eingeladen. Am 16. September wurden im Rahmen eines Empfangs beim
Bürgermeister von Kronstadt mit Prof. Dr. Paul Philippi und Dr. Harald Roth zwei langjährige Vorstandsmitglieder des Arbeitskreises mit der Ehrenbürgerwürde ausgezeichnet. Im Kronstädter Rathaus präsentierte Dr. Dr. h. c. mult. Christoph Machat die gerade in der Abschlussphase befindliche „Denkmaltopographie Kronstadt“, die für den
Denkmalschutz in der Stadt bedeutsam werden kann. Am 17. September fand die Mitgliederversammlung des Arbeitskreises im Gemeindehaus der Honterus-Gemeinde statt.
238
Zeitschrift für Siebenbürgische Landeskunde 34 (2011), Heft 2
Am 18. September starteten zwei Busse zu einer Ganztagesexkursion durch das Burzenland.
In Tartlau besuchten die Teilnehmer den Sonntagsgottesdienst der Gemeinde; der Vorsitzende des Arbeitskreises, Pfarrer Dr. Ulrich A. Wien, übernahm die Predigt. In Marienburg am Alt wurden sie nach Besichtigung von Kirche und Burganlage vom Bürgermeister
begrüßt. Er stellte den Exkursionsteilnehmern Pläne vor, die Deutschordensvergangenheit stärker touristisch zu nutzen. In Ausweitung ihrer Vorträge führten Prof. Dr. Adrian
Rusu durch die Rosenauer Burg und Prof. Dr. Paul Niedermaier durch die vom Bus angefahrenen Burzenländer Orte; abschließend wurde die Kirche St. Bartholomä besichtigt.
Die Jahrestagung des Arbeitskreises erfuhr erfreuliche breite Unterstützung. Als Partner der Veranstaltung firmierten die Evangelische Kirche A. B. Kronstadt mit Archiv
und Bibliothek der Honterus-Gemeinde, das Bürgermeisteramt Kronstadt, das Demokratische Forum der Deutschen im Kreis Kronstadt, die Firma „Continental Automotive Romania SRL“ und der Kronstädter Kreisrat mit dem Kulturzentrum „Redoute“.
Im Foyer des Tagungsraumes wurde die Ausstellung „800 Jahre Burzenland“ gezeigt, die
das Deutsche Kulturforum östliches Europa in Kooperation mit sächsischen Institutionen
in Deutschland und Kronstadt zusammengestellt hat. 1911 wurde die Ausstellung der Berufungsurkunde als Jahrestag des Beginns der Besiedlung des Burzenlandes gefeiert, das
nach dem Wortlaut der Berufungsurkunde „deserta et inhabitata“ – verlassen und unbewohnt – gewesen sei. 2011 wird dieser Vorgang wesentlich differenzierter gesehen. Alte
Sichtweisen kritisch zu prüfen und in Frage zu stellen, neue Funde, neue Sichtweisen und
Interpretationen einander vorzustellen und den Austausch über die Grenzen der Länder
und Disziplinen zu fördern – der diesjährigen Jahrestagung des Arbeitskreises ist dieses in
besonderem Maße gelungen.
Martin A r m g a r t
Zeitschrift für Siebenbürgische Landeskunde 34 (2011), Heft 2
239
Nachrufe
Lajos Demény (1926-2010)
Am 19. November 2010 ist der siebenbürgischungarische Historiker Lajos Demény in Bukarest
gestorben. Sein Lebensweg begann am 6. Oktober 1926 in Klein-Phlepsdorf, führte über den
Schulbesuch in Strassburg am Mieresch, Sächsisch Reen und Neumarkt am Mieresch zum Geschichtsstudium an der ungarischsprachigen Bolyai-Universität in Klausenburg. Für seine künftige Karriere entscheidend wurde die Abordnung
des „sozial gesunden” Kleinbauernsohnes zum
Studium in der Sowjetunion (Sverdlovsk/heute
Jekaterinburg und Leningrad/St. Petersburg), das
er 1956 als Kandidat der Geschichte abschloss.
Damit stieg er in den Kreis der privilegierten
Vertrauensleute des kommunistischen Regimes
auf und wurde Dozent an der Bukarester Parteihochschule und Kaderschmiede „Ştefan Gheorghiu”. 1959 wechselte er zum Verlag der Rumänischen Akademie, 1964 wurde er Forscher am
Geschichtsinstitut „Nicolae Iorga”, dem er bis zu
seiner Pensionierung als Leiter der Abteilung für
Geschichte der „mitwohnenden Nationalitäten”
treu geblieben ist.
Deménys hervorragende Verbindungen zur
neuen, vorwiegend in der Sowjetunion ausgebildeten Elite eröffneten ihm Möglichkeiten
der Einflussnahme, auch der Hilfe für andere
Historiker aus den Reihen der Minderheiten in
Rumänien. Den Herausgeber der Bände IV-VII
des „Urkundenbuchs zur Geschichte der Deutschen in Siebenbürgen” etwa hat er wiederholt
unterstützt, die Publikation des V. Bandes überhaupt erst möglich gemacht. Unter dem natio­
nalkommunistischen Regime begann sein Stern
zu sinken, in den 1980er Jahren gehörte er der
innerparteilichen Opposition an, die unter anderem den Abriss der Bukarester Altstadt öffentlich missbilligte. Nach dem Ende der sogenannten
Ära Ceauşes­cu aber wurde er stellvertretender
Bildungsminister in der ersten Regierung Roman,
dann Senator im rumänischen Parlament (19901992). Als Minister zeigte er seine Verbundenheit
zum Arbeitskreis für Siebenbürgische Landeskunde (AKSL), indem er an der ersten nach der
Wende veranstalteten Tagung in Hermannstadt
teilnahm und auch Ministerpräsident Petre Roman zu einem kurzen Grußwort animiert hatte,
das damals für viel Aufsehen gesorgt hat.
Am Iorga-Institut hat Lajos Demény die neue
Serie des Szekler Urkundenbuchs „Székely Óklevéltár” begründet und nicht weniger als acht
Bände ediert. Damit hat er ein Grundlagenwerk
für die Siebenbürgen-Forschung vorgelegt, das
von bleibendem Wert ist. In seiner drei Auflagen
erreichenden Darstellung des Bauernaufstandes
von Bobâlna („Az 1437-38-as bábolnai népi felkelés” [Der Volksaufstand von Bábolna, 1437-1438],
1960; „Paraszttábor Bábolnán” [Bauernheerlager
in B.], 1977; „Parasztfelkelés Erdélyben 14371438” [Bauernaufstand in Siebenbürgen], 1987)
hat er durch Betonung der siebenbürgisch-sächsischen Beteiligung zu einer wohlwollenderen
Haltung des Regimes gegenüber der deutschen
Minderheit beigetragen. Weitere Bücher widmete Demény der Szekler Geschichte („Székely
felkelések a XVI. század második felében” [Szekler Aufstände in der zweiten Hälfte des 16, Jahrhunderts], 1976; „A székelyek és Mihály vajda.
1593-1601” [Die Szekler und Michael der Tapfere],
1977) und – zusammen mit seiner aus Russland
stammenden Gattin Lidia – der Kulturgeschichte
(„Carte, tipar și societate la români în secolul al
XVI-lea” [Buch, Buchdruck und Gesellschaft bei
den Rumänen im 16. Jahrhundert], 1986).
1989 zählte Demény zu den Mitbegründern des
in kommunistischer Zeit aufgelösten ungarischen
Landeskundevereins „Erdélyi Múzeum Egyesület” und betrieb aktiv die verstärkte Kooperation
mit dem AKSL. Demény war Korrespondierendes Mitglied der Rumänischen Akademie und
seit 1995 auswärtiges Mitglied der Ungarischen
Akademie der Wissenschaften. Die József-AttilaUniversität in Szegedin verlieh ihm den Ehrendoktortitel.
K. G.
240
Zeitschrift für Siebenbürgische Landeskunde 34 (2011), Heft 2
Bernd Hey (1942-2011)
Professor Bernd Hey war über mehrere Jahrzehnte hin ein treuer und engagierter Begleiter
siebenbürgischer landeskundlicher Anliegen.
Er wurde 1942 in Bielefeld geboren. Er studierte
Geschichte, Germanistik, Publizistik, Philosophie
und Pädagogik in Münster/W. und wurde 1980 an
der Universität Bielefeld im Fach Geschichte habilitiert. Nach zeitweiliger Tätigkeit als Privatdozent und der Berufung zum Professor 1984 übernahm er 1985 die Leitung des Landeskirchlichen
Archivs der Evangelischen Kirche von Westfalen;
bis zu seiner Pensionierung 2007 fand er hier eine
erfüllende Aufgabe.
Als Archivleiter begegnen wir ihm in siebenbürgischen Zusammenhängen. Ein großer Teil
der nordsiebenbürgischen Kirchenbücher war
nämlich mühsam über die Jahre im Kirchenarchiv
in Bielefeld treuhänderisch zusammengeführt
worden. In den benachbarten Bethelschen Anstalten wurden sie in der Folge in enger Kooperation
mit der Gundelsheimer Geschäftsstelle zum guten Teil restauriert. Dabei entflammte Heys Inter­
esse für das Faszinosum Siebenbürgen, das ihn
zeitlebens nicht mehr loslassen sollte. Er verfolgte
die Forschungen zur siebenbürgischen Landeskunde sehr aufmerksam und sorgte dafür, dass
die Kirchenbücher nach und nach ins Siebenbürgen-Institut nach Gundelsheim kamen. Kurz nach
der Wende stellte Hey seine Erfahrungen in den
Dienst der Archivsicherungsmaßnahmen in sich
auflösenden evangelischen Gemeinden in Siebenbürgen und half bei der Bergung und bei ersten
Verzeichnungen gesicherter Bestände mit. Diese
Arbeiten sollten zum Vorbild für die allmählich
breit angelegte Erschließungsarbeit werden. Er
stand den Archivbetreuern auch in den kommenden Jahren laufend mit Rat und Tat zur Seite und
vermittelte wertvolle Kontakte. Zusätzlich konnte
er Kollegen von der Universität Bielefeld für Siebenbürgen begeistern und unternahm wiederholt
mit Studentengruppen wohlfundierte Exkursionen vor allem in die sächsischen Gegenden.
In den letzten Jahren war Bernd Hey von
Krankheit gezeichnet. Er starb am 27. Januar 2011
in seiner Geburtsstadt Bielefeld. Wir verlieren in
ihm einen stets geneigten, zupackenden und sympathischen Begleiter unserer Arbeit. Wir werden
ihm ein ehrendes Andenken bewahren.
H. R.
Zeitschrift für
Siebenbürgische
Landeskunde
34. (105.) Jahrgang (2011)
  Böhlau Verlag Köln Weimar Wien        ISSN 0344-3418
Die „Zeitschrift für Siebenbürgische Landeskunde“ setzt in IV. Folge das „Korrespondenzblatt des Vereins
für siebenbürgische Landeskunde“ (I. Folge, 1878-1930), die „Siebenbürgische Vierteljahrsschrift“ (II.
Folge, 1931-1941) und das „Korrespondenzblatt des Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde“
(III. Folge, 1971-1977) seit 1978 fort. 1999 wurde sie mit der Zeitschrift „Siebenbürgische Semesterblätter“
(München 1987-1998) vereinigt.
Herausgeber: Arbeitskreis für Siebenbürgische Landeskunde e. V. Heidelberg, Schloss Horneck, 74831
Gun­delsheim/Neckar, Tel. (06269) 42100, Fax (06269) 421010, E-Post: [email protected].
Redaktion:
Hon.-Prof. Dr. Konrad Gündisch, Oldenburg, [email protected];
Dr. Stefan Măzgăreanu, Olching, [email protected];
Dr. Dirk Moldt, Berlin, [email protected];
Dr. Harald Roth, Potsdam, [email protected];
Daniel Ursprung, Zürich, [email protected].
Bankverbindung: Kreissparkasse Heilbronn (BLZ 620 500 00), Konto 009 574 520.
Preis des Jahrgangs (bestehend aus zwei Heften): € 30,–. Für die Mitglieder des Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde beträgt der Bezugspreis jährlich € 15,– (jeweils zuzüglich Versand).
©. 2011 by Arbeitskreis für Siebenbürgische Landeskunde e. V. Heidelberg, Schloss Horneck, 74831
Gundelsheim/Neckar. Mit Namen gekennzeichnete Artikel stellen nicht unbedingt die Meinung der
Redaktion dar. Für den Inhalt der Beiträge sind die jeweiligen Autoren verantwortlich. Die Schriftleitung
behält sich das Recht vor, die Beiträge redaktionell zu bearbeiten.
In den Beiträgen werden die deutschen Ortsnamen verwendet. Für deren rumänische und ungarische
Konkordanz wird verwiesen auf Ernst W a g n e r : Historisch-statistisches Ortsnamenbuch für Siebenbürgen. Köln, Wien 1977 (= Stud. Trans. 4).
In der Spalte „Kolloquium“ werden primär Arbeiten von Studierenden und Nachwuchswissenschaftlern veröffentlicht.
Manuskripte sind in druckfertiger Fassung an die Redaktion einzusenden. Spätere Autorenkorrekturen
gehen zu Lasten der Verfasser. Die Redaktion bittet um Übersendung einer Word-Datei und ggf. von
Fotos (in bestmöglicher Qualität und mit hoher Auflösung/Pixelzahl) via E-Mail oder auf CD-ROM. Die
Satzanweisungen sind in der Datei mit roter Schriftfarbe kenntlich zu machen bzw. im Ausdruck nur
mit Bleistift vorzunehmen. Die auf der dritten Umschlagseite dieses Heftes angeführten Abkürzungen
und Siglen sind zu verwenden.
Unveröffentlichte Manuskripte werden dem Archiv des Siebenbürgen-Instituts in Gundelsheim
übergeben.
Satz und Gestaltung: Kraus PrePrint, Landsberg am Lech. Druck: Strauss GmbH, Mörlenbach.
Zeitschrift für Siebenbürgische Landeskunde 34 (2011)
Inhaltsverzeichnis
Aufsätze
Ágnes B á l i n t , Frank-Thomas Z i e g l e r : „Wer hat das schöne Himmelszelt hoch über uns
gesetzt?“ Zu den Übermalungen des Rosenauer-Wandbildes in der Hermannstädter
Stadtpfarrkirche ............................................................................................................................
1-28
Petre B e ş l i u : Gesellschaftliche Gruppen im Hermannstädter Siechenhaus im Mittelalter
und in der Frühen Neuzeit . ........................................................................................................ 121-136
Beáta B o r d á s : Das Schloss der Familie Baron Szentkereszty in Árkos. Ein adliger Wohnsitz
in Siebenbürgen im 19. Jahrhundert .......................................................................................... 40-54
Michael K r o n e r : Identitätsstiftung und Identitätserhalt durch Vermittlung siebenbürgischsächsischer Geschichte im Unterricht . ...................................................................................... 75-94
Péter L ő k ö s : Das Türkenbild in Christian Schesäus’ Ruina Pannonica und in seinen Quellen .. 29-39
Irmgard und Werner S e d l e r : Das „Spiel vom König und vom Tod“. Ars moriendi im siebenbürgischen Fastnachtsbrauchtum .............................................................................................. 137-166
Annemarie We b e r : Die geplante Umsiedlung der Rumäniendeutschen 1944-1946 in unveröffentlichten Archivdokumenten ............................................................................................... 55-74
Kolloquium
Bianca K o s : „Old Splendour in Transylvania“. Architektur des Klassizismus, Biedermeier
und Historismus in Siebenbürgen und im Banat zwischen 1780 und 1880 . ....................... 95-106
Quellen
Dietmar Pl a j e r : Wo sind unsere alten Kirchenglocken? . ................................................................ 107-113
Zsolt S i m o n : Die Schäßburger Rechnung von 1522 ......................................................................... 167-185
Ottmar T r a ş c ă : Die Deutsche Volksgruppe in Rumänien und die Ereignisse vom
23. August 1944 im Spiegel eines unveröffentlichten Manuskripts ...................................... 186-228
Diskussionsforum
Tibor S c h ä f e r : Attilas Begräbnis und Grab in der wissenschaftlichen Forschung ..................... 114-116
Károly S z ő c s : Noch einmal zur Prinzesse Omer. Eine Spurensuche im 21. Jahrhundert ............ 117-119
Mitteilungen und Berichte .................................................................................................................... 236-228
Martin A r m g a r t : 800 Jahre Deutscher Orden in Siebenbürgen. 46. Jahrestagung des Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde am 15./16. September 2011 in Kronstadt . ...... 235-238
Hansotto D r o t l o f f : Siebenbürgen im Spiegel der nachgelassenen Schriften der Familie
Conrad von Heydendorff (1750-1850) ....................................................................................... 229-234
Nachrufe
Lajos Demény ...........................................................................................................................................
Bernd Hey .................................................................................................................................................
239
240
Abkürzungen
Abh.
Acta Historica
Acta Mus. Nap.
An. Inst. I. Apulum
Archiv
=
=
=
=
=
=
Bll.
DFSO
Erd. Múz.
Forschungen
Jh.
Jb(b).
Kal.
Kbl. AKSL
=
=
=
=
=
=
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=
Kbl. VfSL
KK
Lev. Közl.
MIÖG
Mitt.
Rev. Arh.
Rev. Roum.
Sbg. Arch.
Sbg. Vjschr.
Schriften
Sodt. Arch.
Sodt. Vjbll.
SOE-Mitt.
SOF
Stud. Com.
Stud. Trans.
Stud. Univ. B. B.
Ub.
=
=
=
=
=
=
=
=
=
=
=
=
=
=
=
=
=
=
ZfSL
Zs.
=
=
Abhandlung(en)
Acta Historica Academiae Scientiarum Hungaricae, Budapest
Acta Musei Napocensis, Cluj (Klausenburg)
Anuarul Institutului de Istorie, Cluj (Klausenburg)
Apulum. Acta Musei Apulensis, Alba Iulia (Karlsburg)
Archiv des Vereins für siebenbürgische Landeskunde, Hermannstadt
(A.F., N.F. ­– Alte bzw. Neue Folge)
Blätter
Deutsche Forschung im Südosten, Hermannstadt
Erdélyi Múzeum, Kolozsvár (Klausenburg)
Forschungen zur Volks- und Landeskunde, Hermannstadt (Sibiu)
Jahrhundert
Jahrbuch (-bücher)
Kalender
Korrespondenzblatt des Arbeitskreises für siebenbürgische Landes­kunde, Köln,
Wien
Korrespondenzblatt des Vereins für Siebenbürgische Landeskunde, Her­mannstadt
Kulturpolitische Korrespondenz, Bonn
Levéltári Közlemények, Budapest
Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung, Wien
Mitteilungen
Revista Arhivelor, București (Bukarest)
Revue Roumaine d’Histoire, București (Bukarest)
Siebenbürgisches Archiv, Köln, Weimar, Wien
Siebenbürgische Vierteljahresschrift, Hermannstadt, Bistritz
Schriften zur Landeskunde Siebenbürgens, Köln, Weimar, Wien
Südostdeutsches Archiv, München
Südostdeutsche Vierteljahresblätter, München
Südosteuropa-Mitteilungen, München
Südostforschungen, München
Studii și comunicări, Muzeul Brukenthal, Sibiu (Hermannstadt)
Studia Transylvanica, Köln, Weimar, Wien
Studia Universitatis Babeș-Bolyai, Cluj (Klausenburg)
Urkundenbuch zur Geschichte der Deutschen in Siebenbürgen, 7 Bde., Hermannstadt/
Bukarest 1892-1991
Zeitschrift für Siebenbürgische Landeskunde, Köln, Weimar, Wien
Zeitschrift
In den durchnumerierten Anmerkungen sollen beim ersten Zitieren Vor- und Nachname des Verfassers, der
vollständige Titel der Arbeit, Druckort und -jahr bzw. (In:) Zeitschrift, Jahrgang (ggf. auch Heft) und Erscheinungsjahr sowie die betreffenden Seiten, unter Vermeidung der Abkürzungen f. und ff., angeführt werden.
Bei wiederholtem Zitieren desselben Werkes werden die üblichen Hinweise (Ebenda, wie Anm. „xy“, nicht
aber „a.a.O.“) verwendet. Nachnamen werden g e s p e r r t geschrieben. Titel von Arbeiten, die nicht in einer
Weltsprache erschienen sind, werden in eckigen Klammern [ ] ins Deutsche übersetzt. Die obigen Abkürzungen
sollen in den Anmerkungen verwendet werden. Tabellen und Abbildungen sind auf das notwendige Maß zu
beschränken. Fotos sollen scharf und kontrastreich sein und werden auf Wunsch nach der Veröffentlichung
zurückerstattet. Legenden der Abbildungen und Tabellen sind beizulegen.
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