Mit neuen Gesichtern und vor allem sehr viel

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25. Mai 2012
Kultur
25. Mai 2012
Kultur
Vollkontakt!
Mit neuen Gesichtern und vor allem sehr viel frischem Elan
und Energie will das Basler Schauspiel wieder zur bedeutenden
kulturellen Instanz werden. Von Dominique Spirgi
Schauspiel-Trio mit
Elan: Martin Wigger,
Tomas Schweigen,
Simon Solberg (v.l.).
Foto: Peter Schnetz
W
ir werden das Theater nicht
neu erfinden», sagt Martin Wigger, bisheriger Chefdramaturg und neu Teil
des neuen Leitungstrios des Basler
Schauspiels. Doch wer ihm und seinen
beiden Co-Leitern Simon Solberg und
Tomas Schweigen zuhört, erhält den
Eindruck, dass es gerade das ist, was
die Neuen vorhaben. In den Ausführungen der Theaterleute sprudelt es
nur so vor Energie und Ideen, und
wenn von Aufbruchstimmung die Rede
ist, dann klingt dies durchaus überzeugend. Und beinahe etwas überrascht
nimmt man zur Kenntnis, dass sogar
so oft gehörte Sätze wie «Wir wollen,
dass das Theater für den gesellschaftlichen Diskurs in dieser Stadt wieder zur
kulturellen Instanz wird» aus einem
Munde von Simon Solberg ganz und
gar nicht abgedroschen klingen.
Verlegenheitslösung als Chance
Mit dem Leitungstriumvirat Wigger/
Solberg/Schweigen läutet das Theater
Basel ab der Spielzeit 2012/13 eine
neue Schauspielära ein. Der Leitungswechsel an und für sich ist schon einmal erfreulich. Und durchaus notwendig, denn in den sechs Jahren unter der
bisherigen Spartenleitung von Elias
Perrig wirkte das Sprechtheater über
weite Strecken ziemlich blass und zuletzt oftmals auch ideenarm.
TagesWoche 21
In der personellen Zusammensetzung ist der Neubeginn, soweit man es
jetzt schon beurteilen kann, eine gute
Lösung – obschon sie auf den ersten
Blick wie eine Verlegenheitslösung
daherkommt. Weil im vergangenen
­
Sommer nicht klar war, wie sich das
Theater Basel aus dem finanziellen
Schlamassel nach der verlorenen Subventionsabstimmung im Baselbiet hätte retten können, musste Theaterdirektor Georges Delnon die ursprünglich
de­signierten neuen Spartenleiter – die
Namen erfuhr man nie – ziehen lassen
und nach internen Lösungen suchen.
Also ernannte Delnon, der selber die
Opernleitung übernimmt, den amtierenden Chefdramaturgen Martin Wigger zum neuen Schauspielchef. Und der
holte sich dann sogleich zwei junge Regisseure an seine Seite.
Ein mutiger Entscheid, denn Martin
Wigger wählte zwei Exponenten, die im
Basler Schauspiel und auf anderen Bühnen Herausragendes geleistet haben,
die sich aber beide durch eine überaus
eigenständige Bühnenhandschrift hervortun, welche sich vom konventionellen Abonnementstheater abhebt. Simon
Solberg ist ein Regisseur, der seine
­«Sozialisation mit dem Hip-Hop» nicht
verbirgt und mit einem multimedialen
Feuerwerk an Ideen, mit Händen und
Füssen, Verstand, Schalk und Herz
ebenso viel Spass zu bereiten wie auch
Betroffenheit auszulösen weiss. Zuletzt
hat er mit seiner rasanten «Volksfeind»Inszenierung für einen der wenigen Höhepunkte der auslaufenden Schauspielsaison gesorgt.
Mit Tomas Schweigen ergänzt ein
Theatermann aus der freien Szene das
Triumvirat. Mit seiner Truppe Far a
Day Cage hat er eine originelle und
spannende Bühnensprache entwickelt,
die er mit seiner Bühnenadaption von
Otfried Preusslers «Krabat» auch auf
die Basler Stadttheaterbühne zu übertragen wusste. Beide regieführenden
Co-Leiter stehen mit je drei Inszenie-
Diese personelle
Konstellation deutet
auf einen radikalen
Neubeginn hin.
rungen auf dem Spielplan, werden
aber, so das Versprechen, mit zahl­
reichen, jeweils aktuell angesetzten
Nebenproduktionen auch ausserhalb
der beiden Theaterbauten für theatrales Leben sorgen.
Diese personelle Konstellation, ergänzt durch die Tatsache, dass Schweigen seine freie Truppe Far a Day Cage
quasi als Group in Residence mit an
Bord holt, deutet auf einen ziemlich radikalen Neubeginn hin. Umso über-
raschter ist man dann aber, wenn man
sich den Spielplan der kommenden Saison anschaut.
Eine Prise Rock ’n’ Roll
Auf den ersten Blick sieht dieser nach
landläufigem Abonnementstheater aus:
mit Schiller («Don Carlos»), Goethe
(«Die Leiden des jungen Werther»),
Strindberg («Ein Traumspiel»), Frisch
(«Biografie. Ein Spiel»), Tolstoi («Anna
Karenina»), mit einer Bühnenadaption
des Bestsellerromans «Angst» von Robert Harris und dem Märchen «Zauberer von Oz» als Kinderproduktion. Gut,
auf dem Spielplan stehen auch «Like a
Rolling Stone», «Vaudeville Open Air»
und «Expats: Eidgenossen in Shanghai» – Titel, die auf dem Papier etwas
Rock ’n’ Roll, Spass- und Dokumentartheater versprechen. Aber projektartiges Theater dieser Art findet man auch
auf Spielplänen weniger ambitionierter
Bühnen. Dazu kommt, dass mit «Der
Park» des neuen Hausautors Gabriel
Vetter nur gerade eine Uraufführung
eines eigentlichen dramatischen Textes
auf dem Spielplan steht.
«Wir wollen in der Wahl der Stoffe
und Themen durchaus auch Populäres
bieten», sagt Wigger, «diese klassischen Theaterstoffe dann aber mit jungen und frischen Regiehandschriften
kombinieren.» So kommt es dazu, dass
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Goethes Briefroman «Werther» einem
Regisseur anvertraut wird, den man
nicht automatisch mit Sturm und
Drang in Verbindung bringt: Thom
Luz. Der junge Zürcher hat sich zum einen als interessanter Exponent der
freien Theaterszene hervorgetan, bekannter ist er indes als Sänger und Gitarrist der Schweizer Indie-Band My
Heart Belongs to Cecilia Winter.
Auch bei Solbergs «Don Carlos»-Inszenierung droht sicher keine Konfrontation mit musealem Klassikertheater –
ebenso wenig wie bei der Kombination
von Regisseur Schweigen mit Strindbergs Stationendrama «Ein Traumspiel». Dabei soll es aber nicht um das
Unkonventionelle um des Unkonventionellen willen gehen. «Mir geht es darum, auch in den klassischen Dramen
das Schmerzzentrum freizulegen, also
das, weswegen der Autor das Stück überhaupt geschrieben hat», sagt Solberg.
Ein Spielplanmotto gibt es übrigens
nicht. Zumindest nicht offiziell. Für
Solberg lautet die persönliche Devise
«Vollkontakt», während Wigger die
Spielzeit unter das Motto «Solberg/
Schweigen» gestellt hat.
Wichtig ist dem neuen Leitungsteam
neben den Abo-Positionen im Spielplan das Nebenprogramm, das so nebensächlich nicht sein wird. Hier wollen die Theaterleute die Devise
«Vollkontakt» im Sinne von Dialog und
Transparenz auch ganz wörtlich verstanden wissen. «Wir werden einen
Lkw ausstatten, mit ihm nach Baselland fahren und als ‹performative Spedition› auf dem Dorplatz in Sissach
oder Pratteln ein Stück spielen, für das
wir nur wenige Tage vorher Werbung
machen», kündigt Solberg an.
Wigger ergänzt, dass man das Theater auch inhouse beleben möchte: zum
Beispiel mit der Einrichtung einer «Hafenkneipe» im Foyer, in der das Publikum am Rande von Bei- und Kurzprogrammen auch mit dem Ensemble in
Kontakt treten kann. Weiter will das
neue Basler Schauspiel unter dem Arbeitstitel «Ungeliebt und ungefragt» in
Cafés und Kneipen der Stadt spontan
kurze Ausschnitte aus aktuellen Inszenierungen vorführen. Und mit der Reihe
«Bei Freunden» soll das Publikum die
Möglichkeit erhalten, einzelne Schauspiel-Acts zu sich nach Hause zu holen.
Schliesslich will die neue Schauspielleitung im Theaterclub K6 einen
öffentlichen Thinktank einrichten. Ge-
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plant ist ein offenes Dramaturgiebüro
mit einer Arbeitsecke für die Schauspielleitung und den Hausautor sowie
einem Seminartisch, an den sich auch
Leute von aussen hinsetzen können,
um Anregungen einzubringen oder an
Konzeptionsgesprächen teilzunehmen.
Personelle Umwälzungen
Einen ziemlich radikalen Neubeginn
vollzieht das Schauspiel auch personell. So wird mit Ausnahme von Wigger die gesamte Dramaturgie ausgewechselt. Zwei Drittel des 22-köpfigen
Schauspielensembles werden neu besetzt, und auch in der Regie werden mit
Ausnahme der beiden Leitungsmitglieder Solberg und Schweigen sowie Amélie Niermeyer und Antje Schupp alles
neue Köpfe tätig sein – darunter die erfolgreiche Filmemacherin Bettina
Oberli («Die Herbstzeitlosen»), die
erstmals im Theater inszenieren wird,
aber auch erfahrene und etablierte
Theaterregisseure wie Volker Lösch
oder Niklaus Helbling.
Zum Schluss noch etwas Neues, das
so neu aber gar nicht ist: Erstmals seit
Jahren soll das Schauspielhaus wieder
einmal seine Flexibilität als Bühnenraum unter Beweis stellen. Denn aus
Kostengründen war der Theaterraum,
der theoretisch etliche Variationen der
Bespielung zulassen würde, in den letzten Jahren nur noch als konventionelle
Guckkastenbühne zu erleben. Das alles
klingt vielversprechend. Sehr sogar.
Aber natürlich wird man erst an den
Taten ermessen können, ob es den Neuen gelingen wird, das Basler Schauspiel
aus der Lethargie zu reissen, in die es in
den letzten Jahren versunken ist.
Einer der wenigen
Höhepunkte der
laufenden Saison:
«Der Volksfeind»,
inszeniert von
Simon Solberg.
Foto: Judith Schlosser
tageswoche.ch/+ayfoa
Details zum Spielplan 2012/13 gibt es auf
tageswoche.ch oder direkt von der Quelle
auf www.theater-basel.ch
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