LAINZER KREIS Tagesthema vom 15. Oktober 2000 Univ. Prof. Dr. Ferdinand Dexinger: Die Juden - unsere „älteren Brüder“ (Was uns Prof. Dexinger aus seinem reichen Wissensschatz mitgeteilt hat, kann hier nur in kurzen Gedanken wiedergegeben werden.) o Das Judentum ist ein wichtiges Thema für die katholische Kirche. Dass das Christentum im Judentum wurzelt, hat für die Christen mehr Bedeutung als für die Juden. o Wer ist ein Jude ? - Jeder, der zur biblischen Religion gehört. Nach der Halacha (dem jüdischen Religionsgesetz) ist Jude, wer von einer jüdischen Mutter geboren wurde, und wer (wenn er männlich ist) beschnitten wurde. Auch eine Bekehrung zum Judentum ist möglich. Judentum ist keine biologische Angelegenheit, Judentum ist keine Rasse. (Es gibt auch indische, jemenitische, .... Juden). Über die Gentechnik ist eine „jüdische Rasse“ nicht zu finden! o Drei verschiedene Formen des Judentums: Orthodoxie, konservatives Judentum und Reformjudentum.(Letzteres sagt, alle rabbinischen Gesetze sind zeitgebunden, nur die Bibel ist ausschlaggebend, soweit auch sie nicht zeitgebunden ist.) o Es besteht eine Strukturähnlichkeit zwischen Judentum und Christentum. o Der Staat Israel ist ein „Kirchenstaat“. Frage: Welche Rolle spielt das religiöse Judentum im Friedensprozess? Nicht nur die religiösen Juden sind Fanatiker. o Es gibt eine säkulare jüdische Kultur in Israel, die sich vom Religiösen lösen will. o Das Judentum als Religion ist - ebenso wie das Christentum - geprägt von der Aufklärung. Offenbarung und Vernunft stehen einander gegenüber; welcher Parameter ist für die Richtigkeit des Handelns zuständig? Gibt es überhaupt einen Unterschied/Gegensatz zwischen beiden? o Bis ins 18. Jhdt. wurde das Judentum als ethno-religiöse selbständige Gruppe vom Christentum anerkannt. Die Aufklärung brachten den Juden politische Emanzipation; teilweise auch Lösung von der Religion: Übertritt zum Protestantismus oder Wechsel zum Atheismus bzw. Sozialismus. o Die Juden hatten gleiche geistesgeschichtliche Herkunft aber oft keine religiöse Zugehörigkeit/Bindung mehr. Die zionistische Bewegung bildete eine national-ethnischpolitische Gruppe. o Jude sein kann bedeuten: der Herkunft nach jüdischer Abstammung sein oder sich einer religiös orthodoxen Gruppe zugehörig fühlen. o Problem der christlich-jüdischen Dialoges. Die Frage, ob politische Absichten dahinterstecken. Religiöse Juden haben weniger Probleme mit dem Dialog, fromme Juden wünschen ihn aber auch nicht sehr. Dialog setzt das Akzeptieren des jeweiligen Eigenstandes voraus. Toleranz heißt, wissen wo man selber hingehört. Eventuell werden übergreifende Lebenspositionen gefunden. Seite 1 LAINZER KREIS Aus der Diskussion o Ist der Staat Israel religiös bestimmt? Theodor Herzl´s Zionismus musste damit rechnen. Wesentlich politisch prägende jüdische Gruppen sind religiös. Politisches Gemeinwesen ist nur mit religiösen Gruppen möglich, diese sind nicht abzuweisen. o Das Lebensgefühl und die Lebenshaltung ist religiös geformt, auch wenn man selbst nicht (mehr) religiös ist. o Gibt es einen berechtigten Landanspruch der Juden auf Palästina? Theodor Herzl hat geplant, einen eigenen Staat zu gründen, wenn ihm die Souveränität über ein Gebiet zugesprochen wird. Jewish homelands in Uganda bzw. N-Australien zu gründen, wurde zwar überlegt, aber nicht verwirklicht. Araber lassen sich kaum aus ihrem Gebiet aussiedeln; 2 Millionen Menschen sind schon in Palästina geboren. Wem das Recht auf Land gehört, ist historisch schwierig zu lösen. Für die Araber ist die Gründung des Staates Israel eine Katastrophe. Ein Palästinenser-Staat wird gegründet werden müssen die Frage ist aber, wo. Das Problem wird nur mit der Vernunft zu lösen sein. Wohin kommen die Nachbarflüchtlinge? Statt Rückführung finanzielle Entschädigung. o Kann die Bibel als Geschichtsbuch ein Mittel zur Gründung des Staates Israel sein? Ein religiöser Jude ist nicht verpflichtet, einen heiligen Ort zu erobern. Auf Heiliges Land darf grundsätzlich nicht verzichtet, das Leben von Juden bei der Landverteidigung aber nicht aufs Spiel gesetzt werden. o Die Gründung Israels, als Staat nach den Kriegswirren 1948 ausgerufen, von der UNO anerkannt, auch von der Sowjetunion; der Vatikan erkennt Israel erst nach dem Abkommen zwischen der PLO und Israel an. Die Gebiete, die Israel 1967 besetzt hat, wurden international nie anerkannt. o In Wien sind heute viele Juden zu sehen, die an ihrer Kleidung erkannt werden. Die Kleidung allein ist kein Zeichen für einen orthodoxen Juden. o Es gibt viele Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion. Dies sind oft orthodoxe Juden, die eigene Gemeinden bilden und keinen Kontakt zum hier ansässigen Rabbiner haben. o Die Israelitische Kultusgemeinde ist eine politische Organisation; sie bildet die Repräsentanz des Judentums gegenüber dem Staat Österreich. Der Oberrabbiner ist nicht der Präsident der Kultusgemeinde. Er ist ähnlich einem Vertreter des Kirchenrechts dazu da, auf praktische Lebensprobleme nach religiös historischen Quellen zu antworten. Die Philosophie zählt nicht als Bestandteil der Religion des Judentums. Was bei uns die Dogmen bedeuten, ist für die Juden die Halacha. Dieses Religionsgesetz beeinflusst das Alltagsleben. Gerechtigkeit und Herzenspflicht zeigen die Spiritualität des Juden. Der gläubige Jude fügt sich unter das Joch der Thora. Er fragt nicht nach dem Warum. Er tut, was Gott von ihm will. o Das Interesse am Messias hat im Judentum eher nachgelassen. Ein Messianismus ist vorhanden, aber seit 300 bis 400 Jahren nicht mehr zentral. Der Messias ist nicht ident mit dem Sohn Gottes. Messias ist ein menschlicher König, der kommt, bevor die ganze Welt im Sinne Gottes verwandelt wird, er schafft eine irdische gerechte Sozialordnung.. Die säkularisierte Form dafür ist die sozialistische Gerechtigkeitsform der jüdischen Politik. Seite 2 LAINZER KREIS o Gott-ist-tot-Theologie - Ausschwitz als Begründung dafür, dass es Gott nicht geben kann. Shoah für Juden ein prägendes Ereignis: Bei den orthodoxen Juden entsteht Betroffenheit: Wo war Gott, als Menschen in Ausschwitz starben? Man fügt sich dem Geschehen nach der Vorschrift der Halacha. Für die säkularisierten Juden ergibt sich die Theodizee-Frage. o Der Koordinierungsausschuss für christlich-jüdische Zusammenarbeit, 1180 Wien, Gentzgasse 14, Stg. 5, steht Interessierten offen. Für das Protokoll: Susi Konvicka Seite 3