Workshop: „KlangSINNfonie – hören, experimentieren, spielen“

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Berndt Vogel, D-Reichartshausen
Workshop:
„KlangSINNfonie – hören, experimentieren, spielen“
Der Umgang mit Musikinstrumenten als motivierende Kraft.
Über Jahrzehnte waren sie in Kindergarten, Schule und Therapie die am häufigsten verwendeten Musikinstrumente : die Orff Instrumente. Schlaginstrumente, wie sie bei Stravinsky und
Bartok, bei Ravel und in der Carmina burana von Carl Orff im Orchester zu Einsatz kommen. Im
Orchester hinten links und rechts, hinter den Blechbläsern : Xylophone, Metallophone,
Glockenspiele, Triangel, große und kleine Trommeln, Pauken, Tempelblocks. Obwohl sündhaft
teuer, gehörten sie Anfang der 70iger Jahre in den Schulen zur Grundausstattung jedes gut
bestückten Musikraumes. Und weil sie so teuer waren, wurden sie natürlich auch gehegt und
gepflegt – was wiederum zu Folge hatte, dass man nur sehr vorsichtig mit diesem
Instrumentarium umzugehen hatte. Waren dann doch einmal bei einem allzu furiosen
Spielverlauf ein Paar Schläge zu kräftig ausgefallen, hatte die Pauke ein Loch im Fell. Jetzt war
der Ärger groß. Es musste ein Reparaturantrag mit „Tathergang und Auftragsbegründung“ mit
Fünffach - Durchschlag gestellt werden. In der Regel dauerte es viele Wochen, bis die begehrte
Pauke wieder zum Einsatz kommen konnte. Von nun an musste natürlich mit noch größerer
Vorsicht gespielt werden, was dann meist keinen großen Spaß mehr machte. Bevor die Pauke
noch einmal „zerspielt“ werden konnte, wurde sie in eine Ecke gestellt, wo sie langsam vor sich
hin verstaubte. Irgendwann geriet sie ganz in Vergessenheit.
Beschädigte Pauken gehören zwar nach wie vor nicht der Vergangenheit an, aber seit etwa
zehn Jahren ist auf dem Gebiet der Musikinstrumente eine interessante Beobachtung zu
machen. Neben dem althergebrachten Orff-Instrumentarium steht eine bunte Vielzahl von
unterschiedlichsten Musikinstrumenten zur Auswahl. Für die praktische Arbeit sehr wichtig ist
auch, dass neben Instrumenten, bei denen die Töne über das Anschlagen erzeugt werden
auch solche hinzugekommen sind, bei denen die Töne durch Streichen, Zupfen oder Blasen
hervor gebracht werden.
Elektronische Musikinstrumente sind auch heute noch bei vielen Kolleginnen und Kollegen
schlichtweg als „Knöpfchen-Drück-Instrumente“ verpönt. Diese antiquierte Meinung ist zu
widerlegen. Entscheidend ist doch letztendlich auch hier die Frage was man mit diesen
Instrumenten macht. Bei genauer Beschäftigung wird man nämlich feststellen, dass bei
elektronischen Musikinstrumenten die Musik eben nicht „nur aus der Steckdose“ kommt.
Vielmehr ergeben sich interessante Spielmöglichkeiten. Berührungsängste sind unter
bestimmten Voraussetzungen nicht angebracht.
Durch die Verfügbarkeit von Ethno - Instrumenten ist das Angebot an Musikinstrumenten sehr
breit gefächert und äußerst interessant geworden. Jederzeit ist es möglich sich Afrika, Indien,
Australien oder Asien ins Zimmer zu holen.
Eine Welt – eine Musik – viele Instrumente : Welt-Musik-Instrumente.
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Um das breite Spektrum ein wenig überschaubar zu machen, habe ich die mir für die Praxis
sinnvoll erscheinenden Musikinstrumente in sieben Kategorien eingeteilt.
Klangreise, Meditation, freies Spiel
Lang klingende Töne, fremde Kulturen kennen lernen
Gruppenspiel – Spielgruppe
Freies Spiel, Gruppenimprovisation
Hör- und Spielerfahrungen : Naturklänge - Tiergeräusche
Instrumente amen Tiergeräusche und Naturklänge nach
Klangmassage und musikalisch – basale Stimulation
Tief vibrierende Töne und Klänge, Entspannung, Musik-Erfahrungen sind Körper-Erfahrungen
Saitenklang und Liedbegleitung
Gitarre, Zither und Psalter mit Spielanleitungen
Die Welt der Elektronik
Musik kommt nicht nur aus der Steckdose
Kuriositäten, low budget instruments, Geräusch- und Klangerzeuger
Von A wie Astharfe bis Z wie Zappzarapp
Geräusch- und Klangerzeuger, Selbstbauinstrumente, Kuriositäten. Eine bunte Mischung habe
ich mit zu dieser Fachtagung nach Rohrschach an den Bodensee gebracht. Wichtig dabei ist
mir, dass jede Teilnehmerin und jeder Teilnehmer die Möglichkeit hat selbst zu hören, selbst zu
experimentieren und selbst zu spielen. Erst im direkten Umgang mit diesen Instrumenten wird
deutlich, welche Faszination in diesen Geräusch- und Klangerzeugern steckt.
„Kinderinstrumente zu erfinden soll nicht mehr alleinige Domäne der Instrumentenbauer und
Spielzeugwerkstätten, sondern auch die Aufgabe von Komponisten in Zusammenarbeit mit
Pädagogen, Psychologen und nicht zuletzt mit den Kindern selbst sein“. Dieser Satz ist über 30
Jahre alt und trotzdem kein alter Hut, sondern aktueller denn je. Er stammt von keinem
geringeren als von dem argentinischen Komponisten und als enfant terrible der Neuen Musik
bekannt gewordenen Mauricio Kagel. Unter seiner Leitung entstanden 1971 bei den 8. Kölner
Kursen für Neue Musik aus ganz alltäglichen Gegenständen und unterschiedlichsten, meist
vom Sperrmüll stammenden Materialien „Kinderinstrumente“. Zum Teil waren dies kurios
anmutende Gegenstände, die erst bei näherer Betrachtung mit einem Musikinstrument in
Verbindung gebracht werden konnten. Mittlerweile sind diese Geräusch-Erzeuger,
Kinderinstrumente, Kuriositäteninstrumente oder wie immer man diese Instrumente nennen
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mag, zum festen Bestandteil der musikalischen Arbeit geworden. Bei vielen Kolleginnen und
Kollegen haben sie einen festen Platz neben Xylophonen, Djemben und Klangschalen.
Unter therapeutischen Gesichtspunkten gesehen, sind „Klingelstange“, „Schäfli“ oder
„Bananentrommel“, um nur einige mit Menschen mit Behinderung selbst gebaute und selbst
benannte Instrumente zu nennen, durchaus als Motivation für eigenes und selbstständiges
Tun verwendbar. Und so ist es überhaupt keine Seltenheit, sehr individuell für Kinder
Instrumente zu bauen, die ihren Fähigkeiten und Vorlieben entsprechend ausgelegt sind.
Immer faszinierend ist es dabei herauszufinden, welches Musikinstrument wie umfunktioniert
werden muss, dass es den Bedürfnissen und Fähigkeiten des Einzelnen entspricht.
Egal ob nun selbst gebaut oder gekauft, ob teuer oder billig, ob zum Schlagen, Zupfen oder
Blasen: das faszinierende an Musikinstrumenten ist immer, dass sie anregen auf sie zuzugehen
und dass sie neugierig machen mit ihnen zu spielen. Kreativität und die Fähigkeit zur
Improvisation werden spielerisch gefördert. Die oft verborgene, jedoch in jedem Menschen
vorhandene Musikalität wir durch sie geweckt. Und das allerschönste dabei ist: man kann den
berühmten pädagogischen Zeigefinger „jetzt machen wir mal schöne Musik“ in den Schrank
einschließen. Ganz von selbst findet nämlich innerhalb des spielerischen Umgangs mit
Musikinstrumenten und innerhalb der Freiheit der Improvisation eine musikalische
Bewältigung statt, die ihrerseits zum Ich-Erfolg wird.
Gruppen–Instrumente, Interaktions–Instrumente, Körperkontakt–Instrumente,
Vibrations– Instrumente : der Kreativität sind wirklich keine Grenzen gesetzt.
In der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen und speziell bei Kindern mit einer Behinderung ist
Musik nicht mehr wegzudenken. Hier ist Musik elementar, kreativ, integrativ, multisensoriell.
Sei dies nun im Rahmen des Musikunterrichts oder innerhalb einer musiktherapeutischen
Behandlung. Dies ist umso verständlicher, wenn man sich vor Augen hält wie viele Bereiche in
die Musik hineinspielen, beziehungsweise mit Hilfe der Musik motivierbar und erklärbar sind.
So werden über eine Sensibilisierung des Hörprozesses Erlebnis- und Vorstellungsvermögen
gefördert. Zu denken ist an Konzentrations-, Koordinations - und Assotiationsübungen,
Sinnesschulung in Form von Ansprache des Optischen, des Akustischen, des Taktilen und der
Kinästhetik. Häufig ist es nur über das Medium Musik möglich, eine Ansprache und
Kontaktaufnahme zu Kindern und Jugendlichen aufzubauen.
Musik im Unterricht ist nicht zu verstehen als Spezialerziehung für besonders begabte Kinder.
Vielmehr ist es das Vertraut- und Bewusstmachen einer in jedem Menschen vorhandenen
Musikalität. Und auch der Terminus Musikalität ist nicht im Sinne der althergebrachten
Rezeption und Wiedergabe eines Musikstückes zu verstehen. Musikalität ist vielmehr im Sinne
einer spontanen musikalischen Handlung zu sehen und sei es nur durch das Trommeln auf
alten Kochtöpfen. Durch das freie Spiel mit unterschiedlichsten Klangmöglichkeiten entwickeln
Kinder und Jugendliche eine natürliche und persönliche Erfahrung zu Klangerzeugern und zur
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Klanggestaltung. Der spielerische Umgang mit Musikinstrumenten und die freie Improvisation
legen lebendige und primäre Kräfte frei. Indem wir in einen musikalischen Dialog eintreten, ist
es möglich eine psychische Stabilisierung zu erreichen. Musikalischer Dialog, das kann
zunächst beinhalten, einem Kind etwas vorzusingen oder es im Rhythmus eines Liedes zu
wiegen. Es kann auch bedeuten, auf kleine Spielansätze des Kindes einzugehen. Die Musik hat
dabei die Funktion, eine musikalisch-emotional anregende Umgebung bereitzustellen,
innerhalb der sich ein Kind so sicher zu fühlen vermag, dass es Mut findet, sich für neue, ihm
bisher unbekannte Erlebnisinhalte zu öffnen.
Musikalischer Dialog sollte immer von Angeboten ausgehen, die dem jeweiligen Entwicklungsstand entsprechen. Nur so kann aus der durch die geistige und körperliche Beeinträchtigung bedingten Isolation herausgeholfen werden. Durch die Schaffung einfachster
erlebnisorientierter Situationen werden Möglichkeiten geschaffen, die es erlauben in einen
direkten Kontakt zur eigenen Person, zu anderen Menschen und zur Umwelt zu treten.
Entscheidend ist hier ein pädagogisches Prinzip: über – oder unterfordern verhindert
Entwicklung!
Musik ist inklusiv, denn sie schließt keinen Menschen aus, an dem Phänomen Musik teilzunehmen. Jeder Mensch kann Musik in irgendeiner Form wahrnehmen. Über das gemeinsame
Musizieren besteht die Möglichkeit, Sozialisierungs-, Gemeinschafts- und Kommunikationsprozesse zu erleben. Das Vertraut machen mit Phänomenen wie Zeitfolge, Klang, Kreativität,
Rhythmus, Bewegung und der gesamten Palette der Gefühlswelt innerhalb der Musik ist für
jeden Menschen zugänglich. Genau das ist der große Unterschied zur Integration. Viele Jahre
war bei der Integration die gängige Vorgehensweise: man muss erst behindert sein, um
integriert werden zu können. Inklusion geht hier einen ganz anderen Weg. Inklusion schließt
alle ein, das heißt niemand muss erst einen Stempel „behindert“ bekommen um inkludiert zu
werden. Eine längst fällige Herangehensweise, eine neue Sichtweise innerhalb der Pädagogik
und der Therapie, die sich zügig durchsetzen wird. Experimentieren, Spiel und der Umgang mit
Musikinstrumenten sind anwendbar als motivierende Kraft zur Förderung von Elementen wie
Kreativität, Spontaneität und Ausdruckfähigkeit Innerhalb der Freiheit der Improvisation wird
die musikalische Bewältigung zum Ich-Erfolg.
Und noch etwas steckt in der Musik: Flexibilität, Originalität und Querdenken. Querdenken aus
Pflichtgefühl. Ohne diese Elemente ist es nur schwer möglich Musik zu machen. Musik als
Freiraum, in dem der Phantasie freien Lauf gelassen werden kann. Ein Freiraum in dem man
sich von Emotion, Intuition, Phantasie und Spontaneität leiten lassen kann.
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Der Autor
Berndt Vogel, Lehrmusiktherapeut DGMT/DBVMT
Vogelsang 8 a, D – 74934 Reichartshausen
E: [email protected]
Projektbegleiter LandschaftsSINNfonie Lukashaus, Grabs
+41 81 750 31 81
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