Die Roboter kommen

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MARKETING & ADVERTISING | 3-4/2017
Die Roboter kommen
Leadgenerierung, Markenkommunikation und Service – zukünftig eine Aufgabe für Bots? Poten­
Text: Thomas Wilde
ziale und Grenzen der Mensch­Maschine­Interaktion.
Die Verfügbarkeit und die hohe Entwicklungsgeschwindigkeit bei KI spielt für die
Evolution des Marketings mit Bots ebenfalls eine Rolle: Wenn die Maschine echte
Dialoge führen kann, Anliegen von Kunden
versteht und Lösungen präsentiert, werden
Kundenanfragen schnell und effizient beantwortet. Der Chatbot wird zum virtuellen
Assistenten und steht dem Kunden immer
zur Verfügung – rund um die Uhr und ohne
Krankheits- und Urlaubstage.
Bots und künstliche Intelligenz sollen ja
schon den US-Wahlkampf 2016 maßgeblich
beeinflusst haben: Wenn Software-Roboter
heute in der Lage sind, Politik zu machen,
dann sollten Aufgaben aus Marketing und
Vertrieb für Bots eine leichte Aufgabe sein.
ten Themen auf Facebook erhält, kann
den Bot beauftragen, dem Nutzer weiterführende Angebote zu unterbreiten – z. B.
die Probefahrt beim „Liken“ einer Fahrzeug-Neuvorstellung oder die Einladung zu
einer Veranstaltung.
Die Technologie jedenfalls ist vorhanden:
Künstliche Intelligenz (KI) ist heute aus der
Cloud preiswert und nahezu beliebig skalierbar verfügbar. Und die digitalen Kommunikationskanäle legen ein enormes Wachstum
hin: Allein die beiden großen Anbieter Facebook Messenger und WhatsApp verfügen
jeder über mehr als eine Milliarde Nutzer.
Die Interaktionsfähigkeit
der Bots
Conversational Commerce ist das Stichwort, das versucht, den neuen Trend auf
den Punkt zu bringen. Aufgerüttelt hat die
Marketing-Welt eine vor kurzem erschienene McKinsey-Studie, die zu dem Schluss
kommt, dass knapp 15 Prozent aller Tätigkeiten im Marketing automatisiert und von
einer Maschine erledigt werden können.
Überzeugend ist der Bot, wenn man wirtschaftliche Maßstäbe anlegt, im direkten
Kundenkontakt allemal: Verglichen mit einem Kundenkontakt per Telefon, kann der
Chatbot bis zu 90 Prozent der Kosten einsparen – er kann viele Prozesse automatisieren und dabei nicht nur Menschen im
Kundendialog entlasten.
Im Marketing kann der Bot die Conversion
in die Höhe treiben: Wer Likes zu bestimm-
Die Frage ist nur: Ist ein KI-basierter Bot tatsächlich so hilfreich wie ein menschlicher
Assistent? Nicht unbedingt. Künstliche Intelligenz klingt zwar nach einem Wunderwerk, ist aber für den Nutzer nicht immer
ein echter Schritt nach vorn: Zwar versteht
der Bot Eingaben in natürlicher Sprache,
der Nutzer muss diese allerdings dann auch
in natürlicher Sprache formulieren.
Wer gerne auf der Bildschirmtastatur seines Smartphones längere Sätze tippt,
mag diesen Weg schätzen, für die große
Nutzer-Menge eignen sich andere Formen
der Dialogführung weit besser: Ein strukturierter Dialog, der Optionen zur Auswahl
anbietet, die Auswahl mit einem Fingertipp
annimmt und Schritt für Schritt durch ei-
Der Unterschied zu bisher eingesetzten
Kampagnentriggern ist die Interaktionsfähigkeit des Bots: Er kann einen direkten Dialog aufbauen
und übergibt erst dann an einen
Menschen im Servicecenter,
KI (auch: Artificial Intelligence – AI) ist ein
wenn der Kontakt entspreTeilgebiet der Informatik, welches sich mit der
chend qualifiziert ist.
Automatisierung intelligenten Verhaltens befasst:
Künstliche Intelligenz (KI)
Es bezeichnet den Versuch, menschenähnliche
Der Bot holt den Kunden ganz
Intelligenz nachzubilden, d. h. einen Computer
individuell dort ab, wo er ist, er
so zu programmieren, dass er eigenständig
kann auch vollautomatisch WieProbleme bearbeiten kann.
dervorlagen abarbeiten, einem
Bestandskunden z. B. per WhatsApp zum Geburtstag gratulieren
und ein besonderes Geburtstagsangebot unnen Kauf- oder Beratungsprozess führt, ist
terbreiten. Oder er erkundigt sich rechtzeitig
in puncto Usability der KI in den meisten
vor der Möglichkeit eines Tarifwechsels beim
Fällen überlegen.
Bestandskunden nach der Zufriedenheit oder
lotet Cross- und Upselling-Möglichkeiten aus.
Die Mensch-Maschine-Interaktion
Immer dann, wenn der Nutzer Interesse signalisiert, kann der Bot an einen Bot-Kollegen
übergeben, der dann durch einen KaufproDer zweite wichtige Punkt bei der Gestaltung eines Dialogs mit einem Bot ist
zess hindurchführt. Oder er übergibt den
die Mensch-Maschine-Interaktion oder
Dialog an einen Mitarbeiter, der den Fall weiterbearbeitet und zum Abschluss bringt.
besser: die Grenzen derselben. Der Dia-
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logpfad muss von der Eröffnung bis zum
Abschluss durchdacht sein. Es müssen
Ausstiegspunkte definiert sein, an denen
ein Bot bei Verständnisproblemen des
Nutzers den Dialog an einen Menschen
übergeben kann.
Denn dieser Moderator-Bot ist der Netzwerk-Knotenpunkt, der jedes Routing, jede
Eskalation an einen Mitarbeiter oder jede
Delegation von einem Mitarbeiter zu einem
Bot für jede einzelne Konversation überwacht und steuert.
Wer den maschinellen Dialog – insbesondere mit KI – so weit ausgestalten will,
dass der Bot komplexe Interaktionen vollständig autonom umsetzt, tappt schnell
in die Komplexitätsfalle der Software-Entwicklung: Eine 100-Prozent-Lösung ist
zwar meist technisch möglich, entbehrt
aber oft jeder wirtschaftlich begründbaren
Grundlage.
Die fachlichen Bots bilden dann jeweils einen Business Case ab – nur so kann eine
einheitliche Kommunikation sichergestellt
werden, die zu konsistenten Kundenerlebnissen führt.
Neben der Vielzahl der Prozesse, die von
Bots erledigt werden können, sind es auch
die vielen Kanäle, die zusätzlich Komplexität in ein Bot-Projekt hineinbringen.
Weit sinnvoller ist eine 80/20-Regel: StanDer ganz einfache Tipp kann hier nur laudardfälle mit hohem Volumen übernimmt
ten: Mit einem Kanal starten! Sinnvoll ist
der Bot, komplexe Fälle bearbeiten Menes z. B., einen Chatbot zunächst nur auf
WhatsApp einzusetzen und den
Einsatz erst nach ausführlichen
Tests und hinreichend ErfahDie Verbindung von Messenger-Anwendungen
rungen auf weitere Plattformen
und Online-Shopping: Einkauf, Service und
auszuweiten.
individuelle Produktberatung in verschiedensten
Kommunikationstools – von Chat-Anwendungen
Allerdings sollte ein Bot grundbis hin zu Voice-Interfaces (Amazons Echo). Chris
sätzlich stets unabhängig vom
Kanal konzipiert sein: Ein Bot
Messina, Architekt der User-Experience bei
kann dann sowohl im MessenUber, hatte den Begriff 2015 in die Blogosphäre
ger als auch für WhatsApp oder
geworfen.
für eigene Chat-Services auf der
Unternehmens-Website eingesetzt werden.
Conversational Commerce
schen. So kann der Bot sein hohes Effizienzpotenzial voll ausspielen, und die persönliche Beratung bei anspruchsvollen
Themenstellungen zahlt genauso auf die
Customer Experience ein wie die schnelle
Problemlösung des Bots.
© BIG Social Media GmbH, istockphoto.com
Ein „Zoo of Bots“
Ein Prozess, ein Bot – soweit, so gut. Wenn
aber ein Bot einen Prozess beginnt, eine
Anfrage vorqualifiziert oder aktiv einen Dialog einleitet, um dann an einen anderen
Bot zu übergeben, wird das Bot-Szenario
komplex – aus einem Bot wird schnell ein
ganzer Stall oder gar ein ganzes Gehege
voller Chatbots. Dann braucht es einen
Zoo-Direktor, der diesen „Zoo of Bots“
unter Kontrolle behält: Es braucht einen
Moderator-Bot, der dafür sorgt, dass jeder
Dialog mit einem Bot beim Nutzer „aus einem Guss“ wahrgenommen wird.
Spätestens jetzt ist eine ausgereifte Social
Media Management-Lösung mitsamt Multi-Bot-Plattform nötig, die die technische
Integration der Bot-Aktivitäten steuert.
Testen, testen, testen
Ist der Bot schließlich entwickelt, sollte er
zunächst in einer Pilotphase ausführlich
getestet werden. Dabei übernimmt der Bot
quasi unter Aufsicht echte Aufgaben und
tritt mit realen Kunden in Kontakt. Die Akzeptanz des Bots kann so in der Laborsituation überprüft werden – die Kundenerlebnisse
werden nicht länger nur antizipiert, sondern
konkret im Live-Betrieb gemessen. Dabei
lassen sich noch vorhandene Schwachstellen in der Dialogführung ausbessern, bevor
der Bot in den Echtbetrieb geht.
Klar ist: Für eine wirklich überzeugende
Customer Experience ist in den meisten
Fällen ein Zusammenspiel von Menschen
und Bots wichtig. Wer nun enttäuscht davon ist, dass KI nicht unbedingt der Weisheit letzter Schluss für Marketing und Service ist, sollte sich erinnern, dass es heute
darum geht, Kunden dort abzuholen, wo sie
sind: Dazu gehört eine maximale Usability
aller Kommunikationskanäle – gleichgültig
ob Klassiker wie Telefon oder E-Mail oder
Social Media und Messenger.
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Die Bot-Potenzial-Analyse
Ob und in welchem Umfang sich der Einsatz
von Bots mit mehr oder weniger KI wirklich
für das eigene Unternehmen eignet, hängt
natürlich immer auch von der Zielsetzung
ab. Den Anfang macht also eine eingehende
Potenzial-Analyse: Wie so oft gilt auch bei
der Einführung von Bots, dass sich immer
der Bot an den Dialog des Menschen und
nie der Mensch an den Dialogstil des Bots
anpassen muss.
Hohes Potenzial bieten gleichartige Prozesse, die in hohen Volumina vorkommen: In
Communities können Bots solche Anfragen
gut übernehmen, die mit standardisierten
Antworten oder mit Verlinkungen innerhalb
der Community bearbeitet werden können.
Reagiert der Bot auf externe Trigger wie die
im Beispiel genannten Likes bei Facebook,
müssen auch diese in einer ausreichenden
Zahl vorkommen, um die Bot-Entwicklung
wirtschaftlich zu machen.
Sind Automatisierungspunkte identifiziert,
beginnt eine eingehende Analyse der Kommunikation und der Dialogführung. Dazu
werden bestehende Dialoge aufgezeichnet und analysiert, um die Dialogführung
durch den Bot entsprechend nachbilden
zu können.
Das Ergebnis der Bot-Potenzial-Analyse ist eine Roadmap, die Chancen für die
Automatisierung in Marketing, Sales und
Service aufzeigt und mit klaren Zielformulierungen hinterlegt: Das ist die Basis, Unternehmen mit Bots für das Zeitalter des
Conversational Commerce fit zu machen.
DER AUTOR
Dr. Thomas Wilde ist Entrepreneur
und Dozent sowie seit 2011 Geschäftsführer der BIG Social Media GmbH in
Berlin.
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