14 MARKETING & ADVERTISING | 3-4/2017 Die Roboter kommen Leadgenerierung, Markenkommunikation und Service – zukünftig eine Aufgabe für Bots? Poten­ Text: Thomas Wilde ziale und Grenzen der Mensch­Maschine­Interaktion. Die Verfügbarkeit und die hohe Entwicklungsgeschwindigkeit bei KI spielt für die Evolution des Marketings mit Bots ebenfalls eine Rolle: Wenn die Maschine echte Dialoge führen kann, Anliegen von Kunden versteht und Lösungen präsentiert, werden Kundenanfragen schnell und effizient beantwortet. Der Chatbot wird zum virtuellen Assistenten und steht dem Kunden immer zur Verfügung – rund um die Uhr und ohne Krankheits- und Urlaubstage. Bots und künstliche Intelligenz sollen ja schon den US-Wahlkampf 2016 maßgeblich beeinflusst haben: Wenn Software-Roboter heute in der Lage sind, Politik zu machen, dann sollten Aufgaben aus Marketing und Vertrieb für Bots eine leichte Aufgabe sein. ten Themen auf Facebook erhält, kann den Bot beauftragen, dem Nutzer weiterführende Angebote zu unterbreiten – z. B. die Probefahrt beim „Liken“ einer Fahrzeug-Neuvorstellung oder die Einladung zu einer Veranstaltung. Die Technologie jedenfalls ist vorhanden: Künstliche Intelligenz (KI) ist heute aus der Cloud preiswert und nahezu beliebig skalierbar verfügbar. Und die digitalen Kommunikationskanäle legen ein enormes Wachstum hin: Allein die beiden großen Anbieter Facebook Messenger und WhatsApp verfügen jeder über mehr als eine Milliarde Nutzer. Die Interaktionsfähigkeit der Bots Conversational Commerce ist das Stichwort, das versucht, den neuen Trend auf den Punkt zu bringen. Aufgerüttelt hat die Marketing-Welt eine vor kurzem erschienene McKinsey-Studie, die zu dem Schluss kommt, dass knapp 15 Prozent aller Tätigkeiten im Marketing automatisiert und von einer Maschine erledigt werden können. Überzeugend ist der Bot, wenn man wirtschaftliche Maßstäbe anlegt, im direkten Kundenkontakt allemal: Verglichen mit einem Kundenkontakt per Telefon, kann der Chatbot bis zu 90 Prozent der Kosten einsparen – er kann viele Prozesse automatisieren und dabei nicht nur Menschen im Kundendialog entlasten. Im Marketing kann der Bot die Conversion in die Höhe treiben: Wer Likes zu bestimm- Die Frage ist nur: Ist ein KI-basierter Bot tatsächlich so hilfreich wie ein menschlicher Assistent? Nicht unbedingt. Künstliche Intelligenz klingt zwar nach einem Wunderwerk, ist aber für den Nutzer nicht immer ein echter Schritt nach vorn: Zwar versteht der Bot Eingaben in natürlicher Sprache, der Nutzer muss diese allerdings dann auch in natürlicher Sprache formulieren. Wer gerne auf der Bildschirmtastatur seines Smartphones längere Sätze tippt, mag diesen Weg schätzen, für die große Nutzer-Menge eignen sich andere Formen der Dialogführung weit besser: Ein strukturierter Dialog, der Optionen zur Auswahl anbietet, die Auswahl mit einem Fingertipp annimmt und Schritt für Schritt durch ei- Der Unterschied zu bisher eingesetzten Kampagnentriggern ist die Interaktionsfähigkeit des Bots: Er kann einen direkten Dialog aufbauen und übergibt erst dann an einen Menschen im Servicecenter, KI (auch: Artificial Intelligence – AI) ist ein wenn der Kontakt entspreTeilgebiet der Informatik, welches sich mit der chend qualifiziert ist. Automatisierung intelligenten Verhaltens befasst: Künstliche Intelligenz (KI) Es bezeichnet den Versuch, menschenähnliche Der Bot holt den Kunden ganz Intelligenz nachzubilden, d. h. einen Computer individuell dort ab, wo er ist, er so zu programmieren, dass er eigenständig kann auch vollautomatisch WieProbleme bearbeiten kann. dervorlagen abarbeiten, einem Bestandskunden z. B. per WhatsApp zum Geburtstag gratulieren und ein besonderes Geburtstagsangebot unnen Kauf- oder Beratungsprozess führt, ist terbreiten. Oder er erkundigt sich rechtzeitig in puncto Usability der KI in den meisten vor der Möglichkeit eines Tarifwechsels beim Fällen überlegen. Bestandskunden nach der Zufriedenheit oder lotet Cross- und Upselling-Möglichkeiten aus. Die Mensch-Maschine-Interaktion Immer dann, wenn der Nutzer Interesse signalisiert, kann der Bot an einen Bot-Kollegen übergeben, der dann durch einen KaufproDer zweite wichtige Punkt bei der Gestaltung eines Dialogs mit einem Bot ist zess hindurchführt. Oder er übergibt den die Mensch-Maschine-Interaktion oder Dialog an einen Mitarbeiter, der den Fall weiterbearbeitet und zum Abschluss bringt. besser: die Grenzen derselben. Der Dia- MARKETING & ADVERTISING | 3-4/2017 logpfad muss von der Eröffnung bis zum Abschluss durchdacht sein. Es müssen Ausstiegspunkte definiert sein, an denen ein Bot bei Verständnisproblemen des Nutzers den Dialog an einen Menschen übergeben kann. Denn dieser Moderator-Bot ist der Netzwerk-Knotenpunkt, der jedes Routing, jede Eskalation an einen Mitarbeiter oder jede Delegation von einem Mitarbeiter zu einem Bot für jede einzelne Konversation überwacht und steuert. Wer den maschinellen Dialog – insbesondere mit KI – so weit ausgestalten will, dass der Bot komplexe Interaktionen vollständig autonom umsetzt, tappt schnell in die Komplexitätsfalle der Software-Entwicklung: Eine 100-Prozent-Lösung ist zwar meist technisch möglich, entbehrt aber oft jeder wirtschaftlich begründbaren Grundlage. Die fachlichen Bots bilden dann jeweils einen Business Case ab – nur so kann eine einheitliche Kommunikation sichergestellt werden, die zu konsistenten Kundenerlebnissen führt. Neben der Vielzahl der Prozesse, die von Bots erledigt werden können, sind es auch die vielen Kanäle, die zusätzlich Komplexität in ein Bot-Projekt hineinbringen. Weit sinnvoller ist eine 80/20-Regel: StanDer ganz einfache Tipp kann hier nur laudardfälle mit hohem Volumen übernimmt ten: Mit einem Kanal starten! Sinnvoll ist der Bot, komplexe Fälle bearbeiten Menes z. B., einen Chatbot zunächst nur auf WhatsApp einzusetzen und den Einsatz erst nach ausführlichen Tests und hinreichend ErfahDie Verbindung von Messenger-Anwendungen rungen auf weitere Plattformen und Online-Shopping: Einkauf, Service und auszuweiten. individuelle Produktberatung in verschiedensten Kommunikationstools – von Chat-Anwendungen Allerdings sollte ein Bot grundbis hin zu Voice-Interfaces (Amazons Echo). Chris sätzlich stets unabhängig vom Kanal konzipiert sein: Ein Bot Messina, Architekt der User-Experience bei kann dann sowohl im MessenUber, hatte den Begriff 2015 in die Blogosphäre ger als auch für WhatsApp oder geworfen. für eigene Chat-Services auf der Unternehmens-Website eingesetzt werden. Conversational Commerce schen. So kann der Bot sein hohes Effizienzpotenzial voll ausspielen, und die persönliche Beratung bei anspruchsvollen Themenstellungen zahlt genauso auf die Customer Experience ein wie die schnelle Problemlösung des Bots. © BIG Social Media GmbH, istockphoto.com Ein „Zoo of Bots“ Ein Prozess, ein Bot – soweit, so gut. Wenn aber ein Bot einen Prozess beginnt, eine Anfrage vorqualifiziert oder aktiv einen Dialog einleitet, um dann an einen anderen Bot zu übergeben, wird das Bot-Szenario komplex – aus einem Bot wird schnell ein ganzer Stall oder gar ein ganzes Gehege voller Chatbots. Dann braucht es einen Zoo-Direktor, der diesen „Zoo of Bots“ unter Kontrolle behält: Es braucht einen Moderator-Bot, der dafür sorgt, dass jeder Dialog mit einem Bot beim Nutzer „aus einem Guss“ wahrgenommen wird. Spätestens jetzt ist eine ausgereifte Social Media Management-Lösung mitsamt Multi-Bot-Plattform nötig, die die technische Integration der Bot-Aktivitäten steuert. Testen, testen, testen Ist der Bot schließlich entwickelt, sollte er zunächst in einer Pilotphase ausführlich getestet werden. Dabei übernimmt der Bot quasi unter Aufsicht echte Aufgaben und tritt mit realen Kunden in Kontakt. Die Akzeptanz des Bots kann so in der Laborsituation überprüft werden – die Kundenerlebnisse werden nicht länger nur antizipiert, sondern konkret im Live-Betrieb gemessen. Dabei lassen sich noch vorhandene Schwachstellen in der Dialogführung ausbessern, bevor der Bot in den Echtbetrieb geht. Klar ist: Für eine wirklich überzeugende Customer Experience ist in den meisten Fällen ein Zusammenspiel von Menschen und Bots wichtig. Wer nun enttäuscht davon ist, dass KI nicht unbedingt der Weisheit letzter Schluss für Marketing und Service ist, sollte sich erinnern, dass es heute darum geht, Kunden dort abzuholen, wo sie sind: Dazu gehört eine maximale Usability aller Kommunikationskanäle – gleichgültig ob Klassiker wie Telefon oder E-Mail oder Social Media und Messenger. 15 Die Bot-Potenzial-Analyse Ob und in welchem Umfang sich der Einsatz von Bots mit mehr oder weniger KI wirklich für das eigene Unternehmen eignet, hängt natürlich immer auch von der Zielsetzung ab. Den Anfang macht also eine eingehende Potenzial-Analyse: Wie so oft gilt auch bei der Einführung von Bots, dass sich immer der Bot an den Dialog des Menschen und nie der Mensch an den Dialogstil des Bots anpassen muss. Hohes Potenzial bieten gleichartige Prozesse, die in hohen Volumina vorkommen: In Communities können Bots solche Anfragen gut übernehmen, die mit standardisierten Antworten oder mit Verlinkungen innerhalb der Community bearbeitet werden können. Reagiert der Bot auf externe Trigger wie die im Beispiel genannten Likes bei Facebook, müssen auch diese in einer ausreichenden Zahl vorkommen, um die Bot-Entwicklung wirtschaftlich zu machen. Sind Automatisierungspunkte identifiziert, beginnt eine eingehende Analyse der Kommunikation und der Dialogführung. Dazu werden bestehende Dialoge aufgezeichnet und analysiert, um die Dialogführung durch den Bot entsprechend nachbilden zu können. Das Ergebnis der Bot-Potenzial-Analyse ist eine Roadmap, die Chancen für die Automatisierung in Marketing, Sales und Service aufzeigt und mit klaren Zielformulierungen hinterlegt: Das ist die Basis, Unternehmen mit Bots für das Zeitalter des Conversational Commerce fit zu machen. DER AUTOR Dr. Thomas Wilde ist Entrepreneur und Dozent sowie seit 2011 Geschäftsführer der BIG Social Media GmbH in Berlin.