Journal Nr. 9: "Ich hatte genug davon, immer einen

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03. ! Albert Dohmen
03.
Der Bassbariton über das Geheimnis von Berlusconi und Falstaff
Er gilt als deutscher Sänger schlechthin und
ist einer der führenden Wotane seiner
Generation. In Herz und Seele aber ist der
aus Krefeld stammende Bassbariton ALBERT
DOHMEN fast ein Italiener: Mit seiner
sizilianischen Frau und seinen zwei Kindern
hat der 57jährige bis vor kurzem in Rom
gelebt, in Stuttgart wird er im Oktober als
Falstaff in Andrea Moses’ neuer Inszenierung
von Giuseppe Verdis letzter Oper debütieren.
Auf Italienisch – natürlich!
Bassbaritone haben einen entscheidenden Vorteil im Leben:
Stets ist man verleitet, ob ihres wohlklingenden, raumgreifenden Timbres nicht ihren Worten zuzuhören, sondern schlicht
dem verführerischen Klang ihrer Stimme zu lauschen. »Ja,
eine tiefe, ruhige Stimme ist im Umgang mit den Mitmenschen in der Tat bisweilen von Vorteil«, lacht Albert Dohmen.
»Und auch bei der Kindererziehung kann sie hilfreich sein.
Bei meinem Nachwuchs heißt es manchmal: ›Oh, Papa hat
ins Wotan-Register gewechselt‹ – was bedeutet, Widerspruch
ist nicht mehr anzuraten. Dieser Effekt nutzt sich mit der Zeit
aber leider ein wenig ab!«
Es ist Juli und Albert Dohmen ist für erste Falstaff-Proben
in Stuttgart. Am 20. Oktober wird er in Andrea Moses’ neuer
Inszenierung von Giuseppe Verdis letzter Oper in der Titelrolle
debütieren: »Sie wissen gar nicht, wie sehr ich mich auf Verdi
freue. Endlich wieder ein Ausflug in meine geliebte italienische Kulturwelt! Ich spreche fließend Italienisch, habe 20 Jahre lang in Italien gelebt, liebe die Italianitá. Doch das wissen
viele nicht. Die denken nur: Dohmen – Wagner, Strauss. Ich
gelte als deutscher Sänger schlechthin.«
In der Tat: Dohmen ist einer der führenden Wotane seiner Generation, und auch seine zweite Paraderolle, der Hans
Sachs in Richard Wagners Die Meistersinger von Nürnberg,
könnte deutscher gar nicht sein: »Dass mir Stuttgart die Möglichkeit gibt, als Falstaff endlich mal den Speer abgeben zu
können, dafür bin ich diesem Haus unendlich dankbar!« Umso
mehr, als er sich nicht nur auf die musikalische Zusammenarbeit mit GMD Sylvain Cambreling freue, sondern auch auf
die Regie von Andrea Moses: »Sie ist eine dieser Regisseurinnen, die die Sänger mit Respekt und Können zu Schauspielern
macht. Das ist es, was ich suche!«
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„Ich h , immer einen
davon zu halten!“
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Foto: Martin Sigmund
Eine Sizilianerin und
einer vom Niederrhein
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Albert Dohmen ist ein wahrer Wagner-Hüne: großgewachsen, resolut, dabei besonnen, temperamentvoll und mit unverkennbar niederrheinischem Humor. Seine ganz eigene
Italianitá steckt im Detail – und seine bloßen Füße in blauen
Wildleder-Slippern. Wagner und Verdi, Deutschland und Italien: in Körperbau und Modestil perfekt vereint.
Wie hat es den Mann, der als mittlerer von acht Geschwistern – »ich habe die Jüngeren verteidigt und nach oben vermittelt« – in Krefeld aufgewachsen ist, nach Italien verschlagen?
»Ich habe eine Frau vom Ätna geheiratet! Eine Sizilianerin und
einer vom Niederrhein, das heißt zwei Sprachen, zwei Kulturen, zwei Temperamente. Eine explosive Mischung, die sich
bestens auf unsere beiden Kinder verteilt hat.« Zwei Kinder
– wie alt denn? Dohmens Antwort ist ein waidwunder Blick
aus blauen Augen und ein leises Wort, bedrohlich und bedeutungsschwanger: »Pubertät!«
Wie war er selbst als Kind? Für sein Leben gern gesungen
habe er schon immer, erzählt Dohmen: »Ich hatte wohl eine
sehr schöne Knabenstimme, habe Bach-Kantaten gesungen
und auch in Theaterchören. Aber für meine Eltern war klar:
Der Junge wird Anwalt.« Also hat Dohmen Jura studiert – aber
nie Gesang: »Ich hatte immer nur privaten Gesangsunterricht.
Zu Beginn war ich einer amerikanischen, hochdramatischen
Lehrerin ausgeliefert, für die es nur Forte und Fortissimo gab,
weil sie selbst nicht viel anderes als Isolden, Brünnhilden und
Turandots an der Met gesungen hat. Sie wusste mit meiner
jungen Bassstimme nichts anzufangen. Gerettet hat mich
Das Journal September /Oktober /November 2013
eine Pianistin, deren Ehemann ein rumänischer Bassist war.
Sie hat zu mir gesagt: ›Alberto, du klingst wie mein Mann vor
40 Jahren. Du hast eine hohe Bassstimme, die es eventuell ins
›Killerfach‹ des Heldenbaritons schaffen könnte.‹« Aber dieses
Fach erreiche man nicht mit 25 Jahren, sagt Dohmen: »Man
muss sich Zeit lassen. Man schafft den Wotan nur, wenn man
ihn aufbaut. Ich habe schon als junger Sänger mit großen Dirigenten wie Claudio Abbado, Sir Georg Solti, Kurt Masur, Zubin
Mehta und James Levine zusammengearbeitet. Sie alle haben mir beigebracht, dass am Anfang eines Sängerlebens das
Studium steht, und die Disziplin. Daran habe ich mich immer
gehalten.«
Debüt mit 57 Jahren
Zehn Jahre lang hat er den Wotan in Die Walküre und den
Wanderer in Siegfried studiert, bevor er diese Partien im Alter
von 40 Jahren erstmals öffentlich gesungen hat. Seinen ersten Hans Sachs habe er sich zum 50. Geburtstag geschenkt,
erzählt Dohmen: »Erst in diesem Alter hat man ausreichend
Erfahrungen für diese schwierigen Partien gesammelt. Und
ich meine nicht nur das stimmliche Können und die Fähigkeit, sich auf Kommando tausendprozentig zu konzentrieren:
Wir Sänger müssen leben! Nur das, was man gefühlsmäßig
auch erlebt hat, kann man glaubhaft auf der Bühne darstellen.
Denn die menschliche Stimme ist der Spiegel der Seele. Das
will heute keiner mehr hören – aber es ist so!«
Mit 57 Jahren wird Albert Dohmen hier in Stuttgart als
Falstaff debütieren – ein nicht nur angesichts der Schnelllebigkeit der heutigen Opernwelt und ihren immer jünger werdenden Shooting Stars ein eher ungewöhnliches Ereignis: Selten,
dass sich ein Sänger heute selbst ausreichend Zeit für seine
persönliche Entwicklung lässt – und sich diese »Freiheit«
auch gegenüber ehrgeizigen Plattenfirmen und Agenten herausnimmt. Albert Dohmen hat sich da nie beirren lassen:
»Man muss sich seine Karriere selbst einteilen. Man darf sich
nicht hetzen, aber auch nicht verführen lassen. Ich habe meine Agenten mit meiner beharrlichen Weigerung, den Sachs
zu singen, jahrelang in den Wahnsinn getrieben«, sagt Dohmen mit dem diebischen Grinsen desjenigen, der am Ende
Recht behalten hat.
»Unwiderstehliche Angebote, große Plattenverträge, berühmte Opernhäuser: Und dann? Das kann alles so schnell
vorbei sein. Ist die Stimme einmal im Eimer, kann es gut sein,
dass man früher vor dem Nichts steht, als einem lieb ist. Und
überhaupt – was soll denn dieser Straffheitswahn? Warum
müssen alle jung sein? Jede Falte ist Beweis für erlebtes und
gelebtes Leben: Wir sollten uns freuen über sie! Bei allem Respekt für den Jugendkult: Es liegt eine unglaubliche Kraft in der
Ruhe, die man nur durch die Erfahrung bekommt.«
Fare bella figura!
Auf sehr viel gelebtes Leben konnte auch Giuseppe Verdi
zurückblicken, als er mit knapp 80 Jahren seine letzte Oper
Falstaff komponierte – vielleicht auch das ein Grund, warum
dieses Werk gespickt ist mit Zitaten, seien sie nun musikalischer oder literarischer Art. Verdis 1893 uraufgeführte Komödie rund um den dicken Ritter Falstaff, der mit einer ob seines
Alters und seiner Körperfülle erstaunlich selbstbewussten
Dreistigkeit die Bürgerwelt von Windsor durcheinanderbringt,
ist neben Verdis Frühwerk Un giorno di regno das einzige
Lustspiel des Komponisten und gilt als einer der Höhepunkte
seines Schaffens.
Die Frage nach Falstaffs robustem Charakter bringt uns auf
Silvio Berlusconi – und damit auch darauf, warum Familie
Dohmen nach knapp zwei Jahrzehnten das Land, wo die Zitronen – und die Korruptionen – blühn’, verlässt. Ja, Berlusconi sei einer der Gründe für diesen Umzug, das gebe er offen
zu, sagt Dohmen: »Wir hatten es satt, uns andauernd unermesslich zu ärgern. Also haben wir beschlossen, wieder nach
Deutschland zu ziehen.«
Was aber hat Shakespeares Figur des Falstaff nun tatsächlich mit dem vermeintlichen Parade-Italiener Berlusconi gemeinsam? »Beiden gemeinsam ist ein Talent, das die Italiener fare bella figura nennen: Das ganze Leben spielt sich ja
draußen ab, auf der Piazza. Und wer sich dieser Öffentlichkeit
zu präsentieren und zu verkaufen weiß, wer ›einen guten Eindruck‹ macht, die Menschen für sich einnimmt und gleichzeitig stets Mittel findet, das Leben so zu drehen, dass ihm die
süßen Früchte vor die Füße fallen, der kann in Italien gerne
Als Wotan in Die Walküre (Regie: Tankred Dorst) bei den Bayreuther
Festspielen 2007 © Bayreuther Festspiele GmbH / Jörg Schulze
Als Hans Sachs in Die Meistersinger von Nürnberg (Regie: Pierre
Strosser), Grand Théâtre de Genève © Archives GTG / Mario del Curto
auch ein Gauner sein: Er macht ›eine gute Figur‹ und jemandem, der das beherrscht, scheinen viele Italiener tatsächlich
alles zu verzeihen. Das Phänomen Berlusconi funktioniert nur
in Italien: In Deutschland hätte so einer keine Chance«, sagt
Dohmen kopfschüttelnd, resigniert.
Was ist das Geheimnis Berlusconis – und Falstaffs? »Ihre
Unverschämtheit! Beide verkaufen eine Idee, beide bedienen
die Leute, indem sie sie betrügen. Und sie sind Stehaufmännchen: Niederlagen prallen an ihnen einfach ab. Zwar gehen
sie hin und wieder zu Boden, aber das spielt keine Rolle. Sie
richten sich auf, klopfen den Staub ab, blicken sich um – und
siehe da: Die Leute sind noch immer fasziniert!«
Babette Karner
Falstaff
von Giuseppe Verdi
Musikalische Leitung: Sylvain Cambreling; Regie:
Andrea Moses
Premiere: 20. Oktober 2013 // 18:00 Uhr // Opernhaus
Weitere Vorstellungen: 26.10. // 03.11. // 13.11. // 19.11. //
22.11. // 27.11. // 27.12. // 31.12.2013 // 02.01.2014
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