DA Judentum 260215

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 1 Plenum, 26. Februar 2015
Redebeitrag von MdL Ulrike Gote zur Drs.17/5405
(Dringlichkeitsantrag der CSU-Fraktion „Jüdisches
Leben in Bayern stärken“)
„Die jüngsten antisemitischen Vorfälle, die brutalen
Morde in Paris und Kopenhagen, schockieren uns
zutiefst. Diese Gewalttaten, diesen Terror
verurteilen wir scharf. Wir fühlen mit den
Angehörigen der Opfer.
Wir wollen alles dafür tun, dass antisemitischer
Terror, Angriffe in Wort und Tat gegenüber Juden
und Jüdinnen, dass Antisemitismus und Judenhass
in unserer Gesellschaft – mitten unter uns, nicht
stattfinden und wir wollen Antisemitismus jeglichen
Nährboden entziehen.
Deshalb unterstützen wir selbstverständlich den
Antrag der CSU.
Wir beobachten seit jeher mit großer Sorge, wie
sich antisemitische und rassistische
Überzeugungen und Einstellungen bis tief in die
Mitte unserer Gesellschaft hinein verfestigt haben
und weiter verfestigen. Das trifft uns alle: alle
Parteien, alle Kirchen, die Gewerkschaften, alle
2 gesellschaftlichen Gruppen, nahezu unabhängig
vom sozialen oder Bildungshintergrund oder vom
Geschlecht.
Wie tief judenfeindliche Vorurteile und
Einstellungen in der Gesellschaft verankert sind,
haben verschiedene Forschungsergebnisse in der
Vergangenheit deutlich gemacht.
Erschreckenderweise nahm Bayern bei der
Zustimmung zu antisemitischen Thesen – wie
bereits die von der Friedrich-Ebert-Stiftung 2008 in
Auftrag gegebene Studie „Bewegung in der Mitte“
gezeigt hat – mit 16,6 Prozent gar eine
beschämende Spitzenposition ein. Unsere
aktuellen Studien zu rechtsextremen Einstellungen
in Bayern aus dem Jahr 2012 und 2014 bestätigen
diesen Befund in erschreckender Weise.
12,6 % der Bayerinnen und Bayern stimmen
antisemitischen Aussagen zu (BRD 8,4%).
„Die Juden nutzen die Erinnerung an den Holocaust
heute für ihren eigenen Vorteil aus“
43,1 % Zustimmung
3 „Juden haben zu viel Einfluss auf die öffentliche
Meinung in diesem Land“
32,3,% Zustimmung
„Juden haben zu viel Kontrolle und Einfluss an der
Wall Street“
39,1 % Zustimmung
„Juden sorgen mit ihren Ideen immer für Unfrieden“
23,2 % Zustimmung
„Durch die israelische Politik werden mir die Juden
immer unsympathischer“
28,6 % Zustimmung
Antisemitismus ist vor allem im Zusammenhang mit
Rechtsextremismus zu sehen. Wer Antisemitismus
allein als Problem der Muslime in Deutschland
betrachtet, liegt falsch. Eine Anfrage meiner
Kollegin Katharina Schulze hat ergeben, dass in
Bayern in den letzten Jahren nahezu alle
antisemitisch motivierten Straf- und Gewalttaten
dem Bereich „Politisch motivierte Kriminalität –
rechts“ zugeordnet werden müssen. Wer versucht,
Antisemitismus zum „importierten“ Problem zu
machen, trägt deshalb weniger zur Lösung des
4 Problems bei, als zu dessen Verschleierung. Wer
versucht, den islamistischen Terror für
islamfeindliche Zwecke zu missbrauchen,
disqualifiziert sich selbst und stellt sich auf die Seite
all jener, die das Wertefundament unserer
Gesellschaft angreifen.
Michel Friedman:
Antisemitismus ist ein Angriff auf den Vertrag in
einer modernen demokratische Gesellschaft zu
leben, Menschen nicht zu diskriminieren.
Wir fordern deshalb eine klare Haltung aller
demokratischen Parteien gegen Antisemitismus
und Islamfeindlichkeit. Eine Gesellschaft, die
Antisemitismus keinen Raum geben will, darf auch
Islamophobie nicht tolerieren. Beides gehört
zusammen.
Völlig zurecht wies auch der Vorsitzende des
Zentralrats der Juden Josef Schuster darauf hin. Er
sagte im Interview mit der "Welt", die Angst vor
islamistischem Terror werde "instrumentalisiert", um
eine ganze Religion zu verunglimpfen. "Das ist
absolut inakzeptabel".
5 Wir sind uns heute hier im Landtag einig, dass
Deutschland und Bayern sichere Heimat für Juden
und Jüdinnen sein muss und dass wir uns
Antisemitismus und Rassismus gemeinsam
entgegenstellen wollen.
Weil das so ist, müssen wir über diesen Antrag
hinaus, der unsere gemeinsame Haltung bekräftigt,
aber auch zu einem gemeinsamen Handeln
kommen.
Wir fordern für Bayern ein ressortübergreifendes
Konzept gegen Antisemitismus, Islamfeindlichkeit,
Rassismus und jede andere Form
gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Den
Sicherheitsbehörden kommt dabei die Rolle zu,
menschenfeindliche Äußerungen auf
Demonstrationen und grundsätzlich im öffentlichen
Raum strikt zu ahnden und jüdische Einrichtungen,
aber auch Moscheen, zu schützen. Doch allein mit
sicherheitspolitischen Maßnahmen ist es nicht
getan. Auch im Bereich der Präventions-, Sozialund Bildungsarbeit fordern wir deutlich stärkere
Anstrengungen der Staatsregierung. Ganz
entscheidend ist für uns im Kampf gegen
6 Ausgrenzung und Gewalt die Stärkung und
Förderung der zivilgesellschaftlichen Kräfte, die
sich für eine moderne, offene und tolerante
Gesellschaft einsetzen. Hier besteht in Bayern noch
immer besonderer Handlungsbedarf. Schließlich
können wir das Wertefundament unserer
Gesellschaft nur gemeinsam und in engem
Schulterschluss zwischen Zivilgesellschaft, Politik
und Sicherheitsbehörden verteidigen.
- Unser Antrag: Handlungskonzept gegen
Rechtsextremismus evaluieren und weiter
entwickeln.
- Die konkreten Handlungsempfehlungen aus dem
Bericht des unabhängigen Expertenkreises
Antisemitismus von 2011 auf Bundesebene
umsetzen.
- die vom Grundgesetz und der Bayerischen
Verfassung garantierte Gleichstellung aller
Religionen und Weltanschauungen vorantreiben
- Juden und Jüdinnen, aber auch Muslime und
Muslima im öffentlichen Raum sichtbar machen: bei
offiziellen Anlässen
- religionskundliche Bildung in unseren Schulen
verankern
7 es braucht aber auch eine kritische Überprüfung
des eigenen Redens der politisch Verantwortlichen
in diesem Land.
Wer es ernst meint mit diesem Antrag heute, der
sollte sich in der politischen Auseinandersetzung
nicht mehr einer Sprache bedienen, die der der
Rassisten und Antisemiten gefährlich nahe kommt,
der sollte nicht gleiche oder ähnliche Topoi und
Begrifflichkeiten verwenden wie die, die wir
bekämpfen wollen, der sollte alles unterlassen, was
anknüpfungsfähig ist für die Feinde unserer
toleranten, demokratischen Gesellschaft und alles
unterlassen, was Antisemitismus, Islamophobie,
Rassismus oder gruppenbezogene
Menschenfeindlichkeit salonfähig macht.
Und er oder sie sollten den Begriff des christlichen
oder christlich-jüdischen Abendlandes aus dem
aktiven Wortschatz streichen. Eine christlichjüdische Symbiose, die in einer irgendwie gearteten
Leitkultur dieses Landes mündete, gab es in
Deutschland nie.
8 Eine jahrhundertelange Tradition der Verfolgung,
Diskriminierung und Pogrome in Deutschland und
anderen europäischen Staaten gegen Juden und
Jüdinnen bestimmen vielmehr das historische Bild
des christlich-jüdischen Verhältnisses. Die Berufung
auf die Werte des christlich-jüdischen Abendlandes
blendet sowohl die deutsche Geschichte des
Antisemitismus als auch den gegen Migranten und
Migrantinnen gerichteten Rassismus aus. Zudem
wird für eine säkularisierte Gesellschaft ein
omnipräsenter religiöser Identitätsbezug hergestellt,
der mit den realen gesellschaftlichen Verhältnissen
nicht mehr übereinstimmt. Neben der
ausgrenzenden Wirkung gegenüber allen, die nicht
dem "Christlich-Jüdischen" zuzuordnen sind,
werden aber auch die jüdische Kultur und Religion
wieder mit Zuweisungen versehen. So schreibt der
ehemalige Vizepräsident des Zentralrates der
Juden in Deutschland, Salomon Korn, dass in
dieser Debatte "den Juden" wieder eine Rolle
zugewiesen werde, die er als "Funktionsjude"
umreißt: "Die Deutschen brauchen die anderen, um
zu sagen, wer sie selbst sind oder sein könnten."
Neuerdings würden die "Funktionsjuden" in die
"christlich-jüdische" Kulturdebatte inkorporiert, um
gemeinsam "gegen den neuen Fremden", den
9 Islam, anzugehen.
Diese Gedanken, Anrede, finden Sie gut und
verständlich ausgeführt in einem Artikel von Marcus
Meier, in der Zeitschrift „Aus Politik und
Zeitgeschichte | 2013 | Gesellschaftliche
Zusammenhänge | Fallstricke bei der
Bildungsarbeit gegen Antisemitismus“.
Also bitte verabschieden Sie sich vom christlichjüdischen Abendland!
Diese Debatte heute zeigt, dass wir alle
miteinander noch einen weiten Weg vor uns haben
hin zu einer Gesellschaft ohne Rassismus und
Antisemitismus. In unserem Land ist
Menschenwürde das höchste Gut, die Würde jedes
Menschen. Die Menschenrechte und die
Demokratie sind unsere Werte. Dazu gehört die
Religionsfreiheit. In dieser Gesellschaft sollte es
kein „Wir“ und „Die anderen“ mehr geben, sondern
nur noch ein Wir: Wir Juden und Jüdinnen, wir
Muslime und Muslima, wir Christinnen und
Christen, wir Konfessionslose, wir Atheistinnen und
Atheisten.“
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