Ifl fiefioriafi `oe`

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In memoriam 'oe'
In memoriam 'oe'
Pick erinnert sich zum 90. Geburtstag des Tanzkritikers Horst Koegler
Veröffentlicht am 21.03.2017, von Günter Pick
München - Er wäre heute neunzig geworden und seine Besuche anlässlich des Deutsche Tanzpreises, der ihm am 18. Januar
1992 im Grillo Theater Essen verliehen wurde und den er jährlich wiederholte, gaben bis zum Schluss Auskunft darüber, wie sehr
der Zahn der Zeit an ihm nagte. Er war bis zu seinem Ende aber geistig höchst wach, wenn auch das Gehen und längere
Unterhaltungen wegen seiner Hörschwäche für ihn doch sehr mühsam wurden.
Ab dem Moment, an dem man anfing sich für den Tanz zu interessieren, gab es kein Entrinnen vor Koegler mit dem Beinamen
Ballett-Papst, den er sich redlich verdient hatte. Er war (vergleichbar mit Marcel Reich-Ranicki auf dem Gebiet der Literatur) bei
Andersgläubigen - und das waren viele schöpferische Menschen - durchaus verhasst. Wie er wirklich zum bekanntesten deutschen
Tanzkritiker wurde, der sowohl in amerikanischen wie englischen Tanzmagazinen gedruckt wurde, hat sich mir entzogen, denn
das hat sich vor meiner Zeit entwickelt. Wenn mich nicht alles täuscht, arbeitete er sogar in Frankreich, denn er tröstete mich mal
nach einem Wettbewerb in Paris/Bagnolet.
Aber auch 'oe' hat natürlich nicht gleich oben angefangen. Zunächst landete er nach der Flucht aus dem Osten in der
Vier-Mächte-Stadt Berlin und versuchte als Musikkritiker sein täglich Brot zu verdienen. Das war nicht nur nicht leicht, sondern auch
schlecht bezahlt. Zu essen gab es ja sowieso nichts, man hungerte sich durch. Tänzer interessierten ihn allerdings schon sein
ganzes Leben lang und als er bemerkte, dass sich auf dem Gebiet etwas entwickelte, ließ er sich bei Tatjana Gsovsky sehen und
beiseite nehmen, um auch wirklich in die Materie einzudringen. Er war ein außerordentlich gewissenhafter und fleißiger Mann
von A bis Z, mit dieser kleinen künstlerischen Ader, die er allerdings nie rausließ. Ich werde nie vergessen, wie er mich eines
Tages (wahrscheinlich im Theater in Köln) ansprach und mir sagte, dass er sich verabschieden werde aus dieser doch von ihm
sehr geschätzten Kölner Tanzszene, die von anderen Kritikern sehr beeinflusst wurde, und ob ich zu seinem Abschied nicht
vorbeikommen wolle. Auf meine Frage, wieso und wohin er sich bewegen werde, war seine Antwort: „Stellen Sie sich vor, ich
habe ein Angebot nach Stuttgart, in meinem fortgeschrittenen Alter kriege ich tatsächlich noch eine feste Anstellung, als
Ressortchef.“ Bis dahin war er immer freier Autor diverser Tageszeitungen gewesen, auch ein Mitstreiter von Kurt Peters und seiner
Gisela Peters-Rohse, bei der Zeitschrift seines Tanzarchiv. Ich glaube, Horst Koegler wurde dort auf mich aufmerksam, wie auch
sein damaliger Freund, der ebenfalls nach Stuttgart ging und bei der Konkurrenz, den Stuttgarter Nachrichten, einen ähnlich Job
bekam. Sie konnten dann später ihre Feindschaft öffentlich ausleben. Das war möglich geworden durch das von John Cranko
hervorgebrachte Stuttgarter Ballettwunder, durch das sich Leser nun für das Ballett interessierten und den fleißigen Kritiker ein gutes
Auskommen mit Tagesgeschäft, Lexika bei Reclam und Knauer usw bescherten. Das war allerdings mit viel Arbeit verbunden, denn
da ist die Recherche, die eigentlich nie aufhört.
Übrigens war der Aufhänger für die Vergabe des Deutschen Tanzpreises an Koegler das Ballettlexikon, das auch in England bei
Pinguin erschien und noch heute up to date gebracht wird. Im Vorstand war man bei der Wahl unterschiedlichster Meinung und
es gab danach vor allem Mitglieder des Pädagogen-Verbandes, die sich weigerten zum Tanzpreis zu erscheinen. Das war aber
typisch: Koegler polarisierte immer und wie alle großen Kritiker hatte er seine Lieblinge und solche, die es nie werden würden.
John Neumeier war ein Auserwählter und Koegler hat als erster auch Pina in Wuppertal entdeckt mit ihrem Bacchanal im
"Tannhäuser" (er schrieb als Opernkritiker darüber, man könne nach dem 1. Akt gehen, der Rest sei nicht sehenswert...). Später
allerdings konnte er ihr nicht mehr folgen und schrieb: “Ich habe diesen Wohnküchenmief jetzt wirklich satt.“ Er war ein
Bewunderer von Hans van Manen und blieb dies bis zum Schluss, als Hans ihm seinen „Sacre“ widmete, was er nicht recht
einsah, warum ausgerechnet dieses Stück.
Mit Cranko verband ihn ebenfalls eine sehr große Zuneigung, was ihn aber nicht davon abhielt, nach großen Erfolgen bei ihm
Haare in der Suppe zu suchen und zu finden, was Cranko sehr traf. Anne Wooliams, die damals ja Crankos rechte Hand war
und wohl auch gern seine Nachfolge angetreten hätte, sagte einmal zu mir in dieser Übergangszeit: „John ist zum rechten
Zeitpunkt gestorben, denn die Kritiker haben begonnen, ihn abzusägen“.
Tatsächlich gab es solche Vorkommnisse. Ein Paradebeispiel dafür war Giese Furtwängler aus der recht verzweigten
Künstlerfamilie dieses Namens, die in Münster von allen Kritikern in höchste Höhen gehoben wurde und dann, als man ihr den
Weg an die Kölner Oper geebnet hatte, sie bald fallen ließ. Nachdem sie verschwunden war, versuchte sie sich nur noch einmal
kurz in Krefeld/Mönchengladbach. Kritik ist natürlich immer eine subjektive Meinung, für die man kaum Beweise finden kann und
selbst wenn es Regeln gäbe, nach denen zu „urteilen“ wäre, wie im Fußball, gäbe es doch immer wieder Fehlentscheidungen
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In memoriam 'oe'
und die tun weh.
Ich glaube, Koegler hat nie öffentlich über mich geschrieben, aber er kam zu einer Vorstellung nach Filderstadt, wo wir ein
gemischtes Programm aus dem Kleinen Haus in Ulm mit "Wälsungenblut" tanzten. Er schrieb mir einen Brief, in dem er meine
Arbeit lobte, jedoch meinte, es wäre besser gewesen, wenn ich ein leichteres Stück am Schluss gewählt hätte. Ich war natürlich
nicht seiner Meinung, aber mit zunehmender Reife habe ich erkannt, wie und warum er das schrieb. Er war übrigens auch Schuld
daran, dass ich die Uraufführung von „Desdemona und Othello“ in Aachen machte. Anlässlich seines Abschieds aus Köln stellte er
mir Gerald Humel vor, der noch eine Partitur in Schublade hatte - eigentlich hatte er sie für Neumeier geschrieben, der aber hatte
sie abgelehnt. Immerhin: Klaus Geitel reiste aus Berlin an und Jochen Schmidt blieb im Schnee stecken. Geitel aber fand, José
Limón hätte das Stück doch viel kurzweiliger hingekriegt (es ist ja weder ein Abendfüller noch eine zeitgenössische Musik).
Jetzt möchte ich aber Koegler meine ganz große Bewunderung erweisen. Als er nämlich von der Stuttgarter Zeitung, wo er gegen
Ende vor allem Musikkritiken zu schreiben hatte, in den Ruhestand ging (was in Wirklichkeit natürlich keiner war), entdeckte er
Nina Hümpels tanznetz und startete dort sein koeglerjournal. (Vielleicht möchte sie selbst einen Satz dazu schreiben, wie es dazu
kam.) Er erzählte mir jedenfalls, dass er jetzt im Internet blogge und ihm das viel Spaß mache, weil er da wirklich ganz Herr über
seine Erzeugnisse sei, was er immer gewollt hatte. Damit sei er besonders zufrieden. Zu der Zeit wusste ich weder was ein
Blogger ist noch wo und wie man das lesen kann. Später habe auch ich herausgefunden, wie das Internet zu finden ist und jetzt
schreibe ich selbst in memoriam Horst Koegler mit oe. Wir werden ihn sicherlich nicht vergessen!
Horst Koegler
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