84 ÜBERSICHT / REVIEW Hepatitis E – eine häufig nicht berücksichtigte Differenzialdiagnose Hepatitis E – a Frequently Overlooked Differential Diagnosis Klaus Radecke, Daniel Grandt Hintergrund: Bei der Abklärung einer akuten Hepatitis wird die Hepatitis E als mögliche Ursache häufig nicht berücksichtigt. Allerdings ist die Hepatitis-E-positive Seroprävalenz bei Blutspendern in Deutschland relativ hoch, sodass bei Vorliegen einer akuten Hepatitis, auch eine Hepatitis-E-Infektion differenzialdiagnostisch in Erwägung gezogen werden sollte. Dabei ist insbesondere erwähnenswert, dass in bis zu 13 % der Fälle einer vermuteten, akuten medikamentös-toxischen Hepatitis tatsächlich eine akute Hepatitis E zugrunde liegt. Methoden: Pragmatische Literaturrecherche in PubMed. Ergebnisse: Die durch den Konsum von nicht ausreichend gegartem Schweine- und Wildtierfleisch verursachte Infektion mit dem Hepatitis-E-Virus (HEV) Genotyp 3 ist in Deutschland häufig, zeigt aber überwiegend einen harmlosen, subklinischen Verlauf mit kompletter Ausheilung. Eine akute Hepatitis-E-Infektion kann jedoch auch schwere Verläufe bei Patienten mit einer Vorschädigung der Leber zeigen. Fulminante Verläufe der HEV-Genotyp1-Infektion bei Schwangeren werden in den Entwicklungsländern beobachtet. Bei immunsupprimierten Patienten kann eine Chronifizierung der Infektion auftreten. Bei bedrohlichen und/oder chronischen Verläufen kann eine „off label“ Therapie mit Ribavirin zur Ausheilung und Vermeidung einer Lebertransplantation eingesetzt werden. Ein Impfstoff zur Prävention der Hepatitis-E-Infektion in Süd-Ost-Asien ist in China zugelassen. Schlussfolgerungen: Das Hepatitis-E-Virus ist in Deutschland endemisch; die HEV-Infektion wird in ihrer Häufigkeit unterschätzt. Insbesondere bei Risikogruppen für einen schweren oder chronischen Verlauf sollte die Diagnose einer HEV-Infektion frühzeitig in Betracht gezogen werden, da einige Patienten von der Therapie mit Ribavirin profitieren können. Schlüsselwörter: Hepatitis E; chronische Hepatitis E; Übertragung; Therapie; Epidemiologie Klinikum Saarbrücken gGmbH Peer reviewed article eingereicht: 12.08.2015, akzeptiert: 12.10.2015 DOI 10.3238/zfa.2015.0084–0088 ■ © Deutscher Ärzte-Verlag | ZFA | Z Allg Med | 2016; 92 (2) Background: Hepatitis-E-infection is often not considered as a differential diagnosis in patients presenting with acute hepatitis. Since a positive hepatitis-E serology is relatively frequently found in blood donors in Germany, the infection should therefore be taken into account as a possible diagnosis in cases with acute hepatitis. In this context it has to be considered, that in up to 13 % of patients with a suspected drug induced acute hepatitis, a hepatitis-E-infection is the real cause of the hepatitis. Methods: Pragmatic PubMed literature search. Results: Infection with the hepatitis-E-virus (HEV) genotype 3 by ingestion of insufficiently heated pork or wild boar is the main mode of transmission of hepatitis E in Germany. Overall it has a benign subclinical course with complete healing. On the other hand acute HEV-infection can take a severe course in patients with preexisting liver disease. In developing countries HEV-genotype-1-infection can cause fulminant liver failure in pregnant women. Immunosuppressed patients are at high risk of developing chronic HEV-infection, progressing to liver cirrhosis. The „off label” use of ribavirin can be considered both in patients with a severe acute course as well as in chronic HEV-infection. A vaccine against HEV is available in China. Conclusions: The hepatitis-E-virus is endemic in Germany; and the frequency of HEV-infection is underestimated. For patients at risk for a severe or chronic course of the disease ribavirin might be a therapeutic option for some patients. Keywords: Hepatitis E; Chronic Hepatitis E; Transmission; Therapy; Epidemiology Radecke, Grandt: Hepatitis E – eine häufig nicht berücksichtigte Differenzialdiagnose Hepatitis E – a Frequently Overlooked Differential Diagnosis Hintergrund Ein 52-jähriger Patient wurde unter dem Bild einer akuten Hepatitis stationär aufgenommen. Aufgrund der Behandlung mit Allopurinol, das laut Fachinformation in bis zu 6 % der Patienten eine Hepatitis verursachen kann, war nach Ausschluss anderer Ursachen der Verdacht auf eine medikamentös-toxische Hepatitis gestellt worden. Die ergänzend durchgeführte Diagnostik zeigte IgM Antikörper gegen das Hepatitis-E-Virus (HEV), sowie eine positive HEV-PCR im Blut und bestätigte so die Diagnose einer akuten Hepatitis E. Kein Einzelfall, insbesondere bei älteren, polypharmakotherapierten Patienten mit V.a. medikamentös-toxische Hepatitis wird nur selten an die Möglichkeit einer akuten Hepatitis E gedacht. Schätzungen zufolge liegt in ca. 3–13 % der Fälle mit vermuteter medikamentös-toxischer Hepatitis tatsächlich eine Infektion mit dem Hepatitis-E-Virus vor [1]. Im Folgenden möchten wir Antworten auf praxisrelevante Fragestellungen zur Epidemiologie, Diagnostik, Verlauf und Therapie der Hepatitis E geben. Suchmethodik Der Übersicht zugrunde liegt eine pragmatische Literaturrecherche in der Datenbank PubMed der US National Library of Medicine. Antworten auf häufige Fragen 1. Wie häufig ist die Hepatitis E weltweit und in Europa? Das HEV ist ein 7,2 kb großes, nicht umhülltes Einzel-Plusstrang RNA Virus aus der Familie der Hepeviridae. Es wurde erstmals 1983 als fäkal-oral übertragbarer Erreger einer Non-A, Non-B Hepatitis identifiziert [2–4] . Die HEV-Infektion ist die weltweit häufigste Ursache einer akuten viralen Hepatitis und verantwortlich für große Hepatitis-Ausbrüche in den Entwicklungsländern. Jährlich werden in Afrika, Asien und Zentralamerika ca. 20 Millionen Menschen infiziert. Sechs von sieben Infektionen verlaufen asymptomatisch. Die Mortalitätsrate beträgt ca. 2 %, entsprechend ca. 70.000 Todesfäl- len durch Hepatitis E weltweit jedes Jahr [2–4]. Dass die Hepatitis-E-Infektion auch in den westlichen Industrieländern prävalent ist und ohne Reiseanamnese, d.h. autochthon, erworben werden kann, ist weniger bekannt. Der Südwesten Frankreichs gilt dabei als das HEV-Hyperendemie Gebiet Europas. In der Region um Toulouse wird die Seroprävalenz von HEV bei Blutspendern mit 52,5 % angegeben [5]. Die HEV-IgG Seroprävalenz bei Blutspendern in Deutschland liegt zwischen 6,8–16,8 %. Übertragen auf die Gesamtbevölkerung in Deutschland entspricht dies einer absoluten Zahl von ca. 5–13 Millionen Menschen mit positiver Hepatitis-E-Serologie. 2014 wurden in Deutschland 670 Fälle einer symptomatischen Hepatitis E gemeldet, wobei die Mehrzahl autochthon erworben wurde [4, 6]. 2. Wie wird die Hepatitis E übertragen? Es sind insgesamt vier humanpathogene HEV-Genotypen bekannt. In Europa und den USA herrschen Infektionen durch den HEV-Genotyp 3 (HEV 3) vor, in den industrialisierten Regionen SüdOst-Asien kommen sowohl HEV 3 als auch HEV 4 vor. In Entwicklungsländern Afrikas, Asiens und Zentralamerikas dominieren Infektionen durch das HEV 1 und 2. Dies ist kein Zufall, sondern Folge eines relevanten Unterschieds zwischen den Genotypen: Für HEV 1 und HEV 2 ist der Mensch einziges Reservoir. Die Übertragung durch mit Fäkalien kontaminiertes Wasser wird durch niedrige Hygienestandards begünstigt und erfolgt damit vor allem in Entwicklungsländern. Im Gegensatz zu HEV 1 und 2 können HEV 3 und 4 neben dem Menschen auch Wildtiere, Schweine und Nagetiere infizieren. HEV 3 und 4 sind daher Verursacher von autochthonen HEV-Infektionen in Europa und den USA bzw. Süd-Ost Asien. Die Übertragung vom Tier auf den Menschen findet hauptsächlich über den Konsum von nicht ausreichend gegartem Schweine- oder Wildtierfleisch statt. Aufgrund der Unterschiede in der Übertragungsweise wird die HEV 1- und 2-Infektion auch als die nicht-zoonotische, die HEV 3- und 4-Infektion als die zoonotische HEV-Infektion bezeichnet [2–4]. 85 Auch eine Übertragung des HEV durch Bluttransfusionen, gemeinsam benutztes Spritzenbesteck bei Drogenabhängigen, eine perinatale- und intrauterine Mutter-Kind Übertragung und die Übertragung durch Organtransplantationen ist beschrieben [2–4]. 3. Wie ist der Verlauf der akuten HEV-Infektion? Die überwiegende Zahl der HEV-Infektionen verlaufen klinisch inapparrent und heilen folgenlos aus. Symptomatische Verläufe manifestieren sich in 5–20 % der Infektionen nach einer Inkubationszeit von zwei bis sechs Wochen. Klinische Symptome sind abdominelle Schmerzen, Hepatomegalie, Fieber, Arthralgien, Inappetenz und Abgeschlagenheit. In 40–75 % der symptomatischen Patienten tritt ein Ikterus auf. Laborchemisch finden sich typischerweise deutlich erhöhte Transaminasen (GPT 1000–1500 IU/ml), jedoch sind auch Verläufe mit nur moderat erhöhten Transaminasen möglich. Die klinische und laborchemische Besserung der HEV-Infektion zeigt sich beim unkomplizierten Verlauf nach vier bis sechs Wochen. Die meisten symptomatischen Infektionen bei immunkompetenten Patienten heilen spontan aus. In 0,5–4 % kommt es jedoch zu einem komplizierten bzw. fulminanten Verlauf mit zunehmendem Leberversagen. Hiervon sind v.a. Risikogruppen, nämlich Patienten mit vorbestehender Lebererkrankung und bei der HEV 1-Infektion v.a. Schwangere betroffen [2, 3]. Die 1-Jahres-Mortalität von Patienten mit chronischer Lebererkrankung, deren Leberfunktion unter einer akuten Hepatitis E dekompensiert, beträgt bis zu 70 % [7, 8]. Während schwere Verläufe bei Patienten mit vorbestehender Lebererkrankung unabhängig vom HEV-Genotyp auftreten [9], ist das fulminante Leberversagen bei der HEV-Infektion in der Schwangerschaft auf HEV 1 und mit deutlich geringerem Risiko auf HEV 2 beschränkt und damit typischerweise auf Entwicklungsländer begrenzt. Hier stellt die akute Hepatitis E die häufigste Ursache von Schwangerschafts-assoziierten Komplikationen dar. Fulminate Verläufe bei Schwangeren durch das HEV 3 oder 4 sind dagegen sehr selten [2–4]. © Deutscher Ärzte-Verlag | ZFA | Z Allg Med | 2016; 92 (2) ■ Radecke, Grandt: Hepatitis E – eine häufig nicht berücksichtigte Differenzialdiagnose Hepatitis E – a Frequently Overlooked Differential Diagnosis 86 ■ 4. Existiert ein chronischer Verlauf der Hepatitis E? 5. Gibt es extrahepatische Manifestationen der Hepatitis E? Galt die Hepatitis E, analog zur Hepatitis A, früher als ausschließlich akut verlaufende Hepatitis ohne chronisch persistierenden Verlauf, hat sich diesbezüglich die Erkenntnislage in den letzten Jahren geändert. Seit 2008 werden in den Industrieländern vermehrt auch chronische Verläufe der Hepatitis E bei immunsupprimierten Patienten beobachtet. Eine persistierende HEV-Replikation wurde bei organtransplantierten Patienten, HIV-infizierten Patienten, Patienten mit hämatologischer Grunderkrankung unter Chemotherapie und Hämodialyse-Patienten nachgewiesen [3, 10]. Einzelne chronifizierte Fälle wurden auch bei immunkompetenten Patienten gefunden. Die chronische Hepatitis E kann bei immunsupprimierten Patienten rasch-progredient verlaufen: Mit der Entwicklung einer Zirrhose ist in ca. 10 % der chronisch infizierten Patienten zu rechnen. In der Literatur ist die Zeitspanne von der Diagnose einer chronischen Hepatitis E bei immunsupprimierten Patienten bis zur Entwicklung einer Leberzirrhose von einem Jahr bis zu fünf Jahren angegeben [10–12]. Klinisch ist die chronische Hepatitis E meist asymptomatisch. Laborchemisch finden sich typischerweise moderat erhöhte Transaminasen [2]. Die chronische Hepatitis E ist in den westlichen Industrienationen auf das HEV 3 zurückzuführen. Chronische Infektionen durch HEV 1 oder 2 sind bisher nicht beschrieben. Eine Fallbeschreibung aus China dokumentiert eine chronische HEV 4-Infektion [2, 3, 13]. Die chronische Hepatitis E wird bei ca. 1–3 % der organtransplantierten Patienten gefunden, die damit die größte Gruppe von betroffenen Patienten darstellen. Organtransplantierte Patienten, die sich mit dem HEV infizieren, entwickeln in ca. 60 % eine chronische Hepatitis E. Bei organtransplantierten Patienten stellen die immunsuppressive Therapie mit Tacrolimus und eine niedrige Thrombozytenzahl unabhängige Risikofaktoren für die Entwicklung einer chronischen Hepatitis E dar. Bei HIV-Patienten liegt die Prävalenz der chronischen Hepatitis E zwischen 0–0,5 %. Sie ist damit deutlich geringer als bei Immunsuppression anderer Genese [4, 11, 12]. In der Literatur finden sich Berichte über extrahepatische Krankheitsbilder, die mit einer Hepatitis E assoziiert sind. Mit einer neurologischen Begleitsymptomatik (z.B. Guillan-Barre Syndrom, Meningoencephalitis oder neuralgischen Amyotrophie) ist in ca. 5 % der Fälle einer symptomatischen Hepatitis E zu rechnen. Vereinzelt gelingt dabei ein HEV-RNA Nachweis im Liquor. Häufig wurde eine Besserung der neurologischen Symptome beobachtet, wenn sich die initial positive HEV-RNA nicht mehr nachweisen lässt [14]. Als weitere extrahepatische Manifestationen der HEV-Infektion sind das Auftreten einer Kryoglobulinämie, eine Glomerulonephritis und eine monoklonale Gammopathie unklarer Signifikanz (MGUS) beschrieben [2–4]. © Deutscher Ärzte-Verlag | ZFA | Z Allg Med | 2016; 92 (2) 6. Wann ist eine Diagnostik auf Hepatitis E indiziert? In folgenden Situationen sollte eine Diagnostik auf das Vorliegen einer Hepatitis E erfolgen: 1. Bei allen immunkompetenten Patienten mit einer akuten, nicht länger als drei Monate bestehenden Hepatitis (Leitsymptom: GPT > 10fach erhöht, Ikterus), sofern keine andere Ursache für die Hepatitis vorliegt. 2. Bei immunsupprimierten Patienten mit unklarer akuter oder chronischer Hepatitis. 3. Bei Patienten mit einer akuten Hepatitis, die sich kürzlich (< 3 Monate) in Endemiegebieten mit niedrigen Hygienestandards aufgehalten haben und somit einem erhöhtem Risiko für eine fäkal-oral übertragene Virushepatitis (HAV und HEV) ausgesetzt waren. 7. Wie wird eine Hepatitis E diagnostiziert ? Ausschluss einer Hepatitis E: Der Ausschluss einer akuten oder zurückliegenden Hepatitis E erfolgt bei immunkompetenten Patienten durch Antikörpernachweis. Während der HEV-IgM-Antikörpertiter zwei bis drei Wochen nach Symptombeginn wieder abfällt, können HEV-IgG-Antikörpertiter ein bis zwei Wochen nach dem Auftreten von HEV-IgM-Antikörpern nachgewiesen werden. HEV-IgG-Antikörper persistieren als Zeichen einer stattgehabten HEV-Infektion. Abklärung des Verdachts auf eine akute Hepatitis E: Bei einer akuten Hepatitis E zeigt sich in der Regel ein positiver Nachweis von HEV-IgM-Antikörpern mittels ELISA (Suchtest) und Immunoblot (Bestätigungstest). Ab zwei Wochen vor Auftreten von Symptomen ist die HEV-RNA in Blut und Stuhl nachweisbar. Bereits zwei bis vier Wochen nach dem Auftreten der ersten Symptome sistiert die im Blut nachweisbare Virusreplikation (HEVPCR dann negativ). Im Stuhl gelingt der positive HEV-RNA Nachweis bis ca. sechs bis acht Wochen nach Auftreten der Symptomatik. Der alleinige fehlende HEV-RNA Nachweis im Blut schließt somit in der späteren Phase der akuten HEV-Infektion diese nicht sicher aus [2–4, 11]. Abklärung des Verdachts auf eine chronische Hepatitis E: Zur Diagnose einer chronischen Hepatitis E ist der persistierende Nachweis von HEV-RNA mittels PCR zwingend. Bei Nachweis der HEV-RNA im Blut oder Stuhl über mindestens drei Monate kann von einem chronischen Verlauf ausgegangen werden, bei Nachweis über mehr als sechs Monate gilt die chronische Hepatitis E als gesichert. Der HEV-Antikörpernachweis spielt zur Diagnose der chronischen HEV-Infektion eine untergeordnete Rolle [2–4]. 8. Wie wird die symptomatische Hepatitis E therapiert? Therapie bei akuter Hepatitis E mit unkompliziertem Verlauf: Bei der überwiegenden Mehrzahl der Patienten mit einer unkomplizierten, akuten Hepatitis E ist von einem selbstlimitierenden, benignen Verlauf auszugehen. Supportive Maßnahmen und Kontrollen des klinischen Verlaufs sind ausreichend [7]. Therapie bei akuter Hepatitis E mit schwerem, kompliziertem Verlauf: Es gibt keine für die Behandlung der Hepatitis E zugelassenen Arzneimittel Radecke, Grandt: Hepatitis E – eine häufig nicht berücksichtigte Differenzialdiagnose Hepatitis E – a Frequently Overlooked Differential Diagnosis Dr. med. Klaus Radecke ... ... Jahrgang 1970, Studium der Humanmedizin in Mainz, 1997 Promotion, 2005 Facharzt für Innere Medizin, 2006 Schwerpunkt Gastroenterologie, seit 2007 Oberarzt in der Medizinischen Klinik I, Klinikum Saarbrücken. Klinische Schwerpunkte: Gastroenterologie, Hepatologie, Endoskopie und keine durch kontrollierte, randomisierte Studien abgesicherte Behandlung. Fallberichte beschreiben den erfolgreichen „off-label“ Einsatz des für die Therapie der Hepatitis C zugelassenen Nukleosidanalogons Ribavirin bei Patienten mit akuter Hepatitis E und drohendem Leberversagen [9, 15, 16]. Die eingesetzte Dosis lag zwischen 200–1200 mg Ribavirin p.o. tgl., die Therapiedauer zwischen drei und 24 Wochen. Auch für schwere neurologische Symptome im Rahmen einer akuten Hepatitis E beschreiben Einzelfallberichte eine Besserung unter einer Therapie mit Ribavirin. Bei Schwangeren ist Ribavirin wegen des teratogenen Risikos kontraindiziert. Im Einzelfall wird der Einsatz wegen der hohen Mortalität der HEV 1-Infektion in der Schwangerschaft (10–30 %) bei fehlenden therapeutischen Alternativen diskutiert [2, 7]. Therapie der chronischen Hepatitis E: Erste therapeutische Option bei immunsupprimierten Patienten mit chronischer Hepatitis E ist die Reduktion der Immunsuppression, insbesondere der T-Zell-spezifischen Immunsuppressiva (z.B. Tacrolimus oder Ciclosporin), soweit dies nicht ein unverhältnismäßig hohes Risiko der Transplantatabstoßung induziert. Hierdurch ist eine Ausheilung der HEV-Infektion in ca. 30 % der Fälle zu erreichen. Eine Reduktion der Immunsuppression bei lebertransplantierten Patienten ist dabei mit einem im Vergleich zu nieren-, herz- und lungentransplantierten Patienten geringeren Risiko einer Abstoßungsreaktion assoziiert. Bei letztgenannten Patienten ist eine Reduktion der Immunsuppression in der Regel nur selten möglich [7, 17]. Die meisten Daten zur medikamentösen Therapie der chronischen Hepatitis E liegen für Ribavirin bei Patienten mit Zustand nach Organtransplantati- on vor. In einer multizentrischen, retrospektiven Fall-Studie zeigten 46 von 59 organtransplantierten Patienten (78 %) eine Ausheilung der chronischen Hepatitis E durch Behandlung mit Ribavirin. Die Behandlung erfolgte im Mittel über drei Monate, die mediane Dosierung betrug 600 mg Ribavirin p.o. pro Tag. Die Verlängerung der Therapiedauer scheint die Wahrscheinlichkeit einer Ausheilung noch zu erhöhen [7, 18]. Einzelfallberichte beschreiben eine erfolgreiche Behandlung der chronischen Hepatitis E mit pegyliertem Interferon-α2a/b (Peg-IFN) als Mono- oder als Kombinationstherapie mit Ribavirin. Allerdings sind weder Ribavirin, noch pegyliertes Interferon-α2a/b für die Therapie der Hepatitis E zugelassen. 9. Gibt es eine Impfung gegen die Hepatitis E? Zwei effektive Vakzine gegen HEV wurden entwickelt. In zwei großen placebokontrollierten Studien zeigte sich in 95–100 % ein effektiver, präventiver Schutz in Hochrisikogebieten mit hoher Prävalenz der HEV 1- und 4-Infektion. Eine der beiden Vakzine (HEV 239) ist in China zugelassen [19, 20]. Ein Schutz dieser Vakzine gegen eine HEV 3-Infektion ist nicht erwiesen. Sowohl eine Impfung als auch eine ausgeheilte HEVInfektion vermitteln in der Regel einen Schutz gegen eine symptomatische Hepatitis E; eine Re-Infektion mit abgeschwächtem/asymptomatischen Verlauf kann jedoch trotzdem auftreten. Weitere Maßnahmen zur Prävention einer HEV-Infektion beinhalten: Entwicklungsländer: Wichtigste Maßnahme stellt die Verbesserung der sanitären Infrastruktur, insbesondere die Bereitstellung von sauberem Trinkwasser dar. Industrieländer: Einer zoonotischen HEV-Infektion kann durch ausreichendes Garen von Schweine- und 87 Wildfleisch vorgebeugt werden. Die Hepatitis E ist in Deutschland gemäß Infektionsschutzgesetz meldepflichtig. Personen, die an einer Hepatitis E erkrankt sind, dürfen nicht in Küchen und Gemeinschaftseinrichtungen und Lebensmittelbetrieben arbeiten. In Deutschland werden Blutkonserven nicht routinemäßig auf HEV untersucht. Bei acht von 10.000 Blutspenden kann eine positive HEV-PCR nachgewiesen werden. Eine Übertragung von HEV durch Blutkonserven ist beschrieben. Ein Screening von Blutkonserven auf HEV wird diskutiert [4]. Empfehlungen für die Praxis Der HEV-Genotyp 3 ist in Deutschland endemisch. Wichtigstes Reservoir sind Schweine- und die Wildtierpopulationen. Autochthone Infektionen erfolgen durch den Genuss ungenügend gegarten, infizierten Fleisches und verlaufen in der Mehrzahl der Fälle klinisch inapparent. Bei Risikogruppen (leberkranke Patienten, Schwangere, immunsupprimierte Patienten) können schwere Verläufe auftreten. Die Hepatitis E sollte bei akuter Hepatitis, auch wenn eine medikamentös-toxische Genese vermutet wird, differenzialdiagnostisch in Betracht gezogen werden. Eine Abklärung erfolgt durch Untersuchung auf HEV-IgM/IgG-Antikörper. Eine negative HEV-PCR im Blut alleine kann eine akute Hepatitis E im späteren Krankheitsverlauf nicht sicher ausschließen. Chronische Verläufe können v.a. bei immunsupprimierten Patienten auftreten. Die „off-label“ Behandlung mit Ribavirin kann zur Ausheilung einer schwer verlaufenden akuten oder chronischen Hepatitis E führen. Interessenkonflikte: KR hat Vortragshonorare von Falk Foundation, MSD Sharp Dome und Bristol-Myers Squibb erhalten. DG hat keine Interessenkonflikte angegeben. Korrespondenzadresse Dr. med. Klaus Radecke, Klinikum Saarbrücken gGmbH Klinik für Innere Medizin I Winterberg 1 66119 Saarbrücken [email protected] © Deutscher Ärzte-Verlag | ZFA | Z Allg Med | 2016; 92 (2) ■ 88 Radecke, Grandt: Hepatitis E – eine häufig nicht berücksichtigte Differenzialdiagnose Hepatitis E – a Frequently Overlooked Differential Diagnosis Literatur 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. Davern TJ, Chalasani N, Fontana RJ, et al. Acute hepatitis E infection accounts for some cases of suspected drug-induced liver injury. Gastroenterology 2011; 141: 1665–1672 Kamar N, Bendall R, Legrand-Abravanel F, et al. Hepatitis E. Lancet 2012; 379: 2477–2488 Kamar N, Dalton HR, Abravanel F, Izopet J. 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Oktober 2016 in Frankfurt am Main