workshop jens müller-herrou jens müller-herrou Jens Müller-Herrou gilt als Koryphäe auf der Konzertgitarre: Auf seiner aktuellen CD ‘Travels – 5 Kontinente auf 6 Saiten’ präsentiert er filigrane Gitarrenkunst, die keine stilistischen Grenzen kennt. Im Workshop für guitar acoustic stellt er verschiedene Stationen dieser Reise vor und beschreibt seine Ideen zum Improvisationsteil des Pat-Metheny-Klassikers „Have You Heard“. Track EineGitarrenreise Eine Gitarrenreise überfünf Kontinente Über fÜnf Kontinente 44 1/10 43 – 48 jens müller-herrou M eine kürzlich erschienene CD habe ich ‘Travels – 5 Kontinente auf 6 Saiten’ genannt, inspiriert vom Gedanken des „Global Village“, in dem auch die Gitarrenwelt immer näher zusammenrückt. Nachdem ich die Idee für die Platte hatte, begann ich mit der faszinierenden Suche nach Musik aus allen Kontinenten: Europa ist mit dem Franzosen Roland Dyens vertreten, in Südamerika hatte ich die Qual der Wahl aus dem riesigen Fundus hervorragender Gitarrenmusik: Agustín Barrios Mangoré und Dilermando Reis machten das Rennen. Jazz und Fingerstyle sind mit dem Amerikaner Pat Metheny (Titelstück: „Travels“) und dem australischen Saitenhexer Tommy Emmanuel vertreten. Schließlich fand ich für meine musikalische Weltreise auch noch „Variationen über ein anatolisches Volkslied“, das groovige „Mama Afrika“ sowie als kleines „Schmankerl“ den alten Big-Band-Klassiker „Chattanouga ChooChoo“. Die Platte ist bei dem Kölner Label KSGExaudio erschienen. Auf der beiliegenden CD hört ihr verschiedene Ausschnitte, die ich hier kurz erkläre (Bsp. 1 bis 5), und zum Abschluss gibt es einen transkribierten Workshop zu einem Pat-Metheny-Stück (Bsp. 6). Voilà: an den Interpreten. Eine Djembé ist eine kelchförmige, afrikanische Trommel, und so beginnt das Stück auch gleich mit einem vertrackten Percussionspart. Es folgt ein Lauf in höchste Regionen des Griffbretts, der in ein für Dyens typisches Groove-Pattern überleitet. Danach das jazzige Hauptthema des Stücks, das mich immer an den Miles Davis’ Klassiker „So What“ erinnert. Taktweise wechseln hier coole, jazzige Phrasen mit modalen Akkordfolgen in einem faszinierenden „Call-and-response“-Modus. Eine ungemein facettenreiche Komposition, leider höllisch schwer. workshop Carlo Domeniconi – „Variationen über ein anatolisches Volkslied“ Hier nun ein Ausschnitt aus den „Variationen über ein anatolisches Volkslied“ (Bsp. 3, Track 45) des italienischen Komponisten Carlo Domeniconi, der längere Zeit in Istanbul lebte und sich dort intensiv mit türkisch-arabischen Musikformen und Tonsystemen beschäftigte. Merkmale dieses ausgeprägten Personalstils wie orientalische Tonleitern, reiche Ornamentik und „exotische“ Taktwechsel finden sich auch in diesem Stück: Häufig „changiert“ die zweite (es/e) und sechste (h/b) Tonleiterstufe, track 48 Agustín Barrios Mangoré – „Las Abejas“ Der Paraguayaner Agustín Barrios Mangoré erkundete die Folklore des lateinamerikanischen Kontinents auf zahlreichen Konzertreisen und adaptierte typische Tänze, Rhythmen und Themen. Er galt auch als außerordentlicher Virtuose, wurde in Konzerten als „Paganini der Gitarre aus dem Dschungel Pa- DerklanglicheEffekt sDeru klangliche r r e nEffekt d e r Bienen surrender Bienen raguays“ gefeiert und stellte in Werken wie „Las Abejas“ (Bsp. 1, Track 43) bis dahin ungeahnte Anforderungen an die Spieltechnik. In diesem Stück setzt er geschickt „Hammer-ons“ und „Pull-offs“ sowie Glissandoeffekte ein, um die rechte Hand zu entlasten und somit ein möglichst hohes Tempo zu erzielen. So soll der klangliche Effekt surrender Bienen erzeugt werden, die dem Stück ja auch seinen Namen gaben (übersetzt: „Die Bienen“). „Djembé“ (Bsp. 2, Track 44) des französischen Komponisten Roland Dyens ist gewissermaßen eine Hommage an seine tunesischen Wurzeln, gleichwohl in Harmonik und Melodik stark vom Jazz beeinflusst und stellt mit seiner komplexen Rhythmik höchste Anforderungen C Getty Images Roland Dyens – „Djembé“ 45 workshop jens müller-herrou Gitarristischer Weltenbummler: Jens Müller-Herrou sodass sich ein sehr reizvoller Schwebeklang zwischen den modalen Tonleitern Phrygisch, Äolisch und Dorisch ergibt. Zum Ende werden die Formteile jedoch immer mit einem kernigen „Dropped-D“-Quintklang abgeschlossen. Die vielen kleinen und schnellen Triller, Vibrato-Spielanweisungen, der Bordunklang und die Resonanzen der tiefen D-Saite tragen zum orientalischen Flair dieses Stückes bei. Uli Kringler – „Mama Afrika“ Der Hamburger Gitarrist und Komponist Uli Kringler schreibt wunderschöne Stücke, die stilistisch zwischen Folk, Jazz und Worldmusic angesiedelt sind, wie auch „Mama Afrika“ (Bsp. 4, Track 46), das von der Musik südafrikanischer Townships inspiriert ist. Es beginnt mit einer Pizzicato-Bassfigur, wobei der Handballen der rechten Hand locker auf dem Steg liegt und so ein Sound ähnlich eines gezupften Kontrabasses entsteht. E-Gitarristen nennen das „Palm-Mute“ (p.m.). Zusätzlich gibt es kurze, perkussive „dead notes“ (oder auch „ghost notes“ genannt), d. h. der rechte Daumen zupft, während die linke Hand keine richtigen Töne greift, sondern lediglich auf der Saite liegt. Zusammen mit den Pizzicato-Bässen gibt das ein grooviges, sehr nach Afrika klingendes Intro. Nun hören wir das Hauptthema, in Sexten auf den drei hohen Saiten vorgestellt: Dieses Intervall (Sexte) ist sehr klangvoll, liegt auf der Gitarre „gut in der Hand“ und ist quer durch alle Stile beliebt, wenn es um die klangliche Anreicherung von Melodien geht. Dieses Thema erinnert mich an afrikanische Frauenchöre. 46 1/10 Auch rhythmisch hat das Stück einiges zu bieten: In Intro und Thema wechseln ständig 4erund 3er-Takt, später kommen Passagen im 6/8-Takt, Synkopen, „dead notes“ hinzu. An Finessen wird nicht gespart, aber schließlich geht es ja auch um Afrika. Tommy Emmanuel – „Timberlake Road“ „Timberlake Road“ (Bsp. 5, Track 47) ist eine Hommage an den amerikanischen FingerstyleVirtuosen Chet Atkins, einen Mentor und Förderer Tommy Emmanuels. Es beginnt mit einer spektakulären Kaskade von Läufen und ty- jens müller-herrou workshop pischen Bluegrass-Fills, bevor das Thema im „Boom-Chick-Style“ kommt: Hier spielt der Daumen immer in Vierteln, und zwar auf 1 und 3 auf den tiefen Bässen (Boom) und bei 2 und 4 auf d-und g-Saite (Chick) – ein einfacher, treibender Rhythmus, wie Bassdrum und Snare. Darüber zaubern die Finger der rechten Hand kleine Melodien, die stark an die Fiddle-Tunes der amerikanischen Folkmusik erinnern und mit Hammer-ons, Synkopen, aber leider auch mit fiesen Barré-Griffen gespickt sind. Tommy Emmanuel benutzt auch gerne den linken Daumen, um Basstöne auf der E-Saite zu greifen – „not my cup of tea“, aber bei ihm klingt’s super. Pat Metheny – „Have You Heard“ Der Amerikaner Pat Metheny zählt zu den populärsten zeitgenössischen Jazzgitarristen; durch seine zahlreichen Auszeichnungen (17 Grammys!) und Kooperationen mit internationalen Musikgrößen hat er dazu beigetragen, die Gitarre als vollwertiges Soloinstrument im Jazz zu etablieren. Für den transkribierten Workshop habe ich den Improvisationsteil des rhythmisch sehr reizvollen „Have You Heard“ (Bsp. 6, Track 48) ausgesucht. Ich spiele ohne Plek, also mit Vieleschicke JViele a zschicke zharmonien Jazzharmonien „klassischer Rechte-Hand-Technik“, gelegentlich auch „Fingerstyle“ genannt, auf einer Konzertgitarre von Andres D. Marvi. Das Thema ist voller kniffliger Taktwechsel und hat viele schicke Jazzharmonien zu bieten. Der Improteil, also das Thema dieses Workshops, basiert auf einem einfachen Mollblues; hier die Akkordfolge: || Em7 | Em69 | Em7 | Em69 | Am6 | Am6 | Em7 | Em69 | C7 | H 7#9 | Em7 | Em69 :|| In den ersten zwölf Takten spielt ein „Vamp“ über Em7 und Em69 die Hauptrolle, sehr grooveorientiert im 3-3-2er Rhythmus. In den anderen Takten kommen Arpeggien mit „Leersaiten-Akkorden“ zum Einsatz, deren sphärischer Klang einen schönen Kontrast zum „Groove-Vamp“ schafft. Zum Abschluss des Teils wird „geslappt“ (Takt 10): Den Ton e (auf der d-Saite) lasse ich gegen das Griffbrett knallen, und das tiefe E spiele ich mit „Slapdaumen“ – also seitlich mit dem Daumen auf die Saite „hauen“ und danach sofort wegfedern. Klingt schwer funky, probiert es mal aus. Im zweiten Mollblues (Takt 13 – 24) benutze ich zunächst Dreiklangfiguren in E-Dorisch (Skalentöne: E, Fis, G, A, H, Cis, D, E). Ich nenne das auch „Latin-Moll“, weil es die „Lieblingsskala“ von Carlos Santana ist. In den Takten 17/18 verschiebe ich Quinten ab- 3 x 12 Takte, die es in sich haben: der Workshop zu Pat Methenys „Have You Heard“ wärts über das gesamte Griffbrett; auch Joe Satriani benutzt diesen Trick häufig. Aufwärts geht es danach wieder mit einer Cello-artigen Melodie auf der d-Saite, bevor der Part mit aparten Jazzakkorden abschließt. Der dritte Teil (Takt 25 – 38) beginnt mit einem Em7-Arpeggio, gefolgt von einem Blueslick, das die „blue note“ b5 umspielt. In den Takten 29/30 spiele ich die Skala C-Lydisch (C, D, E, Fis, G, A, H, C) im „Three-notesper-String“-Modus; das verwende ich gerne, wenn es mal richtig virtuos klingen soll. In der rechten Hand benutze ich dabei die Finger-abfolge Ringfinger/Mittelfinger/Zeigefinger – oder „ami“ für die „Klassikfraktion“ –, aber auch mit Plek geht das gut. Viele moderne Rock- und Jazz-Gitarristen setzen diese Art, Skalen zu spielen, ein, aber das wäre ein neuer Workshop. Zum Abschluss kommen wieder schicke, vierstimmige Jazzakkorde zum Einsatz, diesmal aber mit neuen Voicings – ziemliche Fingerbrecher, aber „no risk, no fun“ ... Zum Schluss des Solos kommt wieder der Einleitungsvamp, danach geht es über die Bridge wieder zum Hauptthema. Ich gebe zu, diese 3 x 12 Takte hatten es ganz schön in sich, aber ich hoffe, der Workshop gibt ein paar Anregungen für eure eigenen Improvisationen. ■ Jens Müller-Herrou Fingernägel Fingernägel Ohne Fingernägel geht bei der Konzertgitarre leider gar nichts: 99,9% aller ernstzunehmenden Kollegen spielen mit Nägeln an der rechten Hand, um einen schönen Ton zu erhalten. Links müssen sie natürlich kurz gehalten werden. Das Geheimniss ist dabei oft, zuerst mit der Kuppe anzuschlagen und danach mit dem Nagel; so hat man den weichen Ansatz der Kuppe, aber auch die klare Definition des Nagels. Letzterer sollte etwa zwei bis vier Millimeter „überstehen“, wenn man ihn von der Handinnenfläche aus betrachtet, und dabei etwa die Rundung der Kuppe nachbilden. Wichtig ist natürlich auch gutes Werkzeug. Für die erste Formgebung tut es eine normale Nagelfeile – so etwas hat eure Freundin bestimmt in der Handtasche. Danach wird es kniffliger: Ich benutzte Polierpapier in 500er Körnung, schneide es in zwei bis drei Zentimeter breite Streifen, knicke solch einen Streifen um die hohe e-Saite und spiele quasi ganz normal auf diesem Streifen einige Male. Dort, wo es am Nagel Abrieb (schwarze Stellen) gibt, muss noch nachgefeilt werden. Zum Abschluss poliere ich noch mit speziellen Tüchern der Firma Micromesh (1200er), damit der Nagel wirklich glatt ist. Die ganze Prozedur ist schon aufwendig, aber es lohnt sich. 47