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SWR2 Musikstunde 27.10.2010 Frankreich 3
Signet
Wir haben es leichter heute, oder sagen wir: Ich habe es leichter als jene Kollegen,
die mit dem Fahrrad unterwegs sind. Ich bediene mich nämlich des schnellsten und
unanstrengendsten Gefährtes, das es gibt: des Kopfes, der Phantasie. Also – wir
stehen im Moment irgendwo im Süden, sagen wir am Mont Ventoux. Nun könnten wir
wieder zurück ans Meer, oder hoch in die Berge, bis hin nach Savoyen. Wir könnten
weiter ins Innere reisen, ins Massiv Central, aber ich denke, wir begeben uns für
einen wenn auch nur kurzen Aufenthalt in eine der schönsten Landschaften
Frankreichs, nach Burgund. Nirgendwo in diesem Land, und eigentlich kaum
anderswo in Europa findet sich diese Mischung von Genuß und Kunst, von
Weinbergen und Klöstern, Schlössern und sichtbarer Lebensfreude. Mitten in den
Weinbergen erheben sich Chateaus, leuchtend helle Kirchen, wie zum Beispiel in
Tournus, direkt neben der Autobahn, die Kirche St. Philibert, eine der schönsten der
ganzen Region, wenn man an der vorbeifährt, weiß man doch immer (jedenfalls mir
geht es so) – jetzt bist du fast zuhause ... Kein Wunder, daß das eine Landschaft ist,
die lange schon zu den großen Kulturlandschaften Europas zählt, allerdings auch
eine, von der lange kriegerische Raubzüge ausgingen.
3378847 / Track 3
1‘10
L’homme armé, der bewaffnete Mann, hieß dieses Stücklein aus dem vierzehnten
Jahrhundert. Soldaten waren in Burgund immer daheim, das Land griff gern andere
an, um sich zu bereichern – was heißt „das Land“, seine Fürsten, allen voran Charles
Le Temeraire, Karl der Kühne. Als die Kriege beendet waren, Burgund sich so nach
und nach dem französischen Königreich unterwarf, gab es eine Menge Burgunder,
die nun plötzlich keinen Job mehr hartten, arbeitslos geworden waren. Die neigten
dann dazu, sich andernwärts zu verdingen und dort, fern der Heimat, das
auszuüben, was sie als einziges konnten: töten.
Kassette Rigoletto / CD 1 / Track 9
Quel vecchio maledivam,i!
Aus: Rigoletto
(Verdi)
Giorgio Zancanaro, Paata Burchuladze, Orchester der Mailänder
Scala, Ltg.: Riccardo Muti
EMI 749605 2
4‘50
Rigoletto, der Hofnarr des Herzogs von Mantua, trifft einen solchen zu dingenden
Mörder in Verdis Oper. Giorgio Zancanaro und Paata Burchuladze sangen das Duett,
Riccardo Muti dirigierte das Orchester der Mailänder Scala. In dem Theaterstück von
Victor Hugo, „Le roi s’amuse“, das der Oper zugrunde liegt, ist der Mann mit dem
schnellen Dolch übrigens kein Burgunder wie bei Verdi, sondern ein Italiener –
Saltabadil heißt er dort. Das ist, und ich gestehe, daß ich diese Szene deshalb auch
ausgesucht habe, eines der grandiosesten Duette der italienischen Oper, jedenfalls
was die dunklen Stimmen angeht. Vor solchen Burgundern sollten wir uns also hüten
– weniger vor denen, die den wunderbaren Wein anbauen, der allerdings kaum noch
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zu bezahlen ist. Und Käse – einer davon wird seit Jahren bei fast jedem Wettbewerb
innerhalb Frankreichs ausgezeichnet, der Epoisses, aus einem kleinen Dorf
stammend, angeblich der Käse, den Napoleon am liebsten aß. Jedes Jahr wird er
zum stinkendsten Käse des Landes gewählt. Nun ja – vor dem machen wir uns also
auch lieber davon. Und begeben uns jetzt wein Stücklein ins Land hinein, in die
Auvergne, das Land der erloschenen Vulkane, in dem die Gallier seinerzeit die
Römer besiegten. Jeder Asterix-Leser weiß ja darüber Bescheid, wenn auch der Sieg
des Vercingetorix nur von kurzer Dauer war. Der Auvergnat, also der Mensch aus der
Auvergne, hat einen einigermaßen ulkigen Dialekt und gilt als sehr ländlich und eher
verschlossen. Georges Brassens, der Chanson-Schreiber und –Sänger, halb
Südfranzose, halb Napoletaner, hat diesen Menschenschlag besungen.
3312784 / Track 16
3‘05
Chanson pour l’auvergnat, das Lied für einen Menschen aus der Auvergne, von und
mit Georges Brassens. Ja, wer kommt so aus der Auvergne? Valéry Giscard
d’Estaing zum Beispiel, Ex-Staatspräsident, der mag die kulinarischen und sehr
schweren Spezialitäten der Region, obwohl er eigentlich, aber das war eher ein
Zufall, in Koblenz geboren worden ist; er betrachtet sich als Auvergnat. Der
berühmteste dieses Menschenschlages ist er aber sicher nicht – der ist viel
geringeren Rangs, wird von den meisten Leuten immer für einen Pariser gehalten,
obwohl er aus Saint-Fiacre kommt, in der Nähe von Moulins gelegen (der Ort ist
allerdings genauso erfunden wie die Person) ...
3474408 / Track 9
2‘40
Die Rede ist von Kommissar Jules Maigret, der eben kein Städter ist und nebenbei
mehr als die Hälfte seiner Fälle außerhalb von Paris löst, einen auch in seinem
fiktiven Heimatort Saint-Fiacre, wo der Vater als Gutsverwalter gelebt hat. Das hier
war die Musik aus der Fernsehserie. – SWR 2, Musikstunde. – Damit beenden wir
unsere Stippvisite im Innern Frankreichs und schauen, daß wir vorerst so schnell in
die Nähe des Meeres kommen, wie’s geht, des Mittelmeeres, nämlich nach Prades.
Dort spricht man katalanisch und französisch, obwohl die Gemeinde in Frankreich
liegt. Berühmt wurde sie, weil ein Katalane sie als Zufluchtsort erwählte, als
freiwilliges Exil, weil er es im Spanien des Generalissimus Franco nicht mehr
aushielt, als Demokrat, der er war. Pau Casals hieß er eigentlich, aber damals schon
war es nicht genehm, sich anders als hochspanisch auszudrücken und zu benennen,
deshalb hat er als Pablo Casals Karriere gemacht. 1939 ging er nach Frankreich,
eben nach Prades, dort hat er ein sehr beachtetes Musikfestival gegründet. Dort
lebte er auch gerne, im Schatten sitzend und rauchend – jawohl, das durfte man
damals noch. Er hatte oft auch beim Cellospiel, jedenfalls im privaten Kreis und beim
Proben, eine Zigarette im Mund.
3366264 / Track 11
3‘10
Der Gesang der Vögel, mit Casals und dem Festivalorchester aus Prades. Dieses
Stück hat er besonders gern gespielt, es war fast so etwas wie ein Markenzeichen
von ihm. – Von Prades aus bewegen wir uns nun also mal quer durch Frankreich,
Richtung Atlantik. Dabei kommen wir durch einige der faszinierendsten Gegenden
des Landes, wenn wir sie auch nur streifen können. Wir können, wenn wir wollen und
wenn wir Zeit hätten, eine Gegend besuchen, die einen der Ursprünge des
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Europäers darstellt – 15 000 Jahre alt sind wohl die Zeichnungen der Höhle von
Lascaux, und dabei ungeheuer modern. Die bildnerischen Topoi, die man dort
gefunden hat, sind vielleicht auch schon so etwas wie die ersten Zeichen von Schrift.
Der Cro Magnon Mensch stammt von dort her; er hat sich eigentlich im Aussehen nur
noch bei Boxern gehalten ... In der Kleinstadt Sarlat-le-Caneda wurden unzählige
Musketierfilme gedreht; es wird gut gegessen (Gänse- und Entenleber, Trüffel), es
wird gut getrunken (Armagnac), und je weiter man nach Westen kommt, ins Perigord,
in den Gers, umso ländlicher wird das alles – da kann man sich so richtig vorstellen,
wie der geplagte Städter sich einen ländlichen Traum erfüllt ...
Festival de bandas / Track 1
Los Muras
La depeche o.N.
3‘00
Das war ein Kultfilm in Frankreich, „Le Bonheur est dans le prés“, das Glück liegt auf
der Wiese – zwei Städter ziehen quasi ins Gers, auf eine Farm, auf der Enten
gefüttert werden. Michel Serrault und Eddie Mitchell waren die beiden Herren; ein
sehr komischer und manchmal auch sehr melancholischer Film. Er spielt in Condom,
und in dieser Stadt gibt es auch jährlich ein Festival für Bandas, eine davon hat dabei
die Titelmusik des Filmes gespielt. Die Stadt könnte mit dem Verhütungsmittel zu tun
haben, leidet darunter, obwohl es nicht nachgewiesen ist, eine Verleumdung einem
Geistlichen der Stadt gegenüber aus dem 17. Jahrhundert soll den Anlaß gegeben
haben, aber dieses Thema spülen wir schnell mit einem Glas Armagnac hinunter ...
Auch dort übrigens gab es berühmte Figuren. In der Gascogne den Chevalier d’Artz,
das Vorbild für den Musketier d’Artagnan, und einen Dichter – Hector Savinien de
Cyrano, ein Mitglied der Familie Cyrano aus dem Zweig aus dem Ort Bergerac,
deshalb gemeinhin Cyrano de Bergerac geheißen, ein Pariser, der nie in seinem,
Leben in Bergerac war, dennoch heißen dort viele Lokale und Hotels nach ihm ...
Dieser Cyrano de Bergerac wurde Titelheld eines Schauspiels von Edmond Rostand,
eine Bombenrolle für Schauspieler – auch vom Film. Jean Paul Belmondo hat ihn am
Theater gespielt und auch Gerard Depardieu, der ist ja von Natur aus besonders
geeignet, wqeil Cyrano ja berühmt geworden sein soll durch seine große Nase ...
Franco Alfano, der bekannter dadurch geworden ist, daß er Puccinis unvollendete
„Turandot“ fertig komponiert hat, hat aus dem Stück eine Oper gemacht, und Johan
Wagenaar, ein Holländer hat eine Konzertouverture über ihn geschrieben.
3374470 / Track 1
Darüber:
Warum betrachten sie denn meine Nase?
Was erstaunt sie dran?
Ist sie weich, wie’n Rüssel, schlenkert wie ein Perpendikel?
Oder sieht nem Reiherschnabel gleich?
Eine Missgeburt soll ich gar sein? Klein? Meine Nase?
Sie ist enorm!!! Vernimm, stumpfnäsiger Mikrocephale,
Dass ich voll Stolz mit diesem Vorsprung prahle;
den zu erkennen ist an solcher Form
12‘37
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Der Mann von Geist, Charakter, Edelsinn,
von Herz und Mut, kurz alles, was ich bin!
Die Ouverture Cyrano de Bergerac von Johan Wagenbaar, mit dem Königlichen
Concertgebouw Orchester unter Georg Solti. – Nun, wenn wir weiter westlich fahren,
nähern wir uns dem klassischen Aquitanien – das heiß0t, schon in Perigeux waren
wir mitten drin. Diese Region (ich gebe zu, es ist schwierig, es mit den einzelnen
Gebieten so ganz genau zu nehmen auf unserer Reise) hat ihren Namen vor allem
von den Troubadouren.
3377887 / Track 17
1‘24
Und von einer Königin – Eleonore von Aquitanien, auf Französisch Alienor oder auf
Okzitanisch Aleonor – sie war erst mit einem französischen König verheiratet, dann
mit einem englischen, Heinrich II. – und sie war la reine des trouvères, die König der
Troubadoure. Genauso wie die Kunst, vor allem die Musik. interessierte sie die
Politik. Gemeinsam mit ihren Söhnen intrigierte sie so lange und kräftig gegen ihren
zweiten Gatten, bis der sie auf die Insel Oléron verbannte. Mit ihrem berühmtesten
Sohn, dessen Frau und ihrem Mann gemeinsam ruht ihr Leichnam jetzt in der Abtei
Fontevrault. Dieser berühmteste Sohn (der als englischer König insgesamt nur ein
paar Wochen auf der Insel war), ist nicht nur als Schlagetot, Kreuzfahrer und Intrigant
hervorgetreten, sondern auch als Troubadour – er hat einige Lieder geschrieben.
Hier ist eines davon. Ach ja – sein Name warf Richard, sein Beiname: the Lionheart
oder Coeur de Lion – Richard Löwenherz.
5‘51
3372218 / Track 3
Das war eines seiner Lieder, so originalgetreu wie möglich. Und, es wird Sie nicht
wundern, er ist nicht nur Filmheld (meist in Zusammenhang mit der Legendenfigur
Robin von Locksley, genannt Robin Hood) geworden, nicht nur Romanheld (bei
Walter Scott in IVanhoe zum Beispiel), sondern auch Mittelpunkt einer Oper, die
„Richard Coeur de Lion“ heißt und geschrieben wurde von André Modeste Ernest
Grétry – einem Komponisten aus Lüttich, der zur Zeit der Revolution und des ersten
Napoleon in Frankreich lebte. Charles Burles singt daraus eine Arie.
3374927 / CD 1 / Track 15
4‘32
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