12+ Uraufführung - Theater Heidelberg

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Uraufführung 12+
Bin ich hässlich?
David Grimaud
Massoud Baygan
Charity Laufer
Peter Lindhorst
Fotos Florian Merdes
Ein Ensembleprojekt
weist auf die große Alltagsrelevanz von Körperlichkeit und Schönheit hin.
Provinz Hubei Gewählte sagte: »Ich schäme mich richtig. Ich bin schon über 30 Jahre alt und habe noch
nipulierte Körperlichkeit gibt es streng genommen nicht, denn auch Zähneputzen, sich waschen, Medika-
mente nehmen, Nägel und Haare schneiden sind Körpermanipulationen.
bezahlt. Ärzte kritisieren die Wettbewerbe deshalb als reine Werbeveranstaltung der Kliniken. Die Kunden
der Kliniken sind meist Frauen, die vom westlichen Schönheitsideal beeinflusst sind und sich größere Augen
Süddeutsche Zeitung, 11. Mai 2010
oder schlichtweg »Körperpflege« betreiben. Der Mensch nutzt Schönheits- und Körpertechnologien. Unma-
len Mediengruppen und Schönheitskliniken ausgelobt. Die Siegerin bekommt in der Regel eine Operation
Sie zu verlosen erster Hauptgewinn?«
Zuletzt im Stil des Pyramus, recht kläglich:
»Weil sie das Gleichmaß im Gesicht getötet,
Ist sie voll Schuldbewußtsein und errötet.«
Cyrano Das war etwas mager.
Fällt Ihnen nichts mehr ein? Mir vielerlei,
Und auch die Tonart läßt sich variieren!
Für einen Halt zum Bau der Schwalbennester?«
Zudringlich: »Wenn Sie Tabak rauchen
Und ihr der Dampf entsteigt zum Firmament,
Schreit dann die Nachbarschaft nicht laut: ›Es brennt‹?«
Warnend: »Sie sollten große Vorsicht brauchen;
nem Körper zu tun. Möglichkeiten und Notwendigkeiten der Körpergestaltung gehen ebenso Hand in Hand
wie Freiheit und Zwang zur Schönheit. Insofern muss unterstrichen werden, dass Sich-schön-Machen einer
Medaille mit zwei Seiten gleicht: Es symbolisiert die Unterwerfung unter gesellschaftliche Ideale, kann aber
gleichzeitig ein Akt der Selbstermächtigung und der Abneigung von Möglichkeiten sein. Insofern sind auch
per se negativ bewertende Klagen zum »Schönheitswahn« kritisch zu betrachten.
Pedantisch: »Das aristophanische Tier
Hippokampelephantokamelus
Trug ganz unfraglich gleiche Nasenzier.«
Modern: »Wie praktisch diese Haken sind,
Um seinen Hut dran aufzuhängen!«
mitzuspielen, gibt es immer weniger«. Der gesellschaftliche Laufsteg und die Rolle der Einzelnen darauf sind
in hohem Maße alltagsrelevant. Hauptsache ist, man tut etwas an seinem Körper und symbolisiert damit
die Arbeit sowohl an Identität als auch an Sozialität. Was genau man unternimmt – ob man beispielsweise
die Figur in Schuss oder die Falten im Zaum hält, ob man die Garderobe wechselt, die Haarfarbe oder eben
die Nase-, scheint dabei zweitrangig.
Soldatisch: »Dies Geschütz ist schwer beweglich.«
Zwergkürbis oder riesige Kartoffel?«
Bäurisch: »Potz Donnerschlag, was sagst du, Stoffel?
Durch solch ein Häuschen zum Alleinbewohnen?«
Respektvoll: »Wird nicht ein jeder Wunsch beschwichtigt
Naiv: »Wann wird dies Monument besichtigt?«
Lyrisch: »Ist dies die Muschel des Tritonen?«
Bewundernd: »Für Odeur welch Aushängschild!«
Tragisch: »Ein Turm von Babel, wenn sie schwillt!«
Braucht nur ein Teil von ihr sich anzustrengen.«
Begeistert: »Wenn sie niest im scharfen Wind,
Weil sonst im Sonnenschein sie bleichen muß.«
lassen werden könnte. »Die Freiheit, nicht zu wählen, das ›Spiel‹ der ästhetischen Selbstbeglaubigung nicht
Waltraud Posch
Zartfühlend: »Spannen Sie ein Schutzdach drüber;
mögen, die grundsätzlich notwendige Zuwendung zum Körper ist alles andere als ein Spiel, das auch unter-
Sonst zieht das Schwergewicht Sie noch kopfüber.«
Und sorgten väterlich mit dieser Stange
allel zu den Möglichkeiten, dies zu erreichen. So kann es sich heute kaum jemand leisten, nichts an sei-
Jedoch: So bewusst, ermächtigend und spielerisch einzelne ästhetische Handlungen auch ausfallen
Anmutig: »Sind Sie Vogelfreund, mein Bester,
Ein Schreibzeug oder eine Zuckerzange?«
Neugierig: »Was ist in dem Futteral?
Ein Kap, ein Vorland, eine Inselgruppe.«
Beschreibend: »Felsgeklüfte, Berg und Tal,
Aus Humpen schlürfen sollten Sie die Suppe.«
Freundlich: »Trinkt sie nicht mit aus Ihrer Tasse?
Ich ließe sie sofort mir amputieren.«
Ausfallend: »Trüg‘ ich diese Nasenmasse,
Geschäftlich: »Haben Sie vielleicht im Sinn,
Valvert Sie haben eine sehr ... sehr lange Nase.
Jean-Paul Sartre
Edmond Rostand
Victor Hugo
Pflanze ganz leise und fern des Tages: Liebe!
Dann flüstern das hässliche Tier und die hässliche
Betrachtet,
Wenn man sie nur etwas weniger hochmütig
Nur vergisst, sie zu zertreten,
Doch bei all ihrem wilden Schrecken: wenn man
Alles verlangt nach einem Kuss.
Alles hat seine Melancholie,
Habt Nachsicht mit dem Bösen!
Quaddel und Biss,
Habt Nachsicht mit der Hässlichkeit, mit
Dem armen Tier.
Mit der seltsamen Pflanze,
Vorübergehende, seid gnädig
Der finsteren Nacht sind.
Weil alle beide Opfer
Weil man sie flieht,
Weil sie den Hauch des Abgenutzten tragen,
Und die Spinne eine Landstreicherin.
Weil die Brennessel eine Natter ist
Oh Schicksal! Oh fatale Bande!
Weil sie in ihrem Tun befangen sind;
Ihrer Hinterlist.
Weil sie traurige Gefangene sind
Schwarze, kriechende Wesen;
Weil sie verflucht sind, kümmerlich,
Ihre düstere Hoffnung.
Und nichts erhört und alles verrät
Weil man sie verabscheut;
Ich liebe die Spinne und auch die Brennessel,
Ich liebe die Spinne und auch die Brennessel
Cyrano Warum betrachten Sie denn meine Nase?
Cyrano de Bergerac
herum unter diesem Blick, der mir die Natur eines vorbildlichen Enkels aufzwang.
zierten. Waren sie nicht da, so hinterließen sie ihren Blick, der eins wurde mit dem Licht; ich lief und hüpfte
mich mit ihren Augen zu sehen; ich war ein Kind, ein Monstrum, das sie mit Hilfe ihrer eigenen Sorgen fabri-
Meine Wahrheit, meinen Charakter und meinen Namen hatten die Erwachsenen in der Hand, ich hatte gelernt,
Der Blick der Anderen
Nike-Marie Steinbach
und sich auf die absurdesten Wettbewerbe einlassen, im schlimmsten Fall ohne sich dessen bewusst zu sein.
von ihrer ganz natürlichen Sehnsucht nach Glück und Zufriedenheit geleitet, höchst manipulierbar werden
Show-Realität, sondern eine Versuchsanordung, deren Untersuchungsobjekt Menschen sind. Menschen, die,
etwas mehr Abstand sieht man in einer Castingshow, und auch in anderen Reality-Formaten, nicht nur eine
Aufgabe und Glücksquelle und den falschen Haarschnitt zu einem tiefgehenden Schicksalsschlag machen. Mit
Dabei finden Werteverschiebungen statt, die das richtige Paar Schuhe plötzlich zu einer lebensbestimmenden
»scripted reality«, die Kandidaten leben in ihr und kämpfen mit konstruierten Problemen um fiktive Ziele.
ein ehemaliger Kandidat seine Zeit in der Casting-Mühle. Nicht nur die Zuschauer sehen eine sogenannte
»In dieser Zeit bist du wie in einer Seifenblase, wie hermetisch entkoppelt von vielen Dingen.«, beschreibt
und sich ein wenig in Ruhm und Glamour zu sonnen.
keitsgrenze hinweg bloß (oder werden bloßgestellt), um für eine kurze Zeit Aufmerksamkeit zu gewinnen
Sänger oder überhaupt der Talentierteste zu sein. Nicht selten stellen sie sich dabei bis über die Peinlich-
hen kann man viele Menschen bei ihrem Kampf darum beobachten, das schönste Mädchen, der beste
b »Germany’s next Topmodel«, »Deutschland sucht den Superstar« oder »Das Supertalent«, im Fernse-
O
Battle-Show
bewusst eingesetztes Instrument zu gestalten, hat in der modernisierten Gesellschaft zugenommen – par-
Die Notwendigkeit, den eigenen Körper zu inszenieren und »für sich selbst« als im sozialen Austausch
den, schminken, trimmen, schlank halten (oder machen), enthaaren, Haare färben, ihn operieren lassen
ton in Mode gekommen, Hässlichkeitswettbewerbe für Frauen zu veranstalten. Sie werden häufig von loka-
und eine wohldefinierte Nase wünschen.
Handlungsinstrument: Wir handeln mit unserem Körper – einfach dadurch, dass wir ihn beispielsweise klei-
bol und zu einem der zentralsten Medien der Identität wird. In diesem Zusammenhang ist der Körper ein
Im vergangenen Jahr ist es besonders in den großen Städten Chinas wie Peking, Schanghai und Kan-
tiven Äußeren zu.
Historisch gesehen ist es nichts Neues, dass der Körper zur Plattform der Inszenierung, zum Statussym-
menschlichen Natur, sozial zu sein, also andere Menschen ins eigene Leben einzubeziehen. Diese Dynamik
keine richtige romantische Erfahrung gemacht.« Auch seine Arbeitslosigkeit schrieb er seinem unattrak-
schen mag unterschiedlich intensiv erfolgen, aber wir kommen nicht um sie umhin. Denn es ist Teil der
aussehen wie der bekannte chinesische Sänger und Schauspieler Lu Yi. Der zum hässlichsten Mann der
sehens. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Erscheinung sowie deren Wirkung auf andere Men-
riger Chinese eine plastische Operation bekommen. Nach dreimonatiger Behandlung soll der 30-Jährige
ten Menschen zu küren. Als Preis für seinen Sieg bei einem Hässlichkeitswettbewerb hat ein 30-jäh-
Karoline Felsmann
chönheit ist alltagsrelevant. Niemand lebt ohne seinen Körper und ohne (Selbst-) Reflexion seines Aus-
S
I
m vergangenen Jahr ist es besonders in den großen Städten Chinas in Mode gekommen, die hässlichs-
Gesellschaft auf dem Laufsteg
letzten Probenphase, wo die Reise hingehen und wie der Wettbewerb enden würde.
entwickelten sich die Figuren der Schauspieler und es flossen neue Ideen ein. Keiner wusste am Anfang der
visation. Diese wurden dann festgelegt und die Szenen wurden durch erneute Proben verfeinert. Bis zuletzt
eines Hässlichkeitswettbewerbs von vier Kandidaten absolviert werden müssen. Texte entstanden durch Impro-
In der letzten Probenphase sammelte das Team ein Repertoire von Spielen und Aufgaben, die im Rahmen
nen Körpers zu entdecken und auszuschöpfen.
tallisierte sich heraus, dass choreografische Unterstützung von Nöten ist, um die Möglichkeiten des eige-
benphase musste das Thema eingegrenzt, eine Form und eine Rahmenhandlung gefunden werden. Es kris-
Regelmäßig traf sich das Team, um weitere Ideen zu sammeln und zu recherchieren. In der zweiten Pro-
per« sein sollte.
gewälzt. Am Ende der ersten Probenphase wusste das Team, dass es eine Stückentwicklung zum Thema »Kör-
nerungen an die eigene Jugend. Fotos wurden gezeigt, Musik vorgespielt, alte Tagebücher und Zeitschriften
Chinese gewinnt neues Gesicht beim Hässlichkeitswettbewerb
Nachweise
Quellenangaben: Jean-Paul Sartre, Die Wörter, Autobiographische Schriften,
Rowohlt Verlag, Hamburg 1965; Victor Hugo, Les contemplations (1842) in:
Umberto Eco, Die Geschichte der Hässlichkeit, Carl Hanser Verlag, 2007, München; Edmond Rostand, Cyrano von Bergerac, Romantische Komödie in fünf
Aufzügen, Rowohlt Verlag, 1986, Reinbek bei Hamburg; Gesellschaft auf dem
Laufsteg in: Was ist schön?, Begleitbuch zur Ausstellung im Deutsche Hygiene-Museum Dresden, 2010/11
Impressum
Herausgeber Theater und Orchester Heidelberg | Intendant Holger Schultze
Verwaltungsleiterin Andrea Bopp | Redaktion Karoline Felsmann | Gestaltung Jens Richter | Fotos Florian Merdes | Druck abcDruck
Vielen Dank an
Guiseppe Manino und Mona Patzelt
Dauer 1 Stunde 20 Minuten
Chefmaskenbildnerin
Kerstin Geiger
Maske
Swantje Behnke
Leiterin der Requisite
Esther Hilkert
Requisiteurin
Mona Patzelt
Vorstand des Malersaals
Dietmar Lechner
Leiter der Dekorationswerkstatt
Markus Rothmund
Leiter der Schlosserei
Karl-Heinz Weis
Leiter der Schreinerei
Klaus Volpp
Technischer Direktor
Peer Rudolph
Bühnenmeister
Rolf Arenz
Ton
Bernd Blum
Beleuchtung
Christian Raudzis, Michael Theil
Leiterin der Kostümabteilung
Viola Schütze
Stellv. Leiterin der Kostümabteilung
Kristina Flachs
Gewandmeisterinnen
Dagmar Gröver, Alexandra Partzsch,
Katharina Six, Katja Ulrich
Mit Massoud Baygan (Massoud), David Grimaud (David), Charity Laufer (Charity), Peter Lindhorst (Peter)
Felix Jeiter (Moderator), Sarah Victoria Wagner (Stimme)
Regie Franziska-Theresa Schütz
Text Ensemble, Karoline Felsmann, Birgit Remuss, Franziska-Theresa Schütz, Sarah Victoria Wagner
Bühne, Kostüme und Projektionen Birgit Remuss
Choreografie Catherine Guerin
Dramaturgie Karoline Felsmann
Theaterpädagogik Nike-Marie Steinbach
Regieassistenz Sarah Victoria Wagner
Kostümassistenz Carmen Reuther
Regiehospitanz Franziska Militzer
sich das Team zum ersten Mal, um zu reden, zu improvisieren und zu diskutieren. Ausgangspunkt waren Erin-
stand nur fest, dass es eine Inszenierung für Jugendliche ab 12 Jahren werden sollte. Im Sommer 2012 traf
war der Wunsch des Teams. Es gab nicht wie sonst üblich ein Stück oder eine Geschichte. Am Anfang
15. September 2013
V Zwinger3
al ganz bei null anfangen und gemeinsam nach Themen, einer Geschichte und nach Figuren suchen - das
Stückentwicklung
Premiere
Uraufführung 12+
M
Ein Ensembleprojekt
Bin ich hässlich?
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