...nach bestem Wissen und Gewissen? Ethik in der Intensivpflege Facharbeit im Rahmen der Fachweiterbildung 2003 – 2005 Clemenshospital Münster im Weiterbildungsverbund mit der Universitätsklinik Münster Weiterbildungsstätte für Intensivpflege & Anästhesie und Pflege in der Onkologie Schmeddingstrasse 56, 48129 Münster, [email protected] Kerstin Weßling 48153 Münster [email protected] Inhaltsverzeichnis 1. Vorwort.................................................................................................... 4 2. Definition Ethik und Moral....................................................................... 5 2.1. Ethiktheorien.................................................................................... 6 3. Ethik in der Medizin................................................................................. 9 4. Möglichkeiten der Entscheidungsfindung in der Bioethik....................10 4.1. Kasuistik......................................................................................... 10 4.2. Theorieanwendung......................................................................... 11 4.3. Vier- Prinzipien- Methode............................................................... 11 4.3.1. Autonomie des Patienten........................................................ 12 4.3.2. Nonmalefizienz........................................................................ 12 4.3.3. Benefizienz.............................................................................. 13 4.3.4. Fairness................................................................................... 13 4.4. Anwendung in der Praxis............................................................... 13 4.4.1. Heilbarkeit................................................................................ 13 4.4.2. Lebenserhalt............................................................................ 14 4.4.3. Nützlichkeit.............................................................................. 14 4.5. Fallbeispiele................................................................................... 14 4.5.1. Autonomie kontra Fairness...................................................... 14 4.5.2. Heilbarkeit kontra Benefizienz................................................. 15 5. Sterbehilfe............................................................................................. 17 5.1. Aktive Sterbehilfe (Euthanasie)...................................................... 17 5.2. Passive Sterbehilfe......................................................................... 18 5.3. Indirekte passive Sterbehilfe.......................................................... 18 6. Therapieabbruch, Therapiebegrenzung................................................ 19 7. Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht und Betreuungsverfügung.....20 7.1. Patientenverfügung........................................................................ 20 7.2. Vorsorgevollmacht.......................................................................... 21 7.3. Betreuungsverfügung..................................................................... 22 8. Leitlinien und Empfehlungen................................................................ 22 9. Vorgehen bei Therapieabbruch / Therapiereduktion............................ 24 9.1. Möglichkeiten zur Reduktion.......................................................... 24 9.2. Rechtliche Situation........................................................................ 25 9.3. Grundsätze der bettseitigen Entscheidungsfindung....................... 26 9.4. Flüssigkeitssubstitution im Finalstadium?...................................... 27 10. Hilfestellung bei der Entscheidungsfindung für Pflegende..................28 10.1. Wahrnehmungs- und Empathiephase ......................................... 29 10.2. Werteanamnesephase ................................................................ 29 10.3. Gewichtungs- und Entscheidungsphase...................................... 29 10.4. Fallbeispiel „Das Heinz - Dilemma“............................................. 30 11. Pflege und Ethik.................................................................................. 33 12. Klinisches Ethik- Komitee................................................................... 35 13. Schlußwort.......................................................................................... 37 14. Anhang................................................................................................ 38 14.1. Fallbeispiel „Frau E.“................................................................... 38 14.2. Ethische Grundregeln für die Krankenpflege.............................. 41 14.2.1. Ethische Grundregeln für die Krankenpflege (ICN)............... 41 14.2.2. Ethische Regeln für Intensivpflegende ................................. 42 15. Literaturangaben................................................................................. 47 1. Vorwort Die Idee über das Thema Ethik und Sterben auf einer Intensivstation zu schreiben kam mir schon zu Beginn meiner Fachweiterbildung im Jahr 2003. Nach näheren Gedanken dazu, und dem Unterricht zum Thema „Möglichkeiten und Grenzen der Intensivmedizin“, festigte sich dieses mehr und mehr. Mir war es wichtig, ein Thema zu finden, das mich interessiert. Meiner Meinung nach ist Sterben noch immer ein großes Tabuthema. Aufgrund der rasanten Entwicklung der Medizin mit all ihren technischen und medikamentösen Möglichkeiten entstehen immer häufiger Konfliktsituationen, in denen auf der einen Seite die Lebenserhaltung, und auf der anderen Seite der Betroffene mit seinem Wunsch nach einem würdevollen Sterben stehen. Ärztliches und pflegerisches Personal besitzen oft einen unterschiedlichen Blickwinkel, was Therapie und Therapieende betrifft. Für mich ist es ebenfalls manchmal nicht nachvollziehbar, wie in bestimmten Situationen entschieden wird. Die Hauptfrage bei der Diskussion des Therapieabbruchs ist, aus welcher Motivation heraus entschieden wird und vor allem, ob es sich um einen Entscheidungsprozess handelt, oder um eine Bauchentscheidung. Meiner Meinung nach besteht Bedarf Fragen zu klären, die juristische Seite zu beleuchten, und ein paar Grundsätze festzuhalten: ✔ Was ist überhaupt Ethik und Moral ? ✔ Was ist Sterbehilfe, wann ist sie aktiv und wann passiv ? ✔ Was ist ein Patiententestament, -Verfügung, -Vollmacht ? ✔ Was sind Ethikkomissionen ? ✔ Wie kommt es zu einer Entscheidungsfindung ? Sicher ist das große Thema Ethik diskussionswürdig und schwierig. Ich wünsche mir für die Leser mit meiner Arbeit etwas Licht ins Dunkel zu bringen und vielleicht auch etwas mehr Verständnis für getroffene Entscheidungen. Ethik in der Intensivpflege – K. Weßling – FWB Anästhesie u. Intensivpflege 22.06.2005 Seite 4/48 Bedanken möchte ich mich bei allen, die mich in der Zeit der Fertigstellung ertragen und getragen haben und mir aufmunternde Worte entgegengebracht haben; bei meinen Korrekturlesern und meinem lieben Systemadministrator. 2. Definition Ethik und Moral Ethik (ethos) kommt aus dem Griechischen und ist mit Gewohnheit, Gesittung, Brauch oder Bedeutung zu übersetzen. Ethik ist ein großes Teilgebiet der Wissenschaft Philosophie. Diese ist den Menschen dabei behilflich die Welt zu verstehen, den Sinn sowie die Bedeutung des menschlichen Lebens auf der Erde zu hinterfragen. Philosophie beschäftigt sich z. B. mit den Möglichkeiten des menschlichen Wissens überhaupt, mit der Wahrnehmung uns und unserer Umgebung gegenüber. Die Philosophie betrachtet menschliches Empfinden. Ethik gibt der Menschheit die Möglichkeit, das menschliche Verhalten insbesondere sich selbst und anderen gegenüber zu hinterfragen und systematisch zu reflektieren. Mit dem Wort Ethik wird immer auch Gut und Böse, Recht und Unrecht in Verbindung gebracht. Moral (mores) kommt aus dem Lateinischen und bedeutet übersetzt ebenfalls Sitte, Brauch und Gewohnheit. Moral steht für Erwartungen, die in einer Gesellschaft zur Regel geworden sind, die jedes Mitglied zu erfüllen hat, um sittlich, d. h. sich gesittet und korrekt zu verhalten, so wie es in dieser Gesellschaft Brauch und Gewohnheit ist, bzw. wie es erwartet wird. Als individuelles Normgefühl, ist die Moral zu sehen. Die Worte Moral (-philosophie) und Ethik werden im allgemeinen synonym verwendet. 1 Jedoch ist Ethik ein sehr komplexer Begriff, dehnbar in seiner Bedeutung und von verschiedenen Denkweisen beeinflusst. Ethik ist eine übergeordnete Reflektion, bezogen auf das einzelne Individuum, auf dessen Handeln und Denken. Die zu beantwortende Frage lautet: Kann ich mit meiner Entscheidung leben? Ist das für mich in Ordnung?2 Ethische Grundsätze und Überzeugungen prägen sich während der Kindheit ein. Erziehung, Sitten und Bräuche der Gesellschaft bzw. des Ethik in der Intensivpflege – K. Weßling – FWB Anästhesie u. Intensivpflege 22.06.2005 Seite 5/48 Familienbundes spielen eine wichtige und Einfluss nehmende Rolle. Werte sind Auffassungen in einer Gesellschaft über das, was richtig und gut ist, Normen sind Handlungsrichtlinien, abgeleitet aus einem oder mehreren Werten.3 Wissenschaftlich betrachtet beschäftigt sich Ethik mit moralischen Problemen; also solchen, die überall dort auftreten, wo Menschen zusammenleben und jeder einzelne wiederum, trotz der Werte und Normen seiner Gesellschaft, eigene Betrachtungsweisen und Beurteilungen besitzt. Sie beleuchtet die Gesamtheit moralischer Grundsätze. 4 2.1. Ethiktheorien In der Literatur haben sich zwei Theorien der Ethik besonders hervorgehoben. Eine der beiden Theorien ist die des deutschen Philosophen Immanuel Kant (1724 - 1804). Kant bezeichnete seine Theorie als „kategorischen Imperativ“, was soviel bedeutet wie unbedingt gültig und befohlen. Er war der Überzeugung, der Mensch könne nur dann ein erstrebenswertes Leben führen, wenn ein moralisches Prinzip gefunden würde, welches für alle bindend ist. Kant nahm an, dass dieses Prinzip auf der Grundlage menschlichen Verstandes gültig und bindend sei für jeden. Er stellte vereinfacht ausgedrückt folgende Thesen auf: ✔ Der Einzelne soll so handeln, dass alles was getan wird von allen Menschen ebenfalls getan werden kann. ✔ Niemand darf sich selbst oder andere dazu benutzen, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen, d. h. jeder muss in der Lage sein, seine Ziele selbst zu erreichen. Umstritten ist seine Theorie, da die wesentlichen Beurteilungskriterien die Regel, das Gesetz und die Pflicht ist. Dies lässt sich schlecht in den Alltag integrieren. Den Pflichten und Regeln stehen praktische, wirtschaftliche, politische und kulturell- religiöse Aspekte gegenüber. Ethik in der Intensivpflege – K. Weßling – FWB Anästhesie u. Intensivpflege 22.06.2005 Seite 6/48 Die Kantsche Theorie bzw. Theorien, die sich nach Pflichten und Gesetzen richten, werden auch als deontologische Theorien bezeichnet oder auch Pflichtethik genannt. Hauptkritik an deontologischen Theorien ist, dass sie ausgerichtet sind nach richtigem und falschem Handeln, unabhängig der Konsequenzen, welche sich aus dem vorangegangenen Handeln ergeben. In dieser Theorie wird gesagt: „ Du sollst nicht lügen“. Es wird jedoch nicht hinterfragt, warum nicht gelogen werden soll. Vielmehr ist es eine klare Vorgabe, der Folge zu leisten ist. Für die Entscheidung bleiben Ziele, Folgen und Wirkungen unberücksichtigt. 5 Der deontologischen Theorie steht die teleologische Theorie gegenüber. Hier geht es hauptsächlich um die Ergebnisse des Handelns. Also bestimmen nicht Pflichten und Regeln das Handeln, sondern das Handeln wird bestimmt durch die Resultate der vorangegangenen Taten. Diese Theorie wird auch Konsequenzethik genannt. Bekannter Vertreter dieser Theorie ist Aristoteles, ein griechischer Philosoph (384- 322 v. Chr.). Hier werden Ziele, Folgen und Wirkungen berücksichtigt. Es wird gefragt: „Warum soll ich nicht lügen?“ 6 Modifiziert wurde die teleologische Theorie durch die englischen Philosophen John Stuart Mill (1806- 1873) und Jeremy Bentham (17481832). Sie richteten ihre Prinzipien nicht allein nach den Resultaten, sondern schlossen außerdem soziale Gesichtspunkte mit ein. Es geht um den größtmöglichen Nutzen für alle. Diese Theorie wird als Utilitarismus bezeichnet. Der Utilitarismus beinhaltet das allgemeine Wohlbefinden sowie den maximalen Gewinn an Glück für die Menschheit. Zu kritisieren ist an dieser Theorie, dass das einzelne Individuum im Interesse der Allgemeinheit nicht berücksichtigt werden kann sowie Wohlbefinden und Glück keine objektiv messbaren Größen sind. Außerdem gibt es Situationen, in denen sich eine Konsequenz nicht voraussagen lässt. 7 Im Hinblick ethischer Entscheidungsfindungen im allgemeinen richten sich Moralphilosophen mit teleologischen Denkansätzen nach dem sogenannten Präreferenzutilitarismus, bei dem es nicht nur um den Zugewinn des allgemeinen Wohlbefindens und dem Glück der Menschheit geht sondern auch darum, Interessen einzelner Menschen Ethik in der Intensivpflege – K. Weßling – FWB Anästhesie u. Intensivpflege 22.06.2005 Seite 7/48 gegen die eigenen Bedürfnisse und Wünsche abzuwägen. Das geschieht, um zu einer Lösung zu kommen, die von möglichst vielen akzeptiert werden kann und so zum Wohlbefinden einzelner beiträgt. Deontologische und teleologische Theorien stehen einander gegenüber. Jede ist mit Problemen behaftet und keine der Theorien bildet „DEN“ Standard für Entscheidungsfindungen. Die Menschen und jeder einzelne ist gezwungen, jede Situation individuell zu beurteilen, von allen Seiten zu betrachten und abzuwägen. 8 In unserem Kulturkreis wird die christlich- humanistische Ethik gelebt. Leitsätze sind beispielsweise „Liebe Deinen Nächsten, wie Dich selbst“; „Der Wille / die Würde des Menschen ist unantastbar“ ; „Berücksichtige im Konfliktfall das Wohl aller zu gleichen Teilen“ und „Meine Freiheit hört da auf, wo die eines Anderen beginnt“. Ein weiterer ethische Ansatz ist der des Egoismus, welcher besagt: „Berücksichtige im Konfliktfall erst Dein Wohl und dann das der anderen“ oder „Mein Wohl ist höher als das der Anderen“. Die Nützlichkeitsethik ist ein weiteres Beispiel. Der Mensch wird hier über seine Leistung definiert. Das hieße, der Mensch, der keine Leistung mehr bringt wie beispielsweise ein Wachkomapatient, hätte keinen Nutzen mehr. „Vermehre Deinen Nutzen, vermeide Unnutzen“. Ethik in der Intensivpflege – K. Weßling – FWB Anästhesie u. Intensivpflege 22.06.2005 Seite 8/48 3. Ethik in der Medizin Ähnlich verhält es sich in der Ethik der Medizin. Sie ist ein Teilgebiet der Bioethik, welche sich mit allen Fragen beschäftigt, die das Lebendige betrifft. Die bereits vorgestellten Theorien der Teleologie und der Deontologie beeinflussten das medizinische Handeln stark. Noch vor einigen Jahren war es üblich, dass der Mediziner Entscheidungen mehr nach bestem Wissen und Gewissen getroffen hat, als die individuellen Wünsche des Patienten zu berücksichtigen. Der Arzt handelte nach dem Prinzip der Pflichtethik, der Deontologie. Die Selbstbestimmung des Patienten im Rahmen seiner Behandlung nimmt heute einen höheren Stellenwert ein.9 Nicht nur mit der medizinischen Behandlung nimmt der Arzt eine verantwortungsvolle Aufgabe an, sondern auch in seinen Gesprächen mit dem Patienten, in denen er versucht, dem Betroffenen seine Situation deutlich zu machen. Der Wissensvorsprung dem Patienten gegenüber birgt die Gefahr, die freie Entscheidungsmöglichkeit des Patienten einzuschränken, da dieser sich aufgrund mangelnder Fachkompetenz und emotionaler Betroffenheit in einer Situation der Abhängigkeit befindet. Daher handelt es sich nicht um ein gleichberechtigtes partnerschaftliches Ethik in der Intensivpflege – K. Weßling – FWB Anästhesie u. Intensivpflege 22.06.2005 Seite 9/48 Verhältnis, sondern der Arzt kann in die Rolle des Entscheidenden gelangen. Ein solcher Entscheidungsprozeß wird Paternalismus genannt. Der aufklärende Mediziner steht vor der schwierigen Entscheidung den Patienten einzuschätzen, wieviel Details ihm bezüglich seiner bevorstehenden Therapie zuzumuten sind. Einerseits ist eine detailgenaue Aufklärung wünschenswert, die den Patienten in die weitere Therapie aktiv miteinbezieht. Andererseits kann eine allzu umfassende Aufklärung abschreckend wirken und Hoffnungen nehmen. Eine intensivmedizinische Behandlung beispielsweise übersteigt vielfach die Vorstellung von vorübergehender großer Abhängigkeit.10 4. Möglichkeiten der Entscheidungsfindung in der Bioethik 4.1. Kasuistik Die Bioethik beinhaltet verschiedene theoretische Ansätze der Entscheidungfindung, die zur Entscheidungshilfe herangezogen werden können. Die Kasuistik ist eine Methode, die sich auf Präzedenzfälle bezieht. Es Ethik in der Intensivpflege – K. Weßling – FWB Anästhesie u. Intensivpflege 22.06.2005 Seite 10/48 werden Vergleiche zu ähnlichen Fällen gezogen, um so bei einer aktuellen Situation eines Patienten zu einer Entscheidung zu finden. Diese Methode soll logische Urteile ermöglichen. Kritisch an dieser Methode der Entscheidungsfindung ist, dass es kaum möglich ist, einen Krankheitsverlauf mit dem anderen zu vergleichen. Jeder ist individuell und reagiert Möglicherweise auf Therapien werden und durch Medikamente den unterschiedlich. Vergleich mit anderen Krankheitsverläufen moralische Kriterien verdeckt. Die Gefahr, sich in der Entscheidungsfindung schnell beeinflussen zu lassen, ist sehr hoch. Die Kasuistik wird von Jonsen und Toulmin 1988 beschrieben.11 4.2. Theorieanwendung Einer der bekanntesten und meist diskutiertesten Bioethiker der Theorieanwendung ist Peter Singer. Seine Popularität bedeutet jedoch nicht, dass sich diese Methode in der Bioethik etabliert hat. Die Methode ist strikt auf dem Prinzip der Maximierung von Glück ausgerichtet. Eine Abweichung ist nicht möglich und es gibt keine Diskussion über Einzelfälle. So ist ein rationales ethisches Urteil möglich, aber umstritten. Singer sagt, dass nur Lebewesen als Personen gelten, die über Präferenzen verfügen, oder sich artikulieren können. Diese Meinung spricht Menschen mit einer beispielsweise schweren geistigen Behinderung ab, Personen zu sein. 12 4.3. Vier- Prinzipien- Methode Im deutschsprachigen und angelsächsischem Raum ist die VierPrinzipien- Methode die bekannteste. Sie bildet einen Mittelweg zu den bisher genannten Methoden und scheint auch am praktikabelsten zu sein. Tom L. Beauchamp und James F. Childress stellten die Prinzipien dieser Methode 1979 erstmals vor: Ethik in der Intensivpflege – K. Weßling – 13 FWB Anästhesie u. Intensivpflege 22.06.2005 Seite 11/48 ✔ Autonomie (Selbstbestimmungsrecht) ✔ Nonmalefizienz (Schadensvermeidung) ✔ Benefizienz (Fürsorge) ✔ Fairness (Gerechtigkeit) 4.3.1. Autonomie des Patienten Autonomie des Patienten heißt, dass dieser das Recht hat, eigene Entscheidungen zu treffen, eine eigene Meinung zu vertreten und nach eigenen Wertvorstellungen zu handeln. Der Arzt und das therapeutische Team haben die Aufgabe, diese Entscheidungen des Patienten sowie seine Wertvorstellung zu respektieren und zu akzeptieren. Nach genügender Aufklärung durch den Arzt und nach Prüfung des Verständnisses sollte die Entscheidungsfindung des Patienten unterstützt werden. Jede Maßnahme die vorgenommen werden soll, ganz gleich, ob zu diagnostischen oder therapeutischen Zwecken, bedarf der Einwilligung des Patienten. Hierbei spricht man auch vom informiertem Einverständnis. Wie oben erläutert- nach ausreichender Aufklärung und Verständnis des Patientengibt dieser sein Einverständnis. Das informierte Einverständnis soll eine Bevormundung durch den Arzt oder anderen Mitgliedern des behandelnden Teams, in Form des Paternalismus, entgegenwirken. So wird vom Arzt Rücksicht verlangt in Bezug auf das Individuum, auf dessen Wünsche und Ziele, auch wenn diese von der Meinung bzw. Auffassung des Mediziners abweichen sollte.14 4.3.2. Nonmalefizienz Nonmalefizienz heißt, dem Patienten keinen Schaden zuzufügen. Dieses Prinzip scheint zunächst selbsterklärend, doch ist zu bedenken, dass eine Therapie nach einer gewissen Zeit Schaden zufügen kann. Bei Ethik in der Intensivpflege – K. Weßling – FWB Anästhesie u. Intensivpflege 22.06.2005 Seite 12/48 dieser Erkenntnis ist es unter Umständen angezeigt, eine Therapie zu beenden oder zu unterlassen. 15 4.3.3. Benefizienz Dieses Prinzip besagt, dass das Wohlbefinden des Patienten zu fördern ist. Ebenso sollen Krankheit Komplikationen vermieden werden. und Symptome behandelt und 16 4.3.4. Fairness Fairness heißt, dass für jeden Patienten grundsätzlich die Möglichkeit und der Zugang zu notwendigen Behandlungen und Therapien besteht. 17 4.4. Anwendung in der Praxis Bei der Vier- Prinzipien- Methode ist es notwendig, alle Prinzipien zunächst zu beleuchten und zu interpretieren. Sie müssen gegeneinander abgewogen werden, da Beauchamp und Childress keine Rangordnung vorgeben. D. h., keines hat Priorität einem anderen gegenüber. Dadurch ist es möglich, individuelle Entscheidungen zu treffen. Grundsätzlich bietet jeder Aspekt großen Raum für Interpretationen. 18 Zu den vier oben genannten Prinzipien, die sich auf das direkte ArztPatienten- Verhältnis beziehen, können noch weitere Prinzipien hinzugezogen werden, bezogen auf die gesellschaftliche Ebene. Dazu gehören: 4.4.1. Heilbarkeit Die Heilbarkeit der Grunderkrankung oder das Erreichen eines Zustandes, der für den Patienten lebenswert ist, sollte in der Regel Voraussetzung sein, auch wenn nach dem mutmaßlichen Willen des Betroffenen gehandelt wird. Begründet ist dies in der sowohl materiell als auch personell aufwendigen Intensivtherapie. Ethik in der Intensivpflege – K. Weßling – FWB Anästhesie u. Intensivpflege 22.06.2005 Seite 13/48 4.4.2. Lebenserhalt Das Prinzip der Lebenserhaltung ist in unserem Kulturkreis im christlichhumanistischen Denken verankert. So ist es grundsätzlich die Aufgabe, Leben zu schützen und zu erhalten.19 4.4.3. Nützlichkeit Die Nützlichkeit bezieht sich auf vorhandene jedoch begrenzte Ressourcen wie z. B. finanzielle Mittel. Jedoch darf eine Behandlung nicht abgebrochen werden, weil sie zu teuer ist. 20 Oft befindet sich die Intensivbehandlung in einem Grenzgebiet zwischen Leben und dem Tod. In der Intensivmedizin werden ethische Entscheidungen häufig dort notwendig, wo zwei oder mehr der genannten Prinzipien miteinander konkurrieren. 21 4.5. Fallbeispiele 4.5.1. Autonomie kontra Fairness Per Sectio entbindet eine Frau (Zeugin Jehovas) ihr viertes Kind. Vor dem Eingriff erklärte sie eindeutig, keine Transfusionen oder ähnliches aufgrund ihres Glaubens erhalten zu dürfen und lehnte dies auch eindeutig im Aufklärungsgespräch ab. Es kommt zu einer Nachblutung und anschließender Hysterektomie. Mit einem Hb von 3 g/dl wird die Patientin postoperativ auf die Intensivstation Ethik in der Intensivpflege – K. Weßling – FWB Anästhesie u. Intensivpflege 22.06.2005 Seite 14/48 verlegt. Sie lehnt erneut Bluttransfusionen ab. Sie wird zur Reduzierung des Sauerstoffverbrauchs intubiert, sediert und beatmet. Das Prinzip Fairness und Autonomie treten in Konkurrenz zueinander. Auf der einen Seite ist der Wille der Patientin zu respektieren, auf der anderen Seite hätte eine aufwendige und kostenintensive Therapie durch eine Transfusion vermieden werden können. Die Patientin belegt ein Bett der Intensivstation, andere Patienten können nicht aufgenommen werden, müssen eventuell in andere Krankenhäuser weitergeleitet werden, Operationen müssen verschoben werden und andere Patienten vorzeitig auf die Normalstation verlegt werden, um Betten für andere zu schaffen. Zusätzlich wird das ärztliche und pflegerische Team gezwungen, gegen eigene Überzeugungen zu handeln. Eine heimliche Transfusion wäre nicht rechtens und würde auch gegen das Prinzip der Nonmalefizienz verstoßen, wenn die Patientin wie auch immer davon erfahren würde und mit dem Wissen nicht oder nur qualvoll leben könnte. Mit einem Ausschluss aus ihrer Glaubensgemeinschaft ist ebenfalls zu rechnen, was der Patientin ihren Lebensinhalt nehmen würde. 22 4.5.2. Heilbarkeit kontra Benefizienz Der sehnlichste Wunsch eines 67 jährigen Mannes mit einer COPD im Endstadium ist es, noch einmal seine Tochter zu sehen, die in Australien lebt, um sich zu verabschieden. Einen Tag bevor sie eintrifft, tritt eine hyperkapniebedingte Bewusstlosigkeit ein. Medizinisch gesehen muss hier zwischen der Prognose und anderen Zielen wie dem Nutzen oder dem Sinn der Therapie unterschieden werden. Ein physiologisches Ziel kann es sein, die Hyperkapnie mittels maschineller Beatmung zu beheben, bis der Patient möglicherweise aus eigener Kraft wieder ausreichend atmen kann. Ist dies jedoch aufgrund der Prognose nicht möglich, dann ist die Maßnahme der maschinellen Beatmung sinnlos, physiologisch gesehen. Die Maßnahme kann jedoch trotzdem sinnvoll sein, weil sie es der Tochter ermöglicht, sich von ihrem Vater zu verabschieden. Ethik in der Intensivpflege – K. Weßling – FWB Anästhesie u. Intensivpflege 22.06.2005 Seite 15/48 Auf der einen Seite ist eine Therapie mit geringen Erfolgsaussichten physiologisch sinnvoll, auf der anderen Seite kann sie jedoch auch unangemessen sein, wenn dadurch das Leiden für den Patienten unerträglich wird. Welches Ausmaß eine Therapie also annimmt richtet sich nicht nur nach der Prognose, sondern auch nach anderen Therapiezielen und der Zumutbarkeit. 23 Anhand der oben aufgeführten Beispiele wird deutlich, dass es sehr schwierige Grenzsituationen gibt, die eine genaue Evaluation erfordern, um zu einer Entscheidung zu gelangen. Eine große Rolle bei der Frage der Therapiereduzierung oder des Therapieabbruchs spielt die Prognose. Für den Mediziner ist es sehr schwierig, Prognosen zu stellen. Es geht dabei immer um die Wahrscheinlichkeit des Sterbens oder des Überlebens. Selbst eine hohe Anzahl von Präzedenzfällen läßt nicht mit absoluter Sicherheit darauf schließen, ob und vor allem wann ein Mensch sterben wird. Diese Erkenntnis macht deutlich, dass es nicht einfach ist für den Arzt, eine Prognose mit den daraus resultierenden Maßnahmen abzugeben. Im Grenzgebiet der Intensivmedizin ist der Übergang in den Sterbeprozess oft schleichend und nicht sofort erkennbar. Wird deutlich, dass der Sterbeprozess eingesetzt hat, dann ist es prognostisch sinnvoll, Therapiemaßnahmen zu reduzieren oder zu unterlassen, um ein Sterben des Patienten nicht unnötig zu verlängern und ihm ein menschenwürdiges Sterben zu ermöglichen. Ethik in der Intensivpflege – K. Weßling – FWB Anästhesie u. Intensivpflege 22.06.2005 Seite 16/48 5. Sterbehilfe Bei dem Wort Sterbehilfe drängen sich automatisch verschiedene Fragen auf. Dieses Wort löst bei vielen Unbehagen und Unsicherheit aus. Was ist erlaubt und was darf getan oder unterlassen werden? 5.1. Aktive Sterbehilfe (Euthanasie) Euthanasie kommt aus dem Griechischen und heißt übersetzt leichter, schöner Tod. Aufgrund der deutschen Geschichte ist hier mit diesem Begriff sensibel umzugehen. Im zweiten Weltkrieg sind viele Menschen durch die Hand von Ärzten umgekommen, aufgrund ihrer Rasse, Nationalität oder einer Behinderung. Aktive Sterbehilfe bedeutet, eine Therapie oder Maßnahme führt gezielt, d. h. Vorsätzlich, auf Verlangen des Patienten zu dessen Tod. Aktive Sterbehilfe ist strafbar.24 Befürworter der Euthanasie argumentieren mit der Autonomie der Patienten, die ein Ende ihres Lebens verlangen. Gründe dafür könnten unerträgliche Schmerzen und Qualen der Krankheit sein, oder nicht das Gefühl haben zu wollen, anderen zur Last zu fallen. Angehörige oder Ethik in der Intensivpflege – K. Weßling – FWB Anästhesie u. Intensivpflege 22.06.2005 Seite 17/48 Pflegende berichten über unerträgliche Schmerzen und Leiden Sterbender. Übelkeit und Erbrechen bis hin zu Atemnot, Angstzustände und Depressionen sind weitere Argumente der Befürworter. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob es nicht die Pflicht eines Arztes ist, bei unkontrollierbaren Symptomen einen schnellen Tod des Patienten herbeizuführen, um ihn von diesen Leiden zu befreien. Auch ist es rechtlich unumstritten, dass Tötung auf Verlangen strafbar ist. Ein weiteres Argument gegen aktive Sterbehilfe ist der Berufsethos der Mediziner und der Pflegenden. Eine Legalisierung der aktiven Sterbehilfe würde möglicherweise zum vorzeitigen Tod vieler Menschen führen, wenn sie an unerfahrenes Personal gerieten, und statt Hilfe zum Leben Hilfe zum Sterben erhielten. Aktive Sterbehilfe würde unweigerlich als Lösung vieler Probleme angenommen werden und nicht nur bei Sterbenden Anwendung finden. Zu unübersichtlich wäre eine Zulässigkeit der aktiven Sterbehilfe.25 5.2. Passive Sterbehilfe Unter passiver Sterbehilfe versteht man den Verzicht oder Abbruch einer Therapie bei einem sterbenden Patienten. Der Patient verstirbt an den Folgen seiner Grunderkrankung und nicht primär an den unterlassenen Maßnahmen. Die passive Sterbehilfe ist straffrei. 26 5.3. Indirekte passive Sterbehilfe Verstirbt ein Patient, bei dem der Sterbeprozess bereits eingesetzt hat, unbeabsichtigt infolge einer Symptomlinderung durch schmerzstillende Medikamente, so spricht man von indirekter passiver Sterbehilfe. Laut einem Urteil des Bundesgerichtshofes von 1996 muss die Schmerztherapie ✔ dem Willen des Patienten entsprechen ✔ ärztlich indiziert sein ✔ den Tod nur unwesentlich beschleunigen Die indirekte passive Sterbehilfe ist straffrei.27 Ethik in der Intensivpflege – K. Weßling – FWB Anästhesie u. Intensivpflege 22.06.2005 Seite 18/48 6. Therapieabbruch, Therapiebegrenzung Einige Voraussetzungen müssen vor der Therapiebegrenzung und vor dem Therapieabbruch überprüft, bzw. vorhanden sein. 1. Die durchzuführende Maßnahme muss medizinisch angezeigt sein, also einen gewissen Nutzen und ein Ziel für den Patienten haben. Dieser Nutzen muss im Resultat größer sein als der mögliche Schaden, den die Maßnahme selbst beim Patienten auslöst. 2. Das informierte Einverständnis des Patienten muss vorhanden sein, also muss der Patient die Möglichkeit bekommen, nach ausreichender Aufklärung und seinem Verständnis, sich ohne Druck von außen und freiwillig für eine Maßnahme zu entscheiden. 3. Die vom Arzt durchgeführte Maßnahme muss nach aktuellem Stand der Wissenschaft und gewissenhaft durchgeführt werden. Falls eine der ersten zwei Kriterien nicht mehr zutreffen, weil die Therapie für den Patienten keinen Nutzen mehr hat und ihm schadet, oder wenn der Patient selbst die Therapie ablehnt, sollte sie abgebrochen werden. Ethik in der Intensivpflege – K. Weßling – FWB Anästhesie u. Intensivpflege 22.06.2005 Seite 19/48 Auf den ersten Blick erscheint es eindeutig, wie in einzelnen Situationen zu entscheiden ist. Es ergeben sich jedoch erhebliche Probleme. Zuerst das Problem der Prognosestellung. Die Prognose ist immer trotz belegter Zahlen, Studien und Präzedenzfällen eine Wahrscheinlichkeitsäußerung. Jeder Mensch und der Verlauf seiner Erkrankung ist individuell. Ein weiteres Problem tritt auf, wenn der Patient nicht entscheidungsfähig ist. Liegt keine Patientenverfügung vor, muss nach dem mutmaßlichen Patientenwillen gehandelt werden, welcher sich selten eindeutig ermitteln lässt. Auf der einen Seite kann der Mediziner in einen Konflikt geraten, wenn der Patient sich einer Therapie verweigert, obwohl sie von Nutzen sein könnte. Auf der anderen Seite hat der Patient kein Recht, auf eine medizinische Therapie zu bestehen, wenn diese nutzlos für ihn ist. Rechtlich gesehen hat der Wille des Patienten Vorrang vor seinem eigenen Wohl, ethisch gesehen ebenfalls. Da sich der Erfolg einer Therapie im Vorfeld selten voraussagen lässt ist es oft ratsam, mit einer Behandlung zu beginnen, den Nutzen nach einer gewissen Behandlungszeit erneut zu prüfen, um die Therapie abzubrechen oder fortzufahren. Ethisch macht es keinen Unterschied, ob eine Therapie abgebrochen oder gar nicht erst begonnen wird! 7. Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht und Betreuungsverfügung 7.1. Patientenverfügung Die Patientenverfügung, die auch Patiententestament genannt wird, beinhaltet den Umfang medizinischer Maßnahmen, die der entscheidungsfähige Verfasser für sich und seine Behandlung festgelegt hat. Sie kann von der Ablehnung einer Therapie bis zum Wunsch einer Ethik in der Intensivpflege – K. Weßling – FWB Anästhesie u. Intensivpflege 22.06.2005 Seite 20/48 Therapie, die noch nicht zugelassen ist, reichen. Der Verfasser macht durch die Patientenverfügung seine Wünsche öffentlich. Es braucht nicht versucht zu werden, den mutmaßlichen Willen des Verfassers zu ermitteln. Die Bundesärztekammer hat 1999 eine 'Handreichung für Ärzte zum Umgang mit Patientenverfügungen' herausgegeben. Diese gilt „für die Sterbephase, nicht aufhaltbare schwere Leiden, dauernden Verlust der Kommunikationsfähigkeit, Notwendigkeit andauernder schwerwiegender Eingriffe zum Beispiel Beatmung, Dialyse, künstliche Ernährung, Organersatz“.28 Enthalten soll eine Patientenverfügung laut Bundesärztekammer Äußerungen über den Umfang, die Einleitung und die Beendigung von Maßnahmen. Dabei sollte auf bestimmte Maßnahmen wie beispielsweise Beatmung, Dialyse, künstliche Ernährung, Verabreichung von Medikamenten besonders detailliert eingegangen werden. Lehnt der Verfasser eine intensivmedizinische Versorgung ab, ändert sich das Behandlungsziel und an Stelle der Intensivmedizin tritt die palliative Begleitung ein.29 7.2. Vorsorgevollmacht In einer Vorsorgevollmacht werden ein oder mehrere Personen bevollmächtigt, anfallende Entscheidungen zu treffen und Angelegenheiten zu regeln. Diese tritt in Kraft, wenn der Verfasser aufgrund einer Erkrankung oder einer erworbenen Behinderung selbst nicht mehr in der Lage ist, seine Angelegenheiten zu regeln. Eine Vorsorgevollmacht verhindert, dass ein Betreuer gerichtlich bestellt wird. Das Vormundschaftsgericht ist jedoch bei schwerwiegenden Entscheidungen, die beispielsweise den Tod zur Folge haben könnten, involviert. Die Vorsorgevollmacht muss sich an die Gesetzestexte der §§ 1904, 1906 BGB angleichen. 30 Ethik in der Intensivpflege – K. Weßling – FWB Anästhesie u. Intensivpflege 22.06.2005 Seite 21/48 7.3. Betreuungsverfügung In einer Betreuungsverfügung kann der Betroffene, vorausgesetzt er ist volljährig, einen Betreuer vorschlagen. Eine solche Verfügung steht unter Kontrolle des Vormundschaftsgerichtes, verankert im Betreuungsrecht. Wenn nichts gegen die vorgeschlagene Person spricht und sich das Vormundschaftsgericht von der Notwendigkeit einer Betreuung überzeugt hat wird der vorgeschlagene Betreuer angenommen. 31 8. Leitlinien und Empfehlungen Verschiedene Institutionen haben Leitlinien, Empfehlungen und Grundsätze herausgegeben, die sich auf den Umgang mit Sterbenden beziehen und auf die Ärzte zurückgreifen können. Die Bundesärztekammer hat 2004 Grundsätze zur ärztlichen Sterbebegleitung herausgegeben. Pflichten bei Sterbenden ✔ Ein menschenwürdiges Sterben muß ermöglicht werden, die Grundund Basisbetreuung muß erhalten bleiben. Sterbende sind Patienten, bei denen der Tod in Kürze eintritt. Zur Basisbetreuung gehören eine menschenwürdige Unterbringung, die Körperpflege, das Lindern von eventuellen Schmerzen, sowie das Stillen von Hunger und Durst. Symptome wie Übelkeit, Atemnot und dergleichen sind zu behandeln. ✔ Der Sterbende soll palliativmedizinisch versorgt werden. D. h., den Patienten in seiner ihm verbleibenden Lebenszeit zu begleiten und ihm soviel Lebensqualität wie möglich zu bieten. Dem Patienten soll die nötige menschliche Zuwendung entgegengebracht werden. ✔ Durst und Hunger müssen gestillt werden. Dies kann auch subjektiv durch eine adäquate Mundpflege geschehen, wenn Ernährung und Flüssigkeitszufuhr eine Belastung für den Sterbenden darstellen. Ethik in der Intensivpflege – K. Weßling – FWB Anästhesie u. Intensivpflege 22.06.2005 Seite 22/48 ✔ Auf lebensverlängernde Maßnahmen darf nur mit Einverständnis des Sterbenden verzichtet werden. ✔ Sterbende sind aufzuklären, wahrheitsgemäß und situativ angepasst. ✔ Das Gespräch mit Angehörigen gehört unter Berücksichtigung des Patientenwillen zu den Pflichten des Arztes. Verhalten bei Patienten mit infauster Prognose ✔ Änderung des Therapieziels mit Einverständnis des Patienten kann nötig sein. ✔ Eine palliativmedizinische Betreuung tritt anstelle der lebensverlängernden Behandlung. ✔ Bei Zweifeln sollen Ärzte und Pflegepersonal in Konsens treten. Behandlung schwerst zerebral geschädigter Patienten ✔ Patienten haben ein Recht auf Pflege und Zuwendung. ✔ Die Dauer der Bewußtlosigkeit ist nicht maßgebend für den Verzicht einer Therapie. ✔ Ein Betreuer ist für diese Patienten notwendig. Patientenwille ✔ Dem Willen entscheidungsfähiger Patienten ist Folge zu leisten. ✔ Bei nicht entscheidungsfähigen Patienten mit einer Patientenverfügung ist dieser Folge zu leisten. ✔ Im Fall der Ablehnung einer lebenserhaltende Behandlung durch den gesetzlichen Betreuer soll der Arzt Kontakt mit dem Vormundschaftsgericht aufnehmen und bis zu dessen Entscheidung die Behandlung fortführen. ✔ Bei Patienten ohne Patientenverfügung muß der mutmaßliche Wille ermittelt werden. ✔ Angehörige und nahestehende Personen sollen bei der Ermittlung miteinbezogen werden. Ist kein mutmaßlicher Wille zu ermitteln, ist sich im Zweifel für die Lebensverlängerung zu entscheiden.32 Ethik in der Intensivpflege – K. Weßling – FWB Anästhesie u. Intensivpflege 22.06.2005 Seite 23/48 Eine weitere Leitlinie, herausgegeben von der DGAI (Deutsche Gesellschaft für Anästhesie und Intensivmedizin), beschäftigt sich mit den Grenzen der intensivmedizinischen Behandlungspflicht. Diese Leitlinie stellt eine Ergänzung zu den Grundsätzen der Bundesärztekammer dar. ✔ Primär wird von einer Entscheidung für das Leben ausgegangen, auch bei geringer Chance. ✔ Angehörige haben keine Entscheidungsbefugnis. Sie können nur Angaben zu früheren Äußerungen des Patienten machen, um den mutmaßlichen Willen zu ermitteln. ✔ Die DGAI empfiehlt bei Entscheidungen, die Leben und Tod betreffen, das Vormundschaftsgericht miteinzubeziehen. ✔ Mit dem Verzicht der medizinischen Betreuung darf weder die ärztliche noch die pflegerische Versorgung abgebrochen werden. Der Patient hat auch weiterhin ein Recht auf künstliche Ernährung und Flüssigkeit.33 9. Vorgehen bei Therapieabbruch / Therapiereduktion 9.1. Möglichkeiten zur Reduktion Eine mögliche Reduktion der Therapie kommt grundsätzlich nur bei sterbenden Patienten oder bei Patienten mit eindeutig geäußertem Willen in Frage. Wie sieht nun eine Vorgehensweise beim Abbruch einer Therapie aus? Es haben sich im Wesentlichen drei Praktiken herauskristallisiert. Eine Art der Therapiereduktion besteht im „Einfrieren“ der bisherigen Therapie. Das bedeutet, alle therapeutischen Maßnahmen werden weder erweitert noch reduziert. Die Therapie bleibt auf dem Niveau, wo sie sich befindet. Vorteile kann diese Vorgehensweise haben, wenn Angehörige oder Personen aus Entscheidung dem zu therapeutischen akzeptieren. Die Team Zeit Möglichkeit, benötigen, sich auf die den bevorstehenden Abschied vorzubereiten, kann gegeben werden. Ethik in der Intensivpflege – K. Weßling – FWB Anästhesie u. Intensivpflege 22.06.2005 Seite 24/48 Hierbei ist es jedoch wichtig, die Zeit nicht zu vergessen. Die Gefahr bei dem Einfrieren der Therapie liegt darin, dass das Sterben des Betroffenen verlängert wird und es zu einer zusätzlichen Belastung führt. Diese kann sich auf den Patienten selbst beziehen aber auch auf dessen Angehörige und auch für das Pflegepersonal.34 Eine weitere Möglichkeit aus der Praxis ist das Reduzieren von therapeutischen Maßnahmen. Dieses Reduzieren findet häufig stufenweise statt. Erst wird sich gegen eine cardiopulmonale Wiederbelebung im Falle eines Kreislaufstillstandes entschieden. Der nächste Schritt ist dann, Kreislauf unterstützende Medikamente weiter oder nicht zu die nicht erhöhen Beatmung weiter zu forcieren. Auch kann von der Gabe weiterer Blutderivate abgesehen werden. Des das Weiteren kann Abbrechen begonnener Maßnahmen hinzukommen wie beispielsweise das Beenden einer Dialysetherapie, Verzicht auf die weitere Gabe von Kreislauf unterstützenden Medikamenten sowie der Abbruch der maschinellen Beatmung. Die dritte Möglichkeit besteht darin, alle Therapiemaßnahmen ohne Ausnahmen einzustellen. 35 9.2. Rechtliche Situation Ausdrücklich sei an dieser Stelle noch einmal erwähnt, dass es keinen Unterschied macht, ob eine Therapie abgebrochen oder gar nicht erst begonnen wird. Für Ärzte und das Pflegepersonal ist es aufgrund der Unsicherheit bei der Prognosestellung schwieriger, eine Therapie zu Beginn zu unterlassen, als einen Therapieversuch abzubrechen. Ethik in der Intensivpflege – K. Weßling – FWB Anästhesie u. Intensivpflege 22.06.2005 Seite 25/48 Die Vorstellung, wenigstens versucht zu haben ein Leben zu retten ist leichter, als eine Therapie zu unterlassen mit der Frage, ob nicht doch eine Chance für den Patienten bestanden haben könnte. Ethisch gesehen ist der Grund der Entscheidung ausschlaggebend. D. h., es steht nicht die vorzeitige Beendigung des Lebens im Vordergrund, sondern die Vermeidung einer Verlängerung des Sterbens. Juristisch ist es egal, ob das Sterben lassen durch den Abbruch einer Therapie zugelassen wird, oder ob eine Therapie nicht begonnen wird. Wenn eine medizinische Maßnahme nicht den Zweck erfüllt, den Zustand eines Patienten zu verbessern ist es irrelevant, in welcher Art und Weise diese unterlassen wird.36 Zwei Urteile des Bundesgerichthofes liegen dazu vor. Eins von 1991, welches besagt, die Unterlassung beziehungsweise der Abbruch einer lebensverlängernden Maßnahme sei bei sterbenden Patienten zulässig, vorausgesetzt, dies ist der (mutmaßliche) Wille des Betroffenen. Eine Ausreizung der medizinischen Möglichkeiten entgegengesetzt des Patientenwillens ist rechtswidrig. 37 Ein weiteres Urteil von 1994 gibt die Erlaubnis zur passiven Sterbehilfe bei Menschen, die sich nicht im Sterbeprozess befinden wie zum Beispiel bei Komapatienten. Auch hier sei der mutmaßliche Wille ausschlaggebend. Das kann eine Einstellung der Flüssigkeitszufuhr oder künstlichen Ernährung rechtfertigen. 38 Hier hatte das Gericht die Verurteilung eines Sohnes und Arztes aufgehoben, die die Ernährung bei einer Frau eingestellt hatten, deren mutmaßlicher Wille bekannt war. 9.3. Grundsätze der bettseitigen Entscheidungsfindung Wichtig bei der Entscheidung ist individuell zu urteilen. Eine Regel oder strenge Vorgehensweise ist nicht möglich und angezeigt, da jeder Mensch mit seinem Krankheitsverlauf und seiner Einstellung zum Leben anders ist. „ Bettseitige Regeln für die Festlegung des Therapieausmaßes beim nicht entscheidungsfähigen Patienten (Vgl. hierzu auch (Pellegrino 1987). Ethik in der Intensivpflege – K. Weßling – FWB Anästhesie u. Intensivpflege 22.06.2005 Seite 26/48 ü Versuche, den mutmaßlichen Willen des Patienten zu ermitteln. ü Lasse die Entscheidung heranreifen; triff sie nicht übereilt, nicht plötzlich, nicht früh. ü Lasse bei niemandem Zweifel aufkommen, dass die Entscheidung sorgfältig, nach bestem Wissen und Gewissen gefällt wurde. ü Strebe einen Konsens unter allen Beteiligten, Mitbehandelnden, Pflegenden und Angehörigen an. ü Gib Angehörigen nicht das Gefühl, sie hätten eine Therapiereduktion zu verantworten; sie könnten später unter der Vorstellung, vielleicht eine falsche Entscheidung getroffen zu haben, leiden. ü Dokumentiere die Entscheidung und ihre Umstände in der Krankenakte. ü Therapieeinschränkung bedeutet nicht Vernachlässigung. Menschliche Zuwendung und Linderung von Schmerz und Qualen sind ärztliche Pflichten bis zum Tod eines Patienten.“39 9.4. Flüssigkeitssubstitution im Finalstadium? Sterbende können einen würdevollen und schmerzfreien Tod erleben. Zahlreiche Berichte von Angehörigen und von Mitarbeitern aus dem Bereich der Palliativmedizin belegen dies. Wichtig ist es, nicht mehr die Grunderkrankung zu behandeln, sondern deren Symptome. Die primäre Symptombehandlung bringt dann dem Betroffenen die nötige Linderung. Bei der Frage, ob die Flüssigkeitszufuhr bei einem sterbenden Patienten einzustellen ist, wird kontrovers diskutiert. Die Vorstellung, ein Patient könne Durst erleiden, ruft bei vielen ein schlechtes Gefühl hervor. Bislang gibt es jedoch Ethik in der Intensivpflege – K. Weßling – FWB Anästhesie u. Intensivpflege 22.06.2005 Seite 27/48 keinen Nachweis dafür, das Durstgefühl bei Sterbenden zu lindern, indem Flüssigkeit zugeführt wird. Laut Literatur sei lediglich eine trockene Mundschleimhaut Auslöser für ein Durstgefühl bei Sterbenden, dem kann eine angemessene Mundpflege entgegenwirken. 40 Argumente für eine Flüssigkeitszufuhr im Finalstadium wären die Vermeidung von Elektrolytverschiebungen, Unruhezustände und mögliche Muskelkrämpfe. Beweise, das Sterben zu verlängern durch die Zufuhr von Flüssigkeit gibt es nicht. Gegen eine Flüssigkeitszufuhr spricht die bereits erwähnte Tatsache, dass ein Durstgefühl bei ausreichender Mundpflege selten im Finalstadium auftritt. Ebenso wenig gibt es einen Nachweis dafür, dass eine Flüssigkeitssubstitution das Leben verkürzt oder Leiden zufügt. Es können sich Ödeme bilden und nicht zuletzt auch ein Lungenödem. Bei der Frage, ob Flüssigkeit gegeben werden soll oder nicht, stehen der Wille des Patienten und dessen Symptome im Vordergrund. 41 Etwas leichter fällt die Entscheidung, in dem Finalstadium die künstliche Ernährung einzustellen. Häufig kann diese nachvollziehbar eine Belastung für den Sterbenden darstellen. Zudem wird bei einem Patienten, der sich im Sterben befindet, der Tod durch die Folgen seiner Grunderkrankung früher eintreten, als der mögliche Tod durch Verhungern. 10. Hilfestellung bei der Entscheidungsfindung für Pflegende Wie bereits im Abschnitt Ethiktheorien erwähnt, liegt die christlichhumanistische Ethik unserem Kulturkreis zugrunde. Daraus ergeben sich bestimmte Werte, die für jeden einzelnen ähnlich wichtig sind: ✔ Respekt vor dem Anderen ✔ Respekt vor der Natur ✔ Respekt vor dem Leben ✔ Liebe im Sinne von Nächstenliebe Ethik in der Intensivpflege – K. Weßling – FWB Anästhesie u. Intensivpflege 22.06.2005 Seite 28/48 ✔ Toleranz für andere Lebensweisen ✔ Ehrlichkeit sich selbst und Anderen gegenüber ✔ Vertrauen in das Leben ✔ Freiheit, seinen Willen zu äußern und entsprechend zu handeln Es ist möglich, die ethische Entscheidungsfindung in drei Phasen einzuteilen.42 10.1. Wahrnehmungs- und Empathiephase ✔ Schilderung des Falles ✔ Benennung der eigenen emotionalen Betroffenheit ✔ Zu Wort kommen lassen des Betroffenen ✔ Klärung von Verständnisfragen ✔ Aufzählung von Ungeklärtem43 10.2. Werteanamnesephase ✔ Herausarbeitung ethischer Fragen ✔ Sammlung von Werten und Einbeziehung relevanter ethischer Prinzipien, Berücksichtigung von Folgen ✔ Sichtung von Tatsachen und Trennung von Werten44 10.3. Gewichtungs- und Entscheidungsphase ✔ Gewichtung des Konfliktes ✔ Durchführung der Güterabwägung ✔ Erstellung eines Votums ✔ Rückmeldung des weiteren Verlaufs und gegebenenfalls Überprüfung45 Ethik in der Intensivpflege – K. Weßling – FWB Anästhesie u. Intensivpflege 22.06.2005 Seite 29/48 10.4. Fallbeispiel „Das Heinz - Dilemma“ „Heinz ist arm. Seine Frau ist krank. Das Medikament, das eine Heilungschance von 10% verspricht, ist für Heinz unbezahlbar. Der Apotheker gibt es nicht ab. Folgende ethische Fragen sollen beantwortet werden: A) Darf Heinz stehlen? B) Darf Heinz gegen den Willen seiner Frau stehlen? C) Darf Heinz das gestohlene Medikament gegen den Willen seiner Frau verabreichen? D) Darf Heinz das gestohlenen Medikament gegen den Willen seiner Frau verabreichen, wenn er weiß, sie überlebt und ist dankbar“.46 Zu A) Darf Heinz stehlen? Wie würde man selbst anstelle von Heinz handeln? Wenn der eigene Partner erkrankt ist und die einzige winzige Möglichkeit darin besteht durch Stehlen das Leben zu retten, würden viele das auch tun. Auch wenn dies eine Gesetzesüberschreitung bedeutet. Werte ✔ das Leben der Frau ✔ die Liebe von Heinz zu seiner Frau ✔ das Gesetz (in diesem Fall das Eigentum des Apothekers) Konflikt ✔ Leben der Frau versus Gesetz beziehungsweise Eigentum des Apothekers Votum Heinz darf stehlen, denn das Leben der Frau hat einen höheren Wert als das Gesetz. Auch die Rechtsprechung würde so entscheiden, da es um das Überleben geht. Ethik in der Intensivpflege – K. Weßling – FWB Anästhesie u. Intensivpflege 22.06.2005 Seite 30/48 Zu B) Darf Heinz gegen den Willen seiner Frau stehlen? Wenn der eigene Partner nicht möchte, dass gestohlen wird, so kann er dies auch mitteilen. Es ist dann die eigene Entscheidung, ob man sich von der Meinung seines Partners beeinflussen lässt oder nicht. Auch hier würden sich die meisten dazu entscheiden zu stehlen, wenn das die einzige Möglichkeit wäre, das Leben seines Partners zu retten. Werte ✔ Freiheit von Heinz sich zu entscheiden ✔ Leben der Frau ✔ Wille der Frau ✔ Gesetz / Eigentum. Konflikt ✔ Gesetz/ Eigentum versus Leben der Frau ✔ Leben der Frau versus Willen der Frau Votum Heinz darf gegen den Willen seiner Frau stehlen, da er ihr keinen direkten Schaden durch die Tat zufügt. Das Leben der Frau hat wieder einen höheren Wert als das Eigentum. Zu C) Darf Heinz das gestohlene Medikament gegen den Willen seiner Frau verabreichen? Anstelle von Heinz würde man sicher nach einiger Diskussion mit seinem Partner und auch wahrscheinlich einem Streit darauf verzichten, das Medikament gegen den Willen seines Partners zu verabreichen. Werte ✔ Leben der Frau ✔ Entscheidungsfreiheit der Frau ✔ Liebe von Heinz zu seiner Frau Konflikt ✔ Leben der Frau versus Entscheidungsfreiheit der Frau Ethik in der Intensivpflege – K. Weßling – FWB Anästhesie u. Intensivpflege 22.06.2005 Seite 31/48 Votum Heinz darf das Medikament nicht gegen den Willen seiner Frau verabreichen, da er ihr damit das Selbstbestimmungsrecht, was in den Grundrechten der Menschen verankert ist, absprechen, beziehungsweise verletzen würde. Zu D) Darf Heinz das gestohlene Medikament gegen den Willen seiner Frau verabreichen, wenn er weiß, sie überlebt und ist dankbar? Diese ethische Frage ist besonders schwierig, da Heinz nun auch noch das Wissen besitzt, seine Frau wird gesund und ist ihm auch noch im Nachhinein dankbar dafür. Wie man selbst hier entscheiden würde ist ebenfalls schwierig. Der eigene Partner überlebt, obwohl man das Medikament gegen seinen Willen verabreicht hat und wäre auch noch dankbar dafür. Nach langer Überlegung kommt man wahrscheinlich zu dem Entschluss, das Medikament zu verabreichen. Aus Liebe zu seinem Partner und dessen Leben. Werte ✔ Das Leben der Frau ✔ Entscheidungsfreiheit der Frau ✔ Liebe von Heinz zu seiner Frau Konflikt ✔ Leben der Frau versus Entscheidungsfreiheit der Frau Votum Heinz darf auch in diesem besonderen Fall das Medikament nicht gegen den Willen seiner Frau verabreichen. Selbst mit dem Wissen ihres Überlebens und ihrer Dankbarkeit. Es ist und bleibt jedoch ihr Wille und ihre freie Entscheidung, über ihr eigenes Leben zu entscheiden.47 Ethik in der Intensivpflege – K. Weßling – FWB Anästhesie u. Intensivpflege 22.06.2005 Seite 32/48 Fazit Das Heinz- Dilemma ist ein fiktives Beispiel, dass so in der Praxis sicher nicht vorkommen wird. Es wird für Heinz andere Mittel und Möglichkeiten geben, an das Medikament zu gelangen- auf legale Weise. Auch ist hier zu vermeiden, weiter zu denken indem man sich fragt, woher soll Heinz denn wissen, ob seine Frau überlebt und dankbar ist? Dieses Beispiel dient der Verdeutlichung, wie zu einer ethischen Entscheidung gelangt werden kann. Die Fragestellungen müssen daher einzeln betrachtet werden. 11. Pflege und Ethik Um zu ethischen Entscheidungen zu gelangen gibt es keinen festen Rahmen, an den man sich halten kann. Keinen Algorhythmus. Vielmehr findet eine Werteabwägung statt um das eigene Handeln zu reflektieren, überprüfen und daraus Konsequenzen abzusehen und dementsprechend zu handeln. Der Anspruch an die Pflege in bezug auf fachliche, menschliche und ethische Kompetenz nimmt stetig zu. Professionalität im Sinne einer Ethik in der Intensivpflege – K. Weßling – FWB Anästhesie u. Intensivpflege 22.06.2005 Seite 33/48 Pflegeethik bedeutet, Entscheidungen treffen zu können. Dies wird immer schwieriger, da die Gesellschaft Gefahr läuft, einen Wertewandel zu vollziehen. So stehen manchmal schon nicht mehr die christlichhumanistischen Aspekte der Nächstenliebe und der Respekt anderen Menschen gegenüber im Vordergrund, sondern die Nützlichkeitsethik nimmt einen immer größeren Stellenwert ein. So besteht die Gefahr, daß „Schwächere“ und nicht mehr leistungsfähige Menschen abgeschoben werden, da sie unnütz für die Gesellschaft sind. Sie hätten keinen Nutzen mehr. Dies führt dazu, daß Menschen aufgrund der Nützlichkeit des Betroffenen über Leben und Tod entscheiden. Was wäre mit dann mit sozialschwachen Menschen und Menschen mit Behinderungen? Pflegende treffen nicht selten Entscheidungen intuitiv. Oft fallen Sätze wie „Das schafft der doch sowieso nicht“ oder „Wie schrecklich, so eine Quälerei“. Solche Sätze sind jedoch nicht gerade hilfreich. Vielmehr muß begründet werden können und reflektiert werden. Probleme bei einer ethischen Kompetenzentwicklung können hierarchische Strukturen hervorrufen. Gerade im medizinischen Bereich kann dies ausgeprägt sein. Professionalisierung heißt auch, sein eigenes Handeln vor anderen zu verantworten. Dazu gehört die Fähigkeit, Situationen zu erfassen, die Problembestimmung über die Entscheidung zwischen alternativen Handlungsmöglichkeiten, ihrer Durchführung und die Beurteilung des Resultats. So müssten Werte wie Selbständigkeit, Selbstbestimmungsrecht und Wohlbefinden mit in den Pflegeprozeß integriert werden. Mit den Werten könnte dann genau wie bei einer Dekubitusprophylaxe beispielsweise ein Pflegeziel benannt werden, daraus die resultierenden Pflegemaßnahmen mit anschließender Durchführung und Reflektion. Dadurch wäre die Pflege in der Lage, sich auch ethisch für die notwendigen Interventionen einzusetzen. Die ethische Kompetenz kann als Qualifikation angesehen werden und sollte deshalb gefördert und entwickelt werden. Ethik in der Intensivpflege – K. Weßling – FWB Anästhesie u. Intensivpflege 22.06.2005 Seite 34/48 Sich immer wieder neu mit den Normen und Regeln zu beschäftigen ist zeitaufwendig. Eine hierarchiefreie Struktur wäre wünschenswert, ein multiprofessionelles Team, in dem eine offene Kommunikation möglich ist , vielleicht auch mit Hilfe eines Supervisors als Moderator des Teams.48 12. Klinisches Ethik- Komitee Ein Ethik- Komitee in einem Krankenhaus hat zur Aufgabe, Möglichkeiten zu schaffen, über ethische Probleme und Konflikte nachzudenken. Es sollen offene und freie Gespräche geführt werden können. Einzelsituationen sollen mit Beteiligung verschiedener Berufsgruppen begutachtet und besprochen werden. Der Vorsitzende eines Ethik- Komitees sollte unter anderem über eine fachliche Kompetenz im Bereich Ethik verfügen sowie in der Lage sein, eine professionelle Moderation durchzuführen. Ebenso muß er für Fragen der Pflege, Medizin und Ökonomie offen sein. Die Hauptaufgabe eines Ethik- Komitees besteht darin, Menschen in ethischen Krisensituationen zu unterstützen und ihnen beratend zur Seite zu stehen. Ebenso wie ein Verein eine Satzung hat, sollte ein EthikKomitee eine Geschäftsordnung Krankenhausverband Deutschland besitzen. e.V. Vom und dem katholischen Deutschen Evangelischem Krankenhausverband e.V. wird folgendes empfohlen: ✔ „Jeder betroffene Mitarbeiter und Patient des Hauses kann sein ethisches Problem vorbringen, um sich für seine eigene Entscheidung eine Gewichtung der Argumente und Gegenargumente in Form eines Votums als Orientierungshilfe einzuholen. ✔ Der Vorsitzende des Komitees entscheidet, ob über vorgebrachte Probleme verhandelt wird. ✔ Soll über ein Problem verhandelt werden, so wird es anschaulich geschildert und die ethischen Gesichtspunkte werden eindeutig in Form von medizinisch, pflegerisch und ökonomisch verantwortbaren Alternativen formuliert. ✔ Nach Klärungsfragen werden in Abwesenheit des Antragstellers in einer ersten Gesprächsrunde Argumente und Gegenargumente für Ethik in der Intensivpflege – K. Weßling – FWB Anästhesie u. Intensivpflege 22.06.2005 Seite 35/48 mögliche Antworten gesammelt. ✔ Dann folgt die Wertung der Argumente auf dem Hintergrund der jeweiligen ethischen Position der Mitglieder des Komitees. Dabei bemüht das klinische Ethik- Komitee sich um einen Konsens. ✔ Der Vorsitzende formuliert anschließend einen Vorschlag für ein gemeinsames Votum an den Antragsteller. Findet kein Vorschlag eine einheitliche Zustimmung, schlägt er eine Abstimmung vor. Dabei bedarf das Votum des Komitees 2/3 Mehrheit seiner Mitglieder. ✔ Die Minderheit kann ein Votum abgeben und begründen. ✔ Die Voten des klinischen Ethik- Komitees werden in kurzer schriftlicher Form festgehalten. Der Vorsitzende unterrichtet den Antragsteller über das Ergebnis und erläutert die Voten. ✔ Der Träger (oder das satzungsmäßige Organ) wird über die Voten informiert. Die Voten des Komitees sollen in geeigneter Weise in den Einrichtungen bekannt gemacht werden, damit jeder an der ethischen Bewußtseinsbildung seines Krankenhauses teilhaben kann. ✔ Gleiches gilt für einen jährlich abzulegenden Rechenschaftsbericht. ✔ Alle Daten sind anonymisiert bekannt zu machen. Die Schweigepflicht und die Vorschriften des geltenden (staatlichen und kirchlichen) Datenschutzes sind dabei zu beachten.“49 Wie setzt sich ein Ethik- Komitee zusammen? Der Träger benennt für diese Aufgabe bis zu 12 Männer und Frauen. Die Berufsgruppen sollen gleich stark vertreten sein. Tätig sind die Mitglieder eines Ethik- Komitees vor allem im pflegerischen und ärztlichen Bereich, in der Verwaltung sowie im Sozialdienst. Zusätzlich soll das Komitee aus Mitgliedern bestehen, die von Außen kommen, ein Jurist oder ein Seelsorger beispielsweise. Die Mitgliedschaft in einem Ethik- Komitee soll zeitlich begrenzt sein. Die Voten, die ein Klinik- Komitee vorschlägt, sind nicht verpflichtend für den Antragsteller. Der Vorsitzende des Komitees trägt die Voten vor. Das Komitee soll keinen Druck ausüben oder eine Machtposition erlangen. Wenn die Voten befolgt werden, soll dies auf freiwilliger Basis geschehen.50 Ethik in der Intensivpflege – K. Weßling – FWB Anästhesie u. Intensivpflege 22.06.2005 Seite 36/48 13. Schlußwort Während der Zeit, in der ich mich mit dem Thema Ethik, Therapieabbruch und Therapiereduktion auseinandergesetzt habe, bin ich zu der Meinung gelangt, dass in diesem Bereich noch viel getan werden muß. Ethik benötigt einen festen Platz im Krankenhaus und in Pflegeeinrichtungen. Es ist notwendig, sich stets von Neuem bewusst zu werden, wie jeder einzelne von uns handelt und aus welchem Grund das geschieht. Mit einer Ethik- Komission bekommen nicht nur Mitarbeiter die Möglichkeit um Rat bei ethischen Fragestellungen zu bitten, auch Patienten und Angehörige können diese Kommission aufsuchen, um eine unparteiliche Beratung in Anspruch zu nehmen und die Meinung Außenstehender einzuholen. Gerade in Bezug auf die Unparteilichkeit habe ich einen anderen Blickwinkel erhalten, zudem habe ich durch die Auseinandersetzung mit der Thematik gelernt, Situationen, die mir in meinem Beruf begegnen, nicht vorschnell zu beurteilen. Sich Zeit zu nehmen für ein Urteil, das normalerweise intuitiv schnell vorhanden ist, gehört auch zur Arbeitsweise eines Ethik- Komitees. Um alle Sichtweisen und Konsequenzen einer Handlung zu beurteilen, ist Ethik in der Intensivpflege – K. Weßling – FWB Anästhesie u. Intensivpflege 22.06.2005 Seite 37/48 Zeit notwendig . Sehr wichtig für mich war die Erkenntnis, dass niemand in der Lage ist, die Lebenssituation eines anderen Menschen als lebenswert oder nicht lebenswert zu beurteilen. Wer möchte denn darüber entscheiden, ob ein Mensch im Wachkoma nichts von seiner Umwelt wahrnimmt? Ist das auch wirklich so? Oder nimmt der Mensch auf seine eigene Weise am Leben teil und fühlt sich wohl? Zu einer Verbesserung der Qualität in pflegerischen Einrichtungen könnte eine Ethik- Komission beitragen. Es wäre möglich, Patienten und Angehörige mit Hilfe einer Broschüre über die Arbeit einer EthikKomission zu informieren, ihnen die Sicherheit zu geben, dass noch andere Menschen helfen und einen Rat erteilen können, als das behandelnde Team. Viele Konfliktsituationen Kommunikation der sind begründet einzelnen auf einer Berufsgruppen mangelnden innerhalb des Gesundheitssystems. Herrschende hierarchische Strukturen können ein Hinderungsgrund sein für eine Entscheidungsfindung, die allen, besonders den Patienten, gerecht wird. Das Pflegepersonal erträgt den Anblick des leidenden Patienten oft nicht und der Mediziner könnte das Gefühl haben versagt zu haben, wenn sich eine Therapie nicht mehr nach Genesung richten soll, sondern nach einer Begleitung eines sterbenden Menschen. Ethik darf keine Entscheidung aus dem Bauch heraus sein, sondern muß ein analytischer Prozess sein, der über Struktur verfügt und in dem eine professionelle Werteabwägung stattfindet. 14. Anhang 14.1. Fallbeispiel „Frau E.“ Ein weiters Fallbeispiel, was sich zugetragen hat, medienpräsent war und zu dem es ein gerichtliches Urteil gegeben hat ist das der Frau E. „Frau E. ist 70 Jahre alt und lebt seit März 1990 in einem Pflegeheim. Als gesetzlicher Betreuer ist ihr Sohn bestellt worden. Er hat den Wirkungskreis der Aufenthaltsbestimmung, der Zuführung zur ärztlichen Ethik in der Intensivpflege – K. Weßling – FWB Anästhesie u. Intensivpflege 22.06.2005 Seite 38/48 Behandlung und der Vermögensverwaltung. Frau E. leidet an einem ausgeprägten hirnorganischen Psychosyndrom im Rahmen einer präsenilen Demenz mit Verdacht auf AlzheimerKrankheit. Im September 1990 kam es zu einem Herzstillstand mit anschließender Reanimation. Danach ist Frau E. irreversibel cerebral schwerst geschädigt. Aufgrund einer Schluckunfähigkeit wurde sie künstlich ernährt. Zunächst über eine nasogastrale Ernährungssonde dann über eine 1992 angelegte PEG- Sonde. Seit Ende 1990 war Frau E. nicht mehr ansprechbar, geh- und stehunfähig, reagierte auf optische, akustische Signale sowie auf Druckreize lediglich mit Gesichtszuckungen oder Knurren. Frau E. entwickelt trotz Krankengymnastik Kontrakturen. Ihr Arzt Dr. T. behandelte sie seit Oktober 1990. Er sah seine Patientin wöchentlich und behandelt leichtere Erkrankungen mit Salben und Schmerzmitteln. Anfang 1993 wendet sich Dr. T an den Sohn der Patientin, schlug ihm vor, aufgrund der nicht zu erwartenden Verbesserung des Zustandes die künstliche Ernährung einzustellen. Dadurch würde der Tod innerhalb von zwei bis drei Wochen eintreten, ohne dass seine Mutter leiden müsse, so der behandelnde Arzt. Auf entsprechende Fragen des Sohnes erklärte Dr. T. ihm, dieses Vorgehen sei rechtlich abgesichert. Der Sohn von Frau E. vertraute auf diese Erklärung und holte keinen weiteren Rechtsrat ein. Er beriet sich mit Freunden und Verwandten und willigte Anfang März 1993 ein, die künstliche Ernährung einzustellen. Eine Äußerung seiner Mutter vor acht bis zehn Jahren im Rahmen einer Fernsehsendung über einen Pflegefall mit Gliedversteifung und Wundliegen so nicht enden zu wollen, half dem Sohn bei seiner Entscheidung. Daraufhin schrieb Dr. T. ohne Rücksprache mit dem Pflegepersonal folgende Eintragung in das Verordnungsblatt: „Im Einvernehmen mit Dr. T. möchte ich, dass meine Mutter nur noch mit Tee ernährt wird, sobald die vorhandene Flaschennahrung zu Ende ist oder ab 15. 03. 1993.“ Die Eintragung wurde von Dr. T. und dem Sohn unterschrieben“.51 Auch anhand dieses Beispiels kann eine ethische Entscheidung gefunden Ethik in der Intensivpflege – K. Weßling – FWB Anästhesie u. Intensivpflege 22.06.2005 Seite 39/48 werden. Genau wie bei dem Heinz- Dilemma kann die Findungsphase stattfinden. Es ist verständlich, dass es für den Sohn schwer sein muss, seine Mutter so zu sehen. Es ist für ihn und auch für viele andere in seiner Situation unvorstellbar, dass das Leben, welches seine Mutter führen muss, wirklich lebenswert ist. Er hat einfach nur den Wunsch, dass seine Mutter nicht leidet. Werte ✔ Leben der Mutter ✔ Wille der Mutter ✔ Liebe des Sohnes zu seiner Mutter ✔ Wille des Sohnes Konflikt ✔ Leben der Mutter versus Wille des Sohnes Votum Die Ernährung darf nicht eingestellt werden, da es keine Veränderung beziehungsweise Verschlechterung des Gesundheitszustandes seiner Mutter gegeben hat. Ein eindeutig mutmaßlicher Wille ist auch aufgrund der vor langer Zeit getätigten Aussage der Mutter nicht feststellbar. Diese Äußerung wurde aufgrund einer Fernsehsendung getroffen. Die Pflegenden der Station hatten sich nach der Anordnung des Arztes, die Ernährung einzustellen, an das Vormundschaftsgericht gewandt. Dieses ordnete eine Weiterführung der Ernährung bis zu einem Urteil an. Auch das gerichtliche Urteil im Fall E. besagt, der Wille sei nicht eindeutig feststellbar, an der Grunderkrankung hat sich nichts geändert und deshalb darf die Ernährung nicht eingestellt werden. Ethik in der Intensivpflege – K. Weßling – FWB Anästhesie u. Intensivpflege 22.06.2005 Seite 40/48 14.2. Ethische Grundregeln für die Krankenpflege 14.2.1. Ethische Grundregeln für die Krankenpflege (ICN) Der ICN, der Weltbund der Krankenschwestern und Krankenpfleger hat 1973 Ethische Grundregeln für die Krankenpflege herausgegeben: „Die Krankenschwester (entsprechend auch Krankenpfleger im folgenden Text) hat vier grundlegende Aufgaben: Gesundheit zu fördern, Krankheit zu verhüten, Gesundheit wieder herzustellen, Leiden zu lindern. Der Bedarf an Pflege besteht weltweit. Zur Pflege gehört die Achtung vor dem Leben, vor der Würde und den Grungrechten des Menschen. Sie wird ohne Rücksicht auf die Nationalität, die Rasse, den Glauben, die Hautfarbe, das Alter, das Geschlecht, die politische Einstellung oder den sozialen Rang ausgeübt. Die Krankenschwester übt ihre berufliche Tätigkeit zum Wohle des einzelnen, der Familie und der Gemeinschaft aus; sie koordiniert ihre Dienstleistungen mit jenen verwandter Berufsgruppen. Die Krankenschwester und der einzelne Die vordringlichste Verantwortung der Krankenschwester gilt dem pflegebedürftigen Menschen. Die Krankenschwester sorgt bei ihrer Tätigkeit dafür, daß die Wertvorstellungen, die Sitten und Gewohnheiten sowie der Glaube des einzelnen respektiert werden. Die Krankenschwester betrachtet jede persönliche Information als vertraulich und leitet sie mit Überlegung weiter. Die Krankenschwester und die Berufsausübung Die Krankenschwester ist für die Ausübung der Pflege sowie für ihre fortlaufende Weiterbildung persönlich verantwortlich. Die Krankenschwester hält die Pflege auf dem höchsten Stand, der in einer gegebenen Situation möglich ist. Die Krankenschwester beurteilt die Fähigkeiten der Personen, von denen sie Verantwortung übernimmt oder an die sie Verantwortung weitergibt. Ethik in der Intensivpflege – K. Weßling – FWB Anästhesie u. Intensivpflege 22.06.2005 Seite 41/48 Die Krankenschwester sollte in ihrem beruflichen Handeln jederzeit auf ein persönliches Verhalten achten, das dem Ansehen des Berufes dient. Die Krankenschwester und die Gesellschaft Die Krankenschwester teilt mit anderen die Verantwortung dafür, daß Maßnahmen zugunsten der gesundheitlichen und sozialen Bedürfnisse der Bevölkerung ergriffen und unterstützt werden. Die Krankenschwester und ihre Mitarbeiter Die Krankenschwester sorgt für eine gute Zusammenarbeit mit den Mitarbeitern auf pflegerischen und anderen Gebieten. Die Krankenschwester greift zum Schutz des Patienten ein, wenn sein Wohl durch einen Mitarbeiter oder eine andere Person gefährdet ist. Die Krankenschwester und der Beruf Die Krankenschwester ist maßgeblich daran beteiligt, wünschenwerte Richlinien für die Berufsausübung und Berufsausbildung festzulegen und zu verwirklichen. Die Krankenschwester wirkt aktiv mit, ein Fundament an beruflichem Wissen aufzubauen. Durch ihren Berufsverband setzt sich die Krankenschwester ein für die Schaffung und Erhaltung gerechter sozialer und wirtschaftlicher Arbeitsbedingungen in der Krankenpflege.“52 14.2.2. Ethische Regeln für Intensivpflegende Die DGF, Deutsche Gesellschaft für Fachkrankenpflege e.V. hat Ethische Regeln für Intensivpflegende verfasst, einen Ethik- Kodex. „Diese ethischen Regeln sollen Intensivpflegenden die Grundlage für moralisches Handeln in der Intensivpflege bieten, das berufliche Selbstverständnis der Intensivpflegenden darstellen, sowie die Autonomie der Intensivpflege untermauern. Darüber hinaus sollen diese ethischen Regeln ein Baustein auf dem Weg zur Professionalisierung sein. Ethik in der Intensivpflege – K. Weßling – FWB Anästhesie u. Intensivpflege 22.06.2005 Seite 42/48 Professionen sind Berufe, die sich der Bearbeitung individuell und gesellschaftlich bedeutsamer Probleme widmen oder zur Erhaltung zentraler Werte beitragen. Neben qualifizierten Dienstleistungen, exklusivem Fachwissen, fachlicher Autonomie und geregeltem Zugang zum Beruf, sind berufsethische Standards Merkmale, die Professionen ausmachen. In der Intensivpflege haben wir es mit kritisch Kranken zu tun, die ganz besonders schutzbedürftig und verletzlich sind. Sie sind nicht nur von organunterstützenden Geräten abhängig sondern von unserem pflegerischen und moralischen Handeln. Aufgrund der Schwere ihrer Erkrankung können Intensivpatienten meist ihre Bedürfnisse, Ängste und Sorgen nicht ausdrücken. Die Intensivpflegenden haben ein herausragende Rolle in der Intensivmedizin. Sie sind rund um die Uhr bei den Patienten und kennen deren Stärken und Schwächen. Sie pflegen und sorgen für Kranke und sind hierbei die Advokaten der kritisch Kranken und deren Angehörigen. Intensivpflegende haben nicht nur das Recht sondern auch die Pflicht diese Funktion in der täglichen Praxis auszuüben.“53 „Die elementare Bereitstellung Verantwortung optimaler Pflege der Intensivpflegenden für die Patienten ist auf die einer Intensivüberwachungsstation oder einer Intensivbehandlungsstation. Die Pflege kann von einer intensiven Kurzzeitpflege in eine langdauernde Behandlungspflege übergehen, die die ständige Unterstützung aller Lebensaktivitäten und rehabilitative Maßnahmen beinhaltet. Dabei werden Menschen in ihrer Ganzheit aus physischen, psychischen und spirituellen Bedürfnissen sowie in ihren sozialen und kulturellen Bezügen lebend betrachtet. Sie erfahren Respekt, Zuwendung und Anteilnahme, unabhängig vom Alter, Geschlecht, nationaler oder sozialer Herkunft, Hautfarbe, Religion oder politischer Anschauung. Zweck eines ethischen Kodex für Intensivpflegende ist es, deren Selbstverständnis für berufliche Verantwortung und die darauf basierende Glaubwürdigkeit in der Gesellschaft anzuerkennen. Die Deutsche Gesellschaft für Fachkrankenpflege e.V. hat sich bei dem Kodex an den abgeleiteten Prinzipien des Philosophen Immanuel Kant: Respektiere Autonomie, Sage die Wahrheit, Achte auf Gerechtigkeit, Sei hilfsbereit zu Menschen, Schade keinem Menschen, orientiert. Ethik in der Intensivpflege – K. Weßling – FWB Anästhesie u. Intensivpflege 22.06.2005 Seite 43/48 1. Intensivpflege und die Bevölkerung ✔ Die/ der Intensivpflegende ist primär den Menschen gegenüber verantwortlich, die Intensivpflege benötigen. Bei der Ausführung der Pflege fördert sie/ er eine Umgebung, in der Wertvorstellungen, Gewohnheiten und Glauben des einzelnen berücksichtigt werden. ✔ Die/ der Intensivpflegende erkennt das Recht der Patienten auf Selbständigkeit, Selbstbestimmung und Selbstfürsorge sowie deren individuellen Bedürfnisse an und begegnet ihnen mit Anteilnahme, Offenheit und Ernsthaftigkeit. ✔ Die/ der Intensivpflegende verteidigt das Recht der Patienten auf Privatsphäre, u.a. durch den Schutz vertraulicher Daten gegenüber Personen, die diese Infomationen nicht zur Behandlung benötigen, es sei denn, daß eine gerichtliche Anordnung dies erforderlich macht. ✔ Die/ der Intensivpflegende erhält die persönliche Integrität des Patienten aufrecht, achtet auf die Einhaltung der Würde des Menschen, beschützt Patienten vor unethischen oder illegalen Handlungen und ist bestrebt, diese berufliche Freiheit in der Praxis zu etablieren. ✔ Die/ der Intensivpflegende vermeidet jeden Mißbrauch durch die besondere Beziehung zu Patienten und des Zugangs zu deren Eigentum und verweigert jedes angebotene Geschenk, welches als Beeinflussung zu bevorzugter Behandlung interpretiert werden könnte. 2. Der Intensivpflegende und die Praxis ✔ Die/ der Intensivpflegende versorgt ihren/ seinen Dienst mit Respekt vor der menschlichen Würde und der Einzigartigkeit der Patienten, ohne von deren sozialen oder ökonomischen Status, persönlichen Eigenschaften oder des Wesens der Gesundheitsprobleme beeinflußt zu sein. ✔ Die/ der Intensivpflegende zeigt einen kontinuierlich hohen Grad an Kompetenz. Kompetenz ist eine Mischung aus individuellem, professionellem Wissen, Urteilsvermögen, Wertvorstellungen und technischen sowie zwischenmenschlichen Fähigkeiten. ✔ Die/ der Intensivpflegende ist verpflichtet und verantwortlich für individuelle, professionelle Urteile und Handlungen, sie/ er ist der Ethik in der Intensivpflege – K. Weßling – FWB Anästhesie u. Intensivpflege 22.06.2005 Seite 44/48 Advokat für die Rechte der Patienten. Sie/ er achtet auf die Einhaltung ethischer Prinzipien hinsichtlich Pflege, Diagnostik, Behandlung und Forschung. ✔ Die/ der Intensivpflegende erkennt Grenzen ihrer/ seiner Kompetenz und weist in solchen Situationen die Übernahme von Tätigkeiten zurück, solange sie/ er nicht eingewiesen und als kompetent beurteilt worden ist, um den Patienten vor Schaden zu schützen. ✔ Die/ der Intensivpflegende informiert die zuständige Person oder Institution über jede Situation, in welcher der Patient durch die Umgebung der Intensivpflege oder inadäquate Ressourcen gefährdet ist, oder die gegen die Sicherheitsstandards sprechen. 3. Intensivpflege und die Gesellschaft ✔ Die/ der Intensivpflegende nimmt an den Bemühungen der Professionen teil, die Öffentlichkeit vor Fehlinformationen oder Fehlrepräsentation zu schützen und erhält so die Integrität des Berufsbildes. ✔ Die/ der Intensivpflegende unterstützt zusammen mit anderen Berufsgruppen im Gesundheitswesen oder in der Kommune die Gesundheitsbedürfnisse in der Öffentlichkeit. ✔ Die/ der Intensivpflegende vermeidet es, ihre/ seine Qualifikation einseitig zur Förderung von Produkten einzusetzen, um die Unabhängigkeit professioneller Beurteilung nicht zu beeinträchtigen. 4. Intensivpflegende und die Mitarbeiter/ innen ✔ Die/ der Intensivpflegende erhält kooperative Beziehungen zwischen Intensivpflegenden, Intensivmedizinern und anderen Angehörigen der Berufe im Gesundheitswesen, Krankenhäusern und Einrichtungen, die Interessen für Intensivpflege repräsentieren, aufrecht. ✔ Die/ der Intensivpflegende behandelt Kolleginnen und Kollegen mit Gerechtigkeit, Einheitlichkeit, Glaubwürdigkeit, Ehrlichkeit, Verläßlichkeit und Aufrichtigkeit und trägt individuell dazu bei, die Kollegialität im Gesundheitswesen zu verbessern. ✔ Die/ der Intensivpflegende gibt Wissen, Erfahrung und Fachautorität an Kolleginnen und Kollegen weiter, um die professionelle Kompetenz Ethik in der Intensivpflege – K. Weßling – FWB Anästhesie u. Intensivpflege 22.06.2005 Seite 45/48 entsprechend der Bedürfnisse weiter zu entwickeln. 5. Intensivpflege und die Profession ✔ Die/ der Intensivpflegende spielt eine maßgebliche Rolle bei der Bestimmung und Verwirklichung wünschenswerter Standards für die Intensivpflegepraxis und – weiterbildung. ✔ Die/ der Intensivpflegende bemüht sich, den Berufsstand zu etablieren und Arbeitsbedingungen zu unterstützen, die einer qualitativ hochwertigen Intensivpflege dienlich sind. ✔ Die/ der Intensivpflegende informiert die zuständige Person oder Instituton über jede gewissenhafte Beobachtung, die für die professionelle Praxis relevant ist.“54 Ethik in der Intensivpflege – K. Weßling – FWB Anästhesie u. Intensivpflege 22.06.2005 Seite 46/48 15. Literaturangaben Bücher Arndt, Marianne Ethik denken- Maßstäbe zum Handeln in der Pflege, Stuttgart: Thieme- Verlag, 1996. Caritas Gemeinschaft für Pflege- und Sozialberufe e.V., Deutscher Caritasverband e.V., Katholischer Berufsverband für Pflegeberufe e.V. Die ethische Verantwortung der Pflegeberufe March- Buchheim: Buchheim Druck 1998. Höffe, Ottfried Medizin ohne Ethik? Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag 2002. Husebo, Stein B., Klaschik, Eberhard Palliativmedizin, Berlin Heidelberg: Springer- Verlag 1998. Jacobi, Thorsten, May, Arnd T., Kieselstein, Rita, Bienwald, Werner Ratgeber Patientenverfügung, Münster: Lit- Verlag 2004. Katholischer Krankenhausverband Deutschlands e.V., Deutscher evangelischer Krankenhausverband e.V. Ethik- Komitee im Krankenhaus Freiburg: Druckerei Rebholz 1997. Pöltner, Günther Grundkurs Medizin- Ethik Wien: Facultas 2002. Schockenhoff, Eberhard Ethik des Lebens, Mainz: Matthias- Grünewald- Verlag 1998. van der Arend, Arie, Gastmans, Chris Ethik für Pflegende, Bern Göttingen: Verlag Hans Huber 1996. Skripte Prien, Thomas Ethische Grenzen der Intensivmedizin, Münster: Repetitorium Intensivmedizin 2002. Prien, Thomas Möglichkeiten und Grenzen der Intensimedizin, Münster: 2003. Sander, Stefan Ethik und Kommunikation, Ethik- Seminar, Osnabrück: 2005. Zeitschriften Marckmann, Georg Was ist eigentlich prinzipienorientierte Medizinethik? Ärzteblatt Baden- Württemberg: 2000; 12. Internet Bundesärztekammer Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung 2004. http://www.bundesaerztekammer.de Deutsche Gesellschaft für Anästhesie- und Intensivmedizin Leitlinie zu Grenzen der intensivmedizinischen Behandlungspflicht 1999. http://www.dgai.de Institut Mensch Ethik und Wissenschaft GmbH Berlin Graumann, Sigried, Was ist Bioethik? Zum wissenschaftlichen Selbstverständnis einer umstrittenen Disziplin, 2002. http://www.imew.de Fotos Eric Seiler Ethik in der Intensivpflege – K. Weßling – FWB Anästhesie u. Intensivpflege 22.06.2005 Seite 47/48 1 Vgl., M. Arndt, Ethik denken- Maßstäbe zum Handeln in der Pflege, Stuttgart 1996, Thieme, S. 16 – 20 (im weiteren zitiert als Arndt, Ethikdenken). 2 Vgl., T. Prien, Möglichkeiten und Grenzen der Intensivmedizin, Unterrichtsskript 2003. 3 Vgl., A. v. d. Arend u. a., Ethik für Pflegende, Bern1996, Hans Huber, S. 17 – 22. 4 Vgl., Arndt, Ethik denken, S. 16 – 20. 5 Vgl., ebd., S. 25 – 34. 6 Vgl., ebd., S. 25 – 34. 7 Vgl., ebd., S. 25 – 34. 8 Vgl. S. Sander, Ethik und Kommunikation Osnabrück, Skript Ethik- Seminar 2005 (im weiteren zitiert als Sander, Skript 2005. 9 Vgl., S. Husebo u. a., Palliativmedizin, Berlin Heidelberg 1998, Springer, S. 23 – 34 (im weiteren zitiert als Husebo, Palliativmedizin). Vgl., ebd., S. 23 – 34. 10 11 Vgl., S. Graumann, Was ist Bioethik? Zum wissenschaftlichen Selbstverständnis einer umstrittenen Disziplin, Berlin 2002, http://www.imew.de Vgl., ebd. 12 13 Vgl., ebd. Vgl., G. Marckmann, Was ist eigentlich prinzipienorientierte Medizinethik? Ärzteblatt Baden-Württemberg 2000, 12, S. 499 – 502. 14 15 Vgl., ebd., S. 499 – 502. Vgl., ebd., S. 499 – 502. 16 17 Vgl., ebd., S. 499 – 502. Vgl., ebd., S. 499 – 502. 18 19 Vgl., T. Prien, Skript Repitetoium Intensivmedizin, Münster 2002, S. 3 f (im witeren zitiert als Prien, Skript 2002). Vgl., ebd., S. 3 f. 20 21 Vgl., ebd., S. 3 f. Vgl., ebd., S. 4 f. 22 23 Vgl., ebd., S. 4 f. Vgl., Husebo, Palliativmedizin, S. 57 – 64. 24 25 Vgl., ebd., S. 57 – 64. Vgl., ebd., S. 43 f. 26 27 Vgl., ebd., S. 71 – 73. Z. n., T. Jacobi u. a., Ratgeber Patientenverfügung, Münster 2004, Lit, S. 8. 28 29 Vgl., ebd., S. 7 – 10. Vgl., ebd., S. 7 – 10. 30 31 Vgl., ebd., S. 7 – 10. Vgl., Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung, o. a. O. 2004, http://www.bundesaerztekammer.de 32 33 Vgl., Leitlinie zu Grenzen der intensivmedizinischen Behandlunhgspflicht, o. a. O. 1999, http://www.dgai.de Vgl., Husebo, Palliativmedizin, S. 46 – 54. 34 35 Vgl., ebd., S. 46 – 54. Vgl., Prien, Skript 2002. 36 37 Vgl., Husebo, Palliativmedizin, S. 57. Vgl., ebd., S. 57. 38 39 Z. n., Prien, Skript 2002. Vgl., Husebo, Palliativmedizin, S. 223 – 225. 40 41 Vgl., ebd., S. 223 – 225. Vgl., Sander, Skript 2005. 42 43 Vgl., Sander, Skript 2005. Vgl., Sander, Skript 2005. 44 45 Vgl., Sander, Skript 2005. Z. n., Sander, Skript 2005. 46 47 Vgl., Sander, Skript 2005. Vgl., Caritas-Gemeinschaft für Pflege- Sozialberufe e.V., u. a., Die ethische Verantwortung der Pflegeberufe, March- Buchheim 1998, S. 7 – 10. 48 49 Z. n., Dt. kath. u. dt. ev. Krankenhausverband, Ethik- Komitee im Krankenhaus, Freiburg 1997, Rebholz, S. 17 f. Vgl., ebd., S. 19 f. 50 51 Z. n., Sander, Skript 2005. Z. n., Arndt, Ethik denken, S. 141 f. 52 53 Z. n., ebd., S. 151 – 161. Z. n., ebd., S. 151 – 161. 54