CLAUDIO MONTEVERDI (1567 – 1643) : SANCTISSIMA VIRGINI MISSA SENIS VOCIBUS Anno 1610 reiste Claudio Monteverdi nach Rom, im Gepäck zwei Kompositionen: die „Missa in illo tempore“ und die „Sanctissima Virgini Missa senis vocibus“, die Marienvesper. Diese beiden Stücke wollte er Papst Paul V widmen, in der Hoffnung auf eine Anstellung. Seine letzte Kirchenmusik hatte er vor siebzehn Jahren komponiert, in der Zwischenzeit war er ausschließlich mit weltlichen Werken beschäftigt gewesen. Er war Hofkapellmeister in Mantua, und in dieser Funktion stattete er nicht nur die Feste am Hofe Vincenzo I mit eleganter und feierlicher Musik aus, er begleitete den Herzog auch auf mehreren Reisen. Die Zeit um 1600 war eine Zeit des Auf- und Umbruchs: man spürte die Folgen der Reformation bis nach Italien, in Philosophie, Kunst und Literatur wurden neue Ideen gedacht, neue Räume geöffnet – und je mehr die alten Werte bedroht waren, desto mehr wurden sie von der Kirche verteidigt: am 17. Februar 1600 endete Giordano Bruno als Ketzer auf dem Scheiterhaufen. Galileo Galilei betrieb seine Forschungen, die das geozentrische Weltbild in Frage stellten und für die er 1633 von der Inquisition verurteilt wurde. Vincenzo Galilei, der Vater Galileos, war Mitglied der „Florentiner Camerata“, einer Gruppe von Künstlern und Gelehrten, die sich in Florenz um den Grafen Giovanni Bardi versammelt hatten. Eines ihrer Ziele war die Wiederbelebung des antiken Dramas und seiner Musik, aus dieser Idee entstand die Oper. Claudio Monteverdis „Orfeo“, entstanden 1607, ist eines der ältesten erhaltenen Werke aus dieser Zeit. Mit „Orfeo“ rückte der singende Mensch in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, und hier zeigt sich eine weitere tiefgreifende Änderung, die in jener Zeit stattgefunden hatte: gehörte die Musik zunächst zu den „rechnenden Künsten“ der sieben freien Künste, die man damals an den Universitäten studieren konnte, so wechselte sie nun allmählich zu den „redenden Künsten“. In der Kirchenmusik änderte sich zunächst nichts, diese Musik hatte keinen konzertanten Charakter und war nicht für ein interessiertes Publikum bestimmt, sie erklang nur zum Lobe Gottes. Die weltliche Musik sprach dagegen von ganz anderen Dingen: es wurden Madrigale vertont und gesungen, die von sehr realem Liebesschmerz handelten; zu den meist vertonten Dichtern gehörten Dante Alighieri und Francesco Petrarca. Hier galt es, genau den Ausdruck des Wortes in der Musik nachzuzeichnen, und damals existierte ein musikalisches Vokabular, das von allgemeiner Verbindlichkeit war. Es erschloß sich dem, der die sieben freien Künste studiert hatte, also dem Adel. So konnte sich Monteverdi darauf verlassen, daß seine Musik vom Publikum verstanden wurde. Die „Marienvesper“ enthält sowohl Musik, die im „alten Stil“ komponiert wurde, als auch einzelne Sätze im „neuen Stil“, der den persönlichen Ausdruck sprechen läßt. Sie war weniger zur Aufführung in der Kirche gedacht, als vielmehr eine „Talentprobe“, die zeigen sollte, daß Monteverdi in beiden Stilen zu komponieren verstand. Eines der faszinierendsten Werke der abendländischen Kirchenmusik war hier entstanden, das reichhaltige Mehrchörigkeit und festlichen musikalischen Glanz aufstrahlen läßt, daneben aber auch Klängen von subtiler Intimität Raum schafft. Von der einzelnen, nur vom basso continuo unterstützten Singstimme bis zum siebenstimmigen Chor mit Orchester reicht die Klangpalette. Monteverdi ist sich der Inhalte, die er vertont, sehr bewußt: so singen die zwei Seraphim zweistimmig; die Einheit von Gott, dem Vater, dem Wort und dem Heiligen Geist wird im unisono dargestellt. Die Aufzählung „Pater verbum et Spiritus Sanctus“ erklingt in drei Stimmen so, daß dreimal hintereinander die gleiche Koloratur jeweils in einer der drei Stimmen erscheint, bevor alle drei gemeinsam deklamieren „et hi tres unum sunt“. Doch alle Kunst war vergeblich: die Reise nach Rom brachte nicht den gewünschten Erfolg, Monteverdi erhielt noch nicht einmal eine Audienz bei Papst Paul V. Unverrichteter Dinge mußte er nach Mantua zurückkehren. Sein Herr, Vicenzo I., starb 1612, und dessen Nachfolger entließ Monteverdi aus seinen Diensten. 1613 bekam Monteverdi den Posten des Domkapellmeisters von San Marco in Venedig. Dort blieb er bis zu seinem Tod im Jahre 1643. Gisela Lutzenberger