SWR2 Musikstunde

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SWR2 MANUSKRIPT
SWR2 Musikstunde
„Claudio Monteverdi! Zum 450. Geburtstag!“
Phänomenale Spurensuche (1)
Mit Sabine Weber
Sendung:
15. Mai 2017
Redaktion: Dr. Bettina Winkler
Produktion: SWR 2017
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere
Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw.
des SWR.
Service:
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SWR2 Musikstunde mit Sabine Weber 15. Mai – 19. Mai 2017
MONTEVERDI 1
Phänomenale Spurensuche
MODERATION
Wir ehren diese Woche und wertschätzen ein Musikergenie, das wie kaum ein
Komponist vor und nach ihm Ausrufungszeichen auf so vielfältige Arten und Weisen
gesetzt hat. Claudio Monteverdi! Zum 450. Geburtstag!
Ich bin Sabine Weber. Herzlich Willkommen zur ersten von fünf Folgen, in denen wir
uns vor Il Divino Claudio verbeugen.
Claudio Monteverdi hat die Gattung der Madrigale zur Vollendung gebracht und sie
gleichzeitig aufgelöst! Wie, werden Sie im Laufe dieser Woche erfahren!
Mit seinen drei erhaltenen Bühnenwerken gilt er als einer, wenn nicht der Pionier des
Musiktheaters im modernen Sinne. Auch darauf werden die SWR2 Musikstunden
diese Woche eingehen. Und als Kapellmeister von San Marco ist Monteverdi sogar
zum mächtigsten Kirchenmusiker Italiens aufgestiegen. Auf unserer Spurensuche
kommen wir natürlich auch nach Venedig!
Bereits zu Lebzeiten wurde er bewundert und, ja, auch gefürchtet, weil seine Musik
in ungeahnte Gefühlsregionen vorgestoßen ist. Obsessiv hat er sein Leben lang den
Affekt hinter dem Wort in der Musik gesucht. Irritierend, verstörend … und
euphorisierend!
Musik 1.1
Claudio Monteverdi
Marienvesper, Domine ad adiuvandum me festina
Taverner Consort, Choir & Players
VERGIN VERITAS 561662 2 LC7873
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Da bekomme ich immer noch Gänsehaut! Bei diesem gewaltigen sechsstimmigen
Chor. Der Eingangschor aus Claudio Monteverdis Marienvesper. Mit dem Taverner
Consort, Choir & Players unter der Leitung von Andrew Parrott. Die göttliche
Lobpreisung mit dem prächtigen Amen ist unser Eröffnungs-Geburtstagsständchen.
Die Vespro della beata vergine gilt heute als Monteverdis berühmteste
Kirchenmusiksammlung. Sie besteht aus einer Vielzahl von irritierend innovativen
und zugleich retrospektiven Stücken. Und besteht nicht nur aus der sogenannten
Marienvesper, sondern beinhaltet auch eine Messvertonung. Darüber mehr, wenn es
um den Kirchenmusiker Claudio Monteverdi geht. Am Donnerstag.
Heute begeben wir uns erst einmal auf biografische Spurensuche.
Geboren wird er in Cremona. Am 15. Mai 1567 – heute vor genau 450 Jahren - wird
sein Name in das Taufregister der Kirche Santi Nazaro e Celso eingetragen. Sein
Geburtstag dürfte wenige Tage zuvor gewesen sein. Sein Vater ist der Apotheker,
Wundarzt und Chirurg Baldassare Monteverdi. Ein durch und durch gebildeter und
angesehener Mann. Kein Musiker, aber er muss das Musiker-Gen in sich gehabt
haben. Denn auch Claudios jüngerer Bruder Giulio schlägt eine Musikerlaufbahn ein.
Über die Jugend von Claudio Monteverdi gibt es leider kaum Details. Seine
musikalische Begabung muss aber früh entdeckt und gefördert worden sein. Wie
hätte er sonst mit 15 Jahren seine ersten Kompositionen veröffentlichen können!
Sehr wahrscheinlich hat Claudio als Chorknabe am Cremoneser Dom gesungen und
dort seinen ersten Musikunterricht bekommen. Domkapellmeister Marc Antonio
Ingegneri muss für ihn ein wichtiger Lehrer gewesen sein. So wichtig, dass
Monteverdi sich auf dem Titelblatt seiner 1582 gedruckten Cantiunculae sacrae als
discepolo di Ingegneri bezeichnet. Als Schüler von Ingegneri!
Musik 1.2
Claudio Monteverdi
Lapidabant Stephanum
Il seminario musicale, Gérard Lesne LTG
VIRGIN CLASSICS 7596022 LC07873
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Gérard Lesne, Countertenor, Joseph Benet, Tenor, und Josep Cabré, Bariton, mit
einer Talentprobe vom jungen Claudio Monteverdi. Die dreistimmige lateinische
Motette Lapidabunt Stephanum auf den heiligen Stephanus findet sich in den
Cantiunculae sacrae von 1582. Veröffentlicht mit gerade mal 15 Jahren.
Die 26 Motetten auf Heilige oder Märtyrer sind alle dreistimmig und polyphon
gearbeitet. Solche Tricinien sind eine Spielart des damals verbreiteten frankoflämischen Stils. Eine Art Polyphonie „light“ und wie Bicinien – auch nicht selten die
ersten kontrapunktischen Fingerübungen damaliger Komponisten. Vielleicht sind sie
dennoch in der mächtigen dreischiffigen Basilika des Cremoneser Doms und unter
Beteiligung von Monteverdi gesungen worden. Der Dom mit seiner prächtigen
Marmor-Fassade, mit Blindsäulen-Arkaden, ist zu seiner Zeit musikalischer
Mittelpunkt von Cremona gewesen.
Kapellmeister Marc Antonio Ingegneri ist Monteverdis erster namentlich bekannter
Lehrmeister. Geprägt hat ihn - wie viele andere - der franko-flämische Stil, der in den
oberitalienischen Städten lange Zeit Ton-angebend gewesen ist. Ingegneris Lehrer
ist kein geringerer als Cipriano de Rore gewesen. Einer der berühmtesten
musikalischen Gastarbeiter aus den nordfranzösischen beziehungsweise
niederländischen Sprachgebieten. Zu den franko-flämischen Musikern dieser bereits
vierten Generation gehören auch Adrian Willaert in Mailand und Venedig, Jacob
Arcadelt in Rom, Giaches de Wert in Mantua, und eben Cipriano de Rore, der in
Ferrara, Parma und zum Schluss in Venedig gearbeitet hat. Die Polyphonie haben
sie vor allem in geistlichen Werken zu hoher Blüte gebracht. Sie haben aber auch die
weltliche Madrigalkunst mit geprägt und entwickelt. (!) Und De Rore beginnt als einer
der ersten, das polyphone Geflecht zu lichten. Deutliche Zeichen einer
Wortgebundenen Ausdrucksmusik, die sich nicht mehr einer silbenzerdehnenden
Melodie beugen möchte. Gewagte harmonische Verbindungen heben bei ihm bereits
vorsichtig Worte hervor... Der Bedeutung hinter dem Wort soll Raum gegeben
werden.
Auf diesen Vorlagen baut Monteverdi auf.
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Musik 1.3
Cirpiano de Rore
Ancor che col partire
Cappella Miditerranea
RICERCAR 355 LC08851
Die kleine Verzierung zuletzt auf miei, gezaubert vom Tenor der Cappella
Mediterranea unter Leonardo García Alarcón hätte Monteverdi sicherlich gefallen.
Der eben gehörte Madrigal-Chanson Ancor che col partire von Cipriano de Rore
nimmt ein Lieblingsthema Monteverdis vorweg: das Sterben-wollen im übertragenen
Sinne, als Liebestod, als Abschied,... als süße Freude, weil es auch die Vorstellung
von Wiedersehen weckt ... Ancor che col partire ist eines der bekanntesten
mehrstimmigen Werke im 16. Jahrhundert. Cipriano de Rore gilt heute als einer der
Wegbereiter Monteverdis.
Melodie und Harmonik in einen unmittelbaren Wirkungszusammenhang bringen
nach der Jahrhundertwende...
In den letzten beiden Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts erwirbt sich Monteverdi
hierzu das Rüstzeug. Er arbeitet sich durch Stile, Techniken und vorhandene
Praktiken. Und eignet sich das Handwerk an, indem er komponiert.
Jedes Jahr oder jedes zweite veröffentlicht Monteverdi eine Sammlung. Immer in
Venedig. Diese Stadt ist führend im beweglichen Typen-Druck.
Monteverdi setzt also von Anfang an selbstbewusst auf Publikationen. So wie heute
ein Wissenschaftler ständig publiziert. Für einen jungen Komponisten seiner Zeit
schon ungewöhnlich.
Vater Baldassare muss dabei geholfen haben. Wie sonst hätte ein Student die
Druckkosten aufbringen können?
1584 veröffentlicht der 17jährige die ersten weltlichen Werke, 21 Kanzonetten.
Wiederum dreistimmig. Canzonette a tre voci. Aber ganz anders geartet als seine
Tricinien. Kanzonetten sind nämlich Strophenlieder und von den gerade sehr
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populären italienischen Villanelle beeinflusst. Sie greifen volkstümlich tänzerische
Rhythmen auf, haben einfache Liedmelodien und sind Unterhaltungsmusik.
Auch dieses Repertoire erarbeitet sich der junge Monteverdi.
Musik 1.4
Claudio Monteverdi
Canzonetta V
La Gamba Ekkehard Weber LTG
ARS MUSICI AM 1168-2 LC05152
Aus Claudio Monteverdis Canzonette à tre voci von 1584 war das die 5. Kanzonette.
Ohne Text und instrumental ausgeführt von La Gamba Freiburg mit Ekkehard
Weber, Diskantgambe. Gamben hat die große Isabella d'Este im letzten Jahrhundert
in Italien eingeführt. Und sie hat am Beginn des 16. Jahrhunderts solche
dreistimmigen polyphonen Vokalstücke in ihrem persönlichen Musikbuch gesammelt,
um sie auf Gamben zu spielen. Das sind mit die ersten Instrumentalstücke in
Norditalien gewesen...
Drei Stimmen komplementär aber melodisch gleichartig lässt auch Monteverdi in
seinen Kanzonetten hören. Monteverdi verrät sich also noch nicht als Meister der
Affekte. Oder doch? Diese frühen Werken trügen bereits verborgene
Lösungsmomente in sich, um sich aus der überkommenen Polyphonie zu befreien.
Das hat, frei wiedergegeben, ein Monteverdi-Forscher festgestellt, auf den Sie nie
tippen würden. Karlheinz Stockhausen! Der Wegbereiter der elektronisch geprägten
Avantgarde hat sich mit Monteverdis Kanzonetten auseinandergesetzt. Als 21jähriger
Schulmusikstudent in Köln tippt, und ergänzt er Notenbeispiele fein säuberlich mit
Füller zu einer Seminararbeit über Monteverdi. Die Arbeit wird in der
Musikwissenschaftlichen Bibliothek in Köln aufbewahrt. Stockhausen kommt zu der
Quintessenz, dass bereits im Frühwerk Monteverdis seine spätere Madrigalrevolution
enthalten sei. Das passt natürlich zu der Genie-Topologie, die Stockhausen
zwischen Früh- und Spätwerk auch für sich beansprucht.
Das Spätwerk ist als Nukleus bereits im Frühwerk enthalten. Bei Stockhausen und
bei Claudio Monteverdi.
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Konsequent verfolgt Monteverdi jedenfalls einmal aufgenommenen Fährten. Und das
in allen Genres und mit allen Techniken. Also auch die Dreistimmigkeit mit ihren
liedhaft orientierten Melodien, volkstümliche Refrainstücke und tänzerische
Rhythmen der frühen Kanzonetten tauchen immer wieder auf. 20 Jahre später zum
Beispiel in diesem Scherzo musicale Lidia spina del mio core... Lidia, der Dorn in
meinem Herzen...
Musik 1.5.
Claudio Monteverdi
Lidia spina del mio core
Concerto Soave
HMF1168-2 LC7045
Maria Cristina Kiehr, Stephen MacLeod und Concerto Soave mit Lidia spina del mio
core aus den Scherzi musicali a tre voci 1607 veröffentlicht. Gereifte Stücke mit
Instrumentalbegleitung. Und von wegen, das Scherzo feiert mit Joseph Haydn in der
klassischen Musik erste Erfolge! Monteverdis beschwingte Villanellen-Scherzi –
allerdings vokal - sind bereits erfolgreich. Seine erste Scherzo-Sammlung erlebt vier
weitere Auflagen. Und … damit vollendet Monteverdi, womit er als 17jähriger in
seinen Kanzonetten angefangen hat zu experimentieren. Monteverdi bricht also nicht
nur neue Bahnen, er ist auch immer sein eigener Vollender!
Und drei Jahre nach seiner frühen Kanzonetten-Veröffentlichung setzt Monteverdi
sein erstes großes Ausrufungszeichen!
1587 bringt er sein erstes Madrigalbuch heraus. Sein Primo libro de' Madrigale a
cinque voce.
Das ist der Beginn einer Serie, die Monteverdi bis an sein Lebensende fortführt. 8
Bücher wird er bis 1638 veröffentlichen.
Aber jetzt tritt ein 19jähriger erst einmal aus dem Schatten und aufs Podium!
Das Abenteuer mit der für ihn zentralen Gattung beginnt. Wesentliche Techniken für
seine Opernrevolution wird er aus ihr heraus entwickeln. Das Madrigallaboratorium
ist eröffnet.
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Musik 1.6
Claudio Monteverdi
Baci soavi, e cari
Les Arts Florissants
EDITIONS ARTS FLORISSANTS AF.005
Les Arts Florissants unter Paul Agnew, und am Schluss seliges Dur! Nach Küssen
und Erregung, Seufzen und Stöhnen, ist das Wort “morire” - „sterben“ - natürlich ein
Synonym für die Vereinigung der Liebenden... Das ist Madrigalsprache. Das
Sterben-wollen im übertragenen Sinne, als Liebestod, als Abschied, als süße
Freude, weil es auch die Vorstellung von Wiedersehen weckt, ist ein Lieblingsthema
in Monteverdis Madrigalen. Baci soavi, e cari hat er hier nach Versen von Battista
Guarini vertont.
Monteverdis Geburtsstadt ist Cremona. Mit Andrea Amati ist das lombardische
Städtchen Anfang des 16. Jahrhunderts ein Zentrum für den Geigenbau in Italien
geworden. Amati baut in seiner Cremoneser Werkstadt Viola da brazzo- und
sicherlich auch Viola da gamba- Instrumente. Viola ist ja noch ein Begriff für
Streichinstrumente allgemein. Die Amati-Dynastie lockt weitere Geigenbauer an das
linke Po-Ufer. Andrea Guarneri, dessen Enkel Giuseppe Guarneri Del Gesù die aus
heutiger Sicht wertvollsten Guarneri-Instrumente bauen wird, später Francesco
Ruggeri, und zum Schluss kommt auch noch der große Antonio Stradivari nach
Cremona. Beim Gang durchs Städtchen wird also ein neugieriger junger
Musikfanatiker wie Monteverdi sicherlich nicht vor der berühmten Werkstätte Halt
gemacht, sondern hinein gegangen sein.
Wie und durch wen Monteverdi auch immer unterrichtet wurde, als Sonatore di Viola
findet er seine erste offizielle Anstellung in Mantua. Am Hof der einstigen großen
Isabella d'Este!
Nach ihrer Heirat mit Gianfrancesco Gonzaga 1490 hatte sie den Gonzaga-Hof zu
einem kulturell und vor allem ambitionierten Renaissancehof ausgebaut. La prima
donna del mondo scharte wichtige Musiker, Dichter und Maler um sich, sammelte
Instrumente und übte sich auch fleißig auf der Laute und der Viola da gamba. Davon
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zeugt bis auf den heutigen Tag ihr Musikzimmer. Das soll übrigens Igor Strawinsky
bei einem Besuch des Palazzo Ducale in Mantua die Sprache verschlagen haben.
„Auch wenn das Erscheinen Monteverdis ein Wunder war”, so Strawinsky in einem
Interview 1967 im Harpers Magazine, „auf ihn warteten hier hochentwickelte
Werkzeuge“ ...
An welche Werkzeuge Strawinsky auch immer gedacht hat. Als Isabella d'Estes
Nachfahre Vincenzo Gonzaga Monteverdi an seinen Hof holt, ist das für den
23jährigen Aufstieg und Fluch zugleich. Immer wieder bleibt die Ausbezahlung eines
viel zu geringen Salärs ein beschämender Kampf. Das belegen viele seiner Briefe,
die er an den knausrigen Kassenwart Annibale Chieppo schickt. Vincenzo Gonzagas
Kasse ist stets gebeutelt durch Prunk-süchtige Unternehmungen. Und dann ist
Mantua von Sümpfen umgeben. Es lag damals in einem Überschwemmungsgebiet.
Das muss seiner Gesundheit zugesetzt haben. Am Mantuaner Hof findet und verliert
er auch früh seine wohl geliebte Frau, der die Sümpfe offenbar noch mehr geschadet
haben. Die Hofsängerin Claudia Cattaneo bleibt seine einzige Lebensgefährtin. Sie
stirbt ausgerechnet nach Monteverdis erstem großen Operntriumph. Zwei Söhne
hinterlässt sie ihm, um die sich Monteverdi aufopferungsvoll kümmert. Heiraten wird
er nie mehr. Fortan ist er nur noch mit seiner Musik verheiratet.
Und diesbezüglich trifft Monteverdi in Mantua auf Inspiration. Unter anderem durch
den Hofkapellmeister Giaches de Wert. Er gilt als einer der großen franko-flämischen
Madrigalkomponisten. Dann durch Torquato Tasso, den großen Dichter, dessen
Verse Monteverdi mit Begeisterung vertont. Durch Battista Guarini, das ist ein
anderer großer Madrigaltextlieferant.
Aber vor allem lernt Monteverdi die Musik kennen, die zu fürstlichen Feierlichkeiten
oder Hochzeiten aufgeführt wird. Halbszenisch aufgeführte, locker zusammengefügte
Instrumental- und Vokalteile.
Intermedien heißen sie. Und die Gesangseinlagen sind eine Art Arien-Vorläufer. Da
haben sich Komponisten schon einiges einfallen lassen. Echo-Effekt
beispielsweise...
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Musik 1.7
Jacopo Peri
Dunque fra torbide onde
Huelgas Ensemble, Paul von Nevel LTG
SONY CLASSICAL 63362 LC06868
Stephen MacLeod, Bass, und Eitan Sorek und Harry van Berne als Echostimmen
aus der Ferne. Das war Dunque fra torbide onde, der berühmte Echo-Gesang des
Arion aus dem Intermedium zur Komödie La Pellegrina. Der Text stammt von Ottavio
Rinuccini. Und vertont hat ihn Jacopo Peri.
Damit lernen Sie die beiden Protagonisten kennen, die den Schritt zur ersten Oper
wagen.
In Florenz wird 1598 ihre Dafne einem adligen Publikum präsentiert. Zwei Jahre
später erlebt ihre Oper Euridice anlässlich der Hochzeitsfeierlichkeiten von Henri IV
und Maria de Medici die Uraufführung. Ein ganz zentrales Ereignis für den
Opernkomponisten in spe: Claudio Monteverdi. Sein Fürst ist nämlich zu den
Feierlichkeiten geladen gewesen. Möglicherweise ist auch Monteverdi mitgereist.
Sicherlich aber Alessandro Striggio, Vincenzos Sekretär und Ratgeber. Sohn des
berühmten Madrigalkomponisten gleichen Namens. Dieses Musikevent beeindruckt
die Mantuaner nachhaltig ... Und weckt den Ehrgeiz, auch eine Oper präsentieren zu
wollen...
Doch erst muss Monteverdi Hofkapellmeister werden. Nach Giaches de Werts Tod
muss Monteverdi noch einen Zwischenkapellmeister leider und ungern vorlassen,
Benedetto Pallavicino, der übrigens wie Monteverdi Mühe hatte, sein monatliches
Salär zubekommen. 1601 - nach Pallavicinos Tod - wird Monteverdi endlich zum
Hofkapellmeister in Mantua ernannt. Darauf hat der Librettist schon gewartet:
Alessandro Striggio. Das Mantuaner Opern-Team steht. Gemeinsam holen sie zur
Gegenveranstaltung aus. Statt Euridice – ist Orfeo ihre Losung! Und mit Pauken und
Trompeten öffnen sie den Vorhang.
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Musik 1.8
Toccata Orfeo
Concerto Vocale
WDR PROD 5018246
Mit dieser Toccata lässt Claudio Monteverdi die Favola in musica Orfeo beginnen.
Die „Mantuaner Fanfare“ wird sie auch genannt – dreimal zu wiederholen lautet die
Anweisung von Claudio Monteverdi. Wir hörten Concerto Vocale unter René Jacobs.
Die Fanfare könnten Sie vielleicht noch im Ohr haben. Denn in unserem
Geburtstagsständchen am Anfang ist sie bereits zu hören gewesen. Eingearbeitet in
den Eingangschor der drei Jahre später veröffentlichten Marienvesper. Damit haben
wir die heutige SWR2 Musikstunde eröffnet. Die Toccata ist das vielleicht
berühmteste Instrumentalstück Monteverdis. Mit dem Orfeo geboren. Dazu mehr in
der Musikstunde übermorgen, am Mittwoch.
Der Opernrevolutionär Claudio Monteverdi ist natürlich NICHT der erste
Opernkomponist gewesen. Jacopo Peri gebührt das Verdienst. Und doch wird nicht
selten Monteverdis Orfeo der Beginn der Gattung Oper zugesprochen. Die
Verdichtung von Worten und Klängen, von Handlung und dramatischer Anlage
erreichen bei ihm die bühnentheatrale Wirksamkeit, die ein Abendfüllendes
Opernwerk braucht. Übermorgen vergleichen wir zentrale Sologesänge aus Jacopo
Peris Euridice und Monteverdis Orfeo.
Jetzt kommen wir noch zu einem weiteren Musikmeilenstein, den Monteverdi in
Mantua setzt.
Den Affekt, der zu Tränen rührt, den löst Claudio Monteverdi in einer Opernszene ein
Jahr nach seinem Orfeo ein. Mit dem Lamento d'Arianna. Im Sala degli Specchi des
Palazzo Ducale in Mantua rührt dieser Klagegesang die Zuhörer tatsächlich zu
Tränen.
Ein Augen- und Ohrenzeuge berichtet über die gesamte Uraufführung der Oper vom
28. Mai 1608:
„...dann wurde die Oper Arianna aufgeführt, die vom Avemaria begann und bis in die
dritte Abendstunde dauerte, und alle schön gekleideten Sänger machten ihre Sache
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sehr gut, am besten aber von allen Arianna … und es war die Geschichte von
Ariadne und Theseus. Sie brachte in ihrem Lamento in musica, mit ihrem Unglück
viele zum Weinen...“
Musik 1.9
Claudio Monteverdi
Lamento d'Arianna aus der Oper Arianna
Véronique Gens, Le Concert d'Astrée, Emanuelle Haïm LTG
VIRGIN CLASSICS LC07873
Da zeigt eine Frau „echte“ Gefühle. Véronique Gens begleitet von Le Concert
d'Astrée unter Emanuelle Haïm mit dem Lamento d'Arianna. Trauer und
Verzweiflung einer verlassenen Frau, wahrhaftig in Musik gesetzt von Claudio
Monteverdi.
Die Monteverdi-Forscherin Anna Amalia Abert meint sogar, „das sei die erste
autobiographische Affektoffenbarung eines Komponisten überhaupt“. Monteverdi
habe sie unter dem Eindruck des Todes seiner Gattin komponiert.
Ariannas Klage wird jedenfalls zum Prototyp und entfesselt eine Flut von
nachfolgenden Lamenti.
Was für ein Verlust, dass die Oper Arianna verschollen ist. Der Lamento d'Arianna ist
Monteverdis schon zu Lebzeiten berühmteste Komposition. Er selbst hat seine
Arianna-Klage so geliebt, dass er sie später noch zwei Mal wieder verarbeitet.
Einmal zu einem polyphonen fünfstimmigen Madrigal und zu einer geistlichen Klage
der Muttergottes unterm Kreuz. Die werden Sie am Donnerstag hören, wenn es um
den Kirchenmusiker Monteverdi geht.
Einmal aufgenommene Fährten entwickelt Monteverdi immer weiter. Und auch der
Lamento taucht bei ihm später mit einer Nymphe noch einmal auf. Sie verzehrt sich
nach ihrem Liebhaber. Und das mit einer Regieanweisung Monteverdis: „dieser
Gesang sollte so aufgeführt werden, dass die drei männlichen Stimmen, die
außerhalb der Klage der
das Zeitmaß genau einhalten, während die Nymphe nach Maßgabe ihrer Seelenlage
ohne Vorgabe klagen darf.“
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Und das jetzt auf eine stufenweise fallende Quarte! – eine Konstruktion des
schicksalhaften Zwanges!
1.10
Claudio Monteverdi
Amor, dicea
CONCERTO ITALIANO
NAIVE OP 30466 2Ä57
Amor, dicea … Amor sprach sie, hielt inne und blickte zum Himmel, aus dem
Lamento della Ninfa, das Monteverdi genau 30 Jahre nach dem berühmten Lamento
d'Arianna veröffentlicht hat. Anna Simboli klagte begleitet von Concerto Italiano.
Die SWR2 Musikstunde ist bei wichtigen musikalischen Meilensteinen Claudio
Monteverdis angekommen. Morgen geht es um den Madrigalkomponisten
Monteverdi. Und damit auch um seinen Schlachtruf der seconda pratica.
Diese pratica oder Praxis ist nämlich ohne seine Madrigalexperimente nicht zu
verstehen.
Traurig schön sind Monteverdis Klagegesänge. Aber mit Tränen in den Augen will ich
Sie heute nicht in den SWR2 Radiomorgen entlassen.
Philippe Jaroussky und L'Arpeggiata unter der Leitung von Christine Pluhar führen
zum Abschluss noch vor, wie aktuell Monteverdi ist. Sie machen aus einem BassOstinato jetzt einen walking base und lassen frech hören, dass in Monteverdis Oi me
ch'io cade das Potential für eine Jam-Session steckt. Ach, ich falle, ach, ich
strauchle...
Musik 1.11
Claudio Monteverdi
Oi me ch'io cade
Philippe Jaroussky, L'Arpeggiata, Christine Pluhar LTG
VIRGIN CLASSICS 50999236140000 DP
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Für heute ist das Thema Monteverdi auf SWR2 übrigens noch nicht gänzlich
gefallen! Bei den Schwetzinger SWR Festspiele haben der Serpent Spieler Michel
Godard zusammen mit der Mezzosopranistin Guilmette Laurens besondere Wege zu
Monteverdi eingeschlagen. Monteverdi - A Trace of Grace. Das Konzert senden wir
heute im SWR2 Mittagskonzert.
Bis morgen!
sagt
Ihre
sw
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