... eppur si muove ... Festival Alte Musik Zürich 28. – 31. Oktober 2004 10 Jahre n e u e f o r u m s f ü r a l t e m s u i k z ü r i c h Festivalübersicht Do 28. Okt. Fr 29. Okt. Sa 30. Okt. So 31. Okt. 29 12.30 h Treppenhaus der Hochschule für Musik und Theater Zürich Werke von Schein, Cima, Jenkins, Caurroy, ... 18.00 h Augustinerkirche Zürich Affektenlehre im Frühbarock 2 19.30 h Augustinerkirche Zürich Italien und England um 1600 Werke von Bevin, Byrd, Purcell, Simpson, Tye, ... 4 12.30 h Treppenhaus der Hochschule für Musik und Theater Zürich Werke von Monteverdi, Caccini, Dowland und Morley 31 18.00 h Helferei Grossmünster Zürich Johannes Kepler, die Sphärenharmonie und das wissenschaftliche Weltbild des frühen 17. Jahrhunderts 2 19.30 h Helferei Grossmünster Zürich 9 For two to play: Bicinien aus der Zeit um 1600, Duos von Bartók und Berio Uraufführungen von Regina Irman und Felix Baumann 16.00 h Schifffahrt auf dem Zürichsee: ab Haltestelle Theater 13 Lamento, Berio & Gran Disio: Lieder von Purcell, Monteverdi, d‘India, Caccini, Berio, ... Texte von Dürrenmatt, Brecht und Einstein 19.30 h Aula Hirschengraben: Hirschengraben 46, Zürich Claudio Monteverdi: VIII. Madrigalbuch 17 13.30 h Helferei Grossmünster Zürich Italienische Cembalomusik um 1600, «Musik im Wandel» 21 15.15 h Hochschule für Musik und Theater Zürich Und sie bewegt sich doch? Andrea Palladios Villa «La Rotonda» 2 16.00 h Hochschule für Musik und Theater Zürich Jubiläumsapéro: 10 Jahre NFAMZ 2 17.00 h Hochschule für Musik und Theater Zürich Triosonaten des frühen 17. Jahrhunderts 25 Hinzuführend Do 28. Okt. 18.00 h Augustinerkirche Melanie Wald: Affektenlehre im Frühbarock: René Descartes und Athanasius Kircher Fr 29. Okt. 18.00 h Helferei Grossmünster Melanie Wald: Johannes Kepler, die Sphärenharmonie und das wissenschaftliche Weltbild des frühen 17. Jahrhunderts So 31. Okt. 15.15 h Hochschule für Musik und Theater Zürich PD Dr. Wolfgang Kersten: Und sie bewegt sich doch? Andrea Palladios Villa «La Rotonda» 16.00 h 2 Hochschule für Musik und Theater Zürich Jubiläumsapéro: 10 Jahre Neues Forum für Alte Musik Zürich Editorial Eppur si muove – und sie bewegt sich doch – das geflügelte Wort Galileo Galileis aus dem Jahre 1633 gilt für das Festival des Neuen Forums für Alte Musik Zürich in doppeltem Sinne: Zum einen feiern wir 2004 unseren 10. Geburtstag und bewegen uns immer noch: Das vor uns liegende Ereignis soll darüber Zeugnis ablegen und unsere Absicht intensiv unterstreichen, historische Musik möglichst lebendig und aktuell zu vermitteln sowie Hintergründe aufzuzeigen. Es ist uns auch dieses Jahr gelungen, international renommierte Ensembles respektive SolistInnen zu verpflichten (darunter Christophe Coin, John Holloway, Sylvia Nopper, London Baroque und La Venexiana), genauso aber auch jüngere, in Zürich wirkende MusikerInnen mit einzubeziehen und damit einen Austausch verschiedenster «Stimmen» zu fördern. Eppur si muove zum Zweiten: Die Musik um 1600 gehört zu den aufregendsten künstlerischen Äusserungen der Musikgeschichte. Das Programm des Festivals versucht, der Tiefe der musikalischen Konzeptionen in den Werken von Monteverdi, Caccini, d’India, aber auch in englischer Musik, nachzuspüren und sie in zwei Konzerten mit Äusserungen des 20. und 21. Jahrhunderts zu konfrontieren: Lassen Sie sich bewegen! Matthias Weilenmann, Neues Forum für Alte Musik Zürich 3 Christophe Coin Willem Jansen Guido Balestracci Martin Zeller Schweizer Radio DRS 2 zeichnet das Konzert auf und sendet es am Sa, 13. 11. 2004, 22.35 h. 4 Italien und England um 1600 Do 28. Okt. 19.30 h · Augustinerkirche Zürich Lupo Consort Christophe Coin Guido Balestracci Martin Zeller Willem Jansen Diskantgambe Tenor-/Bassgambe Bassgambe Orgelpositiv William Byrd (um 1539/40 – 1623) «Sermone Blando» Christopher Tye (1505 – 1572) «Sit fast» Orlando Gibbons (1583 – 1625) In Nomine Thomas Lupo (gest. 1628) Fantasias und Pavanes John Coperario (um 1575 – 1626) Fantasias und Gaillards Elway Bevin (1554 – 1638) «Browning» --- Pause --- Christopher Simpson (1605 – 1669) From «the Seasons» and «the Months» Henry Purcell (1659 – 1695) 3 Fantasias in three parts Matthew Locke (1622 – 1677) Suite Fantasia – Courante – Sarabande – Gig 5 Guido Balestracci, Tenor-/ Bassgambe, geboren 1971 in Turin, Studium bei Paolo Pandolfo an der Schola Cantorum Basiliensis. 1997 gründete er das «Consort de viole l’Amoroso» mit dem er als Leiter und Solist in Europa, USA, Südamerika und im Fernen Osten konzertiert. Seine Diskographie als Solist und Kammermusiker umfasst zahlreiche Aufnahmen bei verschiedenen Labels wie Harmonia Mundi France, Erato, Astrée Auvidis, Opus 111 u.a., damit verbunden sind mehrere internationale Preise und Kritiken. Guido Balestracci hat sich sehr rasch bei der Elite der Szene Alter Musik integriert und arbeitet u.a. zusammen mit Christophe Coin, Jordi Savall, Philippe Herreweghe, Pedro Memelsdorff, Emma Kirkby, Christophe Rousset, Gabriel Garrido, und Martin Gester. Er unterrichtete am CNR Strasbourg und hat nun eine Professur für Viola da Gamba an der Musikhochschule Turin. 6 Kurzbiografien Christophe Coin, Diskantgambe, geboren 1958 in Caen, studierte Violoncello bei André Navarra in Paris. Bald entwickelte sich eine starke Leidenschaft für die Gambe und das Barockcello. Als Schüler von Nicolaus Harnoncourt und Jordi Savall bereist er seit seiner Jugend ganz Europa und zählt zu den ausgezeichneten Kennern und Interpreten des französischen, deutschen, italienischen und spanischen Repertoires. Bereits vor rund 20 Jahren gründete er das äusserst erfolgreiche Quatuor Mosaïque. Neben seiner solistischen Tätigkeit, verbunden mit zahlreichen Aufnahmen u.a. mit Orchestern unter N. Harnoncourt, Gustav Leonhardt, Christopher Hogwood oder Kammermusikpartnern wie Patrick Cohen, Wieland Kuijken, Monica Huggett, Erich Höbart, wird er auch als Dirigent von grossen Orchesterformationen in aller Welt eingeladen. Wie alle Dirigenten der Barockszene befasst er sich mit dem «Neuen Lesen» bekannter Werke und mit der Entdeckung von Partituren und vergessenen Komponisten. Neben seiner Tätigkeit als Professor für Barockcello und Viola da Gamba am CNSM Paris und an der Schola Cantorum Basiliensis ist er vor allem ein anspruchsvoller und anerkannter Forscher in der Alten Musik. Neben jährlichen internationalen Meisterkursen in Granada, Innsbruck und Frankreich organisiert er in Limousin seit 1992 internationale Kolloquien, welche verschiedenen Instrumenten gewidmet sind. Mit der Gründung des Ensemble Baroque de Limoges (1991), verbunden mit den Partnerschaften des Centre de Musique Baroque de Versaille und der Cité de la Musique de la Vilette, erhielt er die nötige Unterstützung, um ständig den Kontakt und die Zusammenarbeit mit Musikologen, Geigenbauern und der Musikwelt zu pflegen und in die Praxis einfliessen zu lassen. Kurzbiografien Martin Zeller studierte Cello an der Musikhochschule Zürich bei Claude Starck sowie in London bei William Pleeth. An der Schola Cantorum Basiliensis studierte er Barockcello bei Christophe Coin und Viola da gamba bei Paolo Pandolfo. Er ist Solocellist des Kammerorchesters Basel und spielt ausserdem in Spezialensembles der verschiedensten Stilrichtungen: Gambenconsort L‘Amoroso, I Barrocchisti, I Sonatori della Gioiosa Marca, Ensemble Turicum, Orchestre des Champs-Elysées, Tangoensemble La Chimera, Ensemble für Neue Musik Zürich. Er hatte in jüngster Zeit Soloauftritte als Gambist im Fernsehen DRS und spielt zur Zeit eine seltsame Rolle als Rokokogambist in Christoph Marthalers letzter Zürcher Produktion «O.T. eine Ersatzpassion». Martin Zeller ist Dozent für Barockcello an der Hochschule für Musik und Theater Zürich. Willem Jansen, Orgelpositiv, Musikstudium in Enschede bei Professor Jan Warmink und Willem Mesdag, 1977 Solistendiplom am Konservatorium Royal de la Haye bei Professor Wim van Beek. Darauf Cembalostudium bei Ton Koopman in Amsterdam und Xavier Darasse in Toulouse mit anschliessender Assistenz. Als Organist und Cembalist ist er Preisträger von verschiedenen internationalen Wettbewerben wie z. B. Innsbruck, Nimègue und Edinburgh sowie Mitbegründer der Abteilung Alte Musik am CNR Toulouse, wo er auch eine Professur für Orgel und Cembalo inne hat. Ausserdem ist er Organist in Toulouse an der Augustin-Kirche und der Notre Dame la Daurade. Nebenbei pflegt er eine rege Konzerttätigkeit als Organist und Cembalist mit Rezitals, Radiosendungen und Konzerten mit berühmten europäischen Barockensembles wie Chapelle Royal, Collegium Vocale, Hespèrion XX, Ensemble Baroque de Limoges. Aufnahmen realisierte er für Harmonia Mundi, Virgin, Astrée, Ricercar und Erato. 7 8 Die Komponisten William Byrd (um 1539/40 – 1623) schrieb um 1590 Fantasien für 3-6 variable Stimmen. Diese sind repräsentativ für Byrds virtuosen, kontrapunktischen Kompositionsstil für Virginal und Gambe. Durch die komplizierten, polyphonen Kompositionen, welche direkt aus der Tradition der Vokalmusik abstammen, entstehen durch die Adaption für Saiteninstrumente Werke mit rein instrumentalem Charakter. Orlando Gibbons (1583 – 1625) war ein Meister im Komponieren von 3-stimmigen Fantasien. Er verstand es, drei gleichberechtigte Stimmen in zwei Oberstimmen und Basso Continuo umzuarbeiten. Diese brillanten Fantasien bestehen aus einer Folge von verschiedenen Teilen, die klar voneinander abgegrenzt sind. Gibbons hat die Geschichte der Gambenliteratur nachhaltig geprägt. Zwei Generationen später benützt Henry Purcell immer noch den gleichen Stil, den Gibbons sechzig Jahre früher geschaffen hatte. Auch Thomas Lupo (gest. 1628), aus einer italienischen Musikerfamilie stammend, wohnhaft in England, wurde Gibbons Kollege. In seinen 83 Fantasien liebte er es, die zwei Oberstimmen virtuos zu führen. Christopher Tye (1505 – 1572), englischer Komponist mit grossem Talent und technischem Können, führte musikalische Neuerungen in der anglikanischen Kirche ein. John Coperario (um 1575 – 1626), Engländer aus italienischer Emigrantenfamilie stammend, war einflussreiches Mitglied des Musikerzirkels mit Ferrabosco, Gibbons, Lupo und Ward. Matthew Locke (1622 – 1677), bekannt für seine Kammermusikwerke und Dramen, die Henry Purcell stark beeinflussten, galt als der wichtigste Komponist englischer Musik seiner Zeit. Christopher Simpson (1605 – 1669) Durch die Erschaffung seines Werkes «The Divison Violist (London 1659)» avancierte Simpson definitiv zu einem der berühmtesten Theoretiker und Methodiker der Gambenliteratur. Er war gleichzeitig ein beachteter Gambist und Komponist. Zu seinen Hauptwerken gehören die 12 Fantasien «The Months» und «The Seasons». «The Seasons» sind «Fantasie-Suiten» und ähneln den Fantasien von Coperario, Lawes und Jenkins. Seine Werke enthalten Fantasien für Gambe, Tänze mit Diminutionen, kunstvollen Variationen und Partien für obligates Tasteninstrument. Simpson orientiert sich einerseits an den damals üblichen Satzarten, andererseits baut er auch sehr persönliche Aspekte ein. Margaret Urquhart schreibt in ihrer Ausgabe von «The Seasons» über das Charakteristische in Simpsons Musik: «Simpson besitzt einen harmonischen Kompositionsstil, in dem z. B. die melodische Linienführung stark durch das Mittel der Imitation mit dem Bass verbunden ist.» John Holloway 9 Monika Baer For two to Play Fr 29. Okt. 19.30 h · Helferei Grossmünster Zürich John Holloway & Monika Baer – Violine Béla Bartók (1881 – 1945) Orlando Gibbons (1583 – 1625) Béla Bartók Orlando Gibbons Béla Bartók Orlando Gibbons Béla Bartók Vorspiel und Kanon aus: 44 Duos (1932) Second Fancy aus: «Six Fancies for two trebles» Ungarisches Lied Fourth Fancy Scherzo Sixth Fancy Gram Regina Irman ( * 1957) Zehn kurze Stücke nach Motiven von Bach und Biber für Barockvioline solo (2004, Uraufführung): I – VI Passaggio rotto – Fantasia aus: «Ayrs For the Violin» VII – X Nicola Matteis (17. Jhd.) Regina Irman --- Pause --Luciano Berio (1925 – 2003) BÉLA (Bartók) aus: «duetti per due violini» (1979 – 1983) Giovanni Viviani (1638 – ca. 1692) terzo solfeggiamento a due voci Luciano Berio MAJA (Pliseckaja) Giovanni Viviani secondo solfeggiamento Luciano Berio VALERIO (Adami) Giovanni Viviani nono solfeggiamento Luciano Berio LEONARDO (Pinzanti) Thomas Morley (1557 – ca. 1602) Felix Baumann ( * 1961) Thomas Morley Felix Baumann Thomas Morley Felix Baumann Thomas Morley Fantasia «la girandola» Intonationen – Drei kurze Stücke für zwei Barockgeigen (2004, Uraufführung): Erstes Stück Fantasia «la torello» Intonationen: Drittes Stück Fantasia «la caccia» Intonationen: Zweites Stück Fantasia «il lamento» 10 Monika Baer ist in Zürich aufgewachsen. Nach der Matura studierte sie in der Klasse von Robert Zimansky am Conservatoire de Musique de Genève und schloss 1994 mit dem Solistendiplom ab. Schon während des Studiums gründete sie das Quatuor Ortys, mit dem sie äusserst erfolgreich an zahlreichen Wettbewerben teilnahm. Diverse Radioaufnahmen und eine CD dokumentieren die rege Konzerttätigkeit und das besondere Interesse des Quatuor Ortys an Zeitgenössischer Musik. 1995 begegnete Monika Baer anlässlich eines Meisterkurses John Holloway, welcher sie später über viele Jahre auf ihrer Entdeckungsreise durch die Welt der Barockmusik als Lehrer und Mentor begleitete. Heute ist sie Dozentin für Barockvioline und Kammermusik an der Hochschule für Musik und Theater Zürich. Seit 1999 ist Monika Baer Konzertmeisterin des Kammerorchesters Basel. Die Zusammenarbeit mit namhaften Musikern wie Christopher Hogwood, Giovanni Antonini, Paul Goodwin und David Stern prägten ihre künstlerische Laufbahn. Als Mitglied des Lucerne Festival Orchestra und im Rahmen ihrer langjährigen Tätigkeit als Zuzügerin im Orchester der Oper Zürich spielt sie ausserdem regelmässig unter Dirigenten wie Claudio Abbado, Nikolaus Harnoncourt, William Christie und Marc Minkowski. 11 Kurzbiografien John Holloway erhielt seine Ausbildung an der Guildhall School of Music and Drama in London. In den siebziger Jahren begann er seine umfangreiche Konzerttätigkeit als Solist mit vielen renommierten Kammerorchestern sowie als Konzertmeister und künstlerischer Manager des Orchesters der Kent Opera. Nach einer Begegnung mit Sigiswald Kuijken im Jahr 1972 begann er sich verstärkt mit der Barockvioline zu beschäftigen, und drei Jahre später gründete er das Ensemble L‘école d‘Orphée, mit dem er die erste kammermusikalische Einspielung Georg Friedrich Händels auf historischen Instrumenten vorlegte. Heute zählen die bedeutendsten Spezialisten für Alte Musik zu seinen musikalischen Partnern, darunter Emma Kirkby, Stanley Ritchie und Andrew Manze, Lars Ulrik Mortensen und Jaap ter Linden. Für seine Einspielung der Rosenkranzsonaten von Biber wurde er 1991 mit dem Gramophone Award ausgezeichnet, seine jüngste, im vergangenen Jahr veröffentlichte Biber-CD erhielt den Preis der deutschen Schallplattenkritik. Ausserdem hat er weitere CDs mit Werken von Telemann, Buxtehude, Schmelzer u.a. aufgenommen. In jüngster Zeit widmet er sich auch dem Dirigieren und hat Werke unterschiedlichster Epochen von Bach bis Britten aufgeführt. Seit 1999 ist John Holloway Professor für Violine und Kammermusik an der Musikhochschule Dresden. For two to Play Es gab im 16. und 17. Jahrhundert zwei Gründe, Instrumentalmusik für zwei gleiche Instrumente zu schreiben – seien sie nun Bicinien, Fantasien, Ricercari, Duetti oder Solfeggiamenti genannt: Zum einen hatte der Zwiegesang einen instruktiven Zweck; es existieren unzählige Lehrwerke in dieser Form. Andererseits waren solche Stücke im Zeitalter des Erwachens eines neuen Bürgertums auch als «games for friends» ausserordentlich beliebt; unser Titel entstammt englischen Duo-Sammlungen aus dieser Zeit. Über Fantasien schreibt Thomas Morley 1597 in «A Plaine and Easie Introduction to Practicall Musicke» folgendes: «Die vornehmste und hauptsächlichste Art von Musik, welche ohne Worte gemacht wird, ist die Fantasie, das heisst, wenn ein Musiker ein Thema wählt nach seinem Belieben und es dreht und wendet, wie es ihn gelüstet, indem er mehr oder weniger daraus macht, so wie es ihn nach seiner Meinung am besten dünkt. Auf solche Weise kann mehr Kunst gezeiget werden als in irgend einer anderen Art Musik, weil der Komponist an nichts gebunden ist als an das, was er hinzufügen, abstreichen oder nach seinem Belieben ändern möge. Und dieser Art ist alles erlaubt, was auch in anderer Musik statthaft ist, ausgenommen das Verändern der Harmonie und das Verlassen der Tonart, was in Fantasien niemals geduldet werden darf. Andere Dinge magst du nach deinem Vergnügen anwenden wie Dissonanzen als Durchgang, schnelle Bewegungen, langsame Bewegungen, Veränderungen des Taktes und wonach es dich sonst gelüstet». Der Alten Musik stellen wir Werke des 20. Jahrhunderts und zwei Uraufführungen gegenüber: Die 44 Duos von Béla Bartók (1932 für E. Dofleins «Geigenwerk» geschrieben) sowie die Freunden gewidmeten 34 «duetti per due violini» von Luciano Berio sind ursprünglich für den Unterricht bestimmt. Beide genügen aber selbstverständlich nicht nur pädagogischen Ansprüchen, sondern zeichnen sich durch einen grossartigen Ideenreichtum und viel Spielfreudigkeit aus. Vor der Pause stehen zwei Werke für Solovioline auf dem Programm: Die Uraufführung von Regina Irmans «Zehn kurze Stücke nach Motiven von Bach und Biber» sowie ein kleines Juwel des 17. Jahrhunderts von Nicola Matteis. Felix Baumann hat seine «Intonationen» mit dem Untertitel «are you fit to clean the toilets?» eigens für dieses Programm geschrieben. Die drei Stücke basieren auf unterschiedlichen mikrotonalen Skalen und loten faszinierende Möglichkeiten der Klangund Farbgebung auf Barockviolinen aus. 12 HHH Daniel Fueter Sylvia Nopper Mario Porreca 13 Lamento, Berio & Gran Disio Sa 30. Okt. 16.00 h · Schifffahrt auf dem Zürichsee: Ab Haltestelle Theater (Opernhaus) Sylvia Nopper – Sopran Mario Porreca – Akkordeon Daniel Fueter – Texte Henry Purcell (1659 – 1695) Ah, Belinda (aus: Dido and Aeneas) Claudio Monteverdi (1567 – 1643) Lamento d’Olimpia Sigismondo D‘India (1582 – 1629) Piangono al pianger mio (O. Rinuccini) Intenerite voi, lagrime mie (O. Rinuccini) Quella vermiglia rosa (O. Rinuccini) Piange madonna (G. B. Marino) Cruda Amarilli (B. Guarini) Giulio Caccini (1545 – 1618) Amarilli Amor, io parto Belle rose porporine Luciano Berio (1925 – 2003) Quattro Canzoni Popolari (1946 – 1947): Dolce cominciamento (anon. siciliano, XIV secolo) La donna ideale (Ignoto genovese) Avendo gran disio ( J. da Lentini, XII – XIII secolo) Ballo (Ignoto siciliano) Henry Purcell (1659 – 1695) Dido’s Lament – Thy hand, Belinda (aus: Dido and Aenaes) Texte von Friedrich Dürrenmatt, Bertolt Brecht und Alfred Einstein 14 Sylvia Nopper · Die in der Region Basel lebende Sopranistin Sylvia Nopper studierte zunächst Rhythmik an der Musikhochschule Trossingen und anschliessend Gesang bei Kurt Widmer am Konservatorium Basel, wo sie auch erste Anregungen zur Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Musik erhielt. Heute ist sie eine der gefragtesten Sängerinnen der Neuen-Musik-Szene und arbeitet eng mit Musikern wie Heinz Holliger oder Jürg Wyttenbach zusammen. Viele der über 80 Kompositionen, die sie bisher zur Uraufführung brachte, wurden eigens für sie geschrieben. Sylvia Nopper konzertiert weltweit mit ihren festen Ensembles Aequatuor und den Basel Electronic Art Messengers, the B.E.A.M., sowie mit anderen namhaften Orchestern und Ensembles wie Contrechamps Genève, Collegium Novum Zürich, Klangforum Wien oder Court-Circuit Paris. Neben der Neuen Musik gilt ihre besondere Liebe dem Liedgesang. Mario Porreca studierte an der Musikhochschule des Kantons Bern mit Hauptfach Akkordeon bei Teodoro Anzellotti. Seit Beendigung des Studiums widmet er sich hauptsächlich der Interpretation Zeitgenössischer Musik. Als Gast verschiedener namhafter Ensembles wie dem Scharoun Ensemble Berlin, dem Ensemble Recherche, dem Ensemble Aventure und dem Collegium Novum Zürich unternahm er Konzertreisen in Europa, den USA, Kanada, Argentinien und anderen Ländern. Er konzertiert als Solist mit bedeutenden Orchestern, darunter den Symphonieorchestern des Bayerischen Rundfunks, des Südwestrundfunks und des Hessischen Rundfunks. Zahlreiche Komponisten, mit denen er zusammenarbeitete, schrieben Werke für ihn. Mario Porreca unterrichtet an der Hochschule für Musik und Theater Zürich. 15 Kurzbiografien Daniel Fueter · 1949 in Zürich geboren, Studium der Musikwissenschaft, Klavierstudium bei Sava Savoff an Konservatorium und Musikhochschule Zürich, Liedbegleitung bei Irwin Gage und Esther de Bros. Schrieb gegen hundert Bühnenmusiken für Theater im deutschsprachigen Raum, daneben viele Chansons und Lieder, wenig Kammermusik, mehrere Chorwerke, Kantaten und Festspiele, Musiktheatralische Stücke und Ballettmusiken für Kinder, sowie auf Libretti von Thomas Hürlimann die Oper «Stichtag» und die Operette «Aufstand der Schwingbesen» und auf einen Text von Jürg Jegge die «Judas Passion». Seit vielen Jahren Liedklasse an Konservatorium und Musikhochschule Zürich in Zusammenarbeit mit Hans Adolfsen; seit September 1998 Direktor Musikhochschule Winterthur Zürich, seit September 2003 Rektor Hochschule für Musik und Theater Zürich. Lamento, Berio & Gran Disio «O Hauch des Windes, der von neuen Küsten kommt». Musik auf dem Schiff. Klagegesänge grosser Komponisten um 1600 – Sigismondo d’India, Claudio Monteverdi und Giulio Caccini – bilden den Kern des Programms. Es ist revolutionäre Musik. Am Hof der Medici hatten Theoretiker die Erneuerung der Musik aus dem Geist der Antike entworfen. Ihren Ideen folgten Caccini und seine Kollegen. Unter den Ideologen war Vincenzo Galilei, der Vater Galileo Galileis. Was liegt näher, als diese kühne Musik mit den kühnen Gedanken des grossen Mathematikers und Astronomen in Verbindung zu bringen. So aber, wie die Musik am Konzert durch die Verwendung des modernen Akkordeons reizvoll gebrochen wird, so erscheint Galileo Galilei nicht in Originalzitaten, sondern in Auszügen aus dem Stück «Leben des Galilei» von Bertolt Brecht. Und so wie musikalisch mit Luciano Berios «Canzoni popolari» ein Kontrapunkt aus der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts geschaffen wird, sind auf der Ebene der Texte einerseits Zitate von Albert Einstein und Reflexionen Friedrich Dürrenmatts über Albert Einstein den Theatermonologen Galileis entgegengesetzt und endlich ein Ausschnitt aus Dürrenmatts Irrenhauskomödie «Die Physiker». Eine musikalisch-literarische Schifffahrt ins Ungewisse. O früher Morgen des Beginnens! O Hauch des Windes, der von neuen Küsten kommt. aus Bertolt Brecht «Leben des Galilei» 16 La Venexiana Schweizer Radio DRS 2 zeichnet das Konzert auf und sendet es am Di, 14. 12. 2004, 22.35 h. 17 Claudio Monteverdi: VIII. Madrigalbuch Sa 30. Okt. 19.30 h · Aula Hirschengraben: Hirschengraben 46, Zürich La Venexiana Alena Dantcheva Nadia Ragni Claudio Cavina Sandro Naglia Giuseppe Maletto Mario Cecchetti Daniele Carnovich Svetlana Fomina Daniela Godio Stefano Marcocchi Rebeca Ferri Giorgio Sanvito Marta Graziolino Gabriele Palomba Fabio Bonizzoni Sopran Sopran Altus Tenor Tenor Tenor Bass Violine Violine Viola Violoncello Violone Harfe Theorbe Cembalo Leitung: Claudio Cavina Hor che’l ciel e la terra (Madrigali Guerrieri et Amorosi di Claudio Monteverdi, Libro Ottavo) Altri canti d’amor Hor che’l ciel e la terra Gira il nemico insidioso Combattimento di Tancredi e Clorinda Se vittorie si belle Lamento della ninfa Volgendo il ciel / Movete al mio bel suon 18 La Venexiana ist international bekannt als eines der besten Madrigal-Ensembles. Ausgehend von einer anonymen Komödie der Renaissance (die auch Inspiration für den Namen war) wählt La Venexiana als herausragendes Merkmal seiner musikalischen Interpretation die Theatralität, das Achtgeben auf das Wort in all seinen Nuancen und die Begeisterung für Kontraste, wie sie charakteristisch für unsere Kultur sind. Die Zusammenarbeit mit dem spanischen Label Glossa Music hat seit 1997 zur Reihe «Das Italienische Madrigal» geführt, das die Publikation von zwölf CDs vorsieht, welche sich dem Repertoire des italienischen Madrigals des 16./17. Jahrhunderts widmen. Die erste in dieser Reihe entstandene CD mit dem Dritten Madrigalbuch von Sigismondo D’India hat umgehend den «Diapason d’Or» erhalten, worauf Aufnahmen mit dem Siebten Madrigalbuch von Claudio Monteverdi, dem Fünften Madrigalbuch von Luzzasco Luzzaschi und dem Neunten Madrigalbuch von Luca Marenzio folgten (Diapason d’Or im November 1999, CD des Monats Dezember 1999 der Zeitschriften Repértoire, Luister und Goldberg, Preis der Cini-Stiftung 1999, Prix Cecilia 1999). Für die Aufnahme des Vierten Madrigalbuchs von Gesualdo da Venosa hat La Venexiana den Amadeus-Preis 2001 und den Gramophone Award 2001 erhalten. Danach sind erschienen: Das Erste Madrigalbuch von Sigismondo D’India (ausgezeichnet von Répertoire und Gramophone Editor Choice), das Sechste Madrigalbuch von Luca Marenzio (Amadeus-Preis in Spanien), das Dritte Madrigalbuch von Claudio Monteverdi (kürzlich hervorgehoben durch den Grand Prix du Disque Académie Charles Cross) und La Gerusalemme Liberata von Giaches de Wert (CD des Monats in allen einschlägigen Fachzeitschriften Frankreichs). Ein neues ambitiöses und bis 2006 abgeschlossenes Projekt sieht die Aufnahme aller Madrigale von Claudio Monteverdi vor. La Venexiana ist an den wichtigsten internationalen Festivals sowie im Musikverein in Wien, bei De Singel in Anversa, in Barcelona, Valladolid, Strassburg, Amiens, Paris, Saintes, Karlsruhe, Melk, Fribourg, Utrecht, Regensburg, Brüssel, Brügge, Bogotà, New York, San Francisco, Tucson, San Diego, Seattle, Chicago und St. Petersburg aufgetreten. 19 La Venexiana La Venexiana steht für einen neuen Stil der italienischen Alten Musik, der über eine einfache musikalische Interpretation hinaus geht und Rhetorik, Text und Deklamation mit einem ganz mediterranen Geschmack verbindet. Claudio Monteverdi: VIII. Madrigalbuch Als Claudio Monteverdi seine «Madrigali Guerrieri et Amorosi» 1638 unter dem Titel «Achtes Madrigalbuch» in Druck gab, war die Gattung des Madrigals bereits am Ende seines langen und mehr als 100 Jahre zuvor bei Costanzo Festa begonnenen Weges angelangt. Nach einer blühenden Periode erfuhr das Madrigal gegen Ende des 16. Jahrhunderts einen grundlegenden Wandel: Das Wort sollte nicht mehr der Harmonie dienen, sondern der Text sollte Grundlage und Hauptaugenmerk sein, auf dem Melodien und Harmonien aufgebaut werden. Damit sollten die «affetti» hervorgehoben werden, die bei Tasso, Guarini und Marino, einer neuen Generation von Poeten, so gut beschrieben worden waren. Dieser Wechsel, genannt «seconda pratica», sah in Claudio Monteverdi seinen überzeugtesten Vertreter. Von diesem Moment an wurde das Madrigal Bild einer neuen ästhetischen Kultur, wo das Pathos des Menschen Teil des Schönen wurde: Mehr als eine Chronik der Zeit erzählt uns, wie «so schön gesungen wurde, daß mehr als eine Dame in Rührung versetzt wurde...». Neu unterstrichen die Kompositionen die einzelnen «affetti» (Tod, Schmerz, Lachen, Herbheit...) mit «verbotenen» Dissonanzen, bizarren und bis zu jener Zeit nie verwendeten Harmonien. Als Monteverdi sein Achtes Madrigalbuch mit Madrigalen zu den Themen Krieg und Liebe schreibt, ist ihm bewusst, dass die Gattung des Madrigals daran ist, ihre Vorherrschaft zu verlieren und die Oper die Oberhand im musikalischen Geschmack der Zeit gewinnt. Nach dem Siebten Madrigalbuch, das sich in äusserster formaler Vielfalt übte, finden sich im Achten Madrigalbuch Opernszenen ohne Gesten. Monteverdi erfindet noch einmal eine neue Art, das Madrigal zu konzipieren, wie er im Vorwort erklärt: «Abwägend, daß es drei Hauptleidenschaften oder Seelenzustände gibt, nämlich Zorn, Mässigkeit und Demut ... und wie die Kunst der Musik dies klar darstellt, nämlich durch die drei Begriffe «concitato, molle et temperato» (erregt, sanft und massvoll) ... habe ich begonnen, über die Ganze Note nachzudenken ... die wiederum in sechzehn Sechzehntelnoten unterteilt wird ... habe wiederum über jede einzelne nachgedacht, und durch Hinzufügung von Zorn und Empörung ausdrückender Redekunst, habe ich in diesem kleinen Beispiel die Ähnlichkeit gehört, die ich gesucht hatte ...» – nämlich, dass Kriegs- und Waffengeräusche durch schnell wiederholte (Sechzehntel-) Noten oder Akkorde vermittelt werden können. Monteverdi bemängelt, dass in der Vergangenheit zwar Musik der «sanften und der massvollen» Gattung komponiert worden sei, Beispiele für die «erregte Art» aber fehlen würden, was er nun zu komponieren versucht. Bilder des Krieges und die damit verbundene emotionale Befindlichkeit sollen in diesem neuen «stile concitato» dargestellt werden. 20 Rinaldo Alessandrini 21 Italienische Cembalomusik um 1600, «Musik im Wandel» So 31. Okt. 13.30 h · Helferei Grossmünster Zürich Rinaldo Alessandrini – Cembalo Girolamo Frescobaldi (1583 – 1643) Cento Partite sopra passacagli (Primo Libro di Toccate) Bernardo Storace (1637 – 1707) Ciaccona (Selva di Intavolatura) Louis Couperin (1626 – 1661) Prélude – Chacconne Dietrich Buxtehude (1637 – 1707) Praeludium und Fuge g-Moll BuxWV163 Tarquinio Merula (1594 – ca. 1665) Capriccio cromatico Girolamo Frescobaldi (1583 – 1643) Toccata prima (Secondo Libro) Giovanni Picchi (1572 – 1643) Ballo alla polacca Ballo ongaro Ballo detto il Picchi Michelangelo Rossi (1602 – 1656) Toccata settima 22 Kurzbiografie Rinaldo Alessandrini · Nebst seiner umfangreichen Tätigkeit als Gründer und Leiter des Ensembles Concerto Italiano hat sich Rinaldo Alessandrini weltweit einen Namen als Cembalist, Fortepianospieler und Organist gemacht. Rinaldo Alessandrini ist in Japan, Kanada, den USA und in ganz Europa aufgetreten und wird immer öfters von bedeutenden Orchestern engagiert. Seine jüngsten Produktionen sind «L’Incoronazione di Poppea», «Le Nozze di Figaro» und «Il Trionfo» an bedeutenden Opernhäusern Europas. In nächster Zeit wird er «Giulio Cesare» in Oslo, Paisiellos «Il Barbiere di Siviglia» in Bruxelles und seine eigene Produktion (Musik und Regie) von Monteverdis «Poppea» in Salamanca, Utrecht, Rom und Montpellier aufführen. Alessandrinis Aufnahmen (Opus 111, Astrée, Arcana, DHM) umfassen neben der italienischen Musik auch Werke von J. S. Bach und seinen Zeitgenossen, wofür er unter anderem drei Gramophone Awards und drei Deutsche Schallplattenpreise erhielt. 2003 wurde Rinaldo Alessandrini vom französischen Kulturministerium zum «Chevalier dans l’ordre des Artes et des Lettres» ernannt, mit seinem Concerto Italiano erhielt er den Premio Abbiati. 23 Italienische Cembalomusik um 1600, «Musik im Wandel» Die Bahn brechenden Entwicklungsschritte, welche die Vokal- und Ensemblemusik im späten 16. und im 17. Jahrhundert nahmen, betrafen auch die Musik für Tasteninstrumente, wenn auch auf unterschiedliche Weise, wie Rinaldo Alessandrinis Rezitalprogramm aufzeigt. Im Zentrum stehen zwei bedeutende Werke Girolamo Frescobaldis: Die «Cento Partite sopra passacagli», ein umfangreiches Konglomerat verschiedener passacagli, ciaccone und corrente über einen absteigenden Tetrachord, erschienen erst 1637 in der dritten Auflage des «Libro e partite d’intavolatura di cembalo» und sind ein eindrückliches Beispiel für die unerschöpfliche Ideenvielfalt des römischen Organisten. Die erste Toccata aus der Zweiten Sammlung von 1627, welche zu den profiliertesten gehört, fällt auf durch ihre kleinräumige Unterteilung in verschiedene Abschnitte, denen jeweils unterschiedliche Taktarten (und damit verschiedene Tempi) vorgeschrieben sind. Dieses Merkmal ist auch den Toccaten Michelangelo Rossis von 1640 eigen; allerdings sind diese Toccaten – wie übrigens auch diejenigen des Frescobaldi-Schülers Johann Jacob Froberger – um imitatorische Abschnitte, ferner auch um weite Sprünge in beiden Händen erweitert. Weitgehend unbekannt sind Leben und Werk von Bernardo Storace, dessen offensichtlich einzige Publikation für Tasteninstrumente, «Selva di varie compositioni d’intavolatura» von 1664 Variationenwerke verschiedener Art, unter anderem eine Ciaccona, enthält. Storace selbst ist im Titel des Druckes als «vice maestro di capella» im sizilianischen Messina bezeugt. Tarquinio Merulas «Capriccio cromatico» ist ein besonders schönes Beispiel der chromatisch eng verflochtenen Musik: Während die Chromatik in der ersten Hälfte der Komposition – zum Teil mehr als über eine Oktave hinweg – aufsteigt, wechselt die Richtung in der zweiten Hälfte auf den absteigenden Tetrachord. Giovanni Picchis «Intavolatura di balli d’arpsicordo» von 1620 ist ein frühes Zeugnis von Einflüssen der osteuropäischen Volksmusik in Italien, welche sich im «Ballo alla polacca» und im «Ballo ongarese» durch rhythmische Extravaganzen äussern. Einen Vergleich der italienischen Tastenmusik des 17. Jahrhunderts mit den Kompositionen nördlich der Alpen bieten die Werke Louis Couperins und Dietrich Buxtehudes: Der subtile Klangsinn bei Couperin, welcher für die französische Tastenmusik über alle Jahrhunderte typisch ist, sowie die rhythmisch freie Gestaltung der «Préludes non mesurés» stehen den rhythmisch prägnanten, durch ihre jähen Zäsuren und Passagen packenden Eigenschaften der norddeutschen Tradition gegenüber, die in Buxtehudes Praeludium und Fuge zum Ausdruck kommt. 24 London Baroque London Baroque Schweizer Radio DRS 2 zeichnet das Konzert auf und sendet es am Sa, 18. 12. 2004, 20.15 h. 25 Triosonaten des frühen 17. Jahrhunderts So 31. Okt. 17.00 h · Musikhochschule Zürich, Grosser Saal London Baroque Ingrid Seifert Richard Gwilt Charles Medlam Terence Charlston Violine Violine Viola da gamba Cembalo / Orgel Orlando Gibbons (1583 – 1625) 3 Fantasias (1620) Nr. 6 in d-Moll, Nr. 3 in d-Moll, Nr. 8 in d-Moll William Lawes (1602 – 1645) Sett Nr. 1 in g-Moll Fantazia – [Almaine] – [Galliard] Christopher Simpson (1605 – 1669) Divisions in D-Dur Matthew Locke (1622 – 1677) Suite Nr. 3 in d-Moll (aus «The Little Consort») Pavan – Ayre – Courante – Saraband John Jenkins (1592 – 1678) Fancy Henry Purcell (1659 – 1695) Pavane in B-Dur Sonata Nr. 10 in D-Dur (aus «Sonata’s of Four Parts») Adagio – Canzona – Grave – Largo – Allegro --- Pause --- Francesco Turini (1589 – 1656) Sonata del secondo tuono Girolamo Frescobaldi (1583 – 1643) Toccata a basso solo Dario Castello (um 1600) Sonata secondo a soprano solo (Libro secondo 1629) Bernardo Storace (1637 – 1707) Ciaccona Heinrich Biber (1644 – 1704) Partia VI in D-Dur (aus «Armonia Artificiosa») Praeludium – Aria con variazioni – Finale 26 Richard Gwilt wurde in Edinburgh geboren, wo er auch zur Schule ging. Nachdem er seine Musikausbildung in Birmingham, wo er Violine bei Orrea Pernel studierte, abgeschlossen hatte, besuchte er die University of Michigan, USA. Kurz nach seiner Rückkehr nach England (1983) wurde er Mitglied von London Baroque. Neben seiner kammermusikalischen Tätigkeit ist er als Leiter und Dirigent gefragt ( John Blows «Venus & Adonis» und der «Messias» von Georg Friedrich Händel in dieser Saison). Er ist als Lehrer für Barockgeige am Trinity College London tätig und regelmässig an der Royal Academy zu Gast. Seine Lehrtätigkeit führt ihn oft nach Portugal an die Academia de Musica Antiga de Lisboa und die Escola Superior de Musica in Oporto. Charles Medlam studierte Cello in London, Paris, Wien und Salzburg, bevor er sich für Gambe und Aufführungspraxis für Alte Musik interessierte. Nach einem Jahr in Hong Kong, wo er an der chinesischen Universität Unterricht gab und im dort ansässigen Streichquartett mitwirkte, kehrte er zurück nach Europa und studierte bei Maurice Gendron am Pariser Konservatorium, bei Wolfgang Herzer in Wien wie auch bei Heidi Litschauer in Salzburg, wo er zugleich Nikolaus Harnoncourts Klasse für Aufführungspraxis besuchte. 1978 gründete er mit Ingrid Seifert das Ensemble London Baroque. Er ist ausserdem Mitglied des Klaviertrios the Romantic Chamber Group of London, dessen Repertoire bekannte wie auch unbekannte Werke von Beethoven bis heute einschliesst. Sein Barockcello wurde 1720 von Finnocchi in Perugia, sein «modernes» Cello um 1800 in Neapel von Lorenzo Ventapane gebaut. Terence Charlston wurde 1962 in Blackpool, Lancashire geboren. Nach seinem Studium als Orgelstipendiat am Keble College of Oxford wirkte der Künstler als Organist an der Westminster Cathedral. Anschliessende Studien folgten bei Virginia Black, John Toll und Kenneth Gilbert an der Royal Academy of Music in London. Seine Konzerttätigkeit wird durch seine Lehrtätigkeit an der Royal Academy of Music als Abteilungsleiter für Alte Musik ergänzt. Als Solist hat er CDs mit Cembalomusik von Purcell, Couperin, Locke und Bach eingespielt. 27 Kurzbiografien Ingrid Seifert wurde in der Nähe von Salzburg geboren und studierte Geige in Wien und Salzburg. Ihr Interesse für Alte Musik wurde während des Studiums bei Nikolaus Harnoncourt und durch die gelegentliche Mitwirkung im Concentus Musicus Wien stark gefördert. 1978 gründete sie mit Charles Medlam London Baroque. Sie spielt auf einer Stainer-Violine von 1661. Triosonaten des frühen 17. Jahrhunderts Das Programm von London Baroque vermittelt auf der einen Seite die ungebrochene Tradition der englischen Musik, die seit dem 15. Jahrhundert polyphone und melodischharmonische Kompositionsweisen belässt, sich auf der anderen Seite dem Neuen nicht verschliesst: insbesondere der Einfluss italienischer Komponisten ist wichtig und in diesem Konzert in «Belegexemplaren» (Frescobaldi, Storace u.a.) zu finden. Orlando Gibbons’ (1583 – 1625) Domäne waren die Tasteninstrumente – er war sowohl Prinz Charles’ Hoforganist als auch Virginalist in dessen Privatgemächern. Die drei Werke stammen aus seiner um 1620 veröffentlichten Sammlung von neun dreistimmigen Fantasien, bei denen es sich um «Consort»-Musik handelt, was an der Verwendung von Diskant-, Mezzosopran- und Baritonschlüsseln ihrem «homogenen» Stil und der gleichbleibenden Struktur abzulesen ist. Der ältere Stil ist mit seiner dichten motivischen Imitation (oftmals gegen das Metrum) und der relativen tonalen Stabilität immer noch deutlich vernehmbar. Es hat zudem den Anschein, dass die Fantasien mit Orgelbegleitung gespielt wurden, denn es sind verschiedene Partituren überliefert, die wahrscheinlich als Grundlage für eine improvisierte Begleitung dienten. Anders als Gibbons, Coprario oder Lawes arbeitete John Jenkins (1592 – 1678) mehr auf Landsitzen als am Hof. Obwohl er sowohl das Commonwealth wie die Restauration miterlebte, hatte er nur wenig Kontakt zu den jeweiligen Höfen. Es überrascht kaum, dass er im Bereich der Instrumentalmusik anfangs vor allem Consort-Musik schrieb. Als Reaktion auf den Stilwandel komponierte er in der Folge mehr als siebzig Fantasie-Suiten in unterschiedlichen Besetzungen und Formen. Seine frühen FantasieSuiten weisen eine grosse Nähe zu dem von Coprario etablierten Modell auf; manche Eigenarten (überraschende Fortschreitungen, augmentierte Akkorde) lassen vermuten, dass er Lawes’ Fantasien kannte. Als sein Stil zur Reife fand, führte er als erster Komponist «Divisions» (eine englische Variationstechnik) in die Fantasien ein. Christopher Simpson (1605 – 1669) war, wie Jenkins, kein Hofkomponist und als Autor und Violist bekannter denn als Komponist. Sein Werk «The Division Violist» wurde 1659 in London veröffentlicht. Von seinen Kollegen wurde er sehr geschätzt; Matthew Locke schrieb: «ein Mann, dem gute und kenntnisreiche Menschen aufgrund seines exemplarischen Lebens und seines exzellenten Könnens ein ehrenvolles Angedenken bewahren». Und John Jenkins nannte ihn seinen «ganz besonderen Freund». Am bekanntesten sind seine Sammlungen von «Divisions» – die Months und das Schwesterwerk, die Seasons, die vermutlich von Jenkins’ brillanten Fantasie-Suiten beeinflusst sind. Eigenartig ist der Eifer, mit dem Henry Purcell darum bemüht war, sich vom französischen Stil abzugrenzen und die «berühmten italienischen Meister» als Verbündete anzurufen. Vielleicht betrachtete Purcell den englischen Stil als Wasser für den Fisch und war bemüht, die «Ernsthaftigkeit» des italienischen Stils, von dem er inspiriert war, gegenüber dem leichteren französischen Stil zu betonen, der am Hof in Mode war. 28 Michaela Schuster · Annemarie Podesser · Sibylle Kunz · Yvonne Ritter 29 Entractes I Do 28. Okt. 12.30 h · Treppenhaus der Hochschule für Musik und Theater Zürich Sibylle Kunz · Annemarie Podesser · Yvonne Ritter · Michaela Schuster – Blockflöten Eustache du Caurroy (1549 – 1609) Douziesme Fantasie Neufiesme Fantasie Johann Hermann Schein (1586 – 1630) Allemande und Tripla a quattro voci (aus: Banchetto musicale) John Jenkins (1592 – 1678) Pavan John Ward (gest. 1640) Fantasia Giovanni Paolo Cima (um 1600) Capriccio 58 Alessandro Poglietti (gest. 1683) Canzon Vber dass Henner Vnd Hannergeschreij – Dass Hannen Geschraij 30 Tabea Herzog Chiasper-Curò Mani Annette Gfeller 31 Entractes II Fr 29. Okt. 12.30 h · Treppenhaus der Hochschule für Musik und Theater Zürich Tabea Herzog – Sopran Chiasper-Curò Mani – Bariton Reymond Huguenin – Theorbe Annette Gfeller – Cembalo Arie e Canzoni – Ayres and Songs Werke von Claudio Monteverdi, Giulio Caccini, John Dowland und Thomas Morley 32 Festival Alte Musik Zürich n e u e s f o r u m f ü r a l t e m s u i Eine Initiative des Neuen Forums für Alte Musik Zürich k z ü r i c h Vorstand Monika Baer Reto Cuonz Hans-Joachim Hinrichsen Martina Joos Matthias Weilenmann Martin Zimmermann Patronatskomitee Alice und Nikolaus Harnoncourt Alexander Pereira Peter Reidemeister Neues Forum für Alte Musik Zürich Postfach 517 · CH 8044 Zürich Telefon/Fax: +41 (0)1 252 63 23 email: [email protected] www.altemusik.ch Werden Sie Mitglied Einzelmitglied Fr. 60.– Juniormitglied Fr. 20.– Gönner Fr. 600.– PC: 84-58357-5 Sekretariat Monika Kellenberger Visuelle Gestaltung Johanna Guyer Preise Festival 2004 normal Mitgl. erm. Coin/Balestracci/Zeller/Jansen Holloway/Baer Nopper/Porreca/Fueter La Venexiana Alessandrini London Baroque 45.– 45.– 35.– 45.– 30.– 45.– 35.– 35.– 25.– 35.– 20.– 35.– 18.– 18.– 15.– 18.– 10.– 18.– Festivalpässe 180.– 150.– 80.– Entractes und Hinzuführend: Eintritt frei Vorverkauf ab 1. Oktober: Jecklin + 41 (0) 1 253 76 76 oder www.altemusik.ch Programmänderungen vorbehalten Mit dankenswerter Unterstützung von: Präsidialdepartement der Stadt Zürich, Familien-Vontobel-Stiftung, ERNST GÖHNER STIFTUNG, Jubiläumsstiftung der Zürich Versicherungs-Gruppe, Hochschule für Musik und Theater Zürich, Musikhaus Jecklin, Schweizer Radio DRS 2 Familien-Vontobel-Stiftung ERNST GÖHNER STIFTUNG 33 Jubiläumsstiftung der Zürich Versicherungs-Gruppe