Predigtreihe in der ev. Kirche in Oberhöchstadt: Meine liebste biblische Geschichte 8. Januar 2012 Pfr. i.R. Dr. Ernst-August Küchler: Mit Jakob und Esau Wege der Versöhnung suchen (1. Mose 33, 1-16) Ich will mit einem kleinen Bericht beginnen, der hinführt, wie ich auf das Thema „Versöhnung“ gestoßen bin. Ich besuchte mit einer Gruppe den Norden Polens. Wir haben uns an der schönen kaschubische Schweiz und an der masurischen Landschaft erfreut. Eine stille, Harmonie und Besinnlichkeit ausstrahlende Landschaft: Wasser und Wald. Und dann stand dort oben an einem Tag der Besuch der „Wolfsschanze“ auf dem Programm, dem Führerhauptquartier von 1941- 1944, wo der Angriff auf Stalingrad und die Zerstörung Warschaus ebenso beschlossen wurden, wie die menschenverachtende Bildung des „Volkssturms“ aus Kindern und Greisen. Und wo auch das Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 misslang. Mir war auf der Fahrt dorthin schon etwas mulmig. Wie würden mir Deutschem dort die Polen begegnen? Welches Verhalten ist von mir das angemessene? Was können sie mir verzeihen, ist mir etwas zu vergeben? Muss ich um Vergebung bitten? Auch das Bild vom Kniefall unseres ehemaligen Bundeskanzler Willy Brandt in Warschau kam mir in den Sinn mit seiner Bitte um „Versöhnung“. – Die Situation war dann ganz anders: die Gedenkstätte war eher menschenleer, wir gingen mit einem örtlichen Reiseleiter fast schweigend durch die Anlage. Doch auch nach dem Besuch haben mich die Gedanken und Gefühle um Vergebung und Versöhnung weitert beschäftigt. Auch die Frage: sind Vergebung und Versöhnung Synonyme oder gibt es Unterschiede? Ich griff zu theologischen Auslegungen zum Begriff und fand dort: bei Versöhnung, geht es um die „Gerechtsprechung des Menschen durch Gott. Und daraus eröffnet sich die Versöhnungsfähigkeit der Menschen untereinander.“ Um uns dies vorstellbar zu machen, nehme ich gerne einen Gedanken – vielleicht gar einen roten Faden – aus der Predigt von Pfr. Steetskamp vom letzten Sonntag auf. Er sagte sinngemäß: wir Christen sind in die Tradition der Thora eingebunden. Sie ist unsere Glaubensbasis. So wollen wir uns von daher auch unserem Lernprozess mit Jakob und Esau nähern. Der Begriff Versöhnung begegnet uns im Pentateuch, den 5 Büchern Mose. Dort wird, wie wir wissen, die Geschichte des Volkes Israel mit Gott beschrieben: von der Schöpfung an, über die Auszüge von Abraham aus Ur in Chaldäa und Moses Zug aus Ägypten, sowie dessen Rolle bei Gesetzgebung am Sinai bis hin zu der Landnahme des von Gott verheißenen Landes. In diese geschichtliche Gesamtschau haben nun die Autoren sogenannte RECHTSBÜCHER eingefügt oder hinein komponiert. Gleichsam als Orientierungslinien, um religiös-rituelles wie rechtliches Zusammenleben, zu regeln. So beschreibt das 3. Buch Mose (16) die Rituale des jährlichen großen Versöhnungstages. Es wird berichtet, dass aus diesem Anlass - solange es den Tempel in Jerusalem gab - alljährlich in einem großen Ritual Ziegen, Lämmer und Widder geopfert wurden. Durch diese Begehung konnte das Volk vor Gott gerecht gesprochen, mit Gott versöhnt werden. Durch das Schlachten der Opfertiere 2 wurde das gläubige Volk dabei symbolisch gereinigt. Wobei uns der Theologe Gerhard von Rad darauf hinweist, dass schon im alten Israel „die Sühnewirkung, nicht im Blut liegt, sondern in der Hingabe des Lebens, dessen Träger das Blut ist“. Dies ist ein wichtiger Gedanke, der später im Neuen Testament aufgenommen wird. Nachdem der Tempel im Jahr 70 nach Christus zerstört war und die Juden zerstreut wurden, verlagerte sich die Begehung des Versöhnungstages in die Synagoge. Wieder einem bestimmten Tag im Jahr, kurz vor dem Laubhüttenfest, wurde der Versöhnungstag, der Jom Kippur, begangen. Tieropfer fanden nicht mehr statt, aber der Gedanke daran blieb lebendig. Dies ist bis heute in allen jüdischen Gemeinden so, ob in Israel oder der übrigen Welt. Ich habe mehrmals an diesen Feiern teilgenommen. An diesem Tag gehen nahezu alle Juden zum Gebet in die Synagoge, auch wenn sie es das Jahr über sonst nicht tun. Die frommen Juden fasten dazu an diesem Tag, um der Bedeutung der Versöhnung mit Gott auch körperlich Ausdruck zu verleihen. Vergehen aller Art und das Versöhnungsangebot Gottes bedenken die Juden an diesem Tag. Dabei geht es sowohl um Verletzungen des Gottesrechts im Ritual, als um Übertretung von kultischen Gebotsriten und auch um Übertretungen im Sinne der 10 Gebote. Zwei Aspekte prägen also das Denken: Verstöße gegen sakrale Ordnungen, bei Speisen und Ähnlichem und um soziale Vergehen, denn der einzelne ist immer in die gottgebene menschliche Gemeinschaft eingebunden. Das Böse, das durch Gedanken, Worte und Taten geschehen ist, wirkt sich gleichermaßen auf das Gottesverhältnis und auf die Gemeinschaft zerstörerisch aus. Am Versöhnungstag wird gefeiert, dass Jahwe die zerstörerische Wirkung einer Untat aufheben will und wird. Versöhnung ist eine Heilstat Gottes, die von ihm ausgeht. Mit dieser Deutung sind wir schon sehr nahe bei unserem christlichen Verständnis von Jesu Heilstat am Kreuz. Die Vorstellung von dem einst am Versöhnungstag im Tempel geopferten Tier, von seinem vergossenen Blut, von dem stellvertretenden Tod des Tieres als Sühne, wird auf Jesus übertragen. Hinweise darauf finden wir etwa in Formulierungen der Abendmahlsliturgie wie“ dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut“ und das danach gesungene „Christe, du Lamm Gottes, der du trägst die Sünd der Welt“ oder auch in den Chorälen „Christi Blut und Gerechtigkeit das ist mein Schmuck und Ehrenkleid…“ und „Der Grund, da ich mich gründe, ist Christus und sein Blut“. Der Apostel Paulus hat sich dieses Gedankens besonders angenommen. Er schreibt an die Gemeinde in Rom (5,19) „Wir rühmen uns auch Gottes, durch unseren Herr n Jesus Christus, durch den wir die Versöhnung empfangen haben. Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selbst und rechnete ihr ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet, das Wort von der Versöhnung.“ Und im Gnadenzuspruch aus dem 1. Joh. Brief haben wir schon gehört (4,10), „darin besteht die Liebe, nicht dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt hat und gesandt seinen Sohn zur Versöhnung für unsere Sünden.“ Der Begriff der Versöhnung legt im Neuen Testament sein ganzes Gewicht auf die Heilstat Jesu für uns, sodass wir glauben dürfen, wir sind von Gott angenommen Durch Jesu Leiden und Sterben bietet Gott uns Versöhnung an. Dies ist die Basis für uns Christen, uns auch mit anderen Menschen versöhnen zu können. Wie Versöhnung praktisch aussieht, wie wir im Alltäglichen, ganz praktisch Botschafter der Versöhnung mit Gott unter uns Menschen sein können, wie Versöhnung aus der privaten Heilsgewissheit herauswachsen kann auf andere hin, dazu gibt es kaum praktische Hinweise im Neuen Testament. Doch die niedergeschriebenen Erfahrungen aus der Thora sind den Verfassern des NT stets im Sinn. Greifen wir deshalb eine Geschichte aus dem 1. Buch Mose auf, die von einer Versöhnung erzählt. Mehr noch, die Vergebung und Versöhnung beschreibt und hilft uns, aus ihr 3 abzuleiten, wie Versöhnung, nach Gottes Willen im sozialen, im zwischenmenschlichen Bereich geschehen kann. Es handelt sich um eine Episode aus dem Leben von Isaaks beiden Söhnen Jakob und Esau. Zwei Brüder die nicht unterschiedlicher sein könnten. Zum besseren Verständnis des Predigttextes - der das Ende der gemeinsamen Geschichte der Brüder bildet - will ich uns in Stichworten die Vorgeschichte in Erinnerung rufen. Isaak und Rebekka bekamen spät Zwillinge. Von ihnen wird in der Geschichte berichtet, dass sie sich schon im Mutterleib miteinander stießen, also sich zankten. Als sie heranwachsen wird deutlich, der Vater bevorzugt den Jäger ESAU, den Erstgeborenen und die Mutter JAKOB, den gesitteten jungen Mann bei den Zelten, wie es in der Geschichte heißt. Es wird erzählt, wie Jakob an seiner Karriere arbeitet: Für ein Linsengericht trotzt er Esau das Erstgeborenenrecht ab. Dann luchst er mit Hilfe der Mutter, den väterlichen Segen ab, indem er den altersschwachen Vater vorspielt, er sei Esau. Als Esau dies erfährt, trachtet er Jakob nach dem Leben. So muss dieser zu dem Bruder der Mutter nach Mesopotamien fliehen. Dort lebt er und wird reich. Dies neiden ihm die Söhne des Onkels und behaupten, Jakob hätte ihren Vater betrogen. So muss er wieder fliehen. Nach Kanaan, in die alte Heimat, möchte er zurück. Doch dort wohnt sein Bruder Esau, der ihm mit dem Tod gedroht hatte. Doch er bricht dorthin auf. Als er sich der Heimat mit seiner ganzen Familie nähert wird ihm bange. So schickt er Kundschafter vor, um die Lage ermitteln zu lassen. Sie kommen sehr bedrückt zurück und melden ihm, dass Esau ihm entgegen ziehe. Und da setzt unser Text ein. Jakob hob seine Augen auf und sah seinen Bruder Esau kommen mit vierhundert Mann. Und er verteilte seine Kinder auf Lea und auf Rahel und auf die beiden Leibmägde und stellte die Mägde mit ihren Kindern vornean und Lea mit ihren Kindern dahinter und Rahel mit Josef zuletzt. Und er ging vor ihnen her und neigte sich siebenmal zur Erde, bis er zu seinem Bruder kam. Esau aber lief ihm entgegen und herzte ihn und fiel ihm um den Hals und küsste ihn und sie weinten. Und Esau hob seine Augen auf und sah die Frauen mit den Kindern und sprach: wer sind diese bei dir? Er antwortete: Es sind die Kinder, die Gott deinem Knecht beschert hat. Und die Mägde traten herzu mit ihren Kindern und neigten sich vor ihm. Lea trat auch herzu mit ihren Kindern, und sie neigten sich vor ihm. Danach traten Josef und Rahel herzu, und sie neigten sich auch vor ihm. Und Esau sprach: Was willst du mit all den Herden, denen ich begegnet bin? Er antwortete: Dass ich Gnade fände vor meinem Herrn. Esau sprach: Ich habe genug, mein Bruder; behalte was du hast. Jakob antwortete: Ach nein! Gabe ich Gnade gefunden vor dir, so nimm mein Geschenk von meiner Hand; denn ich sah dein Angesicht, als sähe ich Gottes Angesicht, und du hast mich freundlich angesehen. Nimm doch diese Segensgabe von mir an, die ich dir zugebracht habe; denn Gott hat sie mir beschert, und ich habe von allem genug. So nötigte er ihn, dass er sie nahm. Und Esau sprach: Lasst uns aufbrechen und fortziehen; ich will mit dir ziehen. Er aber sprach zu ihm: Mein Herr weiß, dass ich zarte Kinder bei mir habe, dazu säugende Schafe und Kühe; wenn sie auch nur einen Tag übertrieben würden, würde mir die ganze Herde sterben. Mein Herr ziehe vor seinem Knechte her. Ich will gemächlich hintennach treiben; wie das Vieh und die Kinder gehen können. Esau sprach: So will ich doch bei dir lassen etliche von meinen Leuten. Er antwortete: Ist das denn nötig? Lass mich nur Gnade vor meinem Herrn finden. So zog Esau an jenem Tage (wiederum) seines Weges. Eine Versöhnungsgeschichte der besonderen Art. Lassen Sie uns einmal die beschriebenen Versöhnungselemente zusammentragen, die uns anschaulich machen können, wie als Folge der geglaubten Versöhnung mit Gott, - Jakob sagt „ich habe in deinem Angesicht Gottes Angesicht gesehen“ – dann die Versöhnung unter Menschen aussehen kann. 4 Jakob ist vorsichtig. Er begrüßt seinen Bruder, als ob er dessen Vasall wäre, mit sieben Verneigungen und der Anrede „mein Herr“. Esau dagegen läuft seinem Bruder entgegen, fällt ihm um den Hals und küsst ihn. Esau, der Betrogene ist hier der Gebende, der Freie, der Großzügige, der die angstvolle Spannung vermindert. Esau durchbricht Jakobs blutleeres Ritual. Seine Begrüßung ersetzt den Formalismus durch Herzlichkeit und Zuwendung. Esaus Signal an Jakob ´ich habe dir schon längst vergeben´. Und weiter: Esau fordert keine Schuldbekenntnisse. Er akzeptiert Jakob wie er ist, wie er geworden ist, ohne nochmals aufzurechnen, ohne Wenn und Aber. Esau bewertet Jakobs Gesten auch nicht als ein Eingeständnis von Schuld und verhält sich deshalb nicht gönnerhaft, sondern vermittelt den Eindruck, dass ihm das vor langer Zeit Geschehene nicht mehr wichtig ist. Er hat sogar die Kraft, es nicht kommentieren zu müssen. Ich denke wir können hier an einem einprägsamen Beispiel die Begriffe Vergebung und Versöhnung auseinanderhalten. Vergebung geht zu meist durch den Kopf, arbeitet mit Abwägungen: soll ich, soll ich nicht, was bringt es mir. Versöhnung dagegen geschieht aus einem Bewusstsein des Gehaltenseins heraus. Sie kommt aus dem Herzen. Versöhnung braucht keine Argumente. Vergebung nutzt den Kopf, Versöhnung lebt aus dem Herzen. Esau ist mit sich und seiner Situation versöhnt und so fragt er auch Jakob unbefangen, was die vorausgesandten Herden zu bedeuten haben. Dieses offene Ansprechen macht Jakob Mut, wahrheitsgetreu zu gestehen, dass er damit seinen Bruder habe gewinnen wollen. Er wollte damit um Vergebung bitten und ein Ablassen von der Blutrache erwirken, wie er sagt „dass ich Gnade finde vor meinem Herrn“. Doch Esau winkt mit leichter Hand ab, „ich brauche nichts“. Er hatte alle Verletzungen überwunden. Er muss nicht nachkarten oder mit dem Bruder gar rechten. Die wertvollen Tiergeschenke bedeuten ihm nichts. Er will keine Abhängigkeiten haben. Er ist mit seinen Emotionen im Reinen und sucht nach einem Neuanfang, einer Versöhnung. Er schlägt seinem Bruder deshalb vor, nun zusammen weiter zu ziehen. Doch Jakob hat auch aus seinen Lebenserfahrungen gelernt. Er hat erkannt, dass Versöhnung Nähe und Distanz braucht. So trennt er sich und ist dankbar und froh mit seinem Bruder nun ein versöhntes Verhältnis zu haben. Die Geschichte macht deutlich, dass Versöhnung noch eine andere Qualität als Vergebung hat, weil in dieses Geschehen auch die jeweilige Beziehung zu Gott mit eingewoben ist. Die Geschichte von Jakob und Esau will uns mit ihren realistischen Bildern dabei helfen, die ganz andere Beziehung zwischen Mensch und Gott besser zu verstehen. Denn auch in diesem Geflecht gilt, die Versöhnung mit Gott braucht Distanz und Respekt, denn Gott ist nicht Mensch. Gott mit menschlichen Kategorien zu sehen, ihn mit menschlichem Verhalten und Denken zu belegen, würde Gott in seiner Souveränität, seine Andersartigkeit und Größe nicht achten und ernstnehmen. Gott schafft Versöhnung zwischen sich und dem einzelnen Menschen. Diese Kraft der Versöhnung geht allein von Gott aus. Sein oft verborgenes Handeln wird uns in Jesus offenbar, wenn auch oftmals nur schwer verständlich. Sein Heilshandeln ist von unseren Vorstellungen oft weit weg und mit unserem Denkvermögen nur schwer zu erfassen. In diesem uns nicht logisch Erscheinen, begegnet uns der deus absconditus, der uns letztlich verborgene Gott. Doch in Jesus wird offenbar, dass Gott ein deus revelatus ist, der sich zeigende, der sichtbar gewordene Gott. Lassen sie es mich noch einmal anders sagen, indem ich unsere Eingangsfrage nach dem Unterschied von Vergebung und Versöhnung aufnehme. Gerade unsere Geschichte macht deutlich, 5 VERGEBEN und VERSÖHNEN sind zwei zu differenzierende Verhaltens- und Denkansätze, auch wenn sie zusammenhängen. Die Brüder Jakob und Esau haben sich vergeben. Sie haben Vergebungsbereitschaft gezeigt und ihren jahrelangen Konflikt beigelegt. Vergeben bedeutet in unserer Geschichte den Verzicht auf Blutrache. Vergeben heißt, sich etwas zu versagen, eben den Anspruch auf Genugtuung aufzugeben. Vergebung ist etwas das zwischen Menschen abläuft. Wir können einem Menschen auch vergeben, ohne dass wir wieder eine Beziehung zu ihm aufnehmen. Der Volksmund sagt das mit „vergeben und vergessen“. Mehr aber auch nicht. Ganz anders ist das bei der Versöhnung. Dieses Geschehen ist mehr als Verzeihen, denn sie beruht auf dem Versuch, wieder eine vertrauensvolle Verbindung herzustellen. Versöhnung ist ein Brückenschlag, eine herzliche Verbindung über einen Abgrund von Fehlverhalten hinweg. Jakob und Esau kennen ihr Fehlverhalten, aber sie lassen sich ihre Lebensgestaltung nicht weiter davon bestimmen. Sie wollen das Mehr, den Gleichklang der Herzen, die Versöhnung, eben im Gesicht des anderen Gottes Angesicht zu sehen. Allein die Versöhnung birgt die Möglichkeit in sich – auch unter Einbeziehung von vergangenen schrecklichen Erfahrungen – wieder in einer ungetrübten personalen Beziehung zu leben und sich sicher zu sein, dass man sich wieder ganz auf den anderen verlassen kann. Versöhnung ist ein dialogisches Geschehen. Es ist ein Geschenk auf Gegenseitigkeit. Beide Seiten bringen eine besondere Leistung ein. Es ist nicht nur der Verzicht auf Rache, sondern das Bewusstsein und der Wille, zu bekennen: wir beide haben nicht nur einander verziehen und damit gut. Nein in der Versöhnung steckt die Kraft zu einem „Neuanfang“, wenn auch unter anderen Bedingungen. Bei Esau und Jakob ist es die erstaunliche Erkenntnis, „ auch wenn wir einander lieben, ist es besser, nicht zusammen zu leben“, trotz der Versöhnungszusage Gottes. Versöhnung zeichnet sich noch durch ein anders Charakteristikum aus: Versöhnung lässt sich nicht machen. Versöhnung ereignet sich. In der Versöhnung erfahren wir – wie es die Botschaft Jesu verkündet – dass wieder etwas „heil“ werden kann. Bei uns und auch bei anderen. Der Volksmund sagt: „Er ist mit Gott und sich im Reinen“. Denn das wissen wir doch auch: das Gefühl des „Unversöhntseins“ mindert unsere Lebensqualität und wirft uns in die Vereinzelung, weil wir weder mit uns noch mit dem anderen „versöhnt“ sind. Versöhnung bringt Freiheit zum Guten. Gott sagt uns die Kraft zu, anderen zu verzeihen und verspricht uns die Fähigkeit zu, uns im Vertrauen auf Gottes Liebe auch zu versöhnen. Gott will uns die Kraft und den Mut schenken, uns in unserem Umfeld – so wie Jakob und Esau in ihrem – im Vertrauen auf Gottes Hilfe zu versöhnen. Damit werden wir in unserem Leben, von Glauben und Herz gesteuert, so dass wir die Freiheit der Kinder Gottes erfahren können. Dies geschieht immer ganz konkret und zu allermeist auch ganz nah in unserer unmittelbaren Umgebung. In der Familie, in der Nachbarschaft, unter Freunden. Dies sind die Orte, wo wir ermuntert und ermutigt werden, von Gott bestärkt, uns um Versöhnungsmöglichkeiten zu kümmern und unser Augenmerk auf Vergebungsnotwendigkeiten zu richten. Übrigens auch ich habe etwas für meiner Ausgangsüberlegung gelernt: Mein Fixiertsein auf mein richtiges Verhalten „ gegenüber den Polen in den Masuren“, die anonym in der Ferne leben, kann die Gefahr bergen, mir den Blick in meinem Umfeld für aktuell notwendige Vergebungs- und Versöhnungsbereitschaft zu verstellen. Was Gott verhüten möge.