Lernen für die Zukunft aus Erfahrungen von Gestern

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Lernen für die Zukunft aus Erfahrungen von gestern
Referat von MUDr. Milan Špaček
Lernen ist ein kontinuierlicher Prozess, der allen Lebewesen gemeinsam ist. Zwischen Lernen
und Erfahrung besteht eine direkte Beziehung. Je weniger Erfahrungen, umso größer ist die
Fähigkeit zu lernen. Diese Beziehung gilt auch umgekehrt. Man kann ohne Übertreibung
sagen, dass Leben ohne Lernen nicht existiert und nicht vorstellbar ist. Das Lernen verläuft
nicht nur als bewusster Prozess, welcher gewisse Ansprüche an die Gedächtniszellen stellt,
sondern vielleicht noch mehr als Prozess, welcher in den Schichten des Unterbewusstseins
verläuft und welcher nicht nur von äußeren Bedingungen, sondern auch von genetischen
Faktoren beeinflusst ist. Aus vielen Forschungen entsteht die Erkenntnis, dass dieser
unbewusste Prozess ungeheuer großen Einfluss auf die Persönlichkeit und ihre Haltung
aufweist und damit auch auf die Gesellschaft. Dieses persönliche und gesellschaftliche
Gedächtnis ist dicht vernetzt und kommt aus durch Autorität unterstützten Quellen, welche
in der Familie, der Schule und der Gesellschaft über Generationen hinweg übertragen
werden, und bildet so einen Grundstein für die Haltung der Gesellschaft.
Ich möchte gern zwei Fragen stellen:
1. Was wollen wir in der Zukunft erreichen und
2. wie können wir den Lernprozess beinflusssen, um zu einem positiven Resultat zu
kommen?
Meiner Meinung nach soll das Ziel dieses Prozesses die Bildung und Entstehung eines
gemeinsamen Raumes sein, welchen ich gern „Heimat“ nennen möchte. Heimat im vollen
Sinne des Wortes in der deutschen wie auch in der tschechischen Sprache. Dieser
geographische Raum im breiteren, europäischen Sinne war schon in früheren Jahrhunderten
unsere Heimat, wo unsere Völker mehr oder weniger harmonisch zusammen mit anderen
Menschen verschiedener Nationalität und Abstammung gelebt haben. Die vereinigende Idee,
die trotz aller Unterschiede eine gemeinsame Kultur erschaffen hat, war die frohe Botschaft
des Christentums. Wenn wir damit einverstanden sind, dass wir eine Heimat schaffen wollen,
brauchen wir nicht bei null anzufangen. In dieser Heimat sollen wir uns alle an der
Verwaltung und Erhaltung dieses Gebietes beteiligen. Wir werden für die weitere
Entwicklung gemeinsam die Verantwortung tragen. Dann bin ich überzeugt, dass eine
Heimat entstehen kann, die durch keine Barrieren geteilt werden kann.
So kommen wir langsam zu der zweiten Frage. Um eine richtige Antwort geben zu können,
müssen wir wissen, was in der Vergangenheit geschehen ist. Die ersten Spannungen und
Unterschiede enstehen bei der Beschreibung und Interpretation der historischen
Geschehnisse.
Die Geschichte und geschichtliche Ereignisse werden manchmal mehr aufgrund einer
Mythologie als aufgrund einer wissenschaftlichen Methode interpretiert und auf diese Weise
werden sie dann über Generationen weitergeleitet. Dabei unterliegt diese Form der
geschichtlichen Interpretation Veränderungen, welche den jeweiligen Bedürfnissen am
besten entsprechen. Die Früchte dieser Entwicklung sind wohl bekannt. Der frühere Nachbar
wird zum Fremden, die früher akzeptierten Unterschiede werden zum Grundstein für spätere
Vorurteile. An Fremde kann man hohe Ansprüche stellen und wenn diese Ansprüche nicht
ensprechend beantwortet und erfüllt werden, wird der Fremde zum Feind. So wird der
Teufelskreis geschlossen. Von der Bewusstheit der Unterschiedlichkeit über Vorurteile zur
Feindseligkeit und schließlich zum Hass. Der Spalt dehnt sich aus und unten in der Finsternis
der Schlucht schlummert der Drache des Krieges. Wie können wir den Teufelskreis
durchbrechen? Die Antwort ist sicher kompliziert und beinhaltet viele Schichten und
Nuancen. Trotzdem glaube ich, dass wir uns kurz der Sache widmen sollten.
In der Vergangenheit haben wir gute wie auch schlechte Erfahrungen miteinander
gesammelt. Es liegt schon in der menschlichen Natur, dass die guten schneller vergessen
werden als die schlechten. Niemand bezweifelt, dass die Vergangenheit eine Behandlung
braucht. Die Wunden, welche auf beiden Seiten entstanden sind, benötigen Heilung und
nicht Verschleierung. Das ist aber nur dann möglich, wenn auf beiden Seiten Bereitschaft,
Wille und Geduld zur Versöhnung existieren. Das soll der erste Schritt sein. Und diese
Versöhnung kann nur von christlichen Prinzipien ausgehen. Das heißt verzeihen statt immer
wieder die Schuld zu nennen, akzeptieren statt ertragen, helfen statt nur mit Interesse zu
beobachten.
Zusammengefasst heißt es, nicht nur ab und zu, mehr oder weniger Sympathie zu zeigen,
sondern aufrichtig „gern zu haben“. Gegenseitige Liebe und Anerkennung schließen Hochmut
und Arroganz aus.
Wir haben uns im Rahmen des zehnjährigen Jubiläums der bikulturellen Klassen der HAK
Retz versammelt. Dieser Abend und der morgige Tag sind auf die junge Generation
ausgerichtet. Also auf die Zukunft. In dieser Schule, und nicht nur in dieser, sitzen
nebeneinander Schüler und Studenten aus unseren beiden Ländern. Diese Jugend erlebt
etwas, was unsere Generation nicht konnte – nämlich gemeinsam zu studieren und zu leben,
also im wahrsten Sinne „sich kennen zu lernen“. In unserem Grenzgebiet verlaufen schon
viele gemeinsame Projekte, welche ein buntes Spektrum der menschlichen Tätigkeit erfassen
und welche zur beidseitigen Zufriedenheit und Anerkennung führen.
Wir sitzen nebeneinander als Freunde, nicht nur weil wir das Schlechte in der Vergangenheit
überwinden wollen, sondern weil wir uns mehr auf das Gute in der Zukunft konzentrieren
wollen. Ohnen würdige und großzügige Aufgaben verliert die Versöhnung ihren Sinn.
Einfache Lösungen gibt es nicht. Was uns bevorsteht, wird mühsam und wird Zeit brauchen.
Ich möchte es gern „Politik der kleinen Schritte“ nennen.
Fangen wir an, arbeiten wir hier zu unseren Bedingungen gemeinsam an einem Prozess,
welcher im Großen schon einige Zeit in Europa läuft, nämlich der Versuch zu einer
harmonischen Union zu gelangen.
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