BAZ_Feuilleton_2_05.04.04 (Page 28)

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Basler Zeitung
BaZ-Seite 28
BaZ-Seite 28
Montag, 5. April 2004
Nr. 81
Schwarz Cyan Magenta Gelb
Teil I V
Kultur ·
Seite
28
«Kreutzersonate», «Beauty 2.0», «Der Tod und das Mädchen»: dreifache Ballett-Premiere am Theater Basel
Premiere des Zürcher Balletts
Dramatische und leise Tode in Schönheit
Frühlingstriebe
Schönheit und Glück bis hin zur Tänzerin als Puppe, deren Seelengeister selbst
der aufmerksamste Partner nicht mehr
erwecken kann, ist in subtilen Bewegungen vorgezeichnet. Eine Todesvariante, die Wherlock meisterlich fantasiereich in Choreografie übersetzt hat.
Martino Müller fordert den Ensemblemitgliedern in «Beauty 2.0» einen ganz anderen Tanzstil ab. Zu den
sich repetierenden, auf- und absteigenden Klanglinien des Engländers Gavin
Bryars verknäueln sich die Tanzpaare
ineinander, quasi pflanzenhaft; wie die
Musik selber sind auch sie in steter Bewegung, schnell oder wie im Zeitlupentempo; Impulse kommen aus der Hüfte.
Von oben senkt sich wie eine Leuchtreklame ein riesenhafter Flamingo auf die
Szene. Ein überdimensioniertes Kindergesicht blickt von oben auf die Tanzenden, das Publikum schaut von unten.
Vielleicht etwas verwirrt? Die Kulissenprospekte bleiben hübsches Design.
Während der wirkungsvoll inszenierte
Anfang ins Chaotische kippt – der
Raum scheint plötzlich zu eng –, sind es
die Pas de deux, die faszinieren.
«Beauty 2.0» von Gastchoreograf Martino Müller. Wie die repetitive Musik von Gavin Bryars sind auch die Tanzenden
ständig in Bewegung – mal schnell, mal im Zeitlupentempo.
Foto Peter Schnetz
Das Ballett Basel unter der künstlerischen Leitung von Richard Wherlock
wartete mit einer dreifachen Premiere
auf: mit einer Uraufführung, zum ersten
Mal auf der Bühne des Schauspielhauses und erstmalig mit einem Gastchoreografen, dem Schweizer Martino
Müller, der eingeladen worden war, für
das Ensemble ein Stück zu erarbeiten.
Von Maya Künzler
pany getanzt, die von Mal zu Mal an
Homogenität und Ausdruckskraft dazuzugewinnen scheint. Den musikalischen Part bestritten die vier Musiker
des in Zürich ansässigen Amar Quartetts. Ob diese die zwischen Volksmusik-Anklängen und experimentell-sirrenden Harmonien changierende Musik Janáceks, ob sie das von der Minimal Music inspirierte Quartett Gavin
Bryars oder das romantische, rhythmisch und melodisch stark kontrastierende Werk Franz Schuberts interpretierten, ihr Spiel befriedigte sämtliche
Ansprüche.
Choreograf Wherlock nimmt den thematischen Faden auf und spinnt ihn
weiter aus. Was bleibt, sind lose, in vier
Pas de deux getanzte Reminiszenzen an
die erste zärtliche Annäherung bis hin
zur Entfremdung. Das Anfangsbild
nimmt das traurige Ende vorweg. Die
Tänzer gehen lautlos zwischen den bis
zum Boden gesenkten Prospekt-Zügen
hin und her, stossen die Seile traumverloren an, jeder in sich versunken. Keine
Kulisse, nur das Licht von Rainer Küng,
das in wechselnden Farben von Blau bis
Violett Stimmungen malt.
Edward Hermans, für die Ausstattung des Abends verantwortlich, hat die
Tänzer in knappe Trikots gesteckt. Im
künstlerischen Fokus steht allein der
tänzerische Gestus. Vordergründig
klassisch – die Frauen auf Spitze –, ist
der Ansatz doch zeitgenössisch. Die unaufhaltsame Entwicklung von agiler
Verführung und Abwehr
Schliesslich die mit Spannung erwartete Choreografie Wherlocks zu
Schuberts Streichquartetten «Der Tod
und das Mädchen». Verdreifacht sind
die Figur des Todes und des Mädchens.
Nach und nach treten sie in einen Raum
mit drei riesenhaften Tischen. Als ob sie
eine Verhandlung zu führen hätten, wie
sie sich zu Paaren arrangiert streng hinter den Tischen aufstellen, die drei
Frauen in etwas altbackenen schwarzen, weit schwingenden Kleidern, die
Männer ebenfalls in korrektem
Schwarz. Ein Tanz der Verführung und
Abwehr hebt an. Wenn unvermittelt die
kalte Todeshand nach dem Nacken der
jungen Frau greift, erschauert sie. Einiges bleibt in der Figurenkonstellation
unklar – die Beziehung zwischen den
Frauen, die angedeutete Eifersucht,
doch letztlich zieht das in Tanz transzendierte Gewaltige und Gewalttätige
um Tod und Leben in Bann, kraftvoll
und emotional interpretiert von sechs
herausragenden Tänzern.
Der dreiteilige Abend «Der Tod
und das Mädchen» wurde gleich zweimal eröffnet. Kurz nach Beginn riss der
Cellospielerin eine Saite. Wherlock erschien vor dem Vorhang und schlug vor,
nochmals von vorne anzufangen. Als
hätten die Theatergötter diesen Obolus
gefordert, ging nun alles nach Wunsch,
ein Abend in melancholischer Schönheit und Leidenschaft, von einer Com-
Eifersucht und Mord
Janáceks
1923
komponierte
«Kreutzersonate» nimmt freien Bezug
auf die Erzählung Tolstojs, in der ein
von Eifersucht gepackter Gutsbesitzer
seine untreue Gattin umbringt. Der
28. Schweizer Jugendfilmtage
Al Capone 5th Blues Festival Basel im Stadtcasino: Von Höhe- und anderen Punkten
Pantherspringen
Der Blues hat viele Gesichter
An den Schweizer Jugendfilmtagen in
Zürich sind die «Springenden Panther»
verliehen worden. In der Kategorie A
(Schulfilme bis 19 Jahre) gewann «Dä
Langstrassefilm» von Offene Jugendarbeit Zürich, in der Kategorie B (freie
Produktionen bis 19 Jahre) «So wie immer» von Milknight Production, Langenthal, in der Kategorie D (Filmschulen bis 30 Jahre) «Belmondo» von Annette Carle, Zürich, und in der Kategorie E (thematische Filme bis 25 Jahre)
«Als die Hummel die Mandarine ass,
was sie nicht wollte, sie vergass» von
Viktoria Popova, Manuela Ruggeri und
Marisa Sulmoni aus Zürich. Die Jury
vergab 21 Preise. In jeder Kategorie gab
es auch einen Publikumspreis.
sda
Heute
Schrecken des Eises
Seit seinem Bestseller «Die letzte Welt»
zählt der österreichische Autor Christoph Ransmayr zu den renommiertesten Gegenwartsautoren, die es – literarisch – immer wieder ans Meer zieht.
Aus Anlass seines 50. Geburtstags und
des 30-Jahr-Jubiläums des VorstadtTheaters hat das Literarische Forum
Basel Ransmayr zu einer Lesung nach
Basel eingeladen, an der er aus seinem
Roman «Die Schrecken des Eises und
der Finsternis» liest. Die Einführung
hält Beatrice von Matt.
Vorstadt-Theater, Basel, 20 Uhr
Schrecken des Metals
Zu einem «No Mercy»-Festival mit verschiedenen Death-Metal-Bands bittet
die Prattler Konzertfabrik Z7. Auf dem
Programm stehen unter anderem die
kontroversen Cannibal Corpse sowie
Hypocrisy, Kataklism, Vomitory und
Exhumed.
Z7, Pratteln, 16.30 Uhr
«Ladies and gangsters, it’s blues time»,
versprach Michael Arlt, Leadsänger der
Formation B.B. & The Blues Shacks.
Der zweite Abend des Al Capone 5th
Blues Festivals konnte also beginnen.
Musikalisch bewegte sich das Quintett
aus Deutschland oft in der Nähe des
Rockabilly, was wohl auch die gelierten
Haartollen der Herren erklärte. Der
häufige Hüftschwung von Arlt war zwar
nicht völlig ohne, verglichen mit den
wahren Könnern des Fachs aber doch
eher lendenlahm.
Überzeugender war er da schon als
Mundharmonikaspieler. Seine dampfende Solo-Version der Sonny-BoyWilliamson-Nummer «Bye Bye Bird»
entführte das zahlreich erschienene Publikum ins ferne Mississippi-Delta. Augen zu und man hätte schwören können,
ein Raddampfer aus längst vergangenen Tagen rattere eben vorbei. B.B. &
The Blues Shacks mögen nicht der Welt
talentierteste Truppe sein, jedoch als
Einheizer waren sie im Grossen Festsaal des Stadtcasinos eine äusserst passende Besetzung.
Wunderprächtiges Soundgebräu
Dann waren aber die Lokalmatadoren gefragt – die Lazy Poker Blues
Band. Schon seit 25 Jahren ist die Band
um Cla Nett für Überraschungen gut,
an diesem Freitagabend sollte es nicht
anders sein. Roli Frei, früher Mitglied
der Lazys, gastierte wieder einmal als
Sänger, allerdings bloss für ein Stück.
Dann machte er Platz für Stargast Nummer eins: Doug Legacy. Der kleinwüchsige Amerikaner mit dem grossen Akkordeon zauberte mit seinen bestens
gelaunten Basler Kollegen ein wunderprächtiges Soundgebräu aus Cajun, Zydeco und Mardi-Gras-Feeling herbei.
Das hatte mit dem auf dem Programm
stehenden Motto einer «Chicago
Night» zwar nicht sonderlich viel zu tun,
doch die Show kam derart locker herüber, dass man über derlei Nebensäch-
Nächste Vorstellungen im Schauspielhaus Basel:
5., 14., 17., 22., 26.4.
net. Dem guten Ruf, der ihr vorauseilte,
wurde Carroll leider nur teilweise gerecht. Obwohl die Lady mit der
schwarzen Sonnenbrille eine brillante
Stimme hat, wollte der Funke nicht
recht überspringen. Das Trio bemühte
sich, gewiss, dennoch kam das Ganze
nur selten über den Status netter Hintergrundmusik hinaus. Vieles wurde
zerdehnt, vieles packte zu wenig, vieles
drohte in Richtung Belanglosigkeit abzudriften. Musik, die besser zu einer
Matinee mit Brunch als zu einem
abendfüllenden Konzert gepasst hätte.
Gerade mal die zwei, drei letzten Songs
wiesen genügend Power auf, um der
sich breit machenden Lethargie ein
Ende zu setzen.
Stargast Doug Legacy. Der Amerikaner trat mit der Basler Lazy Poker
Blues Band auf.
Foto Pino Cavino
lichkeiten gerne hinwegsah. Nicht zuletzt dank Legacys kerniger Stimme.
Das Set war eher kurz, verständlich, denn mit John Primer wartete noch
ein Stargast hinter den Kulissen. Der
Mann aus Chicago sorgte im Anschluss
für rauere und in mancherlei Hisicht
kompromisslosere Töne. Primer, der
einst mit Blues-Ikone Muddy Waters
tourte, verfügt über eine knurrende
Stimme und ein elegantes Gitarrenspiel. Ein Traditionalist von altem
Schrot und Korn, auf den die Neuzeit
nicht den geringsten Einfluss zu haben
scheint. Auch bei seiner Basler Show
hangelte er sich von Blues-Klassiker zu
Blues-Klassiker und beschloss seinen
furiosen Auftritt mit einer druckvollen
Version von Preston Fosters «I Got My
Mojo Working».
Der Samstagabend wurde vom Basic Blues Trio mit Karen Carroll eröff-
Swiss Blues Award für Cla Nett
Dass man es durchaus auch anders
hätte machen können, zeigten in der
Folge Paul Lamb & The King Snakes.
Vom ersten Takt weg sprühte das britische Bluesquintett vor Tatendrang. Die
Sound-Ideen waren nicht speziell originell, deren Umsetzung in modernen
Rhythm ’n’ Blues dafür umso griffiger.
Da loderte Feuer, da war Spielfreude.
Bandleader Lamb ackerte auf seiner
Mundharmonika – bis ihm die sprichwörtliche Puste wegblieb. RhythmusGitarrist und Sänger Chad Strentz, der
für den Grossteil der Songs verantwortlich war, übernahm in solchen Situationen. Insgesamt ein Set, das kaum abwechslungsreicher hätte sein können.
Im Verlaufe der Blues Night vom
Samstag wurde auch der zweite Swiss
Blues Award übergeben. Und zwar
durch Regierungsrätin Barbara Schneider. Preisträger war Cla Nett, der den
(unter anderem auch von der Basler
Zeitung gesponserten) Award auf
Grund anderer Verpflichtungen allerdings nicht selbst entgegennehmen
konnte. Durch seine Gemahlin liess er
jedoch ausrichten, das sei eine ganz,
ganz tolle Sache.
Michael Gasser
Frühling auch im altehrwürdigen
Gemäuer des Zürcher Opernhauses:
Frisches Grün spriesst üppig kopfüber
aus dem Bühnenhimmel, Gott Pan hält
schützend seine Hand über die zarten
aufkeimenden
Liebestriebe,
eine
Viererbande eitler Protze greift sich
selbstverliebt ans eigene Geschlecht
und in «Petite Mort», umgangssprachlicher französischer Ausdruck für Orgasmus, fliegen sich Mann und Frau förmlich in die Arme, umwerben und umschlingen einander zärtlich. Husch und
sind auf und davon. Jirí Kylián hat zu
zwei Klaviersätzen Wolfgang Amadeus
Mozarts zu dessen 200. Todestag 1991
eine zauberhafte Choreografie kreiert.
Jetzt ist «Petite mort» für die Schweizer
Erstaufführung mit dem Zürcher Ballett neu einstudiert worden (am Klavier
virtuos Alexey Botvinov; Orchester der
Oper Zürich unter der Leitung von Nicolas Chalvin). Nicht ohne Augenzwinkern bringt der Choreograf Versatzstücke einer vergangenen Epoche wie
Degen und Reifröcke ins Spiel, verfremdet und überhöht und schafft atmosphärisch dichte, sinnlich-erotische
Momente.
Nach diesem duftig leichten Ballett
folgte eine weitere Schweizer Erstaufführung. «Skew-Whiff», tänzerisch
ebenfalls anspruchsvoll und 1996 fürs
NDT II (Nederlands Dans Theater) geschaffen von den beiden ehemaligen
Tänzern Kyliáns, Paul Lightfoot und
Sol León. Mögen die Choreografen
nach eigener Aussage auch stark von
der Arbeit im NDT beeinflusst sein, im
Ballett zu Rossinis Opern-Ouvertüre
«La gazza ladra» waren die drei Tänzer
und die Tänzerin fest auf dem Boden
gelandet. Da verharrten sie, spielten
ihre komischen Rollen ernst und überzeugend. «Windschief», geduckt und
ganz den Instinkten und Reflexen verhaftet, huschten und hüpften die vier
Koboldwesen, flink auf den Füssen und
schwerfällig im Kopf, übers Parkett.
Heinz Spoerli mit Bewährtem
Nach der Pause war mit der Uraufführung des Handlungsballetts «Daphnis et Chloé» von Ballettchef Heinz
Spoerli die alte Würde wiederhergestellt: die Solistinnen stiegen zurück in
ihre Spitzenschuhe, das Ambiente
wechselte in märchenhafte Gefilde. Florian Etti liess in der Traumszene von innen erleuchtete Lämmerköpfe in der
Luft schweben, Martin Gebhardt leuchtete den weiten Bühnenraum hyperrealistisch aus, und Claudia Binder kleidete die jugendlichen Protagonisten in einer Mischung von überzeitlich und heutig-modisch ein. Und doch klebte der
spätantiken Liebesgeschichte – 1912
von Maurice Ravel im Auftrag der Ballets russes fertiggestellt – etwas unzeitgemäss Pathetisches und Naives an. Das
Schäferidyll war an keinem Punkt aufgebrochen, nirgends Spuren eines innovativen Konzepts. Immerhin kam das
Publikum in den Genuss, die wenig aufgeführte «Symphonie chorégraphique»
live zu erleben; und es kam auf seine
Kosten, wenn es nichts weiter sehen
wollte als Bewährtes, Choreografie und
Tanz auf hohem Niveau. Maya Künzler
Nächste Vorstellungen im Opernhaus Zürich:
6., 7., 10., 15., 18., 23. und 29. April.
Schäferidyll à la Spoerli. Davit Karapetyan und Yen Han als Daphnis und
Chloé.
Foto Peter Schnetz
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