1 1. Interview Lama Tenzin Wangyal Rinpoche (Autor des Buches "Der kurze Weg zur Erleuchtung", S. Fischer Verlag) ist einer der wenigen Bön Meister, die im Westen leben und lehren. Nach der Flucht seiner Eltern vor den Chinesen, wurde er seit seinem 14. Lebensjahr vom Ehrwürdigen Lopon Sangye Tenzin und vom Ehrwürdigen Lopon Tenzin Namdak ausgebildet. In der Menri Bön Dialectic School in Indien erhielt er den Titel eines Geshe, dem höchsten akademischen Titel in der tibetischen Tradition. Seit 1991 lebt Rinpoche in den Vereinigten Staaten und gründete in Charlottesville, Virginia, das Ligmincha Instiut, das sich der Erhaltung und Verbreitung der Lehren des Bön widmet. Das Interview führte Dorothea Mihm. "Rinpoche, was genau ist die Bön Lehre? Bön ist Tibets älteste, ursprünglichste, spirituelle Tradition. Man kann die Bön Lehren bis ca. 17.000 Jahre zurückverfolgen.Sie kamen vom westlichen Teil Tibets, und dehnten sich dann auf ganz Tibet aus. Bön heißt soviel wie "rezitieren", so wie man Mantras rezitiert. Anhänger dieser Religion haben riefen früher Götter, Natur,- oder Heilkräfte durch Mantren an um Energien zu konzentrieren und in Bewegung zu setzen. Rinpoche, was sind die Dzogchen Lehren? In den Dzogchen Lehren wird über die Natur des Geistes und die Natur aller Wesen gelehrt. Dzogchen zeigt den Weg auf, wie die Natur des Geistes entdeckt werden kann. Wörtlich bedeutet es GROSSE VOLLKOMMENHEIT. Vom Ursprung her ist jedes Wesen in sich vollkommen. Da ist eine Essenz in uns, die von nichts verdunkelt werden kann, und nicht verdunkelt ist. Wenn wir das entdecken, wachen wir aus unserem Schlaf der Unwissenheit auf. Wir entdecken die ganze Wahrheit. In unserem Geist existiert ein großer Raum und ein göttliches Licht, ein Raum so offen und weit wie der wolkenlose Himmel, ein Raum so hell wie die Sonne. Rinpoche, die Dzogchen Lehren wurden lange geheim gehalten. Warum? Es gibt viele Gründe. Ein Grund, die Lehren zu verschweigen war, weil es eben die höheren Lehren sind. Nicht jeder war in der Lage sie zu verstehen. Durch Unverständnis besteht die Gefahr, dass der Inhalt der Dzogchen Lehre zerstört werden kann. Die Übertragung würde verschmutzt. Rinpoche, warum werden die Dzogchen Lehren dem Westler heute unterbreitet? Ist es überhaupt sinnvoll sie dem westlichen Geist darzubieten? Mein Lehrer Lopon Sangye Tenzin hat mir aufgetragen die Lehren weiter zu verbreiten, eben aus dem Grund das sie nicht verloren gehen soll. Die Lehren können heute einfach dadurch verloren gehen, weil niemand mehr davon weiß. (Anm. Tibets Besetzung durch die Chinesen.) Die Dzogchen Lehren sind 2 auch heute noch geheim. Die Geheimhaltung vollzieht sich nur auf einer anderen Ebene. Wenn ich die Lehren heute verbreite, und sie werden nicht verstanden, bleiben sie tatsächlich weiterhin geheim. Rinpoche, da Du im Westen lange lebst, hast Du den westlichen Geist tiefer kennen gelernt. Wie sehr unterscheidet sich der westliche vom östlichen Geist? Ja, da gibt es Unterschiede, sie werden aber kleiner. Ein Hauptunterschied ist, daß im Westen der Geist dominiert wird vom Intellekt. Wir sind Sklaven unserer Gedanken. Und wir haben weniger direkte Erfahrungen in der Beziehung zum Dharma. Im Osten sind die Menschen nicht so entwickelt in ihren geistigen Tätigkeiten. Die intellektuellen Fähigkeiten beziehen sich mehr auf die innere Erforschung der menschlichen Qualitäten, nicht so sehr auf äußeres Erforschen von Wirklichkeit. Aber ich sehe es so, dass sich der Geist zwischen Ost und West mehr annähert und ergänzt. Und nicht im Widerstreit ist. Westliche Wissenschaft und östliche Philosophie brauchen ein Brücke, Spiritualität und Psychologie brauchen eine Brücke. Und diese Brücke ist unsere Verantwortung. Rinpoche, was ist das Ego, was ist der Geist? Ego ist eine Art von Geist, nicht jeder Geist ist Ego. Wir können Geist nie loswerden. Ego können wir loswerden. Wenn eine Person Erleuchtung erlangt, dann geht sie Jenseits von Ego, dann verliert sie ihr Ego, aber nicht den Geist. Ego ist nicht das Selbst. Es ist die Identifikation mit allen Dingen, Gedanken, Gefühlen. Rinpoche, ist Erleuchtung stufenweise zu erreichen? In den buddhistischen Schulen gibt es einen Stufenweg zur Erleuchtung und einen Nichtstufenweg zur Erleuchtung. Somit kann man Erleuchtung über den Stufenweg erlangen oder über den Nichtstufenweg. Im Westen beginnt oft der Weg in die Spiritualität über Therapie. All zu oft bleibt der Mensch jedoch darin stecken. Was ist Deine Meinung zu spiritueller Therapie? Spirituelle Therapie, keine Frage, es ist hilfreich. Sie ist jedoch davon abhängig wer sie macht, mit welchen Ansätzen, und wo es hinführen soll. Im Buddhismus spricht man von Selbstlosigkeit, man spricht über das zerstören des Egos. Wenn ein Mensch sehr konfus ist, ist er mit seinem Ego konfus. Es geht darum, zu erkennen, dass dieses Ego ungesund ist. Er kennt seinen Platz im Leben nicht. Er weiß nicht wo er steht, was er überhaupt im Leben soll, wer er ist und was er tun soll.Er ist verloren. In dieser Situation ist es unnütz zu einem buddhistischen Meister zu gehen um etwas über die Zerstörung des Ego zu hören. In diesen Fällen wird man noch konfuser, weil man sich sowieso schon zerstört fühlt. Der Eintritt ins Dharma braucht eine gewisse Stabilität und ein gesundes Ego. Es ist notwendig das Menschen, die sich psychisch nicht in Ordnung fühlen, gute spirituelle Therapie machen. Und dann passiert es, daß Menschen darin stecken bleiben. Statt ihre Kraft, ihre Weisheit, ihre Stärke, ihre Qualitäten zu entdecken, finden sie ihre Schwächen, ihre Probleme, ihre Negativität. Alles wird zum Problem, es wird eine Reise in Negativität. Es ist nicht falsch daran Negativität und Probleme an sich zu entdecken. Das Problem aber ist: wenn man keinen Gegenpol findet um das, was man entdeckt, in Balance zu bringen. Du findest z.B. die Probleme heraus die du mit deinem Vater hattest. Die Menschen im Westen neigen dazu die Eltern zu problematisieren. Wenn die Eltern nicht da wären, dann wären sie erleuchtet. Die Menschen werden richtig ärgerlich auf die Eltern, gehen wöchentlich zum Therapeuten und jammern und weinen. Nur wird durch diesen Prozess die negative Energie förmlich geweckt. Mehr noch als es notwendig ist, um sie loslassen zu 3 können. Wenn ich unterdrückten Ärger in mir habe, dann will ich einen Weg finden, über Therapie, wie ich die Energie loslassen kann. Und wenn ich sie dann losgelassen habe, dann ist es o.k. Und dann kultiviere ich Liebe. Ich meine es sollte eine Therapie geben wo die Menschen jede Woche einmal hingehen um Liebe zu kultivieren. Das sollte der Hauptblickpunkt von Therapie sein, sonst wird es sehr gefährlich was die Menschen tun. Es ist beides. Darüber hinaus ein schlechtes Karma gegenüber der spirituellen Welt, ein schlechtes Karma gegenüber dem tibetischen Volk. Aber, es enthält auch gutes Karma für den Rest der Welt, weil dadurch die Lehren Ausdehnungen überall in der Welt erfahren haben. Rinpoche, im Westen verstehen die Menschen unter Tantra etwas völlig anderes, als es im tibetischen Tantrismus praktiziert wird. Möchtest Du dazu etwas sgen? Das Buch heißt "Tibetisches Yoga des Schlafes und des Traumes". Es behandelt alte Texte mit speziellen Praktiken die man im Schlaf für den Traum machen kann. In der tibetischen Tradition sind diese Übungen sehr wichtig, weil wir mindestens 1/3 des Lebens schlafen, wir sprechen von ca. 20 Jahren. Normalerweise entwickeln die Menschen überhaupt keine spirituellen Fähigkeiten und schlafen ihr Leben lang, wie ein Tier schläft. Es handelt darüber, wie Träume aus energetischen, körperlichen und psychologischen Ursachen entstehen. Es bemüht sich, einen Zugang zu finden, dass eigene Karma durch eine Praxis im Schlaf zu reinigen, um somit einen Zugang zur Natur des Geistes, zu anderen Welten, und zu anderen Dimensionen zu finden. Das wichtigste ist einen Unterschied zwischen Tantra und Sex zu machen. Wenn du Sex haben willst, dann mache Sex, du musst es aber nicht Tantra nennen. In den tantrischen Praktiken des Buddhismus gibt es einen wichtigen Teil von Vereinigungspraxis. Die Energie von männlich und weiblich symbolisiert die Vereinigung von Leerheit und Klarheit. Im Dzogchen sprechen wir vom Zustand der Kontemplation, d.h. sich im Zustand zu befinden in dem Untrennbarkeit von Leerheit und Klarheit besteht. Es ist die Erfahrung des Gleichgewichts des reinen Geistes. Im Tantra gibt es einen stärkeren Bezug zu den körperlichen Dimensionen. Als Mann und Frau vereinigt man diese beiden Energien um eine Erfahrung von der Einheit beider Energien zu erhalten. Der wichtigste Punkt dabei ist, sich zu erfahren ohne Dualität. Erfahrung des stofflichen, im Raum und als Raum. Glückseeligkeit erfahren, ohne daran fest zu halten. Bevor man in die körperliche Vereinigung geht braucht man ein sicheres Wissen über Bewusstsein, Bewusstheit. Wenn nicht, ist man wie ein Tier. Rinpoche, was in Tibet durch die Chinesen geschieht, ist das ein kollektives Karma Tibets, oder ist es ein Zeichen dafür, dass Religion und Spiritualität systematisch zerstört werden soll? Rinpoche, bald wird ein neues Buch von Dir veröffentlicht. Wie heißt das Buch, und worüber handelt es? Rinpoche, wirst Du irgendwann einmal nach Deutschland kommen um ein Reatreat zu halten? Ja, ich komme bisher ein- oder zweimal im Jahr nach Deutschland. Es gibt zwei Arten von Arbeit die ich mache. Die eine richtet sich danach aus, die reine traditionelle Lehre zu vermitteln.Speziell lehre ich dann die Dzogchen Lehren. Und ich habe begonnen mit einer Gruppe Psychologen und Therapeuten zu arbeiten. Der Hauptgrund dafür ist, den psychologischen Standpunkt des Westens mit dem Dharma zu verweben. Um die therapeutische Arbeit zu vervollständigen, nicht, um das Dharma zu verändern. Rinpoche, vielen Dank für das Interview."