Ärztliche und zahnärztliche Werbung mit Gebiets

Werbung
WRP – Wettbewerb in Recht und Praxis
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Rumetsch – Ärztliche und zahnärztliche Werbung mit Gebiets- oder Zusatzbezeichnungen
Virgilia Rumetsch
Fachanwältin für Medizinrecht1)
Ärztliche und zahnärztliche Werbung mit Gebiets- oder
Zusatzbezeichnungen
Inhalt
I.
II.
Einleitung
Grundlagen und Grenze der ärztlichen und zahnärztlichen
Werbefreiheit
III. Rechtsprechung der letzten Jahre zur Werbung mit Gebietsbezeichnungen
IV. Aktuelle Rechtsprechung
V. Verbleibender Freiraum für Werbung
VI. Fazit und Ausblick
I.
Einleitung
Neben Ärzten sind auch Zahnärzte zunehmend bemüht, durch
Werbemaßnahmen – insbesondere durch Hinweis auf bestimmte lukrative Tätigkeitsfelder – auf sich aufmerksam zu
machen. Demgemäß kommt es immer wieder vor, dass Ärzte
und Zahnärzte auf ihre Tätigkeit auf Gebieten hinweisen, ohne
die entsprechende auf förmlicher Weiterbildung beruhende
Qualifikation zu haben. Bei Ärzten tritt dieses Phänomen insbesondere im Bereich der plastischen und ästhetischen Chirurgie2) sowie im Bereich der plastischen Operationen3) auf. Bei
Zahnärzten beobachtet man dies insbesondere auf den Gebieten der Implantologie und der Kieferorthopädie. Dies führt in
unterschiedlichem Zusammenhang zu Fragen und Rechtsstreitigkeiten. Auch wenn die Rechtsprechung sich hinsichtlich der
Vergleichbarkeit in Zurückhaltung übt, weichen die sich bei
den Zahnärzten stellenden Fragen, jedenfalls hinsichtlich der
1) Die Verfasserin (PSB Rechtsanwälte Waldshut-Tiengen/Universität Basel) hat als
Klägervertreterin an den beiden in diesem Beitrag zitierten Gerichtsurteilen des OLG
Karlsruhe – Außensenate Freiburg – Urt. v. 09.07.2009 – 4 U 69 /07 – und Urt. v.
10.12.2009 – 4 U 33/09 – mitgewirkt. Kläger in dem erstgenannten Verfahren waren
ausschließlich Fachzahnärzte, die gegen die Werbung einer ausschließlich auf dem
Gebiet der Kieferorthopädie tätigen, nicht förmlich qualifizierten Zahnärztin vorgegangen sind. Kläger in dem zweiten Verfahren waren mehrere Allgemein- und Fachzahnärzte, die sich gegen die Werbung eines Zahnarztes auf einer Vielzahl unterschiedlicher Gebiete, teils solcher mit grundsätzlich existenter Weiterbildungsbezeichnung, teils solcher mit nicht existenter Weiterbildungsbezeichnung gewehrt
haben. In beiden Verfahren waren die Kläger spätestens in der Rechtsmittelinstanz
vor dem OLG Karlsruhe mit ihren Unterlassensanträgen erfolgreich. Beide Hauptsacheurteile sind rechtskräftig.
2) Der Erwerb der Facharztkompetenz (vgl. hierzu Ausführungen in Fußnote 4) Facharzt/Fachärztin für Plastische und Ästhetische Chirurgie setzt nach Abschnitt B Ziff.
6.6 der Weiterbildungsordnung der Landesärztekammer Baden-Württemberg, Stand
01.10.2009, (nachfolgend: WBO LÄK BW) 24 Monate Basisweiterbildung im Gebiet
Chirurgie und 48 Monate Weiterbildung zum Facharzt für Plastische und Ästhetische
Chirurgie bei einem Weiterbildungsbefugten an einer hierfür vorgesehenen Weiterbildungsstätte voraus.
3) Die Zusatzweiterbildung Plastische Operationen umfasst nach den in Abschnitt C
WBO LÄK BW geregelten Vorgaben in Ergänzung zu einer Facharztkompetenz die
konstruktiven und rekonstruktiven plastischen operativen Eingriffe zur Wiederherstellung und Verbesserung der Form, Funktion und Ästhetik in der Kopf-HalsRegion. Voraussetzung zum Erwerb der Bezeichnung ist eine Facharztanerkennung
für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde oder Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie. Die Weiterbildungszeit beträgt 24 Monate.
Irreführung, als Grundlage für einen Verstoß gegen Berufsrecht
und damit gegen den Rechtsbruchtatbestand des § 4 Nr. 11
UWG bzw. gegen § 5 Abs. 1 Ziff. 3 UWG sowie hinsichtlich der
Frage der Heranziehung der von Art. 12 Abs. 1 GG geschützten
Berufsausübungsfreiheit nur unwesentlich von denjenigen ab,
die sich bei Ärzten stellen. Der einzig echte Unterschied dürfte
allenfalls in der naturgemäß bei Ärzten im Vergleich zu Zahnärzten gegebenen zusätzlichen Untergliederung in Facharzt-,
Schwerpunkt- und Zusatzbezeichnungen4) im Sinne der Weiterbildungsordnungen und in der Vielzahl vorgenannter Bezeichnungen liegen. So gibt es in Baden-Württemberg derzeit 51
Facharztbezeichnungen und fast ebenso viele Schwerpunktund Zusatzbezeichnungen, die jeweils aufgrund mehrjähriger
bzw. bei den Schwerpunkt- und Zusatzbezeichnungen jedenfalls aufgrund mehrmonatiger Weiterbildung mit abschließender Prüfung zu erwerben sind.5) Anders als bei Ärzten sind die
derzeit bestehenden Weiterbildungsgänge bei Zahnärzten nicht
so weit gefächert. Im gesamten Bundesgebiet gibt es bei Zahnärzten derzeit vier6) aufgrund mehrjähriger förmlicher Weiterbildung zu erwerbende Gebietsbezeichnungen; in den meisten
Kammerbezirken sogar nur zwei, einen auf dem Gebiet der
Oralchirurgie7) und einen auf dem Gebiet der Kieferorthopä-
4) Alle diese Bezeichnungen sind aufgrund in strukturierter Form erfolgender Weiterbildung zu erwerben. Die Qualifikationen als Facharzt nach den Vorgaben der jeweils
einschlägigen Weiterbildungsordnung umfasst jeweils ein Gebiet. Schwerpunkte
sind darauf aufbauende Spezialisierungen in Teilgebieten des Facharztgebietes. Zusatzbezeichnungen weisen auf andere – nur teilweise bestimmten Gebieten zugeordnete – zusätzlich erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten hin. Gemäß § 4 Abs. 5
der Weiterbildungsordnung der Landesärztekammer Baden-Württemberg (nachfolgend: WBO LÄK BW) ist die Weiterbildung zum Facharzt und in Schwerpunkten
grundsätzlich ganztägig und in hauptberuflicher Stellung in Vollzeit durchzuführen.
Dies gilt auch für Zusatzweiterbildungen, soweit nicht ausnahmsweise etwas anderes geregelt ist. Schwerpunktbezeichnungen sind gemäß § 3 Abs. 2 WBO LÄK BW jeweils zusammen mit der zugehörigen Facharztbezeichnung zu führen. Zusatzbezeichnungen sind gemäß § 3 Abs. 3 WBO LÄK BW mit der zugeordneten Facharztbezeichnung zu führen, soweit sie – wie beispielsweise im Fall von Plastischen
Operationen - einem bestimmten Gebiet zugeordnet sind.
5) Die Anforderungen ergeben sich im Einzelnen aus den Vorgaben der jeweils einschlägigen Weiterbildungsordnung; vgl. hierzu bspw. WBO LÄK BW, Stand
01.10.2009.
6) In sämtlichen Kammerbezirken gibt es Weiterbildungsgänge auf den Gebieten der
Kieferorthopädie und der Oralchirurgie. Ausschließlich in Westfalen-Lippe gibt es
eine Weiterbildung auf dem Gebiet der Parodontologie, vgl. hierzu Weiterbildungsordnung der Zahnärztekammer Westfalen-Lippe, Stand 16.05.2008, § 12 a f.; gemäß
der Rechtsprechung des BVerfG darf diese allerdings im gesamten Bundesgebiet geführt werden. In einigen Kammerbezirken gibt es die Gebietsbezeichnung Öffentliches Gesundheitswesen, die ebenfalls im gesamten Bundesgebiet geführt werden
darf.
7) Voraussetzung für den Erwerb der Gebietsbezeichnung auf dem Gebiet der Oralchirurgie ist gemäß der Weiterbildungsordnung der Landeszahnärztekammer BadenWürttemberg (nachfolgend: WBO LZK BW), Stand 19.07.2008, neben einem allgemein-zahnärztlichen Jahr gemäß § 10 WBO LZK BW eine dreijährige fachspezifische
Weiterbildung gem. §§ 23 ff. WBO LZK BW in vollzeitiger Tätigkeit an einer hierzu
vorgesehenen Weiterbildungsstätte bzw. bei einem hierzu ermächtigten weitergebildeten Zahnarzt.
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die8). Dieser Beitrag hat nicht die Auseinandersetzung mit der
gesamten Problematik zum Ziel, zumal ohnehin immer der
konkrete Einzelfall beachtlich ist, sondern nimmt Stellung zu
den wesentlichen von der jüngeren Rechtsprechung herangezogenen Argumenten, insbesondere im Zusammenhang mit
der von Seiten der Werbenden aus opportunen Gründen immer
ins Feld geführten Frage der grundrechtlich geschützten Berufsausübungsfreiheit.
II. Grundlagen und Grenze der ärztlichen und
zahnärztlichen Werbefreiheit
Nachdem die aufgrund der bekannten verfassungsrechtlichen
Rechtsprechung zur Relativierung des Werbeverbots für Ärzte
und Zahnärzte – insbesondere im Hinblick auf Werbung mit bestimmten Informationen über die Tätigkeit eines Arztes oder
Zahnarztes9) – und der entsprechenden Liberalisierungsbeschlüsse des 105. Deutschen Ärztetags von Mai 2002 beschlossene ärztliche Musterberufsordnung nun schon seit geraumer
Zeit mit mehr oder weniger gleichem Wortlaut Eingang in sämtliche ärztliche und auch zahnärztliche Berufsordnungen gefunden hat, ist Ärzten und Zahnärzten ein großer Spielraum für
ihre Werbung eröffnet worden. Die Grenze der Werbemöglichkeiten liegt in den jeweiligen Musterberufsordnungen wie auch
in sämtlichen ärztlichen und zahnärztlichen Berufsordnungen
der einzelnen Kammerbezirke insbesondere – und insoweit
auch in Übereinstimmung mit den Regelungen des UWG – in
der Irreführung.10) Das Bundesverfassungsgericht betont insoweit seit jeher, dass Art. 12 Abs. 1 GG ebenso wie Art. 2 Abs. 1
GG nur eine erlaubte wirtschaftliche und berufliche Betätigung
schützt11), dass das Verbot irreführender Werbung verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist12) und das Grundrecht der
Berufsausübungsfreiheit eine Irreführung generell nicht rechtfertigen kann13). Berufswidrig ist u.a. das Führen von Zusätzen,
die im Zusammenhang mit den geregelten Qualifikationsbezeichnungen und Titeln zu Irrtümern führen können.14) Denn
sie können das Vertrauen in den Arztberuf untergraben und
langfristig negative Rückwirkungen auf die medizinische Versorgung der Bevölkerung haben.15)
III. Rechtsprechung der letzten Jahre zur Werbung
mit Gebietsbezeichnungen
Neben den zahlreichen Urteilen im ärztlichen Bereich, bei denen streitgegenständlich die explizit einem Behandlernamen
8) Voraussetzung für den Erwerb der Gebietsbezeichnung auf dem Gebiet der Kieferorthopädie ist gemäß der WBO LZK BW neben einem allgemein-zahnärztlichen
Jahr gemäß § 10 WBO LZK BW eine dreijährige fachspezifische Weiterbildung gem.
§§ 20 ff. WBO LZK BW in vollzeitiger Tätigkeit an einer hierzu vorgesehenen
Weiterbildungsstätte bzw. bei einem hierzu ermächtigten weitergebildeten Zahnarzt.
9) Vgl. beispielsweise BVerfG NJW 2001, 2788.
10) Vgl. beispielsweise § 27 Abs. 3 S. 1, 2 Berufsordnung für Ärzte der Landesärztekammer Baden-Württemberg i.d. Fassung vom 19.09.2007; § 21 Abs. 1 S. 2, 3 Berufsordnung für Zahnärzte der Landeszahnärztekammer Baden-Württemberg vom
09.09.2005.
11) Bornkamm in: Köhler/Bornkamm, UWG, 28. Aufl. 2010, § 5 1.63; BVerfG GRUR
1993, 754.
12) BVerfG NJW 1993, 1969, 1970.
13) Vgl. beispielsweise BVerfG NJW 2002, 1331.
14) Köhler in: Köhler/Bornkamm, UWG, 28. Aufl. 2010, § 4 11.109.
15) Köhler in: Köhler/Bornkamm, UWG, 28. Aufl. 2010, § 4 11.109; BVerfG NJW 1993,
2988; 1994, 1591; 2002, 1864; 2002, 1331.
beigefügte Gebietsbezeichnung / Bezeichnung nach der Weiterbildungsordnung bzw. nicht existente aber denkbare Gebietsbezeichnung ist, wie beispielsweise Männerarzt (CMI)16),
erscheinen im vorliegenden Zusammenhang weiterhin bedeutsam insbesondere die stetigen Urteile des Oberverwaltungsgerichts des Landes Nordrhein-Westfalen, beispielsweise zur Unzulässigkeit der Verwendung der Bezeichnung „Praxis für
Zahnheilkunde und Implantologie“ in der Zeitungsanzeige eines Zahnarztes17) oder zur Unzulässigkeit des Führens der Bezeichnung „Zahnarzt für Implantologie“18), sowie die nun auch
zu Telefonbucheintragungen in den Rubriken plastische und
ästhetische bzw. plastische Chirurgie ergangenen Urteile des
OLG Hamm19) und des OLG Köln20), wovon das erstere differenzierend teils – bei dem Unterlassen jeglicher Zusatzangabe –
restriktiv, teils – bei der Angabe einer von der Rubriküberschrift abweichenden Angabe einer Facharztbezeichnung –
eher großzügig ist, und das letztere letztlich unter besonderer
Betonung der Berufsausübungsfreiheit die Zulässigkeit beinahe jeder Verhaltensweise ohne Kennzeichnung annehmen
lässt; zu den hierfür maßgeblichen Argumenten im Hinblick auf
die Berufsausübungsfreiheit vgl. Ausführungen unter Ziff. VI.
Die beiden jüngsten veröffentlichten und nachfolgend dargestellten Urteile des OLG Karlsruhe aus dem zahnärztlichen Bereich haben in Kenntnis der vorgenannten Rechtsprechung und
trotz in einem der beiden Fälle anderslautendem erstinstanzlichen Urteil unter Betonung und Darstellung der Grenzen der
letztlich lediglich in sinnvoller Weise eingeschränkten Berufsausübungsfreiheit wieder die zu erwartende Verbraucher und
Konkurrenten schützende Position bezogen und nicht als
Selbsteinschätzung gekennzeichnete Werbungen untersagt.
IV. Aktuelle Rechtsprechung
Das OLG Karlsruhe hat zunächst mit Urt. v. 09.07.2009 –
4 U 169/07 – gestützt auf § 8 Abs. 1, Abs. 3 Ziffer 1 UWG i.V.m.
§§ 3 Abs. 1, 5 Abs. 1 Ziffer 3, 4 Ziffer 11 UWG und § 21 Abs. 1
S. 2 der Berufsordnung der Landeszahnärztekammer BadenWürttemberg vom 21.12.2005 geurteilt, dass die Werbung einer
Zahnärztin mit dem Text „Praxis für Kieferorthopädie Dr. …
Zahnärztin“ unter der Rubrik „Zahnärzte für Kieferorthopädie“
ebenso unzulässig sei wie die Werbung unter der Rubrik „Fachzahnärzte für Kieferorthopädie“.21) Mit Urt. v. 10.12.2009 –
4 U 33/09 – hat das OLG Karlsruhe noch weit darüber hinausgehend entschieden, dass die Werbung des in diesem Verfahren
beklagten Allgemeinzahnarztes unter den Rubriken Zahnärzte
für Implantologie, Kieferorthopädie, Parodontologie oder Oralchirurgie unzulässig ist. Die Werbung eines Zahnarztes mit der
Zuordnung zu Gebiets- oder Tätigkeitsbezeichnungen kann
auch bei Verwendung von Gebietsbezeichnungen, die keine
durch förmliche Weiterbildung zu erwerbende Qualifikation be-
16) OLG Hamm Urt. v. 24.07.2008 – 4 U 82/08 = GRUR-RR 2008, 434.
17) OVG NRW Beschl. v. 26.09.2008 – 13 B 1165/08 = MedR 2009, 43 = ArztR 2009, 193.
18) OVG NRW Beschl. v. 14.06.2005 – 13 B 667/05 = NWVBl 2005, 472 = ArztR 2006,
70 = MedR 2006,163.
19) OLG Hamm Urt. v. 03.06.2008 – I-4 U 59/08, WRP 2008, 1597, sehr differenzierte
Darstellung zu unterschiedlichen Telefonbucheinträgen; vgl. auch Greiff GesR
2008, 520.
20) OLG Köln Urt. v. 20.08.2008 – 6 U 20/08 = WRP 2008, 1599.
21) OLGR Karlsruhe 2009, 750; MDR 2009, 1256; GesR 2010, 15; GRUR-RR 2010, 63.
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treffen, irreführend sein. Die bloße Zuordnung zu einer Rubrik
„Zahnärzte für Implantologie“ ist ebenso irreführend wie die
Zuordnung zu Rubriken mit den Überschriften „Zahnärzte für
Kieferorthopädie“, „Zahnärzte für Parodontologie“ und „Zahnärzte für Oralchirurgie“, wenn es an einer entsprechenden besonderen Qualifikation mit den Anforderungen der mehrjährigen Fachzahnarztweiterbildung fehlt.22)
V.
Verbleibender Freiraum für Werbung
Neben dem Hinweis auf Verbrauchern, zwischenzeitlich beispielsweise auch aus dem Anwaltsbereich, landläufig bekannte
Tätigkeitsschwerpunkte, mithin auf als solche explizit gekennzeichnete Selbsteinschätzungen, gegen die spätestens seit
den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts BVerfG
Beschl. v. 23.07.2001 – 1 BvR 873/00, 1 BvR 874/0023), des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 17.12.2002 –
9 S 2738/01 –24) sowie des Oberverwaltungsgerichts des Landes Nordrhein-Westfalen vom 01.02.2009 – 13 A 3618/06 –25)
kaum noch jemand etwas einzuwenden haben dürfte, ist es
doch schlicht so, dass Werbung für bestimmte andere Gebiete
nur dann auch werbewirksam ist, wenn sie tatsächlich hinsichtlich vermeintlicher besonderer Qualifikation irreführt
bzw. geeignet ist, irrezuführen. Kein Verbraucher wird nämlich
vernünftigerweise freiwillig, wenn dies für ihn erkennbar ist,
einen Behandler wählen, der anders als ein anderer nur einen
Tätigkeitsschwerpunkt anstelle einer besonderen förmlichen
Qualifikation aufgrund mehrjähriger Weiterbildung hat. Die
Maßgeblichkeit der Präsentation erschließt sich nicht erst
durch die hierfür gegebenen wissenschaftlichen Belege.26)
VI. Fazit und Ausblick
Wenn ein Arzt oder Zahnarzt durch die ausdrückliche Kennzeichnung, dass es sich um eine Selbsteinschätzung handelt –
ob dies nun so wie in § 27 Abs. 6 S. 1 der Berufsordnung der
Nordrheinischen Ärztinnen und Ärzte27) (nachfolgend: BOÄ NR)
vorgesehen durch den Zusatz „besonderes Leistungsangebot
nach eigenen Angaben“ oder durch die Verwendung des Wortes
„Tätigkeitsschwerpunkt“28) oder eine sonstige vergleichbare
Kennzeichnung erfolgt – Wettbewerbsnachteile gegenüber seinen für ein bestimmtes Gebiet förmlich qualifizierten Kollegen
hat, so ist das hinzunehmen. Denn es ist – wie auch das OLG
Karlsruhe hierzu treffend ausführt29) – gerade Sinn und Zweck
der Gebietsbezeichnungen für Fachzahnärzte, dass Fachzahnärzte mit ihrer besonderen Qualifikation werben dürfen, damit
22) OLG Karlsruhe MedR Heft 9/2010 m. Anm. Rumetsch.
23) Zum Tätigkeitsschwerpunkt Implantologie eines Zahnarztes: BVerfG NJW 2001,
2788 = BVerfG WRP 2001, 1064; Bornkamm, in: Köhler/Bornkamm, UWG, 28. Aufl.
2010, § 5 Rdnr. 1.64.
24) MedR 2003, 236.
25) Zum Tätigkeitsschwerpunkt Mund- und Kieferchirurgie eines Zahnarztes und Fachzahnarztes für Oralchirurgie ZMGR 2009, 81; MedR 2009, 280.
26) Vgl. hierzu auch die sehr informative Darstellung von Buchner, Der mündige Patient
im Heilmittelwerberecht, MedR 2010, 1.
27) Fassung vom 17.03.2007.
28) Wie beispielsweise in der Berufsordnung für Zahnärzte der Landeszahnärztekammer Baden-Württemberg vom 09.09.2005 u. in der Berufsordnung für Ärzte der
Landesärztekammer Baden-Württemberg i.d. Fassung vom 19.09.2007 § 27 Abs. 2
vorgesehen.
29) OLG Karlsruhe Urt. 10.12.2009 unter II A. 1 c).
Patienten die Wahl eines Zahnarztes – unter anderem – vom
Vorhandensein einer solchen besonderen Qualifikation abhängig machen können. Für Ärzte kann insoweit nichts anderes
gelten.
Ein Verbraucher, der einen Arzt für ein bestimmtes Gebiet
sucht, geht davon aus, dass er in den jeweiligen Rubriken Ärzte
mit entsprechender fachlicher Qualifikation findet. Ein Verbraucher setzt hierbei regelmäßig voraus, dass bei einem Medium mit dem „offiziellen“ Charakter eines Telefonbuchs bei
den einzelnen Eintragungen der Rahmen des Zulässigen gewahrt ist und keine Gefahr besteht, er könnte bei der Heranziehung dieses Mediums in die Irre laufen, wenn er sich an einen
für ein besonderes Gebiet ausgewiesenen Arzt oder Zahnarzt
wendet.
Da er weiß, dass es Fach(zahn)ärzte für unterschiedliche Gebiete gibt, kann er, wenn sich nicht bereits aus der Überschrift
einer Rubrik bzw. aus zweierlei Sorten von Überschriften, wie
beispielsweise „Fach(zahn-)ärzte für …“ und „(Zahn-)Ärzte mit
Tätigkeitsschwerpunkt …“ oder – und bereits dies erscheint etwas grenzwertig – aus einer von der Überschrift abweichenden
Facharztbezeichnung30) eindeutig etwas anderes ergibt, nicht
erkennen, dass innerhalb einer Kategorie nicht nur Behandler
mit entsprechenden besonderen förmlichen Qualifikationen zu
finden sind, wenn kein klarer Hinweis auf Anderes gegeben ist.
Hinsichtlich der vom OLG Köln mit dem Argument der Berufsausübungsfreiheit vorgenommenen Auslegung von § 27 Abs. 6
S. 1 BOÄ NR ist anzumerken, dass in der Tat Schrankenbestimmungen, wie auch vorgenannte, auf Satzungsermächtigung beruhende, grundrechtskonform auszulegen sind. In Anbetracht
der Dreistufentheorie ist hierbei allerdings – und bereits dies
fehlt im Rahmen der Begründung des Urteils des OLG Köln –
der Maßstab festzustellen, an dem die fragliche Schrankenregelung zu messen ist. Die Regelung des § 27 Abs. 6 S. 1 BOÄ NR
betrifft die bloße Art und Weise der Werbung. Es ist dies mithin
nicht nur ein Eingriff auf der ersten – also der untersten – Stufe,
für dessen verfassungsrechtliche Unbedenklichkeit bereits vernünftige Gründe des Allgemeinwohls – wie die Vermeidung einer
Irreführung durch bloße klarstellende Kennzeichnung ebenso
wie die Vermeidung der gesundheitspolitisch unerwünschten
Kommerzialisierung des Arztberufs – genügen, sondern zudem
auch noch ein sehr milder Eingriff auf dieser ersten Stufe, da
nicht ein bestimmtes Verhalten – die Kennzeichnung von Zusatzqualifikationen – per se verboten wird, sondern lediglich
verlangt wird, dass im Fall ihrer Nennung eine Kennzeichnung
als Selbsteinschätzung erfolgt, wenn diese nicht auf besonderer
förmlicher Qualifikation beruhen. Weiterhin wird aus letztgenanntem Grund auch die Reichweite der Regelung des § 27 Abs.
6 S. 1 BOÄ NR verkannt, wenn ausgeführt wird: „Das Ziel […]
rechtfertigt es nicht, Angaben über Zusatzqualifikationen […]
schlechthin zu verbieten, sofern sie in sachlicher Form erfolgen
und nicht irreführend sind.“.
Die Anwendung einer verfassungsrechtlich zunächst unbedenklichen, die Berufsausübungsfreiheit einschränkenden
Norm muss zwar auch im Einzelfall zu einem dem von Art. 12
30) OLG Hamm Urt. v. 03.06.2008 – I-4 U 59/08.
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Abs. 1 S. 2 GG gesetzten Maßstab gerecht werdenden Ergebnis
führen.31) Auch hieraus kann allerdings keineswegs abgeleitet
werden, dass eine Vorschrift, die die Kennzeichnung bei der
Verwendung von Gebietsbezeichnungen als auf bloßer Selbsteinschätzung beruhend fordert, so weit „ausgelegt“ werden
darf, dass im Gegenteil keinerlei Kennzeichnung erforderlich
ist, wenn es andere Ärzte gibt, die an ähnlicher Stelle explizit
auf Facharztbezeichnungen hinweisen32).
Nicht nur hat ein Verbraucher keine hellseherischen Fähigkeiten, betreffend die Qualifikationen und die überobligatorische
Vollständigkeit der Angaben der anderen in einem Telefonbuch
gelisteten Ärzte, die er alle nicht konsultieren möchte, damit er
in einem zweiten – nicht nur weit hergeholten, sondern zudem
regelmäßig im Ergebnis unzutreffenden – Schritt im Umkehrschluss überlegen kann, dass möglicherweise bei allen Übrigen, die nur ihren Namen in das Telefonbuch setzen, eine bloße
Selbsteinschätzung vorliegt. Gerade der Patient, der das Telefonbuch zu Rate zieht, um einen Behandler zu finden, dürfte die
besonderen förmlichen Qualifikationen der übrigen eingetragenen Ärzte ebensowenig kennen wie die des trotz fehlender besonderer Qualifikation für ein bestimmtes Gebiet Werbenden.
Es gibt vielmehr wohl in jedem Telefonbuch Fachärzte, die keinerlei Werbung durch besondere Zusatzhinweise machen,
wenn sie sich in der richtigen Rubrik haben eintragen lassen.
Eine Auslegung, die nicht nur die einschlägige berufsrechtliche
Norm, die bei ihrer Verletzung den Rechtsbruchtatbestand des
§ 4 Nr. 11 UWG verwirklicht, in ihr Gegenteil verkehrt, sondern
überdies auch die Regelungen der §§ 5, 5a UWG übergeht,
würde letztlich auch fordern, dass alle Ärzte, die über besondere
förmliche Qualifikationen verfügen, eine vorherige Absprache
über die Art ihrer Eintragungen in den jeweiligen Telefonbuchausgaben treffen, ein Unterfangen, das – selbst, wenn man es für
zumutbar hielte – bereits aus praktischen Gründen auch bei
größter Anstrengung gar nicht möglich ist. War bis vor wenigen
Jahren Werbung gar nicht erlaubt, so würden Ärzte durch solche
Verkehrung einer Norm zudem zur Vornahme von kostenpflichtigen Werbeeinträgen gezwungen, da jede über den bloßen
Namenseintrag hinausgehende weitere Zeile Geld kostet.
31) Becker-Eberhard, in: Fezer, UWG, 2. Aufl., 2010, § 4-S3 Rdnr. 19.
32) So aber im Ergebnis OLG Köln a.a.O.; vgl. auch die Zusammenfassung hierzu bei
Peifer, in: Fezer, UWG, 2. Aufl., 2010, § 5 Rdnr. 383.
Nicht nur werden mit dem Erfordernis der Kenntlichmachung
als Selbsteinschätzung nicht etwa Angaben über Zusatzqualifikationen verboten33), sondern bezieht sich die Rechtsprechung
des BVerfG, auf die sich das OLG Köln34) zur Rechtfertigung dieser sein Urteil tragenden Argumentation beruft, paradoxerweise gerade umgekehrt auf einen Fall, bei dem der Tätigkeitsschwerpunkt als solcher gekennzeichnet war und daher aus
eben diesem Grund für zulässig erachtet wurde35). Es ist eine
Verkehrung von Voraussetzung und Folge, das auf dem Grund
der Kennzeichnung als Tätigkeitsschwerpunkt beruhende Ergebnis der Zulässigkeit dafür heranzuziehen, jedwede Kennzeichnung solcher Selbsteinschätzung für obsolet zu halten, da
die Angabe eines besonderen Tätigkeitsschwerpunktes zulässig sein müsse.
Jedem Arzt oder Zahnarzt, der auf einem bestimmten Gebiet
keine besondere förmliche Qualifikation hat, ist es sowohl im
Interesse der schützenswerten Patienten, die die besondere
Qualifikation suchen, als auch im Interesse der Behandler, die
sich einen legitimen Wettbewerbsvorteil gerade durch ihre besondere Qualifikation erarbeitet haben, zuzumuten, bei seiner
Werbung unter Verwendung einer Gebietsbezeichnung darauf
hinzuweisen, dass es sich nur um eine Selbsteinschätzung handelt, aufgrund derer er für seine Tätigkeit auf einem bestimmten Gebiet wirbt.36)
Es ist nicht Sinn der grundrechtlich geschützten Berufsausübungsfreiheit, bestehende Unterschiede in der Qualifikation
zu Lasten von Patienten und besonders qualifizierten Ärzten
unkenntlich zu machen, um weniger qualifizierten Ärzten
Wettbewerbsvorteile zu verschaffen, die sie sich nicht erarbeitet haben, obwohl sie niemand daran gehindert hat.
Das Ergebnis und die Argumente des OLG Köln sind – wie insbesondere auch die jüngeren Urteile des OLG Karlsruhe aufzeigen – nicht verallgemeinerungsfähig.
33) So u.a. die Argumentation des OLG Köln, Urt. v. 15.08.2008 – 6 U 20/08 – vgl. juris
Rdnr. 6 a.E..
34) OLG Köln a.a.O.
35) BVerfG Beschluss v. 23.07.2001 – 1 BvR 873/00, 1 BvR 874/00 = BVerfG NJW 2001,
2788 = BVerfG WRP 2001, 1064; Bornkamm, in: Köhler/Bornkamm, UWG, 28. Aufl.
2010, § 5 Rdnr. 1.64.
36) Vgl. OLG Karlsruhe a.a.O. (Fußnote 22).
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