88 | TEC21 19 / 2012 DER SIA UND DIE WERBUNG Hatte der SIA in seinen Anfangszeiten noch keine Berührungsängste mit dem Thema Werbung, rief er seine Mitglieder erstmals während der Rezession der 1930er-Jahre zur Zurückhaltung auf. Ein absolutes Werbeverbot existierte – entgegen eines hartnäckigen Gerüchts – allerdings nie und seit 2002 gibt es auch keine Werbeordnung mehr. über viele Jahre war Werbung im SIA kein Thema mehr. Anlass zur Diskussion gab sie wieder an der Präsidentenkonferenz vom März 1954, wegen einer von einem St. GallerVerlag herausgegebenen «Baumappe», die durch Inserate von Ingenieuren und Architekten finanziert worden war. Das C.C. reagierte rasch und veröffentlichte vier Monate später «Richtlinien über Fragen der Reklame». «Die als freierwerbende Ingenieure und Architekten tätigen Mitglieder des S.I.A. le- Auch wenn schon in den Ruinen von Pompeij gen sich in Fragen der Reklame Zurückhal- Werbetafeln gefunden wurden, ist kommer- tung auf. Eine persönliche Reklame steht im zielle Werbung im heutigen Sinne doch ein Kind des Liberalismus; Industrialisierung und Widerspruch zu Artikel 6. der Statuten und ist weder im Interesse des Standes noch demje- Massenproduktion, Gewerbe- und Presse- nigen der Mitglieder», lautete der vorange- freiheit waren ein guter Nährboden. Berüh- stellte Grundsatz. Ergänzt wurde dieser rungsängste damit hatte der SIA damals durch konkrete Beispiele verbotener Rekla- nicht: In der Festschrift zur Jahresversamm- me: Persönliche Inserate, persönliche Rekla- lung von 1877 in Zürich empfiehlt sich ein metafeln auf einer Baustelle oder die Be- Architekt in einer Annonce für die Anferti- teiligung gung von Bauplänen und zur Übernahme finanzierten Publikation zu einem Bauwerk. an einer durch Unternehmer von Bauten gegen Pauschalsummen, nebst dem Verkauf von Parkett, Beschlägen, Gusssäulen und Sparherden (vgl. Abb. 1). KEINE UNKOLLEGIALE UND EXZESSIVE WERBUNG In den Jahren der Hochkonjunktur und mit 01 Inserat aus der Festschrift zur Jahresversammlung des SIA von 1877 (Reproduktion: Archiv SIA) GLEICHE ZURÜCKHALTUNG WIE ÄRZTE ODER ANWÄLTE dem Auftreten neuer Konkurrenten auf dem Markt – vermehrt machten Generalunterneh- grosses Architekturbüro im Hinblick auf sei- Zu Beginn des 20. Jahrhunderts unternahm mer mit lauter Werbung auf sich aufmerksam nen Börsengang – ein bis dahin bei Pla- der Verein erstmals verstärkt Anstrengungen, – wurde im Verein der Ruf nach einer Über- nungsbüros kaum bekannter Vorgang – eine das SIA-Label zu einem Qualitätssymbol zu prüfung der Reklameregelungen laut. Eine Werbekampagne in der Tagespresse. Die machen: Die Festschreibung berufsethischer neu eingesetzte Kommission für Werbung Vereinsleitung wurde im Voraus darüber ori- Grundsätze für die SIA-Mitglieder, sowie die überarbeitete die Richtlinien und wertete sie entiert und war der Ansicht, dass dies zuläs- Beschränkung der Mitgliedschaft auf akade- zu einer «Ordnung über die Werbung» (SIA sig sei; die Basis des Vereins jedoch reagier- misch gebildete Ingenieure und Architekten 154) auf, die im Juni 1973 von den Delegier- te empört. Die Sektionen Genf und Waadt in den 1911 revidierten Statuten weisen in ten genehmigt wurde. Verboten war danach gaben ihrem Unmut mit schriftlichen Einga- diese Richtung. Diese Bestrebungen be- «standesunwürdige» Werbung, wie irrefüh- ben an das C.C. Ausdruck, die Fachgruppe dingten für gewisse Aspekte des berufs- rende Angaben oder die Zusicherung von für Architektur mit einer von ihrer Generalver- ethischen Verhaltens Regelungen, so mit der Rabatten und dergleichen, «unkollegiale» sammlung verabschiedeten Resolution, die Zeit auch für die Werbung. Mit dem Rück- Werbung, wie das Versprechen von Vorteilen den Ausschluss der Verantwortlichen aus gang des Bauvolumens in den ausgehenden gegenüber Berufskollegen, sowie «exzes- dem SIA forderte. Dass ein Teilhaber des Bü- 1930er und den beginnenden Kriegsjahren sive» Werbung, die markschreierisch oder in ros Mitglied des C.C. gewesen war und 1984 wurde das Werben um «Kunden» offenbar zu anderer übertriebener Art erfolgt. Verboten aufgrund seiner Verdienste zum Ehrenmit- einem Problem. In Beantwortung einer Anfra- wurde auch Werbung in Radio oder Fernse- glied ernannt wurde, machte die Sache nicht ge der Sektionen Genf und Waadt gab das hen, sowie Werbung die im Zusammenhang einfacher. Central-Comité (C.C., heutige Direktion des mit fremden Produkten stand. Diese Bestim- Der Fall wurde an der Delegiertenversamm- SIA) im Oktober 1941 an der Delegiertenver- mungen wurden restriktiv interpretiert und lung vom Juni 1986 unter «Mitteilungen» an- sammlung die offizielle Haltung des Vereins über gesprochen und führte zu einer engagierten zur Werbung bekannt: «Das C.C. ist der An- verstanden. Jahre faktisch als Werbeverbot sicht, dass die Mitglieder des SIA sich grund- Diskussion; eine klare Mehrheit der Delegierten verurteilte die Inserateaktion. Gestützt auf die Beurteilung durch die Kommission für rückhaltung auferlegen müssen, wie im WERBUNG GRUNDSÄTZLICH ERLAUBT Allgemeinen der Arzt oder Anwalt.» Diese Doch das wirtschaftliche Umfeld veränderte gen die Ordnung SIA 154, ohne aber weitere Antwort wurde diskussionslos akzeptiert und sich. Im Frühsommer 1986 lancierte ein Sanktionen zu ergreifen. Der Fall zeigte, dass sätzlich im Reklamewesen die gleiche Zu- Werbung, rügte das C.C. den Verstoss ge- | 89 TEC21 19 / 2012 die Regelungen zur Werbung erneut über- gereichte Klage musste von der Werbekom- munikation, Öffentlichkeitsarbeit und Wer- prüft werden sollten, wobei zunächst offen mission gestützt werden. Sie beantragte, bung» durch Mitglieder des SIA, im Folgejahr war, in welche Richtung eine Revision gehen dem eingeklagten Büro einen Verweis zu ergänzt durch Kurse von FORM, in denen die sollte. Doch schon bei der Formulierung des Revisionsauftrags an die Werbekommission erteilen, jedoch ohne Publikation in den Anwendung von Werbung als Form des Mar- Vereinszeitschriften – eine für «besonders ketings von Planungsbüros vermittelt wurde. wurde im C. C. die Frage gestellt, ob eine standesunwürdiges» Verhalten eher milde Klaus Fischli, 1983 bis 2006 Mitarbeiter des Revision «in einer restriktiven Richtung einen Generalsekretariats, klaus.fi[email protected] Sinn hat, wenn ohnehin zahlreiche Büros sich Sanktion. In der Werbekommission liess dieser Fall das Bewusstsein reifen, «aus der gu- nicht verpflichtet fühlen, die Werbeordnung ten alten Zeit» zu stammen und ein «Fossil einzuhalten.» Die Kommission SIA 154 ver- ohne Aufgabe und Wirkung» zu sein. Im Jah- neinte einen Revisionsbedarf für die Ord- resbericht 2000 ergänzte sie dazu: «Die Li- nung und hielt fest, dass die Ordnung Wer- beralisierung […] erzeugt einen Wettbewerb, bung grundsätzlich erlaube. in dem alle tauglichen Mittel eingesetzt werden […]. Man mag dies bedauern oder be- SERIE ZUM SIA-JUBILÄUM Anlässlich des 175-Jahr-Jubiläums des SIA beleuchten unterschiedliche Autoren und Autorinnen in loser Folge ausgewählte Ereignisse der Vereinsgeschichte. Bereits erschienen: «Zur Geschichte des SIASekretariats» (TEC21 11/2012). RÜCKZUG DER WERBEORDNUNG grüssen, beseitigen kann man diesen Wett- Ihren letzten Fall hatte die Werbekommission bewerb kaum mehr», und stellte in Aussicht, 1998 zu bearbeiten – in einer Zeit, als die ihre eigene Auflösung zu beantragen. Tendenzen zur Liberalisierung der Wirtschaft Auch in der Vereinsleitung hatte sich nun die CHRONIK DES SIA: 1837– 2011 deutlich wurden und die SIA-Tarife unter Be- Meinung durchgesetzt, dass die Gesetzge- schuss der Eidgenössischen Kartellkommis- bung zum unlauteren Wettbewerb zur Rege- sion gerieten. In einem Inserat mit der Ankün- lung der Werbung genüge und die Werbe- digung des Zusammenschlusses von zwei ordnung zurückzuziehen sei. «In Anbetracht Büros zu einer neuen, im SIA-Verzeichnis der bestehenden Realitäten», so der Wort- eingetragenen Firma, war ein Rabatt auf laut des Antrags an die Delegiertenver- SIA-Honorare angeboten worden. Die Ge- sammlung, wurde die SIA-Werbeordnung am währung von Rabatten jedoch wurde in der 15. Juni 2002 ausser Kraft gesetzt und die SIA-Werbeordnung explizit als «besonders Kommission SIA 154 aufgelöst. Als Ersatz für standesunwürdig» bezeichnet, und die ge- die Werbeordnung erschien Ende 2002 die gen die verantwortlichen SIA-Mitglieder ein- Publikation «Qualität kommunizieren – Kom- Eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Vereinsgeschichte bietet die neue Chronik des SIA 1837 – 2011, die von Klaus Fischli zusammengestellt und ergänzt wurde. Die rund 80 Seiten umfassende Publikation bietet eine Übersicht über die Meilensteine der ersten 150 Jahre des SIA wie die Entstehung des Normenwerks, die Arbeitsbeschaffung während der Kriegsjahre oder die ersten Konflikte mit der Preiskontrolle, und enthält eine kompakte Aufarbeitung ausgewählter Themen der letzten 25 Jahre. Die Chronik kann für 25 Fr. per E-Mail bestellt werden bei: Verena Fischer, Generalsekretariat SIA, verena.fi[email protected]. ANDRÉ RIVOIRE (1916 – 2011) Anlässlich der Feierlichkeiten und Rückblicke sen Genfer Gemeinde (Le Grand Saconnex) Zusammenarbeit mit seiner Frau. Sein Ver- rund um das 175-jährige Bestehen des SIA zögerte er nicht, sich als Verwaltungsrat der antwortungsbewusstsein war derart, dass er ist es angebracht, einer aussergewöhnlichen Seatu-Verlags AG von 1973 bis 1990 gleich- nie, aber auch gar nie, ein Budget oder einen Persönlichkeit zu gedenken. André Rivoire zeitig für die technischen Publikationen des Kostenvoranschlag eines seiner Projekte um stand unserem Verein von 1961 bis 1971 vor, SIA einzusetzen. das Geringste überschritten hätte. war während über vierzig Jahren Ehrenmit- André Rivoire blieb aber in erster Linie Archi- Bis zuletzt war André Rivoire äusserst stolz glied und starb Ende 2011 in Genf. tekt. Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg auf seine Familie, seine drei Kinder, seine 1916 geboren, hat Rivoire, pflichtbewusst und half er von 1946 bis 1948 beim Wiederaufbau sechs Grosskinder und vor allem auf seine ein Mann von Wort, dem SIA in verschiedener des bombardierten Oslo. Zu Norwegen, dem zahlreichen Urgrosskinder. Hinsicht mit Hingabe gedient. Während sei- Land, aus dem seine Ehefrau, ebenfalls Ar- Prof. Dr. Jean-Claude Badoux, Präsident des SIA ner langen Präsidentschaft baute er die chitektin, stammte, hegte er eine grosse 1986–91, Ehrenmitglied des SIA und Präsident Struktur unseres Vereins um, sodass sich die- Verbundenheit. der Schweizerischen Standeskommission, ser besser für die Berufsehre und die Interes- 1949 aus Norwegen zurückgekehrt, baute er jean-claude.badoux@epfl.ch sen der Planer einsetzen konnte, aber auch, sein eigenes Haus in «nordischem Stil». Ge- um unseren Aufgaben und Verantwortlich- meinsam mit Edmond Fatio gründete er ein keiten der Gemeinschaft und Allgemeinheit Architekturbüro, das er nach dessen Tod um gegenüber Priorität geben zu können. Trotz 1960 als grosser Patron alleine weiter führte. der Arbeitslast als Stadtpräsident einer gros- Er realisierte zahlreiche Bauten, teilweise in