>THEMA< Hausmusik Renaissance einer bürgerlichen Musikkultur? Hannah Lühmann Wenn von „Hausmusik“ gesprochen wird, glaubt man, sofort zu wissen, wovon die Rede ist. Aber was eigentlich ist Hausmusik? Musik im Haus? In wessen Haus? Im bürgerlichen Haus des 18. und 19. Jahrhunderts oder doch eher bei der Jamsession in der Garage? Und ist diese Tradition des gemeinsamen Musizierens weggebrochen? Oder erlebt die Hausmusik derzeit eine Renaissance? Diesen und anderen Fragen rund um das Thema Hausmusik sind wir in dieser Ausgabe nachgegangen. „Übrigens sind ein paar der eingelegten Lieder nicht übel. Wir erhielten sie gestern. Victoire, du könntest uns das ein’ oder andere davon singen.“ „Ich habe sie kaum durchgespielt.“ „Oh, dann bitt ich umso mehr“, bemerkte Schach. „Alle Salonvirtuosität ist mir verhasst. Aber was ich in der Kunst liebe, das ist ein solches poetisches Suchen und Tappen.“ […] Schach aber führte Victoiren an das Klavier, und diese sang, während er begleitete. Die bürgerliche Tradition In dieser Szene aus Theodor Fontanes Erzählung Schach von Wuthenow, die um 1806 herum spielt, scheint kaleidoskopisch noch einmal der Kosmos des bürgerlichen Laienmusizierens des 18. und 19. Jahrhunderts auf. Victoire, die Tochter, wird zum Klavier geführt, um im Kreise der Freunde des Hauses Lieder vorzutragen. Wie viele junge Frauen, ganz gleich aus wie „gutem“ oder „bürgerlichem“ Haus, würden sich heutzutage noch vom Hausfreund an ein Klavier führen lassen? Wohl nicht sehr viele. Eine musikalische Ausbildung, Klavier- und Gesangsstunden galten im 18. und 19. Jahrhundert als 10 selbstverständlicher Teil einer guten Erziehung, an die auch die Chance einer erfolgreichen Verheiratung der Mädchen geknüpft war. Traditionen und Riten des gesellschaftlichen Miteinanders sind ja immer auch Ausdruck der – in diesem Fall patriarchalischen – Ordnung, aus der sie entstehen. Und dennoch kann man bedauern, dass es „so etwas“ nicht mehr gibt – einen bürgerlichen Salon, in dem poetisch „gesucht und getappt“ wird; Musikabende mit Freunden, bei denen man sich durch teilweise vielleicht zu schwere Noten spielt; singende Mädchen… das Orchester 11.11 © akg / De Agostini Picture Lib. >THEMA: Hausmusik< Der französische Maler Jean-Honoré Fragonard (1732-1806) hielt in seinem Gemälde „The Music Lesson“, das im Louvre hängt, die Atmosphäre häuslichen Muszierens im 19. Jahrhundert fest Hausmusik? Auf die Frage, was Hausmusik eigentlich ist, kann man scheinbar banal antworten: Musik, die im Haus, die zuhause praktiziert wird. Gemeint ist hier vornehmlich das bürgerliche Haus bzw. die bürgerliche Wohnung. Man muss das „Haus“ in „Hausmusik“ also im Sinn von „Haushalt“ als sozialer Lebenszusammenhang verstehen, nicht im Sinn von „Gebäude“. Und nähert sich somit einem ganz entscheidenden Merkmal der Hausmusik: Sie ist gekennzeichnet durch ihre Privatheit, durch die Intimität der Atmosphäre, in der sie ausgeübt wird, durch ihre Funktion als soziales Band in einer das Orchester 11.11 (bürgerlichen) Gesellschaft. Man kommt zusammen und musiziert gemeinsam, was als verbindend erlebt wird. Bis zur Erfindung des Grammofons wurden z. B. Sinfonien, Opern und Arien regelmäßig so umgeschrieben, dass sie am Klavier gespielt werden konnten. Und hier wird ein wesentlicher Grund dafür deutlich, warum die Hausmusik, wie man sie aus der Salonkultur des frühen 19. Jahrhunderts oder aus überlieferten Szenen der Familien Mozart oder Bach kennt, im 20. Jahrhundert weniger geworden ist: Die Erfindung des Grammofons und der Schallplatte gegen Ende des 11 >THEMA: Hausmusik< 19. Jahrhunderts und der langsame, aber unaufhaltsame Siegeszug dieser Musikabspieltechnik im 20. Jahrhundert ersetzte die Notwendigkeit des eigenen Musizierens, wenn gewünscht war, im privaten Raum Musik zu hören. In den 1930er Jahren wurde die Vinylschallplatte entwickelt; in den 1950er und 1960er Jahren ist das Grammofon mit der Vinylschallplatte zum alltäglichen Haushaltsgegenstand geworden. Warum Musik noch selbst spielen, wenn man sie mit dem Grammofon oder später auf CD oder über den iPod jederzeit hören kann? Geselligkeit entsteht auch, wenn der Plattenspieler oder Computer im Hintergrund läuft – Musizieren aber, egal wie laienhaft, erfordert Anstrengung und ein Minimum an Übung. Es geht weiter – aber anders Aber muss man sich nicht fragen, ob es überhaupt stimmt, dass kaum mehr Hausmusik praktiziert wird? das Orchester hat sich umgehört und befunden, dass es durchaus eine Menge gerade junger Leute gibt, die sich nach wie vor treffen, um gemeinsam Musik zu machen – „klassische“. Aber natürlich trifft man sich auch häufig, um mit Gitarre, Klavier oder anderen Instrumenten zu improvisieren oder bekannte Pop- oder Rocklieder nachzuspielen. Das ist mit Sicherheit ein völlig anderer musikalischer Stil, aber es handelt sich auch hier um Musik im Haus, um Hausmusik also. Wenn man einräumt, dass es „so etwas“ eben doch noch gibt, dann muss man sich mehr denn je fragen: Was überhaupt ist Hausmusik? Wenn Hausmusik jede Art von Musik ist, die im häuslichen Rahmen stattfindet und nicht notwendig mit professionellem Anspruch betrieben wird, dann ist das Phänomen gerade heute wesentlich vielschichtiger, als es den Anschein hat, und es greift zu kurz, nur den Wegbruch bürgerlicher Klavierabende zu beklagen. Neben Rockmusik oder Elektro, die junge Menschen zuhause zum akustischen Ergötzen ihrer selbst und mitunter zur Qual der Nachbarn spielen, erlebt „die Hausmusik“ auch auf anderen Ebenen eine Art Erneuerung. > Warum Musik noch selbst spielen, wenn man sie mit dem Grammofon oder später auf CD oder über den iPod jederzeit hören kann? < Was bedeutet es z. B., wenn Musikkenner und -liebhaber professionelle Orchestermusiker nach Hause einladen, damit sie dort auf hohem musikalischen Niveau „Hausmusik“ spielen? Ist das Hausmusik, weil sie in Häusern und Wohnungen stattfindet? Oder ist es nur eine neue Form des Status-Zeigens? Aber auch: Was bedeutet es, wenn in der „Yellow Lounge“, einem Kind der Deutschen Grammophon/Universal Classics und gleichermaßen CD-Label wie auch Veranstaltungsreihe, Klassik an ungewöhnlichen, fast immer popkulturell geprägten Umfeldern und Orten dargeboten, Rachmaninow aufgelegt und mit Stars der internationalen Klassikszene als „Live Acts“ geworben wird? Die Veranstaltung erfreut sich bereits seit zehn Jahren eines Stammpublikums, man trinkt und unterhält sich zur Musik wie in einer ganz normalen Diskothek. Letzteres hat sicherlich nicht viel mit dem zu tun, was man intuitiv unter „Hausmusik“ versteht. Jedoch gibt es offensichtlich nach wie vor Menschen, auch junge Menschen, die klassische Musik erleben wollen – und dies nicht (nur) im institutionalisierten Rah- 12 men des klassischen Konzerts oder des Opernbesuchs. Dieser Charakterzug des Nicht-Institutionellen, Inoffiziellen führt uns zurück zum Wesen der Hausmusik. Denn sie ist immer auch eine alternative Form des Musikerlebens gewesen. Man muss sich nicht in Anzug oder Abendkleid werfen und mehrere Stunden lang schweigend genießen. Der Laie, Liebhaber, Profi nimmt selbst aktiv teil. Und das tun auch die jungen Clubgänger in der „Yellow Lounge“, wenn sie ihr Bier zu Rachmaninow schlürfen, der fließend in Mahler übergeht. Exklusivität und Status Es gibt also eine neuartige Form des Umgangs mit klassischer Musik, die sich in privaten (wie bei den organisierten Soirées der Musikliebhaber) bzw. alternativen (wie im Fall der Club-Klassik) Räumen abspielt. Und hier wird die Frage nach dem Raum wieder zentral: Gibt es ein neu erwachtes Bedürfnis der Menschen, in unterschiedlichsten Formen den exklusiven Charakter klassischer Musik zu zelebrieren? Exklusivität ist gerade heutzutage ein entscheidendes Merkmal klassischen Musikgenusses. Bei Weitem nicht jeder hat Muße, Bildung und finanzielle Mittel, um sich ihn zu erschließen. Vielleicht ist also die Verlagerung des Musik-Erlebens in private oder inoffizielle Räume ein Ausdruck des Bedürfnisses, sich in der viel zitierten beschleunigten Gesellschaft Orte des Rückzugs, des exklusiven Genusses zu schaffen? > Musik bringt zusammen, und sie tut es vor allem, wenn man sie gemeinsam spielt und ihr nicht nur passiv oder tanzend zuhört. < Wenn man sich Musiker nach Hause einlädt, ist man „näher dran“ – das passt zu einer Gesellschaft der Livekultur, des DabeiSein-Wollens. Es vereint Nähe und Unmittelbarkeit mit der Sehnsucht nach Ruhe und Introspektive. Gibt es eine neue bürgerliche Innerlichkeit, eine Art postmodernes Biedermeier, erkennbar an dem Phänomen, dass sich Menschen Musiker einfach ins Wohnzimmer holen? Wird klassische Musik dabei zum Statussymbol? Hausmusik hatte schon immer auch diese Eigenschaft – sie wurde von denjenigen gemacht, welche das Geld und die Bildung dazu hatten. Ein soziales Band Musizieren würde man „zur Ehre Gottes und zu Rekreation des Gemütes“, so Johann Sebastian Bach. Die Rekreation des Gemütes ist in unserer stressigen Welt wohl bedeutsamer denn je. Ob man für Gott musiziert, darüber kann man sich streiten. Man kann jedoch den Gedanken, zu seiner Ehre Musik zu machen, durch den des sozialen Zusammenhalts ersetzen. Dieser war früher stärker und selbstverständlicher durch Religion und bürgerliche Tradition gewährleistet. Nun muss er sich neue Wege suchen, neue Traditionen schaffen. Musik bringt zusammen, und sie tut es vor allem, wenn man sie gemeinsam spielt und ihr nicht nur passiv oder tanzend zuhört. Also liegt nahe, dass in unserer komplexer werdenden Gesellschaft neue, alte, alternativ-private Räume des Ausprobierens, des „Suchens und Tappens“ auch und gerade in der klassischen Musik erschlossen werden. Schach, ans Klavier! < das Orchester 11.11